Urteil des OVG Niedersachsen vom 29.09.2014

OVG Lüneburg: videoüberwachung, gebäude, mieter, neubau, kellergeschoss, einwilligung, betroffene person, zivilrechtliche ansprüche, berechtigter, beschränkung

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Vereinbarkeit der Videoüberwachung des
Eingangsbereiches und der Treppenaufgänge eines
privaten Bürogebäudes mit datenschutzrechtlichen
Vorschriften
1. Der Eingangsbereich und die Treppenaufgänge zu Geschäftsräumen
eines Bürogebäudes sind öffentlich zugängliche Räume im Sinn des § 6b
Abs. 1 BDSG.
2. Die Videoüberwachung des Eingangsbereichs und der Treppenaufgänge
zu den Geschäftsräumen eines Bürogebäudes durch festinstallierte Mini-
dome-Kameras ohne Zoom-Funktion und die kurzfristige Speicherung der
Aufnahmen im sogenannten black-box-Verfahren kann zur Wahrnehmung
berechtigter Interessen - hier zur Verhinderung von Straftaten - nach § 6b
Abs. 1 Nr. 3 BDSG erforderlich sein.
OVG Lüneburg 11. Senat, Urteil vom 29.09.2014, 11 LC 114/13
§ 1 Abs 2 Nr 3 BDSG, § 2 Abs 4 S 1 BDSG, § 3 Abs 7 BDSG, § 3 Abs 2 BDSG, § 3
Abs 1 BDSG, § 38 Abs 6 BDSG, § 38 Abs 5 BDSG, § 4a Abs 1 BDSG, § 4e S 1 Nr 4
BDSG, § 6b Abs 5 BDSG, § 6b Abs 3 BDSG, § 6b Abs 2 BDSG, § 6b Abs 1 BDSG, §
22 Abs 1 S 1 DSG ND
Tenor
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts
Oldenburg - 1. Kammer - vom 12. März 2013 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann
die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren
Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in derselben
Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der beklagte Landesbeauftragte für den Datenschutz Niedersachsen wendet
sich mit seiner Berufung dagegen, dass das Verwaltungsgericht die von ihm
gegenüber der Klägerin verfügte Ausschaltung der Videokameras der Klägerin
sowie die Löschung der auf dem Videoserver gespeicherten Videobilder als
rechtswidrig angesehen hat.
Die Klägerin ist Eigentümerin und Verwalterin eines mehrgeschossigen
Bürogebäudes (bestehend aus Alt- und Neubau mit jeweils einem Eingang) in
D., E.straße, in dem sich unter anderem ihr Verwaltungssitz befindet. Die
übrigen in dem Gebäude befindlichen Büros sind an Rechtsanwälte,
Steuerberater und Wirtschaftsprüfer, Unternehmensberater sowie an eine
Förderbank (G.) und andere Unternehmen (insgesamt 13) vermietet. Im
Kellergeschoss befinden sich Lagerräume und Räume für Infrastruktur
(Serverräume) sowie ein Getränkeautomat; dort befanden sich in der
Vergangenheit zeitweise auch mehrere Stühle. Wohnräume gibt es in dem
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Gebäude nicht.
Nachdem am 16. Dezember 2009 aus dem Büro der im Erdgeschoss des
Altbaus befindlichen Steuerberatungskanzlei H. und Partner sechs Notebooks
gestohlen worden waren, brachte die Klägerin Anfang 2010 deshalb und
wegen vorangegangener drei Fälle von Graffiti-Vandalismus zehn
Videokameras an: im Einzelnen in den beiden Eingangsbereichen des Altbaus
und des Neubaus (2), in dem ersten und zweiten Obergeschoss (OG) des
Altbaus und des Neubaus (jeweils 1, insgesamt 4), in dem dritten
Obergeschoss des Neubaus (1), im Vorraum des Treppenhauses im
Kellergeschoss (KG) des Altbaus (1) und in den beiden dort befindlichen
Serverräumen (jeweils 1). Eine weitere zunächst im Eingangsbereich zu den
Büroräumen der G. installierte Kamera wurde auf Verlangen dieser Bank
bereits im August 2010 deinstalliert. Die Kameras werden im sogenannten
black box-Verfahren als Mini-dome-Videokameras betrieben, die fest installiert
und fest auf einen Sichtbereich ohne Zoom-Funktion ausgerichtet sind. Sie
schalten sich (nur) bei Bewegungen im Treppenhaus automatisch ein. Die
Aufnahmen werden auf einer Festplatte gespeichert und automatisch
überschrieben, d. h. gelöscht, wenn kein Bedarf mehr für Sichtung besteht,
spätestens nach 10 Tagen. Die Videoaufnahmen können bei Bedarf auf PC-
Monitore übertragen werden. Passwortgesicherten Zugang haben lediglich
das Unternehmen, das die Videoanlage installiert hat, und ein von der Klägerin
bestellter betrieblicher Datenschutzbeauftragter. Hinweisschilder an den
beiden Eingangstüren des Gebäudes weisen in Textform und mittels eines
Symbols auf die Videoüberwachung hin und benennen die verantwortliche
Stelle.
Nachdem dem Beklagten die Installation der Kameras bekannt geworden war,
entwickelte sich zwischen den Beteiligten ein Schriftverkehr zur
Funktionsbeschreibung und zur rechtlichen Grundlage für die
Videoüberwachung. Im Mai 2011 fand eine Kontrolle durch den Beklagten im
Bürogebäude statt, ohne dass eine einvernehmliche Lösung gefunden werden
konnte.
Daher forderte der Beklagte die Klägerin mit der streitgegenständlichen
Verfügung vom 19. Oktober 2011 auf der Grundlage von § 38 Abs. 5 Satz 1
BDSG unter Androhung eines Zwangsgeldes in Höhe von 1.000 EUR auf, die
sieben Videoüberwachungskameras (mit den internen Bezeichnungen: 1. OG
Altbau, 2. OG Altbau, Eingang Neubau, 1. OG Neubau, 2. OG Neubau, 3. OG
Neubau und KG Treppe) auszuschalten und zu deinstallieren, die im Bereich
des Eingangs der Steuerberatungskanzlei betriebene
Videoüberwachungskamera (interne Bezeichnung: Eingang Altbau)
auszuschalten sowie die auf dem Videoserver gespeicherten Videobilder der
vorgenannten Kameras zu löschen. Zur Begründung führte er im Wesentlichen
an, die Anlage verstoße gegen § 4 Abs. 1 BDSG, da weder eine Einwilligung
der Betroffenen noch die Voraussetzungen des § 6b BDSG gegeben seien.
Als Rechtfertigung der Videoüberwachung komme das Hausrecht der Klägerin
nicht in Betracht. Es fehle mit Blick auf die vorgetragenen Anlässe des
Diebstahls und der Graffitis insgesamt an der Geeignetheit und Erforderlichkeit
der Anlage gerade für die Klägerin als Vermieterin des Gebäudes, sodass nur
die Abschaltung und Deinstallation der sieben Kameras im Treppenhaus
ermessensgerecht und verhältnismäßig sei. Hinsichtlich der Kamera im
Eingangsbereich des Altbaus sei zurzeit hingegen lediglich der weitere Betrieb
zu untersagen, nicht aber die Deinstallation anzuordnen. Denn es könne nicht
ausgeschlossen werden, dass angesichts des Diebstahls der Notebooks der
Betrieb dieser Kamera durch die Steuerberatungskanzlei als Mieterin
datenschutzrechtlich zulässig sei.
Hiergegen hat die Klägerin Klage erhoben, zu deren Begründung sie unter
Vorlage der von ihr eingeholten gutachterlichen Stellungnahme von Prof. Dr. J.
