Urteil des OVG Niedersachsen vom 07.05.2013

OVG Lüneburg: leistung des arbeitgebers, neues recht, tarifvertrag, erwerbseinkommen, rückforderung, zuwendung, verwaltungsakt, auszahlung, kauf, anhörung

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Anrechnung von Erwerbseinkommen bei der
Soldatenversorgung
1. Ob Erwerbseinkommen in vollem Umfang im Monat des Zuflusses oder
aber anteilig auf zwölf Monate verteilt auf die Versorgungsbezüge
anzurechnen ist (§ 53 Abs. 5 Satz 4 und 5 SVG), richtet sich danach, zu
welchem Zweck die Zahlung erfolgt bzw. für welchen Zeitraum die Zahlung
bestimmt ist (wie BVerwG, Urteil vom 31.5.2012 - BVerwG 2 C 18.10 -, juris Rn.
19 f.).
2. Bei der Jahressonderzahlung, die Angestellte im Öffentlichen Dienst gemäß
§ 20 TVöD/TV-L erhalten, handelt es sich jedenfalls im Schwerpunkt um eine
zusätzliche Vergütung für die im Kalenderjahr geleistete Arbeit. Die
Anrechnung erfolgt deshalb verteilt auf die Monate des Kalenderjahres zu je
einem Zwölftel des Betrages.
OVG Lüneburg 5. Senat, Urteil vom 07.05.2013, 5 LC 202/12
§ 20 TV-L, § 20 TVöD, § 49 Abs 2 SVG, § 53 Abs 5 S 4 SVG, § 53 Abs 5 S 5 SVG
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen die Rückforderung von Versorgungsbezügen.
Der im Jahr 1952 geborene Kläger, ein ehemaliger Berufssoldat im Rang eines
Oberfeldwebels, wurde im Jahr 1984 wegen nicht auf einer
Wehrdienstbeschädigung beruhenden Dienstunfähigkeit in den vorzeitigen
Ruhestand versetzt. Seitdem erhält er Versorgungsbezüge, die für den Monat
November 2010 eine Höhe von 1.452,38 EUR brutto erreichten. Neben seinen
Versorgungsbezügen bezieht er ein Verwendungseinkommen aus einer
Beschäftigung im öffentlichen Dienst des Bundes; das Beschäftigungsverhältnis
unterliegt dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD). Im November
2010 betrug das Einkommen 2.296,67 EUR brutto, bestehend aus den
monatlichen Bezügen in Höhe von 1.210,35 EUR und der Jahressonderzahlung
in Höhe von 1.086,32 EUR.
Die Beklagte führte daraufhin eine Ruhensberechnung durch und teilte dem
Kläger mit einem als „Änderungsmitteilung“ bezeichneten Schreiben vom 16.
Februar 2011 - ohne Rechtsbehelfsbelehrung und ohne weitere textliche
Begründung, aber mit anliegenden umfangreichen Rechenblättern - mit, dass
ihm für den Monat November 2010 Versorgungsbezüge nur in Höhe von 608,01
EUR zugestanden hätten. Zugleich wies sie auf ihre Absicht hin, den
überzahlten Betrag zurückzufordern.
Mit Bescheid vom 30. Juni 2011 forderte die Beklagte von dem Kläger
überzahlte Versorgungsbezüge in Höhe von 830,21 EUR zurück. Zur
Begründung führte sie aus, der Kläger habe im November 2010 ein erhöhtes
Verwendungseinkommen erzielt, das eine Ruhensregelung erforderlich mache.
Die Jahressonderzahlung sei nach dem Zuflussprinzip vollständig in dem Monat
der Zahlung zu berücksichtigen, sodass die Versorgungsbezüge für den Monat
November 2010 entsprechend zu kürzen seien.
Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom
13. Oktober 2011 zurück. Die Auslegung des Widerspruchs ergebe, dass er
gegen die als Verwaltungsakt zu qualifizierende Änderungsmitteilung vom 16.
