Urteil des OVG Niedersachsen vom 28.05.2014

OVG Lüneburg: klagebefugnis, infrastruktur, öffentliche gewalt, subjektives recht, zustellung, bundesamt, güterverkehr, verfügung, inbetriebnahme, gefahr

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Freistellung einer Bahnstrecke; Berufung
Ein Eisenbahninfrastrukturunternehmen, dessen Eisenbahninfrastruktur an
die von einem Antrag auf Freistellung von Bahnbetriebszwecken betroffene
stillgelegte Eisenbahninfrastruktur anschließt, besitzt allein deswegen noch
keine Klagebefugnis für die Anfechtung der Freistellungsverfügung.
OVG Lüneburg 7. Senat, Urteil vom 28.05.2014, 7 LC 16/13
§ 11 AEG, § 23 AEG, § 154 Abs 2 VwGO, § 155 Abs 1 S 3 VwGO, § 42 Abs 2 VwGO,
§ 280 Abs 1 ZPO
Tenor
Die Berufung der Klägerin wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die
Klage nur als unzulässig abgewiesen wird.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der
außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 2), aber mit Ausnahme der
außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1) und zu 3), die nicht
erstattungsfähig sind.
Das Berufungsurteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin kann eine Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von
110 v. H. des auf Grund des Berufungsurteils jeweils vollstreckbaren Betrages
abwenden, wenn nicht die jeweilige Vollstreckungsgläubigerin zuvor Sicherheit
in Höhe von 110 v. H. des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt nach erfolglosem Widerspruchsverfahren die Aufhebung
eines Bescheids des Eisenbahn-Bundesamtes, durch den auf Antrag der
Beigeladenen zu 1) in deren Gemeindegebiet liegende Grundstücke der
Beigeladenen zu 2), über die Teile der seit 1996 stillgelegten einspurigen
Eisenbahnstrecke Nr. 1963 zwischen Uelzen und Dannenberg/West verlaufen,
von Eisenbahnbetriebszwecken freigestellt wurden.
Die Klägerin ist ein Eisenbahninfrastrukturunternehmen, das unter anderem
die an die umstrittene Strecke anschließende Strecke Nr. 6905 zwischen
Lüchow und Dannenberg/Ost („Jeetzeltalbahn“) betreibt (vgl. Bl. 106 der
Gerichtsakte – GA –), indem es diese Strecke anderen entgeltlich für den
Eisenbahnbetrieb zur Verfügung stellt, sodass dort gelegentlich ein
Personenverkehr stattfindet. Eigene Eisenbahnverkehrsleistungen (§ 2 Abs. 2
Satz 1 AEG) erbringt die Klägerin allerdings nicht. Die „Jeetzeltalbahn“ ist
ihrerseits nur über die von Dannenberg/Ost nach Lüneburg führende
„Wendlandbahn“ (Strecke Nr. 1151) der Beigeladenen zu 2) an deren
Streckennetz angeschlossen. Die „Wendlandbahn“ war bis zu dem Ergehen
der angefochtenen Freistellung nicht mit digitalem GSM-R Zugfunk
ausgerüstet, was die Möglichkeiten einschränkte, auf ihr einen Gütertransport
durchzuführen.
Der Personenverkehr auf der umstrittenen Strecke Uelzen – Dannenberg/West
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wurde bereits am 30. Mai 1975 beendet, der fahrplanmäßige Güterverkehr im
Frühjahr 1993. Mit Genehmigung des Eisenbahn-Bundesamtes vom 26. März
1996 stellte die Beigeladene zu 2. mit Wirkung vom 1. Juni 1996 schließlich
den Gesamtbetrieb auf dieser Strecke dauerhaft ein (Bl. 119 ff. GA).
Die Beigeladene zu 1) beantragte am 13. Dezember 2007 bei dem Eisenbahn-
Bundesamt, im Einzelnen benannte Flurstücke auf ihrem Gemeindegebiet, die
dem Betrieb der Strecke Uelzen – Dannenberg/West dienten, von Bahn- und
Betriebszwecken freizustellen. Die Beigeladene zu 2) teilte hierzu im Juni 2008
und nach Abschluss einer internen Prüfung mit, die Voraussetzungen für die
begehrte Freistellung von Bahnbetriebszwecken seien gegeben.
Im Hinblick auf Kaufverhandlungen mehrerer Interessenten mit der hierbei
durch die DB Services Immobilien GmbH vertretenen Beigeladenen zu 2) über
den Erwerb der Strecke Uelzen – Dannenberg/West wurde das
Freistellungsverfahren zeitweilig nicht fortgeführt. Die in den Jahren 2009 und
2010 speziell zwischen der Klägerin und der Beigeladenen zu 2) über diese
Strecke geführten Kaufverhandlungen sind daran gescheitert, dass sich die
Preisvorstellungen der Beigeladenen zu 2) infolge der Stilllegung der Strecke
bereits am Bodenwert orientierten, während die Klägerin wegen der noch
fortbestehenden Zweckbindung der Grundstücke nur einen am Ertragswert
orientierten Preis zu zahlen bereit war (vgl. Bl. 178 der Beiakte – BA – A).
Die Beigeladene zu 3) ist an der beantragten Freistellung interessiert, weil sie
eine marode Brücke, welche die Landesstraße 252 über die Strecke Nr. 1963
führt, durch einen Straßendamm ersetzen möchte. Im Zusammenhang mit
diesen Planungen nahm das Eisenbahn-Bundesamt das
Freistellungsverfahren wieder auf und machte die beantragte Freistellung der
Strecke von Bahnbetriebszwecken im Gebiet der Beigeladenen zu 1) am 7.
Februar 2011 im elektronischen Bundesanzeiger bekannt (Bl. 129 f. BA A). Die
betroffenen Stellen forderte es zur Stellungnahme binnen eines Monats auf.
In ihrer Stellungnahme vom 16. Februar 2011 (Bl. 142 ff. BA A) wandte sich die
Klägerin gegen die Freistellung, da sie ein besonderes Interesse daran habe,
die Strecke Uelzen – Dannenberg zu erhalten und kurzfristig wieder in einen
betriebsbereiten Zustand zu versetzen. Sie stehe vor der Schwierigkeit, dass
sie ihre eigene „Jeetzeltalbahn“ über das aktive Bestandsnetz derzeit nicht im
regelmäßigen Güterverkehr erreichen könne, weil die „Wendlandbahn“
aufgrund von Einschränkungen bei der Infrastruktur und der Zugsicherung
neben dem bestehenden Schülerpersonennahverkehr keine weiteren
Kapazitäten für einen zusätzlichen Güterzug aufweise und eine Anmeldung
von „Bedarfstrassen“ im Rahmen eines Jahresfahrplans infolge der langen
Voranmeldefrist den Güterkunden nicht zu vermitteln sei. Kommunen und
potenzielle Güterkunden hätten sich für den Erhalt der Strecke Uelzen –
Dannenberg ausgesprochen und würden diesen unterstützen. Im regionalen
Raumordnungsplan für den Landkreis Lüchow-Dannenberg sei ein
entsprechendes Ziel enthalten. Unter dem 11. März 2011 (Bl. 212 f. BA A)
vertiefte die Klägerin ihr Vorbringen.
Mit Bescheid vom 15. März 2011 – der Klägerin zugestellt am 17. März 2011 –
stellte das Eisenbahn-Bundesamt die im Einzelnen aufgeführten Flurstücke
der Strecke Uelzen-Dannenberg (Nr. 1963) im Gebiet der Beigeladenen zu 1)
zum 15. März 2011 von Bahnbetriebszwecken frei. Zur Begründung führte es
im Wesentlichen aus, die Beigeladene zu 1) sei antragsbefugt, das
erforderliche Beteiligungsverfahren durchgeführt und für die genannten
Flurstücke bestehe weder ein Verkehrsbedürfnis noch sei die Nutzung der
Infrastruktur im Rahmen der Zweckbestimmung zu erwarten. Ein Interesse der
Klägerin an einer ernsthaft dauerhaften Übernahme der Strecke sei nicht
hinreichend deutlich geworden. Abgesehen von der Vorlage grundsätzlicher
Interessebekundungen von Gemeinden und von Firmen hätte eine ernsthafte
Konzeption der Klägerin, welche die Herrichtung der Strecke für den Betrieb
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und den erneuten Betrieb durch die Klägerin glaubhaft mache, nicht
vorgelegen. Eine Insellage ihrer eigenen Strecke Dannenberg-Lüchow (Nr.
