Urteil des OVG Niedersachsen vom 25.04.2013

OVG Lüneburg: widerruf, betreiber, vollziehung, privates interesse, landwirtschaftlicher betrieb, biomasse, koch, einfluss, inhaber, umweltrecht

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Stilllegung einer Biogasanlage - Beschwerde im
Verfahren des vorl. Rechtsschutzes -
Liegen - wie hier nach dem Widerruf der für den Betrieb einer Biogasanlage
erteilten Genehmigung - die Voraussetzungen für eine Stilllegung der Anlage
vor, soll die Behörde diese anordnen, wenn nicht ein atypischer Fall vorliegt.
Ein atypischer Fall kann anzunehmen sein, wenn die (erneute)
Genehmigungsfähigkeit der Anlage offensichtlich ist (im vorliegenden
Einzelfall, in dem ein Landwirt die ursprünglich ihm gegenüber genehmigte
Anlage zurückerworben hat, im Hinblick auf die gebotene behördliche
Prüfung, ob sich seit Genehmigungserteilung die Modalitäten des
landwirtschaftlichen Betriebs verändert haben, verneint).
OVG Lüneburg 12. Senat, Beschluss vom 25.04.2013, 12 ME 41/13
§ 35 Abs 1 Nr 6 BauGB, § 20 Abs 2 S 1 BImSchG, § 21 BImSchG, § 173 VwGO, §
265 ZPO
Gründe
I.
Das Verfahren betrifft die für sofort vollziehbar erklärte Stilllegung einer
Biogasanlage.
Unter dem 21. April 2006 erteilte das seinerzeit zuständige Staatliche
Gewerbeaufsichtsamt Emden (GAA) dem Landwirt K. L. die
immissionsschutzrechtliche Genehmigung zum Bau und Betrieb einer
Biogasanlage am Standort M.weg N., O. B., Gemarkung B., Flur P., Flurstück Q..
Auf dem genannten Grundstück befindet sich ein landwirtschaftlicher Betrieb,
den Herr L. von seiner Mutter gepachtet hat. Die Schlussabnahme der
Biogasanlage fand am 23. April 2008 statt.
Bereits unter dem 3. bzw. 4. Januar 2007 hatten Herr L. und die C. R. A. GmbH
& Co. KG (laut Handelsregisterauszug vom 5. März 2013 eine Gesellschaft mit
Sitz in H., deren persönlich haftende Gesellschafterin die C. S. D. GmbH und
deren Kommanditistin die C. S. T. GmbH ist und deren Gegenstand die
Errichtung und der Betrieb einer oder mehrerer Biogasanlagen ist) einen Vertrag
über die Lieferung von Substrat zum Einsatz in einer Biogasanlage
geschlossen. In diesem Vertrag wird die C. R. A. GmbH & Co. KG als „Betreiber“
der Biogasanlage und Herr L. als „Lieferant“ bezeichnet und heißt es weiter, der
Betreiber plane die Errichtung und den Betrieb einer Anlage zur Erzeugung von
Strom aus Biomasse. Unter dem 3. bzw. 5. Juli 2007 schlossen die Betreffenden
einen Anlagenbewirtschaftungsvertrag, durch den Herr L. zum Bewirtschafter
der von der C. R. A. GmbH & Co. KG geplanten Biogasanlage eingesetzt wurde.
Unter dem 25. März 2010 firmierte die C. R. A. GmbH & Co. KG in die
Antragstellerin um.
Im Juli 2011 übermittelte das GAA dem Antragsgegner Unterlagen betreffend
den Betreiberwechsel zur Prüfung einer fortbestehenden Privilegierung. Unter
dem 1. November 2011 teilte Herr L. dem - durch Verfügung des
Niedersächsischen Ministeriums für Umwelt und Klimaschutz vom 28.
September 2011 für im Zusammenhang u.a. mit landwirtschaftlichen Betrieben
stehenden Biogasanlagen zuständig gewordenen - Antragsgegner mit, dass ihm
die Bewirtschaftung der Anlage entzogen und ein Hausverbot erteilt worden sei.
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Nach Anhörung widerrief der Antragsgegner gegenüber der Antragstellerin unter
dem 25. April 2012 die immissionsschutzrechtliche Genehmigung vom 21. April
2006. Zugleich verfügte er unter Ziffer 2. des Bescheids die Stilllegung der
Biogasanlage und untersagte deren weitere Beschickung. Hinsichtlich der
letztgenannten beiden Maßnahmen ordnete er die sofortige Vollziehung an.