Februar 2011 und zugleich gegen den Rückforderungsbescheid vom 30. Juni
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2011 gerichtet sei. Beide Bescheide seien rechtmäßig. Die
Jahressonderzahlung sei gemäß § 53 Abs. 5 Satz 4 SVG voll in dem Monat zu
berücksichtigen, in dem der Zufluss erfolge. Bei der als „Weihnachtsgeld“
geleisteten Sonderzahlung handele sich um eine zusätzlich zu dem monatlichen
Entgelt gezahlte tarifliche Leistung des Arbeitgebers aus Anlass des
Weihnachtsfestes, die zu einem besseren Gelingen des Festes beitragen und
den erhöhten finanziellen Aufwendungen in der Weihnachtszeit Rechnung
tragen solle. Die Zahlung beziehe sich demgegenüber nicht auf die
Arbeitsleistung des jeweils zurückliegenden Kalenderjahres.
Mit seiner am 15. November 2011 erhobenen Klage hat der Kläger seine
Rechtsauffassung wiederholt, nach der die auf § 20 TVöD beruhende
Jahressonderzahlung auf die einzelnen Monate des Kalenderjahres aufzuteilen
sei. Es handele sich insoweit um Erwerbseinkommen, das für das gesamte Jahr
gezahlt werde, und nicht um ein Weihnachtsgeld. Das zeige bereits die
Bezeichnung „Jahressonderzahlung“ und werde auch daran deutlich, dass
Teilbeträge zu früheren Zeitpunkten ausgezahlt werden könnten.
Der Kläger hat beantragt,
den Bescheid vom 30. Juni 2011 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 13. Oktober 2011 aufzuheben.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat ergänzend vorgetragen, die Auffassung des Klägers lasse
unberücksichtigt, dass die Jahressonderzahlung nach § 20 TVöD auch in Fällen
erfolge, in denen im zurückliegenden Jahr keine Arbeitsleistung erbracht worden
sei.
Mit Urteil vom 12. Juni 2012 hat das Verwaltungsgericht der Klage stattgegeben.
Die Rückforderung sei rechtswidrig, weil der Kläger Versorgungsbezüge nur in
ihm zustehender Höhe erhalten habe. Sein Gesamteinkommen habe im Monat
November 2010 nicht die Höchstgrenze des § 53 Abs. 2 SVG überstiegen. Die
in diesem Monat ausgezahlte Jahressonderzahlung sei gemäß § 53 Abs. 5 Satz
5 SVG anteilig auf alle zwölf Monate des Jahres 2010 aufzuteilen. Maßgeblich
dafür sei, dass es sich bei der Jahressonderzahlung um Einkommen handele,
das für das gesamte Jahr bestimmt sei. Das folge daraus, dass die Höhe der
Sonderzahlung gemäß § 20 Abs. 4 TVöD von der im Bezugszeitraum
erbrachten Arbeitsleistung abhängig sei. Eine Sonderzahlung ohne Rücksicht
auf die Arbeitsleistung erfolge nur in Ausnahmefällen. Zusätzlich werde mit der
Sonderzahlung zwar auch die Betriebstreue in der Vergangenheit honoriert. Da
aber die Sonderzahlung nur an den Bestand des Arbeitsverhältnisses am 1.
Dezember des Jahres, nicht aber an eine darüber hinaus fortdauernde
Betriebszugehörigkeit geknüpft sei, trete dieser Zweck gegenüber dem
Entgeltcharakter in den Hintergrund.
Gegen dieses Urteil wendet sich die Beklagte mit der von dem
Verwaltungsgericht zugelassenen Berufung. Aus § 53 Abs. 5 Satz 4 und 5 SVG
ergebe sich eine Anrechnung in dem Monat des Zuflusses. Allein deshalb, weil
es sich bei der Sonderzahlung um ein tariflich im Monat November zu zahlendes
Weihnachtsgeld handele, handele es sich eindeutig um eine monatsbezogen zu
berücksichtigende Zahlung. Im Übrigen sei es nicht der primäre Zweck der
Jahressonderzahlung, die erbrachte Arbeitsleistung zusätzlich zu honorieren.
