Urteil des OVG Niedersachsen vom 10.01.2014

OVG Lüneburg: gemeinde, stand der technik, tierhaltung, genehmigungsverfahren, luft, ungewöhnlichkeit, vorprüfung, satzung, wahrscheinlichkeit, planungsverfahren

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Zweite Verlängerung einer Veränderungssperre -
verzögerungsverursachende Ungewöhnlichkeiten aus
der Sphäre der Gemeinde
Einer Gemeinde ist es bereits als die besonderen Umstände i.S.d. § 17 Abs.
2 BauGB ausschließendes Fehlverhalten anzurechnen, wenn sie das
Verfahren in einem frühen Stadium ohne Not so zögerlich betrieben hat,
dass sie auf neue Erkenntnisse im Rahmen der Öffentlichkeits- und
Behördenbeteiligung nach §§ 3 Abs. 2, 4 Abs. 2 BauGB nicht mehr bis zum
Ende einer ersten Veränderungssperre reagieren kann.
Es fällt regelmäßig in die Verantwortungssphäre einer planenden Gemeinde,
sich selbst über die rechtlichen Rahmenbedingungen ihrer Planung
umfassend und früh zu informieren und etwaige eigene Wissenslücken aktiv
durch Einholung von Rechtsrat zu schließen.
OVG Lüneburg 1. Senat, Beschluss vom 10.01.2014, 1 MN 190/13
§ 1 Abs 3 BauGB, § 17 Abs 2 BauGB, § 1a Abs 4 BauGB, § 34 Abs 8 BNatSchG, §
34 Abs 2 BNatSchG
Tenor
Die vom Rat der Antragsgegnerin am 26. September 2013 beschlossene
Satzung über die weitere Verlängerung der Geltungsdauer der
Veränderungssperre für den Bereich des Bebauungsplans Nr. C. der
Antragsgegnerin, Baugebiet: „Südöstlicher Siedlungsrand B.“ wird einstweilen,
d. h. bis zur Entscheidung über seinen Normenkontrollantrag, außer Vollzug
gesetzt.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Normenkontrolleilverfahrens.
Der Streitwert für das Normenkontrolleilverfahren wird auf 26.250,- EUR
festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die 2. Verlängerung
einer Veränderungssperre.
Der Antragsteller ist Eigentümer einer Hofstelle im Außenbereich am östlichen
Stadtrand der Antragsgegnerin. Nachdem er im März 2010 einen Antrag nach
§§ 4, 6 BImSchG auf Errichtung eines Biolegehennenstalles mit 24.000
Stallplätzen gestellt hatte, beschloss die Antragsgegnerin am 7.7.2010 für ein
99 ha großes, die Hofstelle des Antragstellers sowie zwei weitere Höfe
umfassendes Gebiet die Aufstellung des einfachen Bebauungsplans Nr. C.,
Baugebiet „Südöstlicher Siedlungsrand B.“. Als Planungsziele benannte sie die
Eindämmung der Geruchsbelastung im Bereich der benachbarten
Wohnbebauung, den Erhalt und die Stärkung der Funktion des südöstlichen
Siedlungsrandes als Kultur- und Erholungslandschaft sowie die fortgesetzte
Ermöglichung der Tierhaltung im Bereich der vorhandenen Hofstellen,
beschränkt auf eine landwirtschaftliche Betriebsweise i.S.d. § 35 Abs. 1 Nr. 1
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BauGB und unter Ausnutzung der nach dem Stand der Technik möglichen
Minderungspotenziale. Die Planung sicherte sie durch eine am 30.9.2010
beschlossene und am 15.10.2010 bekanntgemachte zweijährige
Veränderungssperre. Unter dem 9.11.2010 lehnte die Antragsgegnerin den
Genehmigungsantrag des Antragstellers unter Berufung auf die
Veränderungssperre ab. Der Antragsteller legte erfolglos Widerspruch ein und
erhob darauf Klage beim Verwaltungsgericht, über die noch nicht entschieden
ist. Der Antragsteller hat mittlerweile seine Planung modifiziert und beabsichtigt
nur noch die Errichtung eines Stalls mit 21.000 Plätzen. Mit Satzung vom
12.7.2012, bekannt gemacht am 15.8.2012, verlängerte die Antragsgegnerin
die Veränderungssperre um ein Jahr.
