Urteil des OVG Niedersachsen vom 07.03.2013

OVG Lüneburg: zahnärztliche behandlung, beihilfe, krankenversicherung, versorgung, überschreitung, niedersachsen, betrug, schwellenwert, krankenkasse, zuschuss

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--- kein Dokumenttitel vorhanden ---
Zur Anrechnung von Leistungen aus der freiwilligen gesetzlichen
Krankenversicherung auf die Beihilfe bei zahnärztlichen Leistungen nach den
Beihilfevorschriften des Bundes (BhV 2001).
OVG Lüneburg 5. Senat, Beschluss vom 07.03.2013, 5 LB 246/12
§ 14 Abs 4 S 1 BhV, § 5 Abs 3 S 1 BhV, § 5 Abs 3 S 2 BhV, § 6 Abs 1 S 1 Nr 1 BhV
Gründe
I.
Der Kläger begehrt weitere Beihilfeleistungen für eine zahnärztliche Behandlung
seiner Ehefrau.
Der Kläger steht als Erster Justizhauptwachtmeister im Dienst des Landes
Niedersachsen. Seine ebenfalls beihilfeberechtigte Ehefrau ist freiwilliges
Mitglied in der gesetzlichen Krankenversicherung.
Unter dem 8. April 20...beantragte der Kläger die Gewährung einer Beihilfe für
die zahnärztliche Versorgung seiner Ehefrau mit Kronen bzw. Brücken. Die
Behandlung fand am 9. Februar 20...statt. Für die Versorgung berechnete die
Zahnärztin einen Betrag in Höhe von 2.747,20 EUR; von diesem Betrag
entfielen 1.168,08 EUR auf das - hinsichtlich aller Positionen den Schwellenwert
des § 5 Abs. 2 Satz 4 GOZ überschreitende - zahnärztliche Honorar und
1.579,12 EUR auf Material- und Laborkosten. Abzüglich des von der
gesetzlichen Krankenversicherung gezahlten Festzuschusses in Höhe von
886,58 EUR belief sich der Rechnungsbetrag auf 1.860,62 EUR.
Die Beklagte bewilligte dem Kläger mit Bescheid vom 11. Mai 20...eine Beihilfe in
Höhe von 285,03 EUR. Dabei berechnete sie den beihilfefähigen Betrag, indem
sie das den Schwellenwert nicht überschreitende Zahnarzthonorar (947,59
EUR) sowie 40 Prozent der Material- und Laborkosten addierte (631,65 EUR)
und von diesem Betrag (1.579,24 EUR) 65 Prozent des Betrages für die
Regelversorgung der gesetzlich Krankenversicherten als (fiktivem)
Festzuschuss abzog (1.157,77 EUR). Der sich ergebende Betrag in Höhe von
421,47 EUR war Grundlage der Bemessung der Beihilfe.
Am 20. Mai 20...erhob der Kläger Widerspruch, mit dem er sich unter anderen
gegen die Nichtberücksichtigung des vollen Zahnarzthonorars aufgrund der
Überschreitung des Schwellenwertes sowie die Art und Weise der Anrechnung
der Krankenkassenleistung wandte. Im Verlauf des Widerspruchsverfahrens
korrigierte die Beklagte mit Änderungsbescheiden vom 5. Juni 20...und vom 10.
Juli 20... ihre Festsetzung, sodass die gezahlte Beihilfe schließlich 411,47 EUR
betrug. Mit Widerspruchsbescheid vom 28. September 20...wies die Beklagte
den Widerspruch im Übrigen zurück.
Der Kläger hat am 2. November 2009 Klage erhoben. Zur Begründung hat er
ausgeführt, dass die behandelnde Zahnärztin die Überschreitung des
Schwellenwertes ausreichend begründet habe, sodass das volle Honorar als
beihilfefähig anzusehen sei. Zudem habe die Beklagte zu Unrecht einen den
tatsächlich gezahlten Krankenkassenzuschuss übersteigenden Betrag
abgesetzt und diesen Betrag ebenfalls zu Unrecht nicht anteilig auf die
beihilfefähigen und die nicht beihilfefähigen Aufwendungen bezogen.