Die Zahlung hänge vielmehr davon ab, ob das Arbeitsverhältnis zu einem
bestimmten Zeitpunkt bestehe.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts zu ändern und die Klage
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abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er wiederholt seine Rechtsauffassung und verteidigt das verwaltungsgerichtliche
Urteil.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des
Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die Beiakten verwiesen, die
Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
Das Verwaltungsgericht hat den Bescheid der Beklagten vom 30. Juni 2011 und
den Widerspruchsbescheid vom 13. Oktober 2011 zu Recht aufgehoben. Die
vorgenannten Bescheide sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen
Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Rechtsgrundlage für die Rückforderung von überzahlten Versorgungsbezügen
ist § 49 Abs. 2 SVG (gemäß § 94 a Nr. 1 Satz 1 SVG in der Fassung der
Bekanntmachung vom 16.9.2009, BGBl. I S. 3054). Danach richtet sich die
Rückforderung zu viel gezahlter Versorgungsbezüge nach den Vorschriften des
Bürgerlichen Gesetzbuchs über die Herausgabe einer ungerechtfertigten
Bereicherung, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist. Diese
Voraussetzungen liegen - wie bereits das Verwaltungsgericht mit zutreffender
Begründung festgestellt hat - nicht vor, weil dem Kläger im November 2010
keine Versorgungsbezüge gezahlt worden sind, die ihm rechtlich nicht zustehen.
Dass der Kläger im November 2010 Versorgungsbezüge in ihm nicht
zustehender Höhe erhalten hat, folgt zunächst nicht bereits daraus, dass
darüber ein bestandskräftiger Bescheid vorliegt. Zwar hat die Beklagte dem
Kläger mit Schreiben vom 16. Februar 2011 unter Beifügung umfangreicher
Berechnungen mitgeteilt, dass ihm für November 2010 aufgrund einer
Anrechnung des Verwendungseinkommens Versorgungsbezüge lediglich in
Höhe von 608,01 EUR anstelle von 1.438,22 EUR zustünden. Das Schreiben
stellt sich jedoch - anders als die Beklagte in ihrem Widerspruchsbescheid
angenommen hat - nicht als Verwaltungsakt i. S. v. § 35 Satz 1 VwVfG dar, weil
es am Regelungscharakter fehlt und das Schreiben lediglich der Information des
Klägers diente.
Nach dem maßgeblichen Empfängerhorizont enthält weder der Wortlaut des
Schreibens noch dessen äußere Form einen Anhaltspunkt dafür, dass die
Beklagte eine verbindliche Entscheidung treffen wollte (vgl. zum Maßstab
BVerwG, Urteil vom 5.11.2009 - BVerwG 4 C 3.09 -, juris Rn. 21 m. w. N.). Das
Schreiben trägt die Bezeichnung „Änderungsmitteilung“, was auf einen bloß
informierenden Charakter hinweist. Der Begriff „Bescheid“, mit dem die Beklagte
Verwaltungsakte zuvor stets überschrieben hatte, fehlt. Auch ist weder von einer
„Festsetzung“ der Höhe der zustehenden Bezüge die Rede, noch ist dem
Schreiben eine Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt. Die gemäß § 28 Abs. 1
VwVfG vor dem Erlass eines belastenden Verwaltungsaktes erforderliche
Anhörung ist dem Schreiben nicht vorausgegangen. Das Schreiben selbst
verweist im Gegenteil auf eine noch ausstehende Anhörung zu einer
Rückforderung des vermeintlich überzahlten Betrages, also auf eine zukünftig
beabsichtigte Regelung. Soweit demgegenüber das Verwaltungsgericht
München (Beschluss vom 7.11.2008 - M 21 S 08.4614 -, juris Rn. 16) ein -
möglicherweise - vergleichbares Schreiben ohne Begründung als
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Verwaltungsakt angesehen hat, folgt der Senat dem nicht.
Der Auszahlung der vollen Versorgungsbezüge des Klägers für den Monat
November 2010 stand auch kein rechtliches Hindernis gemäß § 53 Abs. 1 Satz
1 SVG (gemäß § 94 a Nr. 1 Satz 2 in der am 1. Januar 2002 geltenden Fassung
des Gesetzes vom 20.12.2001, BGBl. I S. 3926) entgegen. Nach der
letztgenannten Vorschrift erhält ein Versorgungsempfänger, der ein
Erwerbseinkommen bezieht, daneben seine Versorgungsbezüge nur bis zum
Erreichen der in § 53 Abs. 2 SVG bezeichneten Höchstgrenze.