Gegen den Bescheid vom 25. April 2012 legte die Antragstellerin fristgerecht
Widerspruch ein.
Den Antrag der Antragstellerin auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes
hinsichtlich der für sofort vollziehbar erklärten Stilllegung und Untersagung der
weiteren Beschickung der Biogasanlage hat das Verwaltungsgericht mit dem im
Tenor bezeichneten Beschluss aus folgenden Gründen abgelehnt: Der Antrag
sei unbegründet. Die schriftliche Begründung des besonderen öffentlichen
Interesses an der sofortigen Vollziehung der Stilllegungsverfügung genüge den
zu stellenden Anforderungen. Die vorzunehmende Interessenabwägung falle zu
Lasten der Antragstellerin aus. Die angeordnete Stilllegung der Biogasanlage
sei nach summarischer Prüfung rechtmäßig. Von der Befugnis nach § 20 Abs. 2
BImSchG, eine Anlage stillzulegen, die ohne die erforderliche Genehmigung
betrieben wird, habe der Antragsgegner in nicht zu beanstandender Weise
Gebrauch gemacht. Die mit der Übernahme der Anlage durch die Antragstellerin
übergegangene anlagenbezogene Genehmigung sei zu Recht widerrufen
worden. Die Genehmigungsbehörde wäre aufgrund nachträglich eingetretener
Tatsachen berechtigt gewesen, die Genehmigung nicht zu erteilen. Nach der
Erteilung der Anlagengenehmigung an Herrn L. hätten sich die der
Genehmigung zugrunde liegenden tatsächlichen Verhältnisse dadurch in
erheblicher Weise geändert, dass die Anlage spätestens seit Januar 2007 von
der Antragstellerin betrieben werde. Das ergebe sich aus den im Januar und Juli
2007 geschlossenen Verträgen, in denen die Antragstellerin bzw. ihre
Rechtsvorgängerin jeweils als „Betreiber“ der Biogasanlage bezeichnet werde,
und der entsprechenden Anzeige der Antragstellerin vom 14. Juni 2011. Der
nachträgliche Betreiberwechsel hätte dazu berechtigt, die Genehmigung nicht
zu erteilen. Die ursprünglich privilegiert zulässige Biogasanlage werde seit ihrer
Übernahme durch die Antragstellerin nicht mehr zu bevorrechtigt
genehmigungsfähigen gewerblichen Zwecken genutzt. Sie sei insbesondere
nicht nach § 35 Abs. 1 Nr. 6 BauGB genehmigungsfähig. Danach müsse eine
Biomasseanlage im Rahmen eines landwirtschaftlichen Betriebs, also als Teil
eines (Basis-)Betriebs betrieben werden. Insofern sei die Biogasanlage nur als
Teileinrichtung des landwirtschaftlichen Betriebs L. zulässig. Die Biogasanlage
sei auch nicht gemäß § 35 Abs. 2 BauGB genehmigungsfähig. Durch die
Biogasanlage der Antragstellerin würden öffentliche Belange beeinträchtigt. Die
Anlage beeinträchtige die natürliche Eigenart der Landschaft (§ 35 Abs. 3 Satz 3
Nr. 5 BauGB). Die nicht privilegiert zulässige, rein gewerblich betriebene
Biogasanlage stelle in ihrem Umfeld eine mit dem Wesen und Charakter des
Gebiets nicht zu vereinbarende Bebauung dar. Das Vorhaben widerspreche
zudem den Darstellungen des für die Gemeinde B. geltenden
Flächennutzungsplans (§ 35 Abs. 3 Nr. 1 BauGB). In dem Flächennutzungsplan
sei das Betriebsgrundstück als Fläche für die Landwirtschaft ausgewiesen.
Damit sei die derzeitige Nutzung nicht vereinbar. Ohne den Widerruf würde auch
das öffentliche Interesse gefährdet. Gefährdet würde durch den weiteren
Bestand der Biogasanlage der durch die bodenrechtliche Regelung des § 35
BauGB ausdrücklich normierte Schutz des Außenbereichs vor Bebauung. Der
Widerrufsbescheid sei auch unter dem Gesichtspunkt der Ausübung des dem
Antragsgegner durch die Regelung des § 21 Abs. 1 BImSchG eingeräumten
Ermessens nicht zu beanstanden. Der Antragsgegner habe im angefochtenen
Bescheid die Interessen der Antragstellerin an der Fortführung des Betriebs den
dazu im Widerspruch stehenden öffentlichen Interessen gegenübergestellt,
diese gegeneinander abgewogen und sei sodann rechtsfehlerfrei zu dem
Ergebnis gelangt, dass die Genehmigung zu widerrufen sei. Ein Verstoß gegen
den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sei nicht festzustellen. Das Einhalten der
einschlägigen öffentlich-rechtlichen Bestimmungen rechtfertige regelmäßig auch
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erhebliche wirtschaftliche Nachteile für den insoweit Verantwortlichen, zumal
dieser den rechtswidrigen Zustand in der Regel selbst zu vertreten habe.
