Urteil des OVG Niedersachsen vom 07.01.2013
OVG Lüneburg: beruf, grundsatz der öffentlichkeit, wahlvorschlag, kaufmännischer angestellter, verfahrensmangel, praktische ausbildung, wähler, bekanntmachung, rüge, beiladung
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Kommunalwahlrecht - PKH für einen beabsichtigten
Antrag auf Zulassung der Berufung -
Als "Beruf" im Sinne des § 21 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 NKWG kann im
Wahlvorschlag der erlernte anstelle des ausgeübten Berufs angegeben
werden.
Die Angabe "Juristin" als Berufsbezeichnung im Sinne des § 21 Abs. 6 Satz 1
Nr. 1 NKWG im Wahlvorschlag ist auch dann keine unzulässige
Wahlwerbung, wenn es sich dabei um den erlernten und nicht den
ausgeübten Beruf der Bewerberin handelt.
Dem Wahlprüfungsgericht fällt die Wahlprüfung nur in dem Umfang zu, in dem
sie durch die Substantiierung der Prüfungsgegenstände im Wahleinspruch
wirksam eingeleitet worden ist.
OVG Lüneburg 10. Senat, Beschluss vom 07.01.2013, 10 LA 138/12
Art 28 Abs 1 S 2 GG, § 169 S 1 GVG, § 21 Abs 6 KomWG ND, § 28 Abs 5 KomWG
ND, § 28 Abs 6 KomWG ND, § 38 Abs 2 S 2 KomWG ND, § 39 Abs 1 S 4 KomWG
ND, § 46 KomWG ND, § 47 Abs 1 S 1 KomWG ND, § 48 KomWG ND, § 49 Abs 2
KomWG ND, § 14 Abs 4 WahlG ND, § 55 VwGO, § 65 Abs 1 VwGO, § 67 Abs 2 S 1
VwGO, § 67 Abs 2 S 2 Nr 1 VwGO, § 67 Abs 6 S 2 VwGO, § 67 Abs 6 S 1 VwGO
Gründe
Der zulässige Antrag des Klägers, ihm unter Beiordnung eines
vertretungsbereiten Rechtsanwalts Prozesskostenhilfe für einen beabsichtigten
Antrag auf Zulassung der Berufung zu bewilligen, ist unbegründet. Die
Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach § 166 VwGO
in Verbindung mit § 114 Satz 1 ZPO liegen nicht vor, weil die vom Kläger
beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.
Die Berufung ist nach § 124 Abs. 2 VwGO nur aus den dort aufgeführten
Gründen zuzulassen. Solche liegen nach der im Prozesskostenhilfeverfahren
gebotenen summarischen Prüfung nicht vor.
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Annahme des Verwaltungsgerichts,
die Berufsangabe „Juristin“ der Bewerberin D. im Wahlvorschlag, der für die
Wahl zum Samtgemeinderat der Samtgemeinde C. vom 11. September 2011
vom Wahlausschuss zugelassen wurde, erfülle die Anforderungen des § 21
Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 Niedersächsisches Kommunalwahlgesetz (NKWG),
bestehen nicht.
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1
VwGO bestehen dann, wenn ein tragender Rechtssatz oder eine erhebliche
Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird
(BVerfG, Kammerbeschluss vom 21. Dezember 2009 - 1 BvR 812/09 -, NJW
2010, 1062) und sich das angegriffene Urteil im Ergebnis nicht aus anderen
Gründen als offensichtlich richtig erweist (BVerwG, Beschluss vom 10. März
2004 - BVerwG 7 AV 4.03 -, Buchholz 310 § 124 VwGO Nr. 33 = NVwZ-RR
2004, 542 = DVBl 2004, 838).
Der Kläger macht geltend, die Berufsbezeichnung „Juristin“ der Bewerberin D.
laufe Ziffer 5.6 der Bekanntmachung des Landeswahlleiters vom 9. Juni 2006
zuwider, wonach sich die Berufsbezeichnung der Bewerberin in der Regel nach
der gegenwärtig ausgeübten Tätigkeit oder der Stellung im Arbeits- und
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Erwerbsleben zu richten habe. Die Bewerberin D. sei als Arbeitsvermittlerin
offenbar nicht in der Rechtspflege tätig, wie es die Berufsangabe „Juristin“
suggeriere.
Mit diesem Vorbringen stellt der Kläger die Annahme des Verwaltungsgerichts,
die Berufsangabe „Juristin“ der Bewerberin D. genüge den Anforderungen des §
21 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 NKWG, nicht schlüssig in Frage.
Nach der genannten Vorschrift muss der Wahlvorschlag den Familiennamen,
den Vornamen, den Beruf, das Geburtsdatum, den Geburtsort und die
Wohnanschrift jeder Bewerberin und jedes Bewerbers enthalten. Das
Verwaltungsgericht hat aller Voraussicht nach zu Recht angenommen, dass der
Bewerber den erlernten oder den derzeit ausgeübten Beruf angeben kann und
es ihm überlassen bleibt, wie konkret er seine Tätigkeit bezeichnet, solange eine
unzulässige Wahlwerbung vermieden wird.
Denn der vom Gesetzgeber gewählte Begriff „Beruf“ ist weit gefasst. Er schreibt
nicht zwingend die Angabe des derzeit ausgeübten Berufs vor und steht daher
der Angabe des erlernten Berufs nicht ohne Weiteres entgegen. Davon geht
auch die vom Kläger in Bezug genommene Bekanntmachung des
Landeswahlleiters aus, wonach sich die Berufsbezeichnung in der Regel nach
der gegenwärtig ausgeübten Tätigkeit „oder der Stellung im Arbeits- und
Erwerbsleben“ zu richten haben soll.
Die Gesetzesmaterialien bestätigen, dass der Gesetzgeber mit der Formulierung
„Beruf“ dem Bewerber die Entscheidung darüber belassen wollte, ob er seinen
erlernten oder seinen derzeit ausgeübten Beruf angibt und wie konkret er diesen
bezeichnet. Denn vor Erlass des NKWG war das Wahlrecht für die Gemeinden
und Landkreise in Niedersachsen u.a. im Niedersächsischen
Gemeindewahlgesetz (NGWG) in der Fassung vom 26. Juli 1952 (Nds. GVBl. S.
77) und im Niedersächsischen Kreiswahlgesetz (NKrWG) in der Fassung vom
26. Juli 1952 (Nds. GVBl. S. 83) geregelt. § 15 Abs. 5 Satz 1 NGWG sah bereits
vor, dass im Wahlvorschlag Bewerber mit Name, Vorname, Geburtstag, Beruf
und Anschrift angegeben werden müssen. Eine entsprechende Regelung
enthielt § 17 Abs. 5 Satz 1 NKrWG für Wahlbezirksvorschläge. Durch das am
18. Juli 1965 erlassene NKWG (Nds. GVBl. S. 81) sollte im Rahmen eines
einheitlichen Kommunalwahlgesetzes eine Angleichung an das
Landtagswahlrecht erfolgen (vgl. LT-Drs. 3/214, S. 774). Nach § 14 Abs. 6 Satz
2 Niedersächsisches Landeswahlgesetz (NLWG) in der Fassung vom 13.
Dezember 1954 (Nds. GVBl. S. 157) mussten im Kreiswahlvorschlag Name,
Vorname, Geburtstag, Geburtsort, Anschrift und Beruf des Bewerbers
angegeben sein. Eine entsprechende Regelung wurde in § 19 Abs. 5 Nr. 1
NKWG vom 18. Juli 1956 (Nds. GVBl. S. 81) aufgenommen, wobei es in der
Gesetzesbegründung heißt, dass die Angabe des Geburtsortes eines jeden
Bewerbers auch im Landtagswahlrecht vorgesehen sei und die Vorschrift im
Übrigen der gegenwärtigen Regelung entspreche (LT-Drs. 8/214, S. 776).
Hieraus ergibt sich, dass der Gesetzgeber der betreffenden Vorschrift im NKWG
denselben Regelungsinhalt beimessen wollte wie der Parallelvorschrift im
NLWG. Der Regelungsinhalt der letztgenannten Vorschrift (damals noch § 14
Abs. 4 NLWG) war Gegenstand der Beratungen des Entwurfs des Siebenten
Gesetzes zur Änderung des Niedersächsischen Landeswahlgesetzes (LT-Drs.
8/2419). Hierzu führte der Berichterstatter des Rechtsausschusses des
Niedersächsischen Landtags im Stenografischen Bericht über die 72.
Plenarsitzung vom 10. Juni 1977 (Sp. 7054) aus:
„… hat die … Bestimmung des § 14 Abs. 4 NLWG im Rechtsausschuss zu
einer lebhaften Diskussion geführt, über die ich Ihnen kurz berichten
möchte. Nach der Vorschrift muss in einem Kreiswahlvorschlag unter
anderem auch der Beruf des Bewerbers angegeben sein. Sie alle kennen
aus eigener Erfahrung die sehr unterschiedlichen Gepflogenheiten, die
sich in der Praxis im Hinblick auf dieses Erfordernis ergeben haben. So tritt
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ein Offizier der Bundeswehr in dem einen Wahlvorschlag als „Hauptmann“
auf, während sich sein ranggleicher Kollege in einem anderen
Wahlvorschlag schlicht als „Soldat“ bezeichnet. Ein anderer Kandidat
überrascht die Öffentlichkeit mit der Berufsangabe „Landwirt“, obwohl er
diesen in früher Jugend einmal erlernten Beruf seit Jahrzehnten nicht mehr
ausübt. Wieder ein anderer löst mit der Berufsbezeichnung
„Geschäftsführer“ oder „Abteilungsleiter“ die Frage aus, ob die Angabe
„kaufmännischer Angestellter“ nicht zutreffender gewesen wäre. Wir haben
dieses Problem im Rechtsausschuss eingehend erörtert und uns überlegt,
ob man hier nicht mit einer Korrektur des § 14 Abs. 4 NLWG zu einem
größeren Maß von Gleichmäßigkeit gelangen könne. Dabei stellten wir
zunächst fest, dass die Praxis zwar eine beträchtliche Flexibilität erkennen
lässt, aber infolge der mit Regelmäßigkeit vor jeder Wahl erscheinenden
Wahlerlasse nicht ohne feste Prinzipien ist. Berufsbezeichnungen, die den
Wähler irreführen und damit den Bewerber unzulässig begünstigen,
dürften so gut wie ausgeschlossen sein. Und da das Bekenntnis zu einem
Beruf unbestreitbar auch subjektiv-persönliche Komponenten enthält, wäre
eine allzu starre Regelung wahrscheinlich auch gar nicht sinnvoll. So muss
es wohl dem Bewerber überlassen bleiben, ob er seinen zur Zeit gerade
ausgeübten oder einen anderen, früher erlernten Beruf angeben will. Und
ebenso kann man ihm auch die Entscheidung darüber zugestehen, wie
konkret er seine Tätigkeit bezeichnet. Alles in allem schien es dem
Rechtsausschuss doch das beste, es bei der knappen Formulierung des
Gesetzes „und Beruf des Bewerbers“ zu belassen. Sie deckt die hier
herangezogenen Fälle ab; sie gestattet also insbesondere dem Bewerber
die Entscheidung über die Angabe des erlernten oder des ausgeübten
Berufs.“
Diese Auslegung entspricht auch dem Sinn und Zweck der Regelung. Denn die
Vorschrift dient - worauf das Verwaltungsgericht zutreffend hingewiesen hat -
insgesamt der eindeutigen Identifizierung der Bewerber (vgl. Thiele/Schiefel,
Niedersächsisches Kommunalwahlrecht, 3. Aufl. 2006, § 21 Anm. 6). Die
Angabe des erlernten Berufs ist dabei ebenso förderlich wie die des -
möglicherweise erst seit kurzem - ausgeübten Berufs.
