Urteil des OVG Niedersachsen vom 13.11.2013

OVG Lüneburg: alleinerziehende mutter, wohnsitz im ausland, besondere härte, leistungsbezug, schutz der familie, gleichbehandlung im unrecht, ukraine, entlassung, unbestimmter rechtsbegriff

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Einbürgerung
1. Absolviert ein Einbürgerungsbewerber eine Fortbildung, anstatt eine
(wenigstens sozialleistungsmindernde) Erwerbstätigkeit auszuüben, hat er
den währenddessen fortbestehenden Bezug von Leistungen nach dem SGB
II i.S.d. § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG grundsätzlich aufgrund gegenwärtigen
Verhaltens zu vertreten. Ausreichen kann das Bemühen um Fortbildung
anstelle einer Erwerbstätigkeit nur dann, wenn ein Vermittlungshemmnis auf
dem Arbeitsmarkt besteht (hier: verneint) und dieses nicht aufgrund
zurechenbaren vergangenen Verhaltens (hier: jahrelange Passivität) vom
Einbürgerungsbewerber zu vertreten ist.
2. Die Stellung als jüdischer Zuwanderer aus einem Nachfolgestaat der
ehemaligen Sowjetunion bildet allein keinen Grund für die Hinnahme von
Mehrstaatigkeit nach § 12 StAG.
OVG Lüneburg 13. Senat, Urteil vom 13.11.2013, 13 LB 99/12
§ 10 Nr 3 SGB 2, § 10 Abs 1 Nr 4 RuStAG, § 10 Abs 1 S 1 Nr 3 RuStAG, § 12 Abs 1
S 2 Nr 3 RuStAG, § 12 Abs 1 S 2 Nr 6 RuStAG, § 8 Abs 1 Nr 4 RuStAG, § 8 Abs 2
RuStAG
Tatbestand
Die am …1977 in H. /damals Ukrainische SSR geborene Klägerin ist
ukrainische Staatsangehörige und begehrt ihre Einbürgerung in den
deutschen Staatsverband.
Sie reiste am 1. März 1993 mit ihren Eltern als sog. Kontingentflüchtling
aufgrund einer Aufnahmezusage für jüdische Zuwanderer aus den
Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion in das Bundesgebiet ein und
erhielt eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis, die seit dem 1. Januar 2005 als
Niederlassungserlaubnis i.S.d. § 23 Abs. 2 AufenthG fortgilt. Der ihr zunächst
ausgestellte (Genfer) Reiseausweis für Flüchtlinge war zuletzt bis zum 23. Juli
2005 gültig. Danach war sie Inhaberin eines Reiseausweises für Ausländer,
der bis zum 8. Februar 2007 erteilt war. Am 2. Juli 2007 stellte ihr die Botschaft
der Ukraine in Berlin einen Reisepass aus, der bis zum 2. Juli 2017 gültig ist.
Bereits Ende 1993 hatte die Klägerin eine unbefristete Arbeitserlaubnis
erhalten. Seit 1994 bezog sie Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem BSHG und
absolvierte verschiedene Sprachkurse und Betriebspraktika. Ihre im
September 1998 begonnene Ausbildung zur Kauffrau für Bürokommunikation,
während derer ihr Berufsausbildungsbeihilfe gewährt wurde, schloss sie im
Juni 2002 ab. Seitdem ist sie arbeitslos. Bis Ende 2004 bezog sie
Arbeitslosenhilfe, seit dem 1. Januar 2005 durchgehend Arbeitslosengeld II
nach dem SGB II.
Der erste Einbürgerungsantrag der Klägerin vom 28. März 2002 wurde unter
dem 22. Oktober 2004 wegen der nicht erfüllten wirtschaftlichen
Voraussetzungen zunächst bis zum 31. Oktober 2006 zurückgestellt und
später mit (bestandskräftig gewordenem) Bescheid vom 24. September 2008
abgelehnt, nachdem die Klägerin trotz entsprechender Aufforderung der
Beklagten nicht die Wiederaufnahme des Einbürgerungsverfahrens beantragt
hatte.
Am …2009 gebar die Klägerin ihre Tochter I. J., die gemäß § 4 Abs. 3 StAG
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deutsche Staatsangehörige ist. Die Klägerin ist mit dem Kindsvater K. J., der in
L. lebt, nicht verheiratet und erzieht das Kind allein. Elternzeit hatte die Klägerin
bis Ende September 2012 beantragt und genommen.
Den neuerlichen Einbürgerungsantrag der Klägerin vom 12. November 2009,
dem sie eine Bescheinigung über die erfolgreiche Ablegung des
Einbürgerungstests und ihr Prüfungszeugnis zur Berufsausbildung beigefügt
und zu dem sie den ukrainischen Reisepass vorgelegt hatte, lehnte die
Beklagte durch Bescheid vom 9. November 2010 (zugestellt am 15. November
2010) mit der Begründung ab, es fehle an den wirtschaftlichen
Voraussetzungen der Einbürgerung nach § 10 StAG; sonstige
Rechtsgrundlagen, nach denen eine Einbürgerung in Betracht komme, seien
nicht ersichtlich.
Mit ihrer dagegen am 14. Dezember 2010 zum Verwaltungsgericht Hannover
erhobenen Klage 10 A 5729/10 hat die Klägerin im Wesentlichen geltend
gemacht, ihre Erwerbslosigkeit stehe einer Einbürgerung nicht entgegen, weil
sie wegen der Erziehung ihres Kindes keine Erwerbsobliegenheit treffe. Ihre
Bemühungen um einen Platz in einer Kinderbetreuungseinrichtung seien
erfolglos gewesen. Sie rangiere als Bezieherin von SGB-II-Leistungen überall
auf einem aussichtslosen Wartelistenplatz.
Die Klägerin hat beantragt,
sie unter Aufhebung des Bescheides vom 9. November 2010 auf ihren
Antrag vom 12. Januar (zutreffend: November) 2009 in den deutschen
Staatsverband einzubürgern.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung hat sie darauf verwiesen, die Klägerin habe den
Leistungsbezug vor der Schwangerschaft und auch aktuell zu vertreten. Ihr sei
es trotz der Sorge für ihr Kind möglich und zumutbar, ihre Hilfebedürftigkeit und
ihren Leistungsbezug dadurch zu verringern, dass sie stundenweise einer
Erwerbstätigkeit nachginge und das (damals mehr als zweijährige) Kind in
dieser Zeit betreuen ließe. Dies geschehe jedoch nicht. Auch eine zukünftige
Lebensunterhaltssicherung sei - nicht zuletzt angesichts der in der
Vergangenheit langjährig fehlenden Eigenbemühungen der Klägerin und einer
von der Sozialverwaltung wegen Meldeverstoßes verhängten Sperrzeit - nicht
zu erwarten.
Mit Urteil vom 1. August 2011 hat das Verwaltungsgericht der Klage
vollumfänglich stattgegeben. Der Klägerin stehe ein Einbürgerungsanspruch
zu. Aktuell habe sie den Leistungsbezug nicht zu vertreten, denn sie treffe im
maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung über die Klage nach § 10 Abs. 1 Nr.
3 SGB II sozialrechtlich keine Erwerbsobliegenheit, weil eine Erwerbstätigkeit
die Erziehung des Kindes I. gefährdete. Dieses vollende erst im … 2012 das
dritte Lebensjahr; erst im August 2012 habe die Klägerin Anspruch auf einen
Betreuungsplatz in einer Kindereinrichtung. Die alleinerziehende Klägerin
könne auf keine anderweitige Kinderbetreuung, etwa durch den Kindsvater
oder ihre Mutter, zurückgreifen. Unabsehbar sei im Entscheidungszeitpunkt,
ob die Klägerin ab August 2012 noch im Leistungsbezug stehen werde.
Daraus, dass sie den Bezug von Sozialleistungen zwischen Mitte 2002 und
dem Beginn der Mutterschutzfrist (Anfang 2009) zu vertreten habe, könne nicht
der Schluss gezogen werden, dass sie einen möglichen Leistungsbezug auch
ab August 2012 zu vertreten habe. Zwar habe die langjährige Erwerbslosigkeit
der Klägerin deren Erwerbsaussichten deutlich verschlechtert. Allerdings sei
der Zurechnungszusammenhang zwischen dem zu verantwortenden
Verhalten in der Vergangenheit und einem möglichen Leistungsbezug in der
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Zukunft unterbrochen worden. Die Geburt ihres Kindes sei für die Klägerin eine
deutliche Zäsur gewesen, die sich - wegen der damit verbundenen
Vorbildfunktion als Mutter - auch positiv auf ihren Arbeitswillen ausgewirkt
habe. So sei sie motiviert worden, eine Qualifizierungsmaßnahme in
Anknüpfung an ihre kaufmännische Berufsausbildung zu absolvieren. Für ihre
Erwerbschancen werde sich - wesentlich prägender als die jahrelange
Erwerbslosigkeit - die Situation der Klägerin als alleinerziehende Mutter
einschließlich der Fremdbetreuungsmodalitäten und -zeitfenster erweisen.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, die der Senat auf deren
Zulassungsantrag vom 6. September 2011 mit Beschluss vom 2. Mai 2012 -
13 LA 198/11 - wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen
Urteils zugelassen hat.
