Urteil des OVG Niedersachsen vom 16.01.2014

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Unterhaltsvorschuss
Ein Anspruch auf Unterhaltsvorschuss besteht in entsprechender
Anwendung des § 1 Abs. 3 Alt. 2 UVG nicht, wenn der Elternteil, bei dem das
Kind lebt, durch ein bewusstes und gewolltes Verhalten vor der Geburt des
Kindes eine Situation schafft, in der die Feststellung der Vaterschaft und
damit die des barunterhaltspflichtigen anderen Elternteils von vornherein
aussichtslos ist.
OVG Lüneburg 4. Senat, Beschluss vom 16.01.2014, 4 LA 3/14
§ 1 Abs 3 UVG, § 1 Abs 1 UVG
Tenor
Die Anträge der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des
Verwaltungsgerichts Hannover - Einzelrichterin der 3. Kammer - vom 19.
November 2013 und auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das
Berufungszulassungsverfahren werden abgelehnt.
Die Klägerin trägt die außergerichtlichen Kosten des
Berufungszulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Außergerichtliche Kosten des gerichtsgebührenfreien
Prozesskostenhilfeverfahrens werden nicht erstattet.
Gründe
Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das
erstinstanzliche Urteil, mit das Verwaltungsgericht die auf die Gewährung von
Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz für ihren am 26. Oktober
2006 unehelich geborenen Sohn gerichtete Klage abgewiesen hat, hat keinen
Erfolg. Denn die von der Klägerin geltend gemachten Zulassungsgründe des
§ 124 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO liegen nicht vor bzw. sind nicht hinreichend
dargelegt worden.
Die Berufung kann entgegen der Auffassung der Klägerin nicht wegen
grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO
zugelassen werden.
Eine Rechtssache ist nur dann grundsätzlich bedeutsam, wenn sie eine
höchstrichterlich oder obergerichtlich noch nicht beantwortete Rechtsfrage
oder eine obergerichtlich bislang ungeklärte Tatsachenfrage von allgemeiner
Bedeutung aufwirft, die sich im Rechtsmittelverfahren stellen würde und im
Interesse der Einheit der Rechtsprechung oder der Weiterentwicklung des
Rechts einer fallübergreifenden Klärung durch das Berufungsgericht bedarf
(vgl. Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, § 124 Rn. 30 ff., m.w.N.). Daher ist die
grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache nur dann im Sinne des § 124 a
Abs. 4 Satz 4 VwGO dargelegt, wenn eine derartige Frage konkret bezeichnet
worden und darüber hinaus erläutert worden ist, warum diese Frage im
angestrebten Berufungsverfahren entscheidungserheblich und
klärungsbedürftig wäre und aus welchen Gründen ihre Beantwortung über den
konkreten Einzelfall hinaus dazu beitrüge, die Rechtsfortbildung zu fördern
oder die Rechtseinheit zu wahren (vgl. Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner,
§ 124 a Rn. 103 ff., m.w.N.).
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Diesen Anforderungen genügt der Zulassungsantrag der Klägerin nicht. Diese
hat zwar ausgeführt, dass das Verfahren der Klärung der Frage diene, „ob die
gesetzlichen Vorschriften auch den hier vorliegenden Einzelfall erfassen“.
Damit hat die Klägerin aber keine konkrete Rechtsfrage und erst recht keine
Rechtsfrage, die im Interesse der Einheit der Rechtsprechung oder der
Weiterentwicklung des Rechts einer fallübergreifenden Klärung durch das
Berufungsgericht bedarf, bezeichnet. Folglich ist die Darlegung des geltend
gemachten Zulassungsgrundes unzureichend.