Im Zeitraum Mai bis Juli 2012 fand die frühzeitige Öffentlichkeits- und
Behördenbeteiligung statt, in deren Rahmen die Antragsgegnerin den
Landkreis D. als untere Naturschutzbehörde namentlich um „vertiefende
Aussagen über die naturschutzrechtliche Vereinbarkeit von Tierhaltung […] an
den drei Hofstandorten […] als Grundlage für meine Abwägung“ bat. In seiner
Stellungnahme vom 13.7.2012 führte der Landkreis zum Thema „Naturschutz
und Forsten“ lediglich aus: „Nordöstlich und östlich der Hofanlage [des
Antragstellers] befinden sich diverse stickstoffgefährdete Biotope. Dies ist in
der weiteren Planung zu berücksichtigen.“ Der Stellungnahme beigefügt war
eine Karte, in der ca. 600 m nördlich der Hofstelle die Grenze des FFH-
Gebietes „E.“ mit diversen landesweit bzw. regional schutzwürdigen
stickstoffgefährdeten Biotopen eingezeichnet war.
In der Folgezeit fertigte die Antragsgegnerin einen Planentwurf, in dem im
Plangebiet drei Sondergebiete nach § 11 BauNVO für Tierhaltung auf
landwirtschaftlichen Hofstellen vorgesehen waren; sie erfassen die
vorhandenen Höfe nebst hofnahen Erweiterungsflächen. Im übrigen
Plangebiet sollen Tierhaltungsanlagen ausgeschlossen sein. Ferner enthält
der Planentwurf weitere die Tierhaltung beschränkende Festsetzungen. In der
Entwurfsbegründung heißt es zu der Stellungnahme des Landkreises, im
Zusammenhang mit dem Genehmigungsantrag des Antragstellers sei eine
Betrachtung der Stickstoffdeposition erfolgt; das Vorhaben sei auch im Hinblick
auf stickstoffgefährdete Biotope genehmigungsfähig. Angesichts dessen sei
davon auszugehen, dass bei Vorhaben, die durch den Bebauungsplan nicht
konkret vorgegeben würden, die Schutzansprüche hinsichtlich der gefährdeten
Biotope eingehalten werden könnten. Der konkrete Nachweis sei in den
jeweiligen Genehmigungsverfahren zu führen. Das als Anlage zur Begründung
genommene Gutachten des Sachverständigenbüros vom 20.9.2012 legt dar,
dass die vom Vorhaben des Antragstellers und seines südlichen Nachbarn
ausgehende Stickstoffdeposition in benachbarten stickstoffempfindlichen
Gebieten unter 4 bzw. 5 kg/(ha x a) liege und daher unter das im zur
Auslegung der TA Luft heranzuziehenden „Leitfaden zur Ermittlung und
Bewertung von Stickstoffeinträgen“ dargestellte „Abschneidekriterium“ falle,
das eine weitere Prüfung entbehrlich mache. Nach einer ebenfalls beigefügten
Stellungnahme des Büros zum Vorhaben des nördlichen Nachbarn des
Antragstellers reduziere sich dort die Stickstoffdeposition durch dessen
Erweiterungspläne, da diese eine Abluftreinigungsanlage vorsähen.