Durch Widerspruchsbescheid vom 18. Februar 2013 wies der Antragsgegner
den Widerspruch der Antragstellerin unter Bezugnahme auf die Ausführungen
des angefochtenen Beschlusses des Verwaltungsgerichts zurück. Über die
unter dem 26. Februar 2013 zum Verwaltungsgericht erhobene Klage (- 2 A
655/13 -) ist noch nicht entschieden.
Mit Kaufvertrag vom 4. April 2013 hat Herr L. die Biogasanlage samt Zubehör
von der Antragstellerin zu einem Kaufpreis von 1 Million Euro erworben. Laut
Vertrag sind die Rechte und Pflichten mit Wirkung vom 1. April 2013 auf den
Käufer übergegangen (§ 3) und wird die Verkäuferin jedwede
Vertragsverhältnisse zur Biogasanlage beenden (§ 7). Am 4. April 2013
vereinbarten die Betreffenden zudem, dass die Biogasanlage nicht mehr von der
Antragstellerin, sondern zukünftig von Herrn L. betrieben werde. Der
Betreiberwechsel wurde dem Antragsgegner angezeigt.
Mit Verfügung vom 12. April 2013 hat der Antragsgegner gegenüber Herrn L. die
sofortige Vollziehung des Widerrufs der immissionsschutzrechtlichen
Genehmigung vom 21. April 2006 angeordnet und zur Begründung ausgeführt:
An der sofortigen Vollziehung des Widerrufs vom 25. April 2012 bestehe ein
öffentliches Interesse. Der Widerruf sei - wie sich auch aus dem Urteil des
beschließenden Senats vom 14. März 2013 (- 12 LC 153/11 -) ergebe - im für
die Beurteilung maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des
Widerspruchsbescheids rechtmäßig gewesen. Dass Herr L. die Anlage
möglicherweise privilegiert betreiben könne, ändere nichts. Widerruf und
Stilllegung seien anlagenbezogen und auf ihn als Rechtsnachfolger
übergangen. Es widerspreche dem öffentlichen Interesse, dass die Anlage, die
nachgewiesenermaßen jahrelang rechtswidrig betrieben worden sei, weiter
betrieben werden könne, obwohl nicht feststehe, dass die
Privilegierungsvoraussetzungen tatsächlich erfüllt seien. Vor einem
Weiterbetrieb der Anlage müsse ein neuer Genehmigungsantrag gestellt werden
und seien die Genehmigungsvoraussetzungen in einem
Genehmigungsverfahren zu prüfen. Auch gelte es, Nachahmungseffekten
vorzubeugen, die darin liegen könnten, dass ein privilegierter Landwirt als
Strohmann eine Genehmigung für einen Hintermann erlange, der solange die
Anlage „entprivilegiert“ betreibe, bis er „auffliege“, um dann im Rahmen eines
Widerrufs der Genehmigung wieder einen anderen Betreiber zu suchen oder gar
vorzuschieben. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei
ermessensgerecht. Die Interessenabwägung gehe zu Lasten des Herrn L. aus.
Ein Schutzbedürfnis sei nicht gegeben. Im Zeitpunkt des Erwerbs seien der
Widerruf der Genehmigung und die damit verbundenen Rechtsstreitigkeiten
auch Herrn L. bekannt gewesen. Insolvenz drohe nicht. Soweit anhand des
Vertrags erkennbar, werde der Kaufpreis mit Überleitung der Genehmigung
fällig. Die Genehmigung sei widerrufen worden und damit nicht mehr existent.
Die Antragstellerin trägt zur Begründung ihrer Beschwerde vor: Kraft gesetzlicher
Prozessstandschaft sei sie berechtigt, das Verfahren für den neuen Betreiber
weiter zu führen. Der Widerruf sei rechtswidrig. Die Biogasanlage sei nicht
baurechtswidrig, eine Entprivilegierung sei nicht eingetreten. Jedenfalls sei eine
etwaige Entprivilegierung nunmehr beseitigt. Der zwischenzeitliche
Betreiberwechsel führe dazu, dass ggf. die Tatbestandsvoraussetzungen für
den Widerruf nachträglich entfallen seien. Maßgeblich sei die Sach- und
Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, da es sich hier um
einen Dauerverwaltungsakt handele. Das Verwaltungsgericht habe die
vorzunehmende Interessenabwägung fehlerhaft durchgeführt. Diese falle zu
ihren Gunsten aus. Gefahren gingen von der Biogasanlage nicht aus. Eine
Belastung des Außenbereichs sei nicht erkennbar. Die sofortige Vollziehung
würde immense finanzielle Schäden verursachen, die zu einer Insolvenz führen
würden.
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II.
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den im Tenor bezeichneten
Beschluss des Verwaltungsgerichts ist zulässig, aber nicht begründet.
Entgegen der Annahme des Antragsgegners steht nach summarischer Prüfung
weder der Zulässigkeit der Beschwerde noch der Zulässigkeit des Eilantrags
entgegen, dass Herr L. die Biogasanlage samt Zubehör mit Kaufvertrag vom
4. April 2013 von der Antragstellerin erworben hat. Nach § 173 Satz 1 VwGO
i.V.m. § 265 Abs. 1 ZPO schließt die Rechtshängigkeit das Recht eines
Beteiligten, die im Streit befangene Sache zu veräußern, nicht aus. Eine
Veräußerung während des gerichtlichen Verfahrens hat nach § 265 Abs. 2 Satz
1 ZPO grundsätzlich keinen Einfluss auf den Prozess. Übernimmt - wie hier - ein
Rechtsnachfolger den Prozess nicht, ist das Verfahren mit den bisherigen
Beteiligten fortzuführen (vgl. auch BVerwG, Beschl. v. 7.2.2011 - 6 C 11.10 -,
juris; Kopp/Schenke, VwGO, 18. Aufl., § 63 Rdn. 14 f.). Die genannten
Vorschriften führen zu einer gesetzlich zulässigen Prozessstandschaft
(Kopp/Schenke, VwGO, 18. Aufl., § 42 Rdn. 174, 61). Die Antragstellerin bleibt
mithin beschwerde- bzw. klagebefugt. Gründe, aus denen das
Rechtsschutzbedürfnis entfallen sein sollte, sind dem Senat nicht ersichtlich.
Die Beschwerde hat indes in der Sache keinen Erfolg. Die vom Senat allein zu
prüfenden Beschwerdegründe (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) geben keinen
Anlass, den angegriffenen Beschluss zu ändern. Er ist nach summarischer
Prüfung im Ergebnis nicht zu beanstanden. Der Senat teilt die Einschätzung des
Verwaltungsgerichts, dass die vorzunehmende Interessenabwägung zulasten
der Antragstellerin auszufallen hat.
Die angeordnete Stilllegung der Biogasanlage findet ihre Rechtsgrundlage in §
20 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 BImSchG. Nach dieser Vorschrift soll die zuständige
Behörde anordnen, dass eine Anlage, die ohne die erforderliche Genehmigung
errichtet, betrieben oder wesentlich geändert wird, stillzulegen ist. Es kann
dahinstehen, ob die Rechtmäßigkeit der Stilllegungsanordnung anhand der
Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des Widerspruchsbescheids vom 18.
Februar 2013 (so u. a. Jarass, BImSchG, 9. Aufl., § 20 Rn 44; Koch, in:
Koch/Pache/Scheuing (Hg.), GK-BImSchG, § 20 Rdn. 108) oder nach der Sach-
und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung zu beurteilen ist (so
Hansmann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Band III, Stand: Juni 2012,
§ 20 BImSchG, Rdn. 85). Die Voraussetzungen des § 20 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1
BImSchG liegen nach summarischer Prüfung zu beiden Zeitpunkten vor.
