Urteil des HessVGH vom 26.07.1988
VGH Kassel: treu und glauben, befreiung, vergleich, gebäudeabstand, grenzabstand, grundstück, billigkeit, wohnhaus, nachbar, bauherr
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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
4. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
4 TG 1003/86
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 2 Abs 4 S 2 Nr 1 BauO HE
1976, § 8 Abs 2 BauO HE
1976
(Kellergeschoß als Vollgeschoß; Berechnung des
Belichtungsabstands)
Tatbestand
I. Die Antragstellerin ist Eigentümerin des im unbeplanten Innenbereich gelegenen
Grundstucks Gemarkung B.; Flur ..., Flurstück 714/6, O.-straße 49 A; in O., das mit
einem Wohnhaus - eingeschossig mit Satteldach - bebaut ist. Die nordöstliche
Wand des Hauses steht 2, 50 m von der Grenze des Grundstücks der
Beigeladenen entfernt. Die oberste schattenwerfende Kante der Dachgaube ist -
gemessen vom Geländeanschnitt - 6,115 m hoch; die Gaube ist gegenüber dem
aufgehenden Außenmauerwerk um 0,4 m zurückversetzt. Die Höhe der
Oberkante der Küchenfensterbrüstung beträgt - außen gemessen - 1,615 m. Innen
ist die Oberkante - gemessen vom Fußboden - 0,90 m hoch, wobei es sich um das
in den Bauakten vermerkte Rohbaumaß handelt. Das Küchenfenster befindet sich
in der dem Haus der Beigeladenen gegenüberliegenden Mauer des Hauses der
Antragstellerin. Unter dem 08.02.1978 wurde dem Ehemann der Antragstellerin für
das Wohnhaus Befreiung vom Grenzabstand erteilt und mit Bauschein vom
14.02.1978 die Baumaßnahme genehmigt. Die hiergegen von der Beigeladenen
erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht ab. Im Rahmen eines vor dem
Hessischen Verwaltungsgerichtshofs geschlossenen Vergleichs (Az.: Hess. VGH IV
OE 34/82) vom 07.08.1984 nahm die Beigeladene ihre Berufung zurück; während
sich die Antragsgegnerin verpflichtet, das Bauvorhaben der Beigeladenen in der
Form entsprechend einem Bauantrag von 1947 zu genehmigen. Der Ehemann der
Antragstellerin - der damalige Beigeladene - verzichtete auf Rechtsbehelfe gegen
die zu erteilende Baugenehmigung und erklärte, auch für seine Ehefrau
aufzutreten. Die Antragstellerin verweigerte jedoch die Nachreichung einer
Vollmacht und stimmte dem Vergleich nicht zu.
Die Beigeladene ist Eigentümerin des nordöstlich vom Grundstück der
Antragstellerin gelegenen Grundstücks Gemarkung B., Flur ..., Flurstück 367/2, R.-
gasse 10, das unter anderem mit einem als Wohnhaus genutzten Hinterhaus -
eingeschossig mit aus gebautem Kellergeschoß - bebaut ist. Der Abstand des
Hauses zur gemeinsamen Grundstücksgrenze beträgt 3 m, der Abstand beider
Gebäude zueinander 5,50 m.
Unter dem 03.12 .1985 erteilte die Antragsgegnerin der Beigeladenen u.a. wegen
Unterschreitung des Gebäudeabstands im Hinblick auf den Lichteinfallwinkel von
45 Grad Befreiung von § 8 Abs. 2 HBO und genehmigte unter dem 06.12.1985 die
Aufstockung und den Umbau des Hinterhauses, so daß dieses - gemessen von
der Geländeoberfläche - 7,37 m hoch sein wird. Am 21.02.1986 hat die
Antragstellerin Widerspruch gegen die ihr nicht übersandten Bescheide einlegen
lassen.
Zugleich hat sie beim Verwaltungsgericht den Erlaß einer einstweiligen Anordnung
mit dem Ziel beantragt zu untersagen, aufgrund der Baugenehmigung vom
06.12.1985 mit Baumaßnahmen zu beginnen. Das Verwaltungsgericht hat der
Antragsgegnerin mit Beschluß vom 26.03.1986 aufgegeben, der Beigeladenen die
Bauarbeiten am Dachgeschoß bis zur bestands- oder rechtskräftigen
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Bauarbeiten am Dachgeschoß bis zur bestands- oder rechtskräftigen
Entscheidung in der Hauptsache sofort vollziehbar zu untersagen und sie
nötigenfalls einzustellen. Im übrigen hat das Verwaltungsgericht den Eilantrag
abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, der zu notwendigen Fenstern
einzuhaltende Lichteinfallwinkel von 45 Grad werde nicht gewahrt. Gegen diese
zwingende und nachbarschützende Vorschrift verstoße das Vorhaben. Die erteilte
Befreiung sei rechtswidrig.