Die Höchstgrenze ist im Fall des Klägers, der wegen Dienstunfähigkeit, die nicht
auf einer Wehrdienstbeschädigung beruht, in den Ruhestand versetzt worden ist
und der das fünfundsechzigste Lebensjahr im November 2010 noch nicht
vollendet hatte, nach § 53 Abs. 2 Nr. 3 SVG zu bestimmen. Dabei findet die
Vorschrift gemäß § 94 a Nr. 1 Satz 2 SVG zum Teil in der zum 1. Januar 2002
geltenden Fassung und zum Teil in der im November 2010 - und auch heute
noch - geltenden Fassung Anwendung. Als Höchstgrenze gelten danach
fünfundsiebzig vom Hundert der ruhegehaltfähigen Dienstbezüge aus der
Endstufe der Besoldungsgruppe, aus der sich das Ruhegehalt berechnet,
mindestens aber - insoweit findet neues Recht Anwendung - ein Betrag in Höhe
von fünfundsiebzig vom Hundert des Eineinhalbfachen der jeweils
ruhegehaltfähigen Dienstbezüge aus der Endstufe der Besoldungsgruppe A 4,
zuzüglich des jeweils zustehenden Unterschiedsbetrages nach § 47 Abs. 1
SVG sowie eines Betrages von monatlich 400,- EUR zuzüglich des Zweifachen
dieses Betrages innerhalb eines Kalenderjahres. Für den Monat November
2010 entspricht das nach den unbestrittenen Berechnungen der Beklagten
einem Betrag in Höhe von 2.834,- EUR.
Eine Kürzung der Versorgungsbezüge wäre nur dann vorzunehmen, wenn die
Summe aus anzurechnendem Erwerbseinkommen und Versorgungsbezügen
die vorgenannte Höchstgrenze überstiege. Das war bei dem Kläger im
November 2010 nicht der Fall. Neben seinen Versorgungsbezügen in Höhe von
1.452,38 EUR bezog er ein anzurechnendes Verwendungseinkommen in Höhe
von 1.300,88 EUR, bestehend aus den laufenden Bezügen in Höhe von
1.210,35 EUR sowie einem Zwölftel der im November 2010 ausgezahlten
Jahressonderzahlung in Höhe von 1.086,32 EUR, mithin 90,53 EUR. Die
Summe dieser Beträge liegt unterhalb der Höchstgrenze.
Eine volle Berücksichtigung der Jahressonderzahlung im Auszahlungsmonat,
wie sie die Beklagte vorgenommen hat, kommt demgegenüber aus
Rechtsgründen nicht in Betracht. Zwar erfolgt die Berücksichtigung des Erwerbs-
und des Erwerbsersatzeinkommens gemäß § 53 Abs. 5 Satz 4 SVG
grundsätzlich monatsbezogen, also im jeweiligen Monat des Zuflusses. Wird
Einkommen allerdings nicht in Monatsbeträgen erzielt, ist abweichend davon
gemäß § 53 Abs. 5 Satz 5 SVG das Einkommen des Kalenderjahres, geteilt
durch zwölf Kalendermonate, anzusetzen.
Ob es sich um ein im Monat des Zuflusses oder aber um ein aufgeteilt auf die
Monate des Kalenderjahres zu berücksichtigendes Einkommen handelt, richtet
sich danach, zu welchem Zweck die Zahlung erfolgt bzw. für welchen Zeitraum
das Verwendungseinkommen bestimmt ist. Sollen in einem bestimmten
Zeitraum erbrachte Arbeitsleistungen honoriert werden, ist das Einkommen auf
diesen Zeitraum monatsbezogen anteilig umzulegen (vgl. BVerwG, Urteil vom
31.5.2012 - BVerwG 2 C 18.10 -, juris Rn. 19 f.; ebenso bezogen auf § 53 SVG
in abweichenden Fassungen bereits BVerwG, Beschluss vom 31.3.2000 -
BVerwG 2 B 67.99 -, juris Rn. 5; Urteil vom 12.6.1975 - BVerwG 2 C 45.73 -,
DÖD 1976, 114). Handelt es sich dagegen um eine Einmalzahlung, die in
keinem Zusammenhang mit der erbrachten Arbeitsleistung steht und die auch
nicht für einen bestimmten Zeitraum erbracht wird, erfolgt die Berücksichtigung
nach dem Zuflussprinzip in dem Monat, in dem die Zahlung dem
Versorgungsempfänger tatsächlich zur Verfügung steht. Das gilt unabhängig
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davon, ob die jeweilige Art und Weise der Anrechnung den
Versorgungsempfänger begünstigt oder belastet (vgl. BVerwG, Urteil vom
12.6.1975, a. a. O., DÖD 1976, 114 <115>).