I. vom 6. Oktober 2011 im Wesentlichen geltend gemacht hat, dass die von
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dem Beklagten verfügten Maßnahmen nicht von der Ermächtigung des § 38
Abs. 5 Satz 1 BDSG gedeckt seien. Bis auf die G. seien alle Mieter des
Bürogebäudes mit der Videoüberwachung einverstanden. Ein Verstoß gegen
§ 6b BDSG liege nicht vor. Nach Geschäftsschluss sei das gesamte Gebäude
nicht mehr öffentlich zugänglich. Auch während der Öffnungszeiten seien
keine Persönlichkeitsrechte von Besuchern oder Mitarbeitern verletzt. Von der
Videoüberwachung werde nur ein sehr beschränkter Personenkreis betroffen,
der sich nur kurz dort aufhalte. Die Videoüberwachung sei zur Wahrnehmung
des Hausrechts und zur Wahrung berechtigter Interessen für konkret
festgelegte Zwecke erforderlich. Es sei bereits zu Diebstählen gekommen, vor
denen die Mieter geschützt werden müssten. Das Kellergeschoss sei nicht
öffentlich zugänglich und solle von Besuchern nicht aufgesucht werden. Das
black box-Verfahren sei ein sehr schonendes Überwachungsverfahren. Die
streitgegenständlichen Maßnahmen des Beklagten seien unverhältnismäßig.
Dieser hätte geringere Eingriffe, etwa die zeitliche Beschränkung der
Videoüberwachung wählen können und müssen. Er habe sein Ermessen
falsch ausgeübt.
Die Klägerin hat beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 19. Oktober 2011 aufzuheben.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen,
und zur Begründung ausgeführt, dass die Eingriffsvoraussetzungen des § 38
Abs. 5 Satz 1 BDSG gegeben seien und er sein Ermessen fehlerfrei ausgeübt
habe.
Mit Urteil vom 12. März 2013 (juris), auf das wegen der Einzelheiten verwiesen
wird, hat das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid des Beklagten
aufgehoben und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, zum einen sei
die Beseitigung der Kameras als technische Einrichtung von der allein in
Betracht kommenden Rechtsgrundlage des § 38 Abs. 5 Sätze 1 und 2 BDSG
nicht als Rechtsfolge vorgesehen. In inaktivem Zustand seien die
ausgeschalteten Kameras als sogenannte Dummies nicht rechtswidrig, weil
ein „Beobachten“ im Sinne des § 6b BDSG nicht gegeben sei und mithin Daten
nicht erhoben würden. Etwaige Abwehransprüche, die sich aus einem durch
nicht eingeschaltete oder funktionsunfähige Kameras erzeugten unzulässigen
Überwachungsdruck ergeben könnten, seien von den direkt Betroffenen
zivilrechtlich durchzusetzen. Zum anderen könne das Gebot, die installierten
Kameras zeitlich unbeschränkt abzuschalten, nicht aufrechterhalten werden.
Zwar sei eine Untersagung der Benutzung von Videokameras grundsätzlich
durch die Ermächtigungsgrundlage des § 38 Abs. 5 in Verbindung mit § 6b
Abs. 1 BDSG gedeckt. Diese Ermächtigungsgrundlage biete nur die
Grundlage für die Untersagung von Videoaufnahmen in öffentlich
zugänglichen Räumen. Die Treppenaufgänge im Bürogebäude der Klägerin
seien nur während der üblichen Öffnungszeiten der vermieteten Büros als
öffentlich zugänglich anzusehen, nicht aber außerhalb dieser Zeiten. Folge
dessen sei die vollständige Aufhebung des uneingeschränkt verfügten
Nutzungsverbotes der Kameras, da die erforderliche Ermessensausübung
allein dem Beklagten als zuständiger Aufsichtsbehörde vorbehalten sei und
nicht durch das Gericht erfolgen könne. Das Nutzungsverbot auch für Zeiten
der nicht öffentlichen Zugänglichkeit der Treppenaufgänge lasse sich nicht auf
§ 38 Abs. 5 in Verbindung mit § 28 BDSG stützen, da die Videoüberwachung
nicht unter den Regelungsbereich der letzteren Vorschrift falle, die allein die
Verarbeitung von Daten über Personen in Erfüllung eigener Geschäftszwecke
zum Gegenstand habe. Da das Gebot, die gespeicherten Bilder der
Videoüberwachung zu löschen, als unselbständige Folge des
Aufnahmeverbots ausgesprochen worden sei, sich ein zeitlich unbeschränktes
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Aufnahmeverbot aus den datenschutzrechtlichen Bestimmungen indes nicht
herleiten lasse, könne schließlich die von dem Beklagten verfügte Löschung
der legal möglichen Aufnahmen nicht verlangt werden. Auf die
Erlaubnisvoraussetzungen des § 6b Abs. 1 BDSG komme es im Ergebnis
nicht an.
Gegen dieses Urteil hat der Beklagte die von dem Verwaltungsgericht
zugelassene Berufung eingelegt, soweit die Klägerin die mit dem
streitgegenständlichen Bescheid verfügte Ausschaltung der acht
Videokameras sowie die Löschung der gespeicherten Bilder angefochten hat.
Zur Begründung seiner derart eingeschränkten Berufung trägt der Beklagte
vor, der Streitgegenstand sei entgegen der Ansicht der Klägerin teilbar, sodass
seine eingeschränkte Berufung nicht unzulässig sei. In der Sache weist er
darauf hin, dass die Frage der datenschutzrechtlichen Zulässigkeit der
Videoüberwachung in nicht öffentlich zugänglichen Räumlichkeiten entgegen
der Ansicht des Verwaltungsgerichts dem Anwendungsbereich des
Bundesdatenschutzgesetzes unterfalle. Aus §§ 1 Abs. 1 und 4 Abs. 1 BDSG
lasse sich der Grundsatz herleiten, dass auch die Videoüberwachung in
derartigen Räumen nur aufgrund einer datenschutzrechtlichen Erlaubnisnorm
zulässig sei, an der es hier fehle. Außerhalb der Öffnungszeiten komme
lediglich § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BDSG in Betracht, dessen Voraussetzungen
selbst das Verwaltungsgericht im Ergebnis nicht für gegeben halte. Der Betrieb
der Videokameras während der Geschäftszeiten der Mieter der Klägerin sei
nur nach Maßgabe des § 6b BDSG zulässig, dessen Voraussetzungen
ebenfalls nicht erfüllt seien. Wegen des daher insgesamt unerlaubten Betriebs
der Videoüberwachungsanlage sei die Löschung der auf dem Videoserver der
Klägerin gespeicherten Daten gemäß §§ 35 Abs. 5 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BDSG
zu Recht angeordnet worden. Angesichts einer fehlenden Alternative zur
Unterbindung des Betriebs der Kameras sei sein Ermessen auf Null reduziert.
Der Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen, soweit
die Klägerin die mit Bescheid vom 19. Oktober 2011 verfügte
Ausschaltung der Videokameras sowie die Löschung der auf dem
Videoserver gespeicherten Videobilder angefochten hat.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zu verwerfen,
hilfsweise die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung ihres Hauptantrages trägt sie vor, die Beschränkung der
Berufung sei nicht zulässig, weil sich die Ermessenserwägungen des
Beklagten auf den gesamten Regelungsgehalt des angefochtenen
Bescheides bezögen und der Streitgegenstand deshalb nicht teilbar sei. Im
Übrigen verteidigt die Klägerin das angefochtene Urteil und hebt hervor, dass
die Vorschrift des § 28 BDSG durch § 6b BDSG als eng auszulegende und
nicht analogiefähige speziellere Norm verdrängt werde, sodass die
Videoüberwachung im öffentlich zugänglichen Bereich (Eingangsbereiche im
Erdgeschoss und in den Obergeschossen) nicht an der erstgenannten Norm
zu messen sei. Die Zulässigkeit der Videoüberwachung im nicht öffentlichen
Bereich (Kellervorraum) unterfalle nicht dem Regime des
Bundesdatenschutzgesetzes, sondern bedürfe einer bereichsspezifischen
Normierung, an der es hier fehle. Soweit durch eine derartige Überwachung
die Rechte Dritter betroffen seien, handele es sich um nach den allgemeinen
Regelungen zu beurteilende Eingriffe in Persönlichkeitsrechte, die lediglich
zivilrechtliche Ansprüche der Betroffenen sowie im Einzelfall gegebenenfalls
auch ein auf die polizeirechtliche Generalklausel gestütztes Eingreifen der
Polizeibehörden nach sich zögen. Ungeachtet dessen seien die
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Voraussetzungen des § 6b BDSG und des
§ 28 Abs. 1 Nr. 2 BDSG gegeben, da die Videoüberwachung sowohl während
als auch außerhalb der Geschäfts- und Öffnungszeiten ihrer Mieter zur
Wahrung ihres, der Klägerin, Hausrechts und ihrer berechtigten Interessen als
Eigentümerin und Verwalterin des Bürogebäudes erforderlich sei und
schutzwürdige Interessen Betroffener nicht überwögen. Zudem habe der
Beklagte sein ihm nach § 38 Abs. 5 Satz 1 BDSG zustehendes Ermessen
sowohl in formeller als auch in inhaltlicher Hinsicht nicht ordnungsgemäß
ausgeübt. Die Ermessenserwägungen, die dieser für den Erlass des
angefochtenen Bescheides insgesamt angestellt habe, könnten nicht ohne
Weiteres auf den Teil des Verwaltungsakts, der nunmehr allein Gegenstand
des Berufungsverfahrens sei, bezogen werden. In der Sache habe der
Beklagte bei der Ermessensentscheidung ihre grundrechtlich geschützte
Position als Eigentümerin verkannt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des
Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsvorgänge des
Beklagten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung am 29.
