Urteil des OVG Niedersachsen vom 14.11.2013

OVG Lüneburg: physiotherapie, ausbildung, physiotherapeut, verordnung, abgrenzung, heilpraktiker, überprüfung, diagnose, behandlung, psychotherapie

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Voraussetzungen für die Erteilung einer Erlaubnis zur
berufsmäßigen Ausübung der Heilkunde beschränkt
auf das Gebiet der Physiotherapie
1. Für die Erlangung einer auf den Bereich der Physiotherapie beschränkten
Heilpraktikererlaubnis ist neben der erfolgreich abgeschlossenen
Ausbildung zum Physiotherapeuten erforderlich, dass der Berufsbewerber
ausreichende diagnostische Fähigkeiten in Bezug auf die einschlägigen
Krankheitsbilder, Kenntnisse über die Abgrenzung der heilkundlichen
Tätigkeit als Physiotherapeut gegenüber der den Ärzten und den allgemein
als Heilpraktiker tätigen Personen vorbehaltenen heilkundlichen
Behandlungen und Kenntnisse in Berufs- und Gesetzeskunde
einschließlich der rechtlichen Grenzen der nichtärztlichen Ausübung der
Heilkunde hat.
2. Diagnostische Fähigkeiten in Bezug auf die einschlägigen
Krankheitsbilder erfordern Kenntnisse über Krankheiten, die mit
Beschwerden des Bewegungsapparates im Zusammenhang stehen und mit
denen ein Physiotherapeut in der Praxis konfrontiert wird, und Kenntnisse
über diagnostische Verfahren zur Feststellung dieser Krankheiten beim
Patienten.
3. Kenntnisse über die Abgrenzung der heilkundlichen Tätigkeit als
Physiotherapeut gegenüber den den Ärzten und den allgemein als
Heilpraktiker tätigen Personen vorbehaltenen heilkundlichen Behandlungen
setzen voraus, dass der Berufsbewerber um die tatsächlichen Grenzen
seiner Befugnisse zur selbständigen heilkundlichen Ausübung der
Physiotherapie weiß. Der Berufsbewerber muss hierzu einerseits die
Grenzen der eigenen Diagnosefähigkeiten und andererseits die Grenzen
des Einsatzes physiotherapeutischer Behandlungsmethoden kennen. Er
muss indes nicht die Diagnose einer konkreten anderen Erkrankung als
einer solchen des Bewegungsapparates stellen können.
4. Kenntnisse im Bereich der Berufs- und Gesetzeskunde einschließlich der
rechtlichen Grenzen der nichtärztlichen Ausübung der Heilkunde umfassen
grundlegende Kenntnisse zum Heilpraktikergesetz und zu der hierzu
erlassenen 1. Durchführungsverordnung und zu straf-, zivil- und öffentlich-
rechtlichen Vorschriften, die bei der selbständigen Berufsausübung von
Bedeutung sind, darunter insbesondere Aufklärungs- und
Dokumentationspflichten.
OVG Lüneburg 8. Senat, Urteil vom 14.11.2013, 8 LB 225/12
§ 2 HeilprGDV 1, Art 12 GG, § 1 HeilprG, § 8 MPhG
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Erteilung einer Erlaubnis zur selbständigen Ausübung
der Heilkunde, beschränkt auf das Gebiet der Physiotherapie.
Der 19.. geborene Kläger absolvierte von 1991 bis 1993 die Ausbildung an der
Fachschule für Physiotherapie und bestand am 24. September 1993 die
staatliche Prüfung für Krankengymnastik vor dem staatlichen
Prüfungsausschuss an der staatlich anerkannten Lehranstalt für
Krankengymnastik der Rheumaklinik F. mit dem Gesamtergebnis "gut". Im
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Oktober 1994 erteilte ihm die Bezirksregierung G. die Erlaubnis zur Führung
der Berufsbezeichnung "Physiotherapeut". Nach einer mehrjährigen Tätigkeit
als angestellter Physiotherapeut eröffnete er 1997 in H. eine Praxis für
Krankengymnastik mit dem Schwerpunkt neurologischer Behandlungen mit
Zusatzqualifikation, die er seitdem betreibt.
Am 27. November 2002 erteilte der Beklagte dem Kläger die Erlaubnis zur
berufsmäßigen Ausübung der Heilkunde, beschränkt auf das Gebiet der
Psychotherapie.
Unter dem 29. Oktober 2008 beantragte der Kläger bei dem Beklagten die
Erteilung einer Erlaubnis zur berufsmäßigen Ausübung der Heilkunde,
beschränkt auf das Gebiet der Physiotherapie. Der Kläger brachte ein
ärztliches Attest vom 17. September 2008 bei, wonach gegen die körperliche
und geistige Eignung zur Ausübung der Tätigkeit als Heilpraktiker keine
Bedenken bestehen und keine Hinweise auf ein Suchtverhalten gegeben sind.
Das ebenfalls beigebrachte Führungszeugnis vom 3. November 2008 weist
keine Eintragungen auf. Die Entscheidung über den Antrag stellte der Beklagte
mit Zustimmung des Klägers bis zu einer Entscheidung des
Bundesverwaltungsgerichts zur Möglichkeit der Erteilung einer beschränkten
Heilpraktikererlaubnis an ausgebildete Physiotherapeuten zurück. Nachdem
diese Entscheidung am 26. August 2009 - 3 C 19.08 - ergangen war, teilte der
Beklagte dem Kläger am 10. Dezember 2009 fernmündlich mit, dass eine
Überprüfung seiner Kenntnisse, bestehend aus einem mündlichen und einem
schriftlichen Teil, notwendig sei und diese voraussichtlich im März 2010
erfolgen werde.
Am 17. März 2010 unterzog sich der Kläger in den Räumen des
Gesundheitsamtes der Stadt I. der schriftlichen Heilpraktikerüberprüfung. Von
28 gestellten Fragen beantwortete der Kläger 20 Fragen richtig. Der Amtsarzt
der Stadt I. teilte dem Beklagten mit Schreiben vom 30. März 2010 mit, dass
der Kläger die schriftliche Überprüfung nicht bestanden habe.
Hierauf wandte sich der Kläger mit Schreiben vom 6. April 2010 an den
Beklagten und machte geltend, dass die Kenntnisüberprüfung aufgrund der
Fragestellungen, der Inhalte und auch der Lösungsanleitungen rechtswidrig
gewesen sei. Die Kenntnisüberprüfung dürfe sich nicht auf heilkundliche
Kenntnisse über Krankheiten erstrecken, die mit Beschwerden des
Bewegungsapparates in keinem Zusammenhang stünden und mit denen ein
Physiotherapeut in der Praxis nicht konfrontiert werde. Kenntnisse aus
medizinischen Fachgebieten seien nur insoweit nachzuweisen, als es darum
gehe, die Möglichkeiten und Grenzen der eigenen Diagnosefähigkeit zu
erkennen und zu beachten. Dem widersprächen viele der gestellten Fragen.
Auch die Lösungsanleitung sei widersprüchlich und falsch. Darüber hinaus
legte der Kläger eine Teilnahmebestätigung mit Verpflichtungserklärung des
VDB-Physiotherapieverbandes - Landesverband J. e.V. - vom 10. April 2010
vor. Danach hat der Kläger "an der Zusatzausbildung für
Physiotherapeut/innen, Masseure/innen zur Schließung der normativen
Ausbildungslücke gemäß Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom
26.08.2009 - 3 C 19.08 - teilgenommen … Die Zusatzausbildung erfolgte auf
der Grundlage des Curriculums, welches dem Ministerium für Arbeit,
Gesundheit und Soziales des Landes J. bereits vorliegt, vom Ministerium aber
noch nicht abschließend bewertet wurde. Inhalt der Zusatzausbildung:
Einführung in das Heilpraktikergesetz, Abgrenzung der heilkundlichen Tätigkeit
als Physiotherapeut gegenüber Ärzten und allgemein tätigen Heilpraktikern,
diagnostische Fähigkeiten für den Bereich Physiotherapie, diagnostische
Fähigkeiten aus der Sicht eines Amtsarztes, ergänzende Berufs- und
Gesetzeskunde … Lehrgangsdauer: 8 Unterrichtseinheiten …". Des Weiteren
legte der Kläger Bestätigungen über die Teilnahme an verschiedenen
Fortbildungsveranstaltungen mit physiotherapeutischen Inhalten aus den
Jahren 1994 bis 2008 vor.