Am 11.04 .1986 hat die Beigeladene gegen den am 01.04.1986 zugestellten
Beschluß Beschwerde eingelegt, der das Verwaltungsgericht mit Beschluß vom
16.04.1986 nicht abgeholfen hat.
Die Beigeladene trägt vor, der gerichtliche Vergleich habe es der Antragstellerin
ermöglicht, trotz der neuen Bestimmungen der Hessischen Bauordnung lediglich
einen Grenzabstand von 2,50 m einzuhalten. Es verstoße gegen Treu und
Glauben, wenn die Antragstellerin nunmehr der Aufstockung des Hauses R.-gasse
10 widerspreche. Hätte die Antragstellerin 3 m entfernt gebaut, wäre der
Lichteinfallwinkel gewahrt worden. Die erteilte Befreiung sei rechtswidrig.
Die Beigeladene beantragt sinngemäß,
unter Aufhebung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Darmstadt
vom 26. März 1986 den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung in vollem
Umfang abzulehnen.
Die Antragstellerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie verteidigt den Beschluß des Verwaltungsgerichts.
Die Antragsgegnerin, die keinen Antrag stellt, ist der Auffassung, daß der
Lichteinfallwinkel von 45 Grad eingehalten sei.
Der Senat hat gemäß Beweisbeschluß vom 11.09.1987 darüber Beweis erhoben,
ob das Untergeschoß des Hauses der Beigeladenen die baulichen Merkmale eines
Vollgeschosses besitzt, durch Einholung eines Sachverständigengutachtens.
Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten des
Sachverständigen C., Offenbach am Main, vom 19.10.1987 Bezug genommen.
Die Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin (4 Hefte) und die Akten VG
Darmstadt II E 68/79 - Hess. VGH IV OE 34/82 - haben vorgelegen und sind
Gegenstand der Beratung gewesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach-
und Streitstandes wird auf die vorgenannten Unterlagen sowie auf den Inhalt der
Gerichtsakte verwiesen.
Entscheidungsgründe
II. Der Senat kann trotz der durchgeführten Beweisaufnahme ohne mündliche
Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten im Erörterungstermin vom
09.10.1987 übereinstimmend auf eine mündliche Verhandlung verzichtet haben.
Die Beschwerde der Beigeladenen ist zulässig, insbesondere form- und fristgemäß
erhoben (§§ 146, 147 VwGO). Auch der Befreiungsbescheid vom 03.12.1985 ist
nicht bestandskräftig geworden, denn gegen ihn richtet sich der Widerspruch der
Antragstellerin vom 19.02.1986 ebenfalls, wie sich aus der Begründung des
Widerspruchsschreibens ergibt.
Die Beschwerde, hat Erfolg, denn die Voraussetzungen für den Erlaß einer
einstweiligen Anordnung sind hinsichtlich der Bauarbeiten am Dachgeschoß nicht
gegeben. Eine einstweilige Anordnung gem. § 123 Abs. 1 VwGO kann zur
Sicherung eines Individualanspruchs in Bezug auf ein Streitobjekt erlassen werden,
wenn die Gefahr besteht, daß durch eine Veränderung des bestehenden
Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder
wesentlich erschwert wird. Nach § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO in
entsprechender Anwendung sind der Anspruch, dessen Erhaltung durch die
einstweilige Anordnung gesichert werden soll (Anordnungsanspruch), und der
Grund für die vorläufige Eilmaßnahme (Anordnungsgrund) von dem Antragsteller
glaubhaft. zu machen.
Ein Anordnungsgrund liegt vor, weil die Fortführung und die Vollendung der
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Ein Anordnungsgrund liegt vor, weil die Fortführung und die Vollendung der
Baumaßnahme der Antragstellerin die spätere Durchsetzung eines etwa
bestehenden Abwehrrechts gegen diese bauliche Maßnahme und die ihr zugrunde
liegenden Bescheide - den Befreiungsbescheid und die Baugenehmigung -
erschweren würde.
Ein Anordnungsanspruch ist jedoch nicht glaubhaft gemacht. Ein
Anordnungsanspruch besteht nur dann, wenn der Antragstellerin aufgrund
öffentlich-rechtlicher Vorschriften, ein nachbarrechtliches Abwehrrecht zusteht.