April 2014 gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die Berufung des Beklagten hat keinen Erfolg.
Im Berufungsverfahren sind aufgrund des eingeschränkten Berufungsantrages
des Beklagten lediglich die Fragen, ob dieser in seiner streitgegenständlichen
Verfügung vom 19. Oktober 2011 zu Recht die Ausschaltung der acht
Videokameras und die Löschung der auf dem Videoserver gespeicherten
Videobilder dieser Kameras angeordnet hat, zu beantworten. Nicht
entscheidungserheblich in der Berufungsinstanz ist demgegenüber die - von
dem Verwaltungsgericht in den Vordergrund seiner Ausführungen gerückte -
Frage, ob der Beklagte von der Klägerin zu Recht die Deinstallation der
Videokameras fordern kann.
Die Beschränkung der Berufung seitens des Beklagten ist zulässig. Der
Beklagte als Berufungsführer ist - ebenso wie der Kläger im umgekehrten Fall -
Herr des Berufungsverfahrens und im Fall eines trennbaren
Streitgegenstandes frei in seiner Entscheidung, ob er ein stattgebendes Urteil
insgesamt angreift oder sich teilweise mit der Stattgabe der Klage seitens des
Verwaltungsgerichts zufrieden gibt und nur teilweise eine Abänderung erstrebt.
Ein solcher Fall eines trennbaren Streitgegenstandes liegt hier vor. Der
streitgegenständliche Bescheid des Beklagten vom 19. Oktober 2011 regelt -
neben der Löschung der Videobilder der von dem Bescheid erfassten
Videokameras - zum einen die Deinstallation von sieben Kameras und zum
anderen die Ausschaltung dieser Kameras und einer weiteren Kamera. Die
Deinstallation und die Ausschaltung betreffen unterschiedliche
Regelungsgegenstände und können getrennt voneinander betrachtet werden.
Die derart eingeschränkte Berufung des Beklagten ist unbegründet. Die in der
streitgegenständlichen Verfügung angeordnete Ausschaltung der acht
Videokameras mit den Bezeichnungen Eingang Altbau, 1. OG Altbau, 2. OG
Altbau, Eingang Neubau, 1. OG Neubau, 2. OG Neubau, 3. OG Neubau und
KG Treppe sowie die auf diese Kameras bezogene Forderung des Beklagten
auf Löschung der gespeicherten Daten sind rechtswidrig und verletzen die
Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Rechtsgrundlage für die von dem Beklagten geforderte Ausschaltung der
Videokameras in dem Bürogebäude der Klägerin ist § 38 Abs. 5 BDSG. Nach
Satz 1 dieser Bestimmung kann die Aufsichtsbehörde zur Gewährleistung der
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Einhaltung dieses Gesetzes und anderer Vorschriften über den Datenschutz
Maßnahmen zur Beseitigung festgestellter Verstöße bei der Erhebung,
Verarbeitung oder Nutzung personenbezogener Daten oder technischer oder
organisatorischer Mängel anordnen. Gemäß Satz 2 dieser Norm kann sie
zudem bei schwerwiegenden Verstößen oder Mängeln die Erhebung,
Verarbeitung oder Nutzung oder den Einsatz einzelner Verfahren untersagen,
wenn die Verstöße oder Mängel nicht in angemessener Zeit beseitigt werden.
Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben. Der Beklagte ist zwar gemäß
§ 38 Abs. 6 BDSG in Verbindung mit § 22 Abs. 1 Satz 1 NDSG
Aufsichtsbehörde, der Betrieb der acht streitgegenständlichen Videokameras
in dem Bürogebäude steht aber im Ergebnis in Einklang mit
datenschutzrechtlichen Bestimmungen.
Ein Verstoß der Klägerin gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen wegen
des Betriebs der streitgegenständlichen Kameras und der Speicherung der auf
diese Weise gesammelten Daten liegt nicht vor. Das
Bundesdatenschutzgesetz ist anwendbar (dazu I.), den Anforderungen des §
6b BDSG ist Genüge getan (dazu II.).
I. Die Videoüberwachung in dem Geschäfts- und Bürogebäude der Klägerin
und die Speicherung der dabei gewonnenen Daten unterfällt dem
Regelungsregime des Bundesdatenschutzgesetzes.
Das Bundesdatenschutzgesetz ist anwendbar, wenn personenbezogene
Daten Gegenstand einer vom Gesetz geregelten Phase der Datenverarbeitung
sind. Nach § 1 Abs. 2 Nr. 3 BDSG gilt dieses Gesetz für die Erhebung,
Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten durch nicht-öffentliche
Stellen, soweit sie die Daten unter Einsatz von Datenverarbeitungsanlagen
verarbeiten, nutzen oder dafür erheben oder die Daten in oder aus nicht
automatisierten Dateien verarbeiten, nutzen oder dafür erheben.
Personenbezogene Daten sind gemäß § 3 Abs. 1 BDSG Einzelangaben über
persönliche oder sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren
natürlichen Person; letztere wird als Betroffener legaldefiniert. Automatisierte
Verarbeitung wird in § 3 Abs. 2 BDSG als Erhebung, Verarbeitung oder
Nutzung personenbezogener Daten unter Einsatz von
Datenverarbeitungsanlagen bezeichnet. Nicht-öffentliche Stellen sind gemäß §
2 Abs. 4 Satz 1 BDSG neben natürlichen auch juristische Personen,
Gesellschaften und andere Personenvereinigungen des privaten Rechts, die
nicht hoheitliche Aufgaben wahrnehmen. Diese Voraussetzungen sind hier
gegeben.
Fotos und Videoaufnahmen im Rahmen einer Videoüberwachung sind
grundsätzlich personenbezogene Daten im Sinne von § 3 Abs. 1 BDSG. Der
Personenbezogenheit von Videoaufnahmen steht insbesondere nicht
entgegen, dass im Fall der Überwachung öffentlich zugänglicher Räume
regelmäßig nur ein ganz geringer Prozentsatz des Bildmaterials tatsächlich zur
Identifizierung von Personen genutzt wird. Entscheidend ist, dass der Zweck
der Videoüberwachung gerade darin besteht, die auf den Bildern
festgehaltenen Personen zu identifizieren, wenn die für die Verarbeitung
Verantwortlichen dies für erforderlich halten (Buchner, in: Taeger/Gabel,
BDSG, 2. Aufl. 2014, § 3 Rdnr. 7, 19; Dammann, in: Simitis, BDSG, 7. Aufl.
2011, § 3 Rdnr. 4, 66). Diese personenbezogenen Daten werden mittels einer
Datenverarbeitungsanlage von der Klägerin als nicht-öffentliche Stelle im
Sinne des § 2 Abs. 4 Satz 1 BDSG erhoben und bei Bedarf verarbeitet und
genutzt. Daher ist die Klägerin die für die Videoüberwachung verantwortliche
Stelle gemäß § 3 Abs. 7 BDSG.
II. Die Videoüberwachung und die Speicherung des dabei gewonnenen
Bildmaterials durch die Klägerin stehen in Einklang mit den
datenschutzrechtlichen Bestimmungen.
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Nach § 4 Abs. 1 BDSG ist die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung
personenbezogener Daten nur zulässig, soweit dieses Gesetz oder eine
andere Rechtsvorschrift dies erlaubt oder anordnet oder der Betroffene
eingewilligt hat. Ungeachtet der Frage, ob dieser „Verarbeitungsrahmen“ (so
etwa Sokol, in: Simitis, a.a.O., § 4 Rdnr. 3) im rechtstechnischen Sinn als
klassisches „Verbot mit Erlaubnisvorbehalt“ charakterisiert werden kann,
bedarf die Datenerhebung und -verarbeitung einer besonderen Rechtfertigung
entweder in Form einer wirksamen Einwilligung durch den Betroffenen (dazu
1.) oder durch eine Rechtsvorschrift (dazu 2.).
1. Eine wirksame Einwilligung, die den Anforderungen des § 4a Abs. 1 BDSG
genügt, durch die von der Videoüberwachung und -speicherung der Klägerin
Betroffenen liegt nicht vor.
Von der Videoüberwachung betroffen sind alle diejenigen Personen, die das
Büro- und Geschäftsgebäude der Klägerin betreten und allein durch das
Betreten des Gebäudes in das Blickfeld der Videokameras gelangen. Art. 2 lit.
h) EG-DSRl - deren Umsetzung in nationales Recht § 4a BDSG dient - definiert
die Einwilligung der betroffenen Person als jede Willensbekundung, die ohne
Zwang, für den konkreten Fall und in Kenntnis der Sachlage erfolgt und mit der
die betroffene Person akzeptiert, dass personenbezogene Daten, die sie
betreffen, verarbeitet werden. Eine derartige Willensbekundung der
Betroffenen ist hier nicht gegeben. Zwar weist die Klägerin in den
Eingangsbereichen des Gebäudes auf Schildern auf die Videoüberwachung
hin. Daraus kann indes nicht die Schlussfolgerung gezogen werden, dass
jeder Betroffene allein durch das Betreten des Gebäudes konkludent in die
Datenerhebung und -verarbeitung seiner Bildaufnahme einwilligt. Eine
pauschale Einwilligung ist nicht wirksam. Zudem kann es bei Betroffenen an
der erforderlichen Einwilligungsfähigkeit fehlen, etwa bei Kindern bis zur
Vollendung des 14. Lebensjahres.
Schließlich kommt eine mutmaßliche Einwilligung nur ausnahmsweise dort in
Betracht, wo der Gesetzgeber in einer dem Bundesdatenschutzgesetz
vorgehenden Regelung diese Möglichkeit ausdrücklich zulässt. Solche auch
eine mutmaßliche Einwilligung vorsehenden Vorschriften existieren mitunter für
öffentliche Stellen (vgl. etwa § 14 Abs. 2 Nr. 3 BDSG und § 7 Abs. 2 Nr. 2
AsylVfG), sie beziehen sich aber nicht auf den hier vorliegenden
Lebenssachverhalt. Daher verbleibt es bei dem allgemeinen Grundsatz, dass
eine konkludente, stillschweigende oder mutmaßliche Einwilligung nicht
ausreicht (Simitis, in: Simitis, a.a.O., § 4a Rdnr. 44 m.w.N.).
2. Die von der Klägerin vorgenommene Videoüberwachung mittels der acht
Kameras und die gleichzeitige Speicherung der erhobenen Bilddaten ist durch
die gesetzliche Norm des § 6b BDSG gerechtfertigt.
§ 6b BDSG verdrängt für die hier vorliegende Videoüberwachung öffentlich
zugänglicher Räume als abschließende lex specialis (bereichsspezifische
Vorschrift, vgl. hierzu Simitis, in: Simitis, a.a.O., § 28 Rdnr. 5) die allgemeinere
Vorschrift des § 28 BDSG. Die - selbst für Sachkundige schwer verständliche
(so Taeger, in: Taeger/Gabel, a.a.O., § 6b Rdnr. 2 ff. und Simitis, in: Simitis,
a.a.O., § 6b Rdnr. 3, jeweils m.w.N.) - Vorschrift des § 28 Abs. 1 Nr. 2 BDSG
betrifft zudem lediglich unter anderem die Erhebung und Speicherung
personenbezogener Daten oder ihre Nutzung als Mittel für die Erfüllung
eigener Geschäftszwecke. Die Klägerin als Eigentümerin und Verwalterin des
Bürogebäudes und Vermieterin der Büroräume verfolgt mit der
Videoüberwachung gegenüber den Betroffenen keine eigenen
Geschäftszwecke.
Nach § 6b BDSG ist die Beobachtung öffentlich zugänglicher Räume mit
optisch-elektronischen Einrichtungen (Videoüberwachung) unter näher
definierten alternativen Voraussetzungen zulässig (§ 6b Abs. 1 BDSG). Die
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Verarbeitung und Nutzung derartiger Daten ist dabei unter in Abs. 3 dieser
Vorschrift näher bestimmten Bedingungen erlaubt. Ungeachtet der Frage, ob §
6b BDSG systemkonform ist (vgl. hierzu etwa Gola/Schomerus, BDSG, 11.
Aufl. 2012, § 6b Rdnr. 3 m.w.N.), bestimmt diese Vorschrift in Abs. 1 die
materiell-rechtlichen Voraussetzungen für eine zulässige Beobachtung
öffentlich zugänglicher Räume mit optisch-elektronischen Einrichtungen und
regelt in Abs. 3 unter inhaltlicher Wiederholung dieser Voraussetzungen die
Verarbeitung und Nutzung der im Wege dieser Videoüberwachung erhobenen
Daten. Die Absätze 2 und 4 dieser Vorschrift ergänzen diese Bestimmungen
durch verfahrensrechtliche Regelungen zur Sicherstellung der Transparenz für
die von der Videoüberwachung Betroffenen, während Abs. 5 eine gesonderte
Regelung zur Löschung derartig gespeicherter Daten enthält.
Diese Norm ist verfassungsrechtlich unbedenklich (dazu a) und die
Voraussetzungen im Einzelfall liegen vor (dazu b).
a) Der Senat teilt die einzelnen in der Literatur geäußerten Bedenken an der
Verfassungsmäßigkeit des § 6b BDSG nicht. Diese Bedenken werden im
Hinblick auf die aus dem Rechtsstaatsprinzip und speziell der
verfassungsmäßigen Schranke des Rechts auf informationelle
Selbstbestimmung abgeleiteten Gebote der Normenklarheit und Bestimmtheit
geäußert (so etwa Scholz, in: Simitis, a.a.O., § 6b Rdnr. 32 m.w.N.). Der Kritik
ist zwar zuzugeben, dass diese Norm insbesondere mit den
Begriffsmerkmalen der Wahrnehmung berechtigter Interessen und der
Erforderlichkeit sowie des Überwiegens schutzwürdiger Interessen der
Betroffenen unbestimmte Rechtsbegriffe enthält. Es reicht aber nach der
ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes aus, wenn die
Präzisierung mit Hilfe der üblichen Auslegungsmethoden möglich ist (vgl.
hierzu etwa BVerwG, Urt. v. 25.1.2012 - BVerwG 6 C 9.11 -, BVerwGE 141,
329, NordÖR 2012, 413, juris Rdnr. 38 ff, und vorgehend OVG Hamburg, Urt.
v. 22.6.2010 - 4 Bf 276/07 -, NordÖR 2010, 498 m.w.N.). Letzteres ist hier - wie
sich aus den nachfolgenden Ausführungen ergibt - der Fall.
b) Die Videoüberwachung der Klägerin unterfällt dem Regelungsgehalt des §
6b BDSG, dessen Anforderungen sie sowohl hinsichtlich der Erhebung der
Daten (§ 6b Abs. 1 BDSG) als auch hinsichtlich deren Verarbeitung und
Nutzung (§ 6b Abs. 3 BDSG) genügt.
aa) Die Videoüberwachung erfüllt das Merkmal des „Beobachtens“ im Sinne
des § 6b BDSG.
Unter diesem Merkmal ist die Sichtbarmachung von Geschehnissen und
Personen mit Hilfe dazu geeigneter technischer Einrichtungen von einer
gewissen Dauer - und damit eine Form des Überwachens - zu verstehen,
wobei streitig ist, ob auch bloße Kamera-Monitor-Systeme als „verlängertes
Auge“ ohne nachfolgende Aufzeichnung oder Auswertung des Bildmaterials
hierunter fallen (vgl. bejahend Scholz, in Simitis, a.a.O., § 6b Rdnr. 63 ff.,
Zscherpe, in: Taeger/Gabel, a.a.O., § 6b Rdnr. 17 ff.; zweifelnd
Gola/Schomerus, a.a.O., § 6b Rdnr. 10, jeweils m.w.N). Da im vorliegenden
Fall die Bildaufzeichnungen für einen bestimmten Zeitraum in Form des black
box-Verfahrens gespeichert werden, um die Möglichkeit der anlassbezogenen
nachträglichen Inaugenscheinnahme der gespeicherten Videoaufnahmen zu
gewährleisten, liegt ein Beobachten in diesem Sinne unzweifelhaft vor.
Ebenso ist das Merkmal des Erhebens personenbezogener oder zumindest
personenbeziehbarer Daten (zu diesem Erfordernis vgl. etwa Scholz, in:
Simitis, a.a.O., § 6b Rdnr. 66 m.w.N.) erfüllt. Denn für die Bestimmbarkeit und
spätere Identifizierung einer Person reicht neben den erkennbaren
Gesichtszügen auch das sonstige Körperbild, etwa die Körperhaltung, die
Kleidung oder mitgeführte Gegenstände aus. Auf eine tatsächlich erfolgreiche
Identifizierung in jedem Einzelfall kommt es in diesem Zusammenhang nicht an
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(Scholz, in: Simitis, a.a.O., § 6b Rdnr. 67 m.w.N.).
bb) Das Bürogebäude der Klägerin ist als öffentlich zugänglicher Raum im
Sinne des § 6b Abs. 1 BDSG anzusehen. Hierunter fallen alle Bereiche, die
von einem unbestimmten oder nur nach allgemeinen Merkmalen bestimmten
Personenkreis betreten und genutzt werden können und ihrem Zweck nach
auch dazu bestimmt sind (Scholz, in: Simitis, a.a.O., § 6b Rdnr. 42 m.w.N.).
Hier ergibt sich die Zweckbestimmung aus dem erkennbaren Willen der
Klägerin als Eigentümerin des Gebäudes und ihrer gewerblichen Mieter als
Berechtigte, dass sowohl die Beschäftigten als auch die Kunden und Klienten
der in dem Bürogebäude befindlichen Betriebe und Kanzleien sowie etwaige
Zulieferer freien Zugang zu dem Gebäude erhalten sollen. Daher sind alle
Räume, die von der Videoüberwachung betroffen sind, als öffentlich
zugänglicher Raum zu betrachten.
Dies gilt neben den Eingangsbereichen und den Treppenhäusern und
Obergeschossen auch für den Vorraum des Treppenhauses im
Kellergeschoss. Dieser Vorraum befindet sich zwar im Kellergeschoss, in dem
keine Büroräume vorhanden sind, sodass zumindest Kunden und Gäste nach
dem Willen der Berechtigten keinen freien Zugang hierzu erhalten sollen. Da
sich in diesem Vorraum aber unter anderem Lagerräume und ein
Getränkeautomat befinden, haben nach den genannten Kriterien jedenfalls die
Inhaber der gewerblichen Betriebe und Kanzleien sowie deren Beschäftigte
und gegebenenfalls deren Zulieferer freien Zugang in diesen ebenfalls
videoüberwachten Bereich. Eine derart eingeschränkte Zugänglichkeit für eine
näher bestimmbare Personenzahl reicht für das Merkmal des öffentlich
zugänglichen Raums aus. Etwas anderes könnte gelten, wenn der Vorraum im
Kellergeschoss nach den objektiven Gegebenheiten eindeutig gegen
Publikumsverkehr abgegrenzt ist; hieran fehlt es. Zudem lässt sich aus dem
Umstand, dass zumindest in der Vergangenheit neben dem Getränkeautomat
mehrere Stühle aufgestellt waren, die Schlussfolgerung ziehen, dass nach
dem mutmaßlichen Willen der Berechtigten auch dieser Bereich einer
eingeschränkten Öffentlichkeit zugänglich sein soll.
Es ist unerheblich, dass das Geschäfts- und Bürogebäude der Klägerin nur zu
den branchenüblichen Sprech- und Öffnungszeiten geöffnet und außerhalb
dieser Zeiten verschlossen ist. Aufgrund der Eigenart und Struktur der in dem
Gebäude befindlichen Kanzleien und sonstigen Unternehmen kann es
durchaus vorkommen, dass auch außerhalb der üblichen Bürozeiten in den
Abendstunden oder am Wochenende - wenn auch im eingeschränkten
Umfang - Besprechungstermine mit Klienten, Mandanten und Kunden
vereinbart werden und mithin Publikumsverkehr stattfinden kann. Das
Gebäude ist deshalb auch außerhalb der üblichen Öffnungszeiten als
öffentlich zugänglicher Raum anzusehen.
cc) Die Videoüberwachung im öffentlich zugänglichen Teil des Gebäudes der
Klägerin ist nach § 6b Abs. 1 Nr. 2 (Wahrnehmung des Hausrechts) und Nr. 3
BDSG (Wahrnehmung berechtigter Interessen) gerechtfertigt und für diese
Zwecke erforderlich.
(a) Das Hausrecht, auf das sich auch nicht-öffentliche Stellen wie die Klägerin
berufen können, beinhaltet die Befugnis, darüber zu entscheiden, wer ein
Gebäude betreten und darin verweilen darf. Der Inhaber des Hausrechts ist
daher berechtigt, die zum Schutz des Objekts und der sich darin aufhaltenden
Personen sowie die zur Abwehr unbefugten Betretens erforderlichen
Maßnahmen zu ergreifen, d. h. Störer zu verweisen und ihnen das Betreten für
die Zukunft zu untersagen, mithin ein Hausverbot auszusprechen. Eine
Beobachtung zur Wahrnehmung des Hausrechts dient sowohl einem
präventiven als auch einem repressiven Zweck, indem zum einen Straftaten
durch Abschreckung verhindert und zum anderen die Strafverfolgung durch
die Auswertung des aufgenommenen Bildmaterials zum Zweck der
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Beweissicherung ermöglicht werden. Inhaber des Hausrechts können mehrere
Personen sein - etwa der Eigentümer des Objekts und seine Mieter (vgl. hierzu
Scholz, in: Simitis, a.a.O., § 6b Rdnr. 73 ff. m.w.N.).
Im vorliegenden Fall kann sich die Klägerin auf das ihr zustehende Hausrecht
in den videoüberwachten Bereichen des Bürogebäudes berufen. Sie hat
wegen ihrer Stellung als Eigentümerin und Verwalterin des Gebäudes zum
einen ein Interesse daran, ihr (eigenes) Eigentum zu schützen und
unberechtigte Personen vom Betreten des Gebäudes fernzuhalten. Zugleich
hat sie zum anderen aber auch ein eigenes Interesse daran, dass die Mieter
der Büroräume als ihre Vertragspartner in ihrem Gebäude nicht durch
unberechtigte Personen zu Schaden kommen. Auf die Fragen, in welchem
Verhältnis die Interessen des Eigentümers auf der einen und der obligatorisch
berechtigten Mieter auf der anderen Seite zueinander stehen und wie ein
etwaiger Interessenkonflikt zwischen diesen Seiten auszugleichen ist, braucht
anlässlich des vorliegenden Falles nicht eingegangen zu werden. Denn die
Klägerin beschränkt die Videoüberwachung auf die allgemein öffentlich
zugänglichen Räumlichkeiten, die von der Vermietung nicht mit umfasst sind,
ohne sie auf die Büroräume der Mieter auszudehnen. Zudem hat sie diese
vom - wenn auch erst nachträglichen eingeholten - Einverständnis ihrer Mieter
abhängig gemacht (vgl. zu diesem Erfordernis etwa AG Tempelhof-Kreuzberg,
Urt. v. 6.1.2009 - 12 C 155/08 -, juris). Im Fall fehlenden Einverständnisses -
wie bei der G. - hat sie die Videokamera abgebaut.
(b) Zusätzlich kann sich die Klägerin auf den Zulässigkeitstatbestand der
Wahrnehmung berechtigter Interessen für konkret festgelegte Zwecke berufen.
Als derartiges Interesse gilt nicht nur ein rechtliches, sondern jedes
tatsächliche Interesse, das auch wirtschaftlicher oder ideeller Art sein kann,
wobei es objektiv begründbar sein und sich aus der konkreten Sachlage
heraus ergeben muss. Bei dem Einsatz von Videotechnik zum Zweck der
Gefahrenabwehr ist regelmäßig von der Wahrnehmung berechtigter Interessen
auszugehen (Scholz, in: Simitis, a.a.O., § 6b Rdnr. 79 m.w.N.).
Die Klägerin kann sich zwar nicht auf eine abstrakte Gefahrenlage berufen, da
in ihrem Fall nicht eine Situation vorliegt, die nach der Lebenserfahrung
typischerweise gefährlich ist. Ihr Bürogebäude liegt - soweit ersichtlich - nicht in
einer Gegend mit potentiell gefährdeten Bereichen, wie dies etwa bei
Einkaufszentren, Kaufhäusern und weitläufigen und schwer einsehbaren
Geschäftsräumen wie etwa Selbstbedienungsläden der Fall ist. Auch die in
dem Bürogebäude befindlichen Kanzleien und Betriebe gehören nicht zu
potentiell stark gefährdeten Einrichtungen, die typischerweise Opfer von
Straftaten wie Einbruchsdiebstählen oder Überfällen werden, wie dies etwa bei
Tankstellen und Juwelierläden angenommen werden kann. Etwas anderes gilt
nicht deshalb, weil das Gebäude in der Nähe einer Autobahnauffahrt und in
einem Gewerbegebiet liegt. Eine Videoüberwachung mit dem Ziel einer
allgemeinen abstrakten Gefahrenvorsorge reicht nicht aus.
Die Klägerin kann sich aber auf eine konkrete Gefährdungslage berufen (zu
dieser Alternative vgl. Scholz, in: Simitis, a.a.O., § 6b Rdnr. 80). Diese konkrete
Gefährdungslage ergibt sich zwar nicht mit hinreichender Sicherheit aus dem
Gesichtspunkt der Verunstaltung des Gebäudes mit Graffitis. Derartige
Schmierereien sind in der Vergangenheit lediglich an der Außenfassade des
Gebäudes, nicht aber innerhalb des Gebäudes, in der sich die Videokameras
befinden, angebracht worden. Die Klägerin hat aber zutreffend darauf
hingewiesen, dass in jüngerer Vergangenheit aus den Büros der in dem
Gebäude befindlichen Steuerberatungsgesellschaft mehrere wertvolle
Notebooks und aus dem Kellergeschoss dort lagernde Paletten gestohlen
worden sind. Die aufgrund der Abschreckungswirkung mögliche Verhinderung
von Straftaten zum Nachteil des Eigentümers des überwachten Objekts und
der Vertragspartner und die Sicherung von Beweismaterial zur Aufklärung von
begangenen Straftaten stellen ein berechtigtes Interesse dar. Die zu fordernde
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objektive Begründbarkeit des berechtigten Interesses liegt vor, wenn sie sich
auf konkrete Tatsachen stützen kann, aus denen sich der zu erwartende
Eintritt einer Gefahr ergibt (Scholz, in: Simitis, a.a.O., § 6b Rdnr. 79). Ein
solcher Fall ist hier gegeben. In diesem Zusammenhang ist zu
berücksichtigen, dass sich in den unter anderem an diverse Kanzleien und
Steuerberatungsbüros vermieteten Räumen des Bürogebäudes sensible
schützenswerte Daten der Kunden dieser Unternehmen befinden. In
strafrechtlicher Hinsicht unterliegt die Videoaufnahme, die den Täter beim
Diebstahl filmt, keinem Verwertungsverbot (vgl. hierzu etwa BayObLG, Beschl.
v. 24.1.2002 - 2 St RR 8/02 -, NJW 2002, 2893). Die Bedenken des Beklagten
hinsichtlich des Vorliegens dieser konkreten Gefährdungslage teilt der Senat
nicht.
Die Klägerin hat die Zwecke der Videoüberwachung (hier: Verhinderung von
Straftaten und Sicherung von Beweismaterial zur Aufklärung begangener
Straftaten) in der von dem betrieblichen Datenschutzbeauftragten erstellten
Verfahrensübersicht vom 8. September 2011 konkret schriftlich dargelegt und
ist dadurch den Anforderungen des § 4e Satz 1 Nr. 4 BDSG hinreichend
nachgekommen. Durch dieses Erfordernis soll die verantwortliche Stelle zu
einer sorgfältigen Prüfung der Rechtmäßigkeit der Videoüberwachung
veranlasst werden (Scholz, in: Simitis, a.a.O., § 6b Rdnr. 82 ff.).
(c) Die seitens der Klägerin durchgeführte Videoüberwachung in dem
Bürogebäude und die Speicherung der Aufnahmen ist für die Erreichung der
dargestellten Zwecke der Wahrnehmung ihres Hausrechts und ihrer
berechtigten Interessen erforderlich. Dies betrifft sowohl das „Ob“ als auch das
„Wie“ des Einsatzes der Videotechnik.
Die Erforderlichkeit im Sinne des § 6b BDSG setzt voraus, dass das
festgelegte Ziel mit der Überwachung tatsächlich erreicht werden kann und es
dafür kein anderes, gleich wirksames, aber mit Blick auf das Grundrecht der
informationellen Selbstbestimmung der betroffenen Personen weniger
einschneidendes Mittel gibt. Diese Bewertung hat ausgehend von einer
objektiven Betrachtungsweise im Rahmen einer Einzelfallprüfung zu erfolgen
(Scholz, in: Simitis, a.a.O., § 6b Rdnr. 86 m.w.N.).
Die Videoüberwachung (Beobachtung und Speicherung) ist zur Abschreckung
von Störern und Straftätern (grundsätzlich) geeignet, da der Umstand der
Überwachung durch die Hinweisschilder in hinreichendem Umfang erkennbar
ist. Sie kann auch im Nachhinein einen hinreichend sicheren Rückschluss auf
die verantwortlichen Störer und Täter liefern. Die aufgezeichneten Bilder sind
für eine spätere Identifizierung von ausreichender Qualität und werden für
einen bestimmten Zeitraum zum Zweck der Auswertung gespeichert. Die
Eignung der Bilder für Vorgänge zur Abend- und Nachtzeit mag zwar
eingeschränkt sein. Entscheidend ist aber, dass eine Maßnahme nicht nur
dann zu einem bestimmten Zweck geeignet ist, wenn dieser mit ihrer Hilfe
vollständig erreicht werden kann. Ausreichend ist vielmehr bereits ihre
Eignung, diesen Zweck zu fördern (Scholz, in: Simitis, a.a.O., § 6b Rdnr. 87
m.w.N.). Diese Eignung kommt den Bildern auch bei schlechten
Sichtverhältnissen zu.