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Mit Bescheid vom 16. Mai 2010, zur Post aufgegeben am 16. Juni 2010, lehnte
der Beklagte den Antrag des Klägers auf Erteilung einer Erlaubnis zur
selbständigen Ausübung der Heilkunde, beschränkt auf das Gebiet der
Physiotherapie, ab. Nach der vom Niedersächsischen Ministerium für Soziales,
Frauen, Familie und Gesundheit am 1. März 2007 erlassenen Richtlinie zur
Durchführung des Verfahrens zur Erteilung einer Erlaubnis nach dem
Heilpraktikergesetz müssten die Bewerber mindestens 75 vom Hundert der im
Antwort-Wahl-Verfahren zu beantwortenden Fragen zutreffend beantworten,
um zum mündlichen Teil der Überprüfung geladen zu werden. Diese Quote
habe der Kläger mit nur 20 richtig beantworteten Fragen nicht erreicht. Er habe
damit die für die Erteilung der Erlaubnis erforderlichen Kenntnisse nicht
nachgewiesen. Allein aufgrund seiner Ausbildung sei ein Physiotherapeut
nicht befähigt, eine selbständige Erstdiagnose zu stellen. Diese Anforderung
müsse ein Heilpraktiker auch bei einer Beschränkung auf das Gebiet der
Physiotherapie in Bezug auf die einschlägigen Krankheitsbilder beherrschen.
Außerdem seien Kenntnisse in Berufs- und Gesetzeskunde einschließlich der
rechtlichen Grenzen der nichtärztlichen Ausübung der Heilkunde
nachzuweisen. Die der Sachverhaltsermittlung im Rahmen der
Gefahrenabwehr dienende Kenntnisüberprüfung könne zwar aufgrund der
Zeugnisse und sonstigen Nachweise über absolvierte Studiengänge und
Zusatzausbildungen im Einzelfall entfallen. Die vom Kläger vorgelegten
Nachweise über Zusatzqualifikationen sowie die Erlaubnis zur Ausübung der
Heilkunde, beschränkt auf das Gebiet der Psychotherapie, hätten aber keine
verwertbare Aussagekraft in Bezug auf das Vorhandensein der gebotenen
"selbstdiagnostischen Fähigkeiten".
Am 15. Juli 2010 legte der Kläger gegen den Bescheid vom 16. Mai 2010
entsprechend der Rechtsbehelfsbelehrung Widerspruch ein, den der Beklagte
mit Widerspruchsbescheid vom 29. September 2010 zurückwies.
Am 14. Oktober 2010 hat der Kläger bei dem Verwaltungsgericht Hannover
Klage erhoben. Er hat geltend gemacht, die begehrte beschränkte
Heilpraktikererlaubnis sei ihm bereits aufgrund der durch die absolvierte Aus-
und Fortbildung sowie Zusatzausbildung nachgewiesenen Kenntnisse nach
Aktenlage ohne eine weitere Überprüfung zu erteilen. Unter Berücksichtigung
der schon durch die Ausbildung zum Physiotherapeuten vermittelten
Kenntnisse verbleibe allenfalls eine geringfügige Lücke zu den Kenntnissen,
die zur Ausübung der Heilpraktikertätigkeit beschränkt auf das Gebiet der
Physiotherapie erforderlich seien. Diese geringfügige Lücke habe er durch die
nachgewiesenen Fortbildungen und die Zusatzausbildung vom 10. April 2010
geschlossen. Die vom Beklagten erhobene weitergehende Forderung nach
einer mindestens dreißigstündigen Fortbildung im Bereich selbständiger
Erstdiagnose gehe über das zur Gefahrenabwehr Erforderliche hinaus. Im
Übrigen habe er im Oktober 2001 eine Fortbildung bei der Heilpraktikerschule
K. mit einem Umfang von 80 Unterrichtsstunden auch zur Diagnostik und
Differentialdiagnostik absolviert. Zu berücksichtigen sei auch die ihm bereits
erteilte Heilpraktikererlaubnis beschränkt auf das Gebiet der Psychotherapie.
Im Übrigen habe der Beklagte die Ablehnung zu Unrecht auf die nicht
bestandene Kenntnisüberprüfung vom 17. März 2010 gestützt. Die in der
schriftlichen Überprüfung gestellten Fragen seien unzulässig, weil mit diesen
auch Kenntnisse, die Gegenstand der Ausbildung zum Physiotherapeuten
oder die Gegenstand der einem approbierten Arzt vorbehaltenen Diagnose
wären, abgefragt worden seien. Die Kenntnisüberprüfung habe sich daher
nicht auf die allein zu erfüllende Aufgabe der Gefahrenabwehr beschränkt.
Der Kläger hat beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 16. Mai 2010 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 29. September 2010 aufzuheben und
den Beklagten zu verpflichten, ihm die Erlaubnis zur selbständigen
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Ausübung der Heilkunde, beschränkt auf das Gebiet der
Physiotherapie, zu erteilen,
hilfsweise, den Beklagten zu verpflichten, über den Antrag unter
Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat den angefochtenen Bescheid verteidigt. Die vom Kläger
nachgewiesenen Kenntnisse ließen eine Erlaubniserteilung ohne weitere
Kenntnisüberprüfung nicht zu. Es fehle der hinreichende Nachweis der
erforderlichen Kenntnisse zur Erstellung einer selbständigen Erstdiagnose in
Abgrenzung zur Tätigkeit der Ärzte und der allgemein als Heilpraktiker tätigen
Personen. Hierfür bedürfe es einer Fortbildung mit dem Schwerpunkt
selbständiger Erstdiagnose, die von einem approbierten Arzt erteilt werde, im
Umfang von mindestens 30 (Schriftsatz v. 16.11.2010, dort S. 2) oder 40
(Schriftsatz v. 2.3.2011, dort S. 1) Unterrichtsstunden einschließlich eines
Nachweises über die erfolgreiche Unterrichtsteilnahme (Abschlusstest,
Schriftsatz v. 26.9.2011, dort S. 1). Fachleute aus den niedersächsischen
Gesundheitsämtern würden sogar einen Unterrichtsumfang von bis zu 80
Stunden zur Schließung der Kenntnislücke für erforderlich halten.
Das Verwaltungsgericht Hannover hat mit Urteil vom 23. November 2011 den
Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 29. September 2010 aufgehoben
und im Übrigen die Klage abwiesen. Auch in Heilpraktikerangelegenheiten sei
ein Widerspruchsverfahren nicht durchzuführen. Die Ausnahme nach § 8a
Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 des Niedersächsischen Ausführungsgesetzes zur
Verwaltungsgerichtsordnung sei nicht eröffnet, weil die Kenntnisüberprüfung
keine formalisierte Prüfungsleistung darstelle, sondern allein der
Sachverhaltsermittlung im Rahmen der Gefahrenabwehr diene.
Der Beklagte sei nicht verpflichtet, dem Kläger eine Heilpraktikererlaubnis,
beschränkt auf das Gebiet der Physiotherapie, zu erteilen. Ebenso wenig
stehe ihm ein Anspruch auf Neubescheidung unter Beachtung der
Rechtsauffassung des Gerichts zu. Auf eine Überprüfung der Kenntnisse des
Klägers könne nicht verzichtet werden. Durch die von ihm vorgelegten
Bescheinigungen über Fortbildungen auf dem Gebiet der Physiotherapie habe
er nicht nachgewiesen, dass bei ihm die Kenntnis und Beachtung der
Möglichkeiten und Grenzen der eigenen Diagnosefähigkeiten gewährleistet
seien.
Aus den Bescheinigungen über Fortbildungen aus den Jahren 1994 bis 1997
gehe nicht hervor, dass Fähigkeiten zur selbständigen Erstdiagnose bei
Patienten, die nicht (lediglich) einer physiotherapeutischen Behandlung
bedürfen, vermittelt worden seien. Erforderlich seien Kenntnisse in
Krankheitsbildern, die zu Symptomen führen, welche möglicherweise auch
eine physiotherapeutische Behandlung indizieren. Der Kläger müsse
nachweisen, dass er durch die Fortbildung sicher seine "Unzuständigkeit"
erkennen und den Betroffenen sachkundig informieren könne. Auch der vom
Kläger an der Heilpraktikerschule K. im Jahr 2001 an vier Wochenenden
absolvierte Kurs "Psychotherapie" enthalte weder physiotherapeutische noch
allgemein-heilkundliche Inhalte. Die erlernte Differentialdiagnostik stehe allein
im Zusammenhang mit dem Kursinhalt Psychotherapeutische
Behandlungsformen. Auch durch die Teilnahme an der "Zusatzausbildung für
Physiotherapeuten/innen, Masseure/innen zur Schließung der normativen
Ausbildungslücke gemäß Urteil des Bundes-verwaltungsgerichts vom
26.08.2009 - 3 C 19.08" habe der Kläger den Nachweis für die nach jener
Entscheidung erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten nicht erbracht. Eine
Zusatzausbildung, welche in lediglich 8 Unterrichtseinheiten an einem Tage
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absolviert werde, sei nicht ausreichend, um nachzuweisen, dass der
Physiotherapeut über die vom Bundesverwaltungsgericht geforderten
Kenntnisse und Fähigkeiten verfüge. Unabhängig von der Frage, wie viele
Fortbildungsstunden im Einzelnen zu fordern seien, tauge die belegte
"Zusatzausbildung" schon deshalb nicht als Nachweis, weil es an jeglicher
Abschlusskontrolle fehle.
