Urteil des OVG Niedersachsen vom 28.08.2013

OVG Lüneburg: windenergie, öffentliche bekanntmachung, satzung, mindestabstand, stadt, öffentlichkeit, begriff, einfluss, gerichtspraxis, kategorie

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Regionales Raumordnungsprogramm, sachlicher
Teilabschnitt Windenergie - Normenkontrollverfahren
1. Wird eine Konzentrationsplanung nach § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB durch
eine nachfolgende Konzentrationsplanung außer Kraft gesetzt, besteht das
Rechtsschutzbedürfnis für ein Normenkontrollverfahren gegen die
vorausgehende Konzentrationsplanung fort, wenn die Möglichkeit besteht,
dass die vorausgehende Konzentrationsplanung wieder auflebt.
2. Zu den Anforderungen, die an die Differenzierung zwischen harten und
weichen Tabuzonen im Planungsprozess und die diesbezügliche
Dokumentation zu stellen sind (insoweit wie 12 KN 146/12).
OVG Lüneburg 12. Senat, Urteil vom 28.08.2013, 12 KN 22/10
§ 35 Abs 3 S 3 BauGB, § 5 RaumOG ND, § 10 RaumOG ND, § 28 RaumOG, § 12
RaumOG, § 5 RaumOG, § 47 VwGO
Tatbestand
Die Antragstellerin wendet sich mit ihrem Normenkontrollantrag gegen den am
15. Januar 2009 bekannt gemachten sachlichen Teilabschnitt Windenergie
des Regionalen Raumordnungsprogramms (RROP) 2000 des
Antragsgegners.
Der Kreistag des Antragsgegners beschloss am 17. Juli 2006 den sachlichen
Teilabschnitt Windenergie seines RROP 2000 zu ändern und das
Änderungsverfahren durch öffentliche Bekanntmachung der allgemeinen
Planungsabsichten einzuleiten. Die öffentliche Bekanntmachung der
allgemeinen Planungsabsichten erfolgte im Amtsblatt des Landkreises
Emsland vom 18. Juli 2006. Den erarbeiteten Entwurf zur Änderung und
Ergänzung des Teilbereichs Windenergie leitete der Antragsgegner den
Beteiligten unter dem 19. Dezember 2007 zur Stellungnahme bis zum 25. März
2008 zu. Der Entwurf lag zur Unterrichtung und Anhörung der Öffentlichkeit in
der Zeit vom 28. Januar bis zum 29. Februar 2008 u.a. in einem
Dienstgebäude des Antragsgegners zur Einsichtnahme aus und konnte im
Internet eingesehen werden. Die eingegangenen Anregungen und Bedenken
wurden mit den Beteiligten und einigen privaten Einwendern am 2. Juni 2008
erörtert.
Bei der Änderung und Ergänzung für den sachlichen Teilabschnitt
Windenergie des RROP 2000 ging der Antragsgegner davon aus, dass die
Rahmenbedingungen im Kreis insgesamt einen wirtschaftlichen Betrieb von
Windenergieanlagen ermöglichen, er verzichtete insofern auf eine aktuelle
Ermittlung der Windhöffigkeit. Unter den weiteren planerischen Prämissen,
dass planungsrechtlich gesicherte Windkraftanlagen Bestands- und
Vertrauensschutz genießen, sich für das Repowering insoweit
Einschränkungen ergeben könnten, die Mindestgröße neuer Vorranggebiete
35 ha und der Mindestabstand zwischen planungsrechtlich abgesicherten
Windparks 5 km sei sowie die visuelle Empfindlichkeit des Landschaftsbilds zu
überprüfen sei, untersuchte der Antragsgegner das Kreisgebiet anhand der in
Anlage 2.1 zur Begründung im Einzelnen definierten „Ausschlusskriterien
mitsamt Schutz- und Vorsorgeabständen“ (u.a. Wohnbebauung in Ortslagen
(1.000 m), sonstige wohnbauliche Nutzung außerhalb von Ortslagen (800 m),
Natur- und Landschaftsbereiche wie EU-Vogelschutzgebiete (1.000 m) und
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Naturschutzgebiete (200 m), Erholungsgebiete wie Campingplätze (1.000 m),
Wald (200 m), ELT- und Rohrfernleitungen sowie Verkehrs- und
Wasserflächen). Es wurden 112 Potentialflächen mit einer Größe von 2.172 ha
festgestellt. Auf diese 112 Potentialflächen wurde das - weitere -
„Ausschlusskriterium“ Abstand zwischen raumbedeutsamen Windparks (5.000
m) angewendet, es verblieben 56 Potentialflächen mit einer Größe von 1.573
ha. Nach Anwendung des Kriteriums der Mindestfläche von 35 ha verblieben
12 Potentialflächen mit einer Größe von 1.123 ha. Bei der Anwendung der sog.
„eingeschränkten Ausschlusskriterien bzw. Kriterien mit besonderen
Abwägungserfordernissen mitsamt Schutz- und Vorsorgeabständen“ (z.B.
Vorsorgegebiete für Natur und Landschaft (200 m) und für
Grünlandbewirtschaftung (kein Mindestabstand), avifaunistisch wertvolle
Gebiete für Gast- und Brutvögel von landesweiter und regionaler Bedeutung
(500 m)) entfielen von den 12 zwei weitere Potentialflächen. Bei den
verbliebenen Flächen erfolgte eine Umweltprüfung einschließlich einer
Überprüfung der visuellen Empfindlichkeit des Landschaftsbilds. Danach
wurden sechs Potentialflächen als mögliche neue Vorranggebiete oder
Erweiterungen von bestehenden Vorranggebieten bestätigt (Gemeinde G. - H.,
Detailkarte 1 -, Samtgemeinde I. - J., Detailkarte 2 -, Samtgemeinde K. - L.,
Detailkarte 3 -, Stadt M. - N., Detailkarte 4 -, Samtgemeinde O. - P., Detailkarte