Die Annahme des Verwaltungsgerichts, durch die Bezeichnung „Juristin“ werde
eine unzulässige Wahlwerbung vermieden, unterliegt ebenfalls keinen
Richtigkeitszweifeln. Es entspricht dem Wettkampfcharakter von Wahlen, dass
Kandidaten versuchen, sich durch Wahlwerbung Vorteile gegenüber
Mitbewerbern zu verschaffen. Die Grenze zulässiger Wahlbeeinflussungen wird
überschritten, wenn die bei Kommunalwahlen durch Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG
verfassungsrechtlich gebotenen Grundsätze der Freiheit und Öffentlichkeit der
Wahl verletzt werden. Dies dürfte hier nicht der Fall sein:
Eine gegen den Grundsatz der Freiheit der Wahl verstoßende
Wahlbeeinflussung liegt vor, wenn staatliche Stellen im Vorfeld der Wahl in mehr
als nur unerheblichem Maße parteiergreifend auf die Bildung des Wählerwillens
einwirken, wenn private Drit-te - einschließlich der Parteien und einzelner
Kandidaten - mit Mitteln des Zwangs oder Drucks die Wahlentscheidung
beeinflussen oder wenn in ähnlich schwer wiegender Art und Weise auf die
Wählerwillensbildung eingewirkt wird, ohne dass eine hinreichende Möglichkeit
der Abwehr oder des Ausgleichs besteht (BVerfG, Senatsurteil vom 8. Februar
2001 - 2 BvF 1/00 -, BVerfGE 103, 111; Senatsbeschlüsse vom 15. Januar 2009
- 2 BvC 4/04 -, BVerfGE 122, 304 und vom 21. April 2009, vom 21. April 2009 - 2
BvC 2/06 -, BVerfGE 124, 1). Als Zwang oder Druck ist eine Maßnahme
anzusehen, die unter Anwendung von politischer, wirtschaftlicher oder sozialer
Macht auf Einschüchterung oder Zufügung von Nachteilen gerichtet ist (vgl.
StGH Bad.-Württ., Urteil vom 6. Februar 1961 - Nr. 5/1960 -, DÖV 1961, 744).
Die Angabe des erlernten Berufs im Wahlvorschlag fällt hierunter ersichtlich
nicht. Sie wirkt auch nicht in ähnlich schwer wiegender Art und Weise auf die
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Wählerwillensbildung ein. Zudem muss der Beschluss über die Zulassung der
Wahlvorschläge spätestens am 39. Tag vor der Wahl getroffen werden (§ 28
Abs. 5 NKWG); die Wahlleitung gibt die zugelassenen Wahlvorschläge
unverzüglich öffentlich bekannt (§ 28 Abs. 6 NKWG). Die Bekanntmachung
enthält für jeden Wahlvorschlag die Vor- und Familiennamen, Geburtsjahr, Beruf
und Wohnanschrift aller aufgestellten Bewerber (§§ 38 Abs. 1 Satz 2, 39 Abs. 1
Satz 4 Niedersächsische Kommunalwahlordnung - NKWO). Dadurch erhält
jeder Wähler die Möglichkeit, sich mit den Kandidaten rechtzeitig vertraut zu
machen. Ist ein Wähler mit einem aufgestellten Bewerber nicht einverstanden,
muss er diesen nicht wählen. Die Freiheit seiner Entschließung bleibt ihm.