Bei der danach vom Beklagten zu Recht durchgeführten Kenntnisüberprüfung
habe der Kläger die erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten nicht
nachgewiesen. Er habe in der schriftlichen Überprüfung die Bestehensgrenze
von 75 vom Hundert nicht erreicht. Die schriftliche Überprüfung sei nach ihrer
formalen und inhaltlichen Ausgestaltung nicht zu beanstanden. Lediglich eine
der 28 Fragen, nämlich Frage 5, sei unzulässig. Mit der Frage 5 würden
Grundsätze der Sterilisation abgefragt. Deren Kenntnis sei bereits Gegenstand
der Physiotherapeutenausbildung und es sei nicht erkennbar, dass Fragen der
Sterilisation sich für einen Physiotherapeuten, der auf dem Gebiet der
Physiotherapie mit Heilpraktikererlaubnis tätig werde, unter anderem
Blickwinkel stellten. Bei Herausnahme der unzulässigen Frage 5 ergäben sich
noch immer nur 74,07 vom Hundert richtig gelöster Fragen. Die gegen die
Zulässigkeit der übrigen 27 Prüfungsfragen vom Kläger geltend gemachten
Einwände griffen nicht durch.
Auf den Antrag des Klägers hat der Senat mit Beschluss vom 29. November
2012 - 8 LA 4/12 - die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts
wegen ernstlicher Richtigkeitszweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO
zugelassen, soweit die Klage abgewiesen worden ist.
Der Kläger hat seine Berufung mit Schriftsatz vom 27. Dezember 2012
begründet.
Die nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts normativ
bestimmbare Lücke zwischen den Kenntnissen, die die Ausbildung zum
Physiotherapeuten vermittele, und den Kenntnissen, die zur Erlangung der
Erlaubnis zur selbständigen Ausübung der Heilkunde, beschränkt auf das
Gebiet der Physiotherapie, erforderlich seien, bestehe nicht bei den
physiotherapeutischen Behandlungsleistungen, sondern allenfalls bei der
Abgrenzung der Behandlungsbefugnisse eines Heilpraktikers mit
eingeschränkter Erlaubnis gegenüber den den Ärzten und den allgemein als
Heilpraktiker tätigen Personen vorbehaltenen heilkundlichen Behandlungen,
bei den diagnostischen Fähigkeiten in Bezug auf die einschlägigen
Krankheitsbilder und bei den Kenntnissen in Berufs- und Gesetzeskunde
einschließlich der rechtlichen Grenzen der nichtärztlichen Ausübung der
Heilkunde. Diagnostische Kenntnisse seien dabei nur zur Findung einer
physiotherapeutischen Indikation erforderlich, nicht aber auch für
Medizingebiete, die dem Physiotherapeuten fachfremd seien und auf denen er
eine diagnostizierte Erkrankung nicht behandeln dürfe. Bereits das
Bundesverwaltungsgericht habe darauf hingewiesen, dass es zum Schutz der
Patienten erforderlich, aber auch ausreichend sei, dass die in der Ausbildung
nicht vermittelten Kenntnisse zur physiotherapeutischen Behandlung ohne
ärztliche Verordnung nachgewiesen würden. Die so bestimmte Kenntnislücke
sei bei ihm - dem Kläger - aufgrund der Ausbildung und der ergänzend
absolvierten Fortbildungen und der Zusatzausbildung bereits geschlossen.
Schon die Ausbildung zum Physiotherapeuten habe seit jeher, auch zu Zeiten
der Ausbildung des Klägers, die Findung physiotherapeutischer Diagnosen
beinhaltet. Dies zeigten anschaulich auch die nachfolgend erlassene
Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für Physiotherapeuten und das in
Niedersachsen verbindliche Curriculum für Fachschulen für Physiotherapie.
Letzteres sähe 500 Unterrichtsstunden physiotherapeutischer Untersuchung,
Befundung und Diagnostik vor. Auch die von ihm absolvierten Fortbildungen
hätten Kenntnisse in der Erstdiagnostik vermittelt. Neben den im
erstinstanzlichen Verfahren benannten Fortbildungen habe er noch
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Veranstaltungen zur manuellen Therapie - E 1 obere Extremitäten - mit einem
Umfang von 50 Unterrichtseinheiten in 2012 und zur Neurophysiologie -
Aspekte in der Physiotherapie - mit einem Umfang von 18 Unterrichtsstunden
in 2008 besucht. Diese hätten zu einem erheblichen Teil die Befunderhebung
und Diagnostik beinhaltet, da ohne diese die Ausübung der speziellen
Behandlungsformen nicht möglich sei. Hinzu käme die am 10. April 2010
absolvierte "Zusatzausbildung für Physiotherapeuten/innen, Masseure/innen
zur Schließung der normativen Ausbildungslücke gemäß Urteil des
Bundesverwaltungsgerichts vom 26.08.2009 - 3 C 19.08", die er am 28. April
2012 wiederholt besucht und nunmehr auch mit einer zwanzig Fragen
umfassenden Erfolgskontrolle abgeschlossen habe. Die Forderung des
Beklagten nach einer 30 oder 40 Unterrichtsstunden währenden Fortbildung
im Bereich der Erstdiagnostik sei damit mehr als erfüllt. Er habe darüber hinaus
auch hinreichende Kenntnisse über die Abgrenzung der
Behandlungsbefugnisse eines Heilpraktikers mit eingeschränkter Erlaubnis
gegenüber den den Ärzten und den allgemein als Heilpraktiker tätigen
Personen vorbehaltenen heilkundlichen Behandlungen. Diese Kenntnisse
seien durch seine langjährige Berufspraxis nachgewiesen. Dabei müsse
berücksichtigt werden, dass die Physiotherapie auf der Grundlage der
Heilmittelrichtlinie als evidenzbasierte Medizin erbracht werde. Die
Zusammenarbeit und damit auch die Abgrenzung der Tätigkeiten von Ärzten
und nicht ärztlichen Leistungserbringern seien insoweit durch die Richtlinie klar
vorgegeben. Er habe auch hinreichende Kenntnisse in der Berufs- und
Gesetzeskunde einschließlich der rechtlichen Grenzen der nichtärztlichen
Ausübung der Heilkunde. Diese seien auch durch die "Zusatzausbildung für
Physiotherapeuten/innen, Masseure/innen zur Schließung der normativen
Ausbildungslücke gemäß Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom
26.08.2009 - 3 C 19.08" nachgewiesen, deren Inhalt der Beklagte nicht
beanstandet habe. Hinreichende Kenntnisse der Erstdiagnostik, der
Abgrenzung der Behandlungsbefugnisse eines Heilpraktikers mit
eingeschränkter Erlaubnis gegenüber den den Ärzten und den allgemein als
Heilpraktiker tätigen Personen vorbehaltenen heilkundlichen Behandlungen
und der Berufs- und Gesetzeskunde einschließlich der rechtlichen Grenzen
der nichtärztlichen Ausübung der Heilkunde habe er - der Kläger - aber auch
dadurch nachgewiesen, dass ihm vor einiger Zeit die Erlaubnis zur
selbständigen Ausübung der Heilkunde, beschränkt auf das Gebiet der
Psychotherapie, erteilt worden sei. Im Übrigen habe er die schriftliche
Kenntnisüberprüfung bestanden. Das Verwaltungsgericht im erstinstanzlichen
Urteil und der Senat im Zulassungsbeschluss hätten fünf der von ihm falsch
beantworteten Fragen für unzulässig erklärt. Damit habe er 20 von allenfalls 23
zulässigen Fragen richtig beantwortet und damit die Bestehensquote von 75
vom Hundert erreicht. Abgesehen davon bestünden die im erstinstanzlichen
Verfahren geltend gemachten Zweifel an der Zulässigkeit der richtig
beantworteten Fragen fort. Diese dienten ersichtlich nicht der Gefahrenabwehr,
sondern der Abfrage abstrakten medizinischen Wissens, das für
Physiotherapeuten praktisch nicht nutzbar sei.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover - 5 . Kammer - vom
23. November 2011 zu ändern und den Beklagten unter Aufhebung
des Bescheides vom 16. Mai 2010 zu verpflichten, dem Kläger die
Erlaubnis zur selbständigen Ausübung der Heilkunde, beschränkt auf
das Gebiet der Physiotherapie, zu erteilen,
hilfsweise den Beklagten zu verpflichten, über den Antrag des Klägers
auf Erteilung einer Erlaubnis zur selbständigen Ausübung der
Heilkunde, beschränkt auf das Gebiet der Physiotherapie, vom
29. Oktober 2008 unter Beachtung der Rechtsaufassung des Gerichts
neu zu entscheiden.