5 -, Samtgemeinde Q. - R., Detailkarte 6 -). Diese teilweise neuen und teilweise
bestehende Vorranggebiete erweiternden Potentialflächen wurden zusätzlich
zu sechs bisherigen und unverändert übernommenen Standorten
(Vorranggebiet Gemeinde G. - S., Detailkarte 7 -, Vorranggebiet
Samtgemeinde K. - T., Detailkarte 8 -, Vorranggebiet Stadt U. /Samtgemeinde
V. - W., Detailkarte 9 -, Vorranggebiet Gemeinde X. - Detailkarte 10 -,
Vorranggebiet Stadt Y. - Detailkarte 11 -, Vorranggebiet Stadt Z. -
Detailkarte 12 -) planerisch als Vorranggebiete ausgewiesen. Des Weiteren
zeichnerisch dargestellt ist ein Vorbehaltsgebiet für Forschung und
Entwicklung zur Verstetigung und Speicherung von Strom aus Windenergie in
AA. - Detailkarte A -. Die Änderung und Ergänzung für den sachlichen
Teilabschnitt Windenergie des RROP 2000 führte dazu, dass rd. 234 ha
zusätzlich als Vorranggebiet ausgewiesen wurden (insgesamt rd. 2.266 ha
statt der bisherigen 2.032 ha und einer Windenergieleistung von 1.000 bis
1.500 MW statt 550 MW).
In seiner beschreibenden Darstellung legt der sachliche Teilabschnitt
Windenergie des RROP 2000 in seiner am 15. Januar 2009 bekannt
gemachten Fassung unter D 3.5 in Sätzen 1 und 2 fest, dass die Errichtung
von raumbedeutsamen Windenergieanlagen außerhalb der in der
zeichnerischen Darstellung festgelegten Vorranggebiete für
Windenergienutzung nicht zulässig ist. In Satz 6 heißt es weiter: „Außerhalb
der festgelegten ‚Vorranggebiete für Windenergienutzung‘ ist das Repowering
von Windenergieanlagen in bauleitplanerisch bereits rechtsgültig gewordenen
Sonderbauflächen und Sondergebieten für Windenergiegewinnung möglich,
wenn das Orts- und Landschaftsbild nicht verschlechtert wird und im übrigen
alle weiteren im Einzelfall noch zu prüfenden rechtlichen Voraussetzungen
eingehalten werden.“
Der Kreistag des Antragsgegners fasste den Satzungsbeschluss über die
beschriebene Änderung und Ergänzung für den sachlichen Teilabschnitt
Windenergie am 30. Juni 2008. Das Niedersächsische Ministerium für
Ernährung, Landwirtschaft, Verbraucherschutz und Landesentwicklung
genehmigte die Satzung am 2. Dezember 2008. Die öffentliche
Bekanntmachung erfolgte am 15. Januar 2009 im Amtsblatt des Landkreises
Emsland. Die Bekanntmachung enthielt den Hinweis, dass eine Verletzung
von Verwaltungs- und Formvorschriften bei der Aufstellung oder Änderung von
Raumordnungsplänen unbeachtlich ist, wenn sie nicht innerhalb eines Jahres
schriftlich geltend gemacht worden ist, die Jahresfrist beginnt mit der
öffentlichen Bekanntmachung.
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Die Antragstellerin hatte bereits am 17. Juni, 15. Juli, 5. und 25. August sowie
19. September 2008 Nutzungsverträge betreffend die Errichtung und den
Betrieb von Windenergieanlagen mit unterschiedlichen Eigentümern von in der
Samtgemeinde AB. gelegenen Grundstücken geschlossen. Ende
August/Anfang September 2008 waren fünf Anträge auf Erteilung
entsprechender immissionsschutzrechtlicher Vorbescheide gestellt worden.
Die Antragstellerin hat mit am 14. Januar 2010 bei Gericht eingegangenem
und dem Antragsgegner am 20. Januar 2010 zugestelltem Schriftsatz einen
Normenkontrollantrag gegen die Satzung vom 15. Januar 2009, Teilbereich
Windenergie, gestellt. Sie hat ihren Antrag mit ihrem Schriftsatz vom 14. Januar
2010 zunächst wie folgt begründet: Sie sei Inhaberin langjähriger
Pachtverträge mit mehreren planbetroffenen Grundstückseigentümern und als
solche antragsbefugt. Der Antrag sei begründet. Der Antragsgegner habe das
Gegenstromprinzip verletzt, er habe die Darstellungen der
Konzentrationszonen/Sonderbauflächen in den Flächennutzungsplänen der
Gemeinden nicht ausreichend beachtet. Die Regelung zur Möglichkeit eines
Repowerings in bauleitplanerisch festgesetzten Sonderbauflächen und
Sondergebieten für Windenergiegewinnung stehe im Widerspruch zu der mit
der Raumplanung beabsichtigten Ausschlusswirkung. Der Vorbehalt, dass bei
einem Repowering in diesen Gebieten das Orts- und Landschaftsbild nicht
verschlechtert werden dürfe, sei zu unbestimmt. Die Planung des
Antragsgegners sei aus verschiedenen Gründen abwägungsfehlerhaft. Die
diesbezügliche und weitere Begründung des Normenkontrollantrags erfolge
mit gesondertem Schriftsatz.
Der Kreistag des Antragsgegners hat am 17. Januar 2011 die Satzung über
die Festsetzung des RROP 2010 beschlossen. Das Niedersächsische
Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft, Verbraucherschutz und
Landesentwicklung hat die betreffende Satzung unter dem 1. April 2011
genehmigt. Die öffentliche Bekanntmachung der Genehmigung des RROP
2010 erfolgte am 31. Mai 2011 im Amtsblatt des Landkreises Emsland. Mit
dieser Bekanntmachung ist gemäß § 2 Abs. 2 der Satzung über die
Feststellung des RROP 2010 u.a. die - hier angegriffene - sachliche
Teilfortschreibung Windenergie außer Kraft getreten. Das RROP 2010 des
Antragsgegners ist Gegenstand des weiteren Normenkontrollverfahrens der
Antragstellerin 12 KN 146/12.