Bei der Jahressonderzahlung gemäß § 20 des Tarifvertrags für den öffentlichen
Dienst - TVöD - vom 13. September 2005 in der hier maßgeblichen Fassung der
letzten Änderung durch Änderungstarifvertrag Nr. 5 vom 27. Februar 2010
handelt es sich um eine Zahlung, die - mindestens vorrangig - dem Zweck dient,
die im jeweiligen Kalenderjahr erbrachte Arbeitsleistung zu honorieren, also
Vergütungscharakter hat. Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des
Bundesarbeitsgerichts sowie der - soweit ersichtlich - einhelligen Auffassung in
der arbeitsrechtlichen Kommentarliteratur (vgl. BAG, Urteil vom 12.12.2012 - 10
AZR 922/11 -, juris Rn. 20; Urteil vom 10.11.2010 - 5 AZR 633/09 -, juris Rn. 28;
ebenso Urteil vom 14.3.2012 - 10 AZR 778/10 -, juris Rn. 16 ff., zu der
vergleichbaren Regelung des § 44 TVöD BT-S; Clausen, in: Burger, TVöD, 2.
Aufl. 2012, § 20 Rn. 2; Fieberg, in: GKÖD, § 20 TVöD Rn. 2
Bearbeitung: Dezember 2007>; Sponer/Steinherr, TVöD, § 20 Rn. 138
der Bearbeitung: April 2013>). Ergänzend treten als weitere Zwecke hinzu, dass
die Betriebstreue honoriert und die Mitarbeiter auch für die Zukunft zu reger und
engagierter Mitarbeit motiviert werden sollen (ablehnend insoweit aber Clausen,
a. a. O., Rn. 2). Um ein „Weihnachtsgeld“, also um eine Zahlung, die den im
öffentlichen Dienst Beschäftigten den Kauf von Geschenken und das Gelingen
des Weihnachtsfestes erleichtern soll, handelt es sich demgegenüber nicht (so
aber OVG Rh.-Pf., Urteil vom 17.8.2012 - 10 A 10330/12 -, juris Rn. 25 f., zu der
gleich lautenden Vorschrift des § 20 TV-L).
Welchen Zwecken eine wie im Fall des § 20 TVöD dem normativen Teil eines
Tarifvertrags zuzuordnende Vorschrift dient, ist der Vorschrift - nicht anders als
einer Gesetzesnorm - durch Auslegung nach Wortlaut und Systematik sowie -
subsidiär - weiteren Gesichtspunkten wie der Tarifgeschichte oder der tariflichen
Übung zu entnehmen (vgl. zur Auslegung von Tarifverträgen BAG, Urteil vom
19.11.2008 - 10 AZR 658/07 -, juris Rn. 17; Urteil vom 30.9.1971 - 5 AZR 123/71
-, juris Rn. 18). Eine solche Auslegung zeigt den vorrangigen
Vergütungscharakter der Jahressonderzahlung.
Der Wortlaut des § 20 TVöD bezeichnet die Zahlung durchweg als
Jahressonderzahlung. Deutlich wird daran, dass es sich um eine auf das Jahr
bezogene besondere Leistung des Arbeitgebers handelt. Einen unmittelbaren
Bezug zum Weihnachtsfest enthält § 20 TVöD demgegenüber nicht. Gerade ein
solcher Bezug hätte jedoch angesichts des überkommenen Begriffs des
„Weihnachtsgeldes“ nahegelegen, wenn die Zahlung von Rechts wegen in die
Tradition dieser Leistung hätte gestellt werden sollen.
Auch der systematische Zusammenhang der Vorschrift lässt nicht erkennen,
dass die Jahressonderzahlung eine auf das Weihnachtsfest bezogene Zahlung
darstellen könnte. Einen Bezug zum Weihnachtsfest könnte allein die zeitliche
Nähe der Auszahlung begründen. Diese erfolgt mit dem am letzten Tag des
Monats gezahlten Tabellenentgelt für November (§ 20 Abs. 5 Satz 1, § 24 Abs. 1
Satz 2 TVöD). Allerdings ist es nach § 20 Abs. 5 Satz 2 TVöD möglich, einen
Teilbetrag der Jahressonderzahlung bereits zu einem früheren Zeitpunkt - und
damit auch zeitlich losgelöst von dem Weihnachtsfest - auszuzahlen. Dies
relativiert die Bedeutung des Auszahlungszeitpunktes deutlich.