Dies ist der Fall, wenn
ein genehmigtes Vorhaben gegen Vorschriften verstößt und die
Voraussetzungen für eine Ausnahme oder Befreiung nicht vorliegen
und
entweder die verletzten Vorschriften auch dem Schutz des Nachbarn zu
dienen bestimmt, also nachbarschützend sind
und
durch das rechtswidrige Vorhaben eine tatsächliche Beeinträchtigung des
Nachbarn hinsichtlich der durch die Vorschrift geschützten nachbarlichen Belange
eintritt
oder
- insbesondere bei nicht dem Nachbarschutz dienenden Vorschriften des
Baurechts - die Genehmigung eines Vorhabens bzw. ihre Ausnutzung die
vorgegebene Grundstückssituation eines Dritten nachhaltig ändert oder dadurch
den Nachbarn schwer und unerträglich trifft.
(ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. z.B. den Beschluß vom 27.10.1978 - IV
TG 78/78 - HessVGRspr: 1979, 22).
Das Vorhaben der Beigeladenen ist zwar rechtswidrig Indem sich die
Antragstellerin auf diese Rechtswidrigkeit beruft, verstößt sie jedoch wegen der
besonderen Umstände des vorliegenden Falles gegen den Rechtsgrundsatz von
Treu und Glauben.
Zunächst ist festzuhalten, daß die Aufstockung bauplanungsrechtlich nicht zu
beanstanden ist. Das Grundstück der Beigeladenen liegt in einem im
Zusammenhang bebauten Ortsteil im Sinne des § 34 Abs. 1 BBauG, der hier
anzuwenden ist. Letzteres folgt daraus, daß in einschränkender Auslegung des .§
236 Abs. 1 des Baugesetzbuches - BauGB - das neue Recht nur dann anwendbar
ist, wenn die planungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens uneingeschränkt
überprüfbar ist, dagegen nicht im Fall des Drittwiderspruchs zugunsten des
Nachbarn (vgl. den Senatsbeschluß vom 09.11.1987 - 4 TG 1913/87 - HessVGRspr.
1988, 33). Das Vorhaben hält sich, was Art und Maß der baulichen Nutzung, die
Bauweise und die überbaute Grundstücksfläche betrifft, in dem durch die
Umgebung vorgegebenen Rahmen.
Dies gilt auch hinsichtlich des Nutzungsmaßes. In der Umgebung befinden sich
ein- und zweigeschossige Wohnhäuser. Das Haus der Beigeladenen wird nach
Beendigung der Baumaßnahme ebenfalls lediglich zweigeschossig sein, denn das
Kellergeschoß ist kein Vollgeschoß. Dies hat die Beweisaufnahme ergeben. Nach §
2 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 HBO sind Vollgeschosse auch teilweise unter der
festgelegten Geländeoberfläche liegende Geschosse, deren Deckenoberkanten im
Mittel, mehr als 1,40 m über die Geländeoberfläche hinausragen. Dies ist der Fall,
wenn die tatsächlich freiliegende Fläche sämtlicher Außenwände größer ist als eine
Vergleichsfläche, welche sich aus dem Gebäudeumfang multipliziert mit 1,40 m
errechnet (vgl. Hess. VGH, Beschluß vom 14.06.1982 - III TG 1/82 -). Der
Sachverständige hat einen Gesamtumring von 49,29 m und in Bezug auf den
Fußboden eine durchschnittliche Höhe des Kellergeschosses von 1,426 m
ermittelt, was zu einer tatsächlichen Gesamtfläche von 70 qm führt. Davon ist
jedoch unter Zugrundelegung der Rohbaumaße ein Flächenabzug wegen des 0,06
m tiefen Fußbodens zu machen, denn § 2 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 HBO stellt auf die
Deckenoberkante und somit auf das Rohbaumaß der Decke des Kellergeschosses
ab. Dies führt nach den Angaben des Sachverständigen zu einem Flächenabzug
von 3 qm, so daß als tatsächliche Gesamtfläche 68 qm zugrunde zu legen sind.
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von 3 qm, so daß als tatsächliche Gesamtfläche 68 qm zugrunde zu legen sind.
Die Vergleichsfläche beträgt 49,29 m multipliziert mit 1,4 m, was 69 qm ergibt. Sie
ist damit größer als die tatsächliche Gesamtfläche. Das Kellergeschoß ist daher
kein Vollgeschoß.
Das Bauvorhaben fügt sich in die nähere Umgebung ein, zumal für einen Verstoß
gegen das Rücksichtnahmegebot aus den beigezogenen Unterlagen nichts
ersichtlich ist und die Antragstellerin selbst ihre Einwände nur auf
Bauordnungsrecht gestützt hat.