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Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger habe unverändert nicht nachgewiesen, dass die bestehende Lücke
zwischen den Kenntnissen, die die Ausbildung zum Physiotherapeuten
vermittele, und den Kenntnissen, die zur Erlangung der Erlaubnis zur
selbständigen Ausübung der Heilkunde, beschränkt auf das Gebiet der
Physiotherapie, erforderlich seien, geschlossen sei. Der Kläger verfüge nicht
bereits aufgrund seiner Ausbildung zum Physiotherapeuten über die
erforderlichen Fähigkeiten der Erstdiagnose. Er müsse die Möglichkeiten und
Grenzen der eigenen Diagnosefähigkeit kennen. Dies setze zwar keine
differentialdiagnostischen Fähigkeiten voraus. Erforderlich seien aber
Kenntnisse über unterschiedlichste Erkrankungen und deren Symptomatik,
insbesondere über solche Erkrankungen, deren Symptomatik sich durch im
weiteren Sinne dem Gebiet der Physiotherapie zuzuordnende Beschwerden
äußere. Solche Kenntnisse vermittele die Ausbildung zum Physiotherapeuten
nicht. Diese gehe davon aus, dass der Physiotherapeut allein nach einer
ärztlich gestellten Diagnose und Verordnung tätig werde und beschränke sich
auf das Erlernen physiotherapeutischer Befund- und Untersuchungstechniken.
Der ausgebildete Physiotherapeut müsse lediglich die ärztliche Diagnose und
Verordnung verstehen und umsetzen, diese aber nicht selbst stellen. Aus der
Rahmenrichtlinie des Niedersächsischen Kultusministeriums für die
Ausbildung der Physiotherapie könne nicht auf eine über die Anforderungen
des Gesetzes über die Berufe in der Physiotherapie und der Ausbildungs- und
Prüfungsverordnung für Physiotherapeuten hinausgehende
Kenntnisvermittlung geschlossen werden. Zwar sehe das in der
Rahmenrichtlinie beschriebene Lernfeld "Physiotherapeutisch untersuchen"
einen Umfang von 500 Unterrichtsstunden vor, während die Ausbildungs- und
Prüfungsverordnung für Physiotherapeuten für das Erlernen
"Physiotherapeutischer Befund- und Untersuchungstechniken" einen Umfang
von nur 100 Unterrichtsstunden vorschreibe. Der deutlich höhere
Unterrichtsumfang nach der Rahmenrichtlinie sei indes allein darauf
zurückzuführen, dass das Lernfeld vollständige Handlungen erwarte, die den
gesamten Untersuchungsablauf umfassten. Auch die vom Kläger absolvierten
Fortbildungen hätten die erforderlichen Fähigkeiten der Erstdiagnostik, wie
diese im Erlass des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Frauen,
Familie, Gesundheit und Integration vom 22. Februar 2011 beschrieben seien,
nicht vermittelt. Selbst wenn diagnostische Techniken dort unterrichtet worden
seien, bezögen sich diese nur auf das jeweilige Seminarthema. Auch die
"Zusatzausbildung für Physiotherapeuten/innen, Masseure/innen zur
Schließung der normativen Ausbildungslücke gemäß Urteil des
Bundesverwaltungsgerichts vom 26.08.2009 - 3 C 19.08" habe die
erforderlichen Fähigkeiten nicht vermittelt. Das zugrunde liegende Curriculum
lasse schon nicht erkennen, bezogen auf welche konkreten Erkrankungen
diagnostische Fähigkeiten vermittelt worden seien. Auch der
Unterrichtsumfang von nur 8 Unterrichtsstunden sei zu gering. Eine
Abschlusskontrolle habe zwar stattgefunden; diagnostische Kenntnisse seien
hierbei aber kaum, jedenfalls nicht in dem vom Erlass geforderten Umfang
abgefragt worden. Auch aus der dem Kläger bereits erteilten
Heilpraktikererlaubnis, beschränkt auf das Gebiet der Psychotherapie, könne
nichts anderes geschlossen werden. Denn die dort nachzuweisenden
diagnostischen Fähigkeiten, Abgrenzungsfragen zur ärztlichen Tätigkeit und
Kenntnisse der Berufs- und Gesetzeskunde bezögen sich nur auf den
begrenzten Bereich der Psychotherapie, für den die Erlaubnis erteilt worden
sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des
Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsvorgänge des
Beklagten (Beiakte A) verwiesen, die Gegenstand der mündlichen
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Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die nach Zulassung durch den Senat statthafte, innerhalb der
Berufungsbegründungsfrist des § 124a Abs. 6 Satz 1 VwGO begründete und
auch den Anforderungen des § 124a Abs. 6 Satz 2 VwGO in Verbindung mit
§ 124a Abs. 3 Satz 4 VwGO genügende Berufung der Klägerin ist zulässig. Sie
hat auch in der Sache Erfolg und führt zur teilweisen Änderung der
angefochtenen Entscheidung.
Der Kläger hat einen Anspruch auf Erteilung der begehrten Erlaubnis zur
selbständigen Ausübung der Heilkunde, beschränkt auf das Gebiet der
Physiotherapie. Der dies ablehnende Bescheid des Beklagten vom 16. Mai
2010 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5
Satz 1 VwGO).
Anspruchsgrundlage für die Erteilung einer Erlaubnis zur selbständigen
Ausübung der Heilkunde ohne Bestallung als Arzt ist § 1 Abs. 1 des Gesetzes
über die berufsmäßige Ausübung der Heilkunde ohne Bestallung - HeilprG -
vom 17. Februar 1939 (RGBl. I S. 251), zuletzt geändert durch Gesetz vom
23. Oktober 2001 (BGBl. I S. 2702), in Verbindung mit der Ersten
Durchführungsverordnung zum Gesetz über die berufsmäßige Ausübung der
Heilkunde ohne Bestallung - 1. DVO-HeilprG - vom 18. Februar 1939 (RGBl. I
S. 259), zuletzt geändert durch Verordnung vom 4. Dezember 2001 (BGBl I
S. 4456). Danach bedarf der Erlaubnis, wer, ohne als Arzt bestallt zu sein, die
Heilkunde ausüben will. Auf die Erteilung der Erlaubnis besteht ein
Rechtsanspruch, wenn kein rechtsstaatlich unbedenklicher Versagungsgrund
nach § 2 Abs. 1 1. DVO-HeilprG eingreift (vgl. BVerwG, Urt. v. 21.1.1993 -
3 C 34.90 -, BVerwGE 91, 356, 358).
Die eigenverantwortliche Anwendung physiotherapeutischer Methoden zur
Krankenbehandlung ohne ärztliche Verordnung und ohne Bestallung als Arzt
stellt eine Ausübung der Heilkunde im Sinne des § 1 Abs. 1 HeilprG dar, die
auch für ausgebildete Physiotherapeuten erlaubnispflichtig ist (vgl. eingehend
BVerwG, Urt. v. 26.8.2009 - 3 C 19.08 -, BVerwGE 134, 345, Rn. 10 f.), die
Erlaubnis kann beschränkt auf das Gebiet der Physiotherapie erteilt werden
(vgl. BVerwG, Urt. v. 26.8.2009, a.a.O., Rn. 18 f.) und in der Person des
Klägers liegt ein Versagungsgrund im Sinne des § 2 Abs. 1 1. DVO-HeilprG
nicht vor. Insbesondere gehen von einer eigenverantwortlichen Anwendung
physiotherapeutischer Methoden zur Krankenbehandlung ohne ärztliche
Verordnung durch den Kläger unter Berücksichtigung der von ihm
nachgewiesenen Kenntnisse und Fähigkeiten Gefahren für die
Volksgesundheit im Sinne des § 2 Abs. 1 Buchst. i 1. DVO-HeilprG nicht aus.
Nach der letztgenannten Bestimmung ist eine Überprüfung der Kenntnisse und
Fähigkeiten des Berufsbewerbers durch das Gesundheitsamt vorzunehmen,
um festzustellen, ob die Ausübung der Heilkunde durch ihn eine Gefahr für die
Volksgesundheit bedeuten würde. Diese Überprüfung fragt keinen bestimmten
Ausbildungsstand ab, sondern dient der Abwehr von Gefahren für die
Volksgesundheit im konkreten Einzelfall. Sie soll ergeben, ob mit der
Ausübung der Heilkunde durch den Berufsbewerber, das heißt mit der konkret
beabsichtigten Heilkundetätigkeit, eine Gefahr für den Patienten verbunden
wäre. Der Umfang der Überprüfung steht unter dem Vorbehalt der
Verhältnismäßigkeit. Von einem Berufsbewerber dürfen nur solche Kenntnisse
und Fähigkeiten verlangt werden, die in einem Bezug zu der angestrebten
Tätigkeit stehen. Er muss indes keine Kenntnisse nachweisen, die er für die
beabsichtigte Tätigkeit nicht benötigt oder aufgrund seiner Ausbildung ohnehin
schon besitzt (vgl. BVerwG, Urt. v. 26.8.2009, a.a.O., S. 351 f. Rn. 22 m.w.N.).