6905) bestehe nicht, weil diese über die Strecke Lüneburg-Dannenberg
angebunden sei. Die Durchbindung von Güterzügen über die Strecke
Lüneburg-Dannenberg sei möglich. Ab September 2011 stünden auf dieser
Strecke Kapazitäten zur Verfügung und es könnten Verkehre angemeldet
werden. Die baldige Freistellung sei unter Berücksichtigung der
vorangeschrittenen Planungen der Landesstraßenbauverwaltung zum Abriss
der Brücke im Zuge der Landesstraße 252 über die Eisenbahnstrecke im
Gemeindebereich und zum Neubau auf der Dammaufschüttung geboten, weil
anderenfalls mit erhöhtem Aufwand aus Steuergeldern eine Brückensanierung
über die möglicherweise jahrelang brachliegende Eisenbahnstrecke erfolgen
müsste.
Zur Begründung ihres dagegen gerichteten Widerspruchs vom 4. April 2011
machte die Klägerin geltend, dass unter Berücksichtigung ihrer Stellungnahme
vom 16. Februar 2011 ein Verkehrsbedürfnis gegeben sei. Die vorgelegten
Erklärungen der betroffenen Kommunen und Gewerbetreibenden seien
unzutreffend und pauschal als bloße Interessensbekundungen angesehen
worden. Es seien zahlreiche sich überlagernde Verkehrspotenziale gegeben
und es sei verkannt worden, dass eine konkrete Bereitschaft zur Übernahme
der Bahnlagen für den Nachweis der Ernsthaftigkeit eines Nutzungsinteresses
nicht erforderlich sei. Dass die Beigeladene zu 2) den ihr gebotenen
Ertragswert grundsätzlich nicht akzeptiere, lasse nicht auf ein mangelndes
Kaufinteresse schließen. Eine Pflicht, vorab Reaktivierungskonzeptionen
aufzustellen oder der Freistellungsbehörde vorzulegen, bestehe nicht.
Das Eisenbahn-Bundesamt wies den Widerspruch der Klägerin mit
Widerspruchsbescheid vom 9. Juni 2011 – zugestellt am 11. Juni 2011 –
zurück und führte zur Begründung unter anderem aus, auch im Hinblick auf
den Güterverkehr sei eine langfristig positive Nutzungsprognose nicht
gegeben. Eine Schienenverbindung für das Hafenindustriegebiet der Stadt
Uelzen bestehe auch ohne die Strecke. Güterverkehr von dort nach Lüchow
könne wirtschaftlicher über Lüneburg und die „Wendlandbahn“ (Strecke Nr.
1151) abgewickelt werden, weil das keine weiteren Investitionen erfordere. Die
Nutzungsprognose sei im Hinblick auf das öffentliche Interesse an einem
attraktiven Verkehrsangebot auf der Schiene anzustellen, nicht im Interesse
öffentlicher Stellen oder privater Unternehmen. Insgesamt sei nicht ersichtlich,
dass aus Gemeinwohlgründen eine Freistellung versagt werden müsste. Das
Straßenbauvorhaben der Landesstraßenbauverwaltung habe keinen Einfluss
auf den Inhalt der Freistellungsentscheidung gehabt.
Am Montag, den 11. Juli 2011, hat die Klägerin Klage erhoben.
Sie hat geltend gemacht:
Es fehle bereits an dem erforderlichen wirksamen Antrag zur Freistellung. Von
einem mangelnden Verkehrsbedürfnis könne nicht ausgegangen werden. Es
sei nicht nachvollziehbar, aus welchen Gründen trotz des angemeldeten
Interesses von betroffenen Gemeinden, des zuständigen Trägers der Landes-
und Regionalplanung sowie der Infrastrukturunternehmen ein Bedürfnis an
eisenbahnspezifischer Nutzung der Strecke verneint worden sei.
Die Klägerin hat beantragt,
den Freistellungsbescheid des Eisenbahn-Bundesamtes vom 15. März
2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Juni 2011
aufzuheben.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
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Sie hat die Ausführungen des angefochtenen Bescheides und des
Widerspruchsbescheides vertieft. Die von der Klägerin genannten
Interessenten äußerten lediglich Wünsche nach einem zusätzlichen
Transportweg. Einzelinteressen seien aber nicht maßgeblich und könnten ein
Verkehrsbedürfnis nicht begründen. Bei der Strecke sei ein faktischer Neubau
wegen der vorhandenen Schäden notwendig.
Die Beigeladene zu 1) hat keinen Antrag gestellt.
Die Beigeladene zu 2) hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat sich zur Begründung auf die Ausführungen der Beklagten bezogen.
Die Beigeladene zu 3) hat ebenfalls keinen Antrag gestellt.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch das angefochtene Urteil vom 6.
Februar 2013 selbständig tragend als mangels Klagebefugnis unzulässig und
wegen der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts unbegründet
abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:
Nach § 42 Abs. 2 VwGO sei die Klage nur zulässig, wenn der Kläger geltend
mache, durch den angefochtenen Verwaltungsakt in seinen Rechten verletzt
zu sein. Eine Verletzung eigener Rechte im Sinne des § 42 Abs. 2 VwGO
werde geltend gemacht, wenn bei Erlass des angefochtenen
Verwaltungsaktes Rechtsvorschriften hätten beachtet werden müssen, die
(auch) im Interesse des Klägers ergangen seien. Sei eine Klägerin – wie hier –
nicht (unmittelbare) Adressatin eines Verwaltungsakts, müsse geprüft werden,
ob subjektive eigene Rechte oder zumindest anderweitig geschützte
Interessen verletzt sein könnten. Das sei hier nicht der Fall. Eine besondere
Berücksichtigung der Interessen des Eisenbahninfrastrukturunternehmens,
dessen Eisenbahninfrastruktur an die vom Antrag betroffene
Eisenbahninfrastruktur anschließe, sei im Rahmen der
Freistellungsentscheidung nach § 23 Abs. 1 AEG nicht geboten. Komme es
aber bei der Freistellungsentscheidung maßgeblich [nur] auf den Wegfall der
öffentlichen Belange an, fehle es einem privaten Dritten, der ein materielles,
aktuelles oder künftiges Interesse an der Aufrechterhaltung des
planungsrechtlichen Status habe, an der nach § 42 Abs. 2 VwGO
erforderlichen geschützten Rechtsposition. Der § 23 AEG (a. F.) enthalte keine
dem § 11 Abs. 1a AEG vergleichbare Regelung, die auch die Chancen für die
Übernahme von Schienenstrecken und anderen Infrastruktureinrichtungen
verbessern solle und interessierten Dritten das Recht zur
Angebotsaufforderung einräume. Eine geschützte Rechtsposition ergebe sich
insbesondere nicht aus dem Stellungnahmeverfahren nach § 23 Abs. 2 Satz 1
AEG (a. F.). Dessen Funktion sei die Information und die Einholung von
Stellungnahmen, die für die Entscheidung für die Freistellung bedeutsam sein
könnten. Der Schutz und die Wahrung eigener Rechte der in § 23 Abs. 2 Satz
1 AEG (a. F.) genannten Unternehmen, Behörden oder sonstigen Stellen sei
mit der Regelung nicht bezweckt. Das Zustellungserfordernis in § 23 Abs. 3
AEG lasse keinen anderen Schluss zu. Es sei nur für die nach § 23 Abs. 1
AEG antragsbefugten Stellen vorgesehen, weil [nur] diese durch die
Freistellungsentscheidung in ihren Rechten betroffen würden, sodass die
förmliche Zustellung angezeigt sei. Eine Verletzung ihres Eigentumsrechts aus
Art. 14 Abs. 1 GG durch den Freistellungsbescheid könne die Klägerin
ebenfalls nicht geltend machen. Sie habe bisher keine Rechte an der von der
Freistellung betroffenen Strecke. Die Eigentumsgarantie schütze den
konkreten Bestand an vermögenswerten Gütern vor ungerechtfertigten
Eingriffen durch die öffentliche Gewalt und erfasse nur Rechtspositionen, die
einem Rechtssubjekt bereits zustünden, nicht aber in der Zukunft liegende
Chancen und Verdienstmöglichkeiten. Unter dem Blickwinkel des Rechts am
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eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb könne ein Vorbringen
jedenfalls nur dann Erfolg haben, wenn eine ernsthafte und konkrete Gefahr
für den Bestand des Gewerbebetriebes begründet werde. Eine solche liege
nur dann vor, wenn der befürchtete Schaden in absehbarer Zukunft mit
hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten sei. Eine lediglich nicht
auszuschließende Möglichkeit des Schadenseintritts reiche zur Annahme
einer konkreten Gefahr oder eines ernstlichen Risikos nicht aus. Hinreichende
Anhaltspunkte für die Gefahr eines Existenzverlustes oder die Gefährdung der
Existenz der Klägerin wegen der Freistellungsverfügung vom 15. März 2011
seien von ihr weder vorgetragen worden noch sonst ersichtlich. Die Klage sei
im Übrigen aus folgenden – selbstständig tragenden – Gründen auch nicht
begründet. Der Freistellungsbescheid des Eisenbahn-Bundesamtes vom 15.
