Urteil des OVG Niedersachsen vom 10.09.2013

OVG Lüneburg: ablauf der frist, vorläufiger rechtsschutz, überprüfung, bier, genehmigungsverfahren, ausschluss, hauptsache, datenschutz, vervielfältigung, niedersachsen

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Vorlage eines Keimgutachtens
Die Aufforderung zur Vorlage eines Keimgutachtens (in einem
immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren) stellt eine
behördliche Verfahrenshandlung dar, deren isolierte Überprüfung nach § 44a
VwGO auch im Verfahren einstweiligen Rechtsschutzes regelmäßig
ausgeschlossen ist.
OVG Lüneburg 12. Senat, Beschluss vom 10.09.2013, 12 ME 114/13
Art 19 Abs 4 GG, § 123 VwGO, § 44a VwGO
Gründe
Der Antragsteller beantragte im Jahr 2011 die Erteilung einer
immissionsschutzrechtlichen Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb
von zwei Hähnchenmastställen mit jeweils 39.000 Tierplätzen.
Mit Schreiben vom 29. Oktober 2012 teilte der Antragsgegner dem Antragsteller
mit, dass er „zum Nachweis der Einhaltung von § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG“ die
Vorlage eines Keimgutachtens unter Beachtung der einschlägigen DIN-Normen
(u.a. der VDI-Richtlinie 4250 E) fordere. Er bat den Antragsteller bis zum 30.
November 2012 um Mitteilung, bis wann er ein entsprechendes Gutachten
vorlegen könne, und kündigte an, nach Ablauf der Frist über den Antrag nach
Aktenlage zu entscheiden. Der Antragsteller lehnte die Vorlage eines solchen
Gutachtens in der Folgezeit mit der Begründung ab, dass in unmittelbarer
Nachbarschaft des Bauvorhabens überhaupt keine Wohnhäuser vorhanden
seien. Die nächstgelegenen Wohnhäuser befänden sich nördlich der geplanten
Anlage in einer Entfernung von ca. 430 m. Durch die von ihm angestrebte
Verlegung der Kamine an das südliche Ende der Anlage werde die Entfernung
auf „sichere 500 m“ ausgedehnt. Das mit den Antragsunterlagen vorgelegte
Gutachten (zur Auswirkung von Geruchsstoff-, Staub- und
Ammoniakemissionen in der Umgebung der geplanten Anlage) sei eindeutig.
Die Grenz- und Schwellenwerte würden hier ohne weiteres eingehalten.
Mit Anhörungsschreiben vom 7. Februar 2013 forderte der Antragsgegner den
Antragsteller erneut auf, ihm bis zum 11. März 2013 eine Auftragsbestätigung für
die Erarbeitung eines Keimgutachtens vorzulegen. Die geplante Verlegung der
Abluftkamine ändere an dieser Forderung nichts.
Der Antragsteller hat am 11. März 2013 um Gewährung einstweiligen
Rechtsschutzes nachgesucht und beantragt, den Antragsgegner im Wege der
einstweiligen Anordnung zu verpflichten, über seinen Antrag auf Genehmigung
von zwei Hähnchenmastställen mit je 39.000 Tierplätzen nach Vorlage einer
gutachterlichen Bestätigung, dass die Verlegung der Kamine an das südliche
Ende der Stallanlage im Hinblick auf Rechte Dritter irrelevant bleibt, zu
entscheiden, ohne dass er zuvor ein Keimgutachten in Bezug auf dieses
Vorhaben vorlegt.