Gegen die Absicht, den Beschäftigten das Weihnachtsfest angenehm zu
gestalten, spricht zudem der weitere Gehalt des § 20 TVöD. § 20 Abs. 2 TVöD
sieht vor, dass sich die Höhe der Sonderzahlung nach dem Durchschnittsgehalt
der Kalendermonate Juli, August und September bestimmt. Die Höhe der
Zahlung richtet sich demnach in erster Linie nach der Eingruppierung und der
Arbeitszeit, also nach leistungsbezogenen und nicht nach sozialen Kriterien.
Das deutet ebenfalls auf einen vorrangigen Vergütungscharakter hin, und zwar
bezogen auf das jeweilige Kalenderjahr. Soziale Kriterien treten nach § 20 Abs.
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2 Satz 1 TVöD nur insofern hinzu, als der Vomhundertsatz im Tarifgebiet West
bei den unteren Entgeltgruppen höher ausfällt als bei den höheren
Entgeltgruppen. Die leistungsbezogene Bemessung bleibt gleichwohl erhalten.
Noch deutlicher tritt der Vergütungscharakter der Jahressonderzahlung in § 20
Abs. 4 Satz 1 TVöD zu Tage. Nach dieser Vorschrift vermindert sich der
Anspruch um ein Zwölftel für jeden Kalendermonat, in dem Beschäftigte keinen
Anspruch auf Entgelt oder Fortzahlung des Entgelts haben. Eine volle oder
anteilige Jahressonderzahlung erfolgt demnach nur insoweit, als der
Beschäftigte - von den Sonderfällen des § 20 Abs. 4 Satz 2 TVöD abgesehen -
während des Kalenderjahres beschäftigt war und ein Entgelt erhalten hat. Damit
besteht ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Arbeitsleistung im
Kalenderjahr einerseits und der Jahressonderzahlung andererseits (vgl. BAG,
Urteil vom 14.3.2012, a. a. O., Rn. 17; vgl. zu diesem Kriterium auch BAG, Urteil
vom 23.4.2008 - 10 AZR 258/07 -, juris Rn. 19).
Ergänzend zu dem Vergütungscharakter der Jahressonderzahlung treten als
weitere Zwecke hinzu, die Betriebstreue der Beschäftigten zu belohnen sowie
ihre Motivation zu stärken (vgl. BAG, Urteil vom 12.12.2012, a. a. O.; Urteil vom
14.3.2012, a. a. O., Rn. 18). Der erstgenannte Zweck kommt in § 20 Abs. 1
TVöD zum Ausdruck. Diese Vorschrift knüpft den Anspruch an ein am 1.
Dezember des jeweiligen Jahres bestehendes Arbeitsverhältnis. Weitere, die
Bedeutung der Betriebstreue stärkende Anforderungen, etwa der Bestand des
Arbeitsverhältnisses für eine gewisse weitere Dauer, die noch der Tarifvertrag
über eine Zuwendung für Angestellte - TV Zuwendung - vom 12. Oktober 1973,
zuletzt geändert durch den Tarifvertrag zur Änderung der
Zuwendungstarifverträge vom 31. Januar 2003, enthalten hatte, haben die
Vertragsparteien jedoch nicht in § 20 TVöD übernommen. Das zeigt deutlich,
dass der Vergütungscharakter im Vordergrund steht, während die weiteren
Zwecke nur ergänzend hinzutreten.
Soweit das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz den Zweck der
Jahressonderzahlung demgegenüber darin gesehen hat, den im öffentlichen
Dienst Beschäftigten den Kauf von Geschenken und das Gelingen des
Weihnachtsfests zu erleichtern (OVG Rh.-Pf., Urteil vom 17.8.2012, a. a. O., Rn.
