Urteil des OVG Niedersachsen vom 20.06.2013

OVG Lüneburg: spanien, mitgliedstaat, besuch, hotel, international, schule, lebensmittelpunkt, beschränkung, niederlassung, unterbringung

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Ausbildungsförderung für den Besuch einer im
Ausland gelegenen Ausbildungsstätte
Ein minderjähriger Auszubildender teilt regelmäßig den ständigen Wohnsitz
der sorgeberechtigten Eltern oder des allein personensorgeberechtigten
Elternteils, sofern nicht für das Kind ein anderweitiger ständiger Wohnsitz
begründet worden ist.
OVG Lüneburg 4. Senat, Beschluss vom 20.06.2013, 4 LC 240/11
§ 5 Abs 1 BAföG, § 5 Abs 2 S 1 Nr 3 BAföG, § 11 BGB, § 7 BGB
Gründe
I.
Die Klägerin begehrt Leistungen nach dem
Bundesausbildungsförderungsgesetz.
Die am 5. August 1989 geborene Klägerin ist deutsche Staatsangehörige. Sie
besuchte ab Februar 1999 eine Schule in Spanien und schloss ihre schulische
Ausbildung im Juli 2008 dort ab. Am 28. Juli 2008 nahm sie ein Studium an der
International School of Hotel Management in der Fachrichtung Bachelor in
Business Administration (BBA) in Marbella auf. Auf ihren Antrag bewilligte der
Beklagte ihr für diese Ausbildung Leistungen nach dem
Bundesausbildungsförderungsgesetz für den Zeitraum von Juli 2008 bis Juni
2009.
Am 23. Februar 2009 beantragte die Klägerin eine weitere Förderung nach
dem Bundesausbildungsförderungsgesetz für den Zeitraum von Juli 2009 bis
Juni 2010. Diesen Antrag lehnte der Beklagte durch Bescheid vom 27. Mai
2009 mit der Begründung ab, dass die Voraussetzungen für eine vollständige
Förderung der Auslandsausbildung nicht vorlägen. Einer Förderung nach § 5
Abs. 2 Nr. 3 BAföG i. V. m. § 16 Abs. 3
BAföG stehe entgegen, dass die Klägerin ihren ständigen Wohnsitz nicht im
Inland habe. Sie lebe seit Februar 1999 in Spanien, habe dort die Schule
besucht und unmittelbar danach die Ausbildung an der International School of
Hotel Management in Marbella aufgenommen. Dass sie sich in den
Ferienzeiten in Deutschland aufgehalten habe, rechtfertige nicht die Annahme,
dass sie dort ihren ständigen Wohnsitz habe.
Die Klägerin erhob am 23. Juni 2009 gegen den o. g. Bescheid Widerspruch
mit der Bitte um nochmalige Überprüfung. Der Beklagte wies diesen
Widerspruch durch Bescheid vom 16. September 2009 zurück. Zur
Begründung führte er aus, dass eine Förderung einer Ausbildung im Ausland
eine Ausnahme darstelle. Ein Auszubildender mit ständigem Wohnsitz im
Inland habe einen Rechtsanspruch auf Ausbildungsförderung, wenn die im
Bundesausbildungsförderungsgesetz genannten Voraussetzungen für die
Förderung einer Inlandsausbildung und die darüber hinaus notwendigen
Bedingungen für eine Auslandsausbildung erfüllt seien. Für den
Bewilligungszeitraum von Juli 2008 bis Juni 2009 seien der Klägerin für die
Ausbildung an der International School of Hotel Management Leistungen nach
§ 5 Abs. 2 Nr. 3 BAföG zugesprochen worden. Eine weitere Förderung käme
nach § 5 Abs. 2 Nr. 3 BAföG i. V. m. § 16 Abs. 3 Halbs. 2
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BAföG nur dann in Betracht, wenn die Klägerin bei Beginn des nach dem
31. Dezember 2007 aufgenommenen Auslandsaufenthalts bereits seit
mindestens drei Jahren ihren ständigen Wohnsitz im Inland gehabt hätte. Das
sei jedoch nicht der Fall. Die Klägerin sei mit der Mutter im Februar 1999 im
Alter von zehn Jahren nach Südspanien gezogen. Demzufolge habe sich ihr
ständiger Wohnsitz bei ihrer Mutter in Spanien befunden. Diese
Wohnsitznahme sei nicht dadurch beendet worden, dass sich die Mutter der
Klägerin entschlossen habe, nach Deutschland zurückzukehren, da die
Klägerin in Spanien verblieben sei, dort die allgemeine Hochschulreife
erworben und die weitere Ausbildung an der International School of Hotel
Management aufgenommen habe. Daher habe die Klägerin auch nach der
Rückkehr ihrer Mutter aus Spanien ihren ständigen Wohnsitz in Spanien
gehabt.
