Urteil des HessVGH vom 03.02.1987

VGH Kassel: verteilung der sitze, beginn der frist, zustellung, die post, wahlergebnis, wahlkreis, sozialdemokratische partei, eidesstattliche erklärung, sitzverteilung, pflegeheim

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
2. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
2 UE 1717/86
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 25 KredWG, § 26 KredWG,
§ 27 KredWG, § 6 KomWO
HE , § 17 Abs 3 KomWO HE
Leitsatz
1. Für den Beginn der Frist des § 27 Satz 1 KWG kommt es jedenfalls dann auf den Tag
der Zustellung der Entscheidung und nicht auf ihre Verkündung an, wenn die
Entscheidung förmlich zugestellt wurde.
2. Vermerkt der Postzusteller bei Zustellung mittels Zustellungsurkunde auf der
Urkunde und dem dem Empfänger zu übergebenden Schriftstück unterschiedliche
Daten, liegt eine Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften vor. Dies hat zur Folge,
daß die Klagefrist nicht zu laufen beginnt.
3. Bei der Überprüfung der Gültigkeit von Kommunalwahlen darf das Gericht nur die
Unregelmäßigkeiten überprüfen, die innerhalb der Einspruchsfrist des § 25 KWG geltend
gemacht wurden. Der Kläger hat den zu beurteilenden Sachverhalt innerhalb dieser
Frist im wesentlichen darzulegen.
4. Eine Unregelmäßigkeit, die im Wahlverfahren vorgekommen ist, kann dann keinen
Einfluß auf das Wahlergebnis haben, wenn der Ursachenzusammenhang zwischen
Unregelmäßigkeit und Wahlergebnis durch ein dazwischen liegendes Ereignis
unterbrochen worden ist.
Tatbestand
Der Kläger ficht die Gültigkeit der Kommunalwahl vom 10. März 1985 an, soweit die
Mitglieder der Stadtverordnetenversammlung der Stadt Lauterbach gewählt
wurden. Er war am Wahltag im Wahlkreis Lauterbach wahlberechtigt.
Als endgültiges Wahlergebnis im Wahlkreis Lauterbach hat der Wahlausschuß
folgendes festgestellt:
Partei oder Wählergruppe
Stimmen Sitze
Sozialdemokratische Partei Deutschland
4.371
19
Christlich Demokratische Union Deutschlands 3.394
15
Freie Demokratische Partei
760
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DIE GRÜNEN
450
Freie Wählergemeinschaft Lauterbach
333
Dieses Wahlergebnis wurde vom Gemeindewahlleiter am 14. März 1985 öffentlich
bekanntgemacht.
Mit Schreiben vom 27. März 1985, bei der Stadtverwaltung Lauterbach am selben
Tage eingegangen, legte der Kläger Einspruch gegen die Gültigkeit der
Kommunalwahl in Lauterbach ein. Zur Begründung führte er aus, gegen die
Gültigkeit der Kommunalwahl bestünden Bedenken. Von der Heimleitung des
Altenheimes der Arbeiterwohlfahrt in Lauterbach seien, ohne daß die erforderliche
schriftliche Vollmacht der Wahlberechtigten vorgelegen habe, Briefwahlunterlagen
bei der Stadtverwaltung in Lauterbach angefordert worden. Die
Briefwahlunterlagen seien von nichtbevollmächtigten Personen
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Briefwahlunterlagen seien von nichtbevollmächtigten Personen
entgegengenommen worden. In einem Fall habe die Heimleitung auf Befragen
nach den Briefwahlunterlagen keine befriedigende Antwort über deren Verbleib
geben können.
Darüber hinaus sei bei der öffentlichen Auszählung der Briefwahlunterlagen
auffallend gewesen, daß eine Vielzahl der Wahlscheine nicht von den
Wahlberechtigten des Altenheimes selbst, sondern von einem Vertrauensmann
unterschrieben gewesen seien. Dieser Vertrauensmann sei ehrenamtlicher
Vorsitzender der Arbeiterwohlfahrt Lauterbach und gleichzeitig Kandidat für das
Stadtparlament auf der SPD-Liste. Im übrigen seien bei der Wahl
verschiedenartige Wahlumschläge verwandt worden. Nach § 28
Kommunalwahlordnung (KWO) müßten derartige Umschläge von gleicher Größe,
Beschaffenheit und Farbe sein.
Schließlich sei in einem Wahlbezirk von einem SPD-Kandidaten für das
Stadtparlament Einsicht in das Wählerverzeichnis genommen und danach mit
Bürgern, die bis dahin noch nicht ihre Stimme abgegeben hätten, Verbindung
aufgenommen worden. Die dargelegten Unregelmäßigkeiten könnten auf die
Verteilung der Sitze im Stadtparlament von Einfluß gewesen sein.
In der ersten Sitzung der Stadtverordnetenversammlung nach der Wahl am 22.
April 1985 erklärte die Stadtverordnetenversammlung nach Diskussion über die
Einspruchsgründe mit Mehrheit die Wahl vom 10. März 1985 für gültig. Dieses
teilte der Gemeindewahlleiter mit Schreiben vom 25. April 1985 dem Kläger mit.
Zur Begründung ist in diesem Schreiben ausgeführt, die Anforderung der
Briefwahlunterlagen durch die Leitung des Alten- und Pflegeheimes sowie die
Aushändigung an eine Person ohne Vollmacht der Wahlberechtigten sei zwar eine
Unregelmäßigkeit, die jedoch keinerlei Einfluß auf die Stimmabgabe des einzelnen
Wahlberechtigten gehabt habe. In dem Alten- und Pflegeheim hätten 67 % der
Heiminsassen von ihrem Wahlrecht Gebrauch gemacht. Soweit darauf abgestellt
werde, daß ein Vertrauensmann, der bei der Stimmabgabe zugezogen worden sei,
gleichzeitig Wahlbewerber sei, könne hierin eine Unregelmäßigkeit nicht liegen, da
das Gesetz Wahlbewerber von der Stellung als Vertrauensmann nicht
ausgeschlossen habe. Im übrigen müsse der Wähler oder der Vertrauensmann
gegenüber dem Wahlleiter an Eides statt versichern, daß der Stimmzettel
persönlich oder gemäß dem erklärten Willen des Wählers gekennzeichnet worden
sei.
Was die abweichenden Wahlumschläge bei der Briefwahl angehe, sehe das Gesetz
vor, daß Briefwahlumschläge durch Klebung verschließbar sein müßten (§ 28 Abs.
1 Satz 3 KWO). Von daher seien Wahlumschläge von Briefwählern immer zu
individualisieren, so daß es im Ergebnis auf die Farbgestaltung des Umschlages
nicht ankomme. Im übrigen lägen keine tatsächlichen Hinweise darauf vor, daß bei
der Wahl Farbgestaltungen vorgelegen hätten, die vom Normalfall abgewichen
seien.
Soweit gerügt werde, daß unbefugte Personen Einsicht in das Wählerverzeichnis
genommen hätten, sei der Einspruch nicht substantiiert. Sowohl der Wahlvorsteher
als auch der Schriftführer im Wahlbezirk des Stadtteiles Frischborn hätten erklärt,
daß nicht eine Person, die nicht Mitglied des Wahlvorstandes gewesen sei, Einblick
in das Wählerverzeichnis genommen habe. Als Tag der Zustellung dieses
Schreibens ist auf der Postzustellungsurkunde der 30. April 1985 vermerkt; der
dem Kläger übergebene Briefumschlag trägt das vom Zusteller abgezeichnete
Datum "30.5.1985".
Am 31. Mai 1985 hat der Kläger beim Verwaltungsgericht Darmstadt Klage
erhoben.
Zur Zulässigkeit hat der Kläger ausgeführt, es sei unerheblich, wann der Bescheid
vom 25. April 1985 zugestellt worden sei und es komme auch nicht darauf an, ob
diesem Bescheid eine Rechtsmittelbelehrung hätte beigefügt werden müssen.
Jedenfalls hätte der Bescheid vom Wahlleiter zugestellt werden müssen. Dies sei
aber durch den ersten Stadtrat der Stadt Lauterbach geschehen, der weder zur
Vertretung des Gemeindewahlleiters bestellt noch sonst berufen gewesen sei.
Zur Begründung hat er teilweise seinen Vortrag im Einspruchsverfahren wiederholt
und ergänzend ausgeführt, für das Alten- und Pflegeheim sei ein Sonderwahlbezirk
nicht gebildet worden. Auf den Antrag des Heimleiters hin seien 83,
Briefwahlscheine ausgegeben worden. Mindestens 56 der Briefwahlscheine seien
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Briefwahlscheine ausgegeben worden. Mindestens 56 der Briefwahlscheine seien
mit Stimmzetteln zurückgegeben worden. Bei mehreren Wahlscheinen sei die
vorgedruckte Versicherung an Eides statt nicht unterzeichnet gewesen. Die
Heimleitung habe nicht dafür Sorge getragen, daß die Stimmzettel unbeobachtet
hätten gekennzeichnet und in den Wahlumschlag hätten eingelegt werden können,
wie dies § 45 Abs. 3 KWO vorschreibe. Sie sei darauf auch nicht von dem
Gemeindewahlleiter hingewiesen worden. Darüber hinaus seien mehrere der
stimmberechtigten Bewohner des Alten- und Pflegeheimes, für die die
"Vertrauensperson" den Stimmzettel gekennzeichnet und die eidesstattliche
Versicherung unterzeichnet habe, am 10. März 1985 nicht mehr in der Lage
gewesen, Sinn und Bedeutung ihres Abstimmungsverhaltens zu erfassen. Zwei
dieser Bewohner des Alten- und Pflegeheimes seien inzwischen verstorben.
Die Unregelmäßigkeiten hätten auch auf das Wahlergebnis von Einfluß sein
können. Wären auf die Liste der "GRÜNEN" 16 Stimmen mehr entfallen, hätte sie
die 5 %-Grenze überschritten und an der Sitzverteilung in der
Stadtverordnetenversammlung teilgenommen. Der Kläger hat hierzu eine
Berechnung zu den Gerichtsakten gereicht, auf die wegen der Einzelheiten Bezug
genommen wird (Bl. 16-19 d.A.).
Nach seiner Auffassung erfaßten die Unregelmäßigkeiten die Gültigkeit der Wahl
im gesamten Wahlkreis, da ein Sonderwahlbezirk für das Alten- und Pflegeheim
nicht gebildet worden sei.
Der Kläger hat beantragt,
den Beschluß der Beklagten vom 22. April 1985 über die Gültigkeit der Wahl
vom 10. März 1985 zur Stadtverordnetenversammlung der Stadt Lauterbach
aufzuheben,
die Wahl vom 10. März 1985 im Wahlkreis Lauterbach zur Wahl der Beklagten
für ungültig zu erklären.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Auffassung vertreten, die Klage sei verspätet eingegangen. Im übrigen
komme es auf die Frage, ob dem Bescheid eine Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt
gewesen sei, nicht an. In Kommunalwahlsachen beginne der Fristenlauf
unabhängig hiervon. Es sei auch unschädlich, daß der 1. Stadtrat den
angefochtenen Bescheid unterzeichnet habe. Die Tätigkeit des besonderen
Wahlleiters sei auf "die Dauer des Wahlverfahrens" beschränkt. Die Wahlprüfung
und Nachwahl gehörten nicht mehr zum eigentlichen Wahlverfahren. Mit
Bekanntgabe des Wahlergebnisses und Benachrichtigung der Gewählten seien die
Einwirkungsmöglichkeiten des Wahlleiters aufgrund eigener Entscheidung beendet.
In der Sache hat sich der Beklagte auf den Inhalt des Bescheides vom 25. April
1985 bezogen und vertiefend ausgeführt, es solle mit dem Vortrag, die
eidesstattlichen Erklärungen auf den Wahlscheinen seien in einer Vielzahl von
Fällen von derselben Person unterzeichnet worden, unterschwellig der Verdacht
einer Manipulation erweckt werden. Dieser Verdacht werde jedoch nicht offen
ausgesprochen, weil es an konkreten Anhaltspunkten und Beweismitteln fehle. Im
übrigen handele es sich bei der betreffenden Person um den Leiter des
Pflegedienstes, Herrn M., der nicht Wahlbewerber auf dem Wahlvorschlag der SPD
gewesen sei. Soweit der Kläger darauf abstelle, daß mehrere Briefwähler zum
Zeitpunkt der Stimmabgabe nicht mehr in der Lage gewesen seien, Sinn und
Bedeutung ihres Abstimmungsverhaltens zu erfassen, sei der Vortrag weder
substantiiert noch sei er bereits im Einspruchsverfahren vorgebracht worden,
weshalb hierüber nicht mehr sachlich zu entscheiden sei.
Das Verwaltungsgericht hat den Pflegedienstleiter L. M. als Zeugen über den
Verbleib der Briefwahlunterlagen derjenigen Wahlberechtigten, die keine
Briefwahlstimme abgegeben haben, vernommen. Wegen des Inhalts der
Beweisaufnahme wird auf die in den Gerichtsakten befindliche Niederschrift Bezug
genommen (Bl. 47-51 d.A.).
Durch Urteil vom 7. Mai 1986 hat das Verwaltungsgericht Darmstadt den Beschluß
der Beklagten über die Gültigkeit der Wahl aufgehoben und die Wahl vom 10. März
1985 zur Wahl der Beklagten für ungültig erklärt. In den Gründen hat das Gericht
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1985 zur Wahl der Beklagten für ungültig erklärt. In den Gründen hat das Gericht
ausgeführt, die Klage sei zulässig, weil die Zustellung des Bescheides der
Beklagten vom 22. April 1985 unter Verletzung zwingender gesetzlicher
Formerfordernisse erfolgt sei. Auf der Zustellungsurkunde sei als
Zustellungsdatum der 30. April 1985 vermerkt, während der Zusteller auf dem
vom Kläger vorgelegten Umschlag das Datum des 30. Mai 1985 eingetragen habe.
