Urteil des OVG Niedersachsen vom 23.04.2014
OVG Lüneburg: wiederholung, staatsprüfung, rücktritt, genehmigung, chancengleichheit, verkehrsunfall, rechtfertigung, gefahr, beschränkung, examen
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Nochmalige Wiederholung der zweiten juristischen
Staatsprüfung
Zu den Anforderungen an die Begründung eines Antrags auf Gestattung der
nochmaligen Wiederholung der zweiten Staatsprüfung nach § 17 Abs. 2 Satz
1 NJAG.
OVG Lüneburg 2. Senat, Beschluss vom 23.04.2014, 2 PA 115/14
§ 17 Abs 2 S 1 JAG ND
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts
Hannover - 6. Kammer (Einzelrichter) - vom 4. Januar 2014 wird
zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.
Gründe
Das Verwaltungsgericht hat eine für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe
erforderliche hinreichende Erfolgsaussicht des Rechtsschutzbegehrens der
Klägerin (§ 166 VwGO i.V.m. (jetzt:) § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO) zu Recht
verneint. Der Senat macht sich die zutreffenden Erwägungen des
angefochtenen Beschlusses zu eigen und verweist deshalb auf sie (§ 122
Abs. 2 Satz 3 VwGO). Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt keine andere
Entscheidung.
Dabei geht der Senat in Übereinstimmung mit der Klägerin davon aus, dass an
die Prüfung der Erfolgsaussicht keine überspannten Anforderungen gestellt
werden dürfen; die insoweit vom Bundesverfassungsgericht in ständiger
Rechtsprechung formulierten Anforderungen werden vom Senat ebenfalls in
ständiger Praxis zugrunde gelegt. Hier sind die maßgeblichen Fragen - wie
das Verwaltungsgericht mit entsprechenden Nachweisen ausgeführt hat - in
der Rechtsprechung hinreichend geklärt; das Beschwerdevorbringen gibt
keinen Anlass zu einer abweichenden Beurteilung.
Der Senat selbst hat zu § 17 Abs. 2 Satz 1 NJAG bereits mit Beschluss vom
22. März 2007 (- 2 LA 756/06 -, n.v.) ausgeführt (im gleichen Sinne Beschl. v.
7.3.2007 - 2 LA 386/05 -, n.v.):
"Der Gesetzgeber hat mit dem unbestimmten Rechtsbegriff der
„außergewöhnlichen Beeinträchtigung“ eine persönliche Situation des
Prüflings gekennzeichnet, die über die mit der Situation und den Inhalten
einer Prüfung verbundenen typischen Belastungen weit hinausgeht und
der er sich nicht entziehen kann, weil ihr Eintritt unerwartet und nicht
abwendbar erscheint. Eine derartige atypische individuelle Sonderlage ist
etwa bei im Privatbereich wurzelnden unerwarteten Schicksalsschlägen
gegeben, die aus dem Rahmen gewöhnlicher privater Konfliktsituationen
deutlich herausfallen. Gründe, die die Rechtmäßigkeit bereits abgelegter
Prüfungen betreffen und durch Rücktritt von der Prüfung oder deren
Anfechtung hätten geltend gemacht werden können und müssen,
bleiben bei der Entscheidung über die Zulassung zu einer zweiten
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Wiederholungsprüfung außer Betracht. Denn andernfalls würde die
Unanfechtbarkeit der bereits getroffenen Prüfungsentscheidungen
unterlaufen. Dies gilt insbesondere, wenn sich der Prüfling in Kenntnis
seiner Leistungsbeeinträchtigung dem Prüfungsrisiko aussetzt
(Zimmerling/Brehm, Prüfungsrecht, 2. Aufl. 2001, Rndr. 38 f. m. w. N.).
Die Klägerin übersieht mithin bei ihrer Kritik, dass - wie das
Verwaltungsgericht zu Recht ausgeführt hat - sie gehalten war,
gesundheitliche Beeinträchtigungen im Rahmen des ersten
Wiederholungsverfahrens zeitnah geltend zu machen. Eine (erst- oder
nochmalige) Berücksichtigung derartiger Verfahrensfehler im Rahmen
von § 17 Abs. 2 Satz 1 NJAG bei der Prüfung der „außergewöhnlichen
Beeinträchtigungen“ scheidet aus. Ein Wahlrecht steht dem Prüfling
insoweit nicht zu. Bei den von der Klägerin vorgetragenen Gründen
handelt es sich ausschließlich um gesundheitliche Gründe, die sie im
Widerspruchsverfahren hinsichtlich ihrer ersten Wiederholungsprüfung
hätte geltend machen können und müssen."
