Urteil des OVG Niedersachsen vom 14.11.2012

OVG Lüneburg: beamtenverhältnis, vorläufige dienstenthebung, dienstliches verhalten, dienstliche tätigkeit, disziplinarverfahren, polizeibeamter, nbg, amtsführung, unterschlagung, anfang

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Disziplinarklage - Berufung -
1. Es stellt keine unzulässige Doppelverwertung dar, wenn das
dienstpflichtwidrige Verhalten des Beamten (hier: wiederholtes und
planmäßiges Ausstellen von gefälschten Verwarngeldbelegen durch einen
Polizeibeamten und Einbehaltung der vereinnahmten Verwarngelder zu
eigenen Zwecken) zum einen als objektives und subjektives
Handlungsmerkmal auf der Tatbestandsebene des Dienstvergehens und zum
anderen im Rahmen der Ermittlung der gebotenen Disziplinarmaßnahme auf
der Rechtsfolgenebene berücksichtigt wird.
2. Wenn der Beamte durch sein Dienstvergehen die Höchstmaßnahme
verwirkt hat, scheidet die Berücksichtigung einer überlangen
Verfahrensdauer zu Gunsten des Beamten auch mit Blick auf Art. 6 Abs. 1
EMRK aus (Bestätigung der bisherigen ständigen Rechtsprechung).
OVG Lüneburg 19. Senat, Urteil vom 14.11.2012, 19 LD 4/11
Art 6 Abs 1 MRK, § 14 DG ND
Tatbestand
Der Beklagte wendet sich mit seiner Berufung gegen seine Entfernung aus dem
Beamtenverhältnis.
Der am ... geborene Beklagte ist verheiratet und Vater eines erwachsenen
Kindes; ein weiterer erwachsener Sohn ist im ... tödlich verunglückt. Am 1.
Oktober 19.. trat er in den Polizeidienst des Landes Niedersachsen ein und
wurde zuletzt am 1. Dezember 19.. zum Polizeiobermeister (Besoldungsgruppe
A 8 NBesO) befördert. Der Beamte erhält Bezüge nach der Besoldungsgruppe A
8 NBesO. In der letzten dienstlichen Beurteilung vom 14. Dezember
20.. wurden seine dienstlichen Leistungen mit dem Gesamturteil "übertrifft
erheblich die Anforderungen (4)" beurteilt. Seit dem 1. Juni 20 ... war er als
"Sachbearbeiter Polizeistation" bei der Polizeistation F. und seit Oktober 20 ... in
der "Tatortgruppe" bei der Polizeiinspektion G. tätig.
Disziplinar- und strafrechtlich ist der Beklagte bisher nicht in Erscheinung
getreten.
Wegen der Vorgänge, die Gegenstand dieses Disziplinarverfahrens sind, leitete
die Klägerin mit Verfügung vom 6. Juni 20 ... gegen den Beklagten ein
Disziplinarverfahren ein, das zugleich bis zum Abschluss eines gegen den
Beklagten durchgeführten sachgleichen Strafverfahrens ausgesetzt wurde. Mit
Verfügung vom 7. Juli 20 ... wurde der Beklagte, nachdem gegen ihn bereits am
6. Juni 20 ... ein Verbot der Amtsführung ausgesprochen worden war, unter
Einbehaltung von 25 v. H. seiner monatlichen Grundbezüge vorläufig des
Dienstes enthoben. Den vom Beklagten dagegen erhobenen Antrag auf
Aussetzung dieser Maßnahmen lehnte das Verwaltungsgericht durch Beschluss
vom 21. August 2008 - 10 B 1/08 - ab. Mit einem weiteren Bescheid vom 19.
November 20 ... ordnete die Klägerin die Einbehaltung von 50 v. H. der
Dienstbezüge des Beklagten an. Sein dagegen gestellter Aussetzungsantrag
wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 23. Februar 2010 - 10 B
1/09 - abgelehnt.
Durch Urteil des Amtsgerichts H. vom 21. September 20 ... wurde der Beklagte
wegen einer (vollendeten) veruntreuenden Unterschlagung in zwei Fällen zu
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einer Gesamtgeldstrafe in Höhe von 160 Tagessätzen zu je 90 EUR (14.400
EUR) verurteilt. Auf die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Berufung
des Beklagten wurde das Urteil des Amtsgerichts H. durch das seit dem 18.
Dezember 20 ... rechtskräftige Urteil des Landgerichts I. vom 10. Dezember 20
... - - insoweit neu gefasst, als der Beklagte wegen (vollendeter) veruntreuender
Unterschlagung in zwei Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 145 Tagessätzen
zu je 36 EUR (insgesamt mithin 5.220 EUR) verurteilt wurde. Das Landgericht I.
stützte seine Entscheidung auf die nachfolgenden Feststellungen des
Amtsgerichts H.:
"Nachdem der Angeklagte mit Hilfe eines Scanners und eines Druckers
Kopien von einem Verwarngeldbeleg, der ihm in seiner Funktion als
Polizeibeamter zugeteilt worden war, erstellt hat, führte er auf der
Bundesautobahn 7 Geschwindigkeitskontrollen durch und hielt so
1. am 2.4.20 ... , gegen 01.00, Uhr den Pkw Porsche des J. an, warf
diesem eine Geschwindigkeitsübertretung vor, die dieser auch
begangen hat, und erhob 35,-- EUR Verwarngeld, das er mit dem
kopierten Verwarngeldbeleg quittierte. Das erhobene Verwarngeld
behielt er für sich.
2. Am 5.5.20 ... , gegen 22.00 Uhr, kontrollierte er zusammen mit dem
Zeugen PK z.A. K. das Fahrzeug des Zeugen L., dem er eine
Geschwindigkeitsübertretung vorwarf, die dieser auch begangen hat.
Der Zeuge L. war auf der Autobahn, auf der die zulässige
Höchstgeschwindigkeit 120 km/h betrug, mit mindestens 180 km/h
unterwegs. Der Angeklagte forderte von dem Zeugen L. zur Ahndung
der Geschwindigkeitsübertretung 70,-- EUR umgehend und dieser
erhielt von dem Angeklagten dafür zwei Quittungen über jeweils 35,--
EUR. Es handelte sich bei diesen Quittungen um solche, die der
Angeklagte zuvor selbst zu Hause mit dem Scanner, Laptop und dem
Drucker hergestellt hatte. Die vereinnahmten 70,-- EUR behielt der
Angeklagte, wie er es von Anfang an beabsichtigt hatte, für eigene
Zwecke."