Bei dem Wahlverfahren seien Unregelmäßigkeiten vorgekommen, die auf die
Verteilung der Sitze von Einfluß gewesen sein könnten. Es seien für Bewohner des
Heims Wahlscheine ausgestellt worden, ohne daß diese zuvor einen schriftlichen
oder mündlichen Antrag selbst oder durch einen bevollmächtigten Vertreter
gestellt gehabt hätten. Darin liege ein Verstoß gegen § 17 Abs. 3 KWO. Außerdem
sei gegen § 18 Abs. 4 KWO verstoßen worden, da Wahlschein und
Briefwahlunterlagen an einen anderen als den Wahlberechtigten persönlich nur
ausgehändigt werden dürften, wenn dessen Berechtigung zur Empfangnahme
durch Vorlage einer schriftlichen Vollmacht nachgewiesen worden sei. Ob die
Briefwahlunterlagen und Wahlscheine durch Boten oder in einer einzigen
Postsendung an die Heimleitung geschickt worden seien, habe nicht geklärt
werden können. Im letzteren Falle hätten die Unterlagen gemäß § 18 Abs. 4 KWO
nur an den jeweiligen Wahlberechtigten adressiert werden dürfen. Schließlich habe
die Leitung des Heims entgegen § 45 Abs. 3 Satz 2 KWO keinen geeigneten Raum
zur Durchführung der Briefwahl bestimmt. Außerdem habe die Gemeindebehörde
die Heimleitung entgegen § 45 Abs. 4 KWO nicht vor der Wahl auf § 45 Abs. 3 KWO
hingewiesen, wonach Vorsorge zu treffen sei, daß der Stimmzettel unbeobachtet
gekennzeichnet und in den Wahlumschlag gelegt werden könne.
Diese Unregelmäßigkeiten hätten Einfluß auf die Sitzverteilung haben können. 27
Heimbewohner hätten nicht gewählt. Bei fünf bis sieben Heimbewohnern stehe
fest, daß sie die Wahlunterlagen nicht erhalten hätten. Aber auch für die übrigen
Heimbewohner könne nicht ausgeschlossen werden, daß sie die Wahlunterlagen
nicht erhalten hätten und sie deshalb nicht zur Wahl gegangen seien.
Diese Unregelmäßigkeiten könnten auch theoretisch auf die Sitzverteilung von
Einfluß gewesen sein. Nach dem amtlich festgestellten Wahlergebnis fehlten dem
Wahlvorschlag der "GRÜNEN" lediglich 16 Stimmen, um die 5 %Grenze zu
überschreiten und bei der Verteilung der Sitze berücksichtigt zu werden. Dabei
komme es nicht darauf an, daß die "fehlenden" Stimmen auch tatsächlich für
diesen Wahlvorschlag abgegeben worden wären. Da im Wahlkreis Lauterbach die
Briefwahlstimmen insgesamt für den gesamten Wahlkreis ausgezählt worden
seien, müsse die Ungültigkeitserklärung auf den gesamten Wahlkreis erstreckt
werden.
Gegen dieses ihr am 10. Juni 1986 zugestellte Urteil hat die Beklagte mit am 25.
Juni 1986 eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt. Zur Begründung führt
sie aus, der Sachverhalt sei nicht hinreichend aufgeklärt worden. Für die
Wahlbezirke I bis IV, in dem das Altenwohn- und Pflegeheim der Arbeiterwohlfahrt
liege, sei zusätzlich ein Briefwahlvorstand gebildet worden. Aufgrund der
gleichzeitig stattfindenden Ortsbeiratswahlen seien die Wahlbriefe aus den
Stadtteilen im jeweiligen Wahlbezirk von dem dort zuständigen Wahlvorstand
ausgewertet worden. Auch die Darstellung der Anforderung und Übergabe der
Briefwahlunterlagen an die Heiminsassen sei unvollständig. Im Heim bestehe keine
Briefkastenanlage. Die Postverteilung werde so gehandhabt, daß für das Heim der
Heimleiter oder die in der Verwaltung angestellte Frau H. die Sendung entgegen
nähme. Für Einschreibe- und Geldsendungen bestehe darüber hinaus ein
besonderes Verfahren, nach dem diese Sendungen nur gegen Quittung an die
Betroffenen ausgehändigt würden. Normale Briefsendungen würden den
Adressaten entweder auf das Zimmer gebracht oder beim Getränkeverkauf
ausgegeben oder beim Mittagessen im Speisesaal ausgehändigt.
Die von dem Zeugen M. ausgefüllten Wahlbenachrichtigungskarten seien zur
Anforderung von Briefwahlunterlagen vom Hausmeister des Heimes der
Stadtverwaltung überbracht worden. Dieser habe dort wenige Tage später die
antragsgemäß ausgestellten Briefwahlunterlagen gebündelt wieder abgeholt. Den
gesamten Stapel mit sämtlichen Briefwahlunterlagen habe er im Büro der
Heimleitung abgegeben. Die Briefwahlunterlagen seien für jeden einzelnen
wahlberechtigten Bewohner des Heimes in einem einzelnen verschlossenen
Umschlag mit Sichtfenster für das Adressenfeld enthalten gewesen. Im Umschlag
habe sich zum Adressfenster hingewandt das ausgefüllte Wahlscheinformular
befunden. Nach Eingang der Briefwahlunterlagen im Heim seien diejenigen
Unterlagen ausgesondert worden, die an solche Heimbewohner adressiert
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Unterlagen ausgesondert worden, die an solche Heimbewohner adressiert
gewesen seien, die ihr Mittagessen täglich im Speisesaal eingenommen hätten.
Die übrigen Briefe habe der Zeuge M. an die Adressaten in den Zimmern verteilt.
Einige Bewohner, deren Anzahl der Zeuge M. auf fünf bis sieben beziffert habe,
hätten mit den Unterlagen nichts anzufangen gewußt und sie dem Zeugen wieder
zurückgegeben. Daraufhin sei veranlaßt worden, daß diese Unterlagen wieder an
das Wahlamt der Stadt Lauterbach zurückgesandt worden seien.