Die Biogasanlage am Standort M. weg N. in B. wird ohne die erforderliche
Genehmigung betrieben. Der Widerruf der immissionsschutzrechtlichen
Genehmigung vom 21. April 2006 wird einer rechtlichen Überprüfung im
Hauptsacheverfahren aller Voraussicht nach standhalten. Rechtsgrundlage ist §
21 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG. Danach darf eine nach dem Bundes-
Immissionsschutzgesetz erteilte rechtmäßige Genehmigung mit Wirkung für die
Zukunft widerrufen werden, auch nachdem sie unanfechtbar geworden ist, wenn
die Genehmigungsbehörde aufgrund nachträglich eingetretener Tatsachen
berechtigt wäre, die Genehmigung nicht zu erteilen, und wenn ohne den
Widerruf das öffentliche Interesse gefährdet würde. Die Rechtmäßigkeit des
Widerrufs ist anhand der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des
Widerspruchsbescheids vom 18. Februar 2013 zu beurteilen. Für die
Beurteilung der Rechtmäßigkeit eines angefochtenen Verwaltungsakts ist
maßgeblich die Sach- und Rechtslage, auf die es nach dem anzuwendenden
materiellen Recht für die Entscheidung ankommt. Dem materiellen Recht sind
mithin nicht nur die Voraussetzungen für die Rechtmäßigkeit eines
Verwaltungsakts, sondern auch die Antwort auf die Frage zu entnehmen, zu
welchem Zeitpunkt diese Voraussetzungen erfüllt sein müssen (BVerwG, Urt. v.
28.5.1991 - 1 C 20.89 -, NVwZ 1992, 177, juris, Rdn. 11 m.w.N.; Beschl. v.
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8.2.1995 - 1 B 6.94 -, NVwZ-RR 1995, 392). Handelt es sich - wie hier, im Falle
des Widerrufs (Czajka, in: Feldhaus, BImSchR, Band I, Stand: Okt. 2012, § 21
Rdn. 7) - um einen rechtsgestaltenden Verwaltungsakt ist grundsätzlich auf die
Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten verwaltungsbehördlichen
Entscheidung abzustellen (BVerwG, Urt. v. 28.5.1991 - 1 C 20.89 -, NVwZ 1992,
177, juris, Rdn. 11 m.w.N.; Gerhardt, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 113
Rdn. 21 i.V.m. Fußn. 15, zitiert nach beck-online; Wolff, in: Sodan/Ziekow,
VwGO, 3. Aufl., § 113 Rdn. 97). Aus dem Bundes-Immissionsschutzgesetz
ergibt sich nicht, dass bei der Anfechtung eines Widerrufs auf einen späteren
Zeitpunkt abzustellen wäre.
Im Zeitpunkt des Widerspruchsbescheids vom 18. Februar 2013 war der
Widerruf rechtmäßig. Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen,
dass der Antragsgegner aufgrund nachträglich eingetretener Tatsachen
berechtigt wäre, die Genehmigung nicht zu erteilen, weil die Biogasanlage nicht
im Sinne von § 35 Abs. 1 Nr. 6 BauGB der energetischen Nutzung von
Biomasse im Rahmen eines Betriebs nach § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB diente. Zu
der Frage, wann anzunehmen ist, dass die Nutzung von Biomasse im Rahmen
eines Betriebs erfolgt, hat der Senat in seinem - den Beteiligten bekannten -
Urteil vom 14. März 2013 (- 12 LC 153/11 -, juris) ausgeführt:
„Wenn die Nutzung der Biomasse „im Rahmen“ eines privilegierten
Betriebs (land- oder forstwirtschaftlicher Betrieb, gartenbaulicher Betrieb,
Tierhaltungsbetrieb) stattfinden soll, bedarf es nach dem Willen des
Gesetzgebers einer besonderen Verbindung zwischen der
Biomasseanlage und dem privilegierten Basisbetrieb im Sinne einer
Zuordnung oder eines „Anschlusses“… . Man könnte auch sagen, dass
der Basisbetrieb in sachlich-organisatorischer Hinsicht die Hauptsache
darstellen muss. Auch wenn damit nicht gemeint ist, dass die
Biogasanlage in dienender Abhängigkeit zu dem Basisbetrieb stehen
muss, soll verhindert werden, dass sie im Außenbereich als
einzelstehendes Vorhaben und unabhängig von einem schon
vorhandenen privilegierten Basisbetrieb errichtet wird. Die Anbindung der
Biomasseanlage an einen Außenbereichsbetrieb, bei dem Biomasse
anfällt, ist das zentrale Element des im Jahr 2004 geschaffenen speziellen
Privilegierungstatbestands. Die Öffnung des Außenbereichs für nicht
privilegierte, in einem weiteren Sinn landwirtschaftsfremde Betriebe war
hingegen nicht beabsichtigt.
Die nach § 35 Abs. 1 Nr. 6 BauGB erforderliche Zuordnung liegt vor, wenn
der Betreiber der Biomasseanlage identisch ist mit dem Inhaber des in
einem räumlich-funktionalen Zusammenhang stehenden Basisbetriebs.