Das Verwaltungsgericht hat diesen Antrag mit Beschluss vom 23. April 2013
abgelehnt und zur Begründung ausgeführt: Der zulässige Antrag sei
unbegründet. Der Antragsteller habe bereits keinen Anordnungsgrund glaubhaft
gemacht. Woraus sich die besondere Eilbedürftigkeit ergeben solle, die es dem
Antragsteller unzumutbar mache, den ablehnenden Bescheid des
Antragsgegners abzuwarten, sei vom Antragsteller weder substantiiert dargelegt
und glaubhaft gemacht worden noch sonst ersichtlich. Darüber hinaus habe der
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Antragsteller auch keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Er habe
keinen Anspruch darauf, dass der Antragsgegner dazu verpflichtet werde,
(vorläufig) ohne Vorlage eines Keimgutachtens über den Genehmigungsantrag
zu entscheiden. Einen solchen Anspruch könnte der Antragsteller auch nicht in
einem Klageverfahren geltend machen. Denn die Aufforderung des
Antragsgegners, ein Keimgutachten und eine entsprechende
Auftragsbestätigung vorzulegen, stellten behördliche Verfahrenshandlungen
nach § 44a VwGO dar, die nicht isoliert, sondern nur gleichzeitig mit den gegen
die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen angefochten werden
könnten. Der Antragsteller müsse daher zunächst die Ablehnung seines
Genehmigungsantrags abwarten und dagegen Rechtsmittel erheben. In dem
Hauptsacheverfahren müsste dann geklärt werden, ob die Vorlage eines
Keimgutachtens zu Recht verlangt worden sei und die Ablehnung der
Genehmigung zulässigerweise auf die Nichtvorlage habe gestützt werden
können. Eine Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Aufforderung zur Vorlage des
Keimgutachtens sei auch im Rahmen eines Antrags nach § 123 VwGO durch §
44a VwGO ausgeschlossen.
II.
Die gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts gerichtete Beschwerde des
Antragstellers bleibt ohne Erfolg.
Der Antragsteller macht geltend: Das besondere Eilbedürfnis liege darin, dass er
nach Ablehnung seines Antrags mit einem mehrjährigen Verwaltungsrechtsweg
für das Widerspruchsverfahren, das erstinstanzliche Verfahren und das
zweitinstanzliche Verfahren rechnen müsse. Im Übrigen würde die
Rechtsverfolgung aller Voraussicht nach auch wesentlich erschwert, weil er für
den dann zu erhebenden Verpflichtungsantrag aller Voraussicht nach mit
weiteren Restriktionen, die sich zurzeit in der Planung auf Landes- und
Bundesebene im Gesetzgebungsverfahren befänden, rechnen müsse. Der
Antragsgegner habe den Erörterungstermin zunächst auf den 12. September
2012 festgesetzt. Das zeige, dass dem Vorhaben aus Sicht des Antragsgegners
zu diesem Zeitpunkt keine Hindernisse entgegengestanden hätten und er - der
Antragsteller - von einer Genehmigung habe ausgehen dürfen. Durch die
nachträgliche Forderung, ein Keimgutachten vorzulegen, werde er auf den
Rechtsweg verwiesen mit entsprechend langwierigen Rechtsmittel- und
Klageverfahren. Dadurch verschlechtere sich seine Situation ganz erheblich.
Der Anspruch auf Vorlage eines Keimgutachtens bestehe schon deshalb nicht,
weil es keine anerkannten Regelwerke zur Bemessung der Bioaerosole gebe.
Der entsprechende VDI-Richtlinienentwurf 4250 befinde sich nach wie vor im
Gründruck und es bestünden keine Anhaltspunkte dafür, dass sich die
sachverständigen Stellen hierzu auf einen Erlass einigen könnten. Ebenso
wenig lägen die Voraussetzungen vor, die im Gemeinsamen Runderlass vom
22. März 2013 als Anhaltspunkte für eine mögliche Beeinträchtigung benannt
seien. Die Anforderung eines Bioaerosolgutachtens erscheine vor diesem
Hintergrund willkürlich. Unrichtig sei der Ansatz, die Einholung eines
Keimgutachtens sei eine unselbstständige behördliche Verfahrenshandlung
nach § 44a VwGO, die nicht isoliert angreifbar sei. Verfahrenshandlungen
könnten die Genehmigung so sehr erschweren, dass damit die Genehmigung
selbst gefährdet sei. Er - der Antragsteller - habe darauf hingewiesen, dass eine
solche Genehmigungserschwernis vorliege, weil die Kosten für das angeforderte
Gutachten bei über 50.000,- EUR lägen. Der Kostenrahmen für das
Genehmigungsverfahren werde mehr als verdoppelt. Eine solche
unverhältnismäßige Erschwernis könne er als Landwirt nicht hinnehmen und
müsse nach § 19 Abs. 4 GG überprüfbar sein. Gegenstand einer
Regelungsanordnung nach § 123 VwGO könne auch die Verpflichtung der
Behörde sein, bestimmte Handlungen zu unterlassen.