Die Klägerin hat daraufhin am 12. Oktober 2009 Klage erhoben. Zur
Begründung hat sie vorgetragen, sie halte sich lediglich zu Lern- und
Studienzwecken im Ausland auf. Ihr ständiger Wohnsitz sei in Deutschland. Ihr
Lebensmittelpunkt habe sich auch während der Zeit ihrer Minderjährigkeit bei
ihrer in Deutschland lebenden Familie befunden. Ihr ständiger Wohnsitz sei
auch damals im Inland gewesen. Die Abwesenheit von diesem sei allein durch
ihre Ausbildung in Spanien begründet gewesen.
Die Klägerin hat beantragt,
die Bescheide des Beklagten vom 27. Mai 2009 und 16. September
2009 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, ihr für den
Bewilligungszeitraum von Juli 2009 bis Juni 2010 Leistungen nach
Bundesausbildungsförderungsgesetz in gesetzlicher Höhe zu
gewähren.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen,
auf die Begründung der angefochtenen Bescheide verwiesen und die dortigen
Ausführungen vertieft.
Das Verwaltungsgericht hat durch Urteil vom 27. Juni 2011 die Bescheide des
Beklagten vom 27. Mai 2009 und 16.September 2009 aufgehoben und den
Beklagten verpflichtet, der Klägerin für den Bewilligungszeitraum von Juli 2009
bis Juni 2010 Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz in
gesetzlicher Höhe zu gewähren. Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht
ausgeführt, dass die Ablehnung der Ausbildungsförderung durch die
angefochtenen Bescheide rechtswidrig sei und die Klägerin in ihren Rechten
verletze. Die Klägerin habe einen Anspruch auf die begehrte
Ausbildungsförderung. Ob sich ein dahingehender Anspruch bereits aus § 5
Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BAföG ergebe, könne allerdings offen bleiben. Nach § 5
Abs. 1 BAföG sei der ständige Wohnsitz im Sinne des
Bundesausbildungsförderungsgesetzes an dem Ort begründet, der nicht nur
vorübergehend Mittelpunkt der Lebensbeziehungen sei, ohne dass es auf den
Willen zur ständigen Niederlassung ankomme; wer sich lediglich zum Zwecke
der Ausbildung an einem Ort aufhalte, habe dort nicht seinen ständigen
Wohnsitz begründet. Für die Annahme eines ständigen Wohnsitzes der
Klägerin bei ihrer Mutter in Deutschland könne angeführt werden, dass sich die
Klägerin in Spanien zur Ausbildung aufgehalten und die Ferienzeiten weit
überwiegend in Deutschland verbracht habe. Dagegen spreche allerdings,
dass die dauerhafte Unterbringung der Klägerin in dem Internat in Spanien
gerade nicht nur zu Ausbildungszwecken erfolgt sei, es ihrer Mutter vielmehr
wesentlich auch darum gegangen sein, der Klägerin eine möglichst
unbeschwerte und von ihren Problemen nicht tangierte Kindheit zu
ermöglichen. Die Klägerin habe indessen unter der Annahme, dass ihr
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Wohnsitz sich nicht seit mindestens drei Jahren vor Ausbildungsbeginn im