Die Antragstellerin hat erklärt, auch das vorliegende Verfahren fortführen zu
wollen. Im Falle der Unwirksamkeit des sachlichen Teilabschnitts Windenergie
des RROP 2010 falle man auf den hier angegriffenen, am 15. Januar 2009
bekannt gemachten sachlichen Teilabschnitt Windenergie zurück. Mit
Schriftsatz vom 25. Januar 2012 hat sie ergänzend vorgetragen: Die Planung
genüge nicht den Anforderungen, die an ein schlüssiges gesamträumliches
Planungskonzept zu stellen seien. Der Antragsgegner hätte bei seiner
Planung stufenweise vorgehen und mit einer Festlegung von Tabuzonen
beginnen müssen. Dabei hätte zwischen harten und weichen Tabuzonen
differenziert und die Abgrenzung dokumentiert werden müssen. Der
Antragsgegner habe indessen die harten Tabuzonen nicht ermittelt und sich
keine Klarheit darüber verschafft, welche Flächen sich innerhalb seines
Kreisgebiets nach ihrem Abzug ergeben würden. Stattdessen habe er eine
Ermittlung von Potentialflächen auf der Grundlage von Ausschlussgebieten
und Abstandszonen vorgenommen. So seien etwa zu „Wohnbebauung -
Innenbereich“ ein außergewöhnlicher Abstand von 1.000 m, zu
Wohnbebauung im Außenbereich ein solcher von 800 m vorgesehen worden.
Harte und weiche Ausschlusskriterien seien im Ausgangspunkt vermischt
worden. Ein Überblick über das im Kreisgebiet tatsächlich vorhandene
Potential ergebe sich bei dieser Vorgehensweise nicht. Die am Ende des
Planungsprozesses anzustellende Betrachtung, ob der Windenergie
substantiell Raum gewährt worden sei, sei nicht möglich. Wären zunächst nur
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die harten Tabuzonen ausgeschieden worden, hätte sich ein größeres
Flächenpotential ergeben. Die Auswahl unter den Flächen, die an dem auf der
späteren Planungsebene angewendeten Größenkriterium scheiterten, wäre
größer gewesen. Nur ein solches Vorgehen hätte es auch ermöglicht zu
ermitteln, wie viele Windenergieanlagen errichtet werden könnten, unterbliebe
eine Planung. Im Ergebnis liege eine Verhinderungsplanung vor.
Die Antragstellerin beantragt,
das Regionale Raumordnungsprogramm für den Landkreis Emsland,
Änderung und Ergänzung für den sachlichen Teilabschnitt
Windenergie, öffentlich bekannt gemacht am 15. Januar 2009, für
unwirksam zu erklären.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Er trägt vor: Der Antrag sei jedenfalls unbegründet. Er habe unter
Berücksichtigung der verschiedenen raumbezogenen Nutzungsinteressen der
Windenergie hinreichend Raum verschafft. Der maßgebliche Erlass des
Niedersächsischen Innenministeriums vom 28. Juni 1995 fordere in seinem
Kreisgebiet eine Entwicklung der Windenergie in einer Größenordnung von
160 MW. Die angefochtene Teilfortschreibung Wind ermögliche eine
Windenergieleistung von (seinerzeit) 700 MW. In seinem Gebiet werde der
Bruttostrombedarf zu 94 % aus erneuerbaren Energien gedeckt. Die
Leitungsnetze stießen an ihre Kapazitätsgrenzen. Von einer
„Feigenblattplanung“ könne nicht die Rede sein. Neben den durch das RROP
gesicherten Vorranggebieten würden 914 ha bauleitplanerisch für die
Windenergie gesichert. Insgesamt stünden dieser Nutzung 1,84 % des
Kreisgebiets zur Verfügung. Die Planung weise keine Abwägungsmängel auf.
Er habe in einem ersten Schritt den planerisch gesicherten Bestand
(bauleitplanerisch und raumordnerisch) berücksichtigt. Er sei sich bewusst
gewesen, welche - tatsächlich sehr großen - Flächen innerhalb seines
Kreisgebiets für die Nutzung der Windenergie potentiell geeignet seien. Vor
diesem Hintergrund sei es nicht zu beanstanden, dass er sogleich die harten
und weichen Tabuzonen festgelegt habe. Die gewählten Abstände seien
durch den Vorsorgegrundsatz gerechtfertigt und durch seinen
Beurteilungsspielraum gedeckt. Selbst wenn man zu der Auffassung gelangen
sollte, es liege ein Abwägungsfehler vor, schlage dieser Fehler nicht auf das
Abwägungsergebnis durch. Eine „Feigenblattplanung“ sei - wie dargestellt -
nicht betrieben worden. Das Gegenstromprinzip sei nicht verletzt. Die von den
Gemeinden im Rahmen der Bauleitplanung festgesetzten Vorranggebiete
seien in das RROP aufgenommen worden, sofern sie den Kriterien der
Regionalplanung genügten. Sofern die Kriterien nicht erfüllt seien, seien die
Gemeinden von der Anpassungspflicht freigestellt worden, um ein Repowering
zu ermöglichen. Die vorgesehene Repoweringmöglichkeit sei weder
widersprüchlich noch zu unbestimmt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des
Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die Beiakten verwiesen, die in ihren
wesentlichen Teilen Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Der Antrag ist zulässig (dazu unter I.) und begründet (dazu unter II.).
I. Der Antrag ist zulässig. Die Antragstellerin ist antragsbefugt im Sinne des
§ 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO. Sie kann geltend machen, durch die Satzung oder
deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit
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verletzt zu werden. Für die Geltendmachung einer Rechtsverletzung ist es
ausreichend, wenn ein Antragsteller hinreichend substantiiert Tatsachen
vorträgt, die es zumindest als möglich erscheinen lassen, dass er durch den
zur Prüfung gestellten Rechtssatz in einem subjektiven Recht verletzt wird. Die
Verletzung eines derartigen subjektiven Rechts kann dabei auch aus einem
Verstoß gegen das in § 7 Abs. 7 ROG a.F. i.V.m. § 6 NROG a.F. (d.h., in der
Fassung vom 7. Juni 2007) bzw. § 7 Abs. 2 ROG n.F. (also in der ab dem 30.