Zur Begründung macht die Beklagte geltend, aufgrund des Langzeitbezugs
von Sozialhilfe und der bisherigen Erwerbsbiographie habe bei der Klägerin
die negative Prognose gestellt werden müssen, dass sie auch nach Ablauf der
Betreuungsfrist aus § 10 Abs. 1 Nr. 3 SGB II auf öffentliche Leistungen
angewiesen sein werde. Diese Voraussage habe sich inzwischen bestätigt.
Die vom Verwaltungsgericht am Tage der mündlichen Verhandlung und
Entscheidung angestellte augenblicksbezogene Feststellung einer fehlenden
sozialrechtlichen Erwerbsobliegenheit der Klägerin, die damals lediglich auf
dem jungen Alter des Kindes gefußt habe, greife als „Momentaufnahme“ zu
kurz. Die einbürgerungsrechtlichen Vorschriften intendierten nicht, der Klägerin
infolge der Geburt eines Kindes ein Zeitfenster einzuräumen, in dem sie ihren
bisherigen Lebenswandel unverändert fortsetzen und dennoch eine
erleichterte Einbürgerung erlangen könnte. Der Zurechnungszusammenhang
zwischen der auf fehlende Bemühungen der Klägerin zurückgehenden
langjährigen Erwerbslosigkeit und der dadurch verminderten Erwerbschancen
einerseits und dem zukünftig zu erwartenden Leistungsbezug andererseits sei
im Übrigen entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht durch die
Geburt des Kindes unterbrochen worden. Neben der Eigenschaft als
alleinerziehende Mutter werde bei Bewerbungen der Klägerin als gewichtiger
Faktor hinzukommen, dass potentielle Arbeitgeber anhand des
einzureichenden Lebenslaufs auf eine geringe Motivation und Arbeitsmoral
schließen würden. Die Klägerin stehe im Übrigen unverändert im
Leistungsbezug. Eine Einbürgerung der Klägerin scheitere auch daran, dass
sie noch die ukrainische Staatsbürgerschaft besitze.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover - Einzelrichterin der 10.
Kammer - vom 1. August 2011 zu ändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil und nimmt im Wesentlichen auf
dessen Entscheidungsgründe Bezug. Die darin gefundene positive Prognose
zur Nichtfortsetzung ihres Leistungsbezugs in der Zukunft sei in nicht zu
beanstandender Weise aufgrund einer umfassenden Würdigung ihrer
Erwerbsbiographie gebildet worden. Zu betonen sei überdies, dass auch ihre
ukrainische Staatsangehörigkeit erhebliche Vorbehalte potentieller Arbeitgeber
bei der Arbeitssuche auslöse, die es bei einer deutschen Staatsangehörigkeit
nicht gäbe. Die Versagung der Einbürgerung sei treuwidrig, nachdem die
Einbürgerung ihr anlässlich einer Vorsprache im Jahre 2008 von einem
Mitarbeiter der Einbürgerungsstelle in Aussicht gestellt worden sei. Im Übrigen
begründe es einen Gleichheitsverstoß, wenn andere Bewerber, gegen die
erheblich größere Bedenken als gegen sie (die Klägerin) angemeldet werden
müssten, ohne weiteres eingebürgert würden. Von Belang sei auch, dass ihre
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Eltern, die vor 20 Jahren mit ihr zusammen nach Deutschland gekommen
seien, ohne Probleme eingebürgert worden seien. Nach einem derart langen
Aufenthalt in Deutschland müsse sie einen Einbürgerungsanspruch haben.
Schließlich sei sie mit ihren Erwerbsbemühungen vorangekommen. Zum 1.
September 2012 habe sie - nach mehrfach erfolgloser Suche - einen
Kindergartenplatz (allerdings keinen Tagesplatz bis 16.00 Uhr, sondern nur
einen Teilplatz) für I. erhalten; seit Anfang Oktober 2012 werde das Kind im
Kindergarten ohne Eingewöhnungsbedarf betreut. Gleich nach Erhalt des
Platzes habe sie sich um eine an ihre damalige Lehre anknüpfende
Weiterbildung bemüht, um ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern.
Ihre aktuelle Fortbildungsmaßnahme zur Reiseverkehrs-Kauffrau (mit
Praktikum am Flughafen Hannover-Langenhagen im August 2013), die am 5.
März 2013 begonnen habe, sei bis Januar 2014 verlängert worden. Im Mai
2014 könne sie die zugehörige IHK-Prüfung ablegen. Mit dem
Abschlusszeugnis wolle sie sich um eine Arbeitsstelle bewerben.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des
Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die Beiakten A bis C
(Einbürgerungs- und Ausländervorgänge) verwiesen, die Gegenstand der
mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung ist begründet. Zu Unrecht hat das Verwaltungsgericht
den ablehnenden Bescheid der Beklagten vom 9. November 2010
aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, die Klägerin in den deutschen
Staatsverband einzubürgern. Vielmehr ist die Klage unter Abänderung des
angefochtenen Urteils vollumfänglich abzuweisen, weil sie zulässig, aber
unbegründet ist, denn der Bescheid der Beklagten ist rechtmäßig und verletzt
die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Die Klägerin hat in dem auch bei der Verpflichtungsklage in
Einbürgerungssachen maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach-
und Rechtslage - dem Schluss der mündlichen Berufungsverhandlung (vgl.
BVerwG, Urt. v. 20. Oktober 2005 - 5 C 8.05 -, BVerwGE 124, 268, 270, juris
Rdnr. 10), hier am 13. November 2013 - gegen die Beklagte weder einen
Anspruch auf Einbürgerung noch auf ermessensfehlerfreie Neubescheidung
ihres Einbürgerungsantrages vom 12. November 2009.
I. Eine verständige Würdigung des Klagebegehrens (§§ 88, 125 Abs. 1 VwGO)
ergibt, dass sich die Klage nicht nur auf eine Verpflichtung der Beklagten zur
Einbürgerung richtet, sondern dass damit - auch ohne entsprechende
Anfügung eines (ohnehin „unechten“) Hilfsantrages - zumindest die als ein
„minus“ (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 18. Aufl. 2012, § 42 Rdnr. 8) hierzu zu
begreifende Verpflichtung zur Neubescheidung des Einbürgerungsantrages
begehrt wird. Auszugehen ist auch davon, dass die Klägerin ihre dahin
gehenden vermeintlichen einbürgerungsrechtlichen Ansprüche auf sämtliche
denkbaren Anspruchsgrundlagen stützt. Wird eine Beschränkung (etwa auf die
Anspruchseinbürgerung) im Einbürgerungsverfahren durch den
Einbürgerungsbewerber nicht gegenüber der Behörde klar und
unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, sind alle in Frage kommenden
Anspruchsgrundlagen zu prüfen (vgl. BVerwG, Urt. v. 20. März 2012 - 5 C 1.11
-, BVerwGE 142, 132, 134, juris Rdnr. 13). So liegt es hier. Dem
Einbürgerungsantrag der Klägerin vom 12. November 2009 (Bl. 36 f. des
zweiten Teilvorgangs der Beiakte A) sind keine Einschränkungen zu
entnehmen; unschädlich ist es, dass im Fragebogen zu diesem Antrag
vorrangig Fragen zu den materiellen Voraussetzungen einer
Anspruchseinbürgerung gestellt werden. Dass die Beklagte im Folgenden
diesen Antrag (einseitig) als Anspruchseinbürgerungsantrag (vgl. Bl. 40 des
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zweiten Teilvorgangs der Beiakte A: „Inhaltsverzeichnis zum
Einbürgerungsantrag gem. § 10 StAG“) behandelt hat, ist ebenfalls
unerheblich. Im Übrigen ist sie diesem ursprünglichen Ansatz auch nicht
konsequent gefolgt, weil ihr Bescheid vom 9. November 2010 - nach der
Verneinung der Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 StAG - sonstige
Anspruchsgrundlagen für eine Einbürgerung als ebenfalls nicht in Betracht
kommend bezeichnet und mithin auch etwaige Ansprüche nach diesen
Grundlagen abgelehnt hat. Die Klägerin geht gegen alle Ablehnungsvarianten
dieses Bescheides vor.
