Urteil des OVG Niedersachsen vom 25.03.2014

OVG Lüneburg: syrien, eltern, allgemeine lebenserfahrung, privates interesse, asylverfahren, registrierung, auskunft, mitwirkungspflicht, onkel, erfüllung

1
2
Niederlassungserlaubnis
Zur Auslegung und Anwendung des § 5 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG.
OVG Lüneburg 2. Senat, Urteil vom 25.03.2014, 2 LB 92/13
§ 26 Abs 4 AufenthG, § 5 Abs 1 Nr 1a AufenthG, § 5 Abs 3 AufenthG, § 9 Abs 2
AufenthG
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts
Hannover - 1. Kammer (Einzelrichter) - vom 12. September 2011 geändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des gesamten Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger kann eine Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von
110% des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn
nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in der Höhe von 110% des jeweils zu
vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger, ein yezidischer Kurde, der 1990 aus Syrien kommend in die
Bundesrepublik Deutschland eingereist ist und nach erfolglosem
Asylverfahren, aber Feststellung von Abschiebungshindernissen i. S. v. § 53
Abs. 1 und 4 AuslG vom Beklagten eine Aufenthaltserlaubnis und einen
Reiseausweis für Ausländer erhalten hat, die jeweils verlängert wurden,
begehrt die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis.
Seinen Antrag vom 20. Juli 2005 auf Erteilung dieser Erlaubnis lehnte der nach
einem Umzug des Klägers als Ausländerbehörde zuständig gewordene
Beklagte mit Bescheid vom 14. Juni 2007 ab. Zwar seien die Voraussetzungen
von § 26 Abs. 4 i. V. m. § 9 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 bis 9 AufenthG für den Kläger
erfüllt; es fehle aber die allgemeine Voraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1a
AufenthG, wonach die Erteilung eines Aufenthaltstitels in der Regel u. a.
voraussetze, dass die Identität und - falls der Ausländer nicht zur Rückkehr in
einen anderen Staat berechtigt sei - die Staatsangehörigkeit des Ausländers
geklärt sei. Nach den Erkenntnissen und Nachforschungen des Beklagten sei
es sehr wahrscheinlich, dass der Kläger trotz Geburt und vormaligen
Aufenthalts als registrierter Ausländer in Syrien zwar nicht die syrische, wohl
aber die türkische Staatsangehörigkeit durch Abstammung besitze und daher
die Rückkehrberechtigung in die Türkei nicht geklärt sei. Der Kläger habe
keine ausreichenden Bemühungen zur Klärung der möglichen türkischen
Staatsangehörigkeit vorgenommen. Das Nichtvorliegen der
Regelerteilungsvoraussetzungen sei daher von ihm zu vertreten, so dass
keine atypische Fallgestaltung vorliege und ein Absehen von der Regel nicht
erfolgen könne. Das öffentliche Interesse an der Einhaltung der allgemeinen
Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 AufenthG überwiege angesichts
3
4
5
6
7
8
9
10
der unzureichenden Bemühungen des Klägers auch dessen privates
Interesse an der Erteilung der Niederlassungserlaubnis. Daher könne von den
allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen auch nicht im Ermessenswege nach
§ 5 Abs. 3 2. Halbsatz AufenthG abgesehen werden.
Hiergegen hat der Kläger am 21. Juni 2007 Klage erhoben, zu deren
Begründung er im Wesentlichen vorgetragen hat, es sei weiterhin bereits
fraglich, ob er über seine Vorfahren formalrechtlich die türkische
Staatsangehörigkeit erworben habe. Jedenfalls sei es ihm tatsächlich nicht
möglich, eine Nachregistrierung in der Türkei zu erreichen. Dies ergebe sich
aus den vielfältigen Bemühungen seiner Familie in diversen Verfahren mit dem
Beklagten.
Der Kläger hat beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 14.06.2007 zu
verpflichten, ihm eine Niederlassungserlaubnis zu erteilen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat die Auffassung vertreten, der Kläger könne seine türkische
Staatsangehörigkeit klären und sich in der Türkei registrieren lassen mit der
Folge, dass für ihn auch türkische Ausweispapiere ausgestellt werden
könnten.
Seiner darauf gerichteten Klage hat das Verwaltungsgericht stattgegeben, im
Wesentlichen mit der Begründung, es liege eine Ausnahme von der Regel der
allgemeinen Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG vor,
wonach die Identität bzw. die Staatsangehörigkeit des Ausländers geklärt sein
müssten, falls er nicht zur Rückkehr in einen anderen Staat berechtigt sei.
Durch letztere Vorschrift solle (nur) verhindert werden, dass Personen, die an
der Klärung ihrer Identität nicht mitwirkten, der Zugang zu einem
Aufenthaltstitel geebnet werde. Dem Kläger könne jedoch eine fehlende
Mitwirkung an der Klärung seiner Identität/Staatsangehörigkeit unter
Berücksichtigung der mannigfaltigen Bemühungen auch seiner gesamten
Familie in der Vergangenheit nicht (mehr) vorgeworfen werden. Selbst wenn er
formalrechtlich über seine wohl aus der Türkei stammenden Vorfahren deren
Staatsangehörigkeit erworben haben könnte, bestehe für ihn nach den
Maßstäben des Urteils der 10. Kammer des Verwaltungsgerichts vom 20.
September 2010 im Einbürgerungsverfahren des Bruders des Klägers (- 10 A
7588/06 -) keine Möglichkeit der Nachregistrierung in der Türkei und damit
keine Möglichkeit der Klärung einer eventuellen türkischen
Staatsangehörigkeit, da ihn der türkische Staat in seiner Rechtspraxis nicht als
seinen Staatsangehörigen ansehe:
Danach lasse sich eine Registrierung in der Türkei weder feststellen noch
nachholen. Nach Auskunft des türkischen Generalkonsulats an das
Verwaltungsgericht Hannover vom 24. April 2007 benötige man für eine
Nachregistrierung in der Türkei unter anderem einen - internationalen -
Geburtsnachweis und eine Heiratsurkunde der Eltern, nach einer anderen
Auskunft zusätzlich den Nachweis der Abstammung von einem türkischen
Vorfahren. Diese Unterlagen ließen sich nicht erbringen. Es fehle bereits an
einer Heiratsurkunde für die Eltern, die nach yezidischem Ritus verheiratet
seien. Dies werde auch nicht durch einen vorhandenen
Familienregisterauszug aus dem syrischen Ausländerregister kompensiert,
weil dieser für eine Nachregistrierung nicht genüge. Das könne aber
dahinstehen, weil es zumindest an Heiratsurkunden für die Heirat der
Großeltern väterlicherseits und deren Eltern fehle, um den Nachweis der
Abstammung von einer in der Türkei registrierten direkten Vorfahrin zu
11
12
13
14
15
16
erbringen. Außerdem sei nicht ersichtlich, dass eine Nachregistrierung der
Großeltern in den türkischen Registern überhaupt noch möglich sei, denn
beide Großelternteile seien bereits vor geraumer Zeit verstorben.
Es bestünden schließlich keine Anhaltspunkte dafür, dass die Eltern- und
Großelterngenerationen des Klägers in der Türkei unter anderen Namen
registriert und dem Kläger - oder anderen Familienmitgliedern - diese Namen
und Registrierungen bekannt seien. Der vom Beklagten insofern erhobene
Vorwurf sei nicht nachvollziehbar. Allein die Tatsache, dass der Kläger
zunächst seine Großmutter in B. "verschwiegen" habe, lasse nicht den
Schluss zu, dass er weitere Tatsachen zurückhalte. Der Eindruck, den der
Kläger und seine in das Verfahren involvierten Familienangehörigen
vermittelten, sei vielmehr der, dass sie an einer Aufklärung der türkischen
Vergangenheit ihrer Vorfahren durchaus interessiert seien.