Juni 2009 geltenden Fassung) enthaltene Abwägungsgebot folgen. Dieses
Gebot hat hinsichtlich solcher privater Belange drittschützenden Charakter, die
für die Abwägung erheblich sind. Antragsbefugt ist also, wer sich auf einen
abwägungserheblichen privaten Belang berufen kann. Haben - wie hier -
raumordnerische Zielfestlegungen etwa infolge § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB
nachteilige Wirkungen für die Rechtsstellung von Privaten, sind deren Belange
bei der Abwägung zu berücksichtigen (BVerwG, Urt. v. 13.11.2006 - 4 BN
18.06 -, NVwZ 2007, 229, juris). Zum Kreis der insoweit nachteilig Betroffenen
gehören neben den Eigentümern von Grundstücken innerhalb des
Plangebiets u.a. die dinglich und die obligatorisch hinsichtlich dieser
Grundstücke Nutzungsberechtigten (BVerwG, Beschl. v. 7.4.1995 - 4 NB 10.95
-, NVwZ-RR 1996, 8, juris; Nds. OVG, Urt. v. 17.6.2013 - 12 KN 80/12 -, NuR
2013, 580, juris Rdn. 22; vgl. auch Sächs. OVG, Urt. v. 19.7.2012 - 1 C 40/11 -,
juris Rdn. 35; OVG Meckl.-Vorp., Urt. v. 20.5.2009 - 3 K 24/05 -, juris Rdn. 52
f.). Zu Letzteren ist die Antragstellerin zu rechnen. Ausweislich der von ihr mit
Landeigentümern geschlossenen Nutzungsverträge zur Errichtung von
Windkraftanlagen vom 17. Juni, 15. Juli, 5. und 25. August sowie
19. September 2008 hat sie entsprechende obligatorische Nutzungsrechte an
Grundstücken erworben, die zwar im Plangebiet, aber außerhalb der
vorgesehenen Vorrang- und Eignungsgebiete liegen. Die Nutzungsrechte
wurden zwischenzeitlich bis zum 31. Dezember 2015 verlängert. Insofern ist
sie von den raumordnerischen Zielfestlegungen rechtlich nachteilig betroffen
und waren ihre Belange bei der Abwägung zu berücksichtigen.
Die Antragstellerin ist mit ihren Belangen auch nicht ausgeschlossen. Das
Beteiligungsverfahren ist nach näherer Maßgabe des § 5 NROG in der ab dem
1. Juni 2007 und bis zum 31. August 2012 geltenden und damit hier
maßgeblichen Fassung durchgeführt worden. Nach Absatz 6 der genannten
Vorschrift war der Öffentlichkeit frühzeitig Gelegenheit zur Stellungnahme zu
dem Entwurf des Raumordnungsplans, dessen Begründung und dem
Umweltbericht zu geben; in der Bekanntmachung war darauf hinzuweisen,
dass bis spätestens zwei Wochen nach Ablauf der Auslegungsfrist in
schriftlicher oder elektronischer Form Stellung genommen werden könne. § 5
Abs. 7 NROG sah vor, dass Stellungnahmen, die nicht rechtzeitig abgegeben
worden waren, im weiteren Verfahren unberücksichtigt bleiben konnten, wenn
bei der Fristsetzung nach Abs. 6 darauf hingewiesen worden war (Satz 1).
Dies galt nicht, soweit die vorgebrachten Belange dem Planungsträger bereits
bekannt waren oder hätten bekannt sein müssen oder soweit sie für die
Rechtmäßigkeit des Raumordnungsplans von Bedeutung waren (Satz 2).
Zwar hatte die Antragstellerin im Beteiligungsverfahren nicht Stellung
genommen. Der Antragsgegner hatte jedoch die Öffentlichkeit auch nicht
entsprechend den Vorgaben des § 5 Abs. 6 NROG unter Hinweis auf den in §
5 Abs. 7 NROG vorgesehenen Einwendungsausschluss beteiligt. Ungeachtet
dessen decken sich die von der Antragstellerin gerügten Mängel betreffend die
fehlende Differenzierung zwischen harten und weichen Tabuzonen im
Planungsprozess mit denen, die bereits die Firma AC. in ihrer Stellungnahme
vom 11. März 2008 geltend gemacht hatte. Schließlich sind die Belange der
Antragstellerin auch für die Rechtmäßigkeit des Raumordnungsplans von
Bedeutung. Es handelt sich bei der gebotenen Differenzierung nach den
genannten Kriterien um grundlegende objektive Anforderungen an den
Planungsprozess, die stets einzuhalten sind.
Auch das Rechtsschutzbedürfnis ist gegeben. Es fehlt nicht deshalb, weil
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gemäß § 2 Abs. 2 der Satzung über die Feststellung des RROP 2010 die - hier
angegriffene - sachliche Teilfortschreibung Windenergie mit der
Bekanntmachung am 31. Mai 2011 außer Kraft getreten ist. Im Zeitpunkt der
mündlichen Verhandlung bestand die - zwischenzeitlich realisierte -
Möglichkeit, dass die sachliche Teilfortschreibung Windenergie des RROP
2000 wieder auflebt. § 2 Abs. 2 der Satzung über die Feststellung des RROP
2010 lässt nicht erkennen, dass der Außerkrafttretensbefehl etwa auch für den
- mit Erlass des Urteils vom 28. August 2013 im Verfahren 12 KN 146/12
eingetretenen - Fall Bestand haben soll, dass die Festsetzungen im sachlichen
Teilabschnitt Windenergie des RROP 2010 für unwirksam erklärt werden (vgl.
zu diesem Erfordernis BVerwG, Urt. v. 10.8.1990 - 4 C 3.90 -, BVerwGE 85,
289, juris). Vielmehr ist vom Gegenteil auszugehen. Der sachliche
Teilabschnitt Windenergie des RROP 2010 baut auf der hier angegriffenen
Teilfortschreibung Windenergie des RROP 2000 auf; nach einer
Plausibilitätsprüfung sind die Festsetzungen der sachlichen Teilfortschreibung
im Wesentlichen im sachlichen Teilabschnitt Windenergie des RROP 2010
übernommen worden. Dieser Umstand spricht gegen einen Willen des
Planungsträgers, die Festsetzungen des früheren sachlichen Teilabschnitts
Windenergie auf jeden Fall - also etwa auch für den (eingetretenen) Fall der
Unwirksamkeit der entsprechenden Festsetzungen des neuen sachlichen
Teilabschnitts Windenergie des RROP 2010 ersatzlos - beseitigen zu wollen.
Im Hinblick auf die insoweit vorzunehmende Auslegung des § 2 Abs. 2 der
Satzung über die Feststellung des RROP 2010 ist davon auszugehen, dass
die hier angegriffene Änderung und Ergänzung für den sachlichen
Teilabschnitt Windenergie mit der im Urteil des Senats vom 28. August 2013 im
Verfahren 12 KN 146/12 vorgenommenen Unwirksamkeitserklärung des
sachlichen Teilabschnitts Windenergie des RROP 2010 wieder auflebt.