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Der Kläger hat sinngemäß beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung der Beihilfebescheide des
Niedersächsischen Landesamtes für Bezüge und Versorgung vom 11.
Mai 20 , 5. Juni 20...und 10. Juli 20... in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 28. September 20 , soweit sie
entgegenstehen, zu verpflichten, ihm eine weitere Beihilfe auf die
Rechnung Nr. 951 der Zahnärztin B. vom 12. Februar 20...in Höhe von
787,46 EUR zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die angefochtenen Bescheide unter Hinweis auf die Beihilfevorschriften
verteidigt.
Das Verwaltungsgericht hat der Klage stattgegeben. Die Beihilfevorschriften
genügten nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht den
verfassungsrechtlichen Anforderungen. Sie seien zwar für einen
Übergangszeitraum und damit grundsätzlich auch im Fall des Klägers weiter
anzuwenden. Die Beklagte habe es jedoch entgegen Nr. 5.2 der Hinweise zu §
5 Abs. 1 BhV unterlassen, zu der Frage der Überschreitung des
Schwellenwertes eine Stellungnahme der Zahnärztekammer oder ein
Sachverständigengutachten einzuholen. Ihre Entscheidung sei deshalb
rechtswidrig. Eine bloße Verpflichtung zu einer Neubescheidung komme nicht in
Betracht, weil der Übergangszeitraum zum Zeitpunkt einer erneuten
Behördenentscheidung abgelaufen sein werde und es der Landesgesetzgeber
versäumt habe, rechtzeitig eine verfassungskonforme Neuregelung zu schaffen.
Über den Beihilfeantrag sei deshalb allein anhand der Kriterien der
Notwendigkeit und Angemessenheit der ärztlichen Leistungen zu entscheiden.
Das führe dazu, dass der volle Rechnungsbetrag, nur gekürzt um den
tatsächlich gewährten Krankenkassenzuschuss, beihilfefähig sei.
Gegen das Urteil hat die Beklagte die Zulassung der Berufung beantragt. Im
Zulassungsverfahren hat sie mit Schriftsatz vom 13. Januar 20... die
Begründung für die Überschreitung des Schwellenwertes anerkannt und dem
Kläger eine weitere Beihilfe in Höhe von 220,49 EUR bewilligt. Insoweit hat der
Senat das Verfahren mit Beschluss vom 4. September 2012 auf der Grundlage
übereinstimmender Erledigungserklärungen eingestellt und die Berufung im
Übrigen wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des
verwaltungsgerichtlichen Urteils zugelassen.
Die Beklagte ist der Auffassung, die Beihilfe sei nach den fortgeltenden
Beihilfevorschriften zu bemessen. Dass eine fiktive Kassenleistung in Höhe von
65 Prozent des Betrages für die Regelversorgung der gesetzlich
Krankenversicherten anzurechnen sei, folge aus § 5 Abs. 3 Satz 2 BhV. Dabei
handele es sich nicht um den tatsächlich gezahlten Festzuschuss, sondern um
den Maximalbetrag einschließlich möglicher Bonusleistungen. Der sich
ergebende Betrag sei in vollem Umfang auf die beihilfefähigen Aufwendungen
anzurechnen. Aus § 14 Abs. 4 Satz 1 BhV ergebe sich nichts anderes.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Göttingen vom 17. Dezember 2010 -
soweit nicht durch Beschluss des Niedersächsischen
Oberverwaltungsgerichts vom 4. September 2012 für wirkungslos erklärt
- zu ändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
die Berufung zurückzuweisen.
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Er verteidigt das angefochtene Urteil. Ergänzend trägt er vor, aus § 14 Abs. 4
Satz 1 BhV ergebe sich, dass die Leistung der gesetzlichen
Krankenversicherung nur im tatsächlich erbrachten Umfang anzurechnen sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des
Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die Beiakten verwiesen.
II.
Der Senat trifft diese Entscheidung nach Anhörung der Beteiligten durch
Beschluss (§ 130 a Satz 1 VwGO), weil er die Berufung einstimmig für begründet
und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.