Im Ergebnis steht Bauordnungsrecht dem Bauvorhaben ebenfalls nicht entgegen.
Bei einem Abstand beider Gebäude zueinander von 5,50 m ist § 8 Abs. 1 Satz 2
HBO gewahrt, wonach der Gebäudeabstand mindestens 5 m betragen muß, wenn
sich in gegenüberliegenden Wänden Öffnungen befinden.
Nicht eingehalten ist jedoch § 8 Abs. 2 HBO, der auch dem Schutz des Nachbarn
dient (Hess. VGH, Beschluß vom 23.12.1980 - IV TG 99/80 - BRS 36 Nr. 126 =
ESVGH 81, 100 m.w.N.; Beschluß vom 14.11.1985 - IV TG 2003/85 - HessVGRspr.
1986, 25 ff., 27). Nach dieser Vorschrift ist zwischen Wänden gegenüberliegender
Gebäude und Gebäudeteile vor notwendigen Fenstern eine Abstandsfläche
einzuhalten, die dem Schutz der ausreichenden Belichtung der Aufenthaltsräume
dient. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats sind Aufenthaltsräume
regelmäßig ausreichend belichtet, wenn ein Lichteinfallwinkel von 45 Grad alter
Teilung nicht überschritten wird (vgl. den Beschluß vom 14.11.1985, a.a.O.,
m.w.N.). Der 45-Grad-Winkel ist vorliegend nicht eingehalten, denn die
Schattenkante trifft das Küchenfenster 25,5 cm oberhalb der
Außenfensterbrüstung. Der 45-Grad-Winkel würde nur dann eingehalten, wenn das
Haus der Beigeladenen nicht höher als 7,115 m - Gebäudeabstand zuzüglich
Brüstungshöhe - geplant wäre. Die Erhöhung um 0,255 m führt - wenn man den
45-Grad-Winkel beibehält - zu einer Höhenverschiebung der Schattenkante um
0,255 m, so daß der Schatten in das Haus der Antragstellerin fällt: Bei der
geplanten Höhe des Hauses der Beigeladenen von 7,37 m beträgt der
tatsächliche Lichteinfallwinkel ca. 46 Grad. Es liegt somit grundsätzlich ein Verstoß
gegen § 8 Abs. 2 HBO vor, der nicht von vornherein wegen Geringfügigkeit
unbeachtlich ist.
Dem stehen auch die Grundsätze des Senatsbeschlusses vom 14.11.1985 (- IV TG
2003/85 - HessVGRspr. 1986, 25 ff.) nicht entgegen. Danach gilt folgendes: Wer
auf seinem Grundstück den Mindestbelichtungsabstand nicht wahrt; kann aus
Gründen der Billigkeit vom Bauherrn nicht die Einhaltung des vollen
Belichtungsabstands verlangen. Vielmehr ist (fiktiv) zu ermitteln, welcher
Gebäudeabstand sich ergäbe, wenn der Bauherr ein dem Nachbarhaus
gleichartiges Haus errichten würde, vorausgesetzt, eine gleichartige Bebauung ist
zulässig. Die Billigkeit erfordert es weiter, daß beide Grundstückseigentümer die
Hälfte des gefundenen fiktiven Gebäudeabstands einhalten. Unterschreitet der
Grenzabstand des Nachbarhauses diese Hälfte, kann der Nachbar seinerseits
nicht verlangen, daß der Bauherr den fehlenden Anteil übernimmt. Überschreitet
der Abstand des Nachbarbauwerks diese Hälfte, dann bleibt es grundsätzlich bei
der Regel, daß eine Nichteinhaltung des Lichteinfallwinkels von 45 Grad einen
Anordnungsanspruch des Nachbarn auslöst.
Hier würde die Errichtung eines gleichartigen Hauses durch die Beigeladene bei
Einhaltung des 45-Grad-Winkels zu einem Gebäudeabstand von 6,115 m (Höhe
der schattenwerfenden Kante der Dachgaube) abzüglich 1,615 m (Höhe der
Küchenfensterbrüstung), also 4,50 m, führen. Die Hälfte hiervon ist 2,25 m. Da die
Antragstellerin diesen fiktiven halben Gebäudeabstand einhält - der Grenzabstand
beträgt 2,50 m -, bleibt es grundsätzlich bei der Regel, daß die Beigeladene den
45-Grad-Winkel einhalten muß.