Mildere, gleich wirksame Mittel zur Zweckerreichung sind nicht erkennbar. Als
Alternative zur Videoüberwachung kommt der Einsatz von Wachpersonal in
Betracht. Es ist aber bereits fraglich, ob ein derartiger Einsatz in gleicher Weise
geeignet ist, die gewünschten Zwecke zu erreichen. Das Wachpersonal kann
nicht zu jeder Zeit an allen überwachten Orten zugleich sein. Zudem sähen
sich die Bediensteten, Kunden und Mandanten der in dem Bürogebäude
ansässigen Kanzleien und Unternehmen einer permanenten Beobachtung
durch Wachleute ausgesetzt, die sich gegenüber der Videoüberwachung als
ein subjektiv gravierenderer Eingriff darstellt. Schließlich sind die Kosten für
den Einsatz von Wachpersonal gegenüber dem Betrieb einer Videoanlage
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ungleich höher und damit wirtschaftlich nicht vertretbar.
Gesichtspunkte, die gegen die Erforderlichkeit der von der Klägerin konkret
gewählten Art der Videoüberwachung und damit gegen das „Wie“ des
Einsatzes der Videotechnik sprechen, sind nicht ersichtlich.
Als milderes Mittel käme zum einen die Beschränkung der Videoüberwachung
auf die Zeiträume in Betracht, in denen ein Publikums- und
Beschäftigtenverkehr in dem Bürogebäude im Allgemeinen nicht stattfindet.
Dies sind vor allem die Abend- und Nachtstunden und die Zeiten der
gesetzlichen Feier- und Sonntage. Es ist aber nicht von der Hand zu weisen,
dass eine Videoüberwachung zu den genannten Zwecken auch während der
Zeiträume, in denen das Gebäude öffentlich zugänglich ist, erforderlich ist.
Denn auch während dieser Zeiträume kann es - angesichts der dann freien
Zugänglichkeit des Gebäudes sogar mit einer höheren Wahrscheinlichkeit - zu
Diebstählen oder anderen Straftaten kommen, sodass in zeitlicher Hinsicht
eine Videoüberwachung des Gebäudes „rund um die Uhr“ erforderlich ist.
In räumlicher Hinsicht käme zum anderen die Beschränkung der
Videoüberwachung allein auf die beiden Eingangsbereiche in Betracht. Da
potentielle Störer und Straftäter aber unberechtigterweise auch auf anderen
Wegen, beispielsweise über stets verschlossene weitere Türen oder
insbesondere durch Fenster, in das Gebäude gelangen können, bedarf es der
Überwachung mithilfe der weiteren Videokameras in den übrigen Bereichen.
Zudem sind die Aufzeichnungen der weiteren Videokameras geeignet und
erforderlich, um den potentiellen Täterkreis weiter einzuengen.
Da die Klägerin mit der Videoüberwachung nicht ausschließlich präventive
Zwecke (zur Abschreckung), sondern nach dem oben Gesagten zusätzlich in
zulässiger Weise den repressiven Zweck der Aufklärung etwaiger Straftaten
verfolgt, bedarf es gemäß § 6b Abs. 3 Satz 1 BDSG nicht nur der
Beobachtung, sondern auch der Aufzeichnung und Speicherung der Daten.
Ohne Speicherung der Aufnahmen wäre es der Klägerin nicht möglich, im
Nachhinein auf das Bildmaterial zuzugreifen, um sich mit dessen Hilfe bei in
dem Bürogebäude begangenen Straftaten einen Überblick über mögliche
Täter zu verschaffen. Bedenken hinsichtlich des räumlichen Umfangs der
Überwachung bestehen nicht, weil die Videoanlage weder über einen
Schwenkmechanismus noch über eine Zoomfunktion verfügt und Bereiche
außerhalb des Gebäudes und innerhalb der vermieteten Büroräume nicht
erfasst werden. Gleiches gilt hinsichtlich der Verfahrensabläufe, da der Zugriff
auf die Beobachtungseinrichtungen hinreichend eingeschränkt und gesichert
ist.
dd) Anhaltspunkte für das Überwiegen schutzwürdiger Interessen der
Betroffenen sind nicht gegeben.
Die Interessenprüfung gemäß § 6b Abs. 1 und 3 BDSG erfordert eine am
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz orientierte umfassende Abwägung zwischen
den durch die Zwecke der Videoüberwachung bestimmten grundrechtlich
geschützten Positionen der Anwender von Videotechnik und den Interessen
derjenigen, die Objekt der Videoüberwachung und -speicherung sind. Bei der
Abwägung sind auf Seiten der verantwortlichen Stelle insbesondere die
Zwecksetzung der Beobachtung sowie die sie begleitenden Umstände (vor
allem deren technische Ausgestaltung) zu beachten, während auf Seiten der
von der Überwachung betroffenen Personen in erster Linie das allgemeine
Persönlichkeitsrecht gemäß Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG in seinen
Ausprägungen als Recht der informationellen Selbstbestimmung, des Rechtes
am eigenen Bild sowie des Schutzes der Privatsphäre von Bedeutung ist
(Zscherpe, in: Taeger/Gabel, a.a.O., § 6b Rdnr. 53; Scholz, in: Simitis, a.a.O., §
6b Rdnr. 23 und 92, jeweils m.w.N.). Hierbei sind alle Gesamtumstände des
Einzelfalls maßgeblich. Der Frage der Eingriffsintensität kommt eine
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entscheidende Bedeutung zu. Das Gewicht des Eingriffs wird maßgeblich
durch Art und Umfang der erfassten Informationen, durch Anlass und
Umstände der Erhebung, den betroffenen Personenkreis und die Art und den
Umfang der Verwertung der erhobenen Daten bestimmt. Je stärker das Maß
der Beeinträchtigung durch die Überwachungsmaßnahme ist, desto
schutzwürdiger sind die Interessen der betroffenen Personen. Hinsichtlich des
allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist zwischen drei Sphären zu
unterscheiden, innerhalb derer das Persönlichkeitsrecht betroffen sein kann:
die Individualsphäre, die Privatsphäre und die Intimsphäre (zu dieser
Unterscheidung vgl. etwa LG München I, Urt. v. 21.10.2011 - 20 O 19879/10 -,
juris, Rdnr. 27 m.w.N.). Ein Überwiegen der Interessen der Betroffenen muss
dabei nicht positiv festgestellt werden, es reicht aus, wenn Anhaltspunkte für
ein Überwiegen dieser Interessen nicht ausgeräumt sind (Scholz, in: Simitis,
a.a.O., § 6b Rdrn. 92 ff. m.w.N.). Dabei ist zu berücksichtigen, dass nach der
Wertung des Gesetzgebers die Videoüberwachung und -speicherung auch
durch nicht-öffentliche Stellen im öffentlich zugänglichen Bereich zu den
genannten - hier gegebenen - Zwecken grundsätzlich zulässig ist und
„lediglich“ unter dem genannten Vorbehalt steht.
Nach diesen Grundsätzen sind im vorliegenden Fall Anhaltspunkte für ein
Überwiegen der schutzwürdigen Interessen der von der Videoüberwachung
der Klägerin betroffenen Personen nicht ersichtlich. Hierbei fällt insbesondere
ins Gewicht, dass die Klägerin eine Überwachungstechnik einsetzt, die die
Persönlichkeitsrechte der Betroffenen nicht tangiert. Die Videokameras werden
als sogenannte Mini dome-Kameras betrieben, die fest installiert und auf einen
Sichtbereich ohne Zoom-Funktion ausgerichtet sind. Schwenkbewegungen,
die die Bewegungen der beobachteten Personen im Raum nachvollziehen,
sind nicht möglich. Ebenso wenig ist es möglich, Einzelheiten der
beobachteten Personen, insbesondere Gesichtskonturen, näher in den Blick
zu nehmen. Daher erfassen die Videokameras weniger als ein aufmerksamer
Beobachter (vgl. zu diesem Kriterium XVI. Bericht über die Tätigkeit des Nds.