Diese zur Begründung des Rechtsmittels dargelegten Gründe, auf deren
Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, geben
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keinen Anlass, die Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu ändern. Das
Verwaltungsgericht hat den Antrag des Antragstellers, ihm einstweiligen
Rechtsschutz zu gewähren, zu Recht abgelehnt.
Zutreffend hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, dass die Aufforderung zur
Vorlage eines Keimgutachtens eine behördliche Verfahrenshandlung darstellt,
deren isolierte Überprüfung durch § 44a VwGO ausgeschlossen wird. Zu den
nach dieser Vorschrift ausgeschlossenen Rechtsbehelfen zählen - wie das
Verwaltungsgericht bereits ausgeführt hat - auch die Maßnahmen des
einstweiligen Rechtsschutzes (BVerwG, Beschl. v. 21.3.1997 - 11 VR 2.97 -,
NVwZ-RR 1997, 663; Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger
Rechtsschutz, 6. Aufl., Rn. 60).Die Regelung des § 44a VwGO führt allerdings
bereits zur Unzulässigkeit des Rechtsbehelfs (vgl. dazu Stelkens, in:
Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: Aug. 2012, § 44a Rn. 24; Kopp/Schenke,
VwGO, 18. Aufl., § 44a Rn. 1). Die Voraussetzungen des § 44a Satz 1 VwGO
liegen vor. Danach können Rechtsbehelfe gegen behördliche
Verfahrenshandlungen nur mit den gegen die Sachentscheidung zulässigen
Rechtsbehelfen geltend gemacht werden. Die Aufforderung einer
Genehmigungsbehörde, die Antragsunterlagen innerhalb bestimmter Fristen zu
ergänzen, stellt eine behördliche Verfahrenshandlung im Sinne dieser Vorschrift
dar (so auch Jarass, BImSchG, 9. Aufl., § 10 Rn. 42; Czajka, in: Feldhaus,
Bundesimmissionsschutzrecht, Bd. 2, Stand: Juli 2013, 9. BImSchV, § 7 Rn. 10).
Ein Rechtsbehelf gegen die streitige Forderung des Antragsgegners nach einem
Keimgutachten ist entgegen der Ansicht des Antragstellers auch nicht zur
Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG erforderlich.
§ 44a VwGO ist zwar einschränkend dahingehend auszulegen, dass der
Ausschluss einer gerichtlichen Überprüfung nicht zu unzumutbaren Nachteilen
führen darf, die in einem späteren Prozess nicht mehr vollständig zu beseitigen
sind (BVerfG, Beschl. v. 24.10.1990 - 1 BvR 1028/90 -, NJW 1991, 415, juris Rn.
27; BVerwG, Beschl. v. 20.11.2012 - 1 WB 4.12 -, Buchholz 11 Art. 33 Abs. 2
GG Nr. 55, juris Rn. 22; Stelkens, in: Schoch/Schneider/Bier, a. a. O., § 44a Rn.