Die verfassungsrechtlich gebotene Öffentlichkeit im Wahlverfahren umfasst
ebenfalls bereits das Wahlvorschlagsverfahren (BVerfG, Senatsurteil vom 3. Juli
2008 - 2 BvC 1/07, 2 BvC 7/07 -, BVerfGE 121, 266). Der Akt der Stimmabgabe
bei Wahlen erfordert, dass die Wähler Zugang zu den Informationen haben, die
für ihre Entscheidung von Bedeutung sein können. Der Wähler muss wissen,
wen er wählt (BVerfG, Urteil vom 4. Juli 2007 - 2 BvE 1/06, 2 BvE 2/06, 2 BvE
3/06, 2 BvE 4/06 -, BVerfGE 118, 277). Der Grundsatz der Öffentlichkeit der
Wahl dient auch dem Schutz vor Manipulationen (BVerfG, Senatsbeschluss vom
21. April 2009, a.a.O.). Das Verwaltungsgericht hat zu Recht angenommen,
dass bei einer Abwägung des Informationsbedürfnisses der Wähler und des
Selbstverständnisses des Bewerbers durch die Berufsbezeichnung „Juristin“ im
Wahlvorschlag keine unzulässige Wahlwerbung betrieben wird. Als „Juristen“
bezeichnet man Akademiker, die mit Erfolg ein Studium der Rechtswissenschaft
abgeschlossen haben. Das im Anschluss abgelegte erste Staatsexamen ist
Voraussetzung für die weitere Ausbildung zum sog. „Volljuristen“ durch eine
praktische Ausbildung in verschiedenen juristischen Tätigkeitsfeldern. Das
danach abgelegte zweite Staatsexamen eröffnet den Zugang zu den
klassischen juristischen Berufen (Richter, Staatsanwalt, Rechtsanwalt, Beamter
im höheren Dienst). Aus der Berufsbezeichnung „Jurist“ kann der mündige
Wahlbürger somit schließen, dass die betreffende Person ein Studium der
Rechtswissenschaften abgeschlossen hat. Dass dies bei der Bewerberin D. der
Fall ist, hat der Kläger nicht in Frage gestellt. Dem aufgeschlossenen
Durchschnittswähler ist auch bekannt, dass Juristen außerhalb der klassischen
Juristenberufe ein breites berufliches Tätigkeitsfeld haben.
2. Auch liegen keine hinreichenden Anhaltspunkte für einen der Beurteilung des
Berufungsgerichts unterliegenden Verfahrensmangel vor, auf dem die
Entscheidung beruhen kann (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO).
a) Der Kläger macht zunächst geltend, dem Öffentlichkeitsgrundsatz sei nicht
genügt worden, weil in der Eingangshalle des Gerichtsgebäudes am 8. Oktober
2012 nicht schriftlich auf das Stattfinden der Verhandlung hingewiesen worden
sei. Ein Verfahrensmangel ergibt sich daraus nicht. Denn eine Verhandlung ist
nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts schon dann in
dem von § 55 VwGO in Verbindung mit § 169 Satz 1 GVG geforderten Sinne
"öffentlich", wenn sie in Räumen stattfindet, die während der Dauer der
Verhandlung grundsätzlich jedermann zugänglich sind; die genannten
Vorschriften gebieten nicht, dass die mündliche Verhandlung in jedem Fall durch
Aushang bekannt gemacht werden muss, denn das Merkmal der Öffentlichkeit
setzt eine an jedermann gerichtete Bekanntgabe, wann und wo eine
Gerichtsverhandlung stattfindet, nicht voraus (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 15.
März 2012 - BVerwG 4 B 11.12 -, BauR 2012, 1097; vom 25. Juni 1998 -
BVerwG 7 B 120.98 -, Buchholz 300 § 169 GVG Nr. 9 = DVBl 1999, 95; vom 15.
September 1994 - BVerwG 1 B 170.93 -, Buchholz 300 § 169 GVG Nr. 8; vom
17. November 1989 - BVerwG 4 C 39.89 -, juris; vom 3. Januar 1977 - BVerwG 4
CB 70.76 - Buchholz 310 § 138 Ziff. 5 VwGO Nr. 1; vom 25. Juli 1972 - BVerwG
IV CB 60.70 -, JR 1972, 521).
b) Auch die Rüge des Klägers, das angefochtene Urteil sei unter Verstoß gegen
die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verkündet worden, greift
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nicht durch. Zwar ist nach § 55 VwGO in Verbindung mit § 169 Satz 1 GVG "die
Verhandlung vor dem erkennenden Gericht einschließlich der Verkündung der
Urteile und Beschlüsse ... öffentlich". Selbst wenn bei dem Verkündungstermin
die Öffentlichkeitsvorschriften verletzt worden sein sollten, läge darin jedoch kein
Verfahrensmangel i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO, auf dem die Entscheidung
beruhen kann. Denn ein Verstoß gegen die Öffentlichkeitsvorschriften bei der
Verkündung des Urteils kann die Entscheidungsfindung nicht beeinflusst haben
(vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 19. August 1980 - BVerwG 6 CB 29.80 -, DÖV
1981, 969 m.w.N.; vom 23. November 1989 - BVerwG 6 C 29.88 -, Buchholz 310
§ 133 VwGO Nr. 91 = NJW 1990, 1249). Daher bedurfte es entgegen der
Auffassung des Klägers auch keiner Einholung einer dienstlichen Äußerung des
Verwaltungsgerichts zu dem Umstand, wie gegebenenfalls über das Stattfinden
des Verkündungstermins informiert wurde bzw. Auskunft gegenüber Dritten
hätte erteilt werden können.
c) Der Kläger beanstandet des Weiteren, das von ihm gerügte Fehlen einer
Prozessvollmacht des in der mündlichen Verhandlung am 8. Oktober 2012 für
den Beklagten aufgetretenen allgemeiner Vertreter des
Samtgemeindebürgermeisters sei im Urteil nicht berücksichtigt worden;
jedenfalls habe er von einer Nachreichung der Vollmacht keine Kenntnis
erhalten. Auch insoweit liegt kein Verfahrensmangel vor. Nach § 67 Abs. 2 Satz
1 VwGO kann sich ein Beteiligter vor dem Verwaltungsgericht in jeder Lage des
Verfahrens durch einen Bevollmächtigten vertreten lassen und sich in der
mündlichen Verhandlung eines Beistands bedienen. Behörden und juristische
Personen des öffentlichen Rechts können sich auch durch Beschäftigte
vertreten lassen (§ 67 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 Halbsatz 2 VwGO). Die gemäß § 67
Abs. 6 Satz 1 VwGO schriftlich zu erteilende Vollmacht kann nach § 67 Abs. 6
Satz 2 Halbsatz 1 VwGO nachgereicht werden. Dies ist hier geschehen. Eine
schriftliche Bevollmächtigung des allgemeinen Vertreters des
Samtgemeindebürgermeisters durch den Vorsitzenden des Beklagten wurde am
11. Oktober 2012 zur Gerichtsakte nachgereicht (Bl. 88 und 89 GA) und liegt
diesem Beschluss zur Kenntnisnahme für den Kläger an. Die zulässige
Nachreichung der Vollmacht hat zur Folge, dass der Mangel eines
ursprünglichen Fehlens der Vollmacht mit Wirkung für die Vergangenheit geheilt
wird (§ 173 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 89 Abs. 2 ZPO). Dass der Kläger
über die Nachreichung nicht informiert worden ist, ist kein Verfahrensmangel, auf
dem das angegriffene Urteil beruhen kann.
d) Der Kläger macht ferner geltend, sein Antrag auf Beiladung des
Landeswahlleiters sei vom Verwaltungsgericht offenbar nicht richtig behandelt
worden. Es fehle eine schriftlich fixierte Begründung des diesbezüglich
ergangenen Beschlusses. Zudem sei diese Entscheidung dem Beizuladenden
offenbar nicht zugestellt worden.
Auch hieraus ergibt sich kein Verfahrensfehler i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO.
Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 4. Oktober 2012 (Bl. 58 GA) die einfache
Beiladung des Niedersächsischen Innenministers, vertreten durch den
Landeswahlleiter, gemäß § 65 Abs. 1 VwGO beantragt. Das Verwaltungsgericht
hat den Antrag ausweislich des Sitzungsprotokolls vom 8. Oktober 2012 (Bl. 72
ff. GA) in der mündlichen Verhandlung abgelehnt, wobei der Einzelrichter den
Beschluss begründet hat. Da nach § 65 Abs. 1 VwGO die einfache Beiladung im
Ermessen des Gerichts steht, kann ihr Unterlassen nach der Rechtsprechung
des Bundesverwaltungsgerichts kein Verfahrensmangel sein (BVerwG, Urteil
vom 22. Januar 1971 - BVerwG VII C 42.70 -, BVerwGE 37, 116 = Buchholz 310
§ 65 VwGO Nr. 117 = MDR 1971, 516 = DÖV 1971, 458 = NJW 1971, 1419 = JR
1971, 387; Beschluss vom 7. Februar 1995 - BVerwG 1 B 14.95 -, Buchholz 310
§ 65 VwGO Nr. 117 = GewArch 1997, 76). Folglich kann eine fehlende
schriftliche Begründung des Beschlusses über die Ablehnung einer einfachen
Beiladung und eine fehlende Zustellung des Ablehnungsbeschlusses an den
nicht Beigeladenen ebenfalls kein Verfahrensmangel sein, auf dem das
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angegriffene Urteil beruhen kann.
e) Der Kläger sieht schließlich einen „gravierenden Aufklärungsmangel“ und
einen „Mangel an Gehör“ darin, dass das Verwaltungsgericht auf seinen
Schriftsatz vom 4. Oktober 2012 hin nicht die Vorlage weiterer Unterlagen (so
das endgültige Wahlergebnis mit Bekanntmachungsvermerk) angemahnt habe.