Inland, sondern in Spanien befunden habe, einen Anspruch auf die gewährte
Förderung als “Auslandsdeutsche“ im Sinne des § 6 BAföG. Zwar erfülle die
Klägerin die weitere Voraussetzung des § 6 BAföG, dass besondere
Umstände des Einzelfalls die Leistung von Ausbildungsförderung
rechtfertigten, nicht. Sie könne die begehrte Förderung aber dennoch
beanspruchen, weil die Einschränkung der Förderung in § 6 Satz 1 BAföG
dahingehend, dass Deutschen mit ständigem Wohnsitz in einem
ausländischen Staat, die dort eine Ausbildungsstätte besuchen,
Ausbildungsförderung nur dann geleistet werden könne, wenn die besonderen
Umstände des Einzelfalls dies rechtfertigten, in den Fällen des Besuchs einer
Ausbildungsstätte in einen Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft
wegen Verstoßes gegen Art. 18 Abs. 1 EGV nicht anzuwenden sei. Nach
dieser Vorschrift habe jeder Unionsbürger das Recht, sich im Hoheitsgebiet
der Mitgliedstaaten vorbehaltlich der in diesem Vertrag und in den
Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen
frei zu bewegen und aufzuhalten. Ein Mitgliedstaat habe daher, wenn er ein
Ausbildungsförderungssystem vorsehe, wonach Auszubildende bei einer
Ausbildung in einem anderen Mitgliedstaat eine Ausbildungsförderung in
Anspruch nehmen können, dafür Sorge zu tragen, dass die Modalitäten der
Bewilligung dieser Förderung das Recht, sich im Hoheitsgebiet der
Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, nicht ungerechtfertigt
beschränken. Nach dieser Maßgabe greife das Erfordernis besonderer
Umstände des Einzelfalls in § 6 Satz 1 BAföG in das Recht der Klägerin nach
Art. 18 Abs. 1 EGV ein, sich in Spanien weiterhin aufzuhalten. Die darin
liegende Beschränkung des Rechts nach Art. 18 Abs. 1 EGV sei auch
gemeinschaftsrechtlich nicht gerechtfertigt. Ein legitimer Zweck für die
einschränkende Regelung des § 6 BAföG sei nicht ersichtlich. Das Erfordernis
besonderer Umstände des Einzelfalls nach § 6 Satz 1 BAföG diene dazu, die
Ausbildungsförderung im Grundsatz auf die Fälle zu beschränken, in denen
ein Auszubildender eine im Geltungsbereich des
Bundesausbildungsförderungsgesetzes gelegene Ausbildungsstätte besuche,
und den Besuch einer Ausbildungsstätte im Ausland nur in derartigen
Härtefällen zu fördern, in denen dem Auszubildenden der Besuch einer
Ausbildungsstätte im Geltungsbereich des
Bundesausbildungsförderungsgesetzes nicht möglich oder zuzumuten sei.
Dieser Zweck der Begrenzung der Ausbildungsförderung beim Besuch im
Ausland gelegener Ausbildungsstätten auf Härtefälle stelle indessen keine
Rechtfertigung der Beschränkung des durch Art. 18 Abs. 1 EGV verliehenen
Rechts dar.
Gegen dieses ihm am 24. August 2011 zugestellte Urteil des
Verwaltungsgerichts hat der Beklagte am 8. September 2011 die vom
Verwaltungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache
zugelassene Berufung eingelegt.
