Urteil des HessVGH vom 29.08.1986
VGH Kassel: wiedereinsetzung in den vorigen stand, aufschiebende wirkung, die post, eigenes verschulden, gesetzliche frist, vertreter, beschwerdefrist, sorgfalt, rechtsmittelfrist, name
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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
4. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
4 TH 2310/86
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 60 Abs 1 VwGO, § 60 Abs
2 S 1 VwGO
(Wiedereinsetzung - Verschulden von Hilfspersonen einer
Interessengemeinschaft)
Gründe
I.
Die Antragsteller begehren die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres
Widerspruchs gegen die Heranziehung zu einer Vorausleistung auf einen
Ausgleichsbetrag für eine entwicklungsbedingte Werterhöhung nach dem
Städtebauförderungsgesetz eines im sog. Baugebiet 25 im Umlegungsgebiet
"Westlich des Seewegs" gelegenen Grundstücks, die die Antragsgegnerin mit
Heranziehungsbescheiden vom 18.10.1