Urteil des OVG Niedersachsen vom 23.09.2013

OVG Lüneburg: subjektives recht, verfahrensmangel, sachwalter, ordnungswidrigkeit, genugtuung, überprüfung, feuerwehr, ermessensspielraum, angehöriger, datenschutz

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Bearbeitungs- und Auskunftsanspruch gegen
Bußgeldbehörde
Ein sich ohne schützenswerte Eigeninteressen ausschließlich als
selbsternannter Hilfsermittler gerierender Anzeigeerstatter hat im
Ordnungswidrigkeitenverfahren weder einen Bearbeitungs- noch einen
Auskunftsanspruch gegen die Bußgeldbehörde.
OVG Lüneburg 13. Senat, Beschluss vom 23.09.2013, 13 LA 144/12
§ 46 Abs 3 OWiG
Gründe
I.
Der in den Medien als "B." bekannt gewordene Kläger begehrt zum einen, den
Beklagten zu einer Beantwortung einzelner Anfragen zu von ihm erstatteten
Anzeigen wegen Verkehrsordnungswidrigkeiten zu verurteilen. Zum anderen
begehrt er die Feststellung, dass der Beklagte zur Bearbeitung der von ihm
eingereichten Anzeigen verpflichtet sei. Der Kläger hat seit 2004 beim
Beklagten in mehreren tausend Fällen Anzeigen wegen
Verkehrsordnungswidrigkeiten - insbesondere wegen Parkverstößen -
erstattet. Im Verwaltungsvorgang zu den Anzeigen des Klägers ist unter dem
28. Juni 2010 vermerkt worden, dass nach Anordnung des Ersten Kreisrats
des Beklagten Anzeigen des Klägers nicht mehr zu verfolgen seien, sondern
nur noch abgeheftet werden sollten. Gleichwohl sind in der Folgezeit auf den
Anzeigen Vermerke angebracht worden, aus denen sich ergibt, dass die
tatsächliche Bearbeitungsbandbreite von "nichts zu veranlassen" über
"anschreiben" bis "ahnden" reichte. Mit verschiedenen Schreiben ab Januar
2011 bat der Kläger um Auskunft zur Bearbeitung und Ahndung einzelner von
ihm angezeigter Fälle. Der Beklagte beantwortete diese Anfragen - anders als
er es in der Vergangenheit getan hatte - nicht. Die daraufhin erhobene Klage
hat das Verwaltungsgericht abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch
gegen den Beklagten auf ein Tätigwerden im Bußgeldverfahren.
Anzeigeerstatter und Betroffene hätten weder einen Anspruch auf Verfolgung
von Ordnungswidrigkeiten noch könnten sie einen Rechtsbehelf gegen eine
Einstellungsentscheidung einlegen. Der Kläger habe auch keinen Anspruch
auf die Erteilung von Auskünften über die Behandlung der von ihm erstatteten
Anzeigen, weil er ersichtlich keine schützenswerten eigenen Interessen
verfolge, sondern sich zum Sachwalter öffentlicher Interessen gemacht habe.
Dagegen richtet sich der Kläger mit seinem Antrag auf Zulassung der
Berufung.
II.
Der - entgegen der Mutmaßung des Beklagten - fristgerecht per Fax am 15.
Juni 2012 beim Verwaltungsgericht eingegangene Antrag auf Zulassung der
Berufung hat keinen Erfolg. Der Senat lässt offen, ob dem Vertretungszwang
nach § 67 Abs. 4 Satz 1 VwGO genügt wird, woran die vom Beklagten geltend
gemachten Zweifel bestehen, weil es verschiedene Anhaltspunkte dafür gibt,
dass die Antragsbegründung nicht von der unterzeichnenden Rechtsanwältin
unter eigener Prüfung, Sichtung und rechtlicher Durchdringung des Streitstoffs
(vgl. zu diesem Erfordernis: BVerwG, Beschl. v. 11.12.2012 - 8 B 58/12 -, juris
Rdnr. 16 m. w. N.), sondern der Sache nach vom Kläger persönlich verfasst
worden ist. Der Antrag ist jedenfalls unbegründet.