März 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Eisenbahn-
Bundesamtes vom 9. Juni 2011 sei rechtmäßig (§ 113 Abs. 1 VwGO). … [wird
ausgeführt] Die Berufung sei gemäß § 124a Abs. 1 i. V. m. § 124 Abs. 2 Nr. 3
VwGO zuzulassen. Die Frage, ob ein Eisenbahninfrastrukturunternehmen,
dessen Eisenbahninfrastruktur an die von dem Antrag auf Freistellung
betroffene Eisenbahninfrastruktur anschließe, nach § 42 Abs. 2 VwGO
klagebefugt sei, habe grundsätzliche Bedeutung und sei obergerichtlich nicht
geklärt.
Nach Zustellung des angefochtenen Urteils am 6. März 2013 hat die Klägerin
am 5. April 2013 Berufung eingelegt und dieses Rechtsmittel nach mehrfacher
Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 24. Juni 2013 an
diesem Tage begründet. Sie macht unter anderem Folgendes geltend:
Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts seien die Beklagte und die
Klägerin ersichtlich von einer Klagebefugnis gemäß § 23 Abs. 2 AEG
ausgegangen. Die Vorinstanz lasse bei ihren Überlegungen vollständig außer
Acht, dass sie, die Klägerin, als Adressatin eines Verwaltungsbescheides
klagebefugt sei. Ihr gegenüber sei der mit einer Rechtsmittelbelehrung
versehene Feststellungsbescheid erlassen worden. Wenn die Beklagte ihr
gegenüber etwas feststelle, dann müsse sie auch die Möglichkeit haben, sich
gegen diese Feststellung zur Wehr zu setzen. Umfasse die Feststellung auch
ihre Interessen, so ergebe sich bereits daraus die Klagebefugnis. Im
vorliegenden Falle bestehe ein Eisenbahnnachbarrechtsverhältnis, in dem sie,
die Klägerin, durch den Freistellungbescheid nachteilig betroffen werde. Zu
Unrecht gehe das Verwaltungsgericht davon aus, dass in § 23 AEG eine dem
§ 11 Abs. 1a AEG vergleichbare Regelung fehle. Wenn bereits § 11 Abs. 1a
AEG eine Verbesserung der Chancen auf Übernahme darstellen solle, so
müsse dies erst recht für § 23 Abs. 2 AEG in Bezug auf die Betreiberin der
Nachbareisenbahnstrecke gelten. Eine unterschiedliche Behandlung beider
Regelungen hätte keinen Sinn. Dies insbesondere deshalb, weil die Vorschrift
des § 23 Abs. 2 AEG als ein spezielles, die allgemeine Anhörungsregelung in
§ 28 VwVfG ergänzendes Stellungnahmeverfahren betrachtet werde. Gemäß
§ 28 Abs. 1 VwVfG sei eine Beteiligte anzuhören, bevor in ihre Rechte
eingegriffen werde. Werde also das Stellungnahmeverfahren gemäß § 23 Abs.
2 AEG als spezialisiertes Anhörungsverfahren verstanden, sei damit
hinlänglich klargestellt, dass in ihre, der Klägerin, Rechte eingegriffen werden
solle. Denn ohne einen solchen Eingriff erfolgte keine Anhörung. Jedenfalls
ergebe sich die Klagebefugnis einer angrenzenden Gleisbetreiberin aus dem
Zusammenspiel der Regelungen des § 23 Abs. 1 AEG mit derjenigen des § 23
Abs. 2 AEG. Denn wenn in der Stellungnahme (§ 23 Abs. 2 AEG) des
nachbarlichen Eisenbahninfrastrukturunternehmens nachgewiesen werde,
dass ein Verkehrsbedürfnis bestehe und langfristig eine Nutzung der
Infrastruktur zu erwarten sei, so müsse die Planfeststellungsbehörde den
Antrag auf Freistellung von Bahnbetriebszwecken zwingend ablehnen (§ 23
Abs. 1 AEG). Deshalb sei die Stellungnahme weit mehr als eine
„Interessensbekundung“ oder Information zur besseren Entscheidungsfindung
der Beklagten. Dementsprechend müsse sie, die Klägerin, in der Lage sein,
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ihre Betriebsplanung (gerichtlich) zu verteidigen. Dies insbesondere deshalb,
weil sie als Nachbarunternehmen erst nach Ablehnung der Freistellung
sinnhaft in der Lage sei, einen Antrag nach § 6 AEG zu stellen. In der
amtlichen Begründung zu § 23 Abs. 2 AEG sei zwar eine Klagebefugnis des
nachbarlichen Eisenbahnunternehmens nicht positiv niedergelegt. Das
Gegenteil finde sich dort aber auch nicht. Dagegen würde die
gesetzgeberische Grundentscheidung zugunsten einer grundsätzlichen
Beibehaltung von Eisenbahninfrastrukturen vollständig ausgehöhlt werden,
wenn nicht das nachbarliche Eisenbahninfrastrukturunternehmen eine eigene
Klagebefugnis hätte. Denn sofern sich die Planfeststellungsbehörde und die
Beigeladene zu 2) „einig wären“, könnte ansonsten jede von der Beigeladenen
zu 2) vernachlässigte Eisenbahnstrecke zwecks Grundstücksvermarktung von
Eisenbahnbetriebszwecken freigestellt werden, ohne dass Dritte daran etwas
zu ändern vermöchten. Selbst wenn sie, die Klägerin, nicht klagebefugt wäre,
müsste die Kostenentscheidung des verwaltungsgerichtlichen Urteils
aufgehoben werden. Denn dann hätte nicht sie, sondern die Beklagte die
Veranlassung zu dem Klageverfahren gegeben, und zwar durch den Erlass
eines Bescheides nebst dem Verweis auf die ihr, der Klägerin, zustehenden
Rechtsbehelfe.
Die Klägerin regt an, im Wege eines Zwischenurteils die Zulässigkeit der Klage
festzustellen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Lüneburg – 5. Kammer – vom 6.
Februar 2013 abzuändern und den Freistellungsbescheid des
Eisenbahn-Bundesamts vom 15. März 2011 in der Gestalt des
Widerspruchbescheids des Eisenbahn-Bundesamts vom 9. Juni 2011
aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie erwidert unter anderem: Die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zur
mangelnden Klagebefugnis seien überzeugend. Wenn ein
nachbarschaftliches Eisenbahninfrastrukturunternehmen das einklagbare
Recht hätte, trotz äußerst unsicherer oder negativer Prognose über zukünftige
auskömmliche Verkehre auf der Strecke eine Infrastruktur zum Ertragswert zu
übernehmen, würde dies massiv in die Eigentumsrechte des bisherigen
Infrastrukturbetreibers eingreifen, der nach einer Freistellung die freigestellten
Flächen zu marktgerechten Preisen verkaufen könnte. Dies könne
insbesondere im Hinblick darauf nicht richtig sein, dass das nachbarschaftliche
Eisenbahninfrastrukturunternehmen die übernommene Eisenbahninfrastruktur
möglicherweise zeitnah wieder aufgeben müsste, dann aber die Flächen [nach
deren Freistellung] selbst vermarkten und einen willkommenen Gewinn
erzielen könnte. Ein Güterzugverkehr über die „Wendlandbahn“ (Strecke 1151)
von Lüneburg nach Dannenberg/Ost zur Erschließung der „Jeetzeltalbahn“ der
Klägerin von Dannenberg/Ost nach Lüchow sei möglich. Mit einer zeitlichen
Verzögerung von rund drei Monaten gegenüber der Prognose des
Widerspruchsbescheids sei seit dem 11. Dezember 2011 auf der Strecke 1151
zwischen Lüneburg und Dannenberg/Ost der GSM-R-Zugfunk in Betrieb
gegangen, sodass diese Strecke nun zuverlässig sowohl nachts als auch
tagsüber für Güterzugfahrten genutzt werden könne. Trassen für die Fahrten
müssten sich lediglich an den Fahrzeiten des Personenverkehrs ausrichten.
