Urteil des OVG Niedersachsen vom 12.02.2013

OVG Lüneburg: verordnung, formelles gesetz, niedersachsen, eingriff, unterlassen, gemeinde, verfassungsänderung, verwaltungshandeln, wiederherstellung, verfassungsbeschwerde

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Rüge der Verletzung des Konnexitätsprinzips
1. Aus dem Konnexitätsprinzip in Art. 57 Abs. 4 der Niedersächsischen
Verfassung lässt sich nicht ableiten, dass einer Kommune auch ohne
gesetzliche Anpassungsgrundlage unmittelbar nach Satz 2 der vorgenannten
Verfassungsbestimmung ein verwaltungsgerichtlich durchsetzbarer
Anspruch auf Ausgleich ihrer notwendigen Aufwendungen wegen Erfüllung
einer Aufgabe nach Satz 1 der Vorschrift zusteht.
2. Zu der Frage, ob und mit welchem Inhalt eine Kommune wegen Verletzung
des Konnexitätsprinzips eine Kommunalverfassungsbeschwerde vor dem
Niedersächsischen Staatsgerichtshof erheben kann.
OVG Lüneburg 11. Senat, Beschluss vom 12.02.2013, 11 LA 315/12
Art 57 Abs 4 Verf ND
Gründe
Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für
erledigt erklärt haben, ist das Berufungsverfahren in entsprechender
Anwendung des § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen und das Urteil des
Verwaltungsgerichts gemäß § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 269 Abs. 3 Satz 1
ZPO analog für unwirksam zu erklären. Im Übrigen ist der Antrag auf Zulassung
der Berufung zulässig, aber unbegründet.
Die Klägerin ist der Ansicht, dass ihr als niedersächsischer Gemeinde ohne
Schwerpunktfeuerwehr durch den im Mai 2010 in Kraft getretenen § 4 Abs. 5 der
Verordnung über die kommunalen Feuerwehren (FwVO 2010) vom 30. April
2010 (Nds. GVBl. 2010, 185, 284) erstmals die Verpflichtung auferlegt worden
sei, ein “Einsatzleitfahrzeug (Typ 1)“ anzuschaffen. Sie habe deshalb ein
solches - gebrauchtes - Fahrzeug im Juni 2010 erworben und hierfür sowie für
seine notwendige Herrichtung insgesamt 17.778,12 EUR aufgewendet. Nach
Art. 57 Abs. 4 der Niedersächsischen Verfassung (NV), jedenfalls aber auf
Grund eines Folgenbeseitigungsanspruches habe das beklagte Land ihr diese
notwendigen Aufwendungen unmittelbar auszugleichen. Der Beklagte lehnte
dieses Begehren ab, und zwar durch Bescheid vom 16. Dezember 2010. Die
folgende Klage hat das Verwaltungsgericht sowohl hinsichtlich des
Hauptantrages, der als Verpflichtungsklage auf die Erstattung von 17.778,12
EUR gerichtet ist, als auch hinsichtlich der hilfsweisen Feststellungsbegehren
abgelehnt.
Im Zulassungsverfahren hat der Beklagte auf Anregung des Gerichts seinen
Ablehnungsbescheid der Form nach aufgehoben; insoweit haben die Beteiligten
den Rechtsstreit in der Hauptsache teilweise für erledigt erklärt. Im Übrigen
verfolgt die Klägerin ihren Hauptantrag sinngemäß fort. Die von ihr geltend
gemachten Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 Nrn. 1 bis 3 VwGO sind nicht
gegeben.
1. Ernstliche Zweifel i. S. d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO an der Richtigkeit der
Entscheidung des Verwaltungsgerichts bestehen nicht. Dabei kann offen
bleiben, ob das Verwaltungsgericht zu Recht davon ausgegangen ist, dass es
sich vorliegend nicht um eine verfassungsrechtliche Streitigkeit nach § 40 Abs. 1
Satz 1 VwGO handelt. Jedenfalls ist ihm in der Annahme zu folgen, dass der
geltend gemachte Zahlungsanspruch erfolgreich weder auf Art. 57 Abs. 4 NV (a)
noch auf einen “Folgenbeseitigungsanspruch“ (b) gestützt werden kann.
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(a) Der Zahlungsanspruch ergibt sich nicht aus Art. 57 Abs. 4 NV.
