Urteil des OVG Niedersachsen vom 29.09.2014

OVG Lüneburg: anerkennung des urteils, scheidungsurteil, ausländisches urteil, botschaft, überprüfung, indien, haus, unrichtigkeit, ausnahme, einzelrichter

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Anspruch auf Berichtigung des Familienstandes im
Melderegister
1. Ein in Deutschland lebender ausländischer Staatsangehöriger hat einen
Anspruch auf Berichtigung seines Familienstandes im Melderegister von
verheiratet in geschieden, wenn er die Scheidung durch Vorlage eines
wirksamen ausländischen Scheidungsurteils nachweist.
2. Das ausländische Scheidungsurteil ist anzuerkennen, wenn
Anerkennungshindernisse nach § 109 Abs. 1 FamFG nicht vorliegen; eine
inhaltliche Überprüfung des Urteils findet nicht statt.
OVG Lüneburg 11. Senat, Urteil vom 29.09.2014, 11 LB 203/14
§ 107 FamFG, § 109 Abs 1 FamFG, § 25 Abs 1 S 1 MeldeG ND, § 328 ZPO
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts
Oldenburg - Einzelrichter der 1. Kammer - vom 20. Februar 2014 geändert.
Die Beklagte wird unter Aufhebung ihres Bescheides vom 16. Juli 2013
verpflichtet, die Eintragung des Familienstandes des Klägers im Melderegister
in „geschieden“ zu ändern.
Die Beklagte trägt die Kosten des gesamten Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann
die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren
Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in derselben
Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Verpflichtung der Beklagten, die Eintragung seines
Familienstandes im Melderegister von “verheiratet“ in “geschieden“ zu ändern.
Der Kläger, der indischer Staatsangehöriger ist und bereits seit längerer Zeit in
Deutschland lebt, beabsichtigt, die indische Staatsangehörige B. C. zu
heiraten. Im Standesamt der Beklagten bat er um Eintragung seines
Familienstandes „geschieden“ in das Melderegister und legte zum Nachweis
seiner 2005 in Indien geschlossenen und 2012 ebenfalls in Indien
geschiedenen Ehe mit Frau D. C. eine Heiratsurkunde sowie ein
Scheidungsurteil des High Court of Punjab and Haryana at Chandigarh vom
19. Oktober 2012 (FAO Nr. M-259 von 2011) vor. Der Beklagte übersandte
diese Unterlagen der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in New Delhi
zur Überprüfung. Diese teilte mit Schreiben vom 27. Juni 2013 mit, dass der
Kläger und Frau D. C. 2005 offiziell in Indien geheiratet haben, nachdem ihre
bereits 1985 erfolgte Eheschließung wegen Bigamie nichtig gewesen sei. Das
Scheidungsurteil sei formell echt, aber inhaltlich falsch und wahrscheinlich
unter Täuschung des Gerichts und Falschangaben erschlichen worden. Frau
D. C. habe zunächst versucht, ein Scheidungsurteil beim eigentlich
zuständigen Amtsgericht in Kapurthala zu erlangen. Nachdem dies abgelehnt
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worden sei, habe sie das nächsthöhere Gericht angerufen, das entschieden
habe, ohne zuständig zu sein. Frau C. habe das Gericht über ihre
Wohnanschrift getäuscht, da sie nicht wie angegeben im elterlichen Dorf,
sondern seit der religiösen Trauung 1985 mit ihren Kindern im Dorf der
Schwiegereltern im Haus ihres Mannes lebe. Zudem wisse niemand von einer
Scheidung bzw. familiären Problemen, obwohl sich in Nordindien das
gesellschaftliche Leben in aller Öffentlichkeit abspiele. Unstimmig sei auch die
Aussage des Klägers, dass er sein Haus im Rahmen der Scheidung seiner
Ehefrau überlassen habe. Dies stehe in Widerspruch zum Inhalt des Urteils,
wonach es keine einvernehmlichen Scheidungsverhandlungen gegeben
habe. Traditionell kehrten die geschiedenen Ehefrauen in Nordindien immer zu
ihren eigenen Eltern zurück.
Das Standesamt der Beklagten teilte dem Kläger mit Schreiben vom 27. Juni
2013 das Ergebnis der Überprüfung des Scheidungsurteils durch die
Deutsche Botschaft in New Delhi mit und wies darauf hin, dass er weiterhin
verheiratet sei und einer Eheschließung mit Frau B. C. daher das Eheverbot
der Doppelehe entgegenstehe. Im Hinblick auf die begehrte Eintragung des
Familienstandes in das Melderegister werde der Vorgang an das zuständige
Meldeamt weitergegeben.
Mit Bescheid vom 16. Juli 2013 lehnte die Beklagte das Begehren des Klägers
auf Ein-tragung des Familienstandes „geschieden“ im Melderegister ab und
verwies zur Begründung auf die Ergebnisse der Überprüfung des
Scheidungsurteils durch die Deutsche Botschaft in New Delhi.
Der Kläger hat am 19. August 2013 gegen den Bescheid der Beklagten Klage
erhoben und geltend gemacht, dass er bisher im Melderegister als
„geschieden“ geführt worden sei. Die Beklagte habe das Melderegister von
Amts wegen geändert, weil er angeblich doch nicht geschieden sei. Diese
Einschätzung sei unzutreffend. Die Frage der Anerkennung ausländischer
Ehescheidungen sei nach den Vorschriften der §§ 107 ff. FamFG zu
beurteilen. Die Anerkennungsvoraussetzungen nach § 109 FamFG seien
gegeben. Insbesondere lägen keine Anerkennungshindernisse vor.
Entscheidend sei insoweit, dass das vorgelegte indische Scheidungsurteil
formal echt sei. Eine inhaltliche Überprüfung des ausländischen
Scheidungsurteils - wie sie die Beklagte unter Einschaltung der Deutschen
Botschaft in New Delhi vorgenommen habe - sei in § 109 Abs. 5 FamFG
gerade nicht vorgesehen.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 16. Juli 2013 zu
verpflichten, die Eintragung seines Familienstandes im Melderegister
in „geschieden“ zu ändern.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat erwidert, dass das Melderecht nach der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts nur Ordnungsaufgaben erfülle, die im
Wesentlichen im öffentlichen Interesse lägen und den Einzelnen allenfalls
geringfügig berührten. Der Kläger könne mit dem vorliegenden
melderechtlichen Verfahren nicht die Voraussetzungen für eine Eheschließung
nachweisen. Zur Entscheidung darüber sei allein das zuständige Amtsgericht
berufen. Zudem stehe dem Kläger ein Anspruch auf Berichtigung des
Melderegisters auch nicht zu, da er nicht habe nachweisen können, dass das
Melderegister unrichtig sei.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 20. Februar 2014
abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der Kläger habe nicht
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hinreichend belegt, dass der im Melderegister eingetragene Familienstand
“verheiratet“ unrichtig sei. Eine Unrichtigkeit des Melderegisters sei nicht
bereits deshalb anzunehmen, weil der Kläger ein „formal echtes“
Scheidungsurteil eines indischen Gerichts vorgelegt habe. Die Vorschriften der
§§ 107 ff. FamFG seien nicht anwendbar. Die Meldebehörden hätten vielmehr
nach § 24 VwVfG im Wege einer umfassenden Ermittlung und Würdigung des
Sachverhalts alle Umstände zu ermitteln und in den Blick zu nehmen, die für
die Beurteilung der Richtigkeit oder Unrichtigkeit von Eintragungen relevant
sein könnten. Die im Überprüfungsverfahren eingeschaltete Deutsche
Botschaft in New Delhi habe ausweislich ihrer Stellungnahme vom 27. Juni
2013 aufgrund intensiver Vorortermittlungen festgestellt, dass das vorgelegte
Scheidungsurteil zwar in formeller Hinsicht echt, inhaltlich aber unrichtig sei. So
sei das Scheidungsurteil von einem unzuständigen Gericht erlassen worden.
Inhaltlich habe die Ehefrau des Klägers über ihre Wohnanschrift getäuscht,
indem sie angegeben habe, im elterlichen Dorf zu leben und von ihrem
Ehemann, dem Kläger, verlassen worden zu sein. Sie lebe aber seit ihrer
religiösen Eheschließung 1985 im schwiegerelterlichen Dorf im Hause ihres
Ehemannes. Zudem sei in ihrem Heimatort nichts von einer Scheidung oder
Eheproblemen bekannt. In ihrem indischen Umfeld würden der Kläger und sie
nach wie vor als verheiratet angesehen werden. Aufgrund dieser Ermittlungen
verblieben nicht unerhebliche Zweifel daran, dass der Kläger tatsächlich
geschieden sei, so dass ein Anspruch auf Änderung des Melderegisters nicht
bestehe.
Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers, die der Senat mit Beschluss
vom 11. August 2014 (11 LA 60/14) wegen ernstlicher Zweifel an der
Richtigkeit des angefochtenen Urteils zugelassen hat.
Zur Begründung seiner Berufung wiederholt der Kläger im Wesentlichen sein
Vorbringen aus dem erstinstanzlichen Verfahren und dem
Zulassungsverfahren.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg - Einzelrichter der 1.
Kammer - vom 20. Februar 2014 zu ändern und die Beklagte unter
Aufhebung ihres Bescheides vom 16. Juli 2013 zu verpflichten, die
Eintragung des Familienstandes des Klägers im Melderegister in
„geschieden“ zu ändern.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie macht geltend, dass nicht in allen Fällen die Vorlage eines Urteils zur
Begründung eines Anspruchs auf Berichtigung des Melderegisters ausreiche.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des
Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte sowie auf die beigezogenen
Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung des Klägers, über die im Einverständnis der Beteiligten
nach § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entschieden werden
kann, ist begründet.
Der Kläger hat gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf Änderung der
Eintragung seines Familienstandes im Melderegister von “verheiratet“ in
“geschieden“. Der Bescheid der Beklagten vom 16. Juli 2013 ist daher
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rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.