Im Übrigen sei auch nicht nachvollziehbar, wie der Beklagte zu der Ansicht
gelange, dass ein anderer als der derzeit von der Familie geführte Name
bekannt sein sollte. Zwar habe eine sogenannte "Türkifizierung" stattgefunden,
bei der von Seiten der Behörden kurdischen Volkszugehörigen türkische
Namen "verpasst" worden seien. Die Familienangehörigen des Klägers seien
auch Kurden. Diese "Türkifizierung" habe allerdings bereits in den dreißiger
Jahren des letzten Jahrhunderts stattgefunden. Sollte es zu diesem Zeitpunkt
in der Familie des Klägers zu neuen Namen gekommen sein, so wären der
Vater des Klägers und dessen Bruder noch nicht geboren gewesen. Selbst
wenn die Großeltern unter anderen Namen registriert worden sein sollten, sei
es nicht wahrscheinlich, dass sie diesen Namen Jahre später einmal ihren
nachgeborenen Kindern mitgeteilt hätten, zumal sie den alten Namen
weitergeführt hätten und aus der Türkei ausgewandert seien.
Es erscheine aus diesem Grunde auch nicht geboten, Zeugen zu diesem
Thema zu vernehmen. Die hierfür benannten Personen seien überwiegend
erst in den dreißiger Jahren geboren (eine von ihnen dazu in Syrien), so dass
nicht erkennbar sei, wie etwaige Namensänderungen von ihnen hätten
wahrgenommen werden können. Die Geburtsdaten weiterer angeführter
Zeugen seien nicht bekannt.
Eine Nachregistrierung scheitere schließlich auch an der Tatsache, dass es
sich bei den Betroffenen um Yeziden handelt. Diese könnten ungeachtet einer
möglichen rechtlichen Zugehörigkeit zum türkischen Staatsverband von den
türkischen Behörden in ihrem Bemühen, ihre türkische Staatsangehörigkeit
nachzuweisen, um diese sodann aufgeben zu können, keine Hilfestellung
erwarten. Diese Überzeugung werde dadurch bestätigt, dass selbst eine
gerichtliche Anfrage an die Botschaft der Türkei und das türkische
Generalkonsulat trotz mehrfacher Nachfragen mehr als zwei Jahre
unbeantwortet geblieben sei. Es zeuge nicht von einer um Klärung bemühten
Bearbeitung der Anfrage, wenn sie nach einer derart langen Laufzeit wenig
substantiiert dahingehend beantwortet worden sei, dass die Nachforschungen
über den staatenlosen Kläger im türkischen Personenstandsregister keinen
Eintrag ergeben hätten.
Auch unter Berücksichtigung des Gesetzerlasses Nr. 49/2011 des syrischen
Staatspräsidenten vom 7. April 2011 könne von dem in das Ausländerregister
der Provinz Hassake eingetragenen Kläger nicht verlangt werden, sich um die
syrische Staatsangehörigkeit zu bemühen, denn dazu müsse er nach
Auskunft der syrischen Botschaft nach Syrien reisen, genieße aber in Bezug
auf dieses Land Abschiebungsschutz.
Unter diesen Umständen sei das dem Beklagten eingeräumte Ermessen
derart reduziert, dass nur die Entscheidung für die Erteilung der
Niederlassungserlaubnis ermessensgerecht erscheine. Dies ergebe sich aus
der Abwägung der Interessen des Klägers an einer Verfestigung seines
17
18
19
20
21
22
23
24
Aufenthalts unter Berücksichtigung seiner Integrationsleistungen mit dem
öffentlichen Interesse an einer Begrenzung des Zuzugs von Ausländern. Der
Kläger sei ausweislich des Verwaltungsvorgangs des Beklagten bereits seit
1993 zunächst saisonal und später in Vollzeit bei einer Baumschule
beschäftigt gewesen. Seit 2008 sei er mit einem Gartenbaubetrieb selbständig,
der unter Berücksichtigung der vorgelegten Unterlagen durchaus erfolgreich
laufe. Auch im Hinblick auf seine Kenntnisse der deutschen Sprache sei er
nach den Eindrücken des Gerichts im Erörterungstermin vom 14. April 2010
integriert, so dass sein persönliches Interesse an der Erteilung der
Niederlassungserlaubnis das öffentliche Interesse deutlich überwiege.
Einen gegen das vom Verwaltungsgericht herangezogene - einen Bruder des
Kläger betreffende - Urteil vom 20. September 2010 (- 10 A 7588/06 -)
gerichteten Antrag auf Zulassung der Berufung hat der 13. Senat des Gerichts
mit Beschluss vom 1. Oktober 2012 (- 13 LA 210/10 -) abgelehnt. In
Auseinandersetzung mit den dortigen Beschlussgründen hat der Senat im
vorliegenden Verfahren dagegen die Berufung mit Beschluss vom 25. April
2013 (- 2 LA 280/11 -) zugelassen; auf die dortigen Ausführungen - die auch
die Entscheidungsgründe des 13. Senats auszugsweise wiedergeben - wird
Bezug genommen.
Mit seiner fristgemäß eingegangenen Berufung trägt der Beklagte vor:
Eine Ausnahme von den Regelerteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr.
1 a AufenthG liege nicht vor. Der Kläger habe nicht nachgewiesen, dass er
keine Möglichkeit mehr habe, seine Identität und Staatsangehörigkeit weiter
aufzuklären, zumal er sich in der Vergangenheit selbst auf seine türkische
Herkunft berufen und zum Teil widersprüchliche und unvollständige Angaben
in Bezug auf seine Familiengeschichte gemacht habe. Insoweit werde Bezug
genommen auf die Darstellung in der Begründung des Zulassungsantrages.
Darin war im Wesentlichen ausgeführt:
Der Kläger habe noch nicht alle Möglichkeiten zur Klärung seiner Identität und
Staatsangehörigkeit ausgeschöpft.
An seiner türkischen Staatsangehörigkeit bestehe kein vernünftiger Zweifel,
weil jedenfalls seine Urgroßmutter im türkischen Personenstandsregister
registriert gewesen sei, aber auch deren Kinder. Ebenfalls im türkischen
Personenstandsregister eingetragen sei eine Schwester der Großmutter
väterlicherseits. Nachfolgende Generationen seien nach türkischem
Staatsangehörigkeitsrecht ebenfalls Türken, unabhängig davon, ob sie selbst
registriert worden seien.
Das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht unterstellt, dass der Kläger weder in
der Türkei registriert sei noch eine Nachregistrierung erlangen könne. Die
nötige Klarheit habe der Kläger selbst zu schaffen. Es sei nicht
ausgeschlossen, dass er - obwohl nicht in der Türkei geboren - bereits
registriert sei, wie dies auch bei zahlreichen in Deutschland geborenen
Kindern türkischer Eltern geschehe.
Wahrscheinlich sei darüber hinaus, dass nicht nur die Großelterngeneration,
sondern auch die Elterngeneration registriert sei. Es sei nicht ohne Weiteres
davon auszugehen, dass der Vater und der Onkel des Klägers in Syrien
geboren worden seien. Der jüngere Bruder des Vaters habe als Geburtsort
Davudi in der Türkei angegeben. Auch der Kläger selbst habe in seinem
Asylverfahren unter Vorlage schriftlicher Zeugenaussagen geltend gemacht,
dass sein Vater und sein Onkel in der Türkei geboren worden seien. Ebenso
habe sich eine Schwester des Klägers in einem Verfahren vor dem
Oberverwaltungsgericht Münster auf ihre türkische Staatsangehörigkeit
berufen und vorgetragen, ihr Vater sei in der Türkei geboren worden. Dabei sei
25
26
27
28
auch das Geburtsdatum des Vaters des Klägers nicht gesichert. Die
Schwester des Klägers habe im Jahr 2003 angegeben, ihr Vater sei 65 Jahre
alt, so dass er bereits 1938 geboren wäre. Deshalb könne nicht ohne Weiteres
als wahr unterstellt werden, dass das in dem syrischen Ausländerausweis
angegebene Geburtsdatum (1945) richtig sei.
Auch der Großvater mütterlicherseits sei nach den Angaben seines in
Norderstedt lebenden Sohnes in der Türkei registriert gewesen.
Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts spreche die allgemeine
Lebenserfahrung dafür, dass man sich in einem Familienverband wie
demjenigen des Klägers über familiäre Zusammenhänge austausche. Der
Kläger habe deshalb wissen können, ob Vorfahren in der Türkei unter
anderem Namen registriert gewesen seien. Er habe Familienangehörige auch
gezielt zu den Lebensumständen seiner Vorfahren befragen können,
insbesondere seinen Vater, seinen Onkel (der inzwischen wieder in Syrien
lebe), weitere Angehörige sowie den zuständigen Scheich, der sich in den
Familienverhältnissen gut auskennen dürfte. Entsprechende Nachforschungen
habe der Kläger trotz zweifacher Aufforderungen nicht betrieben. Diese seien
nicht bereits deshalb aussichtslos, weil die fraglichen Personen erst in den
30er Jahren oder später geboren worden seien. Sie müssten nicht selbst dort
gelebt haben, weil solche Kenntnisse innerhalb einer Familie weitergegeben
würden.