II. Auf eine wirksame Zusicherung (§ 38 Abs. 1 Satz 1 VwVfG i.V.m. § 1 Abs. 1
NVwVfG) der Einbürgerung aus dem Jahre 2008 kann sich die Klägerin nicht
berufen. Denn diese setzt Schriftform voraus. Die Klägerin hat jedoch lediglich
vorgetragen, ein Mitarbeiter der Einbürgerungsstelle habe ihr anlässlich einer
Vorsprache (mündlich) die Einbürgerung in Aussicht gestellt. Mangels
Erheblichkeit muss der Senat diesem Vorbringen daher nicht nachgehen.
III. Gesetzlich maßgeblich für die Verneinung aller von der Klägerin verfolgter
Ansprüche im vorliegenden Fall sind die §§ 8 ff. des
Staatsangehörigkeitsgesetzes - StAG - in der Fassung des Gesetzes vom 1.
Juni 2012 (BGBl. I, S. 1224). Etwaige günstigere Normen des
Staatsangehörigkeitsgesetzes in der bis zum 28. August 2007 geltenden
Fassung des Artikels 5 des Zuwanderungsgesetzes vom 30. Juli 2004 (BGBl.
I, S. 1950) kommen hingegen nach der Übergangsvorschrift des § 40c StAG
nicht - auch nicht teilweise - zur Anwendung, weil die Klägerin den hier
streitgegenständlichen (zweiten) Einbürgerungsantrag erst am 12. November
2009 und damit nicht bis zum 30. März 2007 gestellt hat. Gegen die
abgrenzende Wirkung dieser Übergangsvorschrift bestehen keine
durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken; insbesondere verstößt sie
nicht gegen das Rückwirkungsverbot (Urt. d. Senats v. 13. Februar 2013 - 13
LC 33/11 -, AuAS 2013, 63, 64).
IV. Aufgrund der §§ 10 Abs. 1 Satz 1, 11 StAG steht der Klägerin kein
Anspruch auf Einbürgerung zu.
1. Nach § 10 Abs. 1 Satz 1 StAG ist ein handlungsfähiger oder gesetzlich
vertretener Ausländer einzubürgern, wenn er seit acht Jahren rechtmäßig
seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat (vgl. hierzu Ausnahmen in Abs.
3 und § 12b StAG); sich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung
bekennt und eine Loyalitätserklärung abgibt (Nr. 1); eine vom Zweck her
nichtschädliche Aufenthalts- oder eine Niederlassungserlaubnis besitzt (Nr. 2);
den Lebensunterhalt für sich und seine unterhaltsberechtigten
Familienangehörigen ohne Inanspruchnahme von Leistungen nach dem SGB
II oder XII bestreiten kann oder die Inanspruchnahme nicht zu vertreten hat
(Nr. 3); seine bisherige Staatsangehörigkeit aufgibt oder verliert (Nr. 4) oder
einen Grund für die Hinnahme von Mehrstaatigkeit nach § 12 StAG erfüllt; nicht
wegen einer (nach § 12a StAG und dem BZRG zu berücksichtigenden) Straftat
sanktioniert worden ist (Nr. 5); ausreichende (dem Sprachniveau B1 GER
entsprechende) Kenntnisse der deutschen Sprache besitzt (Nr. 6 i.V.m. Abs. 4)
oder eine Ausnahme nach Abs. 6 erfüllt; über Kenntnisse der Rechts- und
Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland (Nr. 7 i.V.m.
Abs. 5 und der Einbürgerungstestverordnung) verfügt oder eine Ausnahme
nach Abs. 6 erfüllt und schließlich keine sicherheitsrelevanten
Ausschlussgründe des § 11 StAG verwirklicht.
2. Ein Einbürgerungsanspruch scheidet im vorliegenden Fall aus, weil es -
entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts - an der Voraussetzung der
Unterhaltsfähigkeit (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG) fehlt.
a) Die Klägerin ist nicht in der Lage, ihren Lebensunterhalt und denjenigen
ihres unterhaltsberechtigten viereinhalbjährigen Kindes I. J. (für das auch
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Kindergeld und Kindesunterhalt gezahlt werden) eigenständig ohne
Inanspruchnahme von Leistungen nach dem SGB II - Grundsicherung für
Arbeitsuchende - zu sichern (1. HS. der Vorschrift).
Die Lebensunterhaltssicherung wäre nur gegeben, wenn ihr aktuell und in
einem absehbaren Zeitraum der Zukunft Mittel in einer Höhe zur Verfügung
stünden, um den Mindestbedarf an Lebensunterhalt nach dem Maßstab des
SGB II zu decken. Das ist bei ihr nicht der Fall. Sie selbst bezieht fortlaufend
seit geraumer Zeit (für sich selbst länger als acht Jahre; für ihr Kind länger als
vier Jahre) derartige existenzsichernde Sozialleistungen.
Die Klägerin hat im Laufe des Berufungsverfahrens (vom 5. März bis zum 1.
November 2013) eine selbstgewählte Fortbildung zur Reiseverkehrs-Kauffrau
(mit Praktikum am Flughafen Hannover) absolviert, die bis Januar 2014
verlängert worden ist, damit die Klägerin im Mai 2014 an der zugehörigen
Abschlussprüfung vor der IHK teilnehmen kann. Diese Umstände mögen ihre
Erwerbschancen abstrakt verbessert haben und ggf. weiter verbessern,
ändern jedoch an der aktuellen Bedarfsunterdeckung der Klägerin und ihres
unterhaltsberechtigten Kindes nichts. Auf die nur im Falle aktueller
Bedarfsdeckung überhaupt relevant werdende zusätzliche Prognose, ob sie
ihren Lebensunterhaltsbedarf auch in absehbarer Zukunft eigenständig
decken können wird, ohne zumindest auf ergänzende Leistungen nach dem
SGB II angewiesen zu sein, oder ob eine gegenwärtige
Lebensunterhaltssicherung voraussichtlich unbeständig sein wird (vgl.
BVerwG, Urt. v. 22. Juni 1999 - 1 C 16.98 -, BVerwGE 109, 142, 144, juris
Rdnr. 12; zu der insoweit parallelen Anforderung aus § 8 Abs. 1 Nr. 4 StAG),
kommt es daher im vorliegenden Fall nicht an. Im Übrigen rechtfertigt die
bisherige Absolvierung der Fortbildung eine positive Prognose auch (noch)
nicht. Die zugehörige IHK-Prüfung hat die Klägerin bisher nicht abgelegt; ein
konkretes Angebot zu einem länger befristeten oder gar unbefristeten
Arbeitsverhältnis aufgrund der durchlaufenen Fortbildung ist weder gegenüber
der Beklagten noch gegenüber dem Gericht vorgetragen worden und auch
sonst nicht ersichtlich.
b) Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts hat die Klägerin die
Inanspruchnahme von Leistungen nach dem SGB II auch zu vertreten (§ 10
Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, 2. HS. StAG).
Der Begriff des „Vertretenmüssens“ bzw. des „zu vertretenden Grundes“ in
diesem Sinne ist - wie auch sonst im öffentlichen Recht - wertneutral
auszulegen und setzt kein pflichtwidriges, schuldhaftes Verhalten voraus. Er
beschränkt sich mithin nicht auf vorsätzliches oder fahrlässiges Handeln i.S.d.
§ 276 Abs. 1 Satz 1 BGB. Erforderlich, aber auch ausreichend ist vielmehr,
dass der Ausländer durch ein ihm zurechenbares Handeln oder Unterlassen
adäquat-kausal die Ursache für den - fortdauernden - Leistungsbezug gesetzt
hat (vgl. BVerwG, Urt. v. 19. Februar 2009 - 5 C 22.08 -, BVerwGE 133, 153,
160 f., juris Rdnr. 23; Beschl. d. Senats vom 2. Mai 2012 - 13 LA 198/11 -, S. 2
des Beschlussabdrucks; Berlit, in: GK-StAR, Stand: 13. EL Oktober 2007, § 10
StAG Rdnr. 242; Hailbronner, in: ders./Renner/Maaßen,
Staatsangehörigkeitsrecht, 5. Aufl. 2010, § 10 StAG Rdnr. 39, jew. m.w.N.). Der
von dem Begriff vorausgesetzte objektive Zurechnungszusammenhang
zwischen zu verantwortendem Verhalten und Leistungsbezug ist aber in
zweifacher Hinsicht begrenzt. Zum einen erfordert dieser Zusammenhang in
quantitativer Hinsicht stets, dass das Verhalten des Verantwortlichen für die
Verursachung oder Herbeiführung der Inanspruchnahme
einbürgerungsschädlicher Sozialleistungen zumindest nicht nachrangig,
sondern hierfür, wenn schon nicht allein ausschlaggebend, so doch
maßgeblich bzw. (wesentlich) prägend ist (BVerwG, a.a.O.). Zum anderen
kommt diesem Begriff ein qualitativ-zeitliches Moment zu. Ausgehend von dem
Anliegen des Gesetzgebers, Personen mit achtjährigem rechtmäßigem
Inlandsaufenthalt grundsätzlich einen Anspruch auf Zugang zur deutschen
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Staatsangehörigkeit einzuräumen, hat der Einbürgerungsbewerber für ein ihm
zurechenbares und für einen aktuellen schädlichen Sozialleistungsbezug
mitursächliches Verhalten der Vergangenheit (dessen Wirkungen
unabänderlich geworden sind) nach Ablauf einer Frist von acht Jahren nicht
mehr einzustehen (BVerwG, a.a.O. S. 163 f., juris Rdnr. 28 m.w.N.).