Zur Begründung der Berufung führt der Beklagte aus, dass das
Verwaltungsgericht der Klage zu Unrecht stattgegeben habe. Zunächst sei zu
beanstanden, dass das Verwaltungsgericht offen gelassen habe, ob die
Klägerin bei Beginn des nach dem 31. Dezember 2007 aufgenommenen
Auslandsaufenthaltes seit mindestens drei Jahren ihren ständigen Wohnsitz in
Deutschland gehabt habe, was Voraussetzung für einen Anspruch nach § 5
Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 1. Alt. BAföG gewesen wäre. Denn der
Anwendungsbereich des § 6 BAföG sei schon gar nicht eröffnet, wenn die
Klägerin nach § 5 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 BAföG gefördert werden könnte, weil
beide Vorschriften sich sowohl nach den Anspruchsvoraussetzungen als auch
nach den Rechtsfolgen gegenseitig ausschlössen. Aber selbst wenn man
unterstelle, dass die Klägerin zu dem Personenkreis gehöre, der nach § 6
BAföG grundsätzlich förderungsfähig sei, könne der Auffassung des
Verwaltungsgerichts, dass die weiteren Voraussetzungen für eine Förderung
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nach § 6 Satz 1 BAföG wegen Verstoßes gegen Art. 18 Abs. 1 EGV nicht
vorliegen müssten, nicht nachvollzogen werden. Das Verwaltungsgericht habe
übersehen, dass der Europäische Gerichtshof (EuGH) es in dem vom
Verwaltungsgericht in Bezug genommenen Urteil vom 23. Oktober 2007 in der
Sache Morgan/Bucher als legitim bezeichnet habe, wenn ein Mitgliedstaat als
Voraussetzung für die Gewährung von Förderung an eine Person einen
ausreichenden Grad an gesellschaftlicher Integration von dieser Person
verlangt. Dabei sei in der genannten Entscheidung explizit als ausreichend
angesehen worden, dass die Klägerin im dortigen Fall - anders als im
vorliegenden Fall - in Deutschland aufgewachsen und dort auch ihre Schulzeit
verbracht hätten. Das Erfordernis der ausreichenden gesellschaftlichen
Integration habe der EuGH auch in seiner Entscheidung vom 15. März 2005 (-
C -209/03 - „Bidar“) thematisiert und dabei festgestellt, dass sich im Rahmen
einer nationalen Regelung wie der Student Support Regulations die Garantie
einer ausreichenden Integration in die Gesellschaft des
Aufnahmemitgliedstaats aus dem Erfordernis eines zuvor bestehenden
Wohnsitzes im Hoheitsgebiet dieses Staates ergebe. Eine entsprechende
Regelung finde sich nunmehr in § 16 Abs. 3 Halbs. 2 BAföG, wonach in den
Fällen des § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BAföG nur dann über ein Jahr hinaus
gefordert werde, wenn der Auszubildende bei Beginn eines nach dem
31. Dezember 2007 aufgenommenen Auslandsaufenthaltes bereits seit
mindestens drei Jahren seinen ständigen Wohnsitz im Inland gehabt habe.
Diese Regelung solle zielgerichtet sicherstellen, dass finanzielle Leistungen
aus steuerfinanzierten öffentlichen Haushalten auf einen Personenkreis
beschränkt werden, der ein Mindestmaß an Nähe zu dem leistenden Staat
aufweise, und beruhe daher auf von der Staatsangehörigkeit des Betroffenen
unabhängigen Erwägungen. Seien aber bereits diese Einschränkungen
rechtmäßig, müsse dies erst recht für diejenigen Voraussetzungen des § 6
BAföG gelten, die Ausnahmen in Härtefällen für einen bestimmten
Personenkreis treffen. So habe das Bundesverwaltungsgericht bereits in
seinem Urteil vom 10. Juli 1992 (5 B 88.92) festgestellt, dass es im Rahmen
der speziellen Härtefallregelung des § 6 BAföG nicht auf die Regelung über die
Freizügigkeit im Rahmen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft
ankomme. Nicht zuletzt stelle die Einschränkung des § 5 Abs. 2 Nr. 3 Satz 1
BAföG i. V. m. § 16 Abs. 3 Halbs. 2 BAföG bzw. die Beschränkung der
Förderung des § 6 BAföG auf spezielle Härtefälle ein sachgerechtes Mittel dar,
die Kumulation von Ausbildungsförderung nach Antragsverfahren in
verschiedenen Mitgliedstaaten zu verhindern, was auch nach der Auffassung
des EuGH zu verhindern sei. Im Übrigen sei zu berücksichtigen, dass nicht
feststehe, dass die Mutter der Klägerin seit November 2000 ihren Wohnsitz in
Deutschland gehabt habe. Außerdem sei die Regelung des § 11 BGB,
wonach ein minderjähriges Kind den Wohnsitz des sorgeberechtigten
Elternteils teile, nicht zwingend, da anstelle des gesetzlichen Wohnsitzes ein
gewillkürter Wohnsitz nach den § 7 f. BGB begründet werden könne, der
Vorrang vor dem gesetzlichen Wohnsitz genieße. Für einen in Spanien
begründeten gewillkürten Wohnsitz der Klägerin spreche seines Erachtens,
dass es der Mutter der Klägerin bei der dauerhaften Unterbringung der
Klägerin im Internat in Spanien wesentlich darum gegangen sei, der Klägerin
eine möglichst unbeschwerte und von den Problemen ihrer Mutter nicht
tangierte Kindheit zu ermöglichen. Somit sei die Unterbringung der Klägerin in
dem Internat in Malaga gerade nicht nur zu Ausbildungszwecken erfolgt.