Die Angaben des Klägers seien nicht nur in Bezug auf seine - verschwiegene -
Großmutter in Norderstedt unvollständig gewesen. Sie seien insgesamt sehr
lückenhaft, widersprüchlich und zum Teil wahrheitswidrig. Die Mutter des
Klägers habe zunächst jahrelang behauptet, in Syrien als unregistrierte
Ausländerin gelebt zu haben, und habe einen unzutreffenden Namen
angegeben. Im Jahr 2003 habe sie sogar eine entsprechende eidesstattliche
Versicherung abgegeben. Erst im Juni 2007 habe sie schließlich offenbart,
dass sie in Wahrheit syrische Staatsangehörige sei, und ihren Namen
angegeben. Die Eltern des Klägers hätten in ihrer eidesstattlichen
Versicherung lediglich vier ihrer acht Kinder angegeben. Auch andere
Personen im familiären Umfeld des Klägers hätten zunächst angegeben,
staatenlos bzw. ungeklärter Staatsangehörigkeit zu sein, und später offenbart,
die syrische Staatsangehörigkeit zu besitzen. Das gelte z.B. für die Ehefrau
des Onkels des Klägers, die auch einen falschen Namen angegeben habe,
sowie für die Ehefrau eines Cousins des Klägers, und für die Ehefrau eines
Bruders des Klägers. Ferner seien die Angaben der Familie zu den
Geburtsorten des Vaters und des Onkels des Klägers widersprüchlich.
Zunächst sei erklärt worden, sie seien in der Türkei geboren und als
Kleinkinder nach Syrien ausgewandert; nunmehr werde behauptet, sie seien in
Syrien geboren worden. Bezüglich der in B. lebenden Großmutter habe es
eines gerichtlichen Aufklärungsbeschlusses in einem Verfahren des Bruders
des Klägers bedurft, um diesen zur Preisgabe des Namens zu bewegen.
Zuvor seien unterschiedlichste Variationen angegeben bzw. behauptet
worden, sie sei verstorben. Die türkischen Registrierungen der Urgroßmutter
des Klägers, deren Tochter sowie einer Schwester der Großmutter
väterlicherseits seien vom Kläger und seinen Familienangehörigen zunächst
nicht offenbart und erst aufgrund eigener Ermittlungen der Ausländerbehörde
bekannt geworden. Der Familie des Klägers sei die Registrierung der
Urgroßmutter des Klägers jedoch bereits seit Anfang 2002 bekannt gewesen.
Ein entsprechender Registerauszug sei im Februar 2002 in einem vor dem
OVG Münster geführten Verfahren einer Schwester des Klägers vorgelegt
worden. Nicht offenbart worden sei außerdem, dass auch der Ehemann und
die Kinder der Genannten im Register eingetragen gewesen seien. Dies dürfte
allerdings bekannt gewesen sein, weil die Kinder in Seelze lebten.
Im Jahr 2004 habe der Kläger beim Standesamt in Cinar angefragt, ob sein
Großvater registriert gewesen sei, wobei er jedoch den Namen von dessen
29
30
31
32
33
34
35
36
37
Mutter falsch angegeben und nicht darauf hingewiesen habe, dass diese
eingetragen sei. Es sei somit absehbar (und wohl auch beabsichtigt) gewesen,
dass eine negative Antwort erteilt würde.
Jegliche Angaben fehlten überdies zur Großmutter väterlicherseits sowie zum
Großvater mütterlicherseits, der nach Angaben eines Sohnes Türke gewesen
sei.
Insgesamt könnten die Angaben des Klägers und seiner Familie damit nur als
widersprüchlich und lückenhaft bezeichnet werden. Es sei in der Regel nur
bestätigt worden, was die Ausländerbehörde bereits gewusst habe. Dies lege
die Vermutung nahe, dass der Kläger eine Registrierung des Großvaters
väterlicherseits und möglicherweise auch der Großmutter väterlicherseits und
des Großvaters mütterlicherseits verschweige. Die Angaben in den
Asylverfahren seien offenbar von taktischen Erwägungen geprägt gewesen.
Auch die Folgen möglicher Angaben auf den unterschiedlichen
Aufenthaltsstatus anderer Familienangehöriger würden offenbar bedacht.
Eine Nachregistrierung sein noch möglich, insbesondere wenn sich
herausstelle, dass der Vater des Klägers bereits registriert gewesen sei. Eine
internationale Geburtsurkunde könne sich der Kläger verschaffen, weil er über
eine syrische Geburtsurkunde verfüge. Er könne sich auch eine
Heiratsurkunde seiner Eltern verschaffen, die im syrischen Ausländerregister
als verheiratet eingetragen gewesen seien, also offenbar nicht (nur) nach
yezidischem Ritus getraut worden seien. Im Übrigen würden in Syrien keine
unehelichen Kinder registriert. Die Registrierung des Klägers spreche also
dafür, dass seine Eltern als verheiratet anerkannt worden seien. Aus diesem
Grunde sei auch davon auszugehen, dass die Ehe der Großeltern
väterlicherseits in Syrien registriert worden sei, weil anderenfalls der Vater des
Klägers im Register nicht erfasst worden wäre.
Sollte der Vater des Klägers - als ledig - im türkischen Register eingetragen
sein, könne er - notfalls mit Hilfe einer notariellen Vaterschaftsanerkennung
und unter Benennung von Zeugen - belegen, dass er der Vater des
nachzuregistrierenden Klägers sei. Voraussetzung sei nicht in jedem Fall, dass
beide Eltern als verheiratet im türkischen Personenstandsregister eingetragen
seien.
Selbst wenn lediglich die Großelterngeneration in der Türkei registriert
gewesen sei, sei eine Nachregistrierung möglich. Richtig sei, dass hierfür erst
die Elterngeneration nachregistriert werden müsse. Das sei aber nicht von
vornherein unmöglich,
Eine andere Beurteilung ergebe sich auch nicht aus dem Umstand, dass das
türkische Generalkonsulat auf eine Anfrage des Verwaltungsgerichts in dem
Streitverfahren des Bruders des Klägers die Auskunft gegeben habe, für diese
sei kein Eintrag in einem türkischen Register gefunden worden.
Möglicherweise sei eine Eintragung unter einem anderen Namen vorhanden.
Auch wenn für den Kläger selbst keine Eintragung existiere, sei nicht
auszuschließen, dass sein Vater und/oder Großvater unter einem anderen
Namen registriert sei, was eine Nachregistrierung auch des Klägers
ermöglichen würde.
Die Ausführungen zu § 5 Abs. 1 Nr. 1 a AufenthG gälten in gleicher Weise für
die Nr. 4 dieser Vorschrift (Passpflicht); auch insoweit liege ein Ausnahmefall
nicht vor.
Auch der zwischenzeitlich ergangene Beschluss des 13. Senats des
Oberverwaltungsgerichts in dem Einbürgerungsverfahren des Bruders des
Klägers nötige nicht zu einer Änderung der Rechtsauffassung. Das
Bundesverwaltungsgericht habe mit Urteil vom 1. September 2011 (- 5 C 27.10
38
39
40
41
42
43
44
45
-) nochmals deutlich gemacht, dass die Klärung der Identität unverzichtbar sei.