Das angefochtene Urteil sei auch deshalb fehlerhaft, weil das Gericht bei seiner
Wahlprüfung über die Einspruchsgründe hinausgegangen sei. Es hätte nur noch
überprüfen dürfen das Verfahren bei Beantragung und Aushändigung der
Briefwahlunterlagen, die Unterzeichnung der eidesstattlichen Versicherungen
derselben "Vertrauensperson" bei einer Vielzahl von Heimbewohnern und daß ein
Angehöriger keine befriedigende Antwort über den Verbleib der für seine Mutter
bestimmten Briefwahlunterlagen erhalten habe. Der letztere Vortrag sei
unsubstantiiert. Was die Aushändigung der Briefwahlunterlagen angehe, so
entspreche ihre Verteilung der hausinternen seit Jahren praktizierten Übung bei
Postsendungen. Die für jeden einzelnen Wahlberechtigten im Heim bestimmten
Briefwahlunterlagen seien in einzelnen verschlossenen Umschlägen enthalten
gewesen. Ohne Auswirkung auf die Sitzverteilung bleibe, daß ein spezieller
Wahlraum nicht eingerichtet gewesen sei. Zum Zeitpunkt der Kommunalwahl
seien allenfalls zwei Doppelzimmer im Heim belegt gewesen, während die
Heiminsassen im übrigen sämtlich in Einzelzimmern untergebracht gewesen
seien. Diese Bewohner hätten jederzeit die Möglichkeit zur geheimen Wahl gehabt.
Im übrigen seien Unregelmäßigkeiten, soweit es dazu überhaupt gekommen sein
sollte, nicht "beim Wahlverfahren" vorgekommen. Das "Wahlverfahren" könne sich
nur auf die im dritten und vierten Abschnitt des Kommunalwahlgesetzes
geregelten Tatbestände beziehen. Gegen Vorschriften dieser Abschnitte sei jedoch
nicht verstoßen worden.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Darmstadt vom 7. Mai 1986 aufzuheben
und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung bezieht er sich im wesentlichen auf den Vortrag vor dem
Verwaltungsgericht und führt ergänzend aus, es sei unzutreffend, daß das von
dem gesondert gebildeten Briefwahlvorstand festgestellte Ergebnis in das jeweilige
Wahlergebnis der Wahlbezirke I bis IV eingeflossen sei. Vielmehr habe der
Wahlleiter aufgrund der Wahlniederschriften in den einzelnen Wahlbezirken das
endgültige Ergebnis der Wahl im Wahlkreis unter Hinzufügung des
Briefwahlergebnisses auf einem Zählbogen zusammengestellt. Das Wahlergebnis
der Briefwahl fließe somit in das endgültige Ergebnis der Wahl im Wahlkreis ein. Im
übrigen müsse das Ergebnis der Briefwahl insgesamt den Wahlbezirken I bis V
zugerechnet werden, da der Wahlbezirk V keine Ortsbeiratswahl vorzunehmen
gehabt habe.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien und der Ergänzung des
Sachverhaltes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten, die
vorgelegten Behördenvorgänge sowie die vom Bürgermeister als
Gemeindewahlleiter der Stadt Lauterbach mit Schriftsatz vom 18. Dezember 1986
eingereichten Wahlniederschriften sowie die bei der Stadt Lauterbach
aufbewahrten Wahlbenachrichtigungskarten und Briefwahlunterlagen der Bewohner
des Altenheimes der Arbeiterwohlfahrt, die Gegenstand der mündlichen
Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist zulässig (§§ 124, 125 VwGO) und begründet.
Der Kläger ist als Wahlberechtigter für die Kommunalwahl am 10. März 1985 zur
Erhebung der Wahlanfechtungsklage (§ 27 Hessisches Kommunalwahlgesetz -
KWG - in der Fassung vom 1. März 1981, GVBl. I S. 109) klagebefugt. Er hat vor
Erhebung der Klage gegen die Gültigkeit der Wahl nach § 25 KWG Einspruch
erhoben, über den die neue Stadtverordnetenversammlung gemäß § 26 KWG
beschlossen hat (§ 27 Satz 1 Ziff. 1 KWG). Ein Vorverfahren war nicht
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beschlossen hat (§ 27 Satz 1 Ziff. 1 KWG). Ein Vorverfahren war nicht
durchzuführen (§ 27 Satz 2 KWG).
Zu Recht ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, daß der Kläger die Klage
auch rechtzeitig erhoben hat. Nach § 27 Satz 1 KWG ist die Klage innerhalb eines
Monats "nach Zustellung oder Verkündung der Entscheidung" zu erheben.
Entgegen der Auffassung der Beklagten ist diese Frist gewahrt. Dabei kann
dahinstehen, ob es für den Fristbeginn auf die Verkündung der Entscheidung
ankommt. Jedenfalls konnte der Kläger am 22. April 1985 von der Entscheidung
der Stadtverordnetenversammlung keine Kenntnis nehmen, weil er an diesem
Tag, wie er in seinem Schriftsatz vom 13. November 1986 substantiiert dargelegt
hat - die Beklage hat dem nicht widersprochen -, nicht anwesend war. Dem
Verwaltungsgericht ist aber darin beizupflichten, daß die Klagefrist jedenfalls dann
erst mit der Zustellung zu laufen beginnt, wenn die Entscheidung entsprechend §
58 Abs. 1 Ziff. 2 Kommunalwahlordnung (- KWO - vom 26. September 1980 in der
Fassung von 28. Juni 1984, GVBl. I S. 169) zugestellt worden ist. Dies ergibt sich
aus Sinn und Zweck des Zustellungsverfahrens nach dem Hessischen
Verwaltungszustellungsgesetz, auf das § 69 KWO verweist, sowie aus dem
Verwaltungszustellungsgesetz des Bundes (- VwZG - vom 3. Juli 1952, BGBl. I S.
379, zuletzt geändert durch Gesetz vom 14. Dezember 1976, BGBl. I S. 3341), das
gemäß § 1 Hessisches Verwaltungszustellungsgesetz (vom 14. Februar 1957,
zuletzt geändert durch Gesetz vom 5. Februar 1973, GVBl. 1973 I S. 57)
anwendbar ist. Danach bewirkt die Zustellung zum einen, daß dem Betroffenen
oder einem gesetzlichen oder bevollmächtigten Vertreter das zuzustellende
Schriftstück auch tatsächlich ausgehändigt wird und der Betroffene deshalb von
seinem Inhalt Kenntnis nehmen kann. Zum anderen bewirkt die Zustellung aber
auch, daß mit einer Zustellung der Beginn von Fristen festgelegt wird. Würde man
nun in Fällen, in denen eine Entscheidung sowohl verkündet wie auch zugestellt
worden ist, noch auf den Zeitpunkt der Verkündung abstellen, träte eine
Rechtsunsicherheit ein, die der vom besonders ausgestalteten
Wahlprüfungsverfahren beabsichtigten Beschleunigung des Verfahrens (vgl. hierzu
Urteil des Hess. VGH vom 3. September 1974 - II DE 23/74 -) widerspräche.
Demnach kommt es für den Beginn der Frist nach § 27 KWG auf die
Ordnungsmäßigkeit der Zustellung an.
Die Zustellung ist jedoch unter Verletzung zwingender Formvorschriften erfolgt, so
daß die Klagefrist des § 27 KWG nicht in Gang gesetzt wurde.