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Die Zulassung der Berufung setzt nach § 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO voraus,
dass einer der in § 124 Abs. 2 VwGO genannten Zulassungsgründe dargelegt
ist und vorliegt. Eine hinreichende Darlegung nach § 124a Abs. 4 Satz 4 und
Abs. 5 Satz 2 VwGO erfordert, dass in der Begründung des
Zulassungsantrags im Einzelnen unter konkreter Auseinandersetzung mit der
verwaltungsgerichtlichen Entscheidung ausgeführt wird, weshalb der benannte
Zulassungsgrund erfüllt sein soll. Zwar ist bei den Darlegungserfordernissen
zu beachten, dass sie nicht in einer Weise ausgelegt und angewendet werden,
welche die Beschreitung des eröffneten (Teil-)Rechtswegs in einer
unzumutbaren, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigenden Weise
erschwert (BVerfG, 2. Kammer des 2. Senats, Beschl. v. 12.03.2008 - 2 BvR
378/05 -; BVerfG, 2. Kammer des 1. Senats, Beschl. v. 24.01.2007 - 1 BvR
382/05 -; BVerfG, 1. Kammer des 2. Senats, Beschl. v. 21.01.2000 - 2 BvR
2125/97 -, jeweils zit. nach juris). Erforderlich sind aber qualifizierte, ins
Einzelne gehende, fallbezogene und aus sich heraus verständliche, auf den
jeweiligen Zulassungsgrund bezogene und geordnete Ausführungen, die sich
mit der angefochtenen Entscheidung auf der Grundlage einer eigenständigen
Sichtung und Durchdringung des Prozessstoffes auseinandersetzen.
1. Der vom Kläger zunächst geltend gemachte Zulassungsgrund der
ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts (§
124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) wird nicht in einer den Anforderungen des § 124a
Abs. 4 Satz 4 VwGO genügenden Weise dargelegt bzw. liegt nicht vor.
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils können nur dann
bestehen, wenn gegen dessen Richtigkeit gewichtige Gründe sprechen. Das
ist regelmäßig der Fall, wenn ein die Entscheidung tragender Rechtssatz oder
eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in
Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, Beschl. v. 23.06.2000 - 1 BvR 830/00 -, DVBl.
2000, 1458; BVerwG, Beschl. v. 10.03.2004 - 7 AV 4/03 -, juris).
a) Ernstliche Zweifel im vorstehend beschriebenen Sinne hat der Kläger
zunächst nicht darzulegen vermocht, soweit er seine Auffassung näher
begründet, dass seinem Antrag auf Feststellung einer
Bearbeitungsverpflichtung des Beklagten "in jedem Fall stattzugeben" sei. Er
meint, dies resultiere entgegen den Ausführungen des Verwaltungsgerichts
aus dem im Rahmen des Opportunitätsprinzips rechtlich nur sehr begrenzten
Spielraum des Beklagten, angezeigte Verkehrsordnungswidrigkeiten nicht zu
ahnden. Eine "Auswahl" bereits im Vorfeld der Durchführung eines
Ordnungswidrigkeitenverfahrens dürfe nicht vorgenommen werden. Auch
wenn seine Anzeigen vom Beklagten entgegen dessen öffentlichen Erklärung
tatsächlich doch bearbeitet worden wären, habe der Kläger einen dieser
Rechtslage entsprechenden Feststellungsanspruch.
Diese Argumentation stellt indessen schon nicht in Rechnung, dass - wie auch
das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat - ein Anzeigeerstatter im
Bußgeldverfahren keinen durchsetzbaren Anspruch auf Tätigwerden der
Bußgeldbehörde hat. Den objektiv-rechtlichen Verpflichtungen der
Bußgeldbehörde bei Eingang einer Anzeige korrespondiert kein subjektives
Recht des Anzeigeerstatters (vgl. auch OVG Nordrh.-Westf., Urt. v. 26.01.1982
- 4 A 2586/80 -, OVGE MüLü 36, 75 (79)). Das Ordnungswidrigkeitenrecht
kennt anders als das Strafverfahrensrecht keine subjektiven Rechtspositionen
von Anzeigeerstattern, die auf Durchführung eines Verfahrens und Ahndung
eines festgestellten Verstoßes gerichtet wären. Insbesondere ein dem
strafrechtlichen Klageerzwingungsverfahren entsprechendes
"Ahndungserzwingungsverfahren" sowie eine Beteiligung des von einer
Ordnungswidrigkeit Verletzten gibt es nicht (§ 46 Abs. 3 OWiG). Der auf
Feststellung einer generellen Bearbeitungsverpflichtung des Beklagten
gerichtete Antrag des Klägers liefe aber auf eine sogar noch darüber
hinausgehende verfahrensrechtliche Position eines von der
Ordnungswidrigkeit Nichtverletzten hinaus, die rechtlich nicht vorgesehen ist.