Nach dem rechtskräftigen Abschluss des Strafverfahrens setzte die Klägerin das
Disziplinarverfahren fort. Dem Beklagten wurde mit Schreiben vom 15. Juni 20 ...
Gelegenheit zur abschließenden Stellungnahme gegeben. Er erklärte unter
anderem, er bedauere das Geschehen zutiefst. Er könne sich nicht erklären,
weshalb er sich zu einem derartigen Handeln habe hinreißen lassen können.
Die Klägerin erhob am 20. August 2010 Disziplinarklage gegen den Beklagten.
Zur Begründung trug sie im Wesentlichen vor: Der Beklagte habe seine Pflichten
zur uneigennützigen Amtsführung sowie zum achtungs- und
vertrauenswürdigen Verhalten dadurch verletzt, dass er am 2. April und 5. Mai
20 ... auf der Bundesautobahn A 7 je einen Verkehrsteilnehmer nach einer
Geschwindigkeitsüberschreitung verwarnt, beiden gefälschte
Verwarngeldbelege ausgestellt und die in bar vereinnahmten Beträge für sich
behalten habe. Dieser Sachverhalt, den der Beklagte auch eingeräumt habe, sei
in dem rechtskräftigen Urteil des Landgerichts I. vom 10. Dezember 20 ...
festgestellt worden. Durch dieses Verhalten habe der Beklagte gegen seine
beamtenrechtlichen Kernpflichten verstoßen, die Achtung und das Vertrauen in
einer für das Amt und das Ansehen des Beamtentums bedeutsamen Weise
erheblich beeinträchtigt und das Vertrauen in seine dienstliche Zuverlässigkeit
erschüttert. Der unredliche und strafbare Umgang mit dienstlich empfangenem
Geld habe zwangsläufig nachhaltige Auswirkungen auf das Vertrauen des
Dienstherrn und der Öffentlichkeit in die pflichtgemäße Amtsführung des
Beklagten. Er habe ein hohes Maß an pflichtwidrigem Eigennutz bewiesen, so
dass erhebliche Zweifel an seiner Charakterfestigkeit beständen. Es handele
sich weder um ein Bagatelldelikt noch seien beachtliche Milderungsgründe
erkennbar. Der Beklagte habe vorsätzlich gehandelt. Die auch in den Augen der
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Öffentlichkeit unehrenhaften Straftaten führten dazu, dass ihm als
eigenverantwortlich tätigem Polizeibeamten nicht mehr das unbedingt nötige
Vertrauen in eine durchweg pflichtgemäße Ausübung seines Amtes entgegen
gebracht werden könne. Auch unter Berücksichtigung seiner langjährigen
Tätigkeit sei das Dienstvergehen so schwerwiegend, dass ihm ein
Restvertrauen nicht mehr entgegengebracht werden könne.
Die Klägerin hat beantragt,
den Beklagten aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen.
Der Beklagte hat beantragt,
auf eine mildere Disziplinarmaßnahme zu erkennen.
Er hat erwidert, er habe bereits im Strafverfahren den Sachverhalt
uneingeschränkt eingeräumt. Die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis sei
unverhältnismäßig, weil er in den letzten Jahren bereits "durch die Hölle
gegangen" sei. Aufgrund der Veröffentlichung der Vorfälle in der Presse seien er
und seine Familie betroffen. Durch die vorläufige Dienstenthebung und die
Kürzung der Bezüge um 50 v. H. sei er bereits erheblich bestraft. Das
Dienstvergehen betreffe ausschließlich einen Vorgang im Innenverhältnis
zwischen ihm und seinem Dienstherrn. Außerdem habe er keine Unschuldigen
verfolgt, da die verwarnten Autofahrer erheblich gegen
straßenverkehrsrechtliche Vorschriften verstoßen hätten. Zu berücksichtigen sei
auch seine langjährige und bisher tadellos durchlaufene Dienstzeit und die ihm
mit der Beurteilung im Jahre 20 ... bescheinigten vorbildlichen Leistungen mit der
Bewertungsstufe 4. Die zugrunde gelegten Taten lägen nun schon fast drei
Jahre zurück.
Das Verwaltungsgericht hat den Beklagten mit Urteil vom 11. März 2011 eines
Dienstvergehens für schuldig befunden und ihn aus dem Beamtenverhältnis
entfernt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen Folgendes angeführt: Der
Beklagte habe schuldhaft ein Dienstvergehen gemäß § 85 Abs. 1 NBG in der bis
zum 31. März 2009 geltenden Fassung - NBG a. F. -, die für diesen Fall noch
Anwendung finde, begangen. Das Dienstvergehen des Beklagten sei so
schwerwiegend, dass er aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen sei. Der
Beklagte habe durch sein strafrechtlich abgeurteiltes Verhalten seine
Dienstpflichten wiederholt und erheblich verletzt. Der Sachverhalt stehe gemäß
§ 24 Abs. 1 Satz 1 NDiszG mit bindender Wirkung für das Disziplinarverfahren
fest und werde von dem Beklagten auch nicht bestritten. Er habe damit gegen
seine Dienstpflichten zur uneigennützigen Amtsführung gemäß § 62 Satz 2 NBG
a. F. sowie zum achtungs- und vertrauenswürdigen Verhalten innerhalb und
außerhalb des Dienstes gemäß § 62 Satz 3 NBG a. F. verstoßen. Der Beamte
habe rechtswidrig und schuldhaft gehandelt. Die Entscheidung über die
Disziplinarmaßnahme ergehe nach § 14 Abs. 1 Satz 1 NDiszG nach
pflichtgemäßem Ermessen. Weil eine lückenlose Kontrolle jedes Mitarbeiters
durch die Klägerin nicht möglich sei und sie deshalb in besonderem Maße auf
die uneingeschränkte und absolute Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit der
Polizeibeamten bei deren Dienstausübung und in verstärktem Maße im Umfang
mit dienstlich anvertrautem Geld angewiesen sei, beweise ein Polizeibeamter,
der unter Einsatz gefälschter Verwarngeldbelege Verwarngelder einziehe, um
diese für sich behalten, ein so hohes Maß an Pflichtvergessenheit, dass er
regelmäßig das Vertrauensverhältnis zerstöre und deshalb grundsätzlich im
Beamtenverhältnis nicht mehr tragbar sei. Der Beklagte habe mit seinem
Verhalten im Kernbereich der ihm obliegenden Pflichten versagt. Es sei eine der
wesentlichen Aufgaben der Polizei, Straftaten zu verhindern und aufzuklären.