Die Zustellung der Entscheidung der Beklagten vom 22. April 1985 erfolgte durch
die Post mit Zustellungsurkunde (§ 3 VwZG). Bei dieser Zustellungsform ist von
dem Postbediensteten eine Zustellungsurkunde aufzunehmen, in der die
Übergabe der genau bezeichneten Sendung sowie die Übergabe der Abschrift der
Zustellungsurkunde bezeugt werden muß. Die Übergabe der Abschrift einer
Zustellungsurkunde kann dadurch ersetzt werden, daß der Postbedienstete den
Tag der Zustellung auf der Sendung vermerkt; er hat dies in der
Zustellungsurkunde zu bezeugen (§ 3 Abs. 3 VwZG i.V.m. § 195 Abs. 2 ZPO). Der
Postbedienstete, der hier dem Kläger die Entscheidung zugestellt hat, hat diese
Vorschriften nicht eingehalten. Nach der sich in den Behördenakten befindlichen
Zustellungsurkunde hat er dort als Tag der Zustellung den 30. April 1985
angegeben, während auf dem vom Kläger vorgelegten Briefumschlag als Tag der
Zustellung der 30. Mai 1985 vermerkt ist. Damit hat der Zusteller gegen
zwingende Verfahrensvorschriften verstoßen Denn bei § 195 Abs. 1 Satz 2 ZPO
handelt es sich nicht um eine reine Ordnungsvorschrift, die lediglich für den
Zustellungsempfänger selbst den Zeitpunkt der erfolgten Zustellung fixieren soll.
Die Forderung, den Zustellungstag auf dem zuzustellenden Schriftstück zu
vermerken, stellt vielmehr ein für die Zustellung notwendiges urkundlich zu
bezeugendes Surrogat für die Übergabe der Abschrift der Zustellungsurkunde dar
(so das BVerwG, Urteil vom 7. November 1979 - 6 C 47.78 -, NJW 1980, 1482 unter
Bezug auf den Beschluß des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des
Bundes vom 9. November 1976 - GmS-OGB 2/75 - BGHZ 67, 355). Das
Bundesverwaltungsgericht hat in dieser Entscheidung weiter ausgeführt: "Zum
Schutze des Zustellungsempfängers, der die an die Zustellung geknüpften
Rechtsfolgen für und gegen sich gelten lassen muß, ist es erforderlich, daß ihm der
Tag der Zustellung in Übereinstimmung mit der Zustellungsurkunde
bekanntgegeben wird. Diese Beurkundungsfunktion des in § 195 Abs. 2 Satz 2
ZPO vorgeschriebenen Datumsvermerks ist nicht nur dann verletzt, wenn es der
Postbedienstete überhaupt unterlassen hat, den Tag der Zustellung auf der
Sendung zu vermerken, sondern auch dann, wenn der Datumsvermerk auf der
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Sendung zu vermerken, sondern auch dann, wenn der Datumsvermerk auf der
Sendung einen anderen Zustellungstag ausweist als die Zustellungsurkunde.
Denn auch in diesem Fall vermag der Datumsvermerk auf der Sendung keinen
wirksamen Ersatz für die Übergabe einer Abschrift der Zustellungsurkunde zu
bilden. Dieser Zustellungsmangel läßt allerdings den sich aus § 9 Abs. 1 VwZG
ergebenden Grundsatz unberührt, daß das unter Verletzung zwingender
Zustellungsvorschriften zugestellte Schriftstück dem Empfänger als in dem
Zeitpunkt zugestellt gilt, in dem er es tatsächlich erhalten hat (Urteil vom 29.
August 1966 - VIII C 252.63 = BVerwGE 25, 1, 3). Die fehlerhafte Zustellung hat
gemäß § 9 Abs. 2 VwZG lediglich zur Folge, daß die Frist für die Erhebung der
Klage nicht zu laufen beginnt".
Dem schließt sich der Senat an. Dabei kommt es, wie das Verwaltungsgericht zu
Recht ausgeführt hat, nicht darauf an, daß eine Vermutung dafür spricht, daß die
Zustellung tatsächlich am 30. April 1985 und nicht am 30. Mai 1985
vorgenommen wurde, nachdem die an die Stadtverwaltung Lauterbach
zurückgesandte Postzustellungsurkunde den Eingangsstempel des z. Mai 1985
trägt. Die Verletzung der zwingenden Zustellungsvorschriften liegt darin, daß der
Postbedienstete den Tag der Zustellung auf dem Umschlag der zuzustellenden
Entscheidung und auf der Postzustellungsurkunde unterschiedlich vermerkt hat.
Demnach war zwar die Zustellung wirksam, hat aber nicht den Beginn der
Klagefrist bewirkt.
Die zulässige Klage ist aber nicht begründet. Die Voraussetzungen, unter denen
eine Wahl für ungültig zu erklären ist, liegen hier nicht vor. Nach §§ 27 Satz 1 Nr. 1
i.V.m. 26 Abs. 1 Nr. 2 KWG ist die Wiederholung der Wahl anzuordnen, wenn bei
dem Wahlverfahren Unregelmäßigkeiten vorgekommen sind, die auf die Verteilung
der Sitze von Einfluß gewesen sein können. Darüber hinaus müssen die
Unregelmäßigkeiten innerhalb der Einspruchsfrist von zwei Wochen nach der
Bekanntmachung des Wahlergebnisses (§ 25 Abs. 1 KWG) geltend gemacht
worden sein, um im materiellen Wahlprüfungsverfahren berücksichtigt werden zu
können.
Eine Unregelmäßigkeit bei dem Wahlverfahren im Sinne des § 26 Abs. 1 Nr. 1 KWG
liegt vor, wenn gegen Bestimmungen des Kommunalwahlgesetzes oder der zur
Ausführung dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen verstoßen wird.
Eine Unregelmäßigkeit in dem genannten Sinne ist bei dem Wahlverfahren
vorgekommen, weil gegen § 17 Abs. 3 KWO verstoßen wurde. Danach muß
derjenige, der für einen anderen die Erteilung eines Wahlscheines beantragt, durch
Vorlage einer schriftlichen Vollmacht nachweisen, daß er dazu berechtigt ist.
Dieses ist unstreitig nicht erfolgt. Der damalige Leiter des Pflegedienstes, der
Zeuge M., hat ohne Rücksprache mit den wahlberechtigten Heimbewohnern und
ohne deren Vollmacht Briefwahlanträge gestellt und die
Wahlbenachrichtigungskarten unterschrieben. Darüber hinaus hat die
Stadtverwaltung der Stadt Lauterbach gegen § 18 Abs. 4 KWO verstoßen. Danach
dürfen Briefwahlunterlagen und Wahlscheine an einen anderen als den
Wahlberechtigten nur ausgehändigt werden, wenn die Berechtigung zur
Empfangnahme durch Vorlage einer schriftlichen Vollmacht nachgewiesen wird. Im
vorliegenden Falle wurden, wie im Berufungsverfahren unwidersprochen
vorgetragen wurde, die Wahlbenachrichtigungskarten vom Hausmeister des
Heimes gebündelt der Stadtverwaltung Lauterbach überbracht; wenige Tage
später holte er die ausgestellten Briefwahlunterlagen gebündelt wieder ab und
brachte sie in das Büro der Heimleitung. Von dieser wurden die
Briefwahlunterlagen an die Wahlberechtigten verteilt. Die Zuordnung der einzelnen
Briefsendungen zu den jeweiligen Wahlberechtigten konnte ohne weiteres erfolgen,
weil die Briefsendungen an die Wahlberechtigten adressiert waren.