Die Aufklärungsmöglichkeiten seien noch nicht ausgeschöpft. Der Kläger habe
noch nicht einmal vorgetragen, dass er Verwandte befragt habe, bei denen
Kenntnisse zu vermuten seien. Das Verwaltungsgericht hätte deshalb auch
ohne förmlichen Beweisantrag diese Verwandten als Zeugen vernehmen
müssen. Der Auffassung des 13. Senats, im Rahmen ihrer Asylverfahren
hätten Verwandte des Klägers, die sich auf ihre türkischen Staatsangehörigkeit
berufen hätten, ein eigenes Interesse an der Klärung der
Staatsangehörigkeitsfragen gehabt, könne nicht gefolgt werden. Die
Rechtsprechung zur Flüchtlingsanerkennung von türkischen Yeziden sei
seinerzeit uneinheitlich gewesen, sodass man davon habe ausgehen müssen,
dass einige Familienmitglieder im Fall der Offenlegung ihrer türkischen Identität
von einer Abschiebung in die Türkei bedroht gewesen wären. Es habe sich um
Mitglieder einer weit verzweigten Großfamilie gehandelt, deren Aufenthaltsorte
über mehrere Bundesländer verteilt seien. Es bestehe deshalb nach wie vor
kein gesteigertes Interesse des Klägers und seiner Familie, eine etwaige
türkische Identität vollständig offenzulegen.
Das Anschreiben des Klägers an das Amt für Auslandstürken sei völlig
unzureichend. Die beigefügte tabellarische Übersicht über seine Verwandten
sei unvollständig. Soweit Identitätsdokumente in der Familie vorlägen - z.B.
einige Registerauszüge und der syrische Personalausweis des Großvaters
väterlicherseits -, seien diese nicht beigefügt worden. Ungeeignet sei ferner die
Angabe der syrischen Familiennamen, wobei weiterhin davon ausgegangen
werde, dass der Familie deren alter türkischer Name bekannt sei. Es dränge
sich der Eindruck auf, dass die Anfrage bewusst so formuliert worden sei, dass
nur eine negative Antwort erfolgen könne.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover vom 12. September 2011
zu ändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er tritt dem Vorbringen des Beklagten entgegen und verweist auf den
Beschluss 13. Senats vom 1. Oktober 2012 sowie auf die erstinstanzliche
Entscheidung und sein bisheriges Vorbringen.
Die Behauptung des Beklagten, seine Identität sei ungeklärt und er habe nicht
nachgewiesen, dass er keine Möglichkeiten zur weiteren Aufklärung habe,
gehe fehl. Dem Senat sei aus früher entschiedenen Fällen bekannt, dass sich
Vorschläge zur Erfüllung der Initiativ- und Mitwirkungspflicht des Ausländers
immer wieder als nicht durchführbar herausgestellt hätten. Beispielhaft werde
eine Auskunft der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Ankara vom 5.
Oktober 2012 vorgelegt, die in einem anderen Fall die Schwierigkeiten einer
Nachregistrierung plastisch vor Augen geführt habe. Auch für den Kläger sei
eine Nachregistrierung aussichtslos, weil bereits sein inzwischen verstorbener
Vater in Syrien geboren worden sei und keine Kenntnis einer Registrierung in
der Türkei gehabt habe. Er habe auch keine Dokumente besessen, die seine
türkische Abkunft belegen könnten. Angesichts seines Todes scheide ein
DNA-Test ebenfalls aus.
Im Laufe der Jahre habe er - wie vom Beklagten erwartet - seine Verwandten
danach befragt, ob sie Kenntnisse über seine Abstammung oder Dokumente
hätten, die für eine Nachregistrierung hilfreich sein könnten. Das sei nicht der
Fall. Bei in Syrien lebenden moslemischen Kurden bestünden vielfach noch
Beziehungen zu der in der Türkei zurückgebliebenen Verwandtschaft, was
eine Nachregistrierung erleichtere. Bei yezidischen Kurden, die die Türkei
46
47
48
49
50
51
52
53
verlassen hätten, sei dies dagegen nicht der Fall. Sie hätten aufgrund des
Verfolgungsdrucks in der Türkei mit ihrer Vergangenheit und der Türkei
komplett gebrochen, wollten nie wieder etwas mit der Türkei zu tun haben und
hätten dort keine Verwandtschaft mehr.
Vom Amt für Auslandstürken, an das er sich unter dem 5. Juni 2013 gewandt
habe, habe er keine Antwort erhalten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des
Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die Beiakten verwiesen, die
Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die Berufung hat Erfolg. Das angefochtene Urteil ist zu ändern und die Klage
abzuweisen.
Der Kläger hat derzeit keinen Anspruch auf Erteilung einer
Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 AufenthG, weil es an den
Erteilungsvoraussetzungen nach § 5 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG fehlt (Klärung der
Staatsangehörigkeit) und das Ermessen des Beklagten nicht auf Erteilung
einer Ausnahme nach § 5 Abs. 3 AufenthG verengt ist. Der Senat folgt dem
Beklagten in der Annahme, dass der Kläger nicht alles ihm Mögliche getan hat,
um eine in Betracht kommende türkische Staatsangehörigkeit zu klären und
sich ggf. als türkischer Staatsangehöriger nachregistrieren zu lassen.
Die Frage, ob ein Ausländer seine Mitwirkungspflichten in Bezug auf die
Aufklärung seines Herkunftsstatus hinreichend erfüllt hat, kann sich unter
verschiedenen rechtlichen Ansatzpunkten in ähnlicher Weise stellen,
namentlich für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis (wie im
vorliegenden Fall), für die Erlangung eines Reiseausweises (vgl. hierzu
Senatsurteil vom heutigen Tage - 2 LB 337/129 - mit Nachweisen sowie Urt. v.
6.5.2013 - 2 LB 245/11 -, n. v., dazu BVerwG, Beschl. v. 23.1.2014 - 1 B 12.13
-), und für das Vorliegen von Ausreisehindernissen. Zu letzteren hat der Senat
mit Beschluss vom 31. Juli 2007 (- 2 LA 1197/06 -, n. v., bestätigt u.a. im Urt. v.
27.5.2010 - 2 LB 577/07 -, n. v.) rechtsgrundsätzlich ausgeführt:
"Welche Anforderungen an die Mitwirkung des Ausländers bei der
Beseitigung eines Ausreisehindernisses zu stellen sind, ist eine Frage
des jeweiligen Einzelfalles. Im Anschluss an die bisherige
Rechtsprechung des Senats (Beschluss vom 14. Oktober 2005, - 2 LA
912/04 -, V.n.b.) und anderer Obergerichte (Bayerischer
Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 19. Dezember 2005, - 24 C
05.2856 -, NVwZ 2006, 1311-1314) geht der Senat hierbei von folgenden
Grundsätzen aus:
(aa) Nach dem AufenthG ist die Verantwortung für die Beseitigung von
Ausreisehindernissen weder der Ausländerbehörde noch dem Ausländer
allein auferlegt. Keine Seite kann von der anderen verlangen, dass diese
allein sich um die Beseitigung bestehender Ausreisehindernisse bemüht.
Dies ist weder mit der Stellung der Ausländerbehörde noch mit den dem
Ausländer obliegenden Pflichten vereinbar. Vielmehr bestehen auf
beiden Seiten Pflichten, deren Erfüllung nachgewiesen werden muss.
Letztlich müssen sich Ausländer und Behörde gemeinsam darum
bemühen, dass eine Ausreise in das Heimatland des Ausländers
ermöglicht wird. Wem welche konkreten Pflichten im Einzelfall obliegen,
kann sachgerecht nur anhand der besonderen Umstände des jeweiligen
Sachverhalts abschließend geklärt und festgelegt werden.
(bb) Generell trifft dabei zunächst, wie aus § 82 Satz 1 AufenthG und
54
55
56
57
dem subjektiven Begriff des „Verschuldens“ in § 25 Abs. 5 AufenthG
folgt, den Ausländer eine Mitwirkungspflicht sowie eine Initiativpflicht.
Dies bedeutet einerseits, dass er an allen Handlungen mitwirken muss,
die die Behörden von ihm verlangen (z.B. Anträge ausfüllen, Bilder
beibringen, bei der Vertretung des Heimatlandes vorsprechen usw.). In
all diesen Fällen weiß der Ausländer, was von ihm verlangt wird. Er ist
gehalten, die geforderten Schritte auch zu unternehmen
(Mitwirkungspflicht).
Daneben steht ihm jedoch nicht die Möglichkeit offen, ansonsten völlig
untätig und passiv zu bleiben und nur darauf zu warten, welche weiteren
Handlungen die Behörde von ihm verlangt. Vielmehr ist auch der
ausreisepflichtige Ausländer gehalten, eigenständig die Initiative zu
ergreifen, um nach Möglichkeiten zu suchen, das bestehende
Ausreisehindernis zu beseitigen. Hierzu gehört etwa die Beschaffung von
Identitätsnachweisen im Heimatland über Dritte, die Benennung von
Zeugen usw. Der Ausländer hat sich zumindest Gedanken darüber zu
machen (und diese dann auch in die Tat umzusetzen), welche
Möglichkeiten für ihn bestehen, noch offene Punkte aufzuklären und zu
beweisen (Initiativpflicht). Eine Grenze bildet dabei die Frage, welche
Möglichkeiten ihm bei objektiver Betrachtungsweise bekannt sein
können. Nur insoweit kann ihm nämlich eine subjektive Verantwortlichkeit
und ein Verschulden angelastet werden. Je nach Herkunftsland und
persönlicher Situation des Betroffenen kann dies unterschiedlich zu
beantworten sein. Beispielsweise ist es durchaus möglich, dass die
Einschaltung eines Anwalts im Heimatland vom Ausländer nicht gefordert
werden kann, weil ihm dieser Weg unbekannt ist und entsprechende
Kontakte fehlen. Auch können keine Unterlagen aus der Heimat
nachgefordert werden, wenn der Ausländer dort über keinerlei Kontakte
mehr verfügt. Eine zweite Grenze der zu fordernden Initiativen bilden
daneben die Fälle, in welchen weitere Handlungen nicht zugemutet
werden können. Dies ist etwa dann der Fall, wenn der Ausländer durch
Nachfragen in seiner Heimat Familienangehörige in akute Lebensgefahr
bringt, wenn mit weiteren Ermittlungen so erhebliche Kosten verbunden
wären, dass sie von ihm nicht aufgebracht werden können oder wenn er
gesundheitlich etwa nicht in der Lage ist, erforderliche Handlungen
durchzuführen.
Die Erfüllung der dem Ausländer somit obliegenden Pflichten
(Mitwirkungs- und Initiativpflicht) hat dieser nachzuweisen. Gelingt ihm
dies nicht, so spricht vieles für die Annahme, er habe die
Ausreisehindernisse verschuldet.
(cc) Auf der anderen Seite bestehen auch Pflichten der
Ausländerbehörde, Ausreisehindernisse zu beseitigen. Die zuständige
Behörde hat, wie dies auch § 82 Abs. 3 Satz 1 AufenthG vorgibt, den
Ausländer auf seine Pflichten hinzuweisen. Sie hat ihm also mitzuteilen,
dass und in welchem Umfang er zur Erbringung von Handlungen
verpflichtet ist (Hinweispflicht). Diese Hinweise müssen dabei so gehalten
sein, dass es für den Ausländer hinreichend erkennbar ist, welche
Schritte er zu unternehmen hat. Ein bloßer allgemeiner Verweis auf
bestehende Mitwirkungspflichten oder die Wiedergabe des
Gesetzestextes wird diesen Anforderungen nicht gerecht. Denn nur
durch konkrete Hinweise ist es dem Ausländer möglich, die Beseitigung
der Ausreisehindernisse zielführend in die Wege zu leiten.
Daneben ist die Behörde auch gehalten, von sich aus das Verfahren
weiter zu betreiben und auf weitere, dem Antragsteller gegebenenfalls
nicht bekannte Möglichkeiten aufmerksam zu machen und diese
Möglichkeiten mit dem betroffenen Ausländer bei Bedarf zu erörtern
(Anstoßpflicht). Eine Ausländerbehörde kann es – vor allem im Falle der
58
59
60
61
62
63
Untätigkeit der Vertretung des Heimatlandes – nicht allein dem Ausländer
überlassen, den weiteren Gang des Verfahrens zu beeinflussen. Grund
hierfür ist, dass sie in aller Regel über bessere Kontakte und Kenntnisse
hinsichtlich der noch bestehenden Möglichkeiten zur Beschaffung von
Heimreisepapieren verfügt. Sie ist angesichts ihrer organisatorischen
Überlegenheit und sachlichen Nähe viel besser in der Lage, die
bestehenden Möglichkeiten zu erkennen und die entsprechenden
Schritte in die Wege zu leiten.
Diese „Überlegenheit“ führt nach Auffassung des Senats dazu, dass in
erster Linie die Ausländerbehörde nach Möglichkeiten zu suchen hat,
Hindernisse zu beseitigen. So kann sie etwa den Ausländer auf die
Möglichkeit der Einschaltung eines Vertrauensanwalts hinweisen,
dessen Namen und Kontaktadresse dem Ausländer selbst in aller Regel
nicht bekannt ist. Auch kann sie den Ausländer zum Beispiel auf nicht-
staatliche Organisationen und Informationsquellen hinweisen, etwa den
Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes oder kirchliche
Organisationen. Auch diese Stellen dürften in aller Regel einem in
Deutschland lebenden Ausländer nicht geläufig oder bekannt sein. Es ist
ihm nur dann möglich, diese Schritte zu ergreifen, wenn er von der
Ausländerbehörde hierzu angehalten (angestoßen) wird.
Auch der Behörde obliegt es, nachzuweisen, dass sie ihren Pflichten
(Hinweis- und Anstoßpflicht) nachgekommen ist. Gelingt dies nicht, so
spricht vieles dafür, dass das Bestehen eines Ausreisehindernisses nicht
von dem Ausländer zu vertreten ist.
(dd) Die den am Verfahren Beteiligten obliegenden Pflichten stehen
schließlich in einem Verhältnis der Wechselseitigkeit. Je eher der eine
Teil seinen Obliegenheiten nachkommt, desto weniger kann sich der
andere Teil darauf berufen, das Bestehen eines Abschiebehindernisses
werde nicht von ihm verschuldet, sondern sei von der anderen Seite zu
vertreten oder zu verantworten. In der praktischen Anwendung bedeutet
dies etwa, dass die Behörde von einem Verschulden des Ausländers
ausgehen kann, wenn dieser Pflichten nicht erfüllt, die ihm konkret
abverlangt wurden. Dies gilt jedoch dann nicht mehr, wenn der Ausländer
sämtliche Anforderungen erfüllt hat und einerseits keine nahe liegenden
Möglichkeiten mehr bestehen, Ausreisehindernisse zu beseitigen,
andererseits eine Aufforderung zu weiteren Mitwirkungshandlungen der
Behörde unterblieben ist. Der Ausländer muss nicht alles
Menschenmögliche unternehmen, sondern nur sämtlichen
Aufforderungen der Behörde nachkommen, soweit diese für ihn
zumutbar sind. Daneben hat er diejenigen Schritte zu ergreifen, die ihm
selbst bei objektiver Sichtweise geeignet erscheinen mussten, das
Verfahren zielführend weiter zu betreiben. Zusätzliche Obliegenheiten
treffen ihn nur, wenn die Behörde einen entsprechenden Anstoß in
Richtung einer bestimmten Maßnahme gegeben hat.
(ee) Zuletzt gilt dann, wenn beide Seiten ihre Obliegenheiten erfüllt haben
und das Ausreisehindernis gleichwohl nicht beseitigt werden konnte,
dass dies nicht zu Lasten des Ausländers gehen kann. Ein Verschulden
im Sinne einer subjektiven Vorwerfbarkeit liegt dann nämlich nicht vor.
Dies ist etwa dann der Fall, wenn Dritte, z.B. die Vertretung des
Heimatstaates, sich trotz entsprechender Aufforderungen weigern,
Heimreisedokumente auszustellen."
An diesen Grundsätzen hält der Senat auch für die Erteilung von
Niederlassungserlaubnissen nach den oben genannten Bestimmungen fest.
Der damit umrissene materiell-rechtliche Maßstab begrenzt zugleich die
gerichtliche Aufklärungspflicht (vgl. BVerwG, Beschl. v. 23.1.2014 - 1 B 12.13 -
64
65
). Diese reicht hier nicht so weit wie im asylrechtlichen Verfahren, für welches
das Bundesverwaltungsgericht aus § 24 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG - wonach das
Bundesamt verpflichtet ist, den Sachverhalt aufzuklären und die erforderlichen
Beweise zu erheben - gefolgert hat, dass das Gericht auch für die von ihm zu
treffende Feststellung, aus welchem Herkunftsland ein Asylbewerber stammt,
der vollen Überzeugungsgewissheit bedarf (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO), was
die Ermittlung und Würdigung aller durch gerichtliche Aufklärungsmaßnahmen
erreichbaren relevanten Tatsachen erfordere (BVerwG, Urt. v. 13.2.2014 - 10 C
6.13 -). Demgegenüber verlangt § 79 Abs. 1 Satz 1 AufenthG schon nur, dass
über den Aufenthalt von Ausländern auf der Grundlage der im Bundesgebiet
bekannten Umstände und zugänglichen Erkenntnisse entschieden wird.