29 m. w. N). Das ist hier aber nicht der Fall. Das Verwaltungsgericht hat
zutreffend ausgeführt, dass es dem Antragsteller ohne weiteres möglich ist, eine
(ablehnende) Entscheidung des Antragsgegners abzuwarten und den von ihm
behaupteten Anspruch auf Erteilung einer Genehmigung ohne vorherige
Vorlage eines Keimgutachtens mit einer Verpflichtungsklage zu verfolgen.
Insofern kommt es auf die Kosten für das angeforderte Gutachten nicht an. Die
von dem Antragsteller befürchtete mehrjährige Dauer eines
verwaltungsgerichtlichen Verfahrens stellt für sich genommen keinen
unzumutbaren Nachteil dar. Es ist darüber hinaus nicht ersichtlich, dass der
Antragsteller nach Abschluss eines aus seiner Sicht erfolgreichen
Verwaltungsstreitverfahrens nicht mehr in der Lage wäre, das Vorhaben zu
verwirklichen. Welche „weiteren Restriktionen“ eine Rechtsverfolgung künftig
wesentlich erschweren könnten, legt der Antragsteller nicht dar. Die bloße
Möglichkeit, dass neue Erkenntnisse oder eine veränderte Rechtslage einem
Vorhaben zu einem späteren Zeitpunkt entgegenstehen könnten, rechtfertigt
einen isolierten Rechtsschutz gegen eine behördliche Verfahrenshandlung
nicht.
Unabhängig davon ist der Antrag auch deshalb unzulässig, weil der
Antragsteller mit seinem Antrag nach § 123 VwGO der Sache nach
vorbeugenden Rechtsschutz erlangen will. Er möchte mit seinem einstweiligen
Rechtsschutzantrag verhindern, dass der von ihm gestellte
Genehmigungsantrag mit der Begründung abgelehnt wird, er habe kein
Keimgutachten vorgelegt. Eine einstweilige Anordnung, die auf vorbeugenden
Rechtsschutz gerichtet ist, setzt aber ein qualifiziertes Rechtsschutzbedürfnis
voraus (dazu etwa Finkelnburg/Dombert/Külpmann, a. a. O., Rn. 104 m. w. N.).
Sie kommt daher nur ausnahmsweise in Betracht, wenn es dem
Rechtsschutzsuchenden nicht zumutbar ist, den Erlass des Verwaltungsaktes
abzuwarten, wenn also schon die kurzfristige Hinnahme der befürchteten
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Handlungsweise geeignet ist, den Betroffenen in seinen Rechten in besonders
schwerwiegender Weise zu beeinträchtigen. Das ist hier - wie gesehen - aber
nicht der Fall.
Lediglich ergänzend weist der Senat darauf hin, dass das Verwaltungsgericht
den Antrag auch zu Recht als unbegründet angesehen hat. Der Antragsteller hat
nach wie vor einen Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht. Der Antragsteller
begehrt im Wege einstweiligen Rechtschutzes die Bescheidung seines
Genehmigungsantrags. Eine entsprechende Regelungsanordnung, die einen
möglichen Anspruch auf Neubescheidung des (aus Sicht des Antragstellers)
rechtswidrig abgelehnten Antrags in der Hauptsache endgültig vorwegnehmen
würde, kommt aber nur in Betracht, wenn der Antragsteller anders nicht
abwendbaren Nachteilen ausgesetzt wäre, würde er auf den Abschluss eines
Klageverfahrens verwiesen werden (Beschl. d. Sen. v. 24.7.2013 - 12 ME 37/13
-, juris Rn. 17; ob ein Anspruch auf (Neu-)Bescheidung überhaupt Gegenstand
einer einstweiligen Anordnung sein kann, ist schon umstritten, vgl. dazu Schoch,
in: Schoch/Schneider/Bier, a. a. O., § 123 Rn. 158 ff.,
Finkelnburg/Dombert/Külpmann, a. a. O., Rn. 209 ff., jeweils m. w. N.). Solche
Nachteile hat der Antragsteller - aus den bereits dargestellten Gründen - nicht
dargelegt und sind auch sonst nicht ersichtlich.