Urteil des HessVGH vom 04.09.1998
VGH Kassel: systematische auslegung, nebentätigkeit, vertreter, nebeneinkünfte, behörde, disziplinarverfahren, verfügung, strafurteil, präsident, ermessensausübung
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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
Disziplinarhof
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
DH 346/94
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Norm:
§ 84 Abs 1 DO HE
(Zur Beschwerdeberechtigung des Vertreters der
Einleitungsbehörde)
Gründe
Die von dem Vertreter der Einleitungsbehörde eingelegte Beschwerde ist gemäß §
71 HDO zulässig.
Zwar trifft § 71 HDO keine eigene ausdrückliche Regelung darüber, wer zur
Einlegung der Beschwerde gegen Beschlüsse der Disziplinarkammer befugt ist.
Indes gelten auch bei der Prüfung der Zulässigkeit der disziplinarrechtlichen
Beschwerde in Ermangelung einer ausdrücklichen Regelung in § 71 HDO die
allgemeinen Prozeßgrundsätze, die besagen, daß ein Rechtsbehelf nur von einer
an dem Verfahren beteiligten Person oder Dienststelle im Rahmen ihrer
Kompetenzen eingelegt werden kann; nicht unmittelbar an dem Verfahren
Beteiligte sind zur Einlegung von Rechtsbehelfen demgegenüber nicht befugt
(Claussen/Janzen, Bundesdisziplinarordnung, 7. Aufl., Rdnr. 2 vor § 79).
Überträgt man diese Grundsätze auf den vorliegenden Fall, wird deutlich, daß in
Fällen der vorliegenden Art die Beschwerde grundsätzlich nicht nur von der
Einleitungsbehörde selbst, sondern - im Umfang seiner Zuständigkeit - auch vom
Vertreter der Einleitungsbehörde eingelegt werden kann (vgl. zuletzt: Disziplinarhof
des Hess. VGH, Beschluß vom 07.05.1998 - 24 DH 2498/96 -). Hier wurde die
Anordnung nach § 84 Abs. 1 und 5 HDO betreffend die Einbehaltung von 50 % der
Dienstbezüge des Beamten von der Einleitungsbehörde ausgesprochen; mithin
war sie an dem von dem Beamten eingeleiteten gerichtlichen Verfahren auch
angesichts der Bestellung eines Vertreters der Einleitungsbehörde
verfahrensbeteiligt und infolgedessen auch selbst in erster Linie
beschwerdeberechtigt.
Dem Vertreter der Einleitungsbehörde kommt ebenfalls ein selbständiges
Beschwerderecht zu, selbst wenn er an dem erstinstanzlichen Antragsverfahren
nach § 87 HDO vor der Disziplinarkammer beim Verwaltungsgericht nicht
unmittelbar beteiligt war. Dabei spielt es keine Rolle, daß er in den Verfahren nach
§§ 83 f. HDO keinerlei Befugnisse besitzt, wie sie ihm etwa für die Untersuchung (§
55 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 HDO) und für das Verfahren vor der
Disziplinarkammer (§§ 58 Abs. 1, 58 a Abs. 2 Satz 1, 58 b Satz 1, 66 Abs. 4, 70
Abs. 2 HDO) ausdrücklich zugesprochen sind. Entscheidend ist eine systematische
Auslegung der Vorschriften der HDO: Das Verfahren auf teilweise Einbehaltung der
Dienstbezüge nach § 84 Abs. 1 HDO ist eingebettet in das förmliche
Disziplinarverfahren, wie aus § 83 HDO deutlich hervorgeht. Für die Durchführung
dieses förmlichen Disziplinarverfahrens wird gemäß § 31 Abs. 3 HDO von der
Einleitungsbehörde der Vertreter der Einleitungsbehörde bestellt, der demzufolge
für alle im Zusammenhang mit dem förmlichen Disziplinarverfahren stehenden
Verfahrenshandlungen - und damit auch für die Einlegung von Rechtsmitteln im
förmlichen Disziplinarverfahren nach § 71 Abs. 1 HDO - die erforderliche formelle
und materielle Kompetenz besitzt.