Darüber hinaus ist die "Feststellung, aus welchem Herkunftsland ein
Asylbewerber stammt", nicht ohne Weiteres gleichzusetzen mit der "Klärung
seiner Staatsangehörigkeit" im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 1 a AufenthG, zumal
die gerichtlichen Aufklärungsmöglichkeiten in den typischen Fallgestaltungen
durch höherrangiges Recht in unterschiedlicher Weise begrenzt sein können.
Im Asylverfahren müssen Kontakte mit dem Verfolgerland von vornherein
unterbleiben, um den Schutzsuchenden nicht zusätzlich zu gefährden; auch
eine eventuell bestehende "Personalhoheit" des Verfolgerstaates bleibt
deshalb unberücksichtigt. In Fällen wie dem vorliegenden ist es dagegen nicht
ein Verfolgerland, sondern ein Drittstaat, zu dem der Ausländer in
staatsangehörigkeitsrechtlichen Beziehungen stehen kann. In ein mögliches
Rechtsverhältnis dieses Drittstaates zu seinen Staatsangehörigen darf nur
eingegriffen werden, soweit sich hierfür eine völkerrechtliche Rechtfertigung
findet. Ein amtliches Handeln auf fremdem Staatsgebiet (vgl. z.B. OVG
Münster, Beschl. v. 28.3.2013 - 13 A 412/12.A -, juris zur Vernehmung eines
Staatsangehörigen in dessen Heimatland durch ausländische
Konsularbeamte) ist deutschen staatlichen Stellen (also sowohl
Ausländerbehörden als auch Gerichten) ebenso versagt wie ein unmittelbares
Eingreifen in ausländische Verwaltungsverfahren, also vor allem in die
Kontaktaufnahmen der betreffenden Ausländer zu ihren Konsulaten und in
Nachregistrierungsverfahren. Infolgedessen kann die Ausländerbehörde bzw.
das Gericht die Einholung von Erkundigungen bei ausländischen Stellen oder
die Führung von Nachregistrierungsverfahren lediglich anstoßen, sie aber
selbst nicht unter Kontrolle halten. Was im Detail zwischen dem Ausländer und
Dienststellen des Drittstaates verhandelt wird, kann sie bzw. es sich allenfalls
vom Ausländer berichten lassen. Bleiben die Bemühungen des Ausländers
defizitär, kann dies deshalb in aller Regel auch nicht durch
Aufklärungsmaßnahmen und Beweiserhebungen des Gerichts ausgeglichen
werden, wenn und soweit dies eine Einbeziehung ausländischer Stellen
notwendig macht.
Die Anforderungen, die der Senat an das eigene Tätigwerden des Ausländers
stellt, sind deshalb nicht gering. Das gilt zumal bei denjenigen
Fallgestaltungen, in denen ein gleichgerichtetes Interesse des Ausländers und
des ausländischen Staates anzunehmen ist, den Nachweis einer
ausländischen Staatsangehörigkeit zu vermeiden. Ein solches
Zusammenwirken zu Lasten Dritter - hier der Bundesrepublik Deutschland und
ihrer Rechtsordnung - anzunehmen liegt jedenfalls dann nahe, wenn der
Ausländer einer Bevölkerungsgruppe angehört, die in dem betreffenden
Drittland nicht wohl gelitten ist. Das kann für yezidische Kurden wie den Kläger
- ungeachtet, ob diesem Personenkreis in der Rechtspraxis Asyl
zugesprochen worden ist - ohne Weiteres angenommen werden. Dafür spricht
aktuell nicht nur der Gehalt verschiedener Auskünfte von türkischen
Generalkonsulaten in vergleichbaren Fällen, mit denen die betroffenen
Antragsteller ersichtlich entmutigt werden sollten, sondern auch der Umstand,
dass das vom Kläger auf Anregung des Senats angegangene "Amt für
Auslandstürken" ihm nach seinen Angaben keine Antwort gegeben hat.
Da ihrerseits auch yezidische Kurden mit möglicher türkischer Herkunft
66
67
68
69
70
71
(verständlicherweise) selbst kaum Interesse daran haben, eine türkische
Staatsangehörigkeit anerkannt zu bekommen, kann es zu einem
"Zusammenspiel" in dem Sinne kommen, dass mögliche Nachforschungs- und
Nachregistrierungsverfahren durch entsprechende Handhabung von
vornherein auf einen Misserfolg hin angelegt werden. Dies kann von der
Ausländerbehörde kaum effektiv unterbunden werden. Infolgedessen müssen
die Anforderungen, die an die Glaubhaftmachung entsprechender
Bemühungen des Ausländers zu stellen sind, umso höher angesetzt werden.
Der Umfang der gebotenen Mitwirkung ergibt sich zunächst aus § 82 Abs. 1
Satz 1 AufenthG. Hiernach ist der Ausländer verpflichtet, seine Belange und für
ihn günstige Umstände unter Angabe nachprüfbarer Umstände unverzüglich
geltend zu machen und die erforderlichen Nachweise über seine persönlichen
Verhältnisse, sonstige erforderliche Bescheinigungen und Erlaubnisse sowie
sonstige erforderliche Nachweise, die er erbringen kann, unverzüglich
beizubringen. Soweit er - wie hier - zur Mitwirkung der Klärung seiner
Staatsangehörigkeit verpflichtet ist, sind seine Auskunfts- und
Nachweispflichten nicht notwendig auf seine eigene Person begrenzt, weil
auch das Wanderungsschicksal und der staatsangehörigkeitsrechtliche Status
engerer und ferner Verwandter unter Umständen Rückschlüsse auf die
Staatsangehörigkeit des Antragstellers zulassen. Soweit also die
Ausländerbehörde auch größere Familienzusammenhänge in den Blick nimmt,
um ihrer Hinweis- und Anstoßpflicht nachzukommen, sind ihr die erforderlichen
Auskünfte regelmäßig auch dann zu erteilen, wenn der Ausländer selbst meint,
hierauf komme es rechtlich nicht an. Dies kann er nach § 44a VwGO nur im
Zusammenhang mit einem Rechtsbehelf gegen die abschließende
Sachentscheidung geltend machen.
Die Mitwirkungspflicht des Ausländers verlangt ihm - wie oben dargestellt -
darüber hinaus ab, dass er ggf. seine Nachregistrierung im Ausland betreibt.
Auch gegenüber den ausländischen Dienststellen muss er - wenn er sich die
Ausnahmemöglichkeit nach § 5 Abs. 3 AufenthG offen halten will -
wahrheitsgemäß alle zweckdienlichen Auskünfte geben und die erforderlichen
Belege beifügen. Hat ihn die deutsche Ausländerbehörde darauf hingewiesen,
dass sie bestimmte Auskünfte - etwa über die oft mehrdeutig überlieferten
Namen von Vorfahren - als zielführend für eine Nachregistrierung ansieht,
dürfen diese Angaben den ausländischen Dienststellen gegenüber nicht
verschwiegen werden.
Im Übrigen ist unter dem Gesichtspunkt des zu betreibenden Aufwands für ein
Nachregistrierungsverfahren im Ausland von vornherein mindestens das
zumutbar, was auch das deutsche Recht in § 30 Abs. 2 StAG für eine
behördliche Feststellung der der deutschen Staatsangehörigkeit abverlangt,
nämlich:
"Für die Feststellung des Bestehens der deutschen Staatsangehörigkeit
ist es erforderlich, aber auch ausreichend, wenn durch Urkunden,
Auszüge aus den Melderegistern oder andere schriftliche Beweismittel
mit hinreichender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen ist, dass die
deutsche Staatsangehörigkeit erworben worden und danach nicht wieder
verloren gegangen ist."