So könnte seit dem 11. Dezember 2011 auf der „Wendlandbahn“ ein Güterzug
dem regulären Personenzug hinterherfahren. Außerdem könnte im Bahnhof
Dahlenburg eine Zugkreuzung erfolgen, falls ein Güterzug dem regulären
Personenzug entgegenführe. Darüber hinaus wäre ein Güterzugverkehr in der
nächtlichen Pause des Reiseverkehrs zwischen 21.48 Uhr (samstags bereits
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18.48 Uhr) und 6.11 Uhr (sonntags erst 10.11 Uhr) möglich. Die Möglichkeiten,
nachts zu fahren, hätten auch schon vor der Inbetriebnahme des GSM-R-
Zugfunks bestanden. Mit Blick auf denkbare Güterzugfahrten tagsüber wäre
jedoch zu befürchten gewesen, dass das Eisenbahn-Bundesamt – wie
zwischenzeitlich schon einmal 1995/96 – erneut eine Verfügung erlassen
hätte, nach der sicherzustellen gewesen wäre, dass sich jeweils nur ein Zug
auf der Strecke befunden hätte. Fahrten auf Eisenbahnstrecken bedürften
immer einer vorherigen Trassenanmeldung bei dem Infrastrukturbetreiber, hier
also der Beigeladenen zu 2). Dementsprechend müsste ein
Eisenbahnverkehrsunternehmen, das über die „Wendlandbahn“ und dann
weiter zur „Jeetzeltalbahn“ der Klägerin fahren wolle, eine „Bedarfstrasse“
anmelden. Für fahrplanmäßige Verkehre sei mit einer Frist von etwa 9
Monaten zu rechnen. Für Gelegenheitsverkehre seien jedoch auch kurzfristige
Trassenanmeldungen möglich. Zwar sei in dem Widerspruchsbescheid des
Eisenbahn-Bundesamtes vom 9. Juni 2011 die Zulässigkeit des
Rechtsbehelfs, und damit die Widerspruchsbefugnis der Klägerin,
angenommen worden. Es sei aber lediglich ein Entgegenkommen der
Freistellungsbehörde gewesen, der Klägerin auf deren Anfrage zuzusagen,
auch ihr den Freistellungsbescheid zuzustellen, um ihr die Möglichkeit zu
geben, die Entscheidung ggf. gerichtlich überprüfen zu lassen. Hieraus lasse
sich keinesfalls konstruieren, dass sie, die Beklagte, die Klägerin in eine Klage
„getrieben“ habe und deshalb nunmehr für die Kosten aufkommen müsse.
Die Beigeladene zu 1) stellt keinen Antrag.
Die Beigeladene zu 2) beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie entgegnet dem Rechtsmittel unter anderem: Für die Frage der
Klagebefugnis sei es ohne Belang, ob die Hauptbeteiligten bis zur
erstinstanzlich durchgeführten mündlichen Verhandlung eine Klagebefugnis
der Klägerin angenommen hätten. Auch der Umstand, dass der
Freistellungsbescheid eine Rechtsbehelfsbelehrung aufweise, sei nicht
geeignet, eine Klagebefugnis der Klägerin zu begründen. Auf die zutreffenden
Erwägungen der Entscheidungsgründe des verwaltungsgerichtlichen Urteils
zur fehlenden Klagebefugnis werde verwiesen. Der § 23 Abs. 2 AEG stelle
lediglich die Berücksichtigung der von der Entscheidung berührten Belange
durch die Freistellungsbehörde sicher, weise jedoch nicht darauf hin, dass der
Gesetzgeber dem angrenzenden Eisenbahninfrastrukturunternehmen ein
subjektives Recht oder eine Klagebefugnis habe einräumen wollen. Wäre dies
gewollt gewesen, so wäre es ausdrücklich geschehen. Etwas anderes ergebe
sich auch nicht aus § 11 Abs. 1a AEG; denn dort gehe es nicht um
Eisenbahninfrastrukturunternehmen mit einer an die stillzulegende Strecke
angrenzenden Eisenbahninfrastruktur. Da die Strecke 1151 („Wendlandbahn“)
vor Dezember 2011 weder mit einem Streckenblock (Sicherung der Zugfahrten
auf der Strecke) noch mit Zugfunk ausgerüstet gewesen sei, sei ihr, der
Beigeladenen zu 2), durch das Eisenbahn-Bundesamt zur Auflage gemacht
worden, dass sich jeweils nur ein Zug auf der Strecke habe befinden dürfen.
Damit sei der Verkehr eines zusätzlichen [Güter-] Zuges am Tage – obwohl
Fahrplanfenster vorhanden gewesen seien – nicht möglich gewesen. Alle
zusätzlichen Züge hätten außerhalb der Verkehrszeit von Reisezügen, also
zur Nachtzeit, verkehren müssen. Der Verkehr von Sonderzügen außerhalb
der veröffentlichten Streckenöffnungszeiten hätte allerdings zusätzliche Kosten
für das Vorhalten von Betriebspersonal mit sich gebracht, die durch das
Eisenbahnverkehrsunternehmen, das einen Verkehr zu diesen Zeiten
wünsche, zu tragen gewesen wären. Außerdem wäre es erforderlich gewesen,
in der Regel 14 Tage vor dem Verkehrstage eine Trasse anzumelden, da die
Verlängerung der Arbeitszeit des Betriebspersonals der Zustimmung des
Betriebsrates bedurft hätte. Seit der im Dezember 2011 erfolgten
Inbetriebnahme des digitalen Zugfunks auf der Strecke 1151 könnten
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zusätzliche [Güter-] Züge die vorhandenen Fahrplanfenster am Tage nutzen.
Die Beigeladenen zu 3) stellt ebenfalls keinen Antrag.
Der Senat hat mit Beschluss vom 29. April 2014 gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.
V. m. § 280 Abs. 1 ZPO angeordnet, dass eine mündliche Verhandlung
stattfindet, in der abgesondert über die Zulässigkeit der Berufung und nur
insoweit über deren Begründetheit verhandelt wird, als es die Zulässigkeit der
Klage betrifft.
Der Berichterstatter zweiter Instanz hat unter dem 6. Mai 2014
Aufklärungsverfügungen erlassen, die sich auf die Inbetriebnahme von GSM-
R-Zugfunk auf der „Wendlandbahn“, die Möglichkeiten der Klägerin, eine
Durchbindung von Güterzügen auf der Strecke von Lüneburg über die
„Wendlandbahn“ und ihre eigene „Jeetzeltalbahn“ bis nach Lüchow zu
erreichen, sowie darauf bezogen, in welchem zeitlichen Ausmaß die
„Jeetzeltalbahn“ von Streckensperrungen betroffen war und damit ihrerseits
überhaupt für einen etwaigen Eisenbahn(güter)verkehr zur Verfügung
gestanden hat.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der
Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakten und die
Verwaltungsvorgänge der Beklagten (BA A – C) verwiesen. Diese Unterlagen
sind – ihrem unter Berücksichtigung des Beschlusses vom 29. April 2014 hier
wesentlichen Inhalt nach – Gegenstand der mündlichen Verhandlung zweiter
Instanz und der Beratung im Senat gewesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet (
A.
Maßgabe zurückzuweisen, dass die Klage lediglich als unzulässig
abgewiesen wird (
B.
A.
Die Berufung der Beklagten ist unbegründet, weil das Verwaltungsgericht die
Klage zu Recht abgewiesen hat.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, weil die Klägerin
nicht – wie gemäß § 42 Abs. 2 VwGO erforderlich – klagebefugt ist. Sie macht
nicht im Sinne dieser Vorschrift geltend, durch den angefochtenen
Freistellungsbescheid vom 15. März 2011 in der Gestalt des
Widerspruchbescheids vom 9. Juni 2011 in ihren Rechten verletzt zu sein;
denn eine solche Rechtsverletzung erscheint objektiv nicht als möglich,
sondern scheidet offensichtlich und eindeutig nach jeder Betrachtungsweise
aus (vgl. BVerwG, Urt. v. 8. 2. 1997 – BVerwG 1 C 29.95 –, BVerwGE 104, 115
[118]).