II. Der Antrag, die am 15. Januar 2009 bekannt gemachte Änderung und
Ergänzung für den sachlichen Teilabschnitt Windenergie des RROP 2000 für
unwirksam zu erklären, ist begründet.
1. Es liegen beachtliche materielle Fehler im Abwägungsvorgang vor.
a) Die sachliche Teilfortschreibung Windenergie des RROP 2000 genügt nicht
den Anforderungen, die an ein schlüssiges gesamträumliches
Planungskonzept zu stellen sind. In diesem Teilbereich hat der Antragsgegner
- unbeschadet der weiteren Zielfestlegung betreffend das Repowering von
Windenergieanlagen in bauleitplanerisch bereits rechtsgültig gewordenen
Sonderbauflächen und Sondergebieten für Windenergiegewinnung - nach
Maßgabe des § 3 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 und 3, Satz 2 NROG in der ab dem
1. Juni 2007 und bis zum 31. August 2012 geltenden Fassung Vorrang- und
Eignungsgebiete für Windenergiegewinnung ausgewiesen mit dem Ziel einer
dortigen Konzentration von raumbedeutsamen Windkraftanlagen und ihres
Ausschlusses außerhalb dieser Standorte. Einer derartigen, nach § 35 Abs. 3
Satz 3 BauGB möglichen Konzentrationsplanung muss ein anhand der
Begründung bzw. Erläuterung sowie der Aufstellungsunterlagen bzw. der
Verfahrensakten nachvollziehbares (vgl. Nds. OVG, Urt. v. 28.1.2010 - 12 LB
243/07 -, juris Rdn. 35 ff., 37; Urt. v. 11.7.2007 - 12 LC 18/07 -, juris Rdn. 47;
Beschl. v. 29.8.2012 - 12 LA 194/11 -, NordÖR 2012, 494, juris) schlüssiges
gesamträumliches Planungskonzept zu Grunde liegen, das nicht nur Auskunft
darüber gibt, von welchen Erwägungen die positive Standortzuweisung
getragen wird, sondern auch die Gründe für die beabsichtigte Freihaltung des
übrigen Planungsraums von Windenergieanlagen aufzeigt. Nach der jüngsten
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 11.4.2013 - 4 CN
2.12 -, NuR 2013, 489, und v. 13.12.2012 - 4 CN 1.11 und 2.11 -, DVBl 2013,
507, jeweils auch juris), der sich der Senat angeschlossen hat (Urt. v.
17.6.2013 - 12 KN 80/12 -, NuR 2013, 580; Beschl. v. 16.5.2013 - 12 LA 49/12
-, ZUR 2013, 504, jeweils auch in juris), muss sich die Ausarbeitung des
Planungskonzepts in folgenden Abschnitten vollziehen: In einem ersten
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Arbeitsschritt sind diejenigen Bereiche als "Tabuzonen" zu ermitteln, die für die
Nutzung der Windenergie nicht zur Verfügung stehen. Die Tabuzonen lassen
sich in "harte" und "weiche" untergliedern. Der Begriff der harten Tabuzonen
dient der Kennzeichnung von Teilen des Planungsraums, die für eine
Windenergienutzung nicht in Betracht kommen, mithin für eine
Windenergienutzung "schlechthin" ungeeignet sind. Mit dem Begriff der
weichen Tabuzonen werden Bereiche des Plangebiets erfasst, in denen nach
dem Willen des Plangebers aus unterschiedlichen Gründen die Errichtung von
Windenergieanlagen "von vornherein" ausgeschlossen werden "soll". Die
Potentialflächen, die nach Abzug der harten und weichen Tabuzonen übrig
bleiben, sind in einem weiteren Arbeitsschritt zu den auf ihnen konkurrierenden
Nutzungen in Beziehung zu setzen, d.h. die öffentlichen Belange, die gegen
die Ausweisung eines Landschaftsraums als Konzentrationszone sprechen,
sind mit dem Anliegen abzuwägen, der Windenergienutzung an geeigneten
Standorten eine Chance zu geben, die ihrer Privilegierung nach § 35 Abs. 1
Nr. 5 BauGB gerecht wird. Auf der ersten Stufe des Planungsprozesses muss
sich dabei der Planungsträger den Unterschied zwischen harten und weichen
Tabuzonen bewusst machen und ihn dokumentieren. Das ist dem Umstand
geschuldet, dass die beiden Arten der Tabuzonen nicht demselben rechtlichen
Regime unterliegen. Bei den harten Tabuzonen handelt es sich um Flächen,
auf denen die Windenergienutzung aus tatsächlichen oder rechtlichen
Gründen ausgeschlossen ist. Sie sind einer Abwägung zwischen den
Belangen der Windenergienutzung und widerstreitenden Belangen entzogen.
Demgegenüber sind weiche Tabuzonen zu den Flächen zu rechnen, die einer
Berücksichtigung im Rahmen der Abwägung zugänglich sind. Zwar dürfen sie
anhand einheitlicher Kriterien ermittelt und vorab ausgeschieden werden,
bevor diejenigen Belange abgewogen werden, die im Einzelfall für und gegen
die Nutzung einer Fläche für die Windenergie sprechen. Das ändert aber
nichts daran, dass sie der Ebene der Abwägung zuzuordnen sind. Sie sind
disponibel, was sich daran zeigt, dass raumplanerische Gesichtspunkte hier
nicht von vornherein vorrangig sind und der Plangeber die weichen
Tabuzonen einer erneuten Betrachtung und Bewertung unterziehen muss,
wenn er als Ergebnis seiner Untersuchung erkennt, dass er für die
Windenergienutzung nicht substantiell Raum schafft. Seine Entscheidung für
weiche Tabuzonen muss der Plangeber rechtfertigen. Dazu muss er
aufzeigen, wie er die eigenen Ausschlussgründe bewertet, d.h. kenntlich
machen, dass er - anders als bei harten Tabukriterien - einen
Bewertungsspielraum hat, und die Gründe für seine Wertung offenlegen.