Soweit das ausländische Staatsangehörigkeitsrecht den Erwerb bzw. Verlust
der jeweiligen Staatsangehörigkeit an strengere materiell-rechtliche
Voraussetzungen knüpft als das deutsche Recht, kann die Ausländerbehörde
dem Ausländer aber ohne Weiteres zumuten, auch hierfür in entsprechendem
Umfang dem fremden Staat gegenüber Nachweise zu erbringen.
In der Sache verkennt der Senat nicht, dass der Versuch einer
Nachregistrierung von yezidischen Kurden, die in Syrien gelebt haben, schon
wegen des Desinteresses der Türkei an diesem Personenkreis regelmäßig auf
72
73
74
75
76
77
78
79
Schwierigkeiten stoßen wird. Das nötigt aber noch nicht zu der Annahme, dass
Nachregistrierungsanträge in diesen Fällen von vornherein aussichtslos sind.
Wie bereits im Zulassungsbeschluss formuliert, ist die bestehende
"Registrierungslage" zunächst regelmäßig auszuloten und auf dieser
Grundlage ggf. ein konkretes Nachregistrierungsverfahren einzuleiten.
Hiervon ausgehend hat sich der Senat nicht davon überzeugen können, dass
der Kläger bereits alles ihm Zumutbare unternommen hat.
Insoweit gelten nach wie vor die im Zulassungsbeschluss angestellten
Erwägungen, die wie folgt ergänzt werden:
Aus dem Ausbleiben einer Antwort des Amtes für Auslandstürken auf die vom
Senat angestoßene Nachfrage zieht der Senat keine unmittelbaren Schlüsse
für das vorliegende Verfahren. Inzwischen spricht manches dafür, dass die
genannte Institution vornehmlich auf Öffentlichkeitsarbeit ausgerichtet ist und
sich mit Einzelschicksalen nicht befasst, zumal nicht mit denen randständiger
Bevölkerungsgruppen wie Yeziden, von denen es in der Türkei nur noch
wenige Hundert geben soll.
Der Kläger hat jedoch über diese Anfrage hinaus das Berufungsverfahren
nicht dazu genutzt, die bereits im Zulassungsbeschluss im Einzelnen
dargestellten Bedenken des Senats zu zerstreuen, dass sein bisheriges
Vorbringen eine Verpflichtung des Beklagten zur Erteilung einer Ausnahme
noch nicht rechtfertige, obwohl der Senat in jenem Beschluss bereits den
Hinweis gegeben hat:
"Wie oben bereits angedeutet, geht der Senat nicht davon aus, dass er
selbst im Berufungsverfahren in größerem Umfang Amtsermittlung zu
betreiben haben wird. Es wird im Berufungsverfahren vielmehr Sache
des Klägers sein, den Senat davon zu überzeugen, dass er selbst keine
weiteren Möglichkeiten mehr hatte bzw. noch hat, die Aufklärung seiner
staatsangehörigkeitsrechtlichen Lage weiter zu fördern."
Der Senat hält deshalb an den fraglichen Ausführungen in vollem Umfang fest.
Richtig ist zwar, dass der Kläger und seine Familie sich Nachfragen des
Beklagten gegenüber nicht durchgängig verschlossen verhalten haben. Die
Akten enthalten auch detaillierte Darstellungen nachgefragter Sachverhalte
(z.B. Vermerk vom 19. Juni 2008 und Schreiben vom 31. August 2008).
Durchgängig vermitteln sie jedoch den Eindruck, dass der Kläger und seine
Familienangehörigen ihre Angaben jeweils danach ausgerichtet haben, was
ihnen in der jeweiligen Situation opportun erschien. Insbesondere hat der
Kläger selbst - noch vertreten durch andere Prozessbevollmächtigte - in
seinem Asylverfahren unterschiedlich vorgetragen. Nach dem Tatbestand des
Senatsurteils vom 22. Juni 2004 (- 2 L 6129/96 -) hat er sich im behördlichen
Verfahren zunächst wie folgt eingelassen:
"Am 27. September 1990 stellte er mit Schriftsatz seiner damaligen
Bevollmächtigten (Rechtsanwältin Poeschel aus Hannover) vom 25.
September 1990 einen Asylantrag, den er damit begründete, dass er in
Syrien als Yezide, der die syrische Staatsangehörigkeit nicht besitze,
nicht anerkannt werde. Als Ausweispapier legte er einen rot-
orangefarbenen Auszug aus dem Personenstandsregister für Ausländer
im Bezirk Hassake vom 20. Mai 1990 vor, auf dem u. a. vermerkt ist,
dass gemäß der Volkszählung von 1962 für den (verheirateten) Kläger
im Register für die arabischen Syrer im Bezirk Hassake keine
Eintragungen bestünden.
In einem weiteren Schriftsatz seines nunmehr für das Asylverfahren
beauftragten Bevollmächtigten (Rechtsanwalt Knopp aus Hannover) vom
29. Dezember 1993 erklärte der Kläger, die syrische Staatsangehörigkeit
80
81
82
83
zu besitzen und als kurdischer Yezide in Syrien einer mittelbaren,
gruppengerichteten Verfolgung durch muslimische Syrer ausgesetzt zu
sein, der der syrische Staat nicht wirksam Einhalt gebiete."
Nach Zulassung der Berufung im Asylverfahren hat er sein Vorbringen laut
diesem Tatbestand wie folgt verändert:
"Zur Begründung seiner Berufung macht der Kläger geltend, er sei in
Syrien als Staatenloser behandelt worden und habe dort weder einen
syrischen Reisepass noch einen syrischen Personalausweis besessen.
Auch der von ihm im Original vorgelegte rot-orangefarbene Ausweis
belege seine Staatenlosigkeit in Syrien. Tatsächlich sei er aber türkischer
Staatsangehöriger. Wie Zeugen belegen könnten, habe sein Großvater
C., der türkischer Staatsangehöriger gewesen sei und in dem türkischen
Dorf Davudi, Kreis Diyarbakir geboren worden sei, mit seiner Großmutter
D. ca. im Jahr 1950 zusammen mit seinen Söhnen E. - hierbei habe es
sich um den ebenfalls in Davudi geborenen Vater des Klägers gehandelt
- und F. die Türkei fluchtartig in Richtung Syrien verlassen. Sein Vater sei
bei der Flucht vier oder fünf Jahre, sein Onkel zwei oder drei Jahre alt
gewesen. Da weder sein Großvater noch sein Vater die türkische
Staatsangehörigkeit verloren hätten, sei davon auszugehen, dass auch
er - der Kläger - nach türkischem Staatsangehörigkeitsrecht die türkische
Staatsangehörigkeit besitze; denn nach türkischem Recht sei es
unerheblich, ob ein Sohn eines türkischen Staatsangehörigen so wie er -
der Kläger - außerhalb der Türkei geboren werde. Ihm, dem Kläger,
könne auch nicht vorgehalten werden, zu seiner türkischen
Staatsangehörigkeit erst im Berufungsverfahren konkret vorgetragen zu
haben. Abgesehen davon, dass er bereits in seiner Anhörung vor dem
Bundesamt darauf hingewiesen habe, dass seine Vorfahren aus der
Türkei stammten, sei der Sachverhalt, dass er türkische Vorfahren habe,
bis zum Jahre 2001 nicht entscheidungserheblich gewesen. Von einem
Asylkläger könne nicht erwartet werden, dass er jeglichen Sachverhalt
vortrage, der nicht entscheidungsrelevant sei. Bei der Asylantragstellung
sei aber für die Beklagte noch nicht relevant gewesen, dass er, der
Kläger, türkische Vorhaben habe. Die Entscheidungserheblichkeit seiner
türkischen Staatsangehörigkeit habe sich erst durch die (geänderte)
Rechtsprechung des Senats im Jahre 2001 ergeben. Erst mit dem Urteil
des Senats vom 27. März 2001 - 2 L 2505/98 - sei nämlich festgestellt
worden, dass Syrien für staatenlose Kurden nicht mehr das Land des
gewöhnlichen Aufenthalts sei; zuvor seien alle Verwaltungsgerichte und
Oberverwaltungsgerichte davon ausgegangen, dass auch staatenlose
Kurden ohne weiteres nach Syrien zurückkehren könnten. Könne er sich
somit auch in diesem Berufungsverfahren noch auf seine türkische
Staatsangehörigkeit mit Erfolg berufen, so müsse dies auch zu seiner
Anerkennung als Asylberechtigter und zur Zuerkennung von
Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG führen. Denn wie etwa das
Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen
vom 23. Juli 2003 - 8 A 4018/00.A - feststelle, seien Yeziden in der Türkei
weiterhin einer mittelbaren gruppengerichteten Verfolgung ausgesetzt,
die auf jeden Fall zur Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 51
Abs. 1 AuslG hinsichtlich der Türkei führe. Er sei auch weiterhin streng
gläubiger Yezide, bete regelmäßig und halte sich an die Instruktionen,
die er bei Besuchen seiner Scheiks und Pirs erhalte."