Vom 6.8.2013 bis 6.9.2013 fand die öffentliche Auslegung des Planentwurfs,
ab dem 5.8.2013 die Behördenbeteiligung nach § 4 Abs. 2 BauGB statt. Mit
Schreiben vom 9.9.2013 wies der Landkreis D. darauf hin, dass sich zwei vom
Plan erfasste Höfe - der des Antragstellers und der nördliche Nachbarhof - im
Immissionsbereich des FFH-Gebiets „E.“ befänden. Er verwies auf die
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Beschl. v. 10.11.2009 - 9 B
28.09 -, DVBl. 2010, 176 ff. = NVwZ 2010, 319 = NuR 2010, 190 = UPR 2010,
196; Urt. v. 14.4.2010 - 9 A 5.08 -, BVerwGE 136, 291 = NVwZ 2010, 1225 =
NuR 2010, 558 = ZUR 2010, 478), nach der in FFH-Gebieten
Stickstoffdepositionen bei einer Gesamtbelastung oberhalb der ökologischen
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Belastungsgrenze (Critical Loads, CL) auch dann eine erhebliche
Beeinträchtigung darstellen könnten, wenn die Zusatzbelastung unterhalb der
nach der TA Luft für „normale“ Waldgebiete geltenden Irrelevanzgrenzen läge.
Die Quellen der Gesamtbelastung seien unerheblich. Die Bagatellgrenze für
Zusatzbelastungen liege bei 3% des CL-Wertes. Gleiches gelte hinsichtlich
eines nach § 30 BNatSchG geschützten Biotops südlich des dritten Hofes.
Ferner fehle in der Begründung bzw. im Umweltbericht eine spezielle
artenschutzrechtliche Prüfung (saP). Die Abarbeitung der Eingriffsregelung für
die einzelnen Sondergebiete könne erst auf der Grundlage der Projektplanung
erfolgen, da erst zu diesem Zeitpunkt die zur Beurteilung erforderlichen Daten
vorlägen. Auf eine gemeinsame Besprechung hin modifizierte der Landkreis
seine Stellungnahme mit Schreiben vom 23.9.2013 dahingehend, dass die CL-
Grenzwerte für alle betroffenen Lebensraumtypen (gemeint wohl: deren
Einhaltung bzw. Überschreitung durch die Vor- bzw. zu erwartende
Gesamtbelastung) im Rahmen der FFH-Vorprüfung zu ermitteln seien. Ein
Nachweis sei bei der Bauantragstellung zu erbringen. Auch eine saP sei im
Vorfeld von konkreten Baugenehmigungsverfahren durchzuführen. Eine
unzureichende Umweltprüfung auch mit Blick auf stickstoffempfindliche
Biotope und die FFH-Problematik wird ferner in den im Rahmen der
öffentlichen Auslegung eingegangenen Stellungnahmen des NABU und des
BUND vom 3. bzw. 4.9.2013 gerügt.
In seiner Sitzung am 26.9.2013 beschloss der Rat der Antragsgegnerin
daraufhin eine weitere Verlängerung der Veränderungssperre um ein Jahr. In
der Begründung der Ratsvorlage heißt es hierzu, die bisherigen Aussagen in
der Planbegründung bezögen sich auf die mit dem Bebauungsplan bewirkten
Einschränkungen für die vorhandenen Hofstellen und Erweiterungsflächen,
ohne die rechtliche Zulässigkeit von Tierhaltungsanlagen im Plangebiet
grundsätzlich in Frage zu stellen. Die nunmehr zu beachtenden Forderungen,
die in Bezug auf die naturschutzrechtlichen Belange eine grundsätzliche
Bebaubarkeit der ausgewiesenen Sondergebiete und damit auch das
Planungserfordernis zu belegen hätten, bewirkten einen weitergehenden
Ermittlungsaufwand, der nur durch externe Fachgutachter geleistet werden
könne. Hinzu komme, dass die Ermittlungen teilweise sehr zeitaufwendig
seien. So müsse im Rahmen der artenschutzrechtlichen Prüfung eine
vollständige Vegetationsperiode betrachtet werden. Es sei daher
ausgeschlossen das Verfahren vor Auslaufen der ersten Verlängerung der
Veränderungssperre am 15.10.2013 abzuschließen. Die Satzung wurde am
selben Tag ausgefertigt und im Amtsblatt des Landkreises D. vom 30.9.2013
bekannt gemacht.