Die erforderliche Zuordnung ist aber nicht schon deshalb zu verneinen,
weil die zu beurteilende Biogasanlage nicht im (Allein-)Eigentum des
Inhabers des Basisbetriebs steht. Eine rechtliche Identität ist nicht geboten.
Mit der Privilegierung sollte gerade … die Kooperation von mehreren land-
oder forstwirtschaftlichen Betrieben gefördert werden. Das schließt die
Möglichkeit ein, dass der Basisbetrieb und die Biogasanlage in
unterschiedlichen rechtlichen Formen geführt werden, Betreiber der
Biogasanlage also z. B. eine Gesellschaft ist, während der
landwirtschaftliche Basisbetrieb von einem Landwirt geführt wird.
Der mit § 35 Abs. 1 Nr. 6 BauGB verfolgte Regelungszweck erschöpft sich
indes nicht darin, eine räumliche oder bauliche Verbindung zwischen der
Biomasseanlage und dem Basisbetrieb zu fordern. Der angestrebten
Förderung des Strukturwandels in der Landwirtschaft und dem gebotenen
Schutz des Außenbereichs wird darüber hinaus nur dann ausreichend
Rechnung getragen, wenn der Inhaber des rahmensetzenden
Basisbetriebs in der Lage ist, die wesentlichen Entscheidungen zu treffen
und bestimmenden Einfluss auf den Betrieb der Biomasseanlage
auszuüben. Gegen eine solche Forderung sind durchgreifende Bedenken
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jedenfalls dann nicht zu erheben, wenn die Beteiligung
landwirtschaftsfremder Dritter an der Betreibergesellschaft in Rede steht.
Derartige Dritte, die selbst nicht über eine privilegierte Stellung im
Außenbereich verfügen, treten lediglich als Kapitalgeber auf, machen aber
mit ihrer Beteiligung nicht von einer bereits vorhandenen privilegierten
Stellung im Außenbereich Gebrauch, die es rechtfertigt, den Schutz des
Außenbereichs in begrenztem Maß zurückzustellen. Sinn und Zweck der
Regelung würden nachteilig berührt, wenn landwirtschaftsfremden oder -
fernen Geldgebern ein prägender Einfluss auf den Biogas- und
Landwirtschafts(basis)betrieb verschafft würde. Einer im Prinzip
außenbereichsfremden gewerblichen Betätigung durch Dritte würde Raum
gegeben.“
Zum Zeitpunkt der letzten behördlichen Entscheidung lag die beschriebene,
nach § 35 Abs. 1 Nr. 6 BauGB erforderliche Zuordnung nicht vor. Die
Antragstellerin als Betreiberin der Biogasanlage war nicht identisch mit dem
Inhaber des im räumlich-funktionalen Zusammenhang stehenden Basisbetriebs.
Inhaber dieses Basisbetriebs war allein Herr L.. Dieser war indessen nach den
unwidersprochen gebliebenen Feststellungen des Verwaltungsgerichts nicht in
der Lage, die wesentlichen Entscheidungen zu treffen und bestimmenden
Einfluss auf den Betrieb der Biogasanlage auszuüben. Das Verwaltungsgericht
hat ausgeführt, aus welchen Gründen im Einzelnen ohne den Widerruf das
öffentliche Interesse gefährdet würde und dass der Widerruf voraussichtlich
nicht ermessensfehlerhaft ist. Anhaltspunkte dafür, dass dies anders gesehen
werden müsste, hat die Antragstellerin nicht dargelegt.
Die vor Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist angekündigten und durch
weiteren Vortrag nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist in zulässiger
Weise vertieften Änderungen der Sachlage infolge des zwischen Herrn L. und
der Antragstellerin unter dem 4. April 2013 geschlossenen Kaufvertrags und der
Vereinbarung über den Betreiberwechsel zwischen beiden Vertragsparteien
vom selben Tag sind zwar grundsätzlich im Beschwerdeverfahren
berücksichtigungsfähig (vgl. zum Streitstand Guckelberger, in: Sodan/Ziekow,
VwGO, 3. Aufl., § 146 Rdn. 81 ff. m.w.N.). Sie rechtfertigen aber keine andere
rechtliche Beurteilung. Sie führen nicht dazu, dass der - wie dargelegt, im für die
Beurteilung maßgeblichen Zeitpunkt - rechtmäßige Widerruf nachträglich
rechtswidrig würde. Die Voraussetzungen des § 20 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1
BImSchG für eine Stilllegung liegen nach summarischer Prüfung also auch im
Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vor.