Der Beklagte beantragt sinngemäß,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Lüneburg - 4. Kammer - vom
27. Juni 2011 zu ändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen,
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und teilt mit, dass ihre Mutter im November 2000 von Spanien nach
Deutschland zurückgezogen sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den
Inhalt der Gerichtsakten der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des
Beklagten verwiesen.
II.
Die Berufung des Beklagten gegen das erstinstanzliche Urteil ist unbegründet.
Diese Entscheidung trifft der Senat nach vorheriger Anhörung der Beteiligten
nach § 130 a Satz 1 VwGO durch Beschluss, weil er die Berufung des
Beklagten einstimmig für nicht begründet hält und eine mündliche Verhandlung
nicht als notwendig erachtet.
Das Verwaltungsgericht hat der Klage im Ergebnis zu Recht stattgegeben.
Denn der Klägerin steht die beantragte Ausbildungsförderung zu, so dass der
angefochtene Bescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
rechtswidrig ist und die Klägerin in ihren Rechten verletzt. Der Anspruch der
Klägerin auf Ausbildungsförderung ergibt sich allerdings entgegen der
Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht aus § 6 BAföG, sondern aus § 5
Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BAföG.
Nach § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BAföG wird Auszubildenden, die ihren ständigen
Wohnsitz im Inland haben, Ausbildungsförderung für den Besuch einer im
Ausland gelegenen Ausbildungsstätte geleistet, wenn eine Ausbildung an
einer Ausbildungsstätte in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in
der Schweiz aufgenommen oder fortgesetzt wird und ausreichende
Sprachkenntnisse vorhanden sind.
Diese Voraussetzungen für die Gewährung von Ausbildungsförderung sind
hier erfüllt.
Die Klägerin hat eine Ausbildung an einer Ausbildungsstätte in Spanien und
damit in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union aufgenommen und in
dem hier relevanten Zeitraum von Juli 2009 bis Juni 2010 fortgesetzt. Sie
verfügt aufgrund ihres langjährigen Aufenthalts in Spanien zudem über
ausreichende Sprachkenntnisse. Schließlich hat die Klägerin ihren ständigen
Wohnsitz auch in Deutschland gehabt.
Nach § 5 Abs. 1 BAföG ist der ständige Wohnsitz im Sinne des
Bundesausbildungsförderungsgesetzes an dem Ort begründet, der nicht nur
vorübergehend Mittelpunkt der Lebensbeziehungen ist, ohne dass es auf den
Willen zur ständigen Niederlassung ankommt; wer sich lediglich zum Zwecke
der Ausbildung an einem Ort aufhält, hat dort nicht seinen ständigen Wohnsitz
begründet. Diese Legaldefinition lehnt sich an den zivilrechtlichen
Wohnsitzbegriff der §§ 7 ff. BGB an (OVG Saarland, Beschl. v. 29.10.2012 -
3 A 238/12 -; Rothe/Blanke, BAföG, Stand: März 2010, § 5 Rn. 6 und § 6
Rn. 6), der seinerseits an die ständige Niederlassung an einem Ort in dem
Sinne, dass dort der Schwerpunkt der Lebensbeziehungen begründet wird,
anknüpft (vgl. BVerwG, Urt. v. 30.5.2002 - 5 C 59/01 -, BVerwGE 116, 291).