Soweit die Klägerin demgegenüber unter Berufung auf Rechtsprechung des
Verwaltungsgerichtshofs Mannheim (Beschl. v. 13.3.1996 - 4 S 1684/95 -) und
des Verwaltungsgerichts Freiburg (Beschl. v. 24.7.2007 - 1 K 1177/07 -)
geltend gemacht hat, ein Indiz für das Vorliegen außergewöhnlicher
Beeinträchtigungen könne auch darin liegen, dass die in den anderen
Prüfungsteilen erzielten Noten deutlich besser seien, beruhten die genannten
Entscheidungen auf anders ausgestalteten Rechtsgrundlagen. Dem
Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs Mannheim lag § 22 Abs. 3 der
Verordnung des baden-württembergischen Ministeriums für Wissenschaft und
Kunst über die Erste Staatsprüfung für das Lehramt an Realschulen - RPO I -
vom 30.6.1981 (GBl. S. 351) zugrunde, wonach eine zweite Wiederholung nur
mit Genehmigung des Prüfungsamtes möglich war, sofern der Bewerber unter
Einschluss der Wiederholungsprüfung einen für die Gesamtnote
maßgebenden Durchschnitt von mindestens 4,0 erreicht hatte und ein
besonderer Härtefall vorlag. Eine außergewöhnliche Beeinträchtigung war
mithin nicht vorausgesetzt; zudem war das übrige Notenniveau unmittelbar im
Tatbestand der Norm angesprochen. Das Verwaltungsgericht Freiburg hatte
demgegenüber von einer Prüfungsordnung auszugehen, die überhaupt nur
regelte, dass über Ausnahmen der Prüfungsausschuss entscheide. Mit der
hier in Rede stehenden Regelung war dies nicht vergleichbar. Ähnlich verhielt
es sich in dem Fall, der einem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster
zugrunde lag (Urt. v. 26.11.1993 - 22 A 3246/92 -, DVBl. 1994, 652); danach
war eine zweite Wiederholung derselben Fachprüfung oder der ganzen
Diplom-Vorprüfung nur in "begründeten Ausnahmefällen" zulässig. Im Übrigen
ist eine für alle Bundesländer und Prüfungssituationen einheitliche Regelung
und/oder Handhabung auch nicht durch Art. 3 Abs. 1 GG gefordert (vgl.
BVerwG, Beschl. v. 12.11.1998 - 6 PKH 11/98 -, NVwZ-RR 1999, 245; Beschl.
v. 30.3.2000 - 6 B 8.00 -, NVwZ-RR 2000, 503).
Soweit das Verwaltungsgericht Freiburg auf die Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts darüber zurückgegriffen hat, wie oft eine
Wiederholungsprüfung zuzulassen sei (Beschl. v. 14.3.1989 - 1 BvR 1033/82
und 174/84 -, DVBl. 1989, 814), ist dort nach Erörterung verschiedener
Gesichtspunkte nur zum Ausdruck gebracht worden, ein Ausschluss jeder
Wiederholungsmöglichkeit könne verfassungsrechtliche Probleme aufwerfen.
Die Beschränkung auf eine einmalige Wiederholung kann hiernach erst recht -
auch wenn es dabei um eine subjektive Berufszugangsschranke geht - von
Verfassungs wegen nur zu beanstanden sein, wenn Besonderheiten der
jeweiligen Prüfung erwarten lassen, dass damit der Berufszugang
unverhältnismäßig eingeschränkt wäre. Dafür gibt es in Bezug auf die zweite
juristische Staatsprüfung keine Anhaltspunkte (vgl. auch BVerwG, Beschl. v.
12.11.1998, a.a.O.).
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Hat der Landesgesetzgeber mithin zulässigerweise eine zweite
Wiederholungsmöglichkeit nur unter engen Voraussetzungen vorgesehen,
liefe eine dies nicht hinreichend ernst nehmende Auslegung und Anwendung
des § 17 Abs. 2 Satz 1 NJAG ihrerseits Gefahr, gegen den prüfungsrechtlichen
Grundsatz der Chancengleichheit zu verstoßen, weil der Prüfling damit ohne
hinreichende verfassungsrechtliche Rechtfertigung besser gestellt würde als
die anderen Prüflinge, denen diese weitere Chance nicht offen steht.
Der Senat hat deshalb keinen Anlass, von seiner eigenen, oben dargestellten
Rechtsprechung abzugehen.
Diese umschreibt nicht nur einen materiell-rechtlichen Maßstab, sondern hat
unmittelbare Auswirkungen bereits für die Anforderungen an die inhaltliche
Substantiierung der Antragsbegründung. Da es sich bei den
"Beeinträchtigungen" im Zweifel um Umstände aus dem persönlichen
Lebensbereich des Prüflings handelt, muss dieser sie selbst plausibel und
detailreich darlegen; ist es regelmäßig nicht Sache der Behörde bzw.
nachfolgend des Gerichts, solche Umstände von sich aus aufzudecken.
Hier sind die von der Klägerin bis jetzt gegebenen Begründungen mangels
hinreichender Substantiierung unzureichend geblieben. Infolgedessen haben
der Beklagte und das Verwaltungsgericht völlig zu Recht diese
Begründungsdefizite in den Mittelpunkt ihrer jeweiligen Entscheidung bzw.
auch ihres Vorbringens im Streitverfahren gestellt. Auf weitere materiell-
rechtliche Erwägungen kam es hiernach nicht mehr an.