Abgesehen davon liegt der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung
der Rechtssache aber auch nicht vor, weil die entscheidungserheblichen
Rechtsfragen bereits höchstrichterlich geklärt sind. Das
Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Urteil vom 16. Mai 2013 (- 5 C 28.12 -
, NJW 2013, 2775) ausgeführt, dass § 1 Abs. 1 UVG, der die Voraussetzungen
für einen Anspruch auf Unterhaltsvorschuss oder -ausfallleistungen normiert,
nicht in der Weise teleologisch reduziert werden kann, dass die
Anspruchsvoraussetzungen um das Erfordernis, dass der Rückgriff des
Landes bei dem anderen Elternteil grundsätzlich möglich sein muss, ergänzt
werden. Die Auffassung, dass es dem Plan des Gesetzgebers entsprochen
habe, die Gewährung von Unterhaltsvorschuss nach § 1 Abs. 1 UVG setze
voraus, dass der öffentlichen Hand in jedem Einzelfall die Möglichkeit eröffnet
sei, ihre Aufwendungen von dem anderen Elternteil erstattet zu bekommen, sei
unzutreffend. Die Konzeption des Unterhaltsvorschussgesetzes stehe auch
der Annahme entgegen, der Gesetzgeber habe einen Anspruch in den Fällen
ausschließen wollen, in denen der alleinerziehende Elternteil die prekäre Lage
selbst herbeigeführt habe. Die der gesetzgeberischen Konzeption zugrunde
liegende Erwartung, dass sich der Elternteil, bei dem das Kind lebe, in der
Regel so verhalte, dass die Unterhaltsvorschussleistung nicht zur
Unterhaltsausfallleistung wird, werde allerdings dann nicht Rechnung
getragen, wenn der Elternteil, bei dem das Kind lebt, durch ein bewusstes und
gewolltes Verhalten vor der Geburt des Kindes eine Situation schafft, in der die
Feststellung der Vaterschaft und damit die des barunterhaltspflichtigen
anderen Elternteils von vornherein aussichtslos ist und deshalb die öffentliche
Unterhaltsleistung nur als Ausfallleistung gewährt werden kann. In diesem Fall
stehe die Gewährung einer Unterhaltsleistung mit der Intention des
Gesetzgebers nicht im Einklang. Die planwidrige Lücke sei durch eine analoge
Anwendung des Anspruchsausschlusses nach § 1 Abs. 3 Alt. 2 UVG zu
schließen. Die Rechtsfolge dieser Norm, dass der Anspruch nach § 1 Abs. 1
UVG nicht besteht, sei auf diesen Sachverhalt übertragbar, weil eine
vergleichbare Sach- und Interessenlage vorliege. Mit dieser Entscheidung des
Bundesverwaltungsgerichts ist der rechtliche Rahmen auch für die Beurteilung
von Fallkonstellationen wie der vorliegenden grundsätzlich geklärt, so dass der
Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO mangels grundsätzlichen
Klärungsbedarfs zu verneinen ist.
Die Berufung kann entgegen der Annahme der Klägerin auch nicht wegen
ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils nach § 124
Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen werden. Wie bereits ausgeführt besteht ein
Anspruch auf Unterhaltsvorschuss oder -ausfallleistung nach dem Urteil des
Bundesverwaltungsgerichts vom 16. Mai 2013 (a.a.O.) in entsprechender
Anwendung des § 1 Abs. 3 Alt. 2 UVG nicht, wenn der Elternteil, bei dem das
Kind lebt, durch ein bewusstes und gewolltes Verhalten vor der Geburt des
Kindes eine Situation schafft, in der die Feststellung der Vaterschaft und damit
des barunterhaltspflichtigen anderen Elternteils von vornherein
ausgeschlossen ist und deshalb die öffentliche Unterhaltsleistung nur als
Ausfallleistung gewährt werden kann. Nach den Feststelllungen, die das
Verwaltungsgericht getroffen hat, ist im vorliegenden Fall von einer solchen
Fallkonstellation auszugehen. Die Klägerin hat dem zwar entgegengehalten,
dass sie nicht bewusst auf die Kenntnis des Vaters ihres Sohnes verzichtet
habe. Als sie von ihrer Schwangerschaft erfahren habe, habe sie sich aus der
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Clique zurückgezogen. Die Nachricht sei ein Schock für sie gewesen. Dass
sich die Clique in dieser Situation schnell und spurlos aufgelöst habe, dürfte
aus der Sicht der potenziellen Väter ebenfalls verständlich sein. Sie habe auch
keine Möglichkeit mehr gehabt, noch intensiv nachzuforschen, wer der
tatsächliche Vater sein könnte. Dieser Vortrag begründet aber keine
ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils, da er der
Feststellung nicht entgegensteht, dass die Klägerin vor der Kenntniserlangung
von ihrer Schwangerschaft und damit auch vor der Geburt des Kindes bewusst
und gewollt, nämlich billigend in Kauf nehmend, eine Situation geschaffen hat,
in der die Feststellung der Vaterschaft bei realistischer Betrachtungsweise von
vornherein keine Aussicht auf Erfolg versprach.
Die Bewilligung der beantragten Prozesskostenhilfe für das
Berufungszulassungsverfahren kommt ebenfalls nicht in Betracht, da der
Rechtsverfolgung der Klägerin schon bei Entscheidungsreife des
Prozesskostenhilfeantrags die nach § 166 VwGO i.V.m. § 114 Satz 1 ZPO
erforderliche hinreichende Erfolgsaussicht gefehlt hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2 und 188 VwGO sowie § 166
VwGO i.V.m. § 118 Abs. 1 Satz 4 ZPO.