Der Beklagte habe stattdessen selbst und wiederholt erhebliche Straftaten
begangen. Er habe dadurch in besonders gravierender Weise das für die
Ausübung seines Berufs erforderliche vorbehaltlose Vertrauen des Dienstherrn
in seine stete und ausnahmslose ordnungsgemäße Pflichterfüllung
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beeinträchtigt. Mit seinen Pflichtverletzungen habe er daneben auch
schwerwiegend das Ansehen der Polizei in der Öffentlichkeit beschädigt.
Erschwerend sei zu berücksichtigen, dass der Beklagte die Straftaten in
unmittelbarem Zusammenhang mit seiner dienstlichen Tätigkeit vorsätzlich
begangen habe, indem er die ihm eingeräumte Befugnis, Verwarngelder
einzuziehen und zum Zwecke der späteren Abführung aufzubewahren, zu
eigenen Zwecken missbraucht habe. Seine Pflichtverletzungen wögen auch so
schwer, weil er nicht nur einmal, sondern wiederholt die eingezogenen
Verwarngeldbeträge für sich behalten und dabei zur Verdeckung seiner Taten
jeweils die von ihm vorher hergestellten gefälschten Verwarngeldbelege
eingesetzt habe. Gründe, die ausnahmsweise dafür sprächen, dass das
Vertrauensverhältnis zwischen der Klägerin und dem Beklagten noch nicht
endgültig zerstört sei, lägen nicht vor. Weder sei einer der sogenannten
klassischen Milderungsgründe gegeben, noch bestünden sonstige beachtliche
Umstände, die den Schluss rechtfertigen könnten, der Beamte habe mit seinem
Verhalten das Vertrauensverhältnis noch nicht vollständig zerstört. Zugunsten
des Beklagten spreche zwar, dass er langjährig und beanstandungsfrei seinen
Dienst versehen habe und bislang weder strafrechtlich noch disziplinarrechtlich
in Erscheinung getreten sei. Seine dienstlichen Leistungen seien zuletzt mit der
Bewertungsnote 4 "übertrifft erheblich die Anforderungen" beurteilt worden. Er
habe nach Tataufdeckung sein Fehlverhalten eingeräumt und sei von Anfang
an geständig gewesen. Die Summe von 105 EUR einbehaltener Verwarngelder
sei nicht übermäßig hoch und der Beklagte und seine Familie seien durch das
Straf- und Disziplinarverfahren, die mittlerweile langjährige vorläufige
Dienstenthebung, die Einbehaltung von zuletzt 50 v. H. seiner Dienstbezüge
und die Veröffentlichungen in der Presse erheblichen Belastungen ausgesetzt
gewesen. Diese zu seinen Gunsten sprechenden Gesichtspunkte seien letztlich
aber nicht geeignet, von der gebotenen Entfernung aus dem Beamtenverhältnis
abzusehen. Die pflichtgemäße und leistungsstarke Ausübung des Dienstes sei
eine Grundvoraussetzung für die Tätigkeit jedes Beamten und könne daher
nicht besonders hervorgehoben gewichtet werden. Die strafrechtlichen und
vorläufigen disziplinarrechtlichen Maßnahmen seien ausschließlich Folgen
seiner von ihm selbst zu vertretenden Dienstpflichtverletzungen und milderten
nicht die gebotene disziplinarrechtliche Maßnahme. Denn seine Handlungen
seien, auch wenn sie "nur" zu einem Schaden von 105 EUR geführt hätten,
schwerwiegende Verletzungen polizeilicher Kernpflichten. Es bestehe die ohne
weiteres einsehbare und jedem Polizeibeamten bekannte grundlegende
Dienstpflicht, dass Geldbeträge, die von Bürgern eingezogen werden, nicht zur
eigenen Verwendung missbraucht werden dürften. Für die besondere Schwere
der Pflichtverletzung spreche zu Lasten des Beklagten auch, dass er planmäßig
und gezielt die von ihm vorher gefälschten Verwarngeldbelege eingesetzt habe.
Der Beklagte habe mit seinem wiederholten Fehlverhalten deutlich gezeigt, dass
er sich bereits soweit von seinem Pflichtenkreis als Polizeibeamter entfernt
habe, dass er für den öffentlichen Dienst nicht mehr tragbar sei.
Gegen das ihm am 18. März 2011 zugestellte Urteil hat der Beklagte rechtzeitig
Berufung eingelegt, zu deren Begründung er anführt, das Vertrauensverhältnis
sei noch nicht endgültig zerstört, sodass seine Entfernung aus dem
Beamtenverhältnis unverhältnismäßig sei. Das Verwaltungsgericht habe zu
Unrecht das disziplinarrechtlich tatbestandliche Verhalten zusätzlich im Rahmen
der Rechtsfolge angeführt und daher in unzulässiger Weise doppelt zu seinen
Lasten berücksichtigt. Zudem habe es zu seinen Gunsten sprechende
Umstände zu Unrecht nicht durchschlagen lassen. Er sei von Anfang an
geständig gewesen. Zu berücksichtigen sei auch, dass er nicht Unschuldige
verfolgt habe, sondern dass sein Fehlverhalten sich ausschließlich im
Innenverhältnis zu seinem Dienstherrn angesiedelt sei. Zudem hätten sich die
von ihm vereinnahmten Verwarngelder in Höhe von 105 EUR noch in dem
Verwarnblock befunden und seien daher einer Zugriffsmöglichkeit seiner
Dienstvorgesetzten ausgesetzt gewesen, sodass seinem Dienstherrn letztlich
ein materieller Schaden nicht entstanden sei. Darüber hinaus habe es sich um
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einen nur geringwertigen Betrag gehandelt. Er sei im Rahmen der Ausübung
seiner beruflichen Tätigkeit im Schichtdienst weit über das von ihm zu
erwartende Maß hinaus tätig gewesen, was auch in seiner guten dienstlichen
Beurteilung zum Ausdruck komme. Infolge zweier von ihm nicht verschuldeter
Dienstunfälle in den Jahren 19 ... und 20 ... sowie eines weiteren Unfalls im
Februar 20 ... (letzterer mit der Folge einjähriger Dienstunfähigkeit bis April 20 ),
der psychischen Belastung im Dienst und des Todes seines Vaters im März 20
... habe er sich während seiner Dienstpflichtverletzungen in einer psychischen
Ausnahmesituation befunden. Zudem habe der Unfalltod seines Sohnes ihn und
seine Familie in eine erneute tiefe Krise gestürzt. Nach diesen
Schicksalsschlägen sei eine jegliche disziplinarische Maßnahme eine "reine
Formalie", insbesondere gelte dies nach dem nun eingetretenen Zeitablauf. Er
hege immer noch den Wunsch, in den Polizeidienst zurückzukehren. Die gegen
ihn durchgeführten disziplinarischen Ermittlungen, seine vorläufige Enthebung
vom Dienst sowie die Einbehaltung eines Teils seiner Dienstbezüge seien als
ausreichend zu erachten.
Der Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil zu ändern und auf eine mildere
Disziplinarmaßnahme unterhalb der Entfernung aus dem
Beamtenverhältnis zu erkennen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen,
und verteidigt das Urteil des Verwaltungsgerichts. Entgegen der Ansicht des
Beklagten sei angesichts der besonderen Schwere seines Dienstvergehens im
Kernbereich seines Pflichtenkreises, das als Zugriffsdelikt oberhalb der
Geringwertigkeitsschwelle zu werten sei, das Vertrauensverhältnis endgültig
zerstört. Das Verhalten des Beklagten habe das Ansehen der Polizei erheblich
beschädigt. Entgegen der Ansicht des Beklagten seien weder Milderungsgründe
gegeben, noch führe eine Gesamtwürdigung seiner Person zu einer anderen
Einschätzung. Er habe sich erst offenbart, als bereits nach einem
Polizeibeamten, der falsche Verwarnbelege verwendet habe, gefahndet worden
sei. Die von ihm eingenommenen Verwarngelder seien erst nach Vollendung
der Dienstpflichtverletzung im Strafverfahren eingezogen worden. Er habe sich
angesichts seines planmäßigen und wiederholten Vorgehens nicht in einer
besonderen Ausnahmesituation befunden. Die zu seinen Gunsten sprechenden
Umstände hätten nicht ein derartiges Gewicht, die die Annahme eines
fortbestehenden Vertrauensverhältnisses rechtfertigten. Gleiches gelte für die
von ihm ins Feld geführten persönlichen Schicksalsschläge.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des
Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten und die Beiakten sowie die Strafakten
verwiesen, die Gegen-stand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung des Beklagten hat keinen Erfolg. Das
Verwaltungsgericht hat zu Recht wegen eines innerdienstlichen
Dienstvergehens (dazu 1.) auf die Entfernung des Beklagten aus dem
Beamtenverhältnis gemäß § 11 NDiszG (dazu 2.) erkannt.
1. Unabhängig von dem Umstand, dass nach der neueren Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG, Urt. v. 28.7.2011 - BVerwG 2 C 16.10
-, ZBR 2011, 414 = juris Langtext Rdnr. 13 ff. m. w. N.) unter der Geltung des
Bundesdisziplinargesetzes eine auf das Disziplinarmaß beschränkte Berufung
aus prozessualen Gründen ausscheidet, der sich der Senat für den Bereich des
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Niedersächsischen Disziplinargesetzes nunmehr angeschlossen hat (vgl.
zuletzt Senat, Urt. v. 28.8.2012 - 19 LD 2/10 -, juris Langtext Rdnr. 36 m. w. N.),
sodass die Disziplinarklage ungeachtet des auf das Disziplinarmaß
beschränkten Berufungsvorbringens des Beklagten in der Berufungsinstanz
gemäß §§ 4 NDiszG, 128 Satz 1 VwGO in gleichem Umfang wie im
erstinstanzlichen Verfahren zu überprüfen ist, geht der Senat in tatsächlicher
Hinsicht mit Blick auf die in §§ 52 Abs. 1 Satz 1, 60 Abs. 1 Satz 1 NDiszG
gesetzlich angeordnete Bindungswirkung sowohl in objektiver als auch in
subjektiver Hinsicht von den ausdrücklichen (objektiver Tatbestand) und
stillschweigenden (subjektiver Tatbestand) Feststellungen aus, die das
Landgericht I. in seinem rechtskräftigen Urteil vom 10. Dezember 20 ... seiner
strafgerichtlichen Verurteilung des Beklagten zugrunde gelegt hat. Gründe für
eine Abweichung hiervon mit der Folge eines Lösungsbeschlusses nach §§ 52
Abs. 1 Sätze 2 und 3, 60 Abs. 1 Satz 1 NDiszG sind nicht ersichtlich und werden
von dem Beklagten auch nicht, zumindest nicht in durchschlagender Weise,
geltend gemacht. Dies gilt auch, soweit der Beklagte im Berufungsverfahren
geltend macht, die von ihm eingenommenen Verwarngelder hätten sich noch in
dem Verwarnblock befunden und seien mithin einer Zugriffsmöglichkeit seiner
Dienstvorgesetzten ausgesetzt gewesen. Hierdurch wird die Vollendung des
Straftatbestandes einer veruntreuenden Unterschlagung im Sinne von § 246
Abs. 2 StGB nicht erfolgreich infrage gestellt. Der für die Vollendung der
Unterschlagung erforderliche nach außen manifestierte Zueignungsakt liegt
darin, dass der Beklagte die Verwarngelder für sich in unmittelbaren Besitz
genommen hat (vgl. zu dem Merkmal der Vollendung einer Unterschlagung
Eser/Bosch, in: Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl. 2010, § 246 Rdnr. 10 f. und
26 m. w. N.). Ungeachtet dessen hätte sich der Beklagte selbst dann eines
vollendeten Dienstvergehens schuldig gemacht, wenn die veruntreuende
Unterschlagung im - nach § 246 Abs. 3 StGB ebenfalls strafbewehrten -
Versuchsstadium stecken geblieben wäre. Denn der Versuch einer Straftat stellt
stets ein vollendetes Dienstvergehen dar (vgl. hierzu etwa BVerwG, Urt. v.