Landesbeauftragten für den Datenschutz, Drs. 14/4000, S. 41 f.). Die von den
Kameras überwachten Örtlichkeiten dienen nicht einem längeren Verweilen,
etwa zum Zweck einer Kommunikation mit Dritten, sondern die Betroffenen
gelangen lediglich für einen sehr kurzen Zeitraum (hierbei dürfte es sich
meistens lediglich um Sekunden handeln) in das Blickfeld der Kameras.
Bewegungs- und Verhaltensprofile einzelner beobachteter Personen können
aufgrund der Videoüberwachung nicht erstellt werden. Es werden keine
Einblicke in höchstpersönliche Bereiche der Intim- und Privatsphäre - wie dies
etwa bei der Überwachung von Toiletten, Umkleidekabinen, Duschen,
Saunen, ärztlichen Behandlungsräumen oder Privaträumen und
Gastronomiebetrieben (vgl. zu letzterem etwa AG Hamburg, Urt. v. 22.4.2008 -
4 C 134/08 -, juris) der Fall wäre - und keine Einblicke in Arbeitsbereiche der in
dem Bürogebäude der Klägerin tätigen Beschäftigten ermöglicht (zur Frage der
Videoüberwachung am Arbeitsplatz vgl. EGMR, Entscheidung v.
5.10.2010 - 420/07 -, EuGRZ 2011, 471; BAG, Urt. v. 21.6.2012 - 2
AZR 153/11 -, NJW 2012, 3594; ArbG Düsseldorf, Beschl. v. 29.4.2011 - 9 BV
183/10 -, juris). Eine andere Einschätzung ist nicht deshalb gerechtfertigt, weil
in der Vergangenheit neben dem Getränkeautomaten im Kellergeschoss
einige Stühle aufgestellt waren. Die seinerzeit dort befindlichen Stühle dienten
jedenfalls angesichts der wenig einladenden Umgebung im Kellergeschoss
offensichtlich nicht einem längeren Verweilen. Die Tatsache der
Videoüberwachung wird offengelegt, sodass eine heimliche Vornahme der
Überwachungsmaßnahme, die besonders schwerwiegend in die Rechte der
betroffenen Personen eingreifen kann, nicht gegeben ist. Es ist deshalb
insgesamt nicht ersichtlich, dass durch die Beobachtung ein erhöhter
Anpassungsdruck bei den Betroffenen erzeugt wird.
Hinzu kommt, dass die Videoaufnahmen nicht auf einen Monitor übertragen
werden, an dem Überwachungspersonen zur ständigen und sofortigen
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Auswertung der Bilder sitzen. Die Bildaufnahmen werden vielmehr im
sogenannten black box-Verfahren auf einen Server geleitet und in der Regel
nach einer bestimmten Zeit ohne jede Auswertung durch Überschreiben der
digital gespeicherten Daten wieder gelöscht. Lediglich wenn ein Ereignis
eintritt, das den oben genannten Zwecken des Hausrechts und der
berechtigten Interessen der Klägerin als Hauseigentümerin und ihrer Mieter
zuwiderläuft, erfolgt eine Sichtung des aufgenommenen Bildmaterials mit dem
Ziel der Auswertung.
ee) Die Klägerin ist den Anforderungen des § 6b Abs. 2 BDSG nach
Kenntlichmachung der Beobachtung und der verantwortlichen Stelle
hinreichend nachgekommen.
Sinn und Zweck der Verpflichtung der verantwortlichen Stelle zur
Kenntlichmachung der Beobachtung ist die Schaffung von Transparenz für
den Betroffenen; er soll vor oder bei Betreten des Raumes wissen, dass er
beobachtet wird, damit er sein Verhalten danach ausrichten und
gegebenenfalls der Beobachtung ausweichen kann (Zscherpe, in:
Taeger/Gabel, a.a.O., § 6b Rdnr. 62 m.w.N.). Diesen Anforderungen genügen
die in deutscher Sprache abgefassten und mit einem Symbol versehenen
Hinweisschilder an den Türen in den Eingangsbereichen des Gebäudes.
Nähere Angaben zur Art und zum Umfang der Videoüberwachung, etwa
Angaben über die genaue Anzahl der Kameras einschließlich ihrer Standorte
oder über die eingesetzte Technik, verlangt das Gesetz nicht (Scholz, in:
Simitis, a.a.O., § 6b Rdnr. 103). Zudem können die Betroffenen die Identität der
verantwortlichen Stelle erkennen.
ff) Die unverzügliche Löschung der erhobenen Daten nach § 6b Abs. 5 BDSG
ist gewährleistet.
Nach dieser Vorschrift sind die durch Videoüberwachung gewonnenen Daten
unverzüglich zu löschen, wenn sie zur Erreichung des ursprünglich verfolgten
Zwecks nicht mehr erforderlich sind oder schutzwürdige Interessen der
Betroffenen einer weiteren Speicherung entgegenstehen. Nicht mehr
erforderlich und daher zu löschen sind nach der - hier allein interessierenden -
ersten Alternative des § 6b Abs. 5 BDSG alle Aufzeichnungen, die nicht mehr
zur Aufklärung eines relevanten Vorfalls beitragen können, weil sie für eine
Gefahrenabwehr oder Rechtsverfolgung nicht mehr benötigt werden. Letzteres
ist anzunehmen, wenn die verantwortliche Stelle von einer Verfolgung absieht
oder eine weitere Untersuchung der Störung oder Tat eingestellt worden ist
(Scholz, in: Simitis, a.a.O., § 6b Rdnr. 139). Eine zeitliche Grenze ist im Gesetz
nicht bestimmt, „unverzüglich“ meint hier in entsprechender Anwendung von §
121 BGB ohne schuldhaftes Zögern. Auch wenn die Gesetzesbegründung
von regelmäßig ein bis zwei Arbeitstagen ausgeht (BT-Drs. 14/5793, S. 63,
zitiert nach Scholz, in: Simitis, a.a.O., § 6b Rdnr. 140 in Fn. 296), ist hier die
Frist von bis zu zehn Wochentagen noch als angemessen zu
betrachten. Diese Frist ist zwar für den verfolgten Zweck der Abschreckung
(Prävention) nicht erforderlich, sie ist aber mit Blick auf die Aufklärung etwaiger
Rechtsverstöße angemessen. Angesichts der häufigen berufsbedingten
Abwesenheit der Mitarbeiter, die in den einzelnen in dem Bürogebäude der
Klägerin befindlichen Kanzleien und Praxen beschäftigt sind, und unter
Berücksichtigung von mitunter längeren arbeitsfreien Zeiträumen ist die
zeitliche Spanne der Speicherung von zehn Wochentagen nicht
unverhältnismäßig. Denn oftmals wird erst nach Ablauf dieser Zeitspanne
verlässlich feststehen, ob und welche Vorkommnisse eine nähere
Untersuchung auch unter Zuhilfenahme der aufgenommenen Videobilder
erfordern und rechtfertigen.
Der Einsatz des black box-Verfahrens gewährleistet eine automatische
Überschreibung der bisher gespeicherten Bilder und damit eine gesicherte
Löschung der gespeicherten Daten (vgl. hierzu Scholz, in: Simitis, a.a.O., § 6b
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Rdnr. 151).
Im Ergebnis liegen die Voraussetzungen der „Erlaubnisnorm“ des § 6b BDSG
insgesamt vor. Die Klägerin nimmt daher die Videoüberwachung ihres
Bürogebäudes in Einklang mit den datenschutzrechtlichen Vorgaben vor.
Mangels festgestellter Verstöße bei der Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung
personenbezogener Daten oder technischer oder organisatorischer Mängel
fehlt es bereits an den tatbestandlichen Voraussetzungen der
Ermächtigungsnorm des § 38 Abs. 5 BDSG. Auf Fragen der richtigen
Ermessensausübung seitens des Beklagten kommt es daher nicht
entscheidungserheblich an.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung
über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 167 VwGO, 708 Nr. 10, 711
ZPO.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht
vor.