Urteil des OVG Niedersachsen vom 12.05.2014

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Klagebefugnis im Falle der Kürzung des Pflegegeldes
nach § 39 Abs. 4 Satz 4 SGB VIII
Auch im Falle der Kürzung des Pflegegeldes gemäß § 39 Abs. 4 Satz 4 SGB
VIII kann nur der nach § 39 i.V.m. §§ 27 Abs. 1, 33 SGB VIII allein
anspruchsberechtigte Personensorgeberechtigte in seinen Rechten verletzt
sein.
OVG Lüneburg 4. Senat, Beschluss vom 12.05.2014, 4 LA 136/13
§ 39 SGB 8, § 39 Abs 4 S 4 SGB 8, § 42 Abs 2 VwGO
Tenor
Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des
Verwaltungsgerichts Hannover - Einzelrichterin der 3. Kammer - vom 12. April
2013 wird abgelehnt.
Die Klägerin trägt die außergerichtlichen Kosten des
Berufungszulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des
Verwaltungsgerichts hat keinen Erfolg. Denn die von der Klägerin geltend
gemachten Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO liegen
nicht vor.
Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des
Verwaltungsgerichts (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
Denn das Verwaltungsgericht hat die Klage der Klägerin im Ergebnis zu Recht
abgewiesen, soweit das Verfahren nicht im Umfang der übereinstimmenden
Erledigungserklärungen der Beteiligten eingestellt worden ist. Die Klägerin ist
nämlich bereits nicht klagebefugt gemäß § 42 Abs. 2 VwGO, worauf der
Beklagte in seiner Erwiderung auf den Zulassungsantrag der Klägerin
zutreffend hingewiesen hat. Nach § 42 Abs. 2 VwGO ist die Klage, soweit
gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nur zulässig, wenn der Kläger geltend
macht, durch den Verwaltungsakt oder seine Ablehnung oder Unterlassung in
seinen Rechten verletzt zu sein. Hier kann die Klägerin nicht geltend machen,
durch den angefochtenen Bescheid des Beklagten vom 9. Juni 2010 in der
Fassung des Änderungsbescheides des Beklagten vom 7. Juni 2011 in ihren
Rechten verletzt zu sein.
Die insoweit ausreichende Möglichkeit einer Verletzung der Rechte der
Klägerin ergibt sich nicht aus § 39 SGB VIII. Denn der Anspruch auf
Leistungen zum Unterhalt des Kindes bzw. Jugendlichen in Vollzeitpflege
(sogenanntes “Pflegegeld“) nach § 39 i.V.m. §§ 27 Abs. 1, 33 SGB VIII steht
als “Annex-Anspruch“ zum Anspruch auf Hilfe zur Erziehung allein dem
Personensorgeberechtigten und damit nicht der Pflegeperson zu (BVerwG,
Urteile vom 4.9.1997 - 5 C 11.96 - und 12.9.1996 - 5 C 31.95 -;
Senatsbeschlüsse vom 5.5.2014 - 4 LA 115/14 - und 28.2.2011 - 4 LC 280/09
- m.w.N.). Dementsprechend kann auch nur der Personensorgeberechtigte -
hier die allein sorgeberechtigte Kindesmutter - in seinen Rechten aus § 39
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i.V.m. §§ 27 Abs. 1, 33 SGB VIII verletzt sein, wenn das ihm nach diesen
Vorschriften zustehende “Pflegegeld“ gekürzt wird. Insoweit ist es unerheblich,
dass die Kürzung des “Pflegegeldes“ nach § 39 Abs. 4 Satz 4 SGB VIII
voraussetzt, dass die Pflegeperson in gerader Linie mit dem Kind oder
Jugendlichen verwandt ist (hier ist die Klägerin die Großmutter des Kindes)
und diesem unter Berücksichtigung ihrer sonstigen Verpflichtungen ohne
Gefährdung ihres angemessenen Unterhalts Unterhalt gewähren kann. Denn
dies ändert nichts daran, dass der Anspruch auf Gewährung des
“Pflegegeldes“ allein dem Personensorgeberechtigten zusteht und folglich
auch nur dieser im Falle einer Kürzung des “Pflegegeldes“ in seinen Rechten
verletzt sein kann. Die Möglichkeit einer Verletzung der Rechte der
Pflegeperson ergibt sich auch nicht aus deren Unterhaltsverpflichtungen
gegenüber dem Kind, da durch die Kürzung des “Pflegegeldes“ nach § 39
Abs. 4 Satz 4 SGB VIII eine Unterhaltsverpflichtung der Pflegeperson
gegenüber dem Kind weder begründet noch (unterhaltsrechtlich) verbindlich
festgestellt wird.
Rechte der Klägerin, die durch die Kürzung des “Pflegegeldes“ verletzt sein
könnten, sind hier auch nicht durch einen Bescheid des Beklagten begründet
worden. Der Beklagte hat der Kindesmutter mit dem Bescheid vom 8.
September 2009 aufgrund deren Antrag vom 31. März 2009 “Jugendhilfe
gemäß §§ 27 ff. SGB VIII in Form von Vollzeitpflege“ für die Zeit ab dem 31.
März 2009 gewährt. Die “Kosten der bewilligten Jugendhilfemaßnahme“ sollten
“direkt mit dem Leistungserbringer abgerechnet“ werden. Das “Pflegegeld“
nach § 39 SGB VIII ist dementsprechend für die Zeit ab dem 31. März 2009 an
die Klägerin als Pflegeperson ausgezahlt worden. Der Beklagte hat gegenüber
der Klägerin jedoch keinen Bescheid erlassen, aufgrund dessen dieser
Leistungen nach § 39 i.V.m. §§ 27 Abs. 1, 33 SGB VIII gewährt worden sind.
Soweit in dem Anhörungsschreiben des Beklagten vom 22. März 2010 davon
die Rede ist, dass der Klägerin ab dem 31. März 2009 Jugendhilfe in Form von
Vollzeitpflege “gewährt“ worden sei, bezieht sich dies offenbar auf die
tatsächliche Auszahlung des “Pflegegeldes“ an die Klägerin für die Zeit ab dem
31. März 2009. Soweit (u. a.) durch den Bescheid des Beklagten vom 6.
Januar 2012 (rechtswidrig) nicht der Kindesmutter, sondern der Klägerin
“Jugendhilfe gemäß §§ 27 ff. SGB VIII in Form einer flexiblen Erziehungshilfe“
gewährt worden ist, betrifft dies nicht die hier streitgegenständliche Gewährung
des “Pflegegeldes“ nach § 39 i.V.m. §§ 27 Abs. 1, 33 SGB VIII. Ein Anspruch
der Klägerin auf Gewährung eines “Pflegegeldes“, in den durch die Kürzung
des “Pflegegeldes“ eingegriffen worden sein könnte, ergibt sich daher auch
nicht aus einem entsprechenden Bescheid des Beklagten.
Die durch den angefochtenen Bescheid des Beklagten vom 9. Juni 2010 in der
Fassung des Änderungsbescheides des Beklagten vom 7. Juni 2011
gegenüber der Klägerin ausgesprochene Kürzung des “Pflegegeldes“ entfaltet
folglich weder gegenüber der nach dem oben Gesagten unter keinem
Gesichtspunkt anspruchsberechtigten und durch die Kürzung in keiner
rechtlich geschützten Position betroffenen Klägerin noch gegenüber der
Kindesmutter rechtliche Wirkungen, da diese zwar anspruchsberechtigt, aber
wegen der Adressierung der Bescheide an die Klägerin und deren
Bekanntgabe gegenüber der Klägerin durch diese ebenfalls nicht in ihren
Rechten berührt wird. Die Kürzung des “Pflegegeldes“ durch den Bescheid
des Beklagten vom 9. Juni 2010 in der Fassung des Änderungsbescheides
des Beklagten vom 7. Juni 2011 ist daher gegenstandslos und geht gleichsam
“ins Leere“. Es ist deshalb von vornherein ausgeschlossen, dass die Rechte
der Klägerin durch diese Bescheide verletzt sein können. Eine Klagebefugnis
der Klägerin nach § 42 Abs. 2 VwGO ist nach allem zu verneinen.
Ist demnach die Klage schon wegen der fehlenden Klagebefugnis der Klägerin
abzuweisen gewesen, so sind die von der Klägerin zur Begründung ihres
Zulassungsantrages angeführten, das Bestehen einer Unterhaltsverpflichtung
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gegenüber ihrem Enkelkind und die Berechnung ihrer “unterhaltsrechtlichen
Leistungsfähigkeit“ betreffenden Einwände nicht entscheidungserheblich und
begründen daher keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des
erstinstanzlichen Urteils.
Die Berufung kann auch nicht wegen der von der Klägerin ferner geltend
gemachten besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten der
Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) zugelassen werden, da die nach dem
oben Gesagten entscheidungserheblichen Fragen keine besonderen
Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 188 VwGO.