13.6.1989 - BVerwG 2 WD 2.09 -, juris).
Das vorsätzliche, rechtswidrige und schuldhafte Verhalten des Beklagten ist
unstreitig als einheitliches innerdienstliches Dienstvergehen zu qualifizieren, da
es in sein Amt als Polizeibeamter und die damit verbundene dienstliche Tätigkeit
eingebunden war und er nur aufgrund seiner dienstlichen Tätigkeit und unter
Ausnutzung dienstlicher Möglichkeiten in der Lage war, den ihm im Strafurteil
des Landgerichts I. zur Last gelegten Sachverhalt zu verwirklichen und
hierdurch zugleich seine Beamtenpflichten schuldhaft zu verletzen (vgl. zu
diesen Kriterien bereits BVerwG, Urt. v. 21.8.1996 - BVerwG 1 D 66.95 -, juris
Langtext Rdnr. 31). Der Beklagte hat hierdurch gegen seine Dienstpflichten zur
uneigennützigen Amtsführung gemäß § 62 Satz 2 NBG a. F. (jetzt § 34 Satz 2
BeamtStG) sowie zum achtungs- und vertrauenswürdigen Verhalten innerhalb
des Dienstes nach § 62 Satz 3 NBG a. F. (nunmehr § 34 Satz 3 BeamtStG)
verstoßen. Auch dies stellt der Beklagte nicht in Abrede.
2. Entgegen seiner Ansicht hat das Verwaltungsgericht auf der
Rechtsfolgenseite ihn wegen seines Dienstvergehens zu Recht aus dem
Beamtenverhältnis entfernt.
Die Entscheidung über eine Disziplinarmaßnahme ergeht nach pflichtgemäßem
Ermessen (§ 14 Abs. 1 Satz 1 NDiszG). Sie ist nach der Schwere des
Dienstvergehens zu bemessen (§ 14 Abs. 1 Satz 2 NDiszG), wobei nach § 14
Abs. 1 Satz 3 NDiszG das Persönlichkeitsbild des Beamten einschließlich
seines bisherigen dienstlichen Verhaltens angemessen zu berücksichtigen ist
und ferner berücksichtigt werden soll, in welchem Umfang der Beamte das
Vertrauen des Dienstherrn und der Allgemeinheit beeinträchtigt hat (§ 14 Abs. 1
Satz 4 NDiszG). Die Schwere des Dienstvergehens beurteilt sich nach den
objektiven und subjektiven Handlungsmerkmalen der Verfehlung, den
besonderen Umständen der Tatbegehung und den unmittelbaren Folgen für den
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dienstlichen Bereich und für Dritte. Daher geht der Einwand des Beklagten, das
Verwaltungsgericht habe das disziplinarrechtlich tatbestandliche Verhalten
zusätzlich im Rahmen der Rechtsfolge angeführt und daher in unzulässiger
Weise doppelt zu seinen Lasten berücksichtigt, ins Leere. Der Beklagte
verkennt bei dieser Argumentation die Struktur des disziplinarrechtlichen
Klageverfahrens und speziell des Disziplinarklageverfahrens. In einem ersten
Schritt ist (auf der Tatbestandsebene) zu fragen, ob der Beamte durch sein
Verhalten ein Dienstvergehen gemäß § 47 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG begangen
hat. In einem zweiten Schritt ist bejahendenfalls - wie dargelegt (auf der
Rechtsfolgenebene) - die gebotene Disziplinarmaßnahme zu ermitteln. In
diesem Zusammenhang ist wegen des nach § 14 Abs. 1 Satz 2 NDiszG
vorrangig zu berücksichtigenden Zumessungsmaßstabes der Schwere des
Dienstvergehens auch auf dieser Ebene die Eigenart der
Dienstpflichtverletzungen notwendigerweise in den Blick zu nehmen und zu
gewichten.
Bei der nach § 14 Abs. 1 Satz 1 NDiszG im Fall einer Disziplinarklage aufgrund
einer eigenen Ermessensentscheidung des Verwaltungsgerichts (vgl. zu der
"eigenständigen Disziplinargewalt" des Verwaltungsgerichts im Fall des
gleichlautenden § 13 Abs. 1 Satz 1 BDG: BVerwG, Urt. v. 3.5.2007 - BVerwG 2
C 9.06 -, NVwZ-RR 2007, 615 = juris Langtext Rdnr. 11 m. w. N.)
vorzunehmenden Bemessung von Art und Maß der Disziplinarmaßnahme ist
eine disziplinarische Gesamtwürdigung aller be- und entlastenden Umstände
unter Berücksichtigung des Persönlichkeitsbildes des Beamten vorzunehmen
(BVerwG, Urt. v. 20.10.2005 - BVerwG 2 C 12.04 -, BVerwGE 124, 252, 259; Urt.
v. 30.11.2006 - BVerwG 1 D 6.05 -, juris; Senat, Urt. v. 24.11.2011 - 19 LD 18/08
-; Urt. v. 17.7.2007 - 19 LD 13/06 -; Nds. OVG, Urt. v. 7.12.2010 - 20 LD 3/09 -,
Nds. RPfl. 2011, 83). Die Vorschrift des § 14 NDiszG genügt dem
Bestimmtheitsgebot (vgl. BVerwG, Beschl. v. 22.12.2010 - BVerwG 2 B 18.10 -,
juris Langtext Rdnr. 9 zum inhaltsgleichen Disziplinarrecht in Nordrhein-
Westfalen). Eine objektive und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
entsprechende Entscheidung über die Disziplinarmaßnahme setzt voraus, dass
die genannten Bemessungskriterien mit dem ihnen im Einzelfall zukommenden
Gewicht ermittelt und in die Entscheidung eingestellt werden. Ergibt die
Gesamtwürdigung, dass das für die Aufrechterhaltung des
Beamtenverhältnisses unerlässliche Vertrauensverhältnis zwischen dem
Beamten und dem Dienstherrn endgültig zerstört ist, ist ein aktiver Beamter aus
dem Beamtenverhältnis zu entfernen (§ 14 Abs. 2 Satz 1 NDiszG). So verhält es
sich hier.