Die Sätze 1 bis 3 der vorgenannten Vorschrift haben folgenden Wortlaut:
“Den Gemeinden und Landkreisen und den sonstigen kommunalen
Körperschaften können durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes durch
Verordnung Pflichtaufgaben zur Erfüllung in eigener Verantwortung zugewiesen
werden und staatliche Aufgaben zur Erfüllung nach Weisung übertragen
werden. Für die durch Vorschriften nach Satz 1 verursachten erheblichen und
notwendigen Kosten ist unverzüglich durch Gesetz der entsprechende
finanzielle Ausgleich zu regeln. Soweit sich aus einer Änderung der Vorschriften
nach Satz 1 erhebliche Erhöhungen der Kosten ergeben, ist der finanzielle
Ausgleich entsprechend anzupassen“.
Vorliegend kann offen bleiben, ob der Klägerin auf dem Gebiet des
Brandschutzes, der ihr nach § 1 Abs. 2 NBrandSchG als Aufgabe des eigenen
Wirkungskreises obliegt, mit der Einführung des § 4 Abs. 5 FwVO 2010 erstmals
die Anschaffung eines Einsatzleitfahrzeuges aufgegeben und damit eine “neue“
Pflichtaufgabe zur Erfüllung in eigener Verantwortung i. S. d. Art. 57 Abs. 4 Satz
1 NV übertragen worden ist oder sich eine entsprechende Verpflichtung - wie
der Beklagte geltend macht - schon aus der unverändert gebliebenen
gesetzlichen “Generalklausel“ des § 2 Abs. 1 Satz 2 und 3 Nr. 1 NBrandSchG
ergab, wonach Gemeinden eine den örtlichen Verhältnissen entsprechende
leistungsfähige Feuerwehr aufzustellen, auszurüsten, zu unterhalten und
einzusetzen und dazu insbesondere u. a. die erforderlichen Anlagen, Mittel und
Geräte bereitzuhalten haben. Ebenfalls kann offen bleiben, ob es sich im
erstgenannten Fall im Hinblick auf den Neuerlass der FwVO im Jahr 2010 um
einen Anwendungsfall des Art. 57 Abs. 4 Satz 1 NV oder im Hinblick darauf,
dass u. a. § 4 FwVO 2010 lediglich an die Stelle der durch § 18 Abs. 2 Nr. 1
FwVO 2010 aufgehobenen, zuvor geltenden Verordnung über die
Mindeststärke, die Gliederung nach Funktionen und die Mindestausrüstung der
Freiwilligen Feuerwehren im Lande Niedersachsen vom 21. September 1993
(Nds. GVBl. S. 365), zuletzt geändert durch Artikel 2 der Verordnung vom 8.
August 2005 (Nds. GVBl. S. 266), getreten ist, um einen Anwendungsfall des
Art. 57 Abs. 4 Satz 3 NV handelte. Schließlich braucht auch nicht näher dem
Einwand des Beklagten nachgegangen zu werden, es mangele bei der
notwendigen Globalbetrachtung vorliegend an der in Art. 57 Abs. 4 Satz 2 NV
geforderten “Erheblichkeit“ der Kosten.
Selbst wenn insoweit zu Gunsten der Klägerin vom Vorliegen der
Voraussetzungen des Art. 57 Abs. 4 Satz 2 NV auszugehen ist, lässt sich
daraus aus den zutreffend vom Verwaltungsgericht genannten Gründen
jedenfalls nicht die von der Klägerin gesehene Rechtsfolge herleiten. Die
Vorschrift lautet nämlich nicht, dass die erheblichen und notwendigen Kosten
unverzüglich zu erstatten sind, sondern dahingehend, dass “unverzüglich durch
Gesetz der entsprechende finanzielle Ausgleich zu regeln“ ist. Ein solches
Gesetz existiert jedoch unstreitig nicht. Auf das schon nach dem Wortlaut der
Norm notwendige Kostenausgleichsgesetz - für einen Rückgriffsanspruch des
Landes gegenüber den Kommunen gilt im Übrigen nach Art. 57 Abs. 7 NV nichts
anderes - kann weder nach der Entstehungsgeschichte noch nach dem Sinn
und Zweck der Verfassungsänderung verzichtet werden. Zwar weist die Klägerin
zutreffend darauf hin, dass durch die mit Gesetz vom 27. Januar 2006 (Nds.