Am 14.10.2013 hat der Antragsteller Anträge auf Normenkontrolle und
vorläufigen Rechtsschutz nach § 47 Abs. 6 VwGO gegen die 2. Verlängerung
gestellt. Er meint, die Verlängerung sei offensichtlich rechtswidrig, da keine
besonderen Umstände die weitere Verlängerung erforderten. Der Rat habe die
Verlängerung ausschließlich aufgrund der Forderungen des Landkreises in
der Stellungnahme vom 9.9.2013 beschlossen. Diese seien aber nicht neu
gewesen, sondern hätten lediglich die Forderungen aus der Stellungnahme
vom 13.7.2012 mit wenigen Sätzen vertieft. Wenn die Antragsgegnerin diese
nicht verstanden habe, so liege der Fehler in ihrer Sphäre; sie hätte selbst
ohne den Hinweis des Landkreises Notwendigkeit und Umfang der
Umweltprüfungen kennen müssen. Im Übrigen bedürfe es detaillierter
immissionsschutzrechtlicher Stellungnahmen und Gutachten nicht bereits bei
der Planaufstellung, sondern erst auf der Genehmigungsebene; auch der
Landkreis habe nichts anderes gefordert.
Der Antragsteller beantragt,
die Satzung über die weitere Verlängerung der Geltungsdauer der
Veränderungssperre für den Bereich des Bebauungsplans Nr. C. der
Antragsgegnerin, Baugebiet „Südöstlicher Siedlungsrand B.“ vom
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26.09.2013 außer Vollzug zu setzen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Sie verweist auf die gegenüber herkömmlichen Bauleitplanverfahren
außergewöhnlich komplexe und deshalb schwieriger zu bewältigende
städtebauliche Situation im Spannungsfeld zwischen Interessen der
Landwirtschaft und der benachbarten Wohnbevölkerung, die von beiden
Interessengruppen konfliktträchtig begleitet worden sei. Maßgeblich für die
zweite Verlängerung sei die Stellungnahme des Landkreises vom 9.9.2013
gewesen. Diese habe erstmals die Forderung nach ergänzenden Aussagen
zu den Auswirkungen auf das FFH-Gebiet E. enthalten und die rechtliche
Zulässigkeit von Vorhaben zur Tierhaltung im Plangebiet und damit die
Erforderlichkeit der Planung in Frage gestellt. Aus der Stellungnahme vom
13.7.2012 habe man noch nicht folgern können, dass die grundsätzliche
Bebauung der Hofstellen selbst bei vermindertem Stickstoffeintrag in Frage
stehe, so dass die Aussagen des Büros jedenfalls für das Bauleitplanverfahren
ausreichend gewesen seien und man auf die Nachweispflicht des Bauherrn im
Genehmigungsverfahren habe verweisen können. Zwar habe im Gespräch am
23.9.2013 der Landkreis seine Forderungen reduziert, jedoch weiterhin auf
einer Ermittlung der CL-Grenzwerte für alle Lebensraumtypen im Rahmen des
Bauleitplanverfahrens in einer FFH-Vorprüfung bestanden.
II.
Der zulässige Antrag ist begründet.
Nach § 47 Abs. 6 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige
Anordnung erlassen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus
anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist. Wegen der weitreichenden
Folgen, die die Aussetzung einer Veränderungssperre regelmäßig hat, ist bei
der Prüfung ihrer Voraussetzungen ein strenger Maßstab anzulegen (vgl.
Jäde, UPR 2009, 41). Ein schwerer Nachteil in dem oben genannten Sinn liegt
nur vor, wenn rechtlich geschützte Interessen eines Antragstellers in ganz
besonderem Maße beeinträchtigt oder ihm außergewöhnliche Opfer
abverlangt werden (vgl. Erichsen/Scherzberg, DVBl. 1987, 168, 174 m.w.N.).
Aus „anderen wichtigen Gründen“ ist der Erlass der beantragten einstweiligen
Anordnung erst dann geboten, wenn der Normenkontrollantrag mit großer
Wahrscheinlichkeit Erfolg haben wird (vgl. Senatsbeschl. v. 21.3.1988 - 1 D
6/87 -, BRS 48 Nr. 30 u. v. 30.8.2001 - 1 MN 2456/01 -, NVwZ 2002, 109).
Denn das Gewicht dieser Gründe muss ungefähr dem des schweren Nachteils
entsprechen.
Hier wird der Normenkontrollantrag mit großer Wahrscheinlichkeit Erfolg
haben, da die Voraussetzungen für die zweite Verlängerung der
Veränderungssperre nicht vorliegen.
Nach § 17 Abs. 2 BauGB kann die planende Gemeinde nach einer ersten
Verlängerung der Veränderungssperre die Frist bis zu einem weiteren Jahr
nochmals verlängern, wenn besondere Umstände es erfordern. Besondere
Umstände liegen nur vor, wenn ein Planverfahren durch eine
Ungewöhnlichkeit gekennzeichnet wird, die sich von dem allgemeinen
Rahmen der üblichen städtebaulichen Planungstätigkeit wesentlich abhebt,
mag es sich bei dieser Ungewöhnlichkeit um Besonderheiten des Umfanges,
des Schwierigkeitsgrades oder des Verfahrensablaufes handeln. Notwendig ist
weiterhin ein ursächlicher Zusammenhang; gerade die Ungewöhnlichkeit des
Falles muss ursächlich dafür sein, dass die Aufstellung des Planes mehr als
die übliche Zeit erfordert. Auch das reicht jedoch zur Rechtfertigung einer den
Zeitraum von drei Jahren überschreitenden Veränderungssperre nicht aus.
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Hinzukommen muss vielmehr außerdem noch, dass die jeweilige Gemeinde
die - verzögerungsverursachende - Ungewöhnlichkeit nicht zu vertreten hat.
Vertreten muss eine Gemeinde insoweit jedes ihr vorwerfbare Fehlverhalten,
wobei im Allgemeinen davon ausgegangen werden kann, dass Mängel, die in
der Sphäre der Gemeinde auftreten - z.B. eine zu Verzögerungen führende
Überforderung der mit der Planung beschäftigten Dienstkräfte oder ein sich als
zu umfangreich erweisender Zuschnitt des Plangebietes -, auf ein
Fehlverhalten der Gemeinde zurückzuführen sind. Das ist aber nur eine -
widerlegbare - Regel. Mängel, die in der Sphäre der Gemeinde auftreten,
müssen nicht stets auf ein Fehlverhalten zurückzuführen sein. Kann eine
Gemeinde dartun, dass sie sich im jeweiligen Zeitpunkt objektiv vernünftig
verhalten hat, kann ihr nicht dennoch der Vorwurf eines Fehlverhaltens
gemacht werden (BVerwG, Urt. v. 10.9.1976 - IV C 39.74 -, BVerwGE 51, 121
= NJW 1977, 400 = juris-Rn. 42). Gemessen hieran liegen besondere
Umstände, die die weitere Verlängerung erforderten, nicht vor.
Es spricht einiges dafür, dass das selbst dann gälte, wenn man davon
ausginge, dass erst die Stellungnahmen des Landkreises D. vom 9. und
23.9.2013 der Antragsgegnerin Anlass gaben, die darin geforderten
Untersuchungen anzustellen. Denn ihr wäre es bereits als ein die „besonderen
Umstände“ ausschließendes Fehlverhalten anzurechnen, wenn sie das
Verfahren in einem früheren Stadium ohne Not so zögerlich betrieben hätte,
dass sie auf neue Erkenntnisse im Rahmen der Öffentlichkeits- und
Behördenbeteiligung nach §§ 3 Abs. 2, 4 Abs. 2 BauGB – die nie
auszuschließen sind – nicht mehr innerhalb der vom Gesetzgeber als
regelmäßig hinreichend erachteten Dreijahresfrist reagieren konnte.