Hiervon ist jedoch im Hinblick auf die besonderen Umstände des vorliegenden
Einzelfalls in Anwendung des Rechtsgrundsatzes von Treu und Glauben eine
Ausnahme zu machen. Der Senat hat bereits anderweitig entschieden, daß Treu
und Glauben den Nachbarn hindern, insoweit eine Baugenehmigung anzufechten
oder die Beseitigung des Bauwerks zu verlangen, als er sich gegenüber dem
Bauherrn mit einem Bauvorhaben einverstanden erklärt hat, ohne daß eine
Vereinbarung zustande gekommen ist (vgl. Hess. VGH, Urteil vom 21.11.1980 - IV
OE 3/77 -). Dies muß entsprechend gelten, wenn der Nachbar zwar keine derartige
Erklärung abgegeben hat, aber die Vorteile einer Erklärung genießt, die ein
anderer abgegeben hat. So liegen die Dinge hier. Hätte die Antragstellerin den zur
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anderer abgegeben hat. So liegen die Dinge hier. Hätte die Antragstellerin den zur
Zeit der Erteilung der Baugenehmigung für ihr Haus geltenden Grenzabstand des
§ 7 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 HBO 1977 von 3 m eingehalten, würde das
Bauvorhaben der Beigeladenen den 45-Grad-Winkel wahren. Die
Befreiungsvoraussetzungen des § 94 Abs. 2 HBO liegen hinsichtlich der
Unterschreitung des Belichtungsabstands nicht vor. Die Befreiung ist zwar
bestandskräftig geworden, aber gleichwohl rechtswidrig. Die jetzige Beigeladene
hat durch die im Rahmen eines Vergleichs erklärte Rücknahme der Berufung dem
Ehemann der jetzigen Antragstellerin die Ausführung des - rechtswidrigen -
Vorhabens erst ermöglicht. Der Vergleich ist nur deshalb zustande gekommen,
weil der Ehemann der Antragstellerin auch für diese aufgetreten ist und bei der
Beigeladenen die Erwartung hervorgerufen hat, die Antragstellerin werde sich am
Vergleich beteiligen. Die Antragstellerin hat sich entgegen dieser Erwartung nicht
am Vergleich beteiligt, genießt aber trotzdem als Grundstückseigentümerin
dessen Vorteile. Jedenfalls im vorliegenden Fall einer nur geringen Überschreitung
des Lichteinfallwinkels kann die Antragstellerin unter Berücksichtigung des
Gesagten von der Antragsgegnerin nicht verlangen, daß diese die Verringerung
der Höhe des Gebäudes der Beigeladenen durchsetzt, weil dies auf Seiten der
Antragstellerin einen Verstoß gegen Treu und Glauben gegenüber der
Beigeladenen darstellen würde.
Nach allem ist der Beschluß des Verwaltungsgerichts abzuändern und der Antrag
auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung auch hinsichtlich des Dachgeschosses
abzulehnen.
Die Antragstellerin hat die gesamten Kosten des Verfahrens zu tragen, da sie
unterlegen ist (§ 154 Abs. 1 VwGO). Hinsichtlich des Verfahrens erster Instanz
entspricht es der Billigkeit, der Antragstellerin auch die außergerichtlichen Kosten
der Beigeladenen aufzuerlegen (§ 162 Abs. 3 VwGO), da es in Fällen notwendiger
Beiladung in einem Bauprozeß primär um die Rechte des Beigeladenen geht (vgl.
Kopp, VwGO, 7. Aufl., 1986, RdNr. 23 zu § 162 m.w.N.), die Beigeladene einen
Anwalt beauftragt hat und dieser auch zur Sache Stellung genommen hat, wenn
auch der Schriftsatz erst nach Absendung des Beschlusses den Richtern vorgelegt
wurde. Soweit es um die der Beigeladenen im Beschwerdeverfahren entstandenen
außergerichtlichen Kosten geht, ergibt sich die Kostentragungspflicht der
Antragstellerin aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Festsetzung des Streitwertes für das Beschwerdeverfahren beruht auf §§ 13
Abs. 1, 14 in entsprechender Anwendung, 20 Abs. 3, 25 Abs. 1 Satz 1 GKG a.F..
Das Interesse der Beigeladenen und Beschwerdeführerin an der Weiterführung der
Baumaßnahme ist zwar erheblich höher als mit zwei Dritteln des Hilfsstreitwerts (§
13 Abs. 1 Satz 2 GKG a.F.) zu bewerten. Nach § 14 GKG a.F. in entsprechender
Anwendung ist jedoch der Beschwerdewert durch den Streitwert der ersten Instanz
begrenzt.
Hinweis: Dieser Beschluß ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 Satz 1 VwGO, 25 Abs. 2
Satz 2 GKG).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.