Die zwischenzeitlich u.a. gegen den Widerruf der immissionsschutzrechtlichen
Genehmigung vom 21. April 2006 beim Verwaltungsgericht erhobene Klage (- 2
A 655/13 -) steht einem Vollzug des Widerrufs nicht mehr entgegen. Zwar
durften bislang wegen der aufschiebenden Wirkung zunächst des gegen den
Widerruf eingelegten Widerspruchs, später der dagegen erhobenen Klage
Folgerungen aus dem Widerruf nicht gezogen werden (Czajka, in: Feldhaus,
BImSchR, Band I, Stand: Okt. 2012, § 21 Rdn. 53 ff., 59; Hansmann, in:
Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Band III, Stand: Juni 2012, § 21 BImSchG,
Rdn. 57; Jarass, BImSchG, 9. Aufl., § 21 Rdn. 23 ff.; zur Wirkung einer späteren
Vollzugsanordnung etwa Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl., § 80 Rdn. 76
m.w.N.). Durch - im Beschwerdeverfahren ebenfalls berücksichtigungsfähigen -
Bescheid vom 12. April 2013 hat der Antragsgegner - wie dargelegt - die
sofortige Vollziehung hinsichtlich des Widerrufs gegenüber Herrn L. angeordnet.
Bedenken gegen die Wirksamkeit dieser Anordnung sind weder dargelegt noch
dem Senat ersichtlich. Der Senat geht dabei davon aus, dass Herr L. richtiger
Adressat dieser Maßnahme ist. Nach dem vom Antragsgegner nicht
substantiiert bestrittenen Vorbringen der Antragstellerin ist Herr L. nunmehr
Betreiber der Biogasanlage. Die vorgelegten Vereinbarungen deuten darauf hin,
dass Herr L. die Verfügungsgewalt über die Anlage ausübt (vgl. Nds. OVG,
Beschl. v. 2.4.2009 - 12 ME 53/09 -, NVwZ 2009, 328, juris, Rdn. 13; Jarass,
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BImSchG, 9. Aufl., § 3 Rdn. 81 ff.). Er wird in der Vereinbarung vom 4. April 2013
ausdrücklich anstelle der Antragstellerin als Betreiber der Anlage benannt. Wie
dargelegt, sind laut dem Kaufvertrag vom 4. April 2013 die Rechte und Pflichten
an der Biogasanlage mit Wirkung vom 1. April 2013 auf Herrn L. übergegangen
und wird die Antragstellerin jedwede Vertragsverhältnisse zur Biogasanlage
beenden. Greifbare Anhaltspunkte dafür, dass es sich insoweit lediglich um
Scheinabmachungen handeln könnte, sind jedenfalls bislang weder substantiiert
dargetan noch für den Senat zu erkennen. Nach gegenwärtiger Sachlage ist
mithin davon auszugehen, dass die Biogasanlage auf Herrn L. übergegangen
ist. Übergegangen ist sie im betreffenden Zustand, der auch die
Genehmigungslage umfasst. Eine etwaige Genehmigung geht als
Sachgenehmigung mit der Sache auf den Erwerber über (dazu näher etwa
Jarass, BImSchG, 9. Aufl., § 6 Rdn. 55 m.w.N.). Entsprechend wird ein Erwerber
auch Rechtsnachfolger hinsichtlich eines Widerrufs als actus contrarius zur
Genehmigung.
Auch die gegen die Antragstellerin erlassene für sofort vollziehbar erklärte
Stilllegungsanordnung ist aufgrund des Erwerbs der Biogasanlage auf Herrn L.
als neuem Betreiber übergegangen. Wie bei der Genehmigung bzw. deren
Widerruf handelt es sich auch bei der Stilllegung um eine anlagenbezogene
Ordnungsverfügung. Als solche entfaltet sie fortwirkende Rechtswirkungen auch
gegenüber - wie hier - einem Einzelrechtsnachfolger (HessVGH, Beschl. v.
17.6.1997 - 14 TG 2673/95 -, NVwZ 1998, 1315, juris, m.w.N.; Jarass, BImSchG,
9. Aufl., § 20 Rdn. 42; Ule/Laubinger/Repkewitz, BImSchG, § 20 Rdn. D 24;
Koch, in: Koch/Pache/Scheuing (Hg.), GK-BImSchG, § 20 Rdn. 103a).