Als wesentlich prägend ist es bei einem arbeitslosen Ausländer anzusehen,
wenn er sich nicht oder nicht hinreichend um die Aufnahme einer
Beschäftigung bemüht oder wenn er durch ihm zurechenbares Verhalten zu
erkennen gibt, dass er nicht bereit ist, eine ihm zumutbare Beschäftigung unter
den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes - ggf. auch abweichend
von seiner bisherigen Qualifikation und auch zu ungünstigeren Lohn- oder
Arbeitsbedingungen - anzunehmen. Nicht zu vertreten mangels hinreichender
tatsächlicher Prägung seines Verhaltens hat der Einbürgerungsbewerber
einen Leistungsbezug wegen Verlusts des Arbeitsplatzes aufgrund
gesundheitlicher, betriebsbedingter oder konjunktureller - nicht:
verhaltensbezogener - Ursachen oder wenn er trotz hinreichend intensiver
Stellensuche aus konjunkturellen Gründen oder wegen objektiv
vermittlungshemmender Umstände - deren Eintritt er selbst nicht zurechenbar
verursacht hat - keine Beschäftigung findet. Personen, die nach Alter,
Gesundheitszustand oder sozialer Situation sozialrechtlich (§§ 10 SGB II, 11
SGB XII) nicht erwerbsverpflichtet sind, haben den Leistungsbezug normativ
regelmäßig nicht zu vertreten. Die Darlegungs- und Beweislast für das
Nichtvertretenmüssen trägt angesichts der gesetzlichen Konstruktion von
Regel und Ausnahme - und weil es sich typischerweise um Umstände handelt,
die seiner persönlichen Sphäre entstammen - der Einbürgerungsbewerber
(vgl. Berlit, in: GK-StAR, a.a.O., § 10 StAG Rdnrn. 244 ff., 254).
Gemessen an diesen Maßstäben hat die Klägerin den Bezug von Leistungen
nach dem SGB II zu vertreten.
aa) Dies gilt zunächst, soweit es ursächliches gegenwärtiges Verhalten der
Klägerin betrifft.
(1) Ein derzeitiger normativer Ausschluss des Vertretenmüssens wegen des
Alters oder Gesundheitszustandes der Klägerin ist nicht ersichtlich.
Gegenwärtig ist die Klägerin aber auch - anders als zum Zeitpunkt der
Verhandlung und Entscheidung des Verwaltungsgerichts am 1. August 2011 -
selbst unter Berücksichtigung ihrer Eigenschaft als alleinerziehende Mutter
gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 3, 2. HS. SGB II nicht aus sozialen Gründen vollständig
von ihrer Erwerbsobliegenheit befreit, weil die Tochter I. schon mehr als
viereinhalb Jahre alt ist und seit Oktober 2012 in einem Kindergarten betreut
wird, so dass die Kindererziehung nicht per se durch Erwerbstätigkeit
gefährdet wird.
(2) Dass, wie die Klägerin geltend macht, diese Betreuung nur auf einem
Teilplatz erfolgen könne, weil sie einen (die Zeit bis 16.00 Uhr an Werktagen
abdeckenden) Ganztagesplatz trotz intensiver Bemühungen nicht erhalten
habe, bedarf keiner weiteren Aufklärung. Soweit die Klägerin damit sinngemäß
meinen sollte, sie könne infolge einer nur möglichen zeitweiligen Betreuung
allenfalls eine Teilzeitstelle annehmen, mit der kein insgesamt
bedarfsdeckendes Einkommen erzielt werden könnte, griffe dieses Vorbringen
nicht durch. Denn nach der Rechtsprechung (vgl. BVerwG, Urt. v. 19. Februar
2009 - 5 C 22.08 -, BVerwGE 133, 153, 157, juris Rdnrn. 15 f.) ist nicht
erforderlich, dass der Einbürgerungsbewerber bei größtmöglicher Erfüllung
seiner Erwerbsverpflichtungen die Möglichkeit hat, den Bezug von Leistungen
nach dem SGB II überhaupt (dem Grunde nach) zu vermeiden. Zu vertreten
hat er vielmehr bereits eine betragsmäßige Erhöhung der von ihm bezogenen
Sozialleistungen, die auf seine Nichteinhaltung der Erwerbsobliegenheit
adäquat-kausal zurückgeht. So liegt es hier.
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Die Klägerin könnte und müsste derzeit zumindest eine dem
Betreuungsumfang ihrer Tochter entsprechende Teilzeittätigkeit annehmen,
welche die Höhe der bezogenen Leistungen nach dem SGB II verringert. Dies
geschieht nicht. Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass sich die
Klägerin um derartige Teilzeitbeschäftigungen auch nur bemüht geschweige
denn sie ausgeübt hätte. Dass die ukrainische Staatsangehörigkeit oder ihre
Eigenschaft als alleinerziehende Mutter sie konkret an der Erlangung einer
Teilzeitstelle gehindert hätten, trägt die Klägerin nicht vor.
(3) Aktuell ist vielmehr die bewusste und freiwillige Entscheidung der Klägerin
(vgl. Mitteilung des Jobcenters Region Hannover vom 18. September 2013,
Beiakte B: „hat sich eigeninitiativ um Qualifikation gekümmert“) für die Durch-
und Weiterführung der seit dem 5. März 2013 andauernden und bis Januar
2014 verlängerten Fortbildung zur Reiseverkehrs-Kauffrau - mag sie auch als
Verbesserung ihrer zukünftigen Erwerbschancen zu begrüßen sein -
wesentlich prägende Ursache für die Nichterzielung eines die Sozialleistungen
verringernden Einkommens aus Erwerbstätigkeit. Die täglich aktualisierte
Entscheidung für Fortbildung und gegen Erwerbstätigkeit verursacht damit
adäquat-kausal, dass die Klägerin weiterhin Leistungen nach dem SGB II in
unveränderter Höhe bezieht, und zwar sowohl in der derzeitigen Situation als
auch in absehbarer Zukunft (bis zur anvisierten IHK-Prüfung im Mai 2014,
zumindest aber bis Januar 2014).
(4) Die Entscheidung für Fortbildung statt Erwerbstätigkeit führt auch nicht aus
anderen Gründen dazu, dass die Klägerin den Leistungsbezug nicht zu
vertreten hätte.
Zwar wird in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung (vgl. VG Stuttgart, Urt. v.
14. September 2012 - 11 K 410/12 -, juris Rdnr. 21) teilweise vertreten, dass
ein Einbürgerungsbewerber den Leistungsbezug (normativ) nicht zu vertreten
habe, wenn er die Schule besucht, sich in Ausbildung befindet, ein Studium
absolviert oder wenn er sich nach dem Schulabschluss nachhaltig um einen
Ausbildungs- oder Arbeitsplatz bemüht.
Der Senat kann jedoch offenlassen, ob diesem Ansatz ausnahmslos zu folgen
ist, weil es sich hier lediglich um eine Fortbildungsmaßnahme und nicht um
den Erwerb eines Schulabschlusses oder eines ersten berufsqualifizierenden
Abschlusses handelt. Die Klägerin verfügt bereits seit Juni 2002 über eine
abgeschlossene Berufsausbildung als Kauffrau für Bürokommunikation, an
welche die Fortbildung erklärtermaßen anknüpft.