Für die Annahme einer möglichen Rechtsverletzung reicht es nicht aus, dass
die Klägerin eine Verletzung in eigenen Rechten behauptet, dass beide
Hauptbeteiligten bis zur mündlichen Verhandlung im ersten Rechtszug eine
solche Rechtsverletzung für möglich hielten und dass das Eisenbahn-
Bundesamt meinte, der Klägerin durch die Zustellung des
Freistellungsbescheids die gerichtliche Überprüfung der objektiven
Rechtmäßigkeit der Freistellungsverfügung im Wege eines
„Entgegenkommens“ ermöglichen zu können (
I.
als Adressatin der angefochtenen Freistellungsverfügung (
II.
Drittschutz einer Rechtsnorm Begünstigte (
III.
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Das Erfordernis einer Klagebefugnis (§ 42 Abs. 2 VwGO) bezweckt die
Vermeidung von Popularklagen, mit denen sich ein Kläger zum prozessualen
Sachverwalter von Rechten und Interessen der Allgemeinheit aufwirft.
Aufgrund dieser Zielsetzung kann es für die Bejahung einer Klagebefugnis –
anders als für die aktive Prozessführungsbefugnis im Zivilprozessrecht – nicht
ausreichen, dass eine Klägerin die Verletzung ihrer subjektiven Rechte
behauptet (Kopp/Schenke, VwGO, 19. Aufl. 2013, § 42 Rnrn. 60 und 65, m. w.
N.). Die Klagebefugnis dient zwar auch dem Schutz einer Beklagten vor
unnötiger Inanspruchnahme (Kopp/Schenke, a. a. O., § 42 Rnrn. 59). Sie ist
aber gleichwohl keine für die Hauptbeteiligten eines Prozesses disponible
Sachurteilsvoraussetzung. Sieht man sie in ihrem inneren Zusammenhang mit
den Vorschriften des § 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO, wird
vielmehr deutlich, dass sie eine zwingende Begrenzung der Kontrollfunktion
der Judikative enthält, deren einschränkende Wirkung einerseits eine
sachliche Bedingung und Rechtfertigung für die durch die Generalklausel des
§ 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO begründete nicht lediglich enumerative
Zuständigkeit ist (Happ, in Eyermann, VwGO, 13. Aufl. 2010, § 42 Rn. 72) und
andererseits der Rechtssicherheit derjenigen dient, die – wie im vorliegenden
Falle die Beigeladenen zu 2) und zu 3) – von dem Inhalt und dem Eintritt der
Bestandskraft eines Verwaltungsakts begünstigt werden, der ihren Rechtskreis
erweitert. Dementsprechend rechtfertigt weder die zeitweilige
Übereinstimmung der Hauptbeteiligten in Bezug auf die Annahme einer
Rechtsbehelfsbefugnis der Klägerin noch die Bereitschaft des Eisenbahn-
Bundesamtes, der Klägerin durch die förmliche Zustellung des
Ausgangsbescheids im Wege eines „Entgegenkommens“ die gerichtliche
Überprüfung der objektiven Rechtmäßigkeit seines Verwaltungsakts
zuzugestehen, den Erlass eines Sachurteils. Die förmliche Zustellung ist
außerdem ihrerseits nur ein verfahrensrechtliches Mittel der Sicherung des
Nachweises von Zeit und Art der Übergabe eines Schriftstücks. Entfaltet
dieses Schriftstück seinem Inhalt nach gegenüber dem Empfänger der
Sendung keine Rechtswirkungen, die diesem eine Klagebefugnis verleihen, so
vermag auch die förmliche Zustellung des Schriftstücks dies nicht zu bewirken
(vgl. BVerwG, Urt. v. 11. 5. 1979 – BVerwG 6 C 70.78 –, BVerwGE 58, 100
[106]).
II.
Entgegen ihrer Auffassung ist die Klägerin nicht als Adressatin eines
feststellenden Verwaltungsakts klagebefugt. Soweit ein Kläger Adressat eines
Verwaltungsakts ist, der ihm ein Handeln, Unterlassen oder Dulden gebietet,
ergibt sich zwar aus dem zumindest durch das Auffanggrundrecht des Art. 2
Abs. 1 GG begründeten umfassenden Schutz seiner Freiheitssphäre, dass
hier stets die Möglichkeit einer Rechtsverletzung zu bejahen ist
(Kopp/Schenke, a. a. O., § 42 Rn. 69). Es reicht hiernach aber gerade nicht
bereits die formale Adressierung eines Bescheids aus, sondern der Kläger
muss materieller Adressat einer entsprechenden ihn belastenden Regelung im
Sinne des § 35 Satz 1 VwVfG sein. Entgegen der Annahme der Klägerin ist
dies hier nicht der Fall. Der angefochtene Freistellungsbescheid gibt ihr kein
Handeln, Unterlassen oder Dulden innerhalb ihres eigenen Rechtskreises auf.
Er trifft ihr gegenüber auch keine sie in ihrem Rechtskreis belastende
Feststellung, dass sie zu einem Handeln, Unterlassen oder Dulden verpflichtet
sei. Denn die Freistellungsverfügung ist trotz des Gesetzeswortlauts des § 23
Abs. 1 Satz 1 AEG a. F. (d. h. des Paragrafen in seiner hier anzuwendenden
Fassung des Dritten Gesetzes zur Änderung eisenbahnrechtlicher Vorschriften
vom 27. April. 2005 (BGBl. I, 1138 [1145]), „Die … Planfeststellungsbehörde
stellt … für Grundstücke … die Freistellung fest, …“, ein rechtsgestaltender
Verwaltungsakt, der für ein Grundstück die Rechtswirkungen der
Planfeststellung und der Widmung zu Eisenbahnbetriebszwecken beseitigt
und den rechtlichen Zustand wiederaufleben lässt, in dem sich das
Grundstück vor der Belastung mit dem Fachplanungsvorbehalt des § 38
48
49
50
51
BauGB befunden hat (BVerwG, Beschl. v. 21. 4. 2014 – BVerwG 6 B 55.13 –,
juris, Langtext Rn. 13, und Beschl. v. 21. 4. 2010 – BVerwG 7 B 39.09 –, NVwZ
2010, 1159 f., hier zitiert nach juris, Langtext Rn. 18). Mit ihr wird daher keine
Feststellung gegenüber der Klägerin als Rechtssubjekt getroffen, sondern
allenfalls eine „objektbezogene Feststellung“ in dem Sinne, dass die
Verfügung als „actus contrarius“ zur Widmung die öffentlich-rechtliche
Eigenschaft einer (unbeweglichen) Sache (vgl. § 35 Satz 2 Fall 2 VwVfG)
betrifft (vgl. Kramer, „§ 11 und § 23 des Allgemeinen Eisenbahngesetzes
[AEG] im Kontext des Projektes 'Stuttgart 21'“, VerwArch 2013, 26 ff. [31] sowie
Kramer, in: Kunz [Hrsg.], Eisenbahnrecht, Stand: 11/2013, Erl. § 23 AEG Rn.
11), indem sie den Wegfall eben dieser Eigenschaft festschreibt.
III.
Die Klägerin ist nicht als vom Drittschutz einer Rechtsnorm Begünstigte
klagebefugt. Erforderlich hierfür wäre unter anderem, dass (
1.
Beurteilung des geltend gemachten Anspruchs auf Aufhebung der
Freistellungsverfügung die Anwendung von Rechtssätzen des öffentlichen
Rechts in Betracht kommt, die zumindest auch dem Schutz der Interessen von
Personen zu dienen bestimmt sind, die sich in der rechtlichen Situation der
Klägerin befinden (Schutznormen). Erforderlich wäre des Weiteren, dass (
2.
die Klägerin von der in Streit stehenden Freistellungsverfügung unmittelbar-
tatsächlich in der geschützten Rechtsposition betroffen ist oder jedenfalls die
Möglichkeit einer solchen tatsächlichen Betroffenheit nach Lage der Dinge
nicht von vornherein ausgeschlossen erscheint (vgl. Kopp/Schenke, a. a. O., §
42 Rn. 71).
1.
derjenigen zu dienen bestimmt ist, die nicht Adressaten eines auf der
Grundlage dieser Bestimmung erlassenen Verwaltungsaktes sind, hängt
davon ab, ob sich aus individualisierenden Tatbestandsmerkmalen der Norm
ein einschlägiger Personenkreis entnehmen lässt, der sich von der
Allgemeinheit unterscheidet. Aus dem im Wege der Auslegung zu ermittelnden
Schutzzweck der Bestimmung muss sich [zudem] ergeben, dass sie
unmittelbar (auch) den rechtlichen Interessen dieses Personenkreises zu
dienen bestimmt ist und nicht nur tatsächlich, also reflexartig, seine Rechte
berührt (BVerwG, Urt. v. 11. 12. 2013 – BVerwG 6 C 24.12 –, juris, Langtext
Rn. 30).
a)
zugunsten der dort genannten Eisenbahninfrastrukturunternehmen, deren
Infrastruktur an die von dem Freistellungsantrag betroffene Infrastruktur
anschließt, die Voraussetzungen einer Schutznorm. Denn aus dem im Wege
der Auslegung ermittelten Zweck des § 23 AEG (a. F.) ergibt sich nicht, dass
diese Bestimmung unmittelbar (auch) den rechtlichen Interessen dieser
Eisenbahninfrastrukturunternehmen zu dienen bestimmt ist.