GVBl. S. 58) erfolgte Änderung des Art. 57 Abs. 4 NV die (finanzielle) Stellung
der Kommunen gestärkt, (auch) in Niedersachsen das sog. strikte
Konnexitätsprinzip eingeführt und ihnen grundsätzlich ein Anspruch auf
Ausgleich notwendiger und erheblicher Kosten zugestanden worden ist (vgl. LT.
- Drs. 15/2517, S. 2 f.). Diesem Zweck der Verfassungsänderung lässt sich aber
nicht noch weitergehend entnehmen, dass einer Kommune auch ohne
gesetzliche Anspruchsgrundlage unmittelbar nach Art. 57 Abs. 4 Satz 2 NV ein
dann verwaltungsgerichtlich durchzusetzender Anspruch zustehen soll.
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Systematisch spricht dagegen, dass der Verfassungsgesetzgeber in Satz 2 des
Art. 57 Abs. 4 NV für den Ausgleichsanspruch bewusst eine Regelung durch
Gesetz gefordert hat, während die Aufgabenübertragung nach Satz 1 dieser
Norm auch auf Grund eines Gesetzes erfolgen kann. Mit dem “Gesetz“ im Sinne
des Satzes 2 soll also nicht nur eine eindeutige Grundlage für den
Ausgleichsanspruch geschaffen, sondern auch in einem entsprechenden
parlamentarischen Verfahren auf Grund einer nachvollziehbaren Ermittlung der
Kosten (vgl. die Nachweise aus der landesverfassungsgerichtlichen
Rechtsprechung bei Laier, NdsVBl. 2009, 217, 223 f., und Dombert, LKV 2009,
343, 346) Art und Umfang des Ausgleichs festgelegt werden. Schließlich spricht
auch die Entstehungsgeschichte der Verfassungsänderung gegen die
Annahme, Art. 57 Abs. 4 Satz 2 NV enthalte keinen Regelungsauftrag an den
Gesetzgeber, sondern könne unmittelbar als Anspruchsgrundlage für einen
Kostenausgleich dienen. Zugleich mit der Änderung des Art. 57 Abs. 4 NV
wurde nämlich in § 36 Abs. 2 NStGHG die Frist zur Einlegung einer kommunalen
Verfassungsbeschwerde von einem Jahr auf zwei Jahre verlängert. Den
Kommunen sollte so die Gelegenheit eröffnet werden, etwaige bei Übertragung
einer neuen Aufgabe zunächst nicht absehbare und deshalb auch nicht als
ausgleichsfähig anerkannte Kosten nachträglich gerichtlich geltend machen zu
können (vgl. Freese, NdsVBl. 2007, 33, 35). Eine entsprechende gerichtliche
Durchsetzung vor dem Niedersächsischen Staatsgerichtshof ist nach Art. 54 Nr.
5 NV, § 36 NStGHG möglich, wenn eine Verletzung des kommunalen
Selbstverwaltungsrechts durch ein “Landesgesetz“ gerügt wird. Jedenfalls ein
Streit zwischen einer Kommune und einem Land darüber, ob eine gesetzliche
Regelung des Ausgleichsanspruches nach Art. 57 Abs. 4 Satz 2 NV der Höhe
nach den verfassungsrechtlichen Vorgaben entspricht, soll also vor dem
Niedersächsischen Staatsgerichtshof ausgetragen werden. Dass etwa anderes
gelten soll, wenn aus Sicht der Kommune zu Unrecht eine gesetzliche
Ausgleichsregelung im Sinne des Art. 57 Abs. 4 Satz 2 NV ganz fehlt, und ihr
dann ein unmittelbar im Verwaltungsgerichtsweg durchsetzbarer Anspruch
zustehen soll, macht angesichts der Aufgabenverteilung zwischen Verfassungs-
und Verwaltungsgerichten schon systematisch wenig Sinn.