Die alleinige Absolvierung einer Qualifizierungsmaßnahme oder das Bemühen
hierum können im Übrigen nur ausreichend sein, wenn der
Einbürgerungsbewerber darlegt und nachweist, dass er langanhaltende,
intensive und breitgefächerte Bemühungen um eine einkommenserzielende
Erwerbstätigkeit gezeigt hat, diese jedoch erfolglos gewesen sind (vgl. hierzu
VG Berlin, Urt. v. 14. September 2005 - 2 A 93/03 -, juris Rdnr. 18). Nur in
diesen Fällen stellt sich nämlich die Qualifizierung nicht nur als nützlich,
sondern als zwingend notwendig dar, weil dann feststeht, dass der Bewerber
schon wegen seiner geringen beruflichen Qualifikation ein objektives
Vermittlungshemmnis aufweist. Diese Voraussetzungen liegen hier jedoch
nicht vor, da die Klägerin vor Beginn der Fortbildung keinerlei Bemühungen um
die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit hat erkennen lassen. Es ist daher nicht
nachgewiesen, dass sie nicht auch unter Einsatz ihrer bisher erworbenen
Qualifikation als Kauffrau für Bürokommunikation hätte erwerbstätig sein
können. Auszugehen ist daher davon, dass es sich vorliegend nur um eine
nützliche Fortbildung handelt, mit welcher lediglich die zukünftigen
Erwerbschancen der Klägerin eventuell verbessert werden können. Die Durch-
und Weiterführung dieser Maßnahme begründet damit jedoch nicht per se ein
Nichtvertretenmüssen des währenddessen weiterhin gegebenen
Sozialleistungsbezugs.
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bb) Selbst wenn man dies anders sieht und die Fortbildung zum jetzigen
Zeitpunkt als notwendige Voraussetzung einer sozialleistungsmindernden
Erwerbstätigkeit der Klägerin überhaupt einstuft, hat die Klägerin diesen
gegenwärtig eingetretenen und vorerst andauernden Zustand durch ihr
vergangenes Verhalten zurechenbar verursacht und den fortlaufenden
Sozialleistungsbezug während der Fortbildung damit gleichwohl zu vertreten.
(1) Denn die wesentlich prägende Ursache für ihren - unterstellt - absoluten
Fortbildungsbedarf und den daraus folgenden heute fortgesetzten
Leistungsbezug liegt darin, dass die Klägerin in der Vergangenheit (bis zum
Beginn der vorgeburtlichen Mutterschutzfrist Anfang 2009 und seit dem Ende
der Betreuungsfrist im Oktober 2012) überhaupt keiner Erwerbstätigkeit
nachgegangen ist, deshalb weder Berufserfahrung gesammelt noch sich im
Arbeitsalltag („on the job“) fortgebildet hat und auch weder um eine
Erwerbstätigkeit noch um eine Qualifizierungsmaßnahme bemüht gewesen ist,
obwohl sie schon seit langer Zeit (ab dem 2. Dezember 1993) unbeschränkt
zur Erwerbstätigkeit berechtigt war und bereits seit Juni 2002 über eine
abgeschlossene Berufsausbildung als Kauffrau für Bürokommunikation
verfügte. Von den unzulänglichen Erwerbsbemühungen zwischen Juni 2002
und Anfang 2009 und seit Oktober 2012 sind ihr in Anwendung der eingangs
dargelegten Grundsätze des BVerwG (Urt. v. 19. Februar 2009 - 5 C 22.08 -,
BVerwGE 133, 153, 164, juris Rdnr. 28) alle Verstöße gegen die
Erwerbsobliegenheit innerhalb eines Zeitraums von acht Jahren vor der
Berufungsverhandlung - d.h. seit dem 13. November 2005 - entgegenzuhalten.
Die dadurch bedingte zunehmende erhebliche Verschlechterung ihrer
Berufschancen hat die Klägerin durch die nach Einschätzung des Senats
deutlich gezeigte jahrelange Arbeits- und Bildungsunwilligkeit zu einem
maßgeblichen und prägenden Anteil willentlich selbst verursacht. Unerheblich
ist in diesem Zusammenhang, inwieweit die Arbeits- und Sozialverwaltung ihr
in den genannten, erheblichen Zeiträumen Arbeits- und Bildungsangebote
unterbreitet hat oder nicht. Denn die Klägerin durfte sich insoweit nicht auf
Bewerbungen auf von dort vermittelte Stellen beschränken oder weitere
Vermittlungsvorschläge abwarten; vielmehr oblag es ihr, stets auch
eigeninitiativ tätig zu werden (vgl. BVerwG, Urt. v. 17. Mai 1995 - 5 C 20.93 -,
BVerwGE 98, 203, 206 f., juris Rdnr. 16 f., zum insoweit übertragbaren
sozialhilferechtlichen Maßstab). Dies hat sie in der Vergangenheit zu keinem
Zeitpunkt getan. Weil die Unwilligkeit der Klägerin nach Auffassung des Senats
offenkundig ist, kann auch dahinstehen, inwieweit gegen sie überdies
sozialrechtlich Sperrzeiten bzw. leistungsmindernde Sanktionen (§§ 31 ff. SGB
II, §§ 144 SGB III a.F./ 159 SGB III n.F.) verhängt worden sind, denen
Indizwirkung für eine Unwilligkeit zukommen könnte (vgl. Berlit, in: GK-StAR,
a.a.O., § 10 StAG Rdnrn. 246 f.). Vor diesem Hintergrund bestand für den
Senat keine Veranlassung, die die Klägerin betreffenden Sozialakten
beizuziehen.
(2) Von einem Vertretenmüssen der Klägerin, soweit es die Zeit bis Anfang
2009 angeht, ist zutreffend auch das Verwaltungsgericht ausgegangen.
Allerdings hat es in der Geburt der Tochter I. im … 2009 eine Unterbrechung
des objektiven Zurechnungszusammenhangs gesehen. Dieser Einschätzung
kann der Senat nicht beitreten. Die Folgen des Verhaltens der Klägerin in der
Vergangenheit wirken bis heute nach und prägen ihre aktuelle Situation noch
immer wesentlich.
Mutterschutz und Betreuungszeit (Anfang 2009 bis Oktober 2012) haben
gemessen an dem bereits zuvor eingetretenen absoluten Fortbildungsbedarf
der Klägerin keine wesentliche Änderung mehr zu erzeugen vermocht;
insbesondere kommt ihnen keine „überholende Kausalität“ gegenüber den von
der Klägerin in der Vergangenheit durch ihr Verhalten gesetzten Ursachen zu.
Die vom Verwaltungsgericht angenommene Motivationsänderung der Klägerin,
die auf die neue „Vorbildfunktion als Mutter“ zurückgehe, könnte die objektive
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Zurechnung eines auf jahrelangem Vorverhalten beruhenden absoluten
Fortbildungsbedarfs nach Auffassung des Senats frühestens dann
unterbrochen haben, wenn diese Änderung der inneren Einstellung auch zur
Beseitigung des entstandenen objektiven Vermittlungshemmnisses geführt
hätte, d.h. bereits mit Erfolg betätigt worden wäre. Dieser Prozess ist jedoch
hier noch nicht beendet, weil die Fortbildung fortgesetzt worden ist und erst im
Mai 2014 die zugehörige IHK-Prüfung abgelegt werden soll. Feststellungen
dazu, ob eine Motivationsänderung zurechnungsunterbrechende objektive
Momente gezeitigt hat, können mithin erst nach diesem Zeitpunkt getroffen
werden. Vor diesem Hintergrund muss der Senat der Frage, ob die erwähnte
Änderung der inneren Haltung bei der Klägerin auf eigenen Antrieb oder aber
nur unter dem Druck des Berufungsverfahrens erfolgt ist, nicht nachgehen.
3. Daneben scheitert ein Einbürgerungsanspruch der Klägerin nach §§ 10, 11
StAG auch daran, dass sie die Einbürgerungsvoraussetzung aus § 10 Abs. 1
Satz 1 Nr. 4 StAG nicht erfüllt und auch keinen Grund für eine Hinnahme von
Mehrstaatigkeit (hier: Beibehaltung der ukrainischen Staatsbürgerschaft) nach
§ 12 StAG verwirklicht.
a) Nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StAG muss der Einbürgerungsbewerber
seine bisherige Staatsangehörigkeit spätestens zeitgleich mit der
Einbürgerung in den deutschen Staatsverband aufgeben oder verlieren. Dies
ist bzw. wird nicht geschehen.