Ausweislich des § 23 Abs. 1 AEG (a. F.) sind
Eisenbahninfrastrukturunternehmen, deren eigene Infrastruktur an eine fremde
Infrastruktur anschließt, nicht befugt für diese fremde Infrastruktur einen
Freistellungsantrag zu stellen. Um die Vorschrift gleichwohl als eine zu ihren
Gunsten wirkende Schutznorm anzusehen, wäre daher erforderlich, dass § 23
AEG (a. F.) zumindest auch den Schutz solcher Dritter bezweckt, die – wie
vorliegend die Klägerin – weder (materielle) Adressaten des
Freistellungsbescheids noch Antragsberechtigte im Freistellungsverfahren
sind. Ein in diesem Sinn drittschützender Charakter der Vorschrift lässt sich
aber weder aufgrund der Tatbestandsvoraussetzungen für eine Freistellung (§
23 Abs. 1 AEG a. F.) noch aufgrund der Verfahrensvorschriften (§ 23 Abs. 2
und 3 AEG a. F.) feststellen (Bay. VGH, Urt. v. 9. 7. 2013 – 22 B 13.475 –,
GewArch 2014, 44 ff., hier zitiert nach juris, Langtext Rn. 20). Der amtlichen
Begründung (BT-Drucks. 15/4419 v. 1. 12. 2004, S. 18, zu Nummer 11) nach
bezweckte der Bundesgesetzgeber bei der Einfügung des neuen § 23 AEG
durch das Dritte Gesetz zur Änderung eisenbahnrechtlicher Vorschriften vom
27. April 2005 (BGBl. I S. 1138), anknüpfend an die Grundsatzentscheidung
des Bundesverwaltungsgerichts zur „Entwidmung“ von Bahnanlagen
(BVerwG, U. v. 16. 12. 1988 – BVerwG 4 C 48.86 – BVerwGE 81, 111) die
bislang nicht kodifizierten Voraussetzungen für eine konkrete eindeutige
Festlegung des Zeitpunkts, in dem Bahngrundstücke vom
Fachplanungsvorbehalt in die kommunale Planungshoheit übergehen, sowie
auch das hierfür durchzuführende Verfahren gesetzlich zu regeln. Die
Entscheidung des hierfür zuständigen Eisenbahn-Bundesamts ergeht nach
dem Willen des Gesetzgebers als gebundene Entscheidung („… ist die
Freistellung festzustellen“) und im Allgemeininteresse (Hermes, in: Beck’scher
AEG-Kommentar, 1. Aufl. 2006, § 23 Rnrn. 23 und 53). Es gibt keine
hinreichenden Anhaltspunkte für die Annahme, § 23 AEG (a. F.) habe über
den Kreis der Antragsberechtigten nach § 23 Abs. 1 AEG (a. F.) hinaus
drittschützende Wirkung. Für die Annahme einer solchen drittschützenden
Wirkung reicht es insbesondere nicht hin, dass § 23 Abs. 2 AEG (a. F.) die
Behörde verpflichtet, auch diejenigen Eisenbahninfrastrukturunternehmen,
deren Infrastruktur an die von dem Freistellungsantrag betroffene Infrastruktur
anschließt, zur Stellungnahme aufzufordern. Denn die Vorschrift hat nicht die
Wahrung der Rechte der zu Beteiligenden als Ziel, sondern dient dazu, eine
möglichst umfassende Grundlage für die Beurteilung zu schaffen, ob ein
Interesse an einer eisenbahnspezifischen Nutzung aktuell fehlt und auch
langfristig nicht zu erwarten ist (BVerwG, Beschl. v. 21. 4. 2010 – BVerwG 7 B
39.09 –, a. a. O., juris, Langtext Rn. 19, unter Hinweis auf BT-Drucks. 15/4419
v. 1. 12. 2004, S. 19; Bay. VGH, Urt. v. 9. 7. 2013 – 22 B 13.475 –, a. a. O.;
Hermes, a. a. O., § 23 Rn. 35; Kramer, a. a. O., VerwArch 2013, 26 [60]). Zu
Unrecht macht demgegenüber die Klägerin geltend, eine unter dem
Blickwinkel des Drittschutzes unterschiedliche Einordnung der Regelungen
des § 11 Abs. 1a AEG und des § 23 Abs. 2 AEG (a. F.) hätte keinen Sinn, und
meint, unter dem Blickwinkel einer „Verbesserung der Chancen auf
Übernahme“ im Verhältnis beider Vorschriften einen Erst-Recht-Schluss
ziehen zu können. Zwar kommt es in Betracht der Vorschrift des § 11 Abs. 1
Satz 2 AEG i. V. m. § 11 Abs. 1a AEG drittschützenden Gehalt beizumessen
(vgl. Nds. OVG, Urt. v. 19. 9. 2013 – 7 KS 209/11 – NuR 2014, 213 f., hier
zitiert nach juris, Langtext Rn. 71, m. w. N.). Hieran anknüpfende
Schlussfolgerungen zugunsten eines drittschützenden Gehalts des § 23 Abs.
2 AEG (a. F.) sind aber nicht gerechtfertigt. Denn bereits mit der Stilllegung
einer Eisenbahninfrastruktureinrichtung ist der nach § 13 AEG gewährte
Schutz für ein angrenzendes Eisenbahninfrastrukturunternehmen erloschen
(Kramer, in: Kunz, a. a. O., Erl. § 23 AEG Rn. 34). Auch gemäß § 14 AEG und
nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2001/14/EG bestehen Zugangsrechte
nur gegenüber Eisenbahninfrastrukturunternehmen und Betreibern von
Schienenwegen, die den Betrieb der jeweiligen Infrastruktureinrichtung nicht
bereits in zulässiger Weise eingestellt haben (BVerwG, Beschl. v. 21. 3. 2014 –
BVerwG 6 B 55.13 –, juris, Langtext Rnrn. 14 und 16). Nach den
gesetzgeberischen Intentionen soll eine Freistellung überdies erst dann
erfolgen, wenn die Eisenbahninfrastruktur bereits stillgelegt ist (BT-Drucks.
15/4419 v. 1. 12. 2004, S. 18, zu Nummer 11). Dies alles erhellt, dass sich eine
Eisenbahninfrastruktur, für die eine Freistellung ansteht, in einem Stadium des
(potentiellen) „Endes“ als Infrastruktureinrichtung (Kramer, a. a. O., VerwArch
2013, 26 [60]) befindet, das sich wesentlich von demjenigen vor ihrer
Stilllegung unterscheidet und in dem für die Anerkennung eines speziell auf die
Übernahme der Infrastruktureinrichtung abzielenden Schutzzwecks des § 23
AEG (a. F.) kein Raum mehr ist. Der Umstand, dass das
Stellungnahmeverfahren des § 23 Abs. 2 (a. F.) das Anhörungsverfahren des
§ 28 Abs. 1 VwVfG ergänzt oder ggf. verdrängt, rechtfertigt nicht den Schluss,
das erstere Verfahren finde nur unter denselben Voraussetzungen wie das
letztere statt, sodass deshalb anzunehmen sei, eine Freistellung von
(stillgelegten) Infrastrukturen greife in die Rechte eines
52
Eisenbahninfrastrukturunternehmens ein, dessen Infrastruktur an die von dem
Freistellungsantrag betroffene Infrastruktur anschließe. Die zutreffende
Annahme, dass der Freistellungsantrag zwingend abgelehnt werden müsste,
wenn ein solches Eisenbahninfrastrukturunternehmen den Nachweis führte,
dass die Voraussetzungen des § 23 Abs. 1 AEG (a. F.) nicht vorliegen, besagt
nichts über die Klagebefugnis eines derartigen Unternehmens. Denn die
zuständige Planfeststellungsbehörde ist sogar verpflichtet, (erhebliche)
Aspekte zu berücksichtigen, die von Dritten vorgetragen werden, die nicht in §
23 Abs. 2 AEG (a. F.) genannt sind (Kramer, a. a. O., VerwArch 2013, 26 [60]).
Es ist aber offensichtlich, dass nicht jeder klagebefugt sein kann, wenn ihm
und weil ihm (vermeintlich) der Nachweis eines Verkehrsbedürfnisses gelingt.