Insbesondere hat die Klägerin nicht einmal nach Aufforderung hinreichend
konkretisiert, welche Folgen der Verkehrsunfall, den ihre Mutter vor der
Prüfung im Ausland erlitten hatte, für sie in der Prüfungsphase hatte. Sie hat
zwar dargelegt, eine der "möglichen Folgen" dieses Verkehrsunfalles sei es
gewesen, dass sie sich um ihre Mutter im Ausland zu kümmern gehabt hätte.
Dieser Fall ist aber ersichtlich nicht eingetreten.
Soweit sie ihre Begründung nachträglich durch den Vortrag ergänzt hat, ihr
Lebensgefährte habe nach sechs Jahren kurz vor dem Examen die
Beziehung mit ihr beendet, waren die daraus gezogenen Folgerungen
unschlüssig. Sie hat zum einen die Auffassung vertreten, die emotionalen und
finanziellen Folgen hätten ein Fernbleiben von der Prüfung aus
gesundheitlichen Gründen nicht gerechtfertigt. Zum anderen hat sie aber auch
geltend gemacht, sie habe in acht Wochen acht Kilogramm Körpergewicht
verloren. Während der schriftlichen Prüfung sei "eine völlige Blockade,
Blackout" aufgetreten. Die Richtigkeit letzterer Behauptung unterstellt, wäre ein
Rücktritt von der Prüfung nicht ohne Erfolgschancen gewesen.
Auf nochmalige Aufforderung zur Substantiierung hat die Klägerin zwar -
abgesehen von Angaben zur Art der Verletzung ihrer Mutter und einer
Bestätigung ihres früheren Lebensgefährten, dass die Trennung erfolgt sei -,
noch vorgebracht, dass sie ihrer Mutter psychischen Beistand geleistet habe
und sie sich dabei selbst in einer zusätzlichen Stress- und Schocksituation
befunden habe. Nach Ergehen des Ablehnungsbescheides hat sie dann aber
keine Gelegenheit mehr genommen, die außergewöhnliche Beeinträchtigung
in ihren Einzelheiten nachvollziehbar darzulegen.
Insgesamt erschöpfte sich die von der Klägerin gegebene Begründung mithin
in Äußerlichkeiten, obwohl die geltend gemachten Sachverhalte für sich
genommen möglicherweise geeignet gewesen wären, als Gründe für eine
außergewöhnliche Beeinträchtigung anerkannt zu werden. Der Klägerin ist
insoweit keine Selbstentblößung in Bezug auf das von ihr empfundene
persönliche Leid abverlangt worden, sondern nur eine nähere Darlegung der
Auswirkungen der Schicksalsschläge auf ihre Lebensumstände. Soweit sie für
sich die Entscheidung trifft, von deren näherer Darlegung abzusehen, ist ihr
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dies unbenommen; sie muss dann nur die Konsequenz hinnehmen, dass eine
ihr günstige Entscheidung nach § 17 Abs. 2 NJAG auf dieser Grundlage nicht
ergehen kann.
Vor diesem Hintergrund sind weder der Ablehnungsbescheid noch die
angegriffene Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu beanstanden. Soweit
die Beschwerde rügt, dass das Verwaltungsgericht eine eigene
Abwägungsentscheidung getroffen habe, die rechtlich nur der Behörde
zustehe, verfehlt dies den Prüfungsansatz des Verwaltungsgerichts. Dieses
hat in der Sache zutreffend nur befunden, dass das bisherige Vorbringen der
Klägerin die Annahme eines Anspruchs auf nochmalige Wiederholung nicht
trage. Darin liegt keine unzulässige Beweisantizipation, weil das
Verwaltungsgericht auf der Grundlage des bisherigen Vorbringens keinen
Beweis zu erheben hätte. Das käme vielmehr nur in Betracht, wenn die
Klägerin ihr Vorbringen erstmals zureichend substantiierte und alsdann streitig
bliebe, ob sie zutreffende Angaben gemacht hat.
Das Verwaltungsgericht durfte bei der Bewertung, ob die (ergänzte)
Antragsbegründung für sich genommen eine der Klägerin günstige
Entscheidung trug, auch den Umstand mit einbeziehen, dass die Klägerin
ihren Vortrag hinsichtlich des Verlustes an Körpergewicht noch nicht belegt
hatte, zumal der Beklagte in ihrer Klageerwiderung vom 21. Februar 2013, die
durchgängig auf mangelnde Substantiierung des Vorbringen der Klägerin
abstellte, gerade auch beanstandet hat, dass der Gewichtsverlust nicht
glaubhaft gemacht worden sei, etwa durch Aussage Dritter.
Nach § 166 VwGO i. V. m. § 127 Abs. 4 ZPO werden die Kosten des
Beschwerdeverfahrens nicht erstattet.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).