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Abgesehen von der fehlenden subjektiven Rechtsposition des Klägers
hinsichtlich des Tätigwerdens des Beklagten als Bußgeldbehörde entspräche
es gerade auch nicht dem Opportunitätsprinzip, wenn sich eine Privatperson
selbst quasi die Rolle eines Ermittlungsbeamten beimisst, dabei systematisch
geplant und durchgeführt Verkehrsordnungswidrigkeiten registriert und die
Bußgeldbehörde aufgrund der daraus resultierenden Anzeigen zur
durchgängigen Bearbeitung derselben verpflichtet wäre. Es ist vielmehr eine
staatliche - und keine private - Entscheidung, in welchem Umfang personelle
Ressourcen der Aufklärung und Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten
zugedacht werden. Die Entscheidung zur Verfolgungsintensität kann sich der
Kläger nicht in rechtlich billigenswerter Weise zu eigen machen, was aber
letztlich bei Annahme einer generellen Bearbeitungsverpflichtung des
Beklagten der Fall wäre. Nähme man dies an, würde letztlich der Kläger
indirekt auf die personelle Ausstattung der Bußgeldstelle des Beklagten
Einfluss nehmen können. Es liegt auf der Hand, dass dies dem Kläger nicht
zustehen kann. Eine dem staatlichen Gemeinwesen aufgezwungene
"Verkehrswacht" würde zudem mit dem staatlichen Gewaltmonopol in Konflikt
geraten. Die in anderen Bundesländern praktizierten und auf gesetzlicher
Grundlage beruhenden Modelle der Einbindung von Privatpersonen in das
staatliche Gewaltmonopol in Gestalt von Sicherheitswacht und freiwilligem
Polizeidienst zeigen zudem auf, dass die Rechtsordnung außerhalb eines
ausdrücklich gesetzlich geregelten Bereichs "selbsternannte Hilfsermittler" zur
Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten nicht billigt. Auch geht es dem Kläger
nicht etwa wie z. B. bei Nachbarschaftswachen um ein sozialadäquates
Zusammenwirken von Bürgern zur Wahrung von gemeinschaftlichen
Selbstschutzinteressen, sondern offenkundig lediglich um die Pflege eines
recht speziellen Hobbies, das aber als rein denunziatorische Tätigkeit ohne
erkennbare schützenswerte Eigeninteressen den Schutz der staatlichen
Ordnung nicht verdient. Deshalb bestünden nach Auffassung des Senats in
der vorliegenden Konstellation auch keine rechtlichen Bedenken hinsichtlich
des Opportunitätsprinzips, wenn in der Bußgeldbehörde tatsächlich
entsprechend einer - im Berufungszulassungsverfahren vom Beklagten
allerdings in Abrede gestellten - Weisung des Ersten Kreisrats die Anzeigen
des Klägers nicht mehr bearbeitet, sondern im Regelfall nur noch "abgeheftet"
worden wären.
b) Die Richtigkeit der Einschätzung des Verwaltungsgerichts, dass ein
Auskunftsanspruch des Klägers hinsichtlich der Bearbeitung einzelner Fälle
nicht gegeben sei, ist vom Kläger ebenfalls nicht schlüssig in Frage gestellt
worden.
Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang zunächst auf den aus seiner
Sicht unverhältnismäßig hohen Streitwert von 5.000,00 EUR hinweist, betrifft
dies den Auskunftsanspruch als solchen schon im Ansatz nicht. Gleiches gilt
für seine Ausführungen zum Ablauf der Verfahren, in denen ihm selbst
Verkehrsordnungswidrigkeiten vorgeworfen worden sind.