Bei der Auslegung des Begriffs des schweren Dienstvergehens ist maßgebend
auf das Eigengewicht der Verfehlung abzustellen. Hierfür sind zum einen
objektive Handlungsmerkmale bestimmend, insbesondere Eigenart und
Bedeutung der Dienstpflichtverletzung sowie die besonderen Umstände der
Tatbegehung wie Häufigkeit und Dauer eines wiederholten Fehlverhaltens. Zum
anderen kommt es auf subjektive Handlungsmerkmale und in diesem
Zusammenhang insbesondere auf die Form und das Gewicht der Schuld des
Beamten sowie die Beweggründe für sein Verhalten an. Die Frage nach dem
Umfang der Beeinträchtigung des Vertrauens des Dienstherrn oder der
Allgemeinheit betrifft die Erwartung, dass sich der Beamte aus der Sicht des
Dienstherrn und der Allgemeinheit so verhält, wie es von ihm im Hinblick auf
seine Dienstpflichten erwartet wird. Das Vertrauen des Dienstherrn oder der
Allgemeinheit in die Person des Beamten bezieht sich in erster Linie auf dessen
allgemeinen Status als Beamter, daneben aber auch auf dessen konkreten
Tätigkeitsbereich innerhalb der Verwaltung. Ob und gegebenenfalls inwieweit
eine Beeinträchtigung des Vertrauens vorliegt, ist nach objektiven
Gesichtspunkten zu beurteilen. Das Bemessungskriterium des
Persönlichkeitsbildes des Beamten erfasst dessen persönliche Verhältnisse und
sein sonstiges dienstliches Verhalten vor, bei und nach der Tatbegehung. Es
erfordert eine Prüfung, ob das festgestellte Dienstvergehen mit dem bisher
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gezeigten Persönlichkeitsbild des Beamten übereinstimmt oder etwa als
persönlichkeitsfremdes Verhalten in einer Notlage oder einer psychischen
Ausnahmesituation davon abweicht (vgl. hierzu Senat, Urt. v. 28.8.2012 - 19 LD
2/10 -, juris Langtext Rdnr. 58 ff. m. w. N.).
Die besondere Schwere des Dienstvergehens liegt im vorliegenden Fall darin
begründet, dass der Beklagte durch sein vorsätzliches und schuldhaftes
Verhalten in eigennütziger Weise wiederholt im Kernbereich seiner
Dienstpflichten versagt hat. Ein Polizeivollzugsbeamter, der mit Hilfe eines
Scanners und eines Druckers Kopien eines ihm dienstlich zugeteilten
Verwarngeldbelegs anfertigt und in der Folgezeit wiederholt von Führern von
Kraftfahrzeugen wegen Geschwindigkeitsübertretungen Verwarngelder erhebt
und ihnen die zuvor gefälschten Quittungen überreicht, um die vereinnahmten
Verwarngelder für eigene Zwecke zu verwenden, handelt in äußerst grober
Weise achtungs- und ansehensschädigend und untergräbt mit diesem
Verhalten Funktionsfähigkeit und Ansehen des öffentlichen Dienstes im
Allgemeinen und des Polizeivollzugsdienstes im Besonderen. Dies bedeutet
zugleich, dass das Vertrauen des Dienstherrn und der Allgemeinheit in die
pflichtgemäße Amtsführung durch ein derartiges Verhalten endgültig zerstört
wird. Dies gilt um so mehr, als der Beklagte durch sein Verhalten zugleich und
wiederholt kriminelles Unrecht begangen hat und deshalb strafrechtlich belangt
worden ist, obwohl seine vordringliche dienstliche Aufgabe als Polizeibeamter
gerade darin bestand, Recht und Ordnung zu schützen, Gefahren von anderen
abzuwehren sowie Straftaten zu verhindern. Durch sein vorsätzliches und
wiederholtes Verhalten hat der Beklagte den notwendigen Respekt verloren und
das Verhältnis zu seinen Kollegen im Polizeivollzugsdienst, die sich um eine
vorbildliche Haltung gegenüber den Verkehrsteilnehmern bemühen, wäre
nachhaltig und unreparabel gestört. Zugleich müssen sich Verkehrsteilnehmer,
die sich verkehrsordnungswidrig verhalten und deshalb ein Verwarngeld verwirkt
haben, unbedingt darauf verlassen können, dass die von ihnen gezahlten
Verwarngelder ordnungsgemäß verwendet werden; auch gegen diese
Erwartungshaltung hat der Beklagte durch sein Verhalten in gravierender Weise
verstoßen. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, dass es sich nicht um die
Verfolgung Unschuldiger gehandelt hat.
Im Ergebnis liegen weder durchgreifende sogenannte anerkannte
Milderungsgründe vor, noch führt eine darüber hinaus anzustellende
Gesamtwürdigung der den Beklagten belastenden und entlastenden
Gesichtspunkte zu dem Ergebnis, dass das Vertrauensverhältnis zum
Dienstherrn und der Allgemeinheit noch nicht endgültig zerstört ist.