Entsprechende Bedenken sind schließlich auch nicht deshalb zurückzustellen,
weil andernfalls der Rechtsschutz der Kommune bei einer Aufgabenübertragung
durch Verordnung ohne (ausreichenden) Kostenausgleich leere liefe - wie die
Klägerin geltend macht. Ist der Kommune die neue Aufgabe - wie hier - durch
Verordnung, also nicht durch formelles Gesetz übertragen worden, kann sie
hiergegen zwar vor dem Staatsgerichtshof nach dem Wortlaut des Art. 54 Nr. 5
NV, § 36 NStGHG mangels “Gesetz“ als Streitgegenstand nicht erfolgreich im
Wege der Kommunalverfassungsbeschwerde vorgehen; ob abweichend vom
Wortlaut auch eine Verordnung angegriffen werden kann (vgl. bejahend Hüper,
Der Staatsgerichtshof des Landes Niedersachsen, S. 249 ff.; ablehnend Freese,
NdsVBl. 2007, S. 33, 35, Rn. 28, sowie Ipsen, Niedersächsische Verfassung,
Art. 54, Rn. 26), kann offen bleiben, da die Kommune in jedem Fall nicht
rechtsschutzlos ist. Ihr steht nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO i. V. m. § 7 Nds. AG
VwGO zumindest die Möglichkeit offen, eine Normenkontrolle vor dem
erkennenden Gericht zu beantragen. Allerdings führen nach überwiegender
Ansicht (vgl. zuletzt etwa Staatsgerichtshof des Landes Hessen, Urt. v. 6.6.2012
- P.St. 2292 -, NVwZ-RR 2012, 625 ff., juris, Rn. 84, sowie BVerfG, Beschl. v.
7.5.2001 - 2 BvK 1/00 -, BVerfGE 103, 332 ff., juris, Rn. 120, jeweils m. w. N.)
fehlende oder unzureichende Ausgleichsbestimmungen ohnehin nicht zur
Rechtswidrigkeit der Aufgabenübertragungsnorm.
Tauglicher Streitgegenstand einer Kommunalverfassungsbeschwerde vor dem
Niedersächsischen Staatsgerichtshof kann aber ein aus Sicht der Kommune
unzureichendes, den Anforderungen des Art. 57 Abs. 4 Satz 2 NV nicht
genügendes Ausgleichsgesetz sein. Da der Gesetzgeber nach zutreffender
Ansicht (vgl. LT - Drs. 15/2517, S. 3; Henneke, NdsVBl. 2006, 89, 96 f.;
Waechter, in: Hannoverscher Kommentar zur Nds. Verfassung, Art. 58, Rn. 46,
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sowie zur alten Fassung des Art. 57 Abs. 4 NV auch: Nds. StGH, Urt. v.
16.5.2001 - 6/99 u. a. -, NdsRpfl. 2001, 298 ff., juris, Rn. 114; Ipsen,
Niedersächsische Verfassung, Art. 57, Rn. 39) nicht in einem gemeinsamen
Rechtssetzungsakt mit der Aufgabenübertragung zugleich auch den
Kostenausgleich regeln muss und dies bei einer Aufgabenübertragung durch
Verordnung auch gar nicht kann, besteht für eine betroffene Kommune die
Unsicherheit, ob sich ihre Beschwerde nun gegen den unterbliebenen Erlass
eines eigenständigen speziellen Kostenausgleichsgesetzes oder gegen die
fehlende Ergänzung vorhandener Gesetze, die - wie etwa das NFAG oder das
NFVG - allgemein die Finanzbeziehungen zwischen dem Land und den
Kommunen regeln, richten muss. Dies gilt im Übrigen aber auch dann, wenn die
Aufgabenübertragung - anders als vorliegend - durch Gesetz erfolgt ist; auch in
diesem Fall muss wegen des o. a. fehlenden
Rechtswidrigkeitszusammenhanges zwischen Aufgabenübertragungsnorm und
Kostenausgleichsgesetz nicht zwingend die Aufgabenübertragungsnorm
angegriffen werden.
Der Senat kann und muss nicht abschließend klären, welcher der in der bereits
vom Verwaltungsgericht zitierten Rechtsprechung (vgl. BVerfG, Beschl. v.
7.5.2001 - 2 BvK 1/00 -, a. a. O, juris, Rn. 121, m. w. N.) und Literatur (vgl.
Waechter, a. a. O., Art. 58, Rn. 105; Badenhop, NordÖR 2010, 282, 285) zu der
vergleichbaren Problematik auch in anderen Ländern entwickelten
Lösungswege vom Niedersächsischen Staatsgerichtshof für zutreffend erachtet
wird, ob also etwa das NFAG oder das NFVG anzugreifen, schlicht das
Unterlassen des Erlasses eines Kostenausgleichsgesetzes zu rügen oder
Anknüpfungspunkt ungeachtet der Rechtsnatur doch jeweils die
Aufgabenübertragungsnorm ist. Denn jedenfalls ist nicht zu erkennen, dass die
entsprechende Beschwerde einer Kommune bei einem von ihr gerügten
Unterlassen des Landesgesetzgebers mangels tauglichen Streitgegenstandes
vom Staatsgerichtshof insgesamt für unstatthaft erklärt werden wird (vgl.
ausdrücklich ablehnend zu einem entsprechenden Einwand des Landes
Nordrhein-Westfalen auch Verfassungsgerichtshof NRW, Urt. v. 12.10.2010 - 12
/09 -, OVGE 53, 275 ff., juris, Rn. 53; auch Dombert, a. a. O, S. 343, 348, setzt
bei der Erörterung der Zulässigkeitsvoraussetzungen einer kommunalen
Verfassungsbeschwerde wegen Verletzung des Konnexitätsprinzips als
selbstverständlich voraus, dass die Beschwerde nicht an dem Mangel eines
tauglichen Beschwerdegegenstandes scheitert), ihr also insoweit kein effektiver
Rechtsschutz zur Verfügung stünde. Schließlich könnte verwaltungsgerichtlich
andernfalls ohnehin nur ein Feststellungsantrag (vgl. Saarl. OVG, Beschl. v.
27.11.2012 - 3 A 113/12 -, juris), nicht aber der hier noch streitige Verpflichtungs-
oder ein Leistungsantrag erfolgreich sein.
(b) Die Klage ist auch nicht auf Grund eines Folgenbeseitigungsanspruchs
begründet.
Dabei kann offen bleiben, inwieweit ein solcher Anspruch überhaupt neben der
ausdrücklichen Regelung in Art. 57 Abs. 4 Satz 2 NV Bestand haben kann und
allgemein auf “Fehler“ im Normsetzungsverfahren anzuwenden ist.
Jedenfalls hat nach der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung (vgl. zum
Folgenden BVerwG, Beschl. v. 14.7.2010 - 1 B 13/10 -, juris, Rn. 3, sowie
allgemein Schoch, Der Folgenbeseitigungsanspruch im Spiegel der
Rechtsprechung der letzten 25 Jahre, Die Verwaltung 44 (2011), S. 397 ff.,
jeweils m. w. N.) der Betroffene im Wege der Folgenbeseitigung keinen
Anspruch, so gestellt zu werden, wie er stünde, wenn der behördliche Fehler
nicht passiert wäre. Anders als im Sozialrecht, das bei der Verletzung
behördlicher Auskunfts- und Hinweispflichten einen Anspruch auf Herstellung
desjenigen Zustands kennt, der entstanden wäre, wenn sich der
Sozialleistungsträger von vornherein rechtmäßig verhalten hätte, kann auf dem
Gebiet des allgemeinen Verwaltungsrechts unrechtmäßiges
Verwaltungshandeln oder Unterlassen nur im Rahmen zulässigen
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Verwaltungshandelns ausgeglichen werden. Gegenstand eines
Folgenbeseitigungsanspruchs ist daher nicht die Einräumung derjenigen
Rechtsposition, die der Betroffene bei rechtsfehlerfreiem Verwaltungshandeln
erlangt haben würde. Der Anspruch auf Folgenbeseitigung, der ein Verschulden
der Behörde nicht voraussetzt, ist nur auf die Wiederherstellung des
ursprünglichen, durch hoheitlichen Eingriff veränderten Zustands gerichtet.
Mangels gesetzlicher Vorschriften kann er hingegen nicht zu einem darüber
hinausgehenden Erfolg führen. Ein Folgenbeseitigungsanspruch kann deshalb
nicht auf Schadensersatz oder Entschädigung in Geld für rechtswidriges
Verwaltungshandeln, sondern allein auf die Wiederherstellung des durch einen
rechtswidrigen hoheitlichen Eingriff veränderten rechtmäßigen Zustandes
gerichtet sein, der im Zeitpunkt des Eingriffs bestand (BVerwG, Urt. v. 28.5.2003
- 2 C 35/02 -,Buchholz 232 § 72 BBG Nr. 39, juris, Rn. 16; Nds. OVG, Beschl. v.
12.12.2008 - 8 PA 105/08 -, NVwZ-RR 2009, 452 f., m. w. N.). Die behördliche
Untätigkeit in Gestalt der Nichterfüllung eines Leistungsanspruchs stellt
demnach keinen Fall der Folgenbeseitigung dar (Schoch, a. a. O., S. 402).
Sollte die Klägerin § 4 Abs. 5 FwVO 2010 mangels gesetzlicher
Kostenausgleichsregelung für rechtswidrig halten, so wäre im Wege der
Folgenbeseitigung allenfalls die in § 4 Abs. 5 FwVO 2010 enthaltene
Verpflichtung zur Anschaffung eines Einsatzleitfahrzeuges “rückabzuwickeln“,
die Klägerin also etwa zur Weiterveräußerung berechtigt; ihr ist dann aber nicht
ersatzweise für die Anschaffung Kostenausgleich zu leisten. Im Übrigen ist mit
der Änderung des § 4 Abs. 5 FwVO 2010 durch die Verordnung vom 17. Mai
2011 (Nds. GVBl. S. 125) für die Klägerin die bindende Verpflichtung zur
Anschaffung eines Einsatzleitfahrzeuges ohnehin bereits entfallen.
Sollte die Klägerin hingegen mit der bereits zuvor angeführten, wohl
überwiegenden Ansicht allein die fehlende Ausgleichsregelung als rechtswidrig
ansehen, so fehlt es schon an einem durch einen rechtswidrigen behördlichen
Eingriff verursachten Zustand, der wiederherzustellen wäre. Denn die
Anschaffung des Fahrzeugs ist dann ebenso zu Recht erfolgt wie der dazu
notwendige Aufwand. Das Unterlassen eines Kostenausgleichs stellt hingegen
keinen Eingriff im Sinne des Folgenbeseitigungsanspruchs dar, da dieser auf die
Wiederherstellung des vorherigen und nicht auf die Änderung (Verbesserung)
des bestehenden Zustandes gerichtet ist. Zudem ist der
Folgenbeseitigungsanspruch bislang nur für die Folgen von Fehlern der
Exekutive und nicht für die Beseitigung legislativen Unrechts, zumal in Form des
Unterlassens, anerkannt.
2. Die Rechtssache weist auch keine besonderen rechtlichen Schwierigkeiten
nach § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO auf. Dass der Klägerin der geltend gemachte
Leistungsanspruch weder unmittelbar aus Art. 57 Abs. 4 Satz 2 NV noch im
Wege der Folgenbeseitigung zusteht, kann aus den zuvor genannten Gründen
vielmehr im Zulassungsverfahren ohne besonderen Aufwand festgestellt
werden, zumal bereits das Verwaltungsgericht die materielle Rechtslage unter
umfassender Auswertung der dazu vorliegenden Rechtsprechung, Literatur und
Materialien zutreffend dargestellt hat. Gewisse Schwierigkeiten verbleiben allein
bei der Frage der Bestimmung des genauen tauglichen Streitgegenstandes
einer kommunalen Verfassungsbeschwerde in der vorliegenden Fallgestaltung.
Aus den genannten Gründen kann diese Frage jedoch verwaltungsgerichtlich
ohnehin nicht verbindlich geklärt werden und damit dem Rechtsstreit keine
besonderen Schwierigkeiten vermitteln.
3. Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich zugleich, dass die beiden
von der Klägerin als grundsätzlich bedeutsam gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO
aufgeworfenen Fragen bereits ohne Durchführung eines Berufungsverfahrens
zu verneinen sind, ob
- sich seit der Neufassung der Art. 57 Abs. 4 NV durch das
Änderungsgesetz vom 27. Januar 2006 (Nds. GVBl. S. 58) jedenfalls dann
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unmittelbar aus dieser Verfassungsbestimmung ein Anspruch einer
Gemeinde auf einen entsprechenden finanziellen Ausgleich ergibt, wenn
sich nicht durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes, sondern durch
Verordnung deren Pflichtaufgaben zur Erfüllung in eigener Verantwortung
verschärfen und ihr dadurch erhebliche notwendige Kosten entstehen,
ohne dass (unverzüglich) ein Landesgesetz ergeht (oder - wie hier - gar
dauerhaft unterbleibt), das diese Kosten ausgleicht,
und ob
- eine Behörde, die Pflichtaufgaben einer Gemeinde zur Erfüllung in
eigener Verantwortung durch Erlass einer Verordnung verschärft, nach
den Grundsätzen des allgemeinen Folgenbeseitigungsanspruches zum
finanziellen Ausgleich verpflichtet ist, wenn durch die Verschärfung der
Pflichtenlage erhebliche und notwendige Kosten der Gemeinde ausgelöst
werden, der Landesgesetzgeber aber weder zeitgleich noch anschließend
durch Gesetz einen entsprechenden finanziellen Ausgleich regelt.