Verlust ist das Erlöschen der bisherigen Staatsangehörigkeit kraft Gesetzes,
während eine Aufgabe in denjenigen Fällen vorliegt, in denen das Erlöschen
an eine einseitige Willenserklärung des Einbürgerungsbewerbers oder an
einen Hoheitsakt des Herkunftsstaates (wie Entlassung, Genehmigung des
Verzichts auf die Staatsangehörigkeit oder Erlaubnis zum
Staatsangehörigkeitswechsel) geknüpft ist (vgl. Berlit, in: GK-StAR, a.aO., § 10
StAG Rdnrn. 270, 274). Ob der Einbürgerungsbewerber seine bisherige
Staatsangehörigkeit mit seiner Einbürgerung in den deutschen Staatsverband
verliert, richtet sich nach dem Staatsangehörigkeitsrecht und der Rechtspraxis
seines Heimatstaates (vgl. BVerwG, Urt. v. 27. September 1988 - 1 C 52.87 -,
BVerwGE 80, 233, 234, juris Rdnr. 15).
aa) Anhaltspunkte für eine Entlassung der Klägerin aus der ukrainischen
Staatsbürgerschaft (Art. 18 des Gesetzes über die Staatsbürgerschaft der
Ukraine - ukrStBG - vom 18. Januar 2001, vgl. Textnachweis bei von Albertini,
in: Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Stand:
203. NL September 2013, Abschnitt Ukraine, S. 20 f.) und damit für eine
wirksame Aufgabe der bisherigen Staatsangehörigkeit vor oder bei
Einbürgerung sind nicht erkennbar. Die Klägerin hat bislang nicht einmal einen
auf Entlassung gerichteten Antrag gestellt.
bb) Durch die Einbürgerung in den deutschen Staatsverband würde nach den
einschlägigen Vorschriften des ukrStBG gesetzesunmittelbar kein Verlust der
ukrainischen Staatsbürgerschaft i.S.d. § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StAG bewirkt.
Zwar stellt der freiwillige Erwerb der Staatsangehörigkeit eines anderen
Staates durch einen Volljährigen nach Art. 19 Abs. 1 Nr. 1 ukrStBG einen
„Verlustgrund“ dar. Wirksam i.S. eines Entfalls der ukrainischen
Staatsbürgerschaft würde dieser „Verlust“ indessen erst zeitlich später, nämlich
nachdem der Präsident der Ukraine einen den „Verlust“ und damit die
Beendigung der Staatsbürgerschaft bestätigenden Erlass nach Art. 19 Abs. 3
ukrStBG getroffen hat; bis zur Rechtskraft dieses Erlasses hätte die Klägerin
gemäß Art. 20 ukrStBG alle Rechte und Pflichten einer ukrainischen
Staatsbürgerin (vgl. dieselbe Deutung durch OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. v.
25. September 2008 - 19 A 1221/04 -, juris Rdnr. 23 ff., mit näheren
Ausführungen zum Verfahren in der Ukraine).
b) Ein Grund für die - auch nur vorübergehende - Hinnahme von
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Mehrstaatigkeit ist nicht gegeben.
aa) Auf § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 StAG kann sich die Klägerin nicht berufen.
(1) Unmittelbar ist diese Norm aus mehreren Gründen nicht auf die Klägerin
anwendbar. Sie besitzt keinen Reiseausweis für Flüchtlinge nach Art. 28 der
Genfer Flüchtlingskonvention (GK) i.V.m. § 1 Abs. 3 AufenthV (mehr), sondern
ist Inhaberin eines ukrainischen Reisepasses, der am 2. Juli 2007 ausgestellt
wurde und noch bis zum 2. Juli 2017 gültig ist. Der Senat kann daher
dahinstehen lassen, ob aus seiner Rechtsprechung zur Nichtanwendung des
§ 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 StAG in Fällen eines bereits widerrufenen Asylstatus‘,
aber wegen §§ 73 Abs. 6, 72 Abs. 2, 75 Satz 1 AsylVfG weiterhin besessenen
Reiseausweises (vgl. Urt. v. 10. September 2008 - 13 LB 208/07 -, juris Rdnr.
20) folgt, dass auch in Fällen wie dem vorliegenden über den Besitz des
Ausweises hinaus ein diese Innehabung rechtfertigender, noch nicht
erloschener asylrechtlicher Status erforderlich wäre.
Ungeachtet dessen könnte der Klägerin ein Reiseausweis für Flüchtlinge jetzt
mangels Flüchtlingsstatus’ ohnehin nicht mehr ausgestellt werden. Denn die
Klägerin gehört zum Personenkreis der jüdischen Zuwanderer aus den
Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion, die als (unechte)
Kontingentflüchtlinge nur entsprechend § 1 des Gesetzes über Maßnahmen
für im Rahmen humanitärer Hilfsaktionen aufgenommene Flüchtlinge
(Kontingentflüchtlingsgesetz - HumHAG -) vom 22. Juli 1980 (BGBl. I, S. 1057)
durch Aufnahmezusage gegenüber dem Bundesverwaltungsamt aus dem
Ausland aufgenommen wurden und denen nur entsprechend § 1 Abs. 3
HumHAG damals eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erteilt wurde. Für
Angehörige dieses Personenkreises hat das Bundesverwaltungsgericht (Urt. v.
22. März 2012 - 1 C 3.11 -, BVerwGE 142, 179, 188 ff., juris Rdnrn. 21, 32)
entschieden, dass sie (jedenfalls) seit dem Inkrafttreten des
Zuwanderungsgesetzes am 1. Januar 2005 keinen Flüchtlingsstatus nach §
60 Abs. 1 Satz 2 AufenthG i.V.m. § 1 Abs. 1 HumHAG mehr besitzen. Aus der
Differenzierung in § 101 Abs. 1 Satz 2 AufenthG und einem Umkehrschluss
aus § 103 AufenthG - der nur für (echte) Kontingentflüchtlinge gemäß § 1
HumHAG die Fortgeltung des Flüchtlingsstatus‘ und die Anwendbarkeit der
hierauf bezogenen Erlöschensgründe aus §§ 2a, 2b HumHAG anordne -
ergebe sich in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise, dass der
Flüchtlingsstatus bei unechten Kontingentflüchtlingen ab dem 1. Januar 2005
entfallen und ihnen lediglich ausländerrechtlich nach § 101 Abs. 1 Satz 2, 2.
Alt. AufenthG eine Niederlassungserlaubnis i.S.d. § 23 Abs. 2 AufenthG
belassen werden solle. Dieser Auffassung schließt sich der Senat an.
Hinzu kommt bei der Klägerin, dass sie, selbst wenn sie entgegen dieser
Ansicht ihren Flüchtlingsstatus nicht schon am 1. Januar 2005 durch
gesetzliche Neuregelung verloren hätte, sondern auch seit diesem Zeitpunkt
als echter Kontingentflüchtling hätte behandelt werden müssen, den Status
jedenfalls später durch freiwillige Annahme des am 2. Juli 2007 ausgestellten
ukrainischen Reisepasses kraft Erlöschens (§§ 103 Satz 1 AufenthG, 2a Abs.
1 Nr. 1 HumHAG) verloren hat und ihn daher jetzt nicht mehr innehat. Der
Freiwilligkeit der Passannahme im Rechtsverhältnis zur Ukraine steht nicht
entgegen, dass die Klägerin von der Ausländerbehörde der Beklagten im
Februar 2007 zur Passbeschaffung aufgefordert worden ist (vgl. Bl. 91 der
Beiakte C).
(2) Die nach dem oben Dargelegten verbliebene Sonderstellung als jüdische
Zuwanderin rechtfertigt auch keine entsprechende Anwendung des § 12 Abs.
1 Satz 2 Nr. 6 StAG auf die Klägerin. Es fehlt bereits an der Planwidrigkeit einer
etwaigen Regelungslücke. Die früher in dieser Vorschrift enthaltene
privilegierende zweite Alternative, die bei Inhabern einer
Niederlassungserlaubnis nach § 23 Abs. 2 AufenthG ebenfalls die
Einbürgerung unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit ermöglichte, ist im Wege
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bewusster gesetzgeberischer Entscheidung bereits mit Wirkung vom 28.
August 2007 durch das (Erste) Richtlinienumsetzungsgesetz vom 19. August
2007 (BGBl. I, S. 1970) gestrichen worden (vgl. Gesetzentwurf der
Bundesregierung, BT-Drs. 16/5065 vom 23. April 2007, S. 229, und
Ergänzende Anmerkung unter Nr. 12.1.2.6 der Vorläufigen
Anwendungshinweise zum Staatsangehörigkeitsgesetz - VAH-StAG - des
Bundesministeriums des Innern vom 17. April 2009).
bb) Keine Anhaltspunkte ergeben sich dafür, dass die Ukraine eine Entlassung
der Klägerin aus der ukrainischen Staatsbürgerschaft i.S.d. § 12 Abs. 1 Satz 2
Nr. 3, 2. Alt. StAG zumindest im faktischen Sinne von unzumutbaren
Entlassungsbedingungen abhängig machen würde und deshalb die
Mehrstaatigkeit hinzunehmen wäre.