Der Senat vermag jedoch nicht zu erkennen, inwieweit diese aufgezeigten
Unregelmäßigkeiten Einfluß auf das Wahlergebnis gehabt haben können. Davon ist
auszugehen, wenn nach den Umständen den einzelnen Falles eine nach der
Lebenserfahrung konkrete und in greifbare Nähe gerückte Möglichkeit besteht,
daß die Unregelmäßigkeit auf die Sitzverteilung von Einfluß gewesen sein kann; sie
muß nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sein, das Wahlergebnis zu
beeinflussen Hess VGH, Urteil vom 5 November 1974 - II DE 134/73 -,
Hess.VGRspr. 1975,S. 17 ff.; OVG Münster, Urteil vom 4. August 1971 - III A933/70,
OVGE 27, 78 ff.). Hierfür kommt es darauf an, daß für den Einfluß auf das
Wahlergebnis die Unregelmäßigkeit ursächlich gewesen ist und nicht weitere
Ereignisse den Ursachenzusammenhang unterbrochen haben.
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Nach den dem Senat vorliegenden Unterlagen (Wahlbenachrichtigungskarten,
Wahlscheinduplikate und abgegebene Wahlscheine) steht fest, daß von 81
wahlberechtigten Heimbewohnern nur 54 gewählt haben, was auch aufgrund des
Wahlscheinverzeichnisses (§ 18 Abs. 5 KWO) festgestellt wurde. Warum die
restlichen 27 Heimbewohner nicht gewählt haben, ist unbekannt. Die von § 26 Abs.
1 Ziff. 2 KWG geforderte Kausalität zwischen Unregelmäßigkeit und möglichem
Einfluß auf die Sitzverteilung wäre hier unter Umständen anzunehmen, wenn das
rechtswidrige Verfahren bei Beantragung und Ausgabe der Briefwahlunterlagen
Heimbewohner daran gehindert hätte zu wählen. Dies ist jedoch, mit Ausnahme
eines Falles, auf den noch eingegangen werden wird, nicht erkennbar.
Der Umstand, daß die Wahlbenachrichtigungskarten, die gemäß § 10 KWO vor
Auslegung des Wählerverzeichnisses an die Wahlberechtigten zu übersenden sind,
nicht den wahlberechtigten Heimbewohnern ausgehändigt wurden, konnte nicht
zum Verlust ihrer Wahlmöglichkeit führen, weil die Vorlage der
Wahlbenachrichtigungskarte nicht Voraussetzung für die Stimmabgabe ist. Sie
dient vielmehr der Information des Wahlberechtigten über die Einzelheiten der
Wahl, des Zeitpunktes, des Ortes und enthält eine Belehrung über die
Beantragung eines Wahlscheines und die Übersendung von Briefwahlunterlagen.
Vielmehr kann nach § 7 KWG wählen, wer in ein Wählerverzeichnis eingetragen ist
oder einen Wahlschein hat. Ist für einen Wahlberechtigten ein Wahlschein
ausgestellt, so muß dieser Wahlschein bei der Wahl vorgelegt werden. Dies erfolgt
entweder bei der Briefwahl nach § 19 KWG, bei der der Wahlberechtigte den
Wahlschein mit seinem in einen verschlossenen Umschlag eingelegten
Stimmzettel in einem Wahlbriefumschlag übersendet oder indem er bei der Wahl
in einem Wahllokal den Wahlschein vorlegt (§§ 42, 39 Abs. 6 Ziff. 2 KWO). Daraus
ergibt sich, daß die Stimmabgabe dann unmöglich wird, wenn dem
Wahlberechtigten nach dem Wahlscheinverzeichnis (§ 20 KWO) ein Wahlschein
ausgestellt, dies im Wählerverzeichnis eingetragen wurde, der Wahlberechtigte
diesen Wahlschein aber nicht erhalten hat und demzufolge auch nicht vorlegen
kann.
Es ist jedoch weder vom Kläger noch von sonst jemandem (einen Fall
ausgenommen) behauptet worden, daß Heiminsassen von ihrem Wahlrecht hätten
Gebrauch machen wollen und dies ihnen deshalb unmöglich gewesen ist, weil die
Stadtverwaltung für sie einen Wahlschein ausgestellt und Briefwahlunterlagen an
die Heimleitung übersandt, diese die Unterlagen aber nicht weitergeleitet hätte. Es
kann dies auf jeden Fall nicht gelten für die fünf bis sieben Personen, für die der in
der ersten Instanz als Zeuge vernommene Pflegedienstleiter M. die
Briefwahlunterlagen wieder an das Wahlamt zurückgeschickt hat, nachdem diese
mit den Briefwahlunterlagen nichts anfangen konnten. Für diese Personen steht
fest, daß sie jedenfalls von ihrem Briefwahlrecht keinen Gebrauch machen wollten.
Der Senat sieht keinen Anlaß, die Aussage des vom Verwaltungsgericht
vernommenen Zeugen M. in Frage zu stellen, wonach dieser Personenkreis mit
den Wahlunterlagen nichts anzufangen gewußt habe. Es ist weder
bekanntgeworden noch sonst ersichtlich, daß diese Personen gegen ihren Willen
nicht hätten wählen können.
Bei den übrigen Heimbewohnern ist - mit Ausnahme des nach zu behandelnden
Falles - nichts dafür dargetan, daß die Wahlberechtigten die Wahlunterlagen nicht
erhalten hätten. Die Substantiierungspflicht lag insoweit beim Kläger, von der ihn
auch nicht entbindet, daß ihre Erfüllung nicht ganz einfach ist (BVerfGE 59, 119 ff.,
123 f.). Das von dem Zeugen M. in der Beweisaufnahme vor dem
Verwaltungsgericht Darmstadt bekundete und von der Beklagten im gesamten
Verfahren beschriebene Vorgehen bei der Verteilung der Briefwahlunterlagen läßt
nicht erkennen, daß die Heimleitung die Unterlagen nicht den Betroffenen
ausgehändigt hätte. Hierbei ist von entscheidender Bedeutung, daß die Ausgabe
einfacher Briefe regelmäßig in der beschriebenen Weise erfolgte, daß entweder die
Post den Betroffenen beim Getränkeverkauf übergeben wurde oder bei der
Essensausgabe im Speisesaal oder sie ihnen auf ihr Zimmer gebracht wurde.