Soweit der Kläger darauf abhebt, das Verwaltungsgericht habe ausgehend
von dessen Rechtsauffassung nicht geprüft, ob und in welchen der
gemeldeten Fälle er aufgrund der Verstöße persönlich beeinträchtigt worden
sei, muss er sich entgegenhalten lassen, dass es an jedem Vortrag seinerseits
fehlte, der dafür Anhaltspunkte hätte bieten können. In der Begründung des
Zulassungsantrags macht der Kläger zudem selbst deutlich, dass er nicht etwa
durch die angezeigten Parkverstöße selbst behindert bzw. ansonsten
beeinträchtigt worden ist, sondern dass aus seiner Sicht ein eigenes Interesse
am Fortgang des Verfahrens deshalb zu bejahen sei, weil der Beklagte seinen
Ermessensspielraum nicht nur nach tragfähigen Kriterien, sondern abhängig
von den jeweils betroffenen Fahrzeughaltern - in den konkreten Fällen ein
Amtsrichter, ein Angehöriger der freiwilligen Feuerwehr, ein Rechtsanwalt und
ein ehemaliger Bürgermeister - ausgeübt habe. Damit ist das vom
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Verwaltungsgericht für einen Anspruch auf Mitteilung über die Einstellung
eines Verfahrens zu Recht für notwendig gehaltene eigene Interesse am
Fortgang des Verfahrens (vgl. dazu Karlsruher Kommentar zum Gesetz über
Ordnungswidrigkeiten, 2. Aufl., § 47 Rdnr. 87) gerade nicht dargetan. Das
Verwaltungsgericht hat zutreffend ein eigenes schützenswertes Interesse bei
massenhaften Anzeigen von Parkverstößen verneint, weil sich der Kläger
lediglich zum Sachwalter öffentlicher Interessen macht. Diese rechtliche
Einschätzung teilt der Senat in vollem Umfang. Die obigen Ausführungen zu
einer auch objektiv-rechtlich zu verneinenden regelmäßigen
Bearbeitungspflicht des Beklagten gelten für die Frage eines eigenen
Interesses des Klägers am Fortgang des Bußgeldverfahrens entsprechend.
Ein solches Interesse kann auch nicht etwa - wie der Kläger wohl meint -
daraus resultieren, dass es sich bei einzelnen seiner Anzeigen um bestimmte
Personen ging, bei denen es dem Kläger offenbar subjektiv eine besondere
Genugtuung wäre, wenn insoweit Ahndungen von Parkverstößen erfolgt
wären. Eine irgendwie geartete Betroffenheit der eigenen Rechtssphäre des
Klägers ergibt sich daraus nicht, vielmehr geht es dem Kläger auch insoweit
nur um die Überprüfung des Erfolgs seiner Tätigkeit als "selbsternannter
Hilfsermittler".
2. Der vom Kläger weiterhin geltend gemachte Berufungszulassungsgrund der
grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) wird
schon im Ansatz nicht in einer den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4
VwGO genügenden Weise dargelegt. Gleiches gilt für den behaupteten
Verfahrensmangel (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO). Der Kläger hat es schon
versäumt, seine Ausführungen den genannten Berufungszulassungsgründen
zuzuordnen. Es ist nicht Aufgabe des Senats im
Berufungszulassungsverfahren, sich aus der Begründung des
Zulassungsantrags diejenigen Argumente herauszusuchen, die zu den
bezeichneten Zulassungsgründen inhaltlich passen könnten. Allenfalls der
Rüge, das Verwaltungsgericht habe den Sachverhalt nicht ordnungsgemäß
aufgeklärt, weil dem Kläger die Akte des Beklagten nicht bekannt gewesen sei,
lassen sich Anknüpfungspunkte für eine Verfahrensrüge i. S. d. § 124 Abs. 2
Nr. 5 VwGO entnehmen. Es stellt allerdings keinen Verfahrensmangel des
Verwaltungsgerichts dar, wenn der Kläger im Rahmen des gerichtlichen
Verfahrens keine Einsicht in den Verwaltungsvorgang des Beklagten
genommen hat. Vielmehr hat der Kläger insoweit lediglich eine eigene
Obliegenheit versäumt, was aber ersichtlich nicht zum Erfolg eines auf § 124
Abs. 2 Nr. 5 VwGO gestützten Berufungszulassungsantrags führen kann.
Woraus nach Ansicht des Klägers die behauptete grundsätzliche Bedeutung
der Rechtssache resultieren soll, wird völlig offen gelassen und erschließt sich
auch ansonsten nicht.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil
rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).