Ob es für die Klägerin erst dann sinnvoll wäre, zur Wiederaufnahme des
Betriebs der von dem Freistellungsantrag betroffenen Infrastruktur einen
Antrag Erteilung einer Betriebsgenehmigung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AEG
zu stellen, wenn der Freistellungsantrag abgelehnt ist, spielt für die Frage ihrer
Klagebefugnis ebenfalls keine Rolle. Denn allein aus der Möglichkeit, den
Antrag nach § 6 AEG zu stellen, ergibt sich – selbstverständlich – kein Recht
darauf, den Fortbestand von Verhältnissen einzuklagen, unter denen dieser
Antrag sinnvoll wäre. Im Übrigen spricht einiges dafür, dass die Klägerin die
Sinnhaftigkeit einer frühzeitigen Antragstellung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3
AEG für solche Fälle unrichtig beurteilt, in denen sie zwar meint, eine Strecke
rentabel betreiben zu können, sich aber mit der Beigeladenen zu 2) über die
Konditionen der Übernahme dieser Strecke nicht einigen kann (vgl. Kramer,
„Anmerkung zum Urteil des OVG Koblenz vom 18. Dezember 2013 – 8 A
10050/13“, N&R 2014, 111 ff. [116 unter III.]). Die Überlegung der Klägerin,
ohne die Annahme einer Klagebefugnis der hier in Rede stehenden
Eisenbahninfrastrukturunternehmen könnten die Beigeladene zu 2) und die
Planfeststellungsbehörde durch ein fragwürdiges Zusammenwirken
Freistellungen herbeiführen, durch welche die Grundentscheidung des
Gesetzgebers zugunsten einer grundsätzlichen Beibehaltung von
Eisenbahninfrastrukturen ausgehöhlt werde, ohne dass Dritte hiergegen etwas
zu unternehmen vermöchten, rechtfertigt ebenfalls nicht die Annahme einer
Klagebefugnis. Diese Gedankenführung zielt nämlich darauf ab, interessierten
Privaten eine Art „Wächteramt“ hinsichtlich der Wahrung des objektiven Rechts
seitens der zur Entscheidung berufenen Behörde zu verschaffen. Mit dem
Erfordernis der Klagebefugnis soll aber gerade verhindert werden, dass sich
ein interessierter Dritter ohne entsprechende subjektivrechtliche Grundlage im
Klagewege zum Anwalt des Allgemeinwohls aufwerfen kann. Sollten sich
tatsächlich fragwürdige Fälle einer unrechtmäßigen Freistellung abzeichnen,
besteht für den interessierten Bürger die Möglichkeit, die der
Planfeststellungsbehörde übergeordnete Fach- und Rechtsaufsichtsbehörde
von dem Sachverhalt in Kenntnis zu setzen und ein Einschreiten anzuregen.
Dies ist in einem funktionierenden Rechtsstaat ausreichend. Gegen die
Annahme einer drittschützenden Wirkung des § 23 AEG (a. F.) spricht
schließlich die Zustellungsregelung nach § 23 Abs. 3 Satz 1 AEG (a. F.). Hätte
nämlich der Bundesgesetzgeber einen Drittschutz der in § 23 Abs. 2 AEG (a.
F.) genannten Beteiligten gewollt, so wäre anzunehmen, dass er aus Gründen
der Rechtssicherheit auch eine förmliche und damit nachweisbare Zustellung
zumindest an diejenigen Beteiligten vorgeschrieben hätte, die fristgerecht eine
Stellungnahme nach § 23 Abs. 2 AEG (a. F.) abgegeben haben (Bay. VGH,
Urt. v. 9. 7. 2013 – 22 B 13.475 –, a. a. O.).
2.
(i. V. m. Art. 19 Abs. 3 GG) und des Art. 3 Abs. 2 Sätze 1 und 2 Nds. Verf. i. V.
m. Art. 14 Abs. 1 GG (und Art. 19 Abs. 3 GG) auch das Recht am
eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb erfassen. Für die Bejahung
einer Klagebefugnis unter diesem Blickwinkel fehlt es aber bereits an der
Möglichkeit einer unmittelbar-tatsächlich Betroffenheit der Klägerin in dieser
geschützten Rechtsposition durch die in Streit stehende
Freistellungsverfügung. Denn die Möglichkeit einer solchen Betroffenheit
53
54
55
56
erscheint hier nach Lage der Dinge als von vornherein ausgeschlossen.
a)
19 Abs. 3 GG) nur insoweit, als die Unternehmerin Inhaberin einer
Rechtsstellung ist, d. h. soweit sie gegen Beeinträchtigungen ihres
eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs rechtlich abgesichert ist
(BVerwG Urt. v. 11. 11. 1983 – BVerwG 4 C 82.80 –, Buchholz 407.4 § 17
FStrG Nr. 55, hier zitiert nach juris, Langtext Rn. 17). Bloße Umsatz- und
Gewinnchancen und tatsächliche Gegebenheiten sind zwar für ein
Unternehmen von Bedeutung. Sie werden aber nicht dem
verfassungsrechtlich gewährleisteten Bestand des einzelnen Unternehmens
zugeordnet (Bay. VGH, Urt. v. 9. 7. 2013 – 22 B 13.475 –, a. a. O., juris,
Langtext Rn. 28). Die Eigentumsgarantie schützt das Erworbene, hat also die
Ergebnisse geleisteter Arbeit zum Gegenstand. Es ist davon auszugehen,
dass die Klägerin im maßgeblichen Zeitpunkt des Widerspruchsbescheids
vom 9. Juni 2011 ein Interesse daran bekundet hatte, die Strecke Nr. 1963
zwischen Uelzen und Dannenberg/West wieder in Betrieb zu nehmen, um sie
Eisenbahnverkehrsunternehmen für den Personen- und insbesondere den
Güterverkehr zur Verfügung zu stellen. „Ausgeübt und eingerichtet“ im Sinn
eines verfassungsrechtlich geschützten konkreten Bestands an Rechten und
Gütern war dieser Betrieb bis dahin jedoch gerade nicht. Die Klägerin hatte
vielmehr lediglich eine Chance auf die Übernahme der von der Freistellung
betroffenen Strecke, zu deren Verwirklichung es unter anderem aufgrund einer
fehlenden Vereinbarung mit der Beigeladenen zu 2) nicht gekommen ist.
b)
ausgeübten Gewerbebetrieb beeinträchtigt zu sein, kann auch nicht in
Anlehnung an die höchstrichterliche Rechtsprechung zur Bedeutung von
Verschlechterungen der verkehrlichen Erschließung eines Betriebes im
Rahmen von Planfeststellungsverfahren (vgl. etwa: BVerwG, Urt. v. 25. 10.
1967 – BVerwG IV C 148.65 –, Buchholz 407.4 § 1 FStrG Nr. 1, hier zitiert
nach juris, Langtext Rn. 10) zur Bejahung einer Klagebefugnis führen. Denn
die Freistellungsentscheidung ist – wie bereits oben unter
B. III. 2. a)
ausgeführt - keine Entscheidung mit behördlichem Planungsermessen,
sondern eine gebundene Entscheidung. Es besteht daher kein Raum für die
Herleitung einer Klagebefugnis aus dem – hier unanwendbaren – planerischen
Abwägungsgebot, das seinerseits (vgl. Nds. OVG, Urt. v. 19. 9. 2013 – 7 KS
209/11 –, a. a. O., juris, Langtext Rn. 58, m. w. N.) drittschützenden Charakter
bereits hinsichtlich solcher privaten Belange hat, die für die Abwägung
erheblich sind. Im Übrigen unterscheiden sich Fälle, in denen es darum geht,
ob eine bestimmte vorteilhafte verkehrliche Verbindung, die bislang vielfach
benutzt wurde, entfallen soll (vgl. etwa: BVerwG Urt. v. 11. 11. 1983 – BVerwG
4 C 82.80 –, a. a. O., juris, Langtext Rnrn. 1 und 17), auch dadurch von der
vorliegenden Konstellation, dass eine bereits stillgelegte Strecke – wie hier die
umstrittene Strecke Nr. 1963 – nicht benutzt wird und daher keine verkehrliche
Verbindung gewährleistet, auf deren Fortbestand eine Unternehmerin vertraut
und sich in schutzwürdiger Weise eingestellt haben kann.