25), teilt der Senat diese Auffassung nicht. Es mag zwar sein, dass die
Jahressonderzahlung in gewisser Weise in der Tradition eines
„Weihnachtsgeldes“ steht, das dem vorgenannten Zweck gedient hat. Das allein
rechtfertigt jedoch die Schlussfolgerungen des Oberverwaltungsgerichts
Rheinland-Pfalz aus zwei Gründen nicht.
Erstens kommt der Tarifgeschichte im Rahmen der Auslegung eines
Tarifvertrags nur eine ergänzende Funktion zu. Ein Rückgriff ist dann statthaft,
wenn nach einer Auslegung anhand des Wortlauts und des
Gesamtzusammenhangs der tariflichen Regelung Zweifel verbleiben und das
Ergebnis der historischen Auslegung im Wortlaut der Tarifnorm ihren
Niederschlag gefunden hat (vgl. BAG, Urteil vom 15.5.2012 - 7 AZR 785/10 -,
juris Rn. 21; Urteil vom 15.2.2012 - 7 AZR 626/10 -, juris Rn. 30). Ausgehend
davon ist die im Wesentlichen historisch begründete Auslegung des
Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz nicht geeignet, das gefundene
Ergebnis zu tragen. Weder findet sich - wie auch das Oberverwaltungsgericht
einräumt - im Wortlaut des § 20 TVöD ein Anhaltspunkt dafür, dass die
Jahressonderzahlung auf Weihnachten bezogen sein könnte, noch deutet die
weitere Auslegung nach den vorrangig zu berücksichtigenden objektiven
Kriterien in diese Richtung.
Zweitens führt eine tarifgeschichtliche Betrachtung - anders als das
Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz meint - keineswegs eindeutig dazu,
dass es sich bei der Jahressonderzahlung um ein „Weihnachtsgeld“ handelt.
Die Jahressonderzahlung ist zunächst nicht nur an die Stelle des
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Weihnachtsgeldes, sondern auch an die Stelle des Urlaubsgeldes nach dem
Tarifvertrag über ein Urlaubsgeld für Angestellte vom 16. März 1977, zuletzt
geändert durch Tarifvertrag zur Änderung der Urlaubsgeldtarifverträge vom 29.
Oktober 2001 und durch den Euro-Tarifvertrag vom 30. Oktober 2001, getreten
(vgl. Sponer/Steinherr, a. a. O., Rn. 2; Clausen, a. a. O., Rn. 1; Schwill, in:
Bepler/Böhle/Meerkamp/Stöhr, TVöD, 2012, § 20 Rn. 1). Will man
Traditionslinien ziehen, stünde die Jahressonderzahlung - wie § 20 Abs. 5 Satz
2 TVöD, der eine Teilauszahlung der Jahressonderzahlung zu einem
abweichenden Zeitpunkt vorsieht, zeigt - zumindest in einer doppelten Tradition.
Eine einseitig auf das Weihnachtsfest bezogene Betrachtungsweise ist deshalb
nicht statthaft.
Zudem zeigt die insbesondere im Hinblick auf die einheitliche Leistung einer
Jahressonderzahlung anstelle von Weihnachts- und Urlaubsgeld, die
erforderliche Betriebszugehörigkeit und das Fehlen von
Rückzahlungsverpflichtungen erheblich von den Vorgängervorschriften
abweichende Fassung des § 20 TVöD, dass die Tarifvertragsparteien mit der
Jahressonderzahlung eine Zuwendung mit einem neuen Inhalt und einem
neuen Leistungszweck gestaltet haben (vgl. BAG, Urteil vom 14.3.2012, a. a. O.,
Rn. 19; ebenso Sponer/Steinherr, a. a. O., Rn. 2: Jahressonderzahlung als
„aliud“ zu Weihnachts- und Urlaubsgeld; Schwill, in:
Bepler/Böhle/Meerkamp/Stöhr, a. a. O., Rn. 3: Zuwendungen „auf eine neue
Basis gestellt“). Vor diesem Hintergrund sind die Traditionslinien faktisch zwar
noch erkennbar, rechtlich jedoch aufgrund der grundlegenden Neuregelung von
allenfalls eingeschränkter Bedeutung. Ein Auslegungsergebnis, für die sich im
Wortlaut kein Anhaltspunkt findet und die der Systematik der Vorschrift zuwider
läuft, kann auch deshalb nicht mit einer Traditionslinie begründet werden.