Bestätigt wird dieses Ergebnis durch eine Betrachtung der Vorschriften der HDO
über die Kosten des Disziplinarverfahrens (§§ 102 bis 107 HDO). Dort wird das
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über die Kosten des Disziplinarverfahrens (§§ 102 bis 107 HDO). Dort wird das
disziplinargerichtliche Antragsverfahren nach § 87 Abs. 2 HDO - im Gegensatz zu
anderen Verfahren - nicht gesondert erwähnt (vgl. §§ 105 Abs. 3 und 106 Abs. 3
HDO), was ebenfalls dafür spricht, dieses Verfahren als Bestandteil des förmlichen
Disziplinarverfahrens anzusehen, mit der Folge, daß der Vertreter der
Einleitungsbehörde alle zur Durchführung dieses Verfahrens erforderlichen
Maßnahmen - und damit auch die nach der HDO vorgesehenen Rechtsmittel -
ergreifen darf.
Die sonach zulässige Beschwerde ist jedoch unbegründet, weil die
Disziplinarkammer die Anordnung des Präsidenten des Oberlandesgerichts
Frankfurt am Main vom 11. Oktober 1993 (Az.: IV Z 228 SH 1989 ) zu Recht
aufgehoben hat. Die angegriffene Verfügung erweist sich wegen der Höhe des
einbehaltenen Betrages als rechtswidrig.
Liegen die Voraussetzungen des § 84 HDO vor, kann die Einleitungsbehörde die
Einbehaltung von bis zu 50 % der Dienstbezüge eines Beamten anordnen. Über
die Höhe des Einbehalts hat die Behörde nach Ermessen zu entscheiden, wobei
sie den Alimentations- und den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten hat.
Die Einleitungsbehörde hat demnach Einkünfte und Bedürfnisse des Beamten und
seiner Familie von Amts wegen zu ermitteln und bei der Entscheidung zu
beachten, daß die Einbehaltung wegen ihres nur vorläufigen Charakters nicht zu
einer existenzgefährdenden wirtschaftlichen Beeinträchtigung führen darf (vgl.
Fürst, GKÖD Band II, Teil 5, K § 92 HDO Rdnr. 34 m.w.N.). Dieses der Behörde
sonach zustehende Ermessen hat der Präsident des Oberlandesgerichts fehlerhaft
ausgeübt, da er bei der Ermittlung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Beamten
dessen Einkünfte aus der Nebentätigkeit rechtsfehlerhaft auf monatlich 3.500,00
DM geschätzt hat.
Für monatliche Nebeneinkünfte in dieser Höhe liegen ausreichende Anhaltspunkte
nicht vor. Allein aus den Gründen des amtsgerichtlichen Urteils vom 18. März 1993
(Az.: 2 Js 7619.1/90 - 6 Ls) läßt sich nicht herleiten, daß der Beamte tatsächlich
über Einkünfte in dieser Höhe verfügt. Zu Recht hat der Antragsteller darauf
hingewiesen, daß unter der Einkommensangabe in dem vorgenannten Strafurteil
durchaus auch sein Gesamteinkommen verstanden werden kann. Dafür spricht
bereits der Umstand, daß die Strafgerichte für die Festlegung der Höhe der
Tagessätze bei Verhängung einer Geldstrafe das Gesamtnettoeinkommen eines
Angeklagten zugrundelegen (vgl. § 40 Abs. 2 Satz 2 StGB). Für den Disziplinarhof
ist nicht ersichtlich, weshalb das Amtsgericht bei Ermittlung der persönlichen und
wirtschaftlichen Verhältnisse des Beamten gemäß § 40 Abs. 2 Satz 1 StGB nach
dessen Nebeneinkünften gefragt haben sollte, wenn es bei der Festlegung des
Strafmaßes auf das Gesamteinkommen des Beamten ankommt.
Entgegen der Auffassung des Vertreters der Einleitungsbehörde kann auch nicht
zu Lasten des Beamten gehen, daß dieser nicht umfassend über alle Einzelheiten
der Nebentätigkeit Auskunft erteilt hat. Denn es obliegt grundsätzlich der
Einleitungsbehörde, die maßgeblichen Umstände zu ermitteln, die bei der
Entscheidung im Rahmen von § 84 HDO von Bedeutung sind. Zwar ist der Beamte
bei der umfassenden Aufklärung des Familienbedarfs zur Mitwirkung grundsätzlich
verpflichtet, weshalb er über alle besoldungserheblichen Tatsachen, z.B. auch über
die Einnahmen aus Nebentätigkeit (vgl. § 84 Abs. 5 Satz 3 HDO), Auskunft erteilen
muß (vgl. BVerwG, Beschluß vom 26. April 1978 - I DB 11.78 - DÖD 1978, 210).