Die Berufung der Beklagten ist begründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer weiteren Beihilfe über den
bereits bewilligten Betrag in Höhe von 631,96 EUR hinaus. Der Beihilfebescheid
vom 11. Mai 20...in der Fassung der Änderungsbescheide vom 5. Juni 20...,
vom 10. Juli 20... sowie vom 13. Januar 20... und der Widerspruchsbescheid
vom 28. September 20... sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in
seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Das Urteil des
Verwaltungsgerichts ist deshalb - soweit es fortwirkt - zu ändern und die Klage
abzuweisen.
Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung beihilferechtlicher Streitigkeiten ist
grundsätzlich - und so auch hier - die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des
Entstehens der Aufwendungen, für die Beihilfen beansprucht werden (vgl.
BVerwG, Urteil vom 24.2.2011 - BVerwG 2 C 40.09 -, juris Rn. 7; Nds. OVG,
Beschluss vom 4.1.2012 - 5 LA 82/11 -, juris Rn. 4). Zu diesem Zeitpunkt am 9.
Februar 20... beruhte die Gewährung von Beihilfeleistungen gemäß § 87 c Abs.
1 NBG in der Fassung vom 17. Dezember 2004 (Nds. GVBl. S. 664) auf den
Beihilfevorschriften des Bundes in der Fassung der Bekanntmachung vom 1.
November 2001 (GMBl S. 919) - BhV -, zuletzt geändert durch Rundschreiben
des Bundesministeriums des Innern vom 30. Januar 2004 (GMBl. S. 379). Diese
Vorschriften sind für Aufwendungen, die bis zum Inkrafttreten der
Niedersächsischen Beihilfeverordnung vom 7. November 2011 am 1. Januar
2012 entstanden sind, trotz ihrer Verfassungswidrigkeit weiterhin anwendbar.
Denn der Übergangszeitraum für die Beihilfeansprüche niedersächsischer
Landesbeamter, für den das alte Recht weiter Geltung beansprucht, war auf die
fünfjährige 16. Legislaturperiode des Niedersächsischen Landtags bezogen, die
erst am 18. Februar 2013 abgelaufen ist (vgl. ausführlich Nds. OVG, Beschluss
vom 4.1.2012, a. a. O., Rn. 10 f.).
Legt man dies zugrunde, hat die Beklagte den Beihilfeanspruch des Klägers für
die zahnärztliche Behandlung seiner Ehefrau in vollem Umfang erfüllt. Die noch
streitige Anrechnung der Leistungen der freiwilligen gesetzlichen
Krankenversicherung seiner Ehefrau ist weder der Höhe nach noch hinsichtlich
der Modalitäten der Anrechnung zu beanstanden.
Gemäß § 5 Abs. 3 Satz 1 BhV sind bei Ansprüchen auf Heilfürsorge,
Krankenhilfe, Geldleistung oder Kostenerstattung aufgrund von
Rechtsvorschriften oder arbeitsvertraglichen Vereinbarungen vor Berechnung
der Beihilfe die gewährten Leistungen in voller Höhe von den beihilfefähigen
Aufwendungen abzuziehen. Ergänzend dazu sieht § 5 Abs. 3 Satz 2 BhV vor,
dass bei der Versorgung mit Zahnersatz und Zahnkronen nach Maßgabe der
Anlage 2 65 vom Hundert als gewährte Leistung anzurechnen sind.
Berechnungsgrundlage ist der Betrag, aus dem sich der Zuschuss der
Krankenkasse errechnet. Auf dieser Grundlage hat die Beklagte 65 Prozent der
nach § 57 Abs. 1 Satz 6 und Abs. 2 Satz 6 und 7 SGB V festgesetzten Beträge
für die jeweilige Regelversorgung der gesetzlich Krankenversicherten von den
nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BhV i. V. m. der Anlage 2 beihilfefähigen
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Aufwendungen abgezogen. Der für die Behandlung der Ehefrau des Klägers
relevante Betrag für die Regelversorgung betrug zum Zeitpunkt des Entstehens
der Aufwendungen 1.781,20 EUR; 65 Prozent hiervon entsprechen abgerundet
einem Betrag in Höhe von 1.157,77 EUR. Diesen Betrag hat die Beklagte zu
Recht in Abzug gebracht.