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Für die Erlangung einer auf den Bereich der Physiotherapie beschränkten
Heilpraktikererlaubnis ist hiernach der Nachweis erforderlich, dass der
Berufsbewerber über die erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten zur
physiotherapeutischen Behandlung ohne ärztliche Verordnung verfügt. Dabei
kann aufgrund seiner abgeschlossenen Ausbildung zum Physiotherapeuten
davon ausgegangen werden, dass er die richtige Ausführung einer
Krankenbehandlung mit den Mitteln der Physiotherapie hinreichend sicher
beherrscht. Kenntnisse und Fähigkeiten insbesondere auf dem Gebiet der
Krankengymnastik, der Massage und der weiteren physiotherapeutischen
Behandlungsmethoden müssen deshalb nicht überprüft werden. Der
Berufsbewerber muss vielmehr nur nachweisen, dass er auch ausreichende
diagnostische Fähigkeiten in Bezug auf die einschlägigen Krankheitsbilder,
Kenntnisse über die Abgrenzung der heilkundlichen Tätigkeit als
Physiotherapeut gegenüber der den Ärzten und den allgemein als
Heilpraktiker tätigen Personen vorbehaltenen heilkundlichen Behandlungen
und Kenntnisse in Berufs- und Gesetzeskunde einschließlich der rechtlichen
Grenzen der nichtärztlichen Ausübung der Heilkunde besitzt (vgl. BVerwG,
Beschl. v. 11.7.2013 - 3 B 64.12 -, juris Rn. 4; Urt. v. 26.8.2009, a.a.O., Rn. 23,
Rn. 27).
Ausreichende diagnostische Fähigkeiten in Bezug auf die einschlägigen
Krankheitsbilder erfordern Kenntnisse über Krankheiten, die mit Beschwerden
des Bewegungsapparates im Zusammenhang stehen und mit denen ein
Physiotherapeut in der Praxis konfrontiert wird (vgl. BVerwG, Urt. v. 26.8.2009,
a.a.O., Rn. 23), und Kenntnisse über diagnostische Verfahren zur Feststellung
dieser Krankheiten beim Patienten.
Allein die erfolgreich abgeschlossene Ausbildung zum Physiotherapeuten
vermittelt solche Kenntnisse entgegen der Auffassung des Klägers noch nicht.
Dabei kann der Senat hier dahinstehen lassen, ob dabei nur die Inhalte der
vom Kläger tatsächlich absolvierten Ausbildung nach § 7 f. des Gesetzes über
die Ausübung der Berufe des Masseurs und medizinischen Bademeisters und
des Krankengymnasten vom 21. Dezember 1958 (BGBl. I S. 985) in der zuletzt
durch Verordnung vom 26. Februar 1993 (BGBl. I S. 278) geänderten und bis
zum 31. Mai 1994 geltenden Fassung in Verbindung mit der Ausbildungs- und
Prüfungsordnung für Krankengymnasten vom 7. Dezember 1960 (BGBl. I
S. 885) in der zuletzt durch den Einigungsvertrag vom 31. August 1990 (BGBl.
II S. 889) geänderten und bis zum 20. Dezember 1994 geltenden Fassung
oder auch die Inhalte der derzeit für die Erlangung der Erlaubnis zum Führen
der Berufsbezeichnung "Physiotherapeut" zu absolvierenden Ausbildung nach
§ 8 f. des Gesetzes über die Berufe in der Physiotherapie (Masseur- und
Physiotherapeutengesetz) - MPhG - vom 26. Mai 1994 (BGBl. I S. 1084) in der
zuletzt durch Gesetz vom 6. Dezember 2011 (BGBl. I S. 2515) geänderten
Fassung in Verbindung mit der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für
Physiotherapeuten - APrV-PhysTh - vom 6. Dezember 1994 (BGBl. I S. 3786)
in der zuletzt durch Verordnung vom 2. August 2013 (BGBl. I S. 3005)
geänderten Fassung zu berücksichtigen sind. Denn signifikante Unterschiede
der Ausbildungsinhalte sind für den Senat nicht ersichtlich und auch die nach
den aktuellen Bestimmungen zu absolvierende Ausbildung zum
Physiotherapeuten vermittelt die zur selbständigen Ausübung der Heilkunde
im Bereich der Physiotherapie erforderlichen diagnostischen Fähigkeiten in
Bezug auf die einschlägigen Krankheitsbilder nicht vollständig.
Das Bundesverwaltungsgericht hatte in seinem Urteil vom 26. August 2009
(a.a.O., Rn. 24) festgestellt, dass die nach Maßgabe der aufgezeigten
Bestimmungen des Masseur- und Physiotherapeutengesetzes und der
Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für Physiotherapeuten absolvierte
Ausbildung zum Physiotherapeuten nicht zu einer selbständigen Erstdiagnose
befähigt. Es hatte zugleich aber darauf hingewiesen, dass eine andere
Beurteilung dann geboten wäre, wenn sich die in den die Ausbildung zum
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Physiotherapeuten regelnden Bestimmungen zu erkennende Einschätzung
des Gesetzgebers als eindeutig unzutreffend oder überholt erweisen würde.
Dies wäre dann der Fall, wenn die tatsächlichen Ausbildungsinhalte nicht mit
dem Berufsbild des Physiotherapeuten korrespondierten, sondern - gleichsam
überschießend - deutlich weitergehende Kenntnisse vermittelten als für die
Ausübung des Berufs erforderlich.
Dies vermag der Senat unter Berücksichtigung der tatsächlichen
niedersächsischen Ausbildungspraxis und des Berufsbildes des
Physiotherapeuten derzeit nicht festzustellen.
Das Ausbildungsziel nach § 8 MPhG besteht im Erwerb der Befähigung,
"durch Anwenden geeigneter Verfahren der Physiotherapie in Prävention,
kurativer Medizin, Rehabilitation und im Kurwesen Hilfen zur Entwicklung, zum
Erhalt oder zur Wiederherstellung aller Funktionen im somatischen und
psychischen Bereich zu geben und bei nicht rückbildungsfähigen
Körperbehinderungen Ersatzfunktionen zu schulen". Über dieses bloße
"Anwenden" hinaus umfasst die Ausbildung zum Physiotherapeuten schon
nach der PhysTh-APrV aber auch die selbständige Befunderhebung. In der
dreijährigen Ausbildung nach § 1 Abs. 1 PhysTh-APrV werden mindestens
100 Stunden des theoretischen und praktischen Unterrichts
physiotherapeutische Befund- und Untersuchungstechniken gelehrt
(vgl. Anlage 1 zu PhysTh-APrV Nrn. 15.1 Grundlagen der Befunderhebung,
15.2 Inspektion, 15.3 Funktionsprüfung, 15.4 Palpation, 15.5 Meßverfahren,
15.6 Reflexverhalten, 15.7 Wahrnehmung akustischer Auffälligkeiten,
15.8 Systematik der Befunderhebung, 15.9 Dokumentation, 15.10 Synthese
der Befunderhebung, 15.11 Erstellung des Behandlungsplanes).
Die vom Niedersächsischen Kultusministerium erlassenen "Rahmenrichtlinien
für die Ausbildung in der Physiotherapie, Stand: Dezember 2007" -
Rahmenrichtlinien Niedersachsen - gehen hierüber nur scheinbar hinaus.
Diese sehen im Lernfeld "Physiotherapeutisch untersuchen" auch für die
Ausbildungsinhalte nach Anlage 1 zu PhysTh-APrV Nr. 15 zwar insgesamt
500 Unterrichtsstunden vor und formulieren das Lernziel unter anderem
dahingehend, dass der Auszubildende physiotherapeutisch relevante
Informationen zur Befunderhebung selbständig erfasst, eine erste
Befundhypothese stellt, Untersuchungsmöglichkeiten ableitet und entscheidet,
welche Untersuchungen eingesetzt werden, diese Untersuchungen selbst
durchführt und situationsorientiert und klientengerecht anpasst, die
Untersuchungsergebnisse auswertet, physiotherapeutische Diagnosen erstellt
und den physiotherapeutischen Untersuchungsablauf reflektiert. Die
Rahmenrichtlinien betonen indes klar, auf den gesetzlichen Vorgaben des
MPhG und der PhysTh-APrV zu basieren (vgl. Nrn. 1.1 und 1.2, Stichwort
"Exemplarität" Rahmenrichtlinien Niedersachsen). Auch das Ausbildungsziel
wird mit Bezugnahme auf § 8 MPhG nur dahingehend definiert, dass die
Ausbildung zum Physiotherapeuten dazu befähigt, "geeignete Verfahren der
Physiotherapie in der Prävention, der kurativen Medizin, der Rehabilitation und
im Kurwesen anwenden zu können. Die physiotherapeutischen Verfahren sind
geeignet, Hilfen zur Entwicklung, zum Erhalt oder zur Wiederherstellung aller
Funktionen im somatischen und psychischen Bereich zu geben und bei nicht
rückbildungsfähigen Körperbehinderungen Ersatzfunktionen zu schulen
(vgl. § 8 Abs. 1 MPhG…). Die Ausbildung befähigt dazu, bestimmte Aufgaben
eigenverantwortlich oder im Rahmen der Mitwirkung auszuführen und
interdisziplinär mit anderen Berufsgruppen zusammen zu arbeiten." Der
deutlich erhöhte Umfang des Lernfeldes "Physiotherapeutisch untersuchen"
mit 500 Unterrichtsstunden gegenüber dem Umfang für die Vermittlung der
Ausbildungsinhalte nach Anlage 1 zu PhysTh-APrV Nr. 15
"Physiotherapeutische Befund- und Untersuchungstechniken" mit 100
Unterrichtsstunden entsteht zudem maßgeblich dadurch, dass das Lernfeld
auch die Vermittlung von Ausbildungsinhalten nach Nrn. 2 bis 7, 11, 12 und 20
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Anlage 1 zu PhysTh-APrV umfasst. Die Gesamtzahl der Unterrichtsstunden
nach den Rahmenrichtlinien Niedersachsen liegt mit 2.800 dann auch in etwa
auf dem Niveau der Gesamtzahl der Unterrichtsstunden nach Anlage 1 zu
PhysTh-APrV mit 2.900. Aus den Rahmenrichtlinien Niedersachsen ergeben
sich mithin keine belastbaren Anhaltspunkte dafür, dass die Ausbildung zum
Physiotherapeuten in Niedersachsen tatsächlich deutlich weitergehende
Kenntnisse vermittelt, als dies nach dem Masseur- und
Physiotherapeutengesetz und der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für
Physiotherapeuten vorgesehen ist. Vielmehr wird die Annahme des
Bundesverwaltungsgerichts bestätigt, dass sich die Ausbildung an der
gesetzlich formulierten Aufgabenstellung des Berufs des Physiotherapeuten
orientiert und sich das Ausbildungsprogramm in dem dadurch vorgegebenen
Rahmen hält.