Grundsätzlich ist die Gemeinde verpflichtet, ein durch Veränderungssperre
gesichertes Planungsverfahren unter Einsatz ihrer Verwaltungskraft, mit der
notwendigen Umsicht, vorausschauend und in intensiver Bearbeitung zu
betreiben (Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, Stand 100. EL 06/2011, § 17
Rn. 34). Dass dies namentlich im Zeitraum von der Beschlussfassung über die
ursprüngliche Veränderungssperre Ende September 2010 bis zur frühzeitigen
Öffentlichkeitsbeteiligung im Mai 2012 geschehen wäre, ist aus den Akten
nicht ersichtlich. In diesem immerhin gut anderthalbjährigen Zeitraum sind
lediglich einzelne Gespräche mit den drei betroffenen Landwirten über deren
Erweiterungsabsichten dokumentiert, zwischen denen aber teilweise Abstände
von etlichen Monaten liegen; so ist keinerlei planerische Tätigkeit zwischen
Mai und November 2011 dokumentiert. Inwieweit die Antragsgegnerin in dieser
Zeit gleichwohl tätig gewesen ist, ob eine etwaige Untätigkeit auf ein
Einvernehmen mit den durch die Veränderungssperre ausschließlich
belasteten Landwirten zurückging und ob ein konzentrierteres Vorgehen den
Erörterungstermin so weit nach vorne verschoben hätte, dass die vom
Landkreis geforderten Ermittlungen noch innerhalb der Dreijahresfrist hätten
abgeschlossen werden können, kann hier freilich dahinstehen. Denn dem
Antragsteller ist darin zuzustimmen, dass die Entscheidung über die
Erforderlichkeit der vom Landkreis geforderten weiteren Ermittlungen
unabhängig von dessen Stellungnahmen vom 9. und 23.9.2013 bereits zu
einem weitaus früheren Zeitpunkt hätte getroffen werden können.
Die Antragsgegnerin hält es ausweislich der Antragserwiderung und der
Begründung der Ratsvorlage zur Verlängerung der Veränderungssperre
nunmehr für erforderlich, die CL-Grenzwerte für Stickstoffdepositionen für alle
im FFH-Gebiet E. vorhandenen stickstoffempfindlichen Lebensraumtypen im
Rahmen einer FFH-Vorprüfung zu ermitteln; da der Landkreis diese
Grenzwerte in seiner Stellungnahme vom 23.9.2013 bereits genannt hat, meint
sie damit wohl die Ermittlung, ob die Grenzwerte gegenwärtig bzw. unter
Berücksichtigung der geplanten Betriebserweiterungen eingehalten oder
überschritten werden. Sie lässt sich dabei offenbar von der Erwägung leiten,
dass eine Bauleitplanung, die die landwirtschaftliche Tierhaltung beschränken,
gleichzeitig aber auf bestimmten Flächen und unter bestimmten
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Voraussetzungen Erweiterungen zulassen möchte, dann nicht erforderlich
i.S.d. § 1 Abs. 3 BauGB ist, wenn jedes nach dem Plan noch zulässige
Vorhaben im bau- bzw. immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren
als FFH-unverträglich an § 34 Abs. 2 BNatSchG scheitern würde. Ob dieser
rechtliche Ansatzpunkt zutrifft, ist fraglich. Grundsätzlich sind nach § 34 Abs. 8
BNatSchG Einzelvorhaben im Geltungsbereich eines Bebauungsplans von
der FFH-Verträglichkeitsprüfung freigestellt; dafür ist diese gemäß § 1a Abs. 4
BauGB i.V.m. §§ 34, 36 Satz 1 Nr. 2 BNatSchG bereits zwingend auf der
Ebene der Bauleitplanung durchzuführen (sofern eine FFH-Vorprüfung ergibt,
dass deren Ausnutzung geeignet ist, ein FFH-Gebiet erheblich zu
beeinträchtigen); eine Abschichtung in das Genehmigungsverfahren ist,
anders als etwa im Rahmen der artenschutzrechtlichen Prüfung, nicht statthaft.