Der Senat sieht wie das Verwaltungsgericht keine durchgreifenden
Anhaltspunkte dafür, dass die Milderungsgründe des Handelns in einer
ausweglosen und existenziellen wirtschaftlichen Notlage, des Vorliegens einer
psychischen Ausnahmesituation oder einer besonderen Versuchungssituation
und einer kurzschlussartigen oder persönlichkeitsfremden Tat vorliegen. Soweit
der Beklagte in der Begründung seiner Berufung darauf verweist, dass er sich
infolge seiner vorherigen einjährigen Dienstunfähigkeit aufgrund von
unverschuldeten Dienstunfällen und des Todes seines Vaters zu den
Tatzeitpunkten in einer psychischen Ausnahmesituation befunden habe, spricht
vor allem die wiederholte und planmäßige Vorgehensweise des Beklagten
dagegen. Zudem lagen die Dienstunfälle vom September 19 ... und vom April 20
... sowie der weitere Unfall vom Februar 20 ... zu den Tatzeitpunkten im April und
Mai 20 ... bereits (zum Teil weit) mehr als sechs Jahre zurück, sodass ein
bestimmender Einfluss auf die psychische Verfassung des Beklagten nicht
erkennbar ist. Gleiches gilt für die von dem Beklagten im Allgemeinen
angeführten psychischen Belastungen infolge seines Schichtdienstes und der
zum Teil belastenden Umstände der Einsätze. Diese Belastungen stellen für
Polizeivollzugsbeamte keine Ausnahme dar, zumal aus den
Verwaltungsvorgängen und auch sonst, etwa aus den Vernehmungen der
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Kollegen des Beklagten im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren als Zeugen,
keine durchschlagenden Anhaltspunkte für eine besondere psychische
Belastungssituation gerade des Beklagten ersichtlich sind.
Auch fehlt es an einer freiwilligen Offenbarung des Fehlverhaltens und an einer
freiwilligen Wiedergutmachung des Schadens jeweils vor Tatentdeckung. Soweit
der Beklagte im Berufungsverfahren darauf abstellt, er sei "von Anfang an
geständig" gewesen, ist ihm entgegenzuhalten, dass er die Taten erst
gestanden hatte, nachdem zuvor polizeiliche Ermittlungen und
Zeugenvernehmungen vorgenommen worden waren und er hierdurch als
Tatverdächtigter derart in den Blick geraten ist, dass ein weiteres Leugnen
zwecklos gewesen wäre. Von einer vollständigen und vorbehaltlosen
Offenbarung seiner Pflichtverletzungen und seiner Schadensverursachung vor
der Entdeckung der Tat kann daher keine Rede sein. Gleiches gilt für sein
Vorbringen, die von ihm vereinnahmten Verwarngelder in Höhe von insgesamt
105 EUR hätten sich noch in dem Verwarnblock befunden und seien somit einer
Zugriffsmöglichkeit durch seine Dienstvorgesetzten ausgesetzt gewesen.
Abgesehen davon, dass dieser Vortrag nichts daran ändert, dass durch die
strafgerichtliche Verurteilung durch das Landgericht I. für das
Disziplinarverfahren bindend (auch) die vollendete Zueignung festgestellt
worden ist, fehlt es an einer freiwilligen Wiedergutmachung des Schadens. Denn
die von ihm veruntreuten Verwarngelder wurden erst im Laufe des gegen ihn
eingeleiteten Ermittlungsverfahrens sichergestellt, sodass es an einem Handeln
des Beklagten aus eigenem Antrieb ohne Furcht vor Entdeckung fehlt.
Ungeachtet dessen kann ihn dieser Umstand auch deshalb nicht entlasten, weil
es für die im Disziplinarrecht gebotene Persönlichkeitsbeurteilung des Beamten
entscheidend auf den gezeigten Handlungswillen und die damit zum Ausdruck
gekommenen Charakter- und Persönlichkeitsmängel des Beamten ankommt.
Der Umstand, dass der Erfolg der Tat (letztlich) nicht eingetreten ist, ist
disziplinarrechtlich auf der Rechtsfolgenebene der Bemessung der richtigen
Disziplinarmaßnahme nur von Bedeutung, wenn der Nichteintritt auf einem
zurechenbaren Verhalten des Beamten beruht. Hieran fehlt es nach dem eben
Gesagten.
Der Milderungsgrund des Zugriffs auf geringwertige Gelder scheitert daran, dass
er sich durch seine aufgrund des Grundsatzes der Einheit des Dienstvergehens
insgesamt und einheitlich zu betrachtenden Pflichtverletzungen einen Betrag
von 105 EUR zugeeignet hat und dieser Betrag die Wertgrenze, die in
Anlehnung an § 248a StGB bei zurzeit etwa 50 EUR gezogen wird (vgl. hierzu
Eser/Bosch, in: Schönke/Schröder, a. a. O., § 248a Rdnr. 10 m. w. N.), um mehr
als das Doppelte übersteigt. Ungeachtet dessen kommt es bei der
Angemessenheit einer Disziplinarmaßnahme nicht auf das Verhältnis zwischen
den von dem Beamten durch das Dienstvergehen erlangten Vorteilen und den
durch die Disziplinarmaßnahme bewirkten Nachteilen an. Abzuwägen sind
vielmehr das Gewicht des Dienstvergehens und der dadurch eingetretene
Vertrauensschaden einerseits und die mit der Verhängung der
Höchstmaßnahme einhergehenden Belastungen andererseits (BVerwG, Urt. v.
8.4.2003 - BVerwG 1 D 72.02. -, juris). Daher kann unter Umständen im Fall
einer sehr schweren Dienstpflichtverletzung im Kernbereich der Pflichten eines
Beamten aufgrund der gebotenen Gesamtabwägung selbst dann die
Höchstmaßnahme verwirkt sein, wenn das Zugriffsobjekt lediglich einen Wert bis
zur Grenze von 50 EUR hat.
Der Senat stimmt mit dem Verwaltungsgericht schließlich darin überein, dass
auch mit Blick auf die darüber hinaus gebotene Gesamtwürdigung aller be- und
entlastenden Gesichtspunkte sonstige Umstände, die den Schluss rechtfertigen
könnten, der Beklagte habe aufgrund seines Dienstvergehens das
Vertrauensverhältnis noch nicht endgültig zerstört, nicht gegeben sind.
Zwar streitet zugunsten des Beklagten seine langjährige und
beanstandungsfreie Dienstausübung als Polizeibeamter, dessen letzte
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dienstliche Beurteilung aus dem Jahr 20 ... mit der Wertungsstufe 4 "übertrifft
erheblich die Anforderungen" abschließt, sowie der Umstand, dass er nach
Tataufdeckung geständig war. Diese Entlastungsgründe haben aber nicht ein
solches Gewicht, dass sie den durch das schwere Dienstvergehen
eingetretenen endgültigen Vertrauensverlust aufwiegen könnten. Dies gilt
insbesondere im Fall der hier vorliegenden Verletzung einer leicht einsehbaren
Kernpflicht. Schließlich stellt der Umstand, dass der Beklagte in straf- und
disziplinarrechtlicher Hinsicht unbelastet ist, letztlich keine entlastend wirkende
Besonderheit, sondern den Normalfall dar, sodass er im Fall der Verwirkung der
Höchstmaßnahme nicht zu seinen Gunsten berücksichtigt werden kann.