Der Senat geht allerdings davon aus, dass bei einem ausgebildeten
Physiotherapeuten die im Bereich der erforderlichen diagnostischen
Fähigkeiten in Bezug auf die einschlägigen Krankheitsbilder noch bestehende
Kenntnislücke nur geringfügig ist.
Ein ganz erheblicher Teil der Ausbildung zum Physiotherapeuten umfasst den
Erwerb von Kenntnissen zur Anatomie, Physiologie, Krankheitslehre, Befund-
und Untersuchungstechniken sowie Indikationen nach Krankheitsbildern und
Kontraindikationen (vgl. Nrn. 2 (240 Unterrichtsstunden), 3 (140
Unterrichtsstunden), 4 und 5 (390 Unterrichtsstunden), 15 (100
Unterrichtsstunden) sowie 17.6 Anlage 1 zu PhysTh-APrV). Auch wenn der
Physiotherapeut die Erstdiagnose in der Praxis nicht durchführen darf,
vermittelt ihm seine Ausbildung auch Kenntnisse über Krankheiten, die mit
Beschwerden des Bewegungsapparates im Zusammenhang stehen, und
Kenntnisse über diagnostische Verfahren zur Feststellung dieser Krankheiten
beim Patienten. Der ausgebildete Physiotherapeut wird durch seine
Ausbildung durchaus in die Lage versetzt, einen Patienten zu untersuchen,
einen Befund zu erheben, insbesondere physiotherapeutisch zu behandelnde
Krankheitsbilder zu erkennen und erst hierauf aufbauend eine Therapie zu
entwickeln und durchzuführen.
Auch das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Urteil vom 26. August 2009
(a.a.O., Rn. 13) darauf hingewiesen, dass der ausgebildete Physiotherapeut in
dem Anwendungsbereich der gemäß §§ 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 und Abs. 6,
138 SGB V beschlossenen Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses
über die Verordnung von Heilmitteln in der vertragsärztlichen Versorgung -
Heilmittel-Richtlinie - schon allein anhand eines vom Arzt angegebenen
bloßen Leitsymptoms oder einer Diagnosegruppe, aber eben nicht einer
konkreten Diagnose, die Einzelheiten der physiotherapeutischen Behandlung,
namentlich die Art und Weise der Krankengymnastik oder Massage, abklärt
und diese durchführt. Dies impliziert, dass der Physiotherapeut schon heute -
basierend auf einer vom Arzt vorgegebenen Leitsymptomatik und
Diagnosegruppe und der damit verbundenen Vorgabe, dass eine
physiotherapeutische Behandlung angezeigt ist - selbst die konkrete Diagnose
stellt.
Die im Bereich der erforderlichen diagnostischen Fähigkeiten in Bezug auf die
einschlägigen Krankheitsbilder noch zu schließende Kenntnislücke besteht
insoweit also nicht maßgeblich darin, die Fähigkeit zur Erstdiagnose
einschlägiger konkreter Krankheitsbilder (erstmals) zu erwerben, sondern die
Möglichkeiten der bestehenden eigenen Diagnosefähigkeiten noch einmal zu
verdeutlichen (in diese Richtung deutend wohl auch: BVerwG, Urt.
v. 26.8.2009, a.a.O., Rn. 25).
Diese Annahme wird bestätigt durch die Einlassungen des Beklagten im
Schriftsatz vom 24. April 2013, dort S. 2 f, und in der mündlichen Verhandlung
vor dem Senat vom 14. November 2013. Dort hatte die anwesende Leiterin
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des Gesundheitsamtes des Beklagten, die auch in der Ausbildung von
Physiotherapeuten tätig gewesen ist, herausgestellt, dass das erforderliche
Wissen über Krankheiten, die mit Beschwerden des Bewegungsapparates im
Zusammenhang stehen, und auch über diagnostische Verfahren zur
Feststellung dieser Krankheiten beim Patienten weitgehend in der Ausbildung
erworben werde, in der täglichen Praxis des Physiotherapeuten aber kaum zur
Anwendung gelange, daher in den Hintergrund trete und folglich vor der
Erteilung einer beschränkten Heilpraktikererlaubnis durch eine Schulung
wieder aktiviert werden müsse. Diese Ausführungen finden letztlich auch
Bestätigung im Erlass des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales,
Frauen, Familie, Gesundheit und Integration vom 22. Februar 2011 zur
"Ausführung des Heilpraktikergesetzes (HPG); HPG-Erlaubnis beschränkt auf
das Gebiet der Physiotherapie und weiterer vergleichbarer
Gesundheitsfachberufe". Danach kann die vom Bundesverwaltungsgericht
normativ bestimmte Kenntnislücke schon als geschlossen angesehen werden
bei dem "Erwerb von Kenntnissen und Fähigkeiten durch eine Schulung …
- die überwiegend von Ärzten/innen und Juristen/innen vorgenommen
wird,
- die auf den Gebieten der Rechts- und Berufskunde und der
medizinischen Erstdiagnostik erteilt wird,
- deren Umfang mindestens 40 Stunden beträgt, wovon mindestens 10
Stunden auf die Rechts- und Berufskunde entfällt, und
- deren erfolgreiche Stoffvermittlung durch einen Abschlusstest im
Umfang von mindestens 60 Minuten Dauer bestätigt worden ist
- mit folgenden Inhalten:
- In Rechts- und Berufskunde: Heilpraktikergesetz und
Durchführungsverordnung; Abgrenzung der heilkundlichen Tätigkeit
als Physiotherapeut/in gegenüber Ärzten/innen und allgemein tätigen
Heilpraktikerinnen; strafrechtliche, bürgerlich-rechtliche und öffentlich-
rechtliche Vorschriften, die bei der selbständigen Berufsausübung von
Bedeutung sind, darunter insbesondere Aufklärungs- und
Dokumentationspflichten.
- In Erstdiagnostik: Kenntnisse der Pathophysiologie des
Kreislaufsystems, des Atmungssystems, bösartiger Neubildungen,
von Stoffwechselerkrankungen, von Infektionserkrankungen und der
Entwicklung von Kleinkindern und Säuglingen einschließlich möglicher
Entwicklungsstörungen; Kenntnisse der Ursachen,
Differentialdiagnosen und Komplikationen von Erkrankungen und
Befunden wie Rheuma, Gicht, Arthrose, Kopf-, Schulter-, Rücken-,
Hüft-, Knieschmerzen, Thrombose und Thrombophlebitis, von
Erkrankungen des Nervensystems und der Nervenbahnen, wie
Polyneuropathie, Nervenläsionen, Isolierte Paresen, Schädigung des
Rückenmarks, Meningitis und das Cauda-Syndrom, und von
Erkrankungen des Knochens und Knochenmarks, wie Osteoporose,
Knochenmetastasen, Osteomyelitis und Plasmozytom; Kenntnisse
über Symptome, Differentialdiagnosen und Komplikationen
ansteckender Hautkrankheiten, von Tumorerkrankungen und
Störungen des Lymphsystems, bei Schmerzen und
Schmerzsyndrome bei aktuell lebensbedrohlichen Krankheiten, wie
Herzinfarkt, Enzephalitis, Epi- und Subduralhämatom und
Aneurysmusblutungen, über Schmerzzustände bei abdomineller
Schmerzen / Koliken und chronischen Schmerzen; Kenntnisse über
Folgen und Komplikationen von Immobilität, wie z.B. Dekubitus,
Thrombose und Lymphstau."
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Der Senat geht davon aus, dass eine erstmalige Vermittlung des Wissens zu
allgemeinen Methoden der heilkundlichen Diagnostik und zur Diagnostik der
aufgezählten konkreten Krankheitsbilder in dem genannten zeitlichen Umfang
von 30 Unterrichtsstunden (= 40 Unterrichtsstunden abzüglich mindestens 10
Unterrichtsstunden für die Rechts- und Berufskunde) nicht möglich ist, sich die
Schulung im Bereich der erforderlichen diagnostischen Fähigkeiten in Bezug
auf die einschlägigen Krankheitsbilder also maßgeblich darauf richtet, die
Möglichkeiten der bereits bestehenden eigenen Diagnosefähigkeiten noch
einmal zu verdeutlichen.
Die darüber hinausgehend erforderlichen Kenntnisse über die Abgrenzung der
heilkundlichen Tätigkeit als Physiotherapeut gegenüber den den Ärzten und
den allgemein als Heilpraktiker tätigen Personen vorbehaltenen heilkundlichen
Behandlungen setzen voraus, dass der Berufsbewerber um die tatsächlichen
Grenzen seiner Befugnisse zur selbständigen heilkundlichen Ausübung der
Physiotherapie weiß. Der Berufsbewerber muss hierzu einerseits die Grenzen
der eigenen Diagnosefähigkeit und andererseits die Grenzen des Einsatzes
physiotherapeutischer Behandlungsmethoden kennen.
Die insoweit erforderliche Kenntnis ist maßgeblich mit den bereits
nachgewiesenen Kenntnissen über Krankheiten, die mit Beschwerden des
Bewegungsapparates im Zusammenhang stehen und mit denen ein
Physiotherapeut in der Praxis konfrontiert wird, und über diagnostische
Verfahren zur Feststellung dieser Krankheiten beim Patienten verbunden.
Außerhalb dieser bekannten Diagnosefähigkeiten und der Indikation und
Anwendung physiotherapeutischer Behandlungsmethoden ist der
Berufsbewerber zur selbständigen heilkundlichen Ausübung der
Physiotherapie nicht berechtigt.
Zur Abwehr von Gefahren für den Patienten ist darüber hinaus erforderlich,
dass der Berufsbewerber auch um mögliche Kontraindikationen
physiotherapeutischer Behandlungsmethoden weiß, also Kenntnisse über die
vielfältigen Ursachenzusammenhänge für tatsächliche oder nur vermeintliche
Störungen des Bewegungsapparates hat vgl. BVerwG, Urt. v. 26.8.2009,
a.a.O., (Rn. 25). Dies schließt die Fähigkeit zur Diagnose konkreter anderer
Erkrankungen als solcher des Bewegungsapparates nicht notwendig ein
(weitergehend wohl OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 4.11.2013 - 13 A
1428/12 -, juris Rn. 9). Gefahren, die sich für einen Patienten aus der
heilkundlichen Ausübung der Physiotherapie ergeben, sind vielmehr schon
dadurch hinreichend abgewehrt, dass der Heilkundler erkennen kann, ob eine
Erkrankung des Bewegungsapparates vorliegt und ob die Anwendung
physiotherapeutischer Behandlungsmethoden indiziert oder kontraindiziert ist.
Um Letztgenanntes erkennen zu können, sind zwar Kenntnisse auch aus den
verschiedenen medizinischen Fachgebieten erforderlich (vgl. BVerwG, Urt.
v. 26.8.2009, a.a.O., Rn. 25). Der Heilkundler muss aber keine Diagnose einer
konkreten anderen Erkrankung als einer solchen des Bewegungsapparates
stellen können. Einer solchen Diagnose bedarf es zum allein erforderlichen
Erkennenkönnen der tatsächlichen Grenzen der Befugnisse zur selbständigen
heilkundlichen Ausübung der Physiotherapie nicht.
Die derart konkretisierten erforderlichen Kenntnisse im Bereich der
Abgrenzung der heilkundlichen Tätigkeit als Physiotherapeut gegenüber den
den Ärzten und den allgemein als Heilpraktiker tätigen Personen
vorbehaltenen heilkundlichen Behandlungen werden, soweit sie die
Kenntnisse über Krankheiten, die mit Beschwerden des Bewegungsapparates
im Zusammenhang stehen und mit denen ein Physiotherapeut in der Praxis
konfrontiert wird, und die Kenntnisse über diagnostische Verfahren zur
Feststellung dieser Krankheiten beim Patienten voraussetzen, weitgehend
schon durch die Ausbildung zum Physiotherapeuten vermittelt. Auch die
darüber hinausgehend bestehende Kenntnislücke erachtet der Senat als eher
geringfügig.
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Hierfür spricht auch, dass der Physiotherapeut nach der sozialgerichtlichen
Rechtsprechung verpflichtet ist, die ärztliche Verordnung auf aus seiner
professionellen Sicht erkennbare Fehler und Vollständigkeit zu überprüfen.
Das Bundessozialgericht hat hierzu in seinem Urteil vom 27. Oktober 2009 (-
B 1 KR 4/09 R -, BSGE 105, 1) ausgeführt:
"Heilmittelerbringer sind verpflichtet, die ärztliche Verordnung auf
Vollständigkeit und Plausibilität zu überprüfen. Dies ergibt sich
unabhängig von der Auslegung des konkreten RV aus höherrangigem
Recht.
Der Vergütungsanspruch des Heilmittelerbringers hängt grundsätzlich
davon ab, dass ein Leistungsanspruch des Versicherten gegen seine KK
nach § 32 SGB V besteht und das Heilmittel vertragsärztlich verordnet
worden ist (vgl § 27 Abs 1 Satz 2 Nr 3, § 28 Abs 1 Satz 2 iVm § 15 Abs 1
Satz 2 SGB V). Bereits aus § 2 Abs 4, § 12 Abs 1 Satz 2 iVm § 73 Abs 2
Satz 1 Nr 7 SGB V folgt, dass der Heilmittelerbringer den Inhalt der
ärztlichen Verordnung insoweit prüfen muss, als er nur auf Basis einer
gültigen Verordnung mit den für eine wirksame und wirtschaftliche
Heilmitteltherapie notwendigen ärztlichen Angaben leisten darf. Nach § 2
Abs 4 SGB V haben auch Leistungserbringer - neben KKn und
Versicherten - darauf zu achten, dass die Leistungen wirksam und
wirtschaftlich erbracht und nur im notwendigen Umfang in Anspruch
genommen werden. Die Regelung trifft keine Ausnahme für
Heilmittelerbringer, sie erweitert vielmehr den Adressatenkreis des
Wirtschaftlichkeitsgebots, das sich nach dem Inhalt des § 2 Abs 1 Satz 1
SGB V unmittelbar nur an die KK richtet, auf alle Leistungserbringer und
Versicherte (vgl etwa Noftz in: Hauck/Noftz, SGB V, Stand August 2009,
K § 2 RdNr 35; K. Peters in: Kassler Kommentar, Stand: Juli 2009, § 2
SGB V RdNr 8) . Auch § 12 Abs 1 Satz 2 SGB V bestimmt, dass
Leistungserbringer Leistungen nicht bewirken dürfen, die nicht notwendig
und unwirtschaftlich sind. Diese Bestimmungen begründen eine
eigenständige Verantwortung auch des Heilmittelerbringers, für die
Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit der Heilmittelerbringung zu sorgen. Da
seine Leistung durch die ärztliche Verordnung veranlasst wird, hat er
diese Verordnung auf aus seiner professionellen Sicht erkennbare Fehler
und Vollständigkeit zu überprüfen. Unberührt bleibt dabei die ärztliche
Verantwortung für die in der Verordnung zum Ausdruck kommende
Therapieentscheidung aus medizinisch-ärztlicher Sicht. Gegebenenfalls
hat der Heilmittelerbringer auch Rücksprache mit dem behandelnden
Arzt zu nehmen. So sind nach § 92 Abs 6 Nr 4 SGB V in den Richtlinien
nach § 92 Abs 1 Satz 2 Nr 6 SGB V und in den Rahmenempfehlungen
nach § 125 Abs 1 Satz 4 Nr 3 SGB V insbesondere auch Inhalt und
Umfang der Zusammenarbeit des verordnenden Vertragsarztes mit dem
jeweiligen Heilmittelerbringer zu regeln und geregelt."
Die so postulierte eigene Verantwortung des Heilmittelerbringers auch für die
Wirksamkeit einer Heilmittelerbringung in Bezug auf ein angestrebtes
Therapieziel unterstellt, nach Auffassung des Senats zu Recht , dass der
Heilmittelerbringer ein Heilmittel nicht nur fachgerecht anwenden kann,
sondern regelmäßig auch über jedenfalls grundlegende Kenntnisse zu dessen
Indikation und Kontraindikation verfügt, der hier betroffene Physiotherapeut
also jedenfalls grundlegend auch um die vielfältigen
Ursachenzusammenhänge für tatsächliche oder nur vermeintliche Störungen
des Bewegungsapparates und die Indikation und Kontraindikation
physiotherapeutischer Behandlungen weiß.