Daher teilt ein minderjähriger Auszubildender in entsprechender Anwendung
des § 11 Satz 1 BGB regelmäßig den ständigen Wohnsitz der
personensorgeberechtigten Eltern oder des allein personensorgeberechtigten
Elternteils (OVG Saarland, Beschl. v. 29.10.2012 - 3 A 238/12 -; Rothe/Blanke,
BAföG, Stand: März 2010, § 6 Rn. 6), sofern nicht für das Kind ein
anderweitiger ständiger Wohnsitz begründet worden ist (OVG Saarland,
Beschl. v. 29.10.2012 - 3 A 238/12 -).
Ausgehend davon hat die Klägerin nach ihrem Umzug mit ihrer allein
personensorgeberechtigten Mutter von Deutschland nach Spanien im Februar
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1999 ihren ständigen Wohnsitz zunächst in Spanien gehabt. Denn die Mutter
der Klägerin hat damals sowohl ihren Wohnsitz i.S.d § 7 BGB als auch ihren
ständigen Wohnsitz i.S.d. § 5 Abs. 1
BAföG in Spanien begründet, da sie den Mittelpunkt ihrer Lebensbeziehungen
nach Spanien verlegt und sich dort nicht nur vorübergehend niedergelassen
hat. Damit befand sich seinerzeit auch der ständige Wohnsitz der Klägerin in
Spanien.
Im November 2000 ist die Mutter der Klägerin allerdings nach Deutschland
zurückgekehrt. Dies hat die Klägerin auf Anfrage des Senats nach dem
Zeitpunkt der Rückkehr ihrer Mutter mitgeteilt. Anhaltspunkte dafür, dass diese
Mitteilung unzutreffend ist, bestehen nicht. Das gilt umso mehr, als Dr. D. E.
ausweislich der Verwaltungsvorgänge des Beklagten unter dem 9. November
2008 bestätigt hat, dass die Mutter der Klägerin von November 2000 bis zum
15. Februar 2007 in seinem Haus in Bremen wohnhaft gewesen sei.
Außerdem hat F. G. unter dem 22. Oktober 2009 bekundet, dass die Mutter
der Klägerin in den Jahren 2000 bis 2007 in Bremen ihren Wohnsitz gehabt
habe. Schließlich lässt sich die Erklärung der Klägerin, dass ihre Mutter im
November 2000 nach Deutschland zurückgekehrt sei, auch anhand der
Angaben der Mutter der Klägerin in ihrem Schreiben vom 24. April 2009 an den
Beklagten nachvollziehen. Daher steht die Rückkehr der Mutter der Klägerin
von Spanien nach Deutschland im November 2000 zur Überzeugung des
Senats fest.
Mit dem damaligen Umzug von Spanien nach Deutschland hat die Mutter der
Klägerin den Mittelpunkt ihrer Lebensbeziehungen wieder nach Deutschland
verlegt und damit im Inland sowohl einen Wohnsitz i.S.d § 7 BGB als auch
einen ständigen Wohnsitz i.S.d. § 5 Abs. 1 BAföG begründet. Damit hat sich
auch der ständige Wohnsitz der Klägerin nach Deutschland verlagert, da ein
minderjähriges Kind in entsprechender Anwendung des § 11 Satz 1 BGB
regelmäßig den ständigen Wohnsitz seiner allein personensorgeberechtigten
Mutter teilt und keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür bestehen, dass
damals ein anderweitiger ständiger Wohnsitz für die Klägerin in Spanien
begründet worden ist.
