Urteil des OVG Niedersachsen vom 16.09.2014

OVG Lüneburg: grundsatz der freien beweiswürdigung, christentum, wrv, staat, überprüfung, islam, mitgliedschaft, angehöriger, erheblichkeit, wahrscheinlichkeit

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Asyl - Antrag auf Zulassung der Berufung
Zur fehlenden Bindungswirkung kirchlicher Bescheinigungen im
Asylrechtsstreit.
OVG Lüneburg 13. Senat, Beschluss vom 16.09.2014, 13 LA 93/14
§ 78 Abs 3 Nr 1 AsylVfG, Art 140 GG, Art 137 Abs 3 WRV
Tenor
Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das
Zulassungsverfahren wird abgelehnt.
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des
Verwaltungsgerichts Lüneburg - 5. Kammer (Berichterstatter) - vom 5. Mai
2014 wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das
Zulassungsverfahren war abzulehnen, weil sein Antrag auf Zulassung der
Berufung aus den nachstehenden Gründen keine Aussicht auf Erfolg hat (§
166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Für die Beiordnung
seines Prozessbevollmächtigten als Rechtsanwalt nach § 166 Abs. 1 Satz 1
VwGO i.V.m. § 121 Abs. 1 ZPO ist mithin ebenfalls kein Raum.
Nach § 78 Abs. 3 AsylVfG ist in asylrechtlichen Streitigkeiten die Berufung nur
zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, das Urteil
von einer Entscheidung der in § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylVfG aufgeführten Gerichte
abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder ein in § 138 VwGO
bezeichneter Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt. Nach § 78
Abs. 4 Satz 4 AsylVfG sind in dem Zulassungsantrag die Gründe, aus denen
die Berufung zuzulassen ist, darzulegen. Die Darlegung erfordert qualifizierte,
ins Einzelne gehende, fallbezogene und aus sich heraus verständliche, auf
den jeweiligen Zulassungsgrund bezogene und geordnete Ausführungen, die
sich mit der angefochtenen Entscheidung auf der Grundlage einer
eigenständigen Sichtung und Durchdringung des Prozessstoffes
auseinandersetzen.
Der vom Kläger ausschließlich geltend gemachte Zulassungsgrund der
grundsätzlichen Bedeutung (78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG) wird nicht in einer den
Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylVfG genügenden Weise dargelegt
bzw. liegt nicht vor. Eine Rechtssache ist nur dann grundsätzlich bedeutsam,
wenn sie eine höchstrichterlich oder obergerichtlich bislang noch nicht
beantwortete Frage von allgemeiner Bedeutung aufwirft, die im
Rechtsmittelverfahren entscheidungserheblich wäre und die im Interesse der
Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Weiterentwicklung des Rechts
einer fallübergreifenden Klärung in einem Berufungsverfahren bedarf. Die
grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache ist nur dann im Sinne des § 78
Abs. 4 Satz 4 AsylVfG dargelegt, wenn eine derartige Frage konkret
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bezeichnet und darüber hinaus erläutert worden ist, warum die Frage im
angestrebten Berufungsverfahren entscheidungserheblich und
klärungsbedürftig wäre und aus welchen Gründen ihre Beantwortung über den
konkreten Einzelfall hinaus dazu beitrüge, die Rechtsfortbildung zu fördern
oder die Rechtseinheit zu wahren.
Die seitens des Klägers aufgeworfene Frage,
„ob einem iranischen Staatsangehörigen, der zum Christentum konvertiert ist,
nicht auch dann die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist, wenn das
Gericht von der Ernsthaftigkeit des Glaubensübertritts nicht überzeugt ist, weil
das Gericht staatsrechtlich an die Entscheidung des nach innerkirchlichem
Recht zuständigen Geistlichen gebunden ist“,
ist nicht grundsätzlich klärungsbedürftig. Es ist in der obergerichtlichen
Rechtsprechung auch des Senats bereits hinreichend geklärt, dass es
ureigene Aufgabe des Gerichts ist, aufgrund der mündlichen Verhandlung und
der dort vorliegenden Unterlagen zu einer eigenen Einschätzung hinsichtlich
der Frage der Ernsthaftigkeit des Glaubensübertritts zu gelangen. An die
Ausstellung eines Taufscheins sowie an die Einschätzung der
Glaubensüberzeugung eines Konvertiten durch eine Kirchengemeinde bzw.
einen Pastor ist das Gericht nicht gebunden (s. zuletzt Beschl. d. Sen. v. 7. Juli
2014 - 13 LA 226/13 -; v. 24. Juni 2014 - 13 LA 216/13 -; v. 7. März 2014 - 13
LA 118/13 -, juris; v. 18. Oktober 2013 - 13 LA 106/13 -, u. v. 30. Mai 2012 - 13
LA 100/12 -; so auch OVG NRW, Beschl. v. 11.11.2013 - 13 A 2252/13.A -,
juris; Bay. VGH, Beschl. v. 8. August 2013 - 14 ZB 13.30199 -, juris). Dass
einzelne Verwaltungsgerichte (vgl. etwa VG Schwerin, Urt. v. 13. Februar 2013
- 3 A 1877/10 As -, juris, Rdnrn. 165 ff.) mit nicht überzeugender Begründung
eine von der obergerichtlichen Rechtsprechung abweichende Auffassung
vertreten, begründet für sich genommen keine erneute Klärungsbedürftigkeit
dieser Frage. Nach Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV ordnet und
verwaltet jede Religionsgesellschaft ihre Angelegenheiten selbständig
innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes. Dazu gehört
selbstverständlich auch die Mitgliedschaft in den jeweiligen
Religionsgemeinschaften. Es bleibt der Kirchengemeinde des Klägers mithin
unbenommen, diesen weiter als ihr Mitglied anzusehen. Die Frage, ob diese
Mitgliedschaft eine staatliche Flüchtlingsanerkennung nach sich zieht,
unterliegt hingegen der Überprüfung durch staatliche Gerichte. Diese
Überprüfung beschränkt sich nicht auf die Entgegennahme kirchlicher
Bescheinigungen oder die unkritische Übernahme kirchlicher Stellungnahmen.
Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung ist eine zentrale rechtsstaatliche
Errungenschaft, die nicht durch eine Überstrapazierung des Gebots zu
gegenseitiger Rücksichtnahme zwischen Staat und Religionsgemeinschaften
ausgehebelt werden darf.
Die vom Kläger ebenfalls als grundsätzlich klärungsbedürftig bezeichnete
Frage,
„ob das religiöse Existenzminimum eines Konvertiten, der vom Islam zum
christlichen Glauben übergetreten ist, im Iran gewährleistet ist bzw. ob
Konvertiten im Iran die Möglichkeit haben, ihren Glauben abseits der
Öffentlichkeit ungefährdet auszuüben“,
war nach der insoweit maßgeblichen Betrachtungsweise des
Verwaltungsgerichts, die mit Zulassungsgründen nicht wirksam angefochten
worden ist, für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits nicht
entscheidungserheblich. Das Verwaltungsgericht hat eine ernsthafte und auf
innerer Überzeugung beruhende Hinwendung des Klägers zum Christentum
verneint. Aus diesem Grunde sei für den Fall seiner Rückkehr in den Iran auch
nicht damit zu rechnen, dass der Kläger den christlichen Glauben praktiziere
und dadurch einer Verfolgung ausgesetzt sei. Da das Verwaltungsgericht nicht
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von einem ernsthaften Glaubensübertritt ausgeht, stellt sich die Frage der
Möglichkeit einer Praktizierung dieses Glaubens, in welcher Form auch immer,
für den Fall der Rückkehr nicht.
Die Klärungsbedürftigkeit der weiteren Fragen,
„ob der iranische Staat ihn bereits wegen der bloßen Konversion zum
Christentum und der in Deutschland zu diesem Zweck vollzogenen Taufe, die
mit einem Abschwur vom Islam einhergegangen ist, mit asylrelevanten
Verfolgungsmaßnahmen auch dann überziehen würden, wenn er gegenüber
den iranischen Behörden behaupten würde, lediglich zum Schein aus rein
asyltaktischen Gründen zum Christentum konvertiert zu sein“,
und
„ob der Kläger nicht bereits deshalb bei einer Rückkehr in den Iran politisch-
religiös motivierte Verfolgung drohen würde, weil es sich bei ihm um einen
Seyed, um einen direkten Abkömmling des Propheten Mohammed handelt,
und der Vater des Klägers, Seyed Mohammad B. ein Angehöriger des
schiitisch-islamischen Klerus ist“
ist nicht hinreichend dargelegt worden. Hat sich das Verwaltungsgericht mit der
aufgeworfenen Grundsatzfrage nicht näher befasst, muss der Kläger darlegen,
warum diese Frage geklärt werden soll. Wenn er den angeführten Umständen
Entscheidungserheblichkeit beimisst, so muss er bestimmte Informationen,
Auskünfte, Presseberichte oder sonstige Erkenntnisquellen benennen, um
zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür darzutun, dass die zuvor
benannten Umstände in der Person des Klägers zu einem Erfolg seines
Rechtsschutzbegehrens führen können. Beschränkt sich der Kläger hingegen
darauf, bestimmte, in seiner Person liegende Umstände lediglich zu
behaupten, ohne nachvollziehbare Informationen und Erkenntnisquellen zu
benennen, die eine Erheblichkeit dieser Umstände im Hinblick auf die konkrete
Rechtsverfolgung wahrscheinlich erscheinen lassen, so vermag ein derartiges
Vorbringen mangels angemessener Darlegung einer bestimmten
klärungsbedürftigen Frage nicht zur Zulassung der Berufung zu führen (vgl.
Marx, AsylVfG, 7. Aufl. 2009, § 78, Rdnrn. 103 f. unter Hinweis auf Hess. VGH,
Beschl. v. 6. Februar 1997 - 13 UZ 1895/95 -). Ein schlichtweg „ins Blaue
hinein“ behauptetes Bestehen bestimmter angeblich gefahrerhöhender
Umstände rechtfertigt nicht die Annahme der grundsätzlichen
Klärungsbedürftigkeit dieser in Frageform aufgestellten Behauptungen. Es
stellt auch keine Überforderung eines anwaltlich vertretenen Klägers dar,
Erkenntnisquellen für die auf diese Weise aufgestellten
Tatsachenbehauptungen zu benennen.
Im vorliegenden Fall hat der Kläger keinerlei Erkenntnisquellen benannt, die
seine Gefährdung auch bei einem rein asyltaktisch und nur zum Schein
erfolgten Übertritt zum Christentum als wahrscheinlich erscheinen lassen.
Gleiches gilt für die Folgen seiner direkten Abstammung vom Propheten
Mohammed und der Stellung seines Vaters als schiitischer Kleriker. Weder die
Zulassungsbegründung vom 28. Mai 2014 noch der ergänzende Schriftsatz
vom 30. Mai 2014 enthalten dazu nachprüfbare Erkenntnisse.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten
werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben.