Urteil des OVG Niedersachsen vom 30.01.2013

OVG Lüneburg: abweichende meinung, aufschiebende wirkung, gemeinschaftsrecht, aussetzung, europarecht, mehrwert, niedersachsen, genehmigung, datenschutz, vervielfältigung

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Keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines
Vergnügungsteuerbescheides wegen des
Vorlagebeschlusses des Finanzgerichts Hamburg an
den EuGH
1. Aus dem Vorlagebeschluss des Finanzgerichts Hamburg vom 21.
September 2012 - 3 K 104/11 - an den Gerichtshof der Europäischen Union
ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines
angefochtenen Vergnügungsteuerbescheides.
2. Auch die Anhängigkeit des Vorabentscheidungsverfahrens beim
Gerichtshof der Europäischen Union über die Frage der Zulässigkeit einer
kumulativen Erhebung von Mehrwertsteuer und Vergnügungsteuer (Az. C-
440/12) rechtfertigt allein noch keine ernstlichen Zweifel an der
Rechtmäßigkeit eines angegriffenen Vergnügungsteuerbescheides.
OVG Lüneburg 9. Senat, Beschluss vom 30.01.2013, 9 ME 160/12
EGRL 112/2006, § 80 Abs 2 S 1 Nr 4 VwGO
Gründe
Die Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig, aber unbegründet.
Aus dem Beschwerdevorbringen, auf dessen Prüfung der Senat gemäß § 146
Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, ergibt sich nicht, dass die aufschiebende
Wirkung der Klage gegen den angegriffenen Vergnügungsteuerbescheid bereits
deshalb anzuordnen wäre, weil das Finanzgericht Hamburg mit Beschluss vom
21. September 2012 - 3 K 104/11 - dem Gerichtshof der Europäischen Union u.
a. die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt hat, ob Art. 401 (in Verbindung mit
Art. 135 Abs. 1 Buchst. i) der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.
November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem dahingehend
auszulegen sei, dass Mehrwertsteuer und nationale Sonderabgabe auf
Glückspiele nur alternativ und nicht kumulativ erhoben werden dürften. Vielmehr
ist das Verwaltungsgericht zu Recht und unter Bezugnahme auf die
einschlägige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Senats
davon ausgegangen, dass die Erhebung einer Vergnügungsteuer für
Glückspiele neben der Mehrwertsteuer nicht gegen Art. 401 der Richtlinie
2006/112/EG verstößt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25.05.2011 - 9 B 34.11 -
ZKF 2012, 90; Beschlüsse des erkennenden Senats vom 15.05.2009 - 9 LA 406
und 407/07 - und vom 22.03.2007 - 9 ME 84/07 - OVG MüLü 50, 450 = NVwZ-
RR 2007, 551).
Wie das Verwaltungsgericht ebenfalls zutreffend angenommen hat, ergeben
sich aus dem Vorlagebeschluss des Finanzgerichts Hamburg keine ernstlichen
Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen
Vergnügungsteuerbescheides. Nach der Begründung des Vorlagebeschusses
tendiert das Finanzgericht selbst zu der Auffassung, das Europarecht erlaube
die kumulative Erhebung von Mehrwertsteuer und Vergnügungsteuer, und legt
die Frage nur wegen der zitierten, vom Generalanwalt Bot in seinen
Schlussanträgen in der beim Gerichtshof der Europäischen Union anhängigen
Rechtssache „Leo-Libera“ (Az. C-58/09) geäußerten Auffassung vor. Allein die
abweichende Meinung des Generalanwalts kann jedoch nicht dazu führen, dass
vernünftige Zweifel an der richtigen Anwendung des Gemeinschaftsrechts
begründet werden (hierzu ausführlich: OVG NW, Beschluss vom 27.11.2012 -
14 A 2351/12 - zitiert nach juris) und rechtfertigen nicht die Annahme, die
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Erhebung der Vergnügungsteuer verstoße entgegen der bisher einhelligen
Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union, des
Bundesverwaltungsgerichts und der Oberverwaltungsgerichte bzw.
Verwaltungsgerichtshöfe gegen Europarecht (hierzu im Einzelnen bereits
BVerwG, Beschluss vom 25.05.2011 - 9 B 34.11 - a. a. O.; ebenso OVG NW,
Beschlüsse vom 27.11.2012 - 14 A 2351/12 - a. a. O., vom 07.11.2012 - 14 A
2350/12 - und vom 10.05.2012 - 14 A 885/12 - jeweils zitiert nach juris; VGH BW,
Urteil vom 13.12.2012 - 2 S 1010/12 - zitiert nach juris).
Entgegen dem Beschwerdevorbringen rechtfertigt auch der Umstand, dass
aufgrund des Vorlagebeschlusses des Finanzgerichts Hamburg über die Frage
der kumulativen Erhebung von Mehrwertsteuer und Vergnügungsteuer ein
Vorabentscheidungsverfahren beim Gerichtshof der Europäischen Union
anhängig ist (Az. C-440/12), noch keine ernstlichen Zweifel an der
Rechtmäßigkeit des angegriffenen Vergnügungsteuerbescheides, die eine
Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage geböten. Die Klägerin kann
sich zur Begründung ihrer gegenteiligen Auffassung nicht auf die angeführten
Entscheidungen des Bundesfinanzhofs stützen (BFH, Beschlüsse vom
05.05.1994 - V S 11/93 - BFH/NV 1995, 368 und vom 24.03.1998 - I B 100/97 -
BFHE 185, 467), da die Aussetzung der Vollziehung der dort angegriffenen
Steuerbescheide gerade nicht allein auf der Vorlage klärungsbedürftiger
gemeinschaftsrechtlicher Fragen an den Gerichtshof der Europäischen Union
beruhte, sondern in diesen Verfahren konkrete Zweifel an der Vereinbarkeit mit
Gemeinschaftsrecht bestanden und sich daraus die Möglichkeit ergab, dass die
vorgelegte Rechtsfrage im Sinne der Kläger geklärt werden könnte. Wie bereits
ausgeführt bestehen jedoch angesichts der bisherigen Rechtsprechung des
Gerichtshofs der Europäischen Union, des Bundesverwaltungsgerichts und der
Oberverwaltungsgerichte bzw. Verwaltungsgerichtshöfe keine vernünftigen
Zweifel an der Vereinbarkeit der kumulativen Erhebung von Mehrwert- und
Vergnügungsteuer mit Gemeinschaftsrecht.
Die Klägerin kann solche Zweifel auch nicht erfolgreich darauf stützen, dass
einzelne Verwaltungsgerichte (VG Göttingen, Beschluss vom 24.10.2012 - 2 A
328/10 - zitiert nach juris und VG Frankfurt a. M., Beschluss vom 19.11.2012 - 6
K 3709/11.F -) ihre Klageverfahren mit Blick auf die vom Finanzgericht Hamburg
dem Gerichtshof der Europäischen Union zur Vorabentscheidung vorgelegte
Frage ausgesetzt haben (so inzwischen auch der Bundesfinanzhof in einem
dort anhängigen Verfahren wegen Haftung für Spielvergnügungsteuer:
Beschluss vom 09.01.2013 - II R 27/11 -). Denn der Begründung der
Aussetzungsbeschlüsse sind keinerlei Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass
die Gerichte Zweifel an der Vereinbarkeit der kumulativen Erhebung von
Mehrwert- und Vergnügungsteuer mit Gemeinschaftsrecht haben, die der
bisherigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union und des
Bundesverwaltungsgerichts entgegenstünden. Dementsprechend haben
andere Verwaltungsgerichte unter Verweis darauf, dass sich die Vorlagefrage
bereits durch die maßgebliche Richtlinie und bisherige Rechtsprechung
beantworten lasse, gegen eine Aussetzung analog § 94 VwGO entschieden
(vgl. VG Düsseldorf, Urteil vom 10.01.2013 - 25 K 8427/12 - zitiert nach juris; VG
Gießen, Beschluss vom 19.11.2012 - 8 K 1323/12.GI -, bestätigt durch
HessVGH, Beschluss vom 02.01.2013 - 5 E 2244/12 -). Im Übrigen hat der
Senat mit Beschlüssen vom heutigen Tage mehrere Aussetzungsbeschlüsse
des Verwaltungsgerichts Göttingen, deren Tenor und Begründung mit dem
zitierten Beschluss vom 24.10.2012 - 2 A 328/10 - vergleichbar sind,
aufgehoben, weil die Voraussetzungen für eine Aussetzung entsprechend § 94
VwGO nicht gegeben sind (Senatsbeschlüsse vom 30.01.2013 - 9 OB 173, 174
und 175/12 -).