Dem Schreiben der Mutter der Klägerin an den Beklagten vom 24. April 2009
ist zu entnehmen, dass die Klägerin in Spanien verblieben ist, um dort
unbelastet von den persönlichen Problemen ihrer Mutter weiterhin die Schule
besuchen zu können. Die Mutter der Klägerin hat in diesem Schreiben betont,
dass sie bei ihrer Rückkehr nach Deutschland ihre Tochter an sich habe
mitnehmen wollen, jedoch befürchtet habe, ihr durch eine Herausnahme aus
der Schule mitten im Schuljahr zu schaden. Daher habe sie bis zum nächsten
Sommer gewartet, um die Klägerin wieder ganz nach Deutschland zurück zu
holen. In den Sommerferien sei ihre Tochter dann aber so fröhlich und
ausgeglichen gewesen, dass sie schweren Herzens entschieden habe, sie
wieder in die Gemeinschaft im Internat in Spanien zurückkehren zu lassen. Sie
habe das Internat für einen besseren Ort für ihren seelischen und persönlichen
Werdegang gehalten. Seit dem Tag, an dem sie ihre Tochter in das Internat
gegeben habe, sei sie aber entschlossen gewesen, sie dort nur
vorübergehend unterzubringen. Daraus ergibt sich zur Überzeugung des
Senats, dass sich die Klägerin sowohl objektiv, als auch nach dem Willen ihrer
Mutter allein oder jedenfalls in erster Linie in Spanien aufgehalten hat, um dort
weiterhin das Internat zu besuchen. Dass es der Mutter der Klägerin bei dem
Internatsbesuch in Spanien auch darum ging, ihrer Tochter eine möglichst
unbeschwerte, von ihren Problemen nicht tangierte Kindheit zu ermöglichen,
rechtfertigt keine andere Beurteilung. Denn dieser Umstand ändert nichts
daran, dass der Aufenthalt der Klägerin in Spanien auch nach dem Willen ihrer
Mutter allein oder jedenfalls in erster Linie der Fortsetzung ihrer
Schulausbildung gedient hat und damit durch den Ausbildungszweck geprägt
gewesen ist. Den weiteren Angaben der Mutter der Klägerin lässt sich
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ebenfalls nicht entnehmen, dass zu dem Ausbildungszweck ein anderer
Aufenthaltszweck von vergleichbarem Gewicht hinzugetreten ist. Dafür gibt es
auch keine ausreichenden Indizien.
Bei dieser Sachlage besteht kein hinreichender Grund für die Annahme, dass
die damals minderjährige Klägerin nach dem Umzug ihrer Mutter nach
Deutschland deren ständigen Wohnsitz im Inland nicht geteilt hat, sondern ein
anderweitiger ständiger Wohnsitz der Klägerin in Spanien begründet worden
ist. Denn der weitere Aufenthalt der Klägerin in Spanien hat sowohl objektiv,
als auch nach dem Willen ihrer Mutter allein oder jedenfalls in erster Linie der
Ausbildung der Klägerin gedient, was nach § 5 Abs. 1 Halbs. 2 BAföG zu
keiner Begründung eines ständigen Wohnsitzes am Aufenthaltsort führt, da ein
Auszubildender sich nur dann nicht lediglich zum Zwecke der Ausbildung an
einem Ort i.S.d. § 5 Abs. 1 Halbs. 2 BAföG aufhält, wenn der Aufenthalt dort
nicht durch den Ausbildungszweck geprägt ist, sondern - in objektiven Indizien
nachweisbar - ein anderer Aufenthaltszweck von vergleichbarem Gewicht
hinzutritt (vgl. BVerwG, Urt. v. 30.5.2002 - 5 C 59/01 -, BVerwGE 116, 291).
Gegen die Annahme, dass die Klägerin nach der Rückkehr ihrer Mutter nach
Deutschland deren Wohnsitz in Deutschland nicht geteilt, sondern einen
ständigen Wohnsitz in Spanien gehabt hat, lässt sich des Weiteren anführen,
dass die Klägerin nach den Angaben ihrer Mutter im erstinstanzlichen
Verfahren die Ferien von immerhin ca. fünf Monaten im Jahr im Wesentlichen
bei ihr in Deutschland verbracht hat. Schließlich spricht gegen die Begründung
eines ständigen Wohnsitzes in Spanien auch die eindeutige und glaubhafte
Erklärung der Klägerin in ihrer Klagebegründung, dass sich ihr
Lebensmittelpunkt auch während der Zeit ihrer Minderjährigkeit bei ihrer in
Deutschland lebenden Familie befunden habe, dass ihr ständiger Wohnsitz in
Deutschland gewesen sei und dass sie sich lediglich zur Ausbildung im
Ausland aufgehalten habe und noch aufhalte.
Die Klägerin hat ihren ständigen Wohnsitz in Deutschland auch nach der
Erlangung der Volljährigkeit im Jahr 2007 beibehalten. Denn sie hat glaubhaft
vorgetragen, dass sie sich weiterhin nur zum Zwecke ihrer Ausbildung in
Spanien aufgehalten hat und ihr Lebensmittelpunkt in Deutschland gewesen
ist. Dementsprechend ist die Klägerin ausweislich der Meldebestätigung der
Freien Hansestadt Bremen vom 2. Februar 2009 seit dem 15. Februar 2007
auch in Deutschland mit erstem Wohnsitz gemeldet.
Hat die Klägerin ihren ständigen Wohnsitz demnach seit November 2000 in
Deutschland, liegen die Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BAföG
für die Gewährung der beantragten Ausbildungsförderung vor. Somit gelangt
§ 6 BAföG, der die Gewährung von Ausbildungsförderung an Deutsche, die
ihren ständigen Wohnsitz in einem ausländischen Staat haben und dort oder
von dort aus in einem Nachbarstaat eine Ausbildungsstätte besuchen, regelt,
nicht zur Anwendung. Daher kann dahin stehen, ob die von dem Beklagten
gerügte Auffassung der Vorinstanz, dass das in § 6 Satz 1 BAföG enthaltene
Erfordernis der Rechtfertigung der Leistung der Ausbildungsförderung durch
besondere Umstände des Einzelfalls wegen Verstoßes gegen Art. 18 Abs. 1
EGV nicht zur Anwendung gelangt, zutreffend ist.
Da sich der ständige Wohnsitz der Klägerin schon seit November 2000 im
Inland befindet, scheitert die Bewilligung der beantragten
Ausbildungsförderung für den hier relevanten Zeitraum von Juli 2009 bis Juni
2010 auch nicht an § 16 Abs. 3 Halbs. 2
BAföG, demzufolge Ausbildungsförderung in den Fällen des § 5 Abs. 2 Nr. 3
BAföG nur dann über ein Jahr hinaus geleistet wird, wenn der Auszubildende
bei Beginn eines nach dem 31. Dezember 2007 aufgenommenen
Auslandsaufenthalts bereits seit mindestens drei Jahren seinen ständigen
Wohnsitz im Inland gehabt hat. Denn auch diese Voraussetzung ist hier erfüllt.
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Schließlich ist davon auszugehen, dass auch die übrigen Voraussetzungen für
die Bewilligung der beantragten Ausbildungsförderung gegeben sind,
insbesondere die besuchte Ausbildungsstätte in Spanien den im Inland
gelegenen Ausbildungsstätten in Sinne des § 5 Abs. 4 Satz 1 Halbs. 2 BAföG
gleichwertig ist. Denn zum einen sind gegenteilige Anhaltspunkte weder
vorgetragen worden noch ersichtlich. Zum anderen hat der Beklagte der
Klägerin für das erste Jahr des Besuchs der International School of Hotel
Management in Marbella Ausbildungsförderung gewährt, was darauf schließen
lässt, dass die im vorliegenden Verfahren nicht streitigen Voraussetzungen für
die Bewilligung der beantragten Ausbildungsförderung erfüllt sind. Davon ist
auch die Vorinstanz ausgegangen.