Das Verwaltungsgericht habe im Urteil ausgeführt, dass die Bekanntmachung
des (angefochtenen) Wahlergebnisses „wohl“ am 20. Oktober 2011 erfolgt sei.
Gewissheit darüber habe es nicht. Ihm, der den Einspruch gegen das
Wahlergebnis aufgrund vorläufiger Bekanntmachungen erhoben habe, könne
die „verspätete“ Geltendmachung der Rüge hinsichtlich des
Bekanntmachungsmangels nicht angelastet werden.
Aus diesem Vorbringen ergibt sich ebenfalls kein Verfahrensmangel, auf dem
das angegriffene Urteil beruhen kann. Denn der Kläger ist - wovon das
Verwaltungsgericht zutreffend ausgegangen ist - mit der betreffenden Rüge, die
Samtgemeinde C. verfüge nicht über ein ordnungsgemäßes
Bekanntmachungsrecht, im Gerichtsverfahren ausgeschlossen gewesen. Daran
hätte die Vorlage des endgültigen Wahlergebnisses mit
Bekanntmachungsvermerk nichts geändert. Einer Anmahnung zur Vorlage
dieser Unterlagen durch das Verwaltungsgericht hat es daher nicht bedurft.
Die vorstehend ausgeführte Präklusion ergibt sich daraus, dass der Kläger die
betreffende Rüge nicht schon im Einspruchs-, sondern erst im Klageverfahren
erhoben hat. Dem Verwaltungsgericht fällt die Wahlprüfung jedoch nur in dem
Umfang zu, in dem sie durch die Substantiierung der Prüfungsgegenstände im
Wahleinspruch wirksam eingeleitet worden ist. Der Prüfungsumfang vor dem
Verwaltungsgericht geht nicht über das Vorbringen im Wahleinspruchsverfahren
hinaus; Rügen, die nicht schon Gegenstand des Wahlprüfungsverfahrens vor
der Vertretung bzw. Einwohnervertretung waren, sind auch im gerichtlichen
Verfahren materiell präkludiert. Denn nach der in §§ 46 ff. NKWG angelegten
Zweistufigkeit des Wahlprüfungsverfahrens soll auf einen innerhalb von zwei
Wochen nach Bekanntmachung des Wahlergebnisses mit Begründung
schriftlich einzureichenden oder zur Niederschrift zu erklärenden Wahleinspruch
hin zunächst die zuständige Vertretung oder Einwohnervertretung über ihre
eigene Legitimation und diejenige ihrer Mitglieder entscheiden (§ 47 Abs. 1 Satz
1, § 48 NKWG). Gegen diese Wahlprüfungsentscheidung ist die Klage zum
Verwaltungsgericht zulässig (§ 49 Abs. 2 NKWG). Diese Regelung hat ihren
Grund darin, dass die Entscheidung im Wahlprüfungsverfahren möglichst
schnell erfolgen soll, um Gewissheit über die rechtsgültige Zusammensetzung
der gewählten Vertretung zu erhalten. Es soll verhindert werden, dass durch
neue, erst später vorgebrachte Einwendungen die Entscheidung der
Wahlprüfungsgerichte immer weiter hinausgezögert werden kann. Dies führt
dazu, dass Einwendungen, die erst im Klageverfahren erhoben werden, nicht
der Prüfung des Verwaltungsgerichts unterliegen (vgl. OVG Lüneburg, Urteil
vom 28. Februar 1984 - 2 A 109/83 -, NdsRpfl 1984, 224 = DÖV 1985, 153 =
NVwZ 1985, 847).