Selbst wenn ihm die seinerzeitige Umstellung seiner Argumentation - die der
Senat wegen Präklusion nach § 79 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 128 a Abs. 1
VwGO seinerzeit nicht berücksichtigt hat - als solche nicht vorgehalten werden
kann, steht dieser Vortrag nunmehr in einem nicht aufgelösten Widerspruch zu
seinem jetzigen Vorbringen.
Anschaulich für die Art und Weise, in welcher der Kläger und seine weit
84
85
86
verzweigte Familie den Informationsfluss gesteuert haben, ist auch das
Verschweigen von Informationen über eine Großmutter des Klägers, die nach
jetzigem Erkenntnisstand in der Nähe von Hamburg lebt und türkische
Staatsangehörige ist. Die Akten enthalten Gesprächsvermerke vom 11., 18.
und 28. Juni 2007, aus denen hervorgeht, dass die Weitergabe solcher
Informationen als familienschädigend betrachtet und deshalb innerhalb der
Großfamilie gegenseitige Vorwürfe erhoben wurden. Bei einer Gesamtschau
der Akten ergibt sich ohne vernünftige Zweifel, dass die Aufklärung der
familiären Zusammenhänge einzig der besonderen Hartnäckigkeit geschuldet
ist, mit welcher der Beklagte eigene Nachforschungen angestellt hat. Wie das
Verwaltungsgericht zu der Sichtweise gelangt ist, die gesamte Familie habe
zur Klärung der Identität/ Staatsangehörigkeit des Klägers "mannigfaltige
Bemühungen" erkennen lassen, ist deshalb nur begrenzt nachvollziehbar. Der
Kläger und seine Familie haben durchgängig nur auf konkrete Vorhaltungen
reagiert. Die im Beklagtenvortrag noch aufgeführten Zweifel hat der Kläger
durchweg nicht auszuräumen versucht.
Zu Recht weist der Beklagte auch darauf hin, dass sich dieses "Mauern" des
Klägers noch in seiner vom Senat angestoßenen Anfrage an das Amt für
Auslandstürken fortgesetzt hat. Der Kläger hat darin nicht die doch eher
reichhaltigen Anknüpfungspunkte für einen Nachregistrierungsanspruch
zusammengestellt, die der Beklagte ermittelt hat, sondern nur selektive, für
einen Nachregistrierungsanspruch ungünstige Angaben gemacht. Insoweit
kommt es nicht darauf an, dass sich das Herantreten an das Amt für
Auslandstürken als grundsätzlich nicht erfolgversprechend erwiesen hat; das
ändert nichts an dem Befund, dass das Verhalten des Klägers - wie sich auch
in diesem Detail gezeigt hat - durchgängig von einer Vermeidungshaltung
gegenüber dem möglichen Erfolg eines Nachregistrierungsantrags geprägt
war.
Soweit auch in diesem Anschreiben an das Amt für Auslandstürken ein
früherer "türkifizierter" Familienname nicht genannt worden ist, geht der Senat
auch weiterhin davon aus, dass der Kläger ein unzutreffendes Bild vom
kulturellen Zusammenhalt und der kollektiven Erinnerung yezidisch-kurdischer
Familien türkisch-syrischer Herkunft zeichnet. Die religiösen Anforderungen
des yezidischen Glaubens und deren Auswirkungen auf das Alltagsleben sind
in einer Vielzahl von asyl- und ausländerrechtlichen Verfahren beschrieben
worden. Das weitgehende Fehlen schriftlicher Dokumente und
Aufzeichnungen ist demnach kein Anzeichen für unzureichend entwickelte
kulturelle Fähigkeiten, sondern wird durch ausgeprägte mündliche
Überlieferung ausgeglichen. Die hier geltend gemachten kollektiven
Erinnerungslücken, die einen gezielten Zugriff auf die türkischen Register
verbauen, sind deshalb wenig plausibel. Insoweit verbleibt es bei den
Ausführungen im Zulassungsbeschluss des Senats, er neige dazu,
"auch bei ausländischen Familien im Zweifel davon auszugehen, dass
diese über ihre eigenen Familienverhältnisse regelmäßig gut informiert
sind, auch was staatsangehörigkeitsrechtliche Fragen und mögliche
Entwicklungen der Namensvergabe oder -nutzung angeht. Gerade dann,
wenn wegen einer Glaubenszugehörigkeit (hier yezidisch)
möglicherweise nicht alle wichtigen Ereignisse wie Hochzeiten amtlich
registriert werden oder wenn Details der staatsangehörigkeitsrechtlichen
Einordnung in einem (zwischenzeitlichen) Aufenthaltsland wie Syrien
gewichtige - auch wirtschaftliche - Folgen haben, kann davon
ausgegangen werden, dass die für den Familienzusammenhalt
bedeutsamen Ereignisse den Folgegenerationen im Sinne einer "Oral
History" weitervermittelt werden. Soweit eine Namensänderung im Zuge
der "Türkifizierung" von Kurden in den dreißiger Jahren des letzten
Jahrhunderts in Rede steht, hat sogar die Klageschrift selbst angemerkt,
die dabei vergebenen "ordentlichen" türkischen Namen seien von den
87
88
89
90
91
betroffenen Familien durchweg zunächst nicht akzeptiert worden. Es ist
wenig wahrscheinlich, dass solche einschneidenden Ereignisse - und die
dabei oktroyierten Namen - schon nach wenigen Generationen in
Vergessenheit geraten, zumal sie auch für die Registrierung von
Grundeigentum Bedeutung haben konnten, das die Familie des Kläger
im Herkunftsort Davudi nach einer Zeugenaussage noch hatte.
Schließlich dürften auch die zuständigen Scheichs angesichts der ihnen
im Yezidentum eingeräumten, nicht nur religiösen Rolle eine verlässliche
familiengeschichtliche Quelle darstellen."
Vor diesem Hintergrund sieht der Senat die Voraussetzungen für eine
durchgreifende Ermessensreduzierung nicht als gegeben an. Soweit das
Verwaltungsgericht seine gegenteilige Annahme auch mit den bisherigen
Integrationsleistungen des Klägers begründet hat, ist damit zweifellos ein
gewichtiger Abwägungsgesichtspunkt bezeichnet. Zu einer gelungenen
Integration gehört indes auch, dass Mitwirkungspflichten, wie sie hier gegeben
sind, bereitwillig und vollständig erfüllt werden und dass auch die Erfüllung der
ordnungsrechtlichen Aufgaben des Staates als wesentlicher Teil des
gesellschaftlichen Zusammenlebens akzeptiert wird. Diese Umstellung ist dem
Kläger nach dem sich aus dem vorliegenden Verfahren ergebenden Eindruck
noch nicht vollends gelungen.
Denkbar ist, dass die Mitwirkungsdefizite mit zunehmendem Zeitablauf und
weiterer Integration der Gesamtfamilie an Gewicht verlieren und in ihrer
Bedeutung zusätzlich durch den Umstand geschmälert werden, dass die
Bundesrepublik Deutschland angesichts der gegenwärtigen Ereignisse in
Syrien vermutlich eine Vielzahl von Menschen aus dieser Region aufnehmen
wird, deren Status häufig kaum besser nachvollziehbar sein wird.
Möglicherweise wird auch der Kläger selbst bei einem Fortbestehen der
gegenwärtigen Verhältnisse in Syrien auf anderer rechtlicher Grundlage eine
Niederlassungserlaubnis erlangen können (§ 26 Abs. 3 AufenthG). Das nötigt
jedoch nicht dazu, solchen Entwicklungen bereits zum jetzigen Zeitpunkt
vorzugreifen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO
i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht
vor.