Diesen Maßgaben genügt die Planung des Antragsgegners nicht.
b) Der Antragsgegner hat im Planungsprozess nicht ausdrücklich zwischen
harten und weichen Tabuzonen unterschieden. Die Begründung und die
Aufstellungsunterlagen zur sachlichen Teilfortschreibung Windenergie des
RROP 2000 lassen nicht erkennen, dass der Antragsgegner in der Sache
(vgl. dazu OVG Koblenz, Urt. v. 16.5.2013 - 1 C 11003/12.OVG -, ZNER 2013,
435, 436) hinreichend zwischen beiden differenziert hat. Die Differenzierungen
sind jedenfalls nicht hinreichend dokumentiert. Im Einzelnen:
Der Antragsgegner hat „Ausschlusskriterien mitsamt Schutz- und
Vorsorgeabständen“ und „eingeschränkte Ausschlusskriterien bzw. Kriterien
mit besonderen Abwägungserfordernissen mitsamt Schutz- und
Vorsorgeabständen“ definiert. Bei der Zuordnung der Kriterien in die jeweiligen
Kategorien hat er sich nicht an der maßgeblichen Fragestellung orientiert, ob
es sich jeweils um rechtliche bzw. tatsächliche Ausschlussgründe handelt oder
nicht. Der Begriff „Ausschlusskriterien“ deutet - zumal vor dem Hintergrund der
weiteren von ihm gewählten Kategorie „eingeschränkte Ausschlusskriterien
bzw. Kriterien mit besonderen Abwägungserfordernissen“ - darauf hin, dass er
die in diese Kategorie fallenden Kriterien insgesamt als nicht abwägungsoffen
bzw. harte Kriterien angesehen hat. In Teilen betrifft es in der Tat auch harte
Tabuzonen. Dies gilt jedenfalls für die Kriterien Wohnbebauung, sonstige
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wohnbauliche Nutzung, Naturschutzgebiete und die Bereiche der angeführten
Verkehrs- und Energieanlagen (vgl. auch OVG Berlin-Bbg., Urt. v. 24.2.2011 -
OVG 2 A 2.09 -, juris Rdn. 62; Gatz, Windenergieanlagen in der Verwaltungs-
und Gerichtspraxis, 2. Aufl., Rdn. 75). Anderes gilt allerdings für die
„Ausschlusskriterien“ „Abstand zwischen raumbedeutsamen Windparks (5.000
m)“, „Vorsorgegebiete für Forstwirtschaft“ und „Waldflächen“ (vgl. zu letzterem
OVG Berlin-Bbg., Urt. v. 24.2.2011 - OVG 2 A 2.09 -, juris Rdn. 69; Gatz,
Windenergieanlagen in der Verwaltungs- und Gerichtspraxis, 2. Aufl., Rdn. 76;
Schröter, Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit von Bauvorhaben im
Außenbereich, 2010, S. 898). Mit diesen Kriterien sind nicht Gebiete erfasst, in
denen die Windenergienutzung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen
ausgeschlossen ist. Sie dürfen daher auch nicht als harte Tabuzonen
behandelt werden. Aus der Begründung zu den Kriterien „Abstand zwischen
raumbedeutsamen Windparks (5.000 m)“, „Vorsorgegebiete für Forstwirtschaft“
und „Waldflächen“ folgt, dass sich der Antragsgegner letztlich auch bewusst
gewesen ist, dass es sich hierbei nicht um zwingende Ausschlussgründe
handelt. So heißt es zum 5.000 m-Abstandskriterium, aus dem ministeriellen
Windenergieerlass ergebe sich, dass Windenergieanlagen an geeigneten
Standorten konzentriert und zwischen den Standorten ein ausreichender
Abstand eingehalten werden „sollen“, und zu den waldbezogenen
„Ausschlusskriterien“, Waldränder einschließlich einer Übergangszone (200 m)
„sollten“ möglichst von störenden Nutzungen freigehalten werden. Ihre
Einstufung als „Ausschlusskriterien“ lässt es indessen nicht als
ausgeschlossen erscheinen, dass bei den Mitgliedern der Kreisvertretung als
Beschlussorgan und der im Aufstellungsverfahren beteiligten Öffentlichkeit der
Eindruck entstanden sein könnte, es gebe keine Alternative zu der
Behandlung dieser Flächen. Anhand der Planungsunterlagen, insbesondere
den methodischen Bearbeitungsschritten (Begründung für die Änderung und
Ergänzung für den sachlichen Teilabschnitt Windenergie des RROP 2000 S.
9), erschließt sich im Übrigen, dass diese Flächen in der Sache auch
tatsächlich von vornherein ausgesondert und damit als solche behandelt
worden sind, die für eine Windenergienutzung nicht in Betracht kommen,
mithin für eine Windenergienutzung "schlechthin" ungeeignet sind. Soweit der
Antragsgegner im Verfahren 12 KN 146/12 vorgetragen hat, die
Potentialflächen seien „auf der Grundlage von Ausschlussgebieten
(Kernzonen) - harte Tabuzonen (Anm. des Verfassers) - und Schutz- und
Vorsorgeabständen (Abstandszonen) - weiche Tabuzonen (Anm. des
Verfassers) - vorgenommen“ worden, spricht auch dies dafür, dass alle unter
dem Begriff der „Ausschlusskriterien“ erfassten Flächen von vornherein
ausgesondert und damit als solche behandelt worden sind, die für eine
Windenergienutzung nicht in Betracht kommen. In fehlerhafter Weise von
vornherein ausgesondert, also als harte Tabufläche behandelt, wurden auch
diejenigen Flächen, die aufgrund des vom Antragsgegner angewandten -
soweit erkennbar weder ausdrücklich als „Ausschlusskriterium“ noch als
„eingeschränktes Ausschlusskriterium bzw. Kriterium mit besonderen
Abwägungserfordernissen“ bezeichneten - Kriteriums der Mindestgröße der
Potentialfläche von 35 ha aus der weiteren Betrachtung herausgefallen sind
(vgl. dazu Begründung für die Änderung und Ergänzung für den sachlichen
Teilabschnitt Windenergie des RROP 2000 S. 5, 10).