Der Kläger kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, diese Rechtsprechung
beruhe nicht auf einer gesetzlichen Grundlage, es habe in der Weimarer
Republik auch eine andere Rechtsprechungslinie gegeben; so habe das
Preußische Oberverwaltungsgericht die Ansicht vertreten, dass gewisse
Wahlfehler eine Wahl absolut ungültig machten, und er sehe dies im Hinblick auf
die offenbar inkorrekte Bekanntmachung des endgültigen Ergebnisses der hier
in Rede stehenden Wahl genauso. Denn die vorgenommene Auslegung der §§
46 ff. NKWG durch das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht wurde vom
Bundesverwaltungsgericht ausdrücklich gebilligt (BVerwG, Beschluss vom 12.
Januar 1989 - BVerwG 7 B 202.88 -, Buchholz 160 Wahlrecht Nr. 32 = NVwZ-
RR 1989, 496 = DVBl 1989, 928, nachfolgend BVerfG, Kammerbeschluss vom
20. Juli 1989 - 2 BvR 317/89 -, juris; vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 12. März
2010 - BVerwG 8 B 90.09 -, juris). Sie entspricht der Rechtsprechung der
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Obergerichte zu den betreffenden Regelungen im Kommunalwahlrecht anderer
Bundesländer (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 16. Mai 2007 - 1 S 567/07 -,
ESVGH 57, 248 = VBlBW 2007, 377 und Beschluss vom 24. November 2009 - 1
S 1149/09 -, juris zu § 31 Abs. 1 Satz 1 und 2 KomWG BW; OVG Sachsen-
Anhalt, Urteil vom 20. November 1996 - 2 L 375/95 -, juris zu § 50 LWG LSA;
OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 11. März 1966 - III A 1039/65 -,
OVGE 22, 141 m.w.N.) und der einschlägigen Kommentarliteratur (vgl.
Thiele/Schiefel, Niedersächsisches Kommunalwahlrecht, 3. Aufl. 2006, § 49
Anm. 5). Die Rechtsprechung des Preußischen Oberverwaltungsgerichts, auf
die sich der Kläger bezieht, ist in Anbetracht dieser ganz herrschenden
Auffassung überholt. Unabhängig davon galt zu Zeiten des Preußischen
Oberverwaltungsgerichts bei Prüfung der Kommunalwahlen noch nicht das
heutige Anfechtungs-, sondern das Amtsprinzip (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen,
Beschluss vom 11. März 1966, a.a.O.), so dass die damalige und die heutige
Rechtslage nicht vergleichbar sind.
3. Auch der vom Kläger geltend gemachte Zulassungsgrund der
grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache liegt nicht vor.
Eine Rechtssache ist grundsätzlich bedeutsam im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3
VwGO, wenn sie eine höchstrichterlich noch nicht beantwortete Rechts- oder
Tatsachenfrage von allgemeiner Bedeutung aufwirft, die im
Rechtsmittelverfahren entscheidungserheblich ist und im Interesse der
Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Weiterentwicklung des Rechts einer
fallübergreifenden Klärung in einem Berufungsverfahren bedarf.
Der Kläger macht insoweit geltend, dass in Anbetracht seiner unter 2. d)
wiedergegebenen Einwände aus seiner Sicht grundsätzliche Bedenken gegen
das erstinstanzliche Urteil bestünden; der Berufung könne daher eine
grundsätzliche Bedeutung i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO im Hinblick auf die
Ablösung der seit den 1950er Jahren herrschenden Rechtspraxis zukommen.
Mit diesem Vorbringen hat der Kläger schon keine konkrete Rechts- oder
Tatsachenfrage bezeichnet. Die hier vorgenommene Auslegung der §§ 46 ff.
NKWG ist zudem - wie ausgeführt - höchstrichterlich gebilligt worden (vgl.
BVerwG, Beschluss vom 12. Januar 1989, a.a.O., nachfolgend BVerfG,
Kammerbeschluss vom 20. Juli 1989, a.a.O.), so dass es im Interesse der
Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Weiterentwicklung des Rechts
insoweit keiner fallübergreifenden Klärung in einem Berufungsverfahren bedarf.