Anhaltspunkte dafür, dass - entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts -
die Stilllegungsanordnung ermessensfehlerhaft sein könnte, sind weder
dargelegt noch dem Senat ersichtlich. Liegen - wie hier - die
Tatbestandsvoraussetzungen einer Stilllegung vor, soll die zuständige Behörde
diese anordnen. Es kann dahinstehen, ob der Betrieb der Biogasanlage durch
Herrn L. materiell genehmigungsfähig wäre. Betreibt, wie vorliegend, der
Betreiber der Anlage kein (neues) Genehmigungsverfahren, ist das bloße
Vorbringen, die Anlage sei genehmigungsfähig, unbeachtlich (vgl. nur
Hansmann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Band III, Stand: Juni 2012,
§ 20 BImSchG, Rdn. 50 m.w.N.). Nach § 20 Abs. 2 Satz 1 BImSchG ist die
Behörde wegen der hohen Bedeutung eines geordneten
Genehmigungsverfahrens und zur Vermeidung schädlicher
Umwelteinwirkungen ermächtigt, die Stilllegung einer ungenehmigten Anlage im
Regelfall anzuordnen. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gebietet jedoch, in
atypischen Fällen zu prüfen und darüber zu entscheiden, ob ein milderes Mittel
ausreicht, die Einhaltung der Pflichten des Betreibers, wie § 5 BImschG es
fordert, zu gewährleisten. Ein atypischer Fall liegt vor, wenn die Behörde
begründeten Anlass für die Annahme hat, die Anlage entspreche so, wie sie
betrieben wird, den immissionsschutzrechtlichen Anforderungen. Dabei braucht
die Behörde allerdings keine umfangreichen und zeitraubenden Ermittlungen
über die materielle Genehmigungsfähigkeit der Anlage anzustellen (vgl. dazu
BVerwG, Urt. v. 15.12.1989 - 7 C 35.87 -, BVerwGE 84, 220, 233; Beschl. v.
4.11.1992 - 7 B 160.92 -, juris). Zweifel gehen mithin zu Lasten des
Anlagenbetreibers. Unter diesen Umständen können Bedenken gegen die
Rechtmäßigkeit der Stilllegungsanordnung allenfalls durchgreifen, wenn die
Genehmigungsfähigkeit der Anlage offensichtlich ist (vgl. Koch, in: Koch, Pache,
Scheuing (Hg.), GK-BImschG, § 20 Rdn. 98). Derartige hinreichende
Anhaltspunkte für die Annahme, die Anlage entspreche so, wie sie betrieben
werde, ohne weiteres materiell den immissionsschutzrechtlichen Anforderungen
und sei lediglich formell illegal, gibt es derzeit nicht. Zu berücksichtigen ist in
diesem Zusammenhang, dass Herrn L. nach eigenen Angaben seit November
2011 die Bewirtschaftung der Anlage entzogen und ein Hausverbot erteilt
worden war. Nach den zum Genehmigungsantrag 2005 eingereichten
Unterlagen sollten die in der Biogasanlage zu verarbeitenden Substrate
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insgesamt aus dem Betrieb des Herrn L. zugeführt werden, darunter 2.500 t/a
Gülle und 9.200 t/a Silomais. Es bedarf erneuter Prüfung, ob sich die
Modalitäten des landwirtschaftlichen Betriebs des Herrn L. nach Abschluss der
die Biogasanlage betreffenden Vereinbarungen mit der Antragstellerin im Jahre
2007, jedenfalls aber nach Erteilung des Hausverbots im Jahr 2011 verändert
haben. Der Antragsgegner hat im Beschwerdeverfahren in nachvollziehbarer
Weise Bedenken geäußert, ob nach wie vor im Betrieb des Herrn L. in dem für
die Erteilung einer Genehmigung erforderlichen Maße Biomasse anfällt bzw.
eine Belieferung durch nahe gelegene Betriebe in hinreichendem Maße
sichergestellt ist. Diese Bedenken hat die Antragstellerin nicht ausgeräumt.
Private Interessen des Herrn L. als neuem Anlagenbetreiber, die das öffentliche
Interesse an der sofortigen Vollziehung der nach summarischer Prüfung
rechtmäßigen Stilllegungsverfügung überwiegen könnten, sind weder dargelegt
worden noch dem Senat ersichtlich. Dass seine Insolvenz drohen könnte, hat
die Antragstellerin nicht substantiiert behauptet und im Übrigen auch nicht
glaubhaft gemacht. Selbst wenn es so wäre, spräche vieles dafür, dass
angesichts der im Zeitpunkt seines Erwerbs auch ihm bekannten unsicheren
Genehmigungslage sein diesbezügliches privates Interesse gegenüber dem
dargestellten öffentlichen Interesse zurückstehen müsste.