Gleiches gilt für die gegen den Beklagten durchgeführten strafrechtlichen und
disziplinarrechtlichen Maßnahmen der vorläufigen Dienstenthebung und der
Einbehaltung eines Teils seiner Dienstbezüge sowie der Belastungen insgesamt
durch das Disziplinarverfahren. Diese gesetzlich geregelten und vorgesehenen
Maßnahmen sind ebenfalls unmittelbar und ausschließlich Folge des von ihm zu
vertretenden Fehlverhaltens im Kernbereich seiner dienstlichen Pflichten.
Ungeachtet dieser Maßnahmen steht die streitgegenständliche Frage im Raum
und ist zu beantworten, ob und insbesondere mit welcher der im Katalog des § 6
NDiszG gesetzlich vorgesehenen Disziplinarmaßnahmen auf das
Dienstvergehen des Beklagten zu reagieren ist.
Auch die Verfahrensdauer streitet nicht zu seinen Gunsten. Abgesehen davon,
dass eine übermäßig lange Dauer des Straf- und des Disziplinarverfahrens nicht
ohne weiteres zu erkennen ist, kann nach ständiger Rechtsprechung lediglich
eine unterhalb der disziplinarischen Höchstmaßnahme gebotene
Disziplinarmaßnahme auch in der Maßnahmeart milder ausfallen, wenn das
Straf- und/oder das Disziplinarverfahren übermäßig lange gedauert haben und
der Beamte dies nicht zu vertreten hat (vgl. hierzu etwa BVerwG, Urt. v. 8.9.2004
- BVerwG 1 D 18.03 -, NVwZ-RR 2006, 45). Wenn hingegen - wie hier - die
Höchstmaßnahme verwirkt ist, scheidet eine Berücksichtigung einer überlangen
Verfahrensdauer auch unter Berücksichtigung des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 der
Europäischen Menschenrechtskonvention - EMRK - und der dazu ergangenen
Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte - EGMR -
sowie der §§ 4 NDiszG, 173 Satz 1 VwGO, 198 ff. GVG aus (BVerwG, Beschl. v.
30.8.2012 - BVerwG 2 B 21.12 -, juris Langtext Rdnr. 13 ff.; Urt. v. 29.3.2012 -
BVerwG 2 A 11.10 -, juris Langtext Rdnr. 84 ff; Beschl. v. 16.5.2012 - BVerwG 2
B 3.12 -, NVwZ-RR 2012, 609 = juris Langtext Rdnr. 6 ff.; Urt. v. 25.8.2009 -
BVerwG 1 D 1.08 -, juris; Beschl. v. 28.10.2008 - BVerwG 2B 53.08 -, juris;
BVerfG, Beschl. v. 9.8.2006 - 2 BvR 1003/05 -, juris Langtext Rdnr. 6; Senat, Urt.
v. 28.8.2012 - 19 LD 6/10 -).
Die Entfernung des Beklagten aus dem Beamtenverhältnis infolge seines
schweren Dienstvergehens ist auch nicht unverhältnismäßig. Dass diese
Höchstmaßnahme mit Einkommenseinbußen und dem Verlust der
Versorgungsbezüge verbunden ist, ist Folge der schuldhaften
Dienstpflichtverletzungen des Beklagten, die sich in sozialer Hinsicht
ergebenden Folgen beruhen daher allein auf seinem zurechenbaren Verhalten.
Deshalb kommt es nicht auf die finanziellen und sozialen Auswirkungen der
Disziplinarmaßnahme für den Beamten und seine unterhaltsberechtigten
Familienangehörigen an. In das Verhältnis zu setzen sind - wie oben bereits in
anderem Zusammenhang ausgeführt - vielmehr die Zerstörung des
Vertrauensverhältnisses zum Dienstherrn, zu der das Fehlverhalten des
Beamten geführt hat, und die dementsprechend verhängte
Disziplinarmaßnahme. Hat ein Beamter durch ein ihm vorwerfbares Verhalten
die Vertrauensgrundlage zerstört, ist seine Entfernung aus dem
Beamtenverhältnis die einzige Möglichkeit, das durch den Dienstherrn sonst
nicht lösbare Beamtenverhältnis einseitig zu beenden. Die allein darin liegende
Härte für den Betroffenen ist nicht unverhältnismäßig (vgl. hierzu BVerfG,
Beschl. v. 20.12.2007 - 2 BvR 1050/07 -, juris Langtext Rdnr. 11; Beschl. v.
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19.2.2003 - 2 BvR 1413/01 -, NVwZ 2003, 1504 -; OVG Lüneburg, Urt. v.
22.6.2010 - 20 LD 13/08 -, juris Langtext Rdnr. 62; VGH München, Urt. v.
23.3.2011 - 16b D 09.2749 -, juris Langtext Rdnr. 74, jeweils m. w. N.).
Schließlich verkennt der Senat nicht, dass der Beklagte und seine
Familienangehörigen durch den im ... eingetretenen Unfalltod seines Sohnes
einen außerordentlich schweren Schicksalsschlag erlitten haben. Dieser nach
der Tatbegehung und nach Abschluss des erstinstanzlichen
Disziplinarklageverfahrens eingetretene tragische Umstand rechtfertigt
angesichts des aufgezeigten endgültigen Vertrauensverlustes des Dienstherrn
und der Allgemeinheit in die ordnungsgemäße Ausübung des Dienstes des
Beklagten aber nicht eine mildere als die verwirkte disziplinarische
Höchstmaßnahme. Nach § 14 Abs. 2 Satz 1 NDiszG ist ein Beamter in diesem
Fall aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen, ohne dass noch ein Ermessen
besteht. Daher kann dem Beklagten auch nicht ein - von ihm indirekt
eingefordertes - Recht auf eine "zweite Chance" eingeräumt werden (vgl. hierzu
BVerfG, Beschl. v. 20.12.2007 - 2 BvR 1050/07 -, juris Langtext Rdnr. 17).