Der Herkunftsstaat macht die Entlassung dann von unzumutbaren
Bedingungen abhängig, wenn dieser bei einer normativ geleiteten Betrachtung
nicht mehr als sachgerecht anzuerkennen sind. Der Begriff der unzumutbaren
Bedingungen unterliegt als unbestimmter Rechtsbegriff in vollem Umfang der
verwaltungsgerichtlichen Kontrolle und eröffnet der Einbürgerungsbehörde
keinen Beurteilungsspielraum. Es ist keine abstrakte Bewertung der
Berechtigung des Herkunftsstaates zur Gestaltung der
Entlassungsvoraussetzungen vorzunehmen. Entscheidend ist vielmehr, ob
dem Einbürgerungsbewerber nach seinen konkreten Verhältnissen unter
Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles die Erfüllung der
Entlassungsbedingungen nach Maßgabe eines objektivierenden normativen
Maßstabs aus nationaler Sicht zuzumuten ist. Die bloß subjektiv definierte
Unzumutbarkeit reicht dabei allerdings nicht aus. Auf der anderen Seite
schließt allein der Umstand, dass eine Entlassungsbedingung dem Grunde
nach in rechtsvergleichender Sicht jedenfalls nicht unüblich ist und den
Rahmen des in der Staatenpraxis Üblichen wahrt, deren Unzumutbarkeit im
Einzelfall nicht aus (vgl. Urteile d. Senats vom 8. Februar 2012 - 13 LC 240/10 -
, juris Rdnr. 58, und - 13 LC 64/09 -, S. 8 des Urteilsabdrucks; Berlit, in: GK-
StAR, a.a.O., § 12 StAG, Rdnrn. 106 ff). Bei Anwendung dieser Grundsätze
kann die Klägerin nicht geltend machen, die Ukraine mache ihre Entlassung
aus der Staatsbürgerschaft von einer unzumutbaren Bedingung abhängig.
Zwar hat das OVG Nordrhein-Westfalen (Urt. v. 25. September 2008 - 19 A
1221/04 -, juris Rdnrn. 36 ff.) entschieden, dass es konsularisch nicht als
„Auslandsukrainer“ registrierten ukrainischen Staatsangehörigen regelmäßig
unzumutbar sein soll, die Entlassung aus der ukrainischen Staatsbürgerschaft
zu beantragen. Als „Auslandsukrainer“ sind Personen erst registriert, wenn sie
das ordnungsgemäße „Abmeldungsverfahren“ in der Ukraine durchlaufen und
ihren Inlandspass (Personalausweis) abgegeben haben und in ihrem
Reisepass der Vermerk „Ständiger Wohnsitz im Ausland“ angebracht worden
ist. Die Registrierung bewirkt, dass für pass-, melde- und
staatsangehörigkeitsrechtliche Angelegenheiten des betroffenen ukrainischen
Staatsbürgers nach der Verwaltungspraxis nicht länger inländische Behörden,
sondern fortan die im Wohnsitzstaat gelegenen Auslandsvertretungen der
Ukraine zuständig sind (vgl. auch Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und
abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine - Lagebericht - vom 19. März
2003, S. 21). Die Unzumutbarkeit der Stellung eines Entlassungsantrags soll
sich bei Nichtregistrierten aus dem Erfordernis ergeben, in die Ukraine reisen
und bei Inlandsbehörden zunächst die Registrierung mit unabsehbar langer
Verfahrensdauer, aber permanenter Anwesenheitspflicht während dieses
Verfahrens nachholen zu müssen (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, a.a.O.,
Rdnr. 44).
Der Senat kann offenlassen, ob dieser Einschätzung beizutreten ist. Denn sie
ist im Falle der Klägerin nicht einschlägig. Bei ihr ist nämlich davon
auszugehen, dass sie bereits als „Auslandsukrainerin“ registriert ist und daher
auch bei ukrainischen Auslandsvertretungen ihre Entlassung beantragen
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kann. Die Vorsprache bei einer Auslandsvertretung seines Heimatstaates zum
Zwecke der Stellung eines Entlassungsantrags ist einem
Einbürgerungsbewerber - der wie die Klägerin keinen Flüchtlingsstatus hat -
nicht schlechthin unzumutbar (vgl. Hailbronner, in: ders./Renner/Maaßen,
Staatsangehörigkeitsrecht, a.a.O., § 12 StAG Rdnr. 23). Anhaltspunkte dafür,
dass das Entlassungsverfahren als solches dann eine ungewisse, gar
mehrjährige Dauer annimmt, sind nicht ersichtlich.
Zwar befindet sich der Teil ihres ukrainischen Reisepasses vom 2. Juli 2007,
der einen ausdrücklichen Vermerk „Ständiger Wohnsitz im Ausland“ enthält, in
Kopie weder in der Gerichtsakte noch in den Verwaltungsvorgängen (vgl. Bl.
34 f. der Beiakte A und Bl. 93 der Beiakte C). Allerdings ist zu berücksichtigen,
dass der Reisepass im Jahre 2007 nicht von einer ukrainischen
Inlandsbehörde, sondern von der ukrainischen Botschaft in Berlin ausgestellt
worden ist, die sich demnach bereits als für die Klägerin zuständig erachtete.
Dies geht aus dem Code „2D“ im Feld „Authority“ (ausstellende Behörde)
hervor. Damit ist die ukrainische Botschaft auch für die Entgegennahme eines
Entlassungsantrags der Klägerin i.S.d. Artt. 18, 25 Abs. 1 Nr. 3 ukrStBG
zuständig.
cc) Ausnahmegründe für eine Hinnahme von Mehrstaatigkeit nach § 12 Abs. 1
Satz 2 Nrn. 1, 2, 4 und 5 StAG kommen nicht in Betracht. Anhaltspunkte dafür,
dass die Klägerin ihre ukrainische Staatsbürgerschaft im Sinne der
Generalklausel des § 12 Abs. 1 Satz 1 StAG aus sonstigen Gründen nur unter
besonders schwierigen Umständen aufgeben kann, sind nicht ersichtlich.
Auch § 12 Abs. 2 und 3 StAG sind nicht anwendbar.
V. Aus § 9 i.V.m. § 11 StAG kann die Klägerin keinerlei Ansprüche herleiten.
§ 9 Abs. 1 StAG gewährt ihr - ungeachtet der weiteren Voraussetzungen und
Ausschlussgründe - schon deshalb keinen Regeleinbürgerungsanspruch, weil
sie derzeit nicht mit dem Kindsvater K. J. - über dessen deutsche
Staatsangehörigkeit im Übrigen nichts bekannt ist (vgl. standesamtliche
Geburtsmitteilung des Kindes I. J. vom 25. Mai 2009 auf Bl. 96 der Beiakte C) -
verheiratet ist.
Die Sonderregelung des § 9 Abs. 2 StAG, nach welcher § 9 Abs. 1 StAG -
dessen eigentlichen Anwendungsbereich erweiternd - unter weiteren
personensorgebezogenen Voraussetzungen bei Einbürgerungsanträgen
heranziehbar ist, die innerhalb eines Jahres nach dem Tod des deutschen
Ehegatten oder nach der rechtskräftigen Eheauflösung gestellt wurden, findet
auf die Klägerin schon deshalb keine Anwendung, weil sie niemals mit K. J.
verheiratet war.
VI. Auch aus § 8 i.V.m. § 11 StAG folgt für die Klägerin weder ein
Einbürgerungsanspruch noch ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie
Neubescheidung ihres Einbürgerungsantrages vom 12. November 2009.
Denn weder die Voraussetzungen eines unmittelbaren
Einbürgerungsermessens aus § 8 Abs. 1 StAG noch eines
Absehensermessens nach § 8 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 4 StAG (und damit
eines mittelbaren Einbürgerungsermessens) sind erfüllt, so dass erst recht
eine (ohnehin nur ausnahmsweise denkbare) Reduktion eines
Einbürgerungsermessens „auf Null“ zugunsten eines Einbürgerungsanspruchs
ausscheiden muss.
1. Es fehlt bereits an der gesetzlichen Mindestvoraussetzung eines
(unmittelbaren) Einbürgerungsermessens aus § 8 Abs. 1 Nr. 4 StAG, dass die
Klägerin imstande sein muss, sich und ihre Angehörigen zu ernähren, d.h. den
Lebensunterhalt eigenständig zu sichern. Denn sie ist (weiterhin) auf
Leistungen nach dem SGB II - Grundsicherung für Arbeitsuchende -
angewiesen. Derartige Leistungen sind in jedem Fall anspruchsschädlich (vgl.
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bereits BVerwG, Urt. v. 22. Juni 1999 - 1 C 16.98 -, BVerwGE 109, 142, 143,
juris Rdnr. 9, für die mit dem Arbeitslosengeld II vergleichbare Vorläuferleistung
Arbeitslosenhilfe; und Beschl. v. 5. Mai 1997 - 1 B 94.97 -, juris Rdnr. 4, für die
ebenfalls steuerfinanzierte Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem früheren
BSHG). Insoweit kommt es tatbestandlich nicht auf ein Vertretenmüssen des
Leistungsbezugs an. Ob zwischen einem vom Ausländer zu verantwortenden
Verhalten und dessen Unfähigkeit, sich und seine Angehörigen zu ernähren,
ein objektiver Zurechnungszusammenhang besteht, ist im Rahmen des § 8
Abs. 1 Nr. 4 StAG - im Unterschied zu § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG - ohne
Belang (st. Rspr. des BVerwG, vgl. jüngst Beschl. v. 6. Februar 2013 - 5 PKH
13/12 -, juris Rdnr. 6).
2. Im vorliegenden Fall ist der Beklagten nach § 8 Abs. 2 StAG auch kein
Ermessen eröffnet, von der fehlenden Voraussetzung aus § 8 Abs. 1 Nr. 4
StAG abzusehen und sodann nach § 8 Abs. 1 StAG im Ermessenswege über
das Einbürgerungsbegehren der Klägerin zu entscheiden. Denn schon die
engen Tatbestandsvoraussetzungen eines Absehensermessens sind nicht
erfüllt.
a) Ein öffentliches Interesse an der Einbürgerung der Klägerin (1. Alt.) scheidet
aus. Ein solches ist nur gegeben, wenn nach dem konkreten Sachverhalt ein
sich vom Durchschnittsfall eines Einbürgerungsbewerbers abhebendes
spezifisches staatliches Interesse an der Einbürgerung besteht, das es
ausnahmsweise rechtfertigen kann, den Ausländer trotz fehlender
Unterhaltsfähigkeit (oder fehlender Unbescholtenheit) einzubürgern (vgl.
Beschl. d. Senats v. 7. Januar 2013 - 13 PA 243/12 -, juris Rdnr. 4; unter
Anschluss an OVG Saarlouis, Urt. v. 28. Juni 2012 - 1 A 35/12 -, juris Rdnr. 61)
Anhaltspunkte hierfür sind im individuellen Fall der Klägerin weder vorgetragen
noch sonst ersichtlich.
b) Ein Absehen von der Mindestvoraussetzung der Unterhaltsfähigkeit aus § 8
Abs. 1 Nr. 4 StAG ist auch nicht zur Vermeidung einer besonderen Härte (2.
Alt.) erforderlich. Eine solche Härte muss durch atypische Umstände des
Einzelfalls bedingt sein, gerade durch die Verweigerung der Einbürgerung
hervorgerufen werden und durch eine Einbürgerung vermieden oder
zumindest entscheidend abgemildert werden können (vgl. Urt. d. Senats v. 13.
Februar 2013 - 13 LC 33/11 -, juris Rdnr. 47; BVerwG, Urt. v. 20. März 2012 - 5
C 5.11 -, BVerwGE 142, 145, 158, juris Rdnr. 39). Nr. 8.2 VAH-StAG vom 17.
April 2009 enthält zwei äußerst spezielle Beispiele (infolge Entlassung
staatenlos zu werden drohende Ehefrau und Behinderung/Krankheit), die im
Falle der Klägerin nicht einschlägig sind. Die von der Klägerin geltend
gemachten Umstände begründen eine besondere Härte nicht.
aa) Dass sie aufgrund ihrer bisherigen (ukrainischen) Staatsangehörigkeit
Diskriminierungen auf dem Arbeitsmarkt unterliege, die nach einer
Einbürgerung ausblieben, hat sie nur pauschal behauptet, ohne diese Vorfälle
zu konkretisieren und die Kausalzusammenhänge zu substantiieren. Im
Übrigen begründete dieser Vortrag einen atypischen Fall nicht, sondern ließe
sich auf nahezu alle einbürgerungswilligen Ausländer übertragen.
bb) Das Interesse an einer im Hinblick auf die Familieneinheit
wünschenswerten einheitlichen staatsangehörigkeitsrechtlichen Behandlung
einer Familie (vgl. dazu Hailbronner, in: ders./Renner/Maaßen,
Staatsangehörigkeitsrecht, a.a.O., § 8 StAG Rdnr. 98 ff.) wiegt im vorliegenden
Fall nicht derart schwer, dass deshalb ein Härtefall vorläge. Der Schutz der
Familie aus Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 Abs. 1 EMRK gebietet ein Absehen
von § 8 Abs. 1 Nr. 4 StAG nicht. Dem Vortrag der Klägerin kann nicht
entnommen werden, dass die unterschiedliche Staatsangehörigkeit von Mutter
und Tochter sich als gravierendes Problem darstelle, insbesondere die
Beziehung der Klägerin zu ihrem deutsch geborenen Kind gefährde oder auch
nur belaste. Die Klägerin ist mit der nach § 101 Abs. 1 Satz 2 AufenthG
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übergeleiteten Niederlassungserlaubnis i.S.d. § 23 Abs. 2 AufenthG Inhaberin
eines unbefristeten Aufenthaltstitels, der auch zur Ausübung der
Erwerbstätigkeit berechtigt. Diese gesicherte Position ermöglicht es ihr auch
ohne Einbürgerung, für sich und ihre Tochter zu sorgen. Dass sie zwingend
der Einbürgerung unter Hintanstellung hierfür geltender Voraussetzungen
bedürfte, um erhebliche Nachteile zu beseitigen, ist nicht ersichtlich.
cc) Auch die Eigenschaft als jüdische Zuwanderin aus der ehemaligen
Sowjetunion präjudiziert keine Sonderstellung der Klägerin unter den
Einbürgerungsbewerbern. Auf das Wohlwollensgebot aus Art. 34 GK, welchem
zufolge die vertragsschließenden Staaten soweit wie möglich die
Eingliederung und Einbürgerung der Flüchtlinge erleichtern und insbesondere
bestrebt sind, Einbürgerungsverfahren zu beschleunigen und die Kosten
dieser Verfahren soweit wie möglich herabzusetzen, kann sich die Klägerin
nicht (mehr) berufen, nachdem sie nach dem bereits Dargelegten schon am
1. Januar 2005, spätestens aber mit Annahme des ukrainischen Passes vom
2. Juli 2007 ihres Flüchtlingsstatus‘ verlustig gegangen ist und für sie die
Rechtsfolgennormen der Artt. 2 bis 34 GK daher nicht mehr gelten. Darauf, ob
Art. 34 GK mit Bezug auf ein Fehlen der Unterhaltsfähigkeit (§ 8 Abs. 1 Nr. 4
StAG) überhaupt eine besondere Härte i.S.d. § 8 Abs. 2, 2. Alt. StAG
begründen könnte (verneinend Senat, Urt. v. 13. Februar 2013 - 13 LC 33/11 -,
juris Rdnr. 50, für fehlende Unbescholtenheit i.S.d. § 8 Abs. 1 Nr. 2 StAG
wegen der insoweit vorrangigen spezialgesetzlichen Würdigung gegen die
Person des Einbürgerungsbewerbers gerichteter Bedenken), kommt es nicht
mehr an.
VII. Unerheblich ist schließlich das Vorbringen der Klägerin, ihre Eltern seien
ebenso wie Personen, gegen die erhebliche Bedenken bestünden,
unproblematisch eingebürgert worden. Daraus kann die Klägerin auch unter
Berücksichtigung des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) keine
Rechtsposition für sich herleiten.
Sollten bei diesen in Bezug genommenen Personen die
Einbürgerungsvoraussetzungen ebenfalls gefehlt haben und eine
Einbürgerung dennoch erfolgt sein, besteht aufgrund des Art. 3 Abs. 1 GG kein
Anspruch der Klägerin auf eine „Gleichbehandlung im Unrecht“. Soweit die
Einbürgerungen zu Recht erfolgt sind, liegen schon deshalb keine wesentlich
gleichen Sachverhalte vor, weil bei der Klägerin jedenfalls die tatsächlichen
Voraussetzungen der in diesem Verfahren verfolgten Ansprüche nach dem
StAG gerade fehlen.
Die übrigen Ausführungen der Klägerin betreffen rein rechtspolitische
Erwägungen zu einem ihrer Ansicht nach anders zu fassenden
Staatsangehörigkeitsrecht und sind rechtlich daher nicht von Belang.