Umstritten ist allerdings, ob § 34 Abs. 8 BNatSchG auch für
immissionsschutzrechtliche Genehmigungsverfahren gilt und ob er auch im
Geltungsbereich einfacher Bebauungspläne anwendbar ist (vgl. dazu Reidt,
NVwZ 2010, 8 <10 f.>; Krautzberger/Wagner, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg,
BauGB, Stand 109. EL, 06/2013, § 1a Rn. 170, 171a). Dies kann indes
dahinstehen; denn in jedem Fall ist es richtig, dass hier bereits auf der Ebene
der Bauleitplanung, sei es über § 1a Abs. 4 BauGB, sei es über die
Erforderlichkeit nach § 1 Abs. 3 BauGB, die Einhaltung der CL-Grenzwerte für
Stickstoffdepositionen im dem Plan benachbarten FFH-Gebiet von Bedeutung
und somit zu ermitteln war. Zu Recht hat der Landkreis unter Berufung auf die
einschlägige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auch darauf
hingewiesen, dass die Antragsgegnerin es insoweit nicht bei der Aussage des
Sachverständigenbüros Zech belassen durfte, die durch den geplanten
Biolegehennenstall des Antragstellers verursachte Zusatzbelastung liege
unterhalb des „Abschneidekriteriums“ nach der TA Luft i.V.m. dem Leitfaden
zur Ermittlung und Bewertung von Stickstoffeinträgen (vgl. vertiefend
Balla/Müller-Pfannenstiel/Lüttmann/Uhl, NuR 2010, 616).
Um diese rechtlichen Erwägungen anzustellen, war die Antragsgegnerin indes
nicht auf die Stellungnahme des Landkreises angewiesen. Es fällt vielmehr
regelmäßig in die Verantwortungssphäre einer planenden Gemeinde, sich
selbst über die rechtlichen Rahmenbedingungen ihrer Planung umfassend und
frühzeitig zu informieren und etwaige eigene Wissenslücken aktiv durch
Einholung von Rechtsrat zu schließen. Findet die Planung in unmittelbarer
Nachbarschaft eines FFH-Gebietes statt, so schließt dies die Anforderungen,
die an die Abarbeitung der FFH-Problematik zu stellen sind, ein; dass diese
unionsrechtlich determinierte Materie von zahlreichen Besonderheiten
gekennzeichnet ist, die eine genaue rechtliche Prüfung erfordern, muss einer
planenden Gemeinde bekannt sein. Die bloße Durchführung der
Behördenbeteiligung nach § 4 Abs. 2 BauGB erfüllt die Obliegenheit zur
rechtzeitigen Information über die Rechtslage allenfalls dann, wenn sie so
frühzeitig erfolgt, dass etwaige Erkenntnisgewinne noch vor Ablauf der
Dreijahresfrist in das Planungsverfahren eingehen können. Im vorliegenden
Fall hätte es sich spätestens nach Eingang der Stellungnahme des
Landkreises vom 13.7.2012 im Rahmen der frühzeitigen Behördenbeteiligung
angeboten, auf diesen zuzugehen und abzuklären, ob die beabsichtigte
Berufung auf die Aussagen im Zech-Gutachten – die die FFH-Problematik
nicht erwähnen, vielmehr ausschließlich auf Basis der TA Luft und damit zum
BImSchG erfolgen – zur Erledigung der Stellungnahme ausreichte. Verlässt
sich die planende Gemeinde demgegenüber auf eigenes Wissen, so geht es
bei der Prüfung, ob besondere Umstände die Verlängerung einer
Veränderungssperre erfordern, zu ihren Lasten, wenn sie erst in der
Spätphase des Planungsprozesses ihre Rechtsauffassung korrigiert.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertberechnung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG i.V.m.
Nr. 18b, 9c, 3e der regelmäßigen Streitwertannahmen des Senats (NdsVBl.
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2002, 192 =
NordÖR 2002, 197). Der Senat geht dabei davon aus, dass ein Stall für 21.000
Bio-Legehennen eine Stallfläche von 3.500 m² erfordert, was bei einem
Streitwert von 30 €/m² Stallfläche zu einem Gesamtstreitwert für ein
Genehmigungsverfahren von 105.000 € führen würde. Dieser Wert ist für das
Verfahren des Rechtsschutzes gegen eine Veränderungssperre und
nochmals für das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu halbieren,
insgesamt also zu vierteln.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5, 66
Abs. 3 Satz 3 GKG).