Auch Art. 14 Abs. 1 GG verschafft der Klägerin hiernach kein Recht, ihre
einseitigen „Betriebsplanungen“ gegenüber der Beklagten und der
Beigeladenen zu 2) „gerichtlich zu verteidigen“, indem sie die Freistellung
anfechtet.
c)
dass unter dem Blickwinkel des Rechts am eingerichteten und ausgeübten
Gewerbebetrieb ein Vorbringen jedenfalls nur dann Erfolg haben könne, wenn
eine ernsthafte und konkrete Gefahr für den Bestand des Gewerbebetriebes
begründet werde (BVerwG, Urt. v. 22. 4. 1994 – BVerwG 8 C 29.92 –
BVerwGE 95, 341 [349 f.]). Hinreichende Anhaltspunkte für eine Gefährdung
der Existenz der Klägerin wegen der Freistellungsverfügung vom 15. März
2011 sind aber nicht ersichtlich. Vielmehr ist dem überzeugenden Vortrag der
57
58
Beklagten im Berufungsverfahren zu entnehmen, dass die Klägerin für die
Nachtzeit und jedenfalls seit der Inbetriebnahme von GSM-R-Zugfunk auf der
„Wendlandbahn“ auch tagsüber nicht gehindert war und ist, unter zumutbarer
Inanspruchnahme dieser Eisenbahnstrecke als „Zubringer“ für ihre
„Jeetzeltalbahn“ diese letztgenannte eigene Strecke auch für die Durchführung
von Güterverkehr zu vermarkten. Die – wenn auch verzögerte – tatsächliche
Inbetriebnahme des Zugfunks indiziert (vgl. BVerwG, Urt. v. 7. 7. 1978 –
BVerwG 4 C 79.76 u. a. –, BVerwGE 56, 110 [122]) die grundsätzliche
Richtigkeit der entsprechenden Prognose des Eisenbahn-Bundesamtes zu
dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der
Widerspruchsentscheidung. Auf einen Anschluss an das Streckennetz der
Beigeladenen zu 2) gerade über die umstrittene Eisenbahnstrecke Nr. 1963
war und ist die Klägerin für ihre betriebliche Zukunftsperspektive nicht
angewiesen.
B.
Die Berufung ist mit der Maßgabe (vgl. OVG NRW, Beschl. v. 16. 12. 2008 – 6
A 670/06 –, juris) zurückzuweisen, dass die Klage lediglich als unzulässig
abgewiesen wird. Denn dem Verwaltungsgericht ist ein Verfahrensfehler
unterlaufen, indem es die Klage nicht nur als unzulässig, sondern zudem und
ebenfalls tragend als unbegründet abgewiesen hat. Wegen der
Verschiedenheit der Rechtskraftwirkung einer Prozess- und einer
Sachabweisung darf eine Klage grundsätzlich nicht zugleich aus
prozessrechtlichen und aus sachlich-rechtlichen Gründen abgewiesen werden
(BVerwG, Beschl. v. 2. 11. 2011 – BVerwG 3 B 54.11 –, NVwZ-RR 2012, 86 f.,
hier zitiert nach juris, Langtext Rn. 6; Nds. OVG, Beschl. v. 13. 1. 2012 – 7 LA
138/11 –, juris, Langtext Rn. 21). Es kann dahinstehen, ob dies auch dann gilt,
wenn eine Anfechtungsklage abgewiesen wird, indem das Gericht unter
demselben materiell-rechtlichen Blickwinkel einerseits bereits die
Klagebefugnis (§ 42 Abs. 2 VwGO) und andererseits die Verletzung des
Klägers in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO) verneint. Im
vorliegenden Falle hat das Verwaltungsgericht die Klage nämlich deshalb als
unbegründet abgewiesen, weil der Freistellungsbescheid vom 15. März 2011
in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Juni 2011 rechtmäßig sei.
Ein Sachurteil dieses Inhalts entfaltet jedoch eine Rechtskraftwirkung dahin,
dass der angefochtene Verwaltungsakt rechtmäßig ist (Kilian, in:
Sodan/Ziekow [Hrsg.], 3. Aufl. 2010, § 121 Rn. 70). Es ist offenkundig, dass
diese Rechtskraftwirkung einen deutlich anderen Inhalt hat, als die Verneinung
lediglich der Klagebefugnis.
C.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 2 und 162 Abs. 3 VwGO.
Der Senat betrachtet die gebotene (OVG NRW, Beschl. v. 16. 12. 2008 – 6 A
670/06 –, juris, Langtext Rn. 15) Umwandlung der erstinstanzlichen
Entscheidung in ein Prozessurteil nicht als einen Teilerfolg des Rechtsmittels
(ebenso: OVG NRW, Beschl. v. 16. 12. 2008 – 6 A 670/06 –, juris, Langtext
Rn. 22; BVerwG, Urt. v. 11. 12. 2013 – BVerwG 6 C 24.12 –, juris, Langtext,
Rnrn. 14, 24 und 27 sowie 93 [insoweit bei juris nicht abgedruckt]; a. A.
BVerwG Beschl. v. 2. 11. 2011 – BVerwG 3 B 54.11 –, a. a. O., juris, Langtext,
Rn. 8 [insoweit bei juris nicht abgedruckt]). Diese Einordnung kann jedoch
letztlich offen bleiben, weil der Senat auch dann, wenn er einen Teilerfolg des
Rechtsmittels unterstellt, auf der Grundlage des § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO
zum selben Kostenausspruch gelangt. Denn wesentlich für die Klägerin ist,
dass ihre Klage abgewiesen wurde und die angefochtene
Freistellungsverfügung bestandskräftig wird. Daran ändert sich mit der
Umwandlung der erstinstanzlichen Entscheidung in ein reines Prozessurteil
nichts. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass die Klägerin die Möglichkeit
besäße, den Mangel der hier fehlenden Sachurteilsvoraussetzung kurzfristig
zu beseitigen und mit demselben Ziel erneut zu klagen.
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66
Die seitens der Klägerin begehrte Änderung der erstinstanzlichen
Kostenentscheidung in eine solche zu Lasten der Beklagten kommt ebenfalls
nicht in Betracht. Die Klägerin hat keine Erledigungserklärung abgegeben oder
ihre Klage zurückgenommen, als sie spätestens in der mündlichen
Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht erkennen konnte, dass ihre Klage
unzulässig ist, sondern beantragt sogar im Berufungsverfahren weiter die
Aufhebung des angefochtenen Verwaltungsakts. Eine etwaige Ursächlichkeit
der Rechtsmittelbelehrung des Widerspruchsbescheids für die Klagerhebung
ist damit durch den Entschluss, den Prozess streitig fortzuführen, überholt,
sodass § 155 Abs. 4 VwGO nicht zur Anwendung gelangen kann.
D.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.
V. m. den §§ 708 Nr. 10 Satz 1 sowie 709 Satz 2, 711 Sätze 1 und 2 ZPO.
E.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht
vor. Die Frage, ob ein Eisenbahninfrastrukturunternehmen, dessen
Eisenbahninfrastruktur an die von dem Antrag auf Freistellung betroffene
Eisenbahninfrastruktur anschließt, (schon deshalb) im Sinne des § 42 Abs. 2
VwGO befugt ist, gegen eine Freistellung nach § 23 Abs. 1 AEG zu klagen,
lässt sich bereits auf der Grundlage der vorliegenden höchstrichterlichen
Rechtsprechung verneinen.
BESCHLUSS
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Berufungsverfahren auf 40.000,-
EUR festgesetzt.
Gründe
Die Wertfestsetzung beruht auf den §§ 47 Abs. 1 Satz 1 und 52 Abs. 1 GKG.
Sie entspricht der Streitwertangabe (§ 61 GKG) der Klägerin in der Klageschrift.
Diese Angabe orientiert sich am erwarteten Jahresmindestgewinn der Klägerin
aus dem angestrebten eigenen Betrieb der umstrittenen Strecke Nr. 1963 (vgl.
Bl. 4 GA).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3
GKG).