Nach § 25 Abs. 1 Satz 1 Nds. Meldegesetz (NMG) hat die Meldebehörde das
Melderegister von Amts wegen oder auf Antrag der betroffenen Person zu
berichtigen oder zu ergänzen, wenn es unrichtig oder unvollständig ist. Der
Familienstand des Klägers ist im Melderegister der Beklagten mit „verheiratet“
eingetragen, obwohl der Kläger hinreichend nachgewiesen hat, geschieden zu
sein.
Der Kläger hat zum Nachweis der Scheidung von seiner in Indien lebenden
Ehefrau, die wie er die indische Staatsangehörigkeit besitzt, ein
Scheidungsurteil des High Court of Punjab and Haryanaat at Chandigarh vom
19. Oktober 2012 vorgelegt, welches nach der Stellungnahme der Botschaft
der Bundesrepublik Deutschland in New Delhi vom 27. Juni 2013 formell echt
ist. Die Anerkennung ausländischer Urteile richtet sich im
verwaltungsgerichtlichen Verfahren grundsätzlich nach § 173 Satz 1 VwGO
i.V.m. § 328 ZPO. Für die Anerkennung ausländischer Entscheidungen in
Ehesachen trifft § 107 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen
und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit - FamFG - eine
Sonderregelung, die § 328 ZPO auch im Verwaltungsprozess vorgeht (vgl.
BVerwG, Urt. v. 29.11.2012 - BVerwG 10 C 4.12 -, juris, Rn. 19). Nach § 107
Abs. 1 Satz 1 FamFG werden ausländische Entscheidungen in Ehesachen
nur anerkannt, wenn dies durch eine Landesjustizverwaltung festgestellt
wurde. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz sieht § 107 Abs. 1 Satz 2
FamFG für den Fall vor, dass ein Gericht des Staates entschieden hat, dem
beide Ehegatten zur Zeit der Entscheidung angehört haben. Hier bedarf es
keiner Feststellung durch die Landesjustizverwaltung. Vielmehr prüft das
jeweils befasste Gericht oder die deutsche Behörde innerhalb der zu
entscheidenden Angelegenheit, bei der es um die Anerkennung einer
ausländischen Entscheidung geht, ob die Voraussetzungen einer
Anerkennung vorliegen (Musielak/Borth, FamFG, § 107, Rn. 8). Diese sog.
Heimatstaatklausel ist hier anwendbar, da der Kläger und seine Ehefrau beide
indische Staatsangehörige sind und die Scheidung von einem indischen
Gericht ausgesprochen wurde.
Anerkennungshindernisse nach § 109 Abs. 1 FamFG liegen ersichtlich nicht
vor. Insbesondere greift nicht § 109 Abs. 1 Nr. 1 FamFG ein, wonach die
Anerkennung einer ausländischen Entscheidung ausgeschlossen ist, wenn
die Gerichte des anderen Staates nach deutschem Recht nicht zuständig sind.
Diese Vorschrift betrifft allein die internationale Zuständigkeit. Nach der danach
vorzunehmenden spiegelbildlichen Prüfung ist die internationale Zuständigkeit
des ausländischen Gerichts, das die Entscheidung erlassen hat, auf der
Grundlage der deutschen internationalen Zuständigkeit festzustellen. Nach §
98 Abs. 1 Nr. 1 FamFG sind die deutschen Gerichte für Ehesachen zuständig,
wenn ein Ehegatte Deutscher ist oder bei der Eheschließung war.
Entsprechend dieser Regelung ist ein ausländisches Urteil dann
anzuerkennen, wenn ein Ehegatte Staatsangehöriger des Staates ist, dessen
Gericht die Entscheidung getroffen hat. Da hier ein indisches Gericht die
Scheidung von indischen Staatsangehörigen ausgesprochen hat, ist dessen
internationale Zuständigkeit unzweifelhaft gegeben.
Ob dieses Gericht nach indischem Recht für die Entscheidung zuständig
gewesen ist, spielt für die Anerkennung des Urteils keine Rolle. Maßgebend ist
allein, dass die Entscheidung wirksam, d.h. nicht nichtig oder unwirksam ist.
Eine lediglich anfechtbare Entscheidung steht der Anerkennung so lange nicht
entgegen, bis diese aufgehoben wird (Musielak/Borth, FamFG, § 107, Rn. 8).
Ebenso wenig kommt es für die Anerkennung darauf an, ob das Urteil inhaltlich
falsch ist. Die Richtigkeit der ausländischen Entscheidung ist inhaltlich nicht zu
überprüfen. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz gilt nach § 109 Abs. 1 Nr.
4 FamFG nur dann, wenn die Anerkennung der ausländischen Entscheidung
zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen
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Rechts und insbesondere mit den Grundrechten unvereinbar
ist. Anhaltspunkte für das Vorliegen eines derartigen Ausnahmefalls sind hier
nicht erkennbar.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.
V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht
vor.