Mithin muß der Beamte bereits im eigenen Interesse alle Umstände mitteilen, die
eine besondere Belastung seiner Person oder Familie darstellen und deswegen bei
der Entscheidung über die Höhe des Einbehalts zu berücksichtigen sind. Tut der
Beamte dies nicht oder nicht ausreichend, geht dies grundsätzlich zu seinen
Lasten.
Des weiteren begeht ein Beamter, der dieser Auskunftspflicht nicht oder nicht
vollständig nachkommt, unter Umständen ein weiteres Dienstvergehen.
Die Behörde kann aber die Einkünfte aus der Nebentätigkeit nicht willkürlich
festsetzen. Sie hat die Nebeneinkünfte vielmehr nach pflichtgemäßem Ermessen
zu schätzen. Hier hat der Präsident des Oberlandesgerichts diese Grenze
pflichtgemäßen Ermessens überschritten. Berücksichtigt man nämlich, daß der
Antragsteller den Zeitaufwand für die Nebentätigkeit als Auktionator mit jährlich
maximal 50 Stunden angegeben hat, ist offensichtlich, daß monatliche Einkünfte
aus dieser Nebentätigkeit mit 3.500,00 DM zu hoch angesetzt sind. Es ist mehr als
unwahrscheinlich, daß der Antragsteller für einen Zeitaufwand von maximal 50
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unwahrscheinlich, daß der Antragsteller für einen Zeitaufwand von maximal 50
Stunden ein Einkommen von 42.000,00 DM erzielt hat. Außer dem bereits
erwähnten Strafurteil sind aber keine weiteren Anhaltspunkte für Nebeneinkünfte
in dieser Höhe ersichtlich; vielmehr sprechen die Angaben des Antragstellers und
die von ihm vorgelegten Steuerbescheide für erheblich niedrigere Nebeneinkünfte.
Mithin kann von einer pflichtgemäßen Ermessensausübung nicht mehr
ausgegangen werden.
Die Disziplinarkammer hat die Verfügung auch zu Recht in vollem Umfang
aufgehoben. Denn die Entscheidungsbefugnis des Disziplinargerichts umfaßt nur
die vollständige Aufhebung oder Bestätigung der angegriffenen Verfügung, nicht
jedoch deren inhaltliche Änderung, weil die Höhe des Einbehalts von der
Einleitungsbehörde nach Ermessen festgesetzt wird, der gerichtliche
Kontrollmaßstab aber auf die Überprüfung der Ermessensausübung auf
Ermessensfehler beschränkt ist und keine eigene Sachentscheidungsbefugnis,
insbesondere keine Ermessensbetätigung, umfaßt (vgl. Maneck/Schirrmacher,
Hessisches Bedienstetenrecht, 6. Aufl., HDO § 27 Erl. 7; Claussen/Janzen, BDO, 7.
Aufl. § 95 Rdnr. 5 a und 5 b; Köhler/Ratz, BDO, § 95 Rdnr. 9 f.).
Die Entscheidung über die Kosten des erstinstanzlichen Antragsverfahrens bleibt -
wie die Disziplinarkammer zu Recht erkannt hat - der Entscheidung der
Hauptsache vorbehalten (Disziplinarhof des Hess. VGH, Beschluß vom 19.06.1995
- DH 1838/91 -). Über die Kosten des Beschwerdeverfahrens muß demgegenüber
entschieden werden, da vorliegend die Beschwerde ohne Erfolg bleibt und der auf
die Beschwerde des Vertreters der Einleitungsbehörde entsprechend anwendbare
§ 105 Abs. 1 HDO Beschwerden gegen erstinstanzliche Entscheidungen nach § 87
Abs. 2 Satz 1 HDO nicht ausnimmt. Der Dienstherr hat danach die Kosten des
gesamten nach § 102 Abs. 1 HDO gerichtsgebührenfreien Beschwerdeverfahrens
zu tragen. Daß der Dienstherr außerdem die dem Beamten im
Beschwerdeverfahren erwachsenen notwendigen Auslagen, und zwar einschließlich
der Vergütung eines Verteidigers, zu tragen hat, folgt aus § 106 Abs. 2 HDO; auch
diese Vorschrift nimmt Beschwerden gegen erstinstanzliche Entscheidungen nach
§ 87 Abs. 2 Satz 1 HDO nicht aus.
Dieser Beschluß wird mit der Zustellung unanfechtbar (§ 82 HDO).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.