Soweit der Kläger demgegenüber meint, § 5 Abs. 3 Satz 2 BhV werde von § 14
Abs. 4 Satz 1 BhV überlagert, findet diese Auffassung im Gesetz keine Stütze.
Nach § 14 Abs. 4 Satz 1 BhV erhöht sich bei freiwilligen Mitgliedern der
gesetzlichen Krankenversicherung mit der Höhe nach gleichen
Leistungsansprüchen wie Pflichtversicherte der Bemessungssatz auf 100 vom
Hundert der sich nach Anrechnung der Kassenleistung ergebenden
beihilfefähigen Aufwendungen. Die Vorschrift steht nicht in einem
Konkurrenzverhältnis zu § 5 Abs. 3 BhV, sondern ergänzt sie vielmehr. Während
nämlich § 5 Abs. 3 BhV Art und Umfang der Anrechnung der Kassenleistung
abschließend regelt, bestimmt § 14 Abs. 4 Satz 1 BhV, welcher
Beihilfebemessungssatz zugrunde zu legen ist (vgl. VGH BW, Urteil vom
27.6.1990 - 4 S 911/90 -, juris Rn. 21; BayVGH, Beschluss vom 18.7.2006 - 14
ZB 03.710 -, juris Rn. 18; der Sache nach auch BVerwG, Urteil vom 24.11.1988 -
BVerwG 2 C 18.88 -, juris Rn. 17). Das folgt bereits aus dem Wortlaut des § 14
Abs. 4 Satz 1 BhV, der lediglich generalisierend von einer „Anrechnung der
Kassenleistung“ spricht und nicht - wie § 5 Abs. 3 Satz 1 und 2 BhV -
ausdrücklich auf die „gewährten Leistungen“ Bezug nimmt. Auch die
systematische Stellung der Regelung, die sich ausweislich der Überschrift (nur)
mit der „Bemessung der Beihilfen“ und nicht - wie § 5 BhV - mit der
„Beihilfefähigkeit von Aufwendungen“ beschäftigt, spricht entscheidend dafür,
den Regelungsgehalt allein in der Bestimmung des Beihilfebemessungssatzes
zu sehen. Überdies würde die Rechtsansicht des Klägers zu einer nicht zu
rechtfertigenden Privilegierung seiner Ehefrau führen. Hätte sie ihre Zähne
regelmäßig gepflegt und die vorgesehenen Vorsorgeuntersuchungen
nachgewiesen, hätte sich der Festzuschuss der gesetzlichen
Krankenversicherung auf 65 Prozent der nach § 57 Abs. 1 Satz 6 und Abs. 2
Satz 6 und 7 SGB V festgesetzten Beträge für die jeweilige Regelversorgung
erhöht. Dass sie dies nicht getan und deshalb einen geringeren Festzuschuss
erhalten hat, führt nicht dazu, dass das Land Niedersachsen gehalten ist, den
auf ihrem eigenen Verhalten beruhenden Nachteil auszugleichen.
Zu Unrecht meint der Kläger schließlich, der Abzug der Kassenleistung dürfe nur
anteilig im Verhältnis der beihilfefähigen Aufwendungen zu den
Gesamtaufwendungen erfolgen. § 5 Abs. 3 Satz 2 i. V. m. Satz 1 BhV sieht
vielmehr vor, dass der Abzug der Kassenleistung von den beihilfefähigen
Aufwendungen in voller Höhe erfolgt. Für eine nur anteilige Berücksichtigung
gibt es in den Beihilfevorschriften keinen Anhaltspunkt. Im Gegenteil führte eine
anteilige Berücksichtigung dazu, dass der Kläger im Ergebnis - wie er in seinem
Schriftsatz vom 12.11.20...selbst vorrechnet - mehr als 100 Prozent der dem
Grunde nach beihilfefähigen Aufwendungen in Höhe von 1.799,73 EUR von der
gesetzlichen Krankenversicherung und der Beihilfe erstattet erhielte. Eine derart
weitgehende Erstattung sieht das Beihilferecht nicht vor (vgl. BVerwG, Urteil vom
14.3.1991 - BVerwG 2 C 44.88 -, juris Rn. 15).