Die schließlich erforderlichen Kenntnisse im Bereich der Berufs- und
Gesetzeskunde einschließlich der rechtlichen Grenzen der nichtärztlichen
Ausübung der Heilkunde umfassen, hierauf weist der Erlass des
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Niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Frauen, Familie, Gesundheit und
Integration vom 22. Februar 2011 zutreffend hin, grundlegende Kenntnisse
zum Heilpraktikergesetz und zur 1. Durchführungsver-ordnung und zu straf-,
zivil- und öffentlich-rechtlichen Vorschriften, die bei der selbständigen
Berufsausübung von Bedeutung sind, darunter insbesondere Aufklärungs-
und Dokumentationspflichten.
Der Senat hat die Überzeugung gewonnen, dass der Kläger über die derart
bestimmten diagnostischen Fähigkeiten in Bezug auf die einschlägigen
Krankheitsbilder, Kenntnisse über die Abgrenzung der heilkundlichen Tätigkeit
als Physiotherapeut gegenüber der den Ärzten und den allgemein als
Heilpraktiker tätigen Personen vorbehaltenen heilkundlichen Behandlungen
und Kenntnisse in Berufs- und Gesetzeskunde einschließlich der rechtlichen
Grenzen der nichtärztlichen Ausübung der Heilkunde bereits verfügt, so dass
seine heilkundliche Betätigung, beschränkt auf das Gebiet der Physiotherapie,
nicht mit Gefahren für die Volksgesundheit im Sinne des § 2 Abs. 1 Buchst. i
1. DVO-HeilprG verbunden sein wird.
Dabei geht der Senat davon aus, dass der Berufsbewerber selbst darlegen
muss, dass er über die genannten Fähigkeiten und Kenntnisse verfügt hat.
Abhängig von sich hiernach ergebenden Umständen des Einzelfalls ist zu
beurteilen, ob und gegebenenfalls inwieweit die im Regelfall gebotene
Kenntnisüberprüfung ausnahmsweise entbehrlich sein kann. Dabei sind alle
von dem Berufsbewerber vorgelegten Zeugnisse und sonstigen Aus-, Fort-
und Weiterbildungsnachweise zu berücksichtigen. Auch bloße
Teilnahmebescheinigungen über absolvierte Lehrgänge, Seminare,
Zusatzausbildungen und Ähnliches können von Belang sein, auch wenn
deren Aussagegehalt differenziert zu betrachten ist (vgl. BVerwG, Beschl.
v. 11.7.2013, a.a.O.).
Nach diesen Maßstäben ist hier zunächst zu berücksichtigen, dass der
Beklagte dem Kläger unter dem 27. November 2002 bereits die Erlaubnis zur
berufsmäßigen Ausübung der Heilkunde beschränkt auf das Gebiet der
Psychotherapie erteilt hat. Hierdurch ist hinreichend belegt, dass der Kläger
jedenfalls Kenntnisse über die Abgrenzung der auf ein Gebiet beschränkten
heilkundlichen Tätigkeit gegenüber den den Ärzten und den allgemein als
Heilpraktiker tätigen Personen vorbehaltenen heilkundlichen Behandlungen
und auch allgemeine Kenntnisse über die Berufs- und Gesetzeskunde
einschließlich der rechtlichen Grenzen der nichtärztlichen Ausübung der
Heilkunde hat.
Hinzu kommt, dass der Kläger seit fast zwanzig Jahren, davon mehr als
fünfzehn Jahre selbständig, als Physiotherapeut tätig ist. Die hiermit
verbundene Erfahrung bei der Behandlung von Störungen des
Bewegungsapparates durch Krankengymnastik, Massage oder eine sonstige
Methode der Physiotherapie lehrt die erforderlichen Kenntnisse über den
Umfang, aber auch die Grenzen der durch die beschränkte
Heilpraktikererlaubnis erlaubten Heiltätigkeit und trägt damit nach dem
eingangs aufgezeigten Maßstab maßgeblich dazu bei, dass die Kenntnislücke
bei der Abgrenzung der heilkundlichen Tätigkeit als Physiotherapeut
gegenüber den den Ärzten und den allgemein als Heilpraktiker tätigen
Personen vorbehaltenen heilkundlichen Behandlungen verringert wird
(vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 13.6.2012 - 13 A 668/09 -, juris Rn. 44).
Der Kläger hat sich des Weiteren nach Abschluss seiner Ausbildung zum
Physiotherapeuten umfänglich fortgebildet, etwa zur Propriozeptiven
neuromuskulären Fazilitation (PNF) - Grund- und Aufbaukurs - im Umfang von
150 Unterrichtsstunden, zur Spinal Therapie nach McKenzie - A und B Kurs
Mechanische Diagnose und Behandlung - im Umfang von 50
Unterrichtsstunden, zu Cyriax obere und Extremitäten im Gesamtumfang von
96 Unterrichtsstunden, zu Cyriax Wirbelsäule I, II, III im Gesamtumfang von
69
70
71
148 Unterrichtsstunden, zur Marnitztherapie im Umfang von 35
Unterrichtsstunden, zur Manuellen Therapie - Obere Extremitäten im Umfang
von 50 Unterrichtsstunden und zur Neurophysiologie - Aspekte in der
Physiotherapie im Umfang von 18 Unterrichtsstunden. Bestandteil dieser
Fortbildungsveranstaltungen waren ausweislich der vorgelegten Zertifikate
auch Unterweisungen in der Befunderhebung. Zudem hat der Kläger im Jahr
2001 die Heilpraktikerschule K. besucht und in einem Umfang von 80
Unterrichtsstunden auch Kenntnisse zur Diagnostik und Differentialdiagnostik
erworben. Selbst wenn diese Kenntnisse in erster Linie auf Diagnosen im
psychotherapeutischen Bereich bezogen waren, ist jedenfalls ein Zuwachs der
Kenntnis des Klägers im Bereich allgemeiner Diagnosetechniken und der
Möglichkeiten und Grenzen bestehender eigener Diagnosefähigkeiten nicht zu
leugnen.
Eine gleichwohl noch verbliebene Kenntnislücke ist im vorliegenden Einzelfall
als durch die vom Kläger am 10. April 2010 und am 28. April 2012 absolvierte
"Zusatzausbildung für Physiotherapeut/innen, Masseure/innen zur Schließung
der normativen Ausbildungslücke gemäß Urteil des
Bundesverwaltungsgerichts vom 26.08.2009 - 3 C 19.08 -" und die erfolgreich
bestandene, zwanzig Fragen umfassende Erfolgskontrolle als geschlossen
anzusehen. Der Senat teilt die Auffassung des OVG Nordrhein-Westfalen im
Urteil vom 13. Juni 2012 (a.a.O., Rn. 47; rechtskräftig nach Zurückweisung der
Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision durch Beschluss des
Bundesverwaltungsgerichts vom 11.7.2013, a.a.O.), wonach diese
Zusatzausbildung jedenfalls eine nur noch in geringem Umfang bestehende
Kenntnislücke zu schließen geeignet ist. Der Zeitumfang der Zusatzausbildung
von nur 8 Unterrichtsstunden steht dieser Annahme nicht entscheidend
entgegen. Selbst der Beklagte - und ihm vorausgehend das Niedersächsische
Ministerium für Soziales, Frauen, Familie, Gesundheit und Integration im Erlass
vom 22. Februar 2011 - gehen davon aus, dass die vom
Bundesverwaltungsgericht normativ bestimmte Kenntnislücke in ihrem
gesamten Umfang durch eine Schulung von 40 Unterrichtsstunden
geschlossen werden kann.
Unter Berücksichtigung dieser Umstände des Einzelfalls hat der Senat die
Überzeugung gewonnen, dass der Kläger die eigenverantwortliche
Behandlung von Störungen des Bewegungsapparates durch
Krankengymnastik, Massage oder eine sonstige Methode der Physiotherapie
hinreichend sicher beherrscht und der Kläger hinreichende Kenntnisse und
Fähigkeiten der Erstdiagnose einschlägiger Krankheitsbilder, der Abgrenzung
der heilkundlichen Tätigkeit als Physiotherapeut gegenüber den den Ärzten
und den allgemein als Heilpraktiker tätigen Personen vorbehaltenen
heilkundlichen Behandlungen und der Berufs- und Gesetzeskunde
einschließlich der rechtlichen Grenzen der nichtärztlichen Ausübung der
Heilkunde besitzt. Daher ist der Schluss berechtigt, dass vor der Erteilung
einer auf Physiotherapie beschränkten Heilpraktikererlaubnis eine
Überprüfung seiner Kenntnisse und Fähigkeiten nicht notwendig ist und dass
ihm schon auf der Grundlage der aus dem Aktenmaterial erkennbaren
Umstände eine solche Erlaubnis erteilt werden kann.
Hat die Klage mit dem Hauptantrag Erfolg, ist eine Entscheidung auch über
den hilfsweise für den Fall des Unterliegens mit dem Hauptantrag gestellten
Antrag ausgeschlossen. Dessen Rechtshängigkeit ist auflösend bedingt durch
die dem Hauptantrag stattgebende Entscheidung (vgl. Kopp/Schenke, VwGO,
17. Aufl., § 90 Rn. 5).