Angesichts dessen kann der Senat offenlassen, ob und inwieweit es sich bei
weiteren vom Antragsgegner als „Ausschlusskriterium“ behandelten Flächen
„FFH-Gebiete“, „EU-Vogelschutzgebiete“, „Avifaunistisch wertvolle Gebiete“
(von internationaler und nationaler Bedeutung) und
„Landschaftsschutzgebiete“ teilweise mitsamt Mindestabständen um harte
Tabuzonen handelt (vgl. dazu OVG Berlin-Bbg., Urt. v. 24.2.2011 - OVG 2 A
2.09 -, juris Rdn. 69; Gatz, Windenergieanlagen in der Verwaltungs- und
Gerichtspraxis, 2. Aufl., Rdn. 73; OVG Koblenz, Urt. v. 16.5.2013 - 1 C
11003/12.OVG -, ZNER 2013, 435, 437; OVG NRW, Urt. v. 1.7.2013 - 2 D
46.12 -, ZNER 2013, 443). Der Antragsgegner hat sich bei der Zuordnung
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auch dieser Kriterien in die Kategorie „Ausschlusskriterien mitsamt Schutz- und
Vorsorgeabständen“ jedenfalls nicht in hinreichender Weise an der
maßgeblichen Fragestellung orientiert, ob es sich jeweils um rechtliche bzw.
tatsächliche Ausschlussgründe handelt oder nicht.
Der Antragsgegner hat zudem nicht in der erforderlichen Weise von seinem
Beurteilungsspielraum und seiner Typisierungsbefugnis Gebrauch gemacht
und zumindest annähernd quantifiziert, welche Bereiche der im
Zusammenhang mit den „Ausschlusskriterien“ jeweils festgelegten Abstände
er als Mindestabstand und damit als harte Tabuzonen und welche Bereiche er
als Vorsorgeabstand und damit als weiche, also disponible Tabuzonen ansieht
(zu diesem Erfordernis BVerwG, Urt. v. 11.4.2013 - 4 CN 2.12 -, NuR 2013,
489, juris; OVG Berlin-Bbg., Urt. v. 24.2.2011 - OVG 2 A 2.09 -, juris Rdn. 65 ff.,
69, 71; Urt. v. 24.2.2011 - OVG 2 A 24.09 -, juris Rdn. 68, 71 ff.; Nds. OVG,
Beschl. v. 16.5.2013 - 12 LA 49/12 -, ZUR 2013, 504, juris; VG Hannover, Urt.
v. 24.11.2011 - 4 A 4927/09 -, juris Rdn. 57; Gatz, Windenergieanlagen in der
Verwaltungs- und Gerichtspraxis, 2. Aufl., Rdn. 75 ff.; OVG NRW, Urt. v.
1.7.2013 - 2 D 46.12 -, ZNER 2013, 443). Unter dem Punkt „Raum- und
Siedlungsstruktur“ hat er benannt: Wohnbebauung in Ortslagen (1.000 m),
sonstige wohnbauliche Nutzungen (auch Einzelhäuser) außerhalb von
Ortslagen (800 m) und Vorranggebiete für industrielle Anlagen (500 m). Zu den
insoweit gewählten Abständen wird in der Anlage 2.1 (S. 16 f.) u.a. ausgeführt,
sie berücksichtigten die unterschiedliche Schutzbedürftigkeit von einzelnen
Nutzungen, es solle sichergestellt werden, dass problematische
Immissionssituationen generell ausgeschlossen seien, so dass man im
Hinblick auf den gebotenen und vorbeugenden Immissionsschutz von
vornherein auf der sicheren Seite liege. Die Ausführungen lassen erkennen,
dass sich der Antragsgegner darüber im Klaren war, dass zwischen dem
immissionsschutzrechtlich gebotenen Mindestabstand und dem - darüber
hinausgehenden - Abstand, der seine Rechtfertigung im Vorsorgegrundsatz
des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BImschG findet, zu unterscheiden war. Dies ergibt
sich auch aus den Ausführungen auf S. 16 der Anlage 2.1, durch die
Festlegung eines einheitlichen Kriterienrahmens und die Anwendung von
Schutz- und Vorsorgeabständen könne das Ziel erreicht werden, mögliche
Beeinträchtigungen und Belästigungen vorsorgend zu vermeiden und zu
minimieren, im ROG und im NROG sei jeweils das Vorsorgeprinzip festgelegt,
nach dem für einzelne Raumfunktionen und Raumnutzungen bei gleichzeitiger
Konfliktminimierung entsprechende Vorsorge zu treffen sei, hieraus leite sich
auch der raumordnerische Auftrag zum Interessenausgleich und zur
Konfliktminimierung zwischen Siedlungsstruktur, Infrastruktur und
Freiraumschutz ab. Der Antragsgegner hat indessen nicht in der erforderlichen
Weise zumindest annähernd quantifiziert, welche Bereiche der jeweils
festgelegten Abstände er als Mindestabstand und damit als harte Tabuzone
und welche Bereiche er als Vorsorgeabstand und damit als weiche, also
disponible Tabuzone ansieht. Dieses Defizit ist - mit Ausnahme des bereits
erwähnten Abstands zu Waldrändern einschließlich einer Übergangszone
(200 m - hier ist die Rede von einem einzubeziehenden minimalen
Aktionsradius der meisten störungsempfindlichen Vogelarten) und der
Abstände zu „avifaunistisch wertvollen Gebieten“; hier ist von aus den
dargelegten Gründen zweifelhaften „Mindestabständen“ die Rede - auch für
die übrigen gewählten Abstände zu konstatieren.
Unter den dargelegten Umständen gibt es keine hinreichenden Anhaltspunkte
für die im Verfahren 12 KN 146/12 geäußerte Annahme des Antragsgegners,
seinen Kreistagsabgeordneten sei bei ihrer Beschlussfassung über den
angefochtenen Teilplan die Unterscheidung zwischen harten und weichen
Tabuzonen (hinreichend) bewusst gewesen. Darauf kommt es indessen
ohnehin nicht entscheidend an. Nach der zitierten Rechtsprechung muss sich
ein Planungsträger den Unterschied zwischen harten und weichen Tabuzonen
nicht nur bewusst machen, sondern ihn auch dokumentieren. Jedenfalls an
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Letzterem fehlt es hier.
c) Die notwendige - hier fehlende - Unterscheidung zwischen den rechtlich und
tatsächlich zwingenden („harten“) Ausschlusskriterien und den einer
Abwägung zugänglichen („weichen“) Kriterien bei der Ermittlung der
Potentialflächen ist auf der Ebene des Abwägungsvorgangs angesiedelt
(BVerwG, Beschl. v. 15.9.2009 - 4 BN 25.09 -, BauR 2010, 82; Urt. v.
11.4.2013 - 4 CN 2.12 -, NuR 2013, 489, und v. 13.12.2013 - 4 CN 1.11 und
2.11 -, DVBl 2013, 507; Nds. OVG, Urt. v. 17.6.2013 - 12 KN 80/12 -, NuR
2013, 580; Beschl. v. 16.5.2013 - 12 LA 49/12 -, ZUR 2013, 504, jeweils auch
in juris). Ob der Fehler im Abwägungsvorgang beachtlich ist, ist nach § 12
Abs. 1 bis 4 ROG in der ab dem 30. Juni 2009 geltenden Fassung vom 22.
Dezember 2008 zu beurteilen. Dies ergibt sich aus § 28 Abs. 2 Satz 1 Hs. 1
ROG. Nach der genannten Vorschrift ist § 12 Abs. 1 bis 4 ROG auf
Raumordnungspläne der Länder entsprechend anzuwenden, die - wie hier -
vor dem 30. Juni 2009 auf der Grundlage der Raumordnungsgesetze der
Länder in Kraft getreten sind. Ergänzend sind die der Planerhaltung dienenden
Vorschriften in den Raumordnungsgesetzen der Länder über die form- und
fristgerechte Geltendmachung und über die Rechtsfolgen einer nicht form- und
fristgerechten Geltendmachung der Verletzung von Verfahrens- und
Formvorschriften, von Mängeln der Abwägung und von sonstigen Vorschriften
weiterhin anzuwenden (§ 28 Abs. 2 Satz 1 Hs. 2 ROG).
Nach § 12 Abs. 3 Satz 2 ROG sind Mängel im Abwägungsvorgang nur
erheblich, wenn sie offensichtlich und auf das Abwägungsergebnis von
Einfluss gewesen sind.
Der dargestellte Fehler im Abwägungsvorgang ist offensichtlich und auf das
Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen. Ein Mangel ist offensichtlich, wenn
er auf objektiv feststellbaren Umständen beruht und ohne Ausforschung der
Entscheidungsträger über deren Planungsvorstellungen für den
Rechtsanwender erkennbar ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 11.4.2013 - 4 CN 2.12 -,
NuR 2013, 489, und v. 13.12.2012 - 4 CN 1.11 und 2.11 -, DVBl 2013, 507,
juris; Reitzig, in: Bielenberg/Runkel/Spannowsky, Raumordnungs- und
Landesplanungsrecht des Bundes und der Länder, Band 2, K § 10 Rdn. 146).
So liegt es hier. Die bei der Ausarbeitung des Planungskonzepts unterbliebene
bzw. nicht dokumentierte Differenzierung zwischen „harten“ und „weichen“
Tabuzonen ergibt sich aus der Planbegründung und den
Aufstellungsvorgängen. Der Fehler ist auch auf das Abwägungsergebnis von
Einfluss gewesen. Das ist anzunehmen, wenn nach den Umständen des
jeweiligen Falls die konkrete Möglichkeit besteht, dass ohne den Mangel die
Planung anders ausgefallen wäre (vgl. BVerwG, Urt. v. 11.4.2013 - 4 CN 2.12 -
, NuR 2013, 489, und v. 13.12.2012 - 4 CN 1.11 und 2.11 -, DVBl 2013, 507,
juris; Reitzig, in: Bielenberg/Runkel/Spannowsky, Raumordnungs- und
Landesplanungsrecht des Bundes und der Länder, Band 2, K § 10 Rdn. 151).
Das ist der Fall. Da sich bei der gebotenen Bewertung zunächst anhand allein
der rechtlich und tatsächlich zwingenden Kriterien voraussichtlich gezeigt
hätte, dass deutlich mehr oder andere Flächen grundsätzlich für die
Windenergienutzung in Betracht kommen, besteht die konkrete Möglichkeit,
dass der Antragsgegner ohne den Fehler andere oder auch mehr Flächen
ausgewiesen hätte. Auf die Frage, ob auch auf dem Gebiet der Samtgemeinde
AB., in dem die der Antragstellerin zur Verfügung stehenden Grundstücke
liegen, Vorrangflächen ausgewiesen worden wären, kommt es nicht an.
Der danach erhebliche Fehler im Abwägungsvorgang ist auch nicht aus
sonstigen Erwägungen unbeachtlich (geworden). Der die
Unbeachtlichkeitsfolge vorsehende § 12 Abs. 5 ROG ist nach dem bereits
zitierten § 28 Abs. 2 Satz 1 Hs. 1 ROG nicht anwendbar. Der Planerhaltung
dienende Vorschriften im NROG a.F., die gemäß § 28 Abs. 2 Satz 1 Hs. 2
ROG weiterhin ergänzend anwendbar wären und zu einer Unbeachtlichkeit
des Fehlers führen, bestehen nicht. Nach § 10 Abs. 2 Nr. 2 NROG a.F., nach
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dem Abwägungsmängel unbeachtlich sind, die weder offensichtlich noch auf
das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen sind, ist der Fehler beachtlich.
Eine § 12 Abs. 5 ROG entsprechende Regelung, nach der beachtliche Fehler
im Abwägungsvorgang unbeachtlich werden können, enthielt das NROG a.F.
nicht. Die Bekanntmachung vom 15. Januar 2009 enthielt lediglich den
Hinweis, dass gemäß § 10 Abs. 1 NROG a.F. eine Verletzung von
„Verwaltungs-“ und Formvorschriften bei der Aufstellung oder Änderung von
Raumordnungsplänen unbeachtlich ist, wenn sie nicht innerhalb eines Jahres
seit der Bekanntmachung schriftlich geltend gemacht worden ist. Um eine
Verletzung von Verfahrens- und Formvorschriften geht es hier - wie dargelegt -
nicht.
2. Da die - hier angegriffene - sachliche Teilfortschreibung Windenergie des
RROP 2000 bereits aus den angeführten Gründen unwirksam ist, lässt der
Senat dahinstehen, ob weitere Gründe vorliegen, die zu ihrer Unwirksamkeit
führen. Der Abwägungsmangel erfasst den gesamten Teilbereich Windenergie
mit der Folge, dass dieser für unwirksam zu erklären ist.