Wenn auch keine Liste darüber mehr existiert, wem im einzelnen Sendungen
ausgehändigt wurden, so ist andererseits aber weder vom Kläger vorgetragen
noch für den Senat sonst erkennbar daß seitens der Heimleitung
Briefwahlunterlagen nicht weitergeleitet worden wären. Es ist kein Grund
erkennbar, daß die Wahlbriefe nicht jedem Adressaten ausgehändigt worden sind.
Allerdings hat der Zeuge M. bei seiner Vernehmung vor dem Verwaltungsgericht
angegeben, die Briefwahlunterlagen würden dem Heim unadressiert zur Verfügung
gestellt. Er konnte sich jedoch nicht genau erinnern Nach den vorgelegten
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gestellt. Er konnte sich jedoch nicht genau erinnern Nach den vorgelegten
Unterlagen und dem ergänzenden, unwidersprochenen Vortrag der Beklagten im
Berufungsverfahren steht jedoch zur Überzeugung des Senats fest, daß die
Briefwahlunterlagen an jeden wahlberechtigten Bewohner des Altenheimes
adressiert waren. Die von einem Bediensteten des Wahlamtes der Stadt
Lauterbach ausgestellten Wahlscheine weisen alle ein ausgefülltes Anschriftenfeld
auf das durch das Sichtfenster der verwendeten Briefumschläge erkennbar ist. Da
die Bewohner des Heimes dem Personal bekannt waren, konnte auch die
Aushändigung der Unterlagen problemlos erfolgen. Für eine ordnungsgemäße
Handhabung spricht auch, daß ganz offenbar seitens der Heiminsassen nicht
gerügt worden ist, sie seien in ihrem Wahlrecht in irgendeiner Weise beeinträchtigt
worden. Eines darüber hinaus gehenden Nachweises, den das Verwaltungsgericht
offenbar für notwendig hält, daß die Wahlberechtigten die Briefwahlunterlagen auch
erhalten haben, bedarf es nach Auffassung des Senats nicht. Diese Auffassung
wird gestützt durch den § 19 Abs. 1 KWO zu entnehmenden Gedanken, daß die
Leitung eines solchen Heimes die ihr übergebenen Unterlagen auch an die
Betroffenen weiterleiten wird. Zwar gilt § 19 Abs. 1 KWO nur unmittelbar, wenn für
derartige Einrichtungen ein Sonderwahlbezirk (§ 6 KWO) gebildet worden ist, was
hier unstreitig nicht der Fall war. Gleichwohl läßt sich dem entnehmen, daß nicht in
jedem Fall ein Einzelnachweis darüber erforderlich ist, daß die Wahlberechtigten
den Wahlschein und die Briefwahlunterlagen auch erhalten haben. Anders wäre der
Sachverhalt vielleicht zu beurteilen, wenn normalerweise das Verfahren beim
Posteingang völlig anders gehandhabt würde oder bekannt wäre, daß Post nicht
zuverlässig an die Betroffenen weitergeleitet würde. Hierfür ist aber nichts
vorgetragen und nichts ersichtlich.
Für einen einzigen Fall hat der Kläger vorgetragen, daß es Unstimmigkeiten über
den Verbleib der Briefwahlunterlagen gegeben hat. Aber auch zu diesem Fall ist
nicht dargetan, daß die Unklarheit über den Verbleib der Briefwahlunterlagen dazu
geführt hat, daß die betroffene Wahlberechtigte von ihrem Wahlrecht keinen
Gebrauch machen konnte. In dem Vortrag bleibt vielmehr offen, weshalb eine
Stimmabgabe nicht erfolgte. Der Senat braucht diesen Sachverhalt nicht weiter
aufzuklären, weil eine Unregelmäßigkeit, die in einer unbeabsichtigt nicht
abgegebenen Stimme sich auswirken würde, keinen Einfluß auf die Sitzverteilung
hätte haben können. Wie der Kläger in der der Klageschrift beigefügten
Berechnung ausgeführt hat, hätte es hierzu mindestens 16 Stimmen, die
theoretisch alle für die Partei "DIE GRÜNEN" hätten abgegeben werden müssen,
bedurft.
Soweit der Kläger weiter rügt, daß die eidesstattliche Erklärung, die den
Wahlscheinen beizufügen war, in einer Reihe von Fällen bei den Wahlberechtigten
des Alten- und Pflegeheimes von ein und derselben Person unterschrieben war,
hat der Kläger weder dargetan noch ist es ersichtlich, weshalb hierin eine
Unregelmäßigkeit im Sinne des § 26 KWG liegen sollte. § 40 KWO sieht die Hilfe
durch Vertrauenspersonen für Wähler vor, die entweder des Lesens unkundig oder
durch körperliches Gebrechen behindert sind, den Stimmzettel zu kennzeichnen,
in den Wahlumschlag zu legen, diesen selbst in die Wahlurne zu legen oder dem
Wahlvorsteher zu übergeben. Weder der Kommunalwahlordnung noch dem
Kommunalwahlgesetz ist zu entnehmen, daß diese Vertrauensperson nicht in
einer ganzen Reihe von Fällen in Anspruch genommen werden darf. Der Senat
vermag auch nicht zu erkennen, weshalb aus anderen, nicht gesetzlichen Gründen
ein solches Vorgehen unzulässig gewesen sein sollte. Da es sich offenbar nach
dem Vortrag der Beklagten um den damaligen Pflegedienstleiter, den Zeugen M.,
handelte, liegt die Vermutung nahe, daß die Betroffenen sich an eine Person
gewandt haben, die ihnen vom regelmäßigen Umgang her bekannt war. Soweit mit
den Einlassungen des Klägers unterschwellig der Vorwurf der "Wahlmanipulation"
oder gar falschen eidesstattlichen Versicherung, die der Zeuge M. nach § 18 Abs.
3 Satz 2 KWG zu unterzeichnen hatte, erhoben wird, sind keinerlei Tatsachen
dargetan, die einen solchen schwerwiegenden Vorwurf auch nur im Ansatz stützen
könnten. Der Senat sieht auch keinerlei Anlaß, dem weiter nachzugehen.
Dies gilt auch für den Vorwurf, die Vertrauensperson habe die Stimmabgabe für
solche Personen vorgenommen, die zum Zeitpunkt der Wahl nicht mehr in der
Lage gewesen seien, Sinn und Bedeutung ihres Abstimmungsverhaltens zu
erfassen. Es kann dahinstehen, ob dieses Vorbringen, was im Einspruchsverfahren
nicht Gegenstand war, überhaupt im Klageverfahren noch zulässigerweise
überprüft werden kann. Dafür spricht, daß es sich hierbei um den Gesamtkomplex
des Vorwurfes der Unregelmäßigkeit, der sich auf die Abgabe einer falschen
eidesstattlichen Versicherung und damit eines Verstoßes gegen § 18 Abs. 3 Satz 2
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eidesstattlichen Versicherung und damit eines Verstoßes gegen § 18 Abs. 3 Satz 2
KWG bezieht, handelt. Aber auch dieser Vortrag ist so unsubstantiiert, daß der
Senat ebenfalls trotz der ihm auferlegten Amtsermittlungspflicht auch im
Wahlprüfungsverfahren (vgl. dazu etwa Seifert, Bundeswahlrecht, Kommentar, 3.
Aufl. Rdnr. 1 zu § 2 Wahlprüfungsgesetz) keine Veranlassung sieht, dem weiter
nachzugehen.
Soweit der Kläger darauf abstellt, daß eine Unregelmäßigkeit im Sinne des § 26
KWG auch darin zu sehen sei, daß entgegen § 6 KWO ein Sonderwahlbezirk für das
Alten- und Pflegeheim der Arbeiterwohlfahrt nicht gebildet wurde, entzieht sich
dieser Umstand der Überprüfungsbefugnis des Gerichts. Diese Unregelmäßigkeit
war im Einspruchsverfahren innerhalb der Einspruchsfrist des § 25 Abs. 1 KWG
nicht geltend gemacht worden. Das Gericht ist ebenfalls gehindert zu überprüfen,
inwieweit der Verstoß gegen § 45 Abs. 3 KWO eine Unregelmäßigkeit im Sinne des
§ 26 Abs. 1 Ziff. 2 KWG darstellt. Danach hätte in dem Alten- und Pflegeheim
Vorsorge getroffen werden müssen, daß der Stimmzettel unbeobachtet
gekennzeichnet und in den Wahlumschlag gelegt werden kann. Die Leitung der
Einrichtung hätte einen geeigneten Raum bestimmen, dessen Ausstattung
veranlassen und den Wahlberechtigten bekanntgeben müssen, in welcher Zeit der
Raum für die Ausübung der Briefwahl zur Verfügung steht. Auf diese Verpflichtung
hätte die Gemeindebehörde hinweisen müssen.
Das Gericht ist bei der Überprüfung der Unregelmäßigkeiten nach § 26 KWG
gehindert, alle ihm etwa im Laufe des Verfahrens bekanntgewordenen oder erst im
Gerichtsverfahren erhobenen Einwendungen gegen die Gültigkeit der Wahl zu
überprüfen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats können in
gerichtlichen Wahlprüfungsverfahren Einwendungen nicht mehr
Prüfungsgegenstand sein, die nicht Gegenstand auch des Einspruchsverfahrens
waren (vgl. Urteil vom 5. November 1974 - II OE 134/73 - HessVGRspr. 1975, S. 17
ff.). Dies ergibt sich aus der landesgesetzlichen Ausgestaltung des
Wahlprüfungsverfahrens in Hessen. Nach § 25 KWG ist jedem Wahlberechtigten die
Möglichkeit eröffnet, durch Einspruch die Gültigkeit der Wahlen überprüfen zu
lassen, auch wenn er nicht geltend machen kann, in seinem aktiven oder passiven
Wahlrecht verletzt zu sein. Damit dient das Wahlprüfungsverfahren nicht
vornehmlich dem Schutz des Individualinteresses sondern es ermöglicht die
objektive Überprüfung des Wahlverfahrens. Andererseits unterliegt aber das
Wahlprüfungsverfahren dem sogenannten Anfechtungsprinzip. Wahlen werden
nicht generell auf die Einhaltung der Wahlvorschriften überprüft, sondern nur dann,
wenn Einsprüche erhoben sind und jeweils nur soweit, wie der Einspruch reicht (vgl.
Seifert, Bundeswahlrecht, Rdnr. 20 zu Art. 41 GG, Anm. 1 zu § 2
Wahlprüfungsgesetz; Urteil des Senats vom 5. März 1985 - II OE 42/82 -). Die
gesetzliche Ausgestaltung des Wahlprüfungsverfahrens mit kurzen
Anfechtungsfristen (Einspruchsfrist zwei Wochen nach Bekanntmachung des
Wahlergebnisses, § 25 Abs. 1 KWG) ist darauf ausgelegt, möglichst rasch eine
Entscheidung über die Gültigkeit der Wahlen herbeizuführen. Dem würde es
widersprechen wenn Sachverhalte, die im Einspruchsverfahren nicht vorgetragen
worden sind, im gerichtlichen Verfahren entweder noch vorgebracht werden
könnten oder vom Gericht selbst aufgegriffen werden müßten. Dabei kommt es
nicht darauf an, daß der Einsprechende den von ihm geltend gemachten
Wahlfehler mit allen Einzelheiten darlegt. Er muß aber den Sachverhalt, auf den er
den geltend gemachten Wahlfehler stützt, innerhalb der Einspruchsfrist des § 25
Abs. 1 KWG so konkret und nachvollziehbar schildern, daß das mit dem Einspruch
befaßte Gremium feststellen kann, ob eine der Tatbestände des § 26 Abs. 1 KWG
vorliegt (so der entscheidende Senat im Urteil vom 5. März 1985, a.a.O.). Dies
schließt nicht aus, daß der Sachverhalt weiter aufgeklärt und gegebenenfalls
Beweis erhoben wird. Auch kann der Vortrag später noch vervollständigt, näher
spezifiziert und durch Beweisantritte erhärtet werden.
Die Rüge einzelner Wahlfehler darf danach nicht dazu führen, daß aus Anlaß ihrer
Überprüfung weitere sich ergebende Verstöße gegen Wahlrechtsbestimmungen
aufgegriffen und ebenfalls überprüft werden, obwohl der zugrunde liegende
Sachverhalt nicht im Einspruchsverfahren rechtzeitig geltend gemacht worden war.
So liegt der Fall hier. Im Einspruchsverfahren war weder geltend gemacht worden,
es hätte für das Alten- und Pflegeheim ein Sonderwahlbezirk gebildet werden
müssen noch war das Fehlen eines geeigneten Wahlraumes bemängelt worden. Es
handelt sich bei beiden im Klageverfahren geltend gemachten und vom
Verwaltungsgericht überprüften Verstößen um eigenständige Wahlfehler. Sie sind
nicht von den im Einspruchsverfahren geltend gemachten Gründen mit umfaßt,
weil sie auf jeweils andere, von einander abgrenzbare Sachverhalte gestützt
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weil sie auf jeweils andere, von einander abgrenzbare Sachverhalte gestützt
werden und auch eigenständig hätten gerügt und überprüft werden können. Wenn
auch von dem Einsprechenden nicht zu verlangen ist, daß er bei seinem Einspruch
sozusagen schon die gesetzlichen Vorschriften im Auge hat, so muß er doch, wie
oben dargelegt, die Punkte, deren ordnungswidrigen Ablauf er rügt, darlegen. Dies
hätte bei den hier in Frage stehenden Verstößen ohne weiteres erfolgen können.
Da der Kläger unterlegen ist, hat er die Kosten des gesamten Verfahrens zu
tragen (§ 154 Abs. 1 VwGO)
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 167 VwGO i.V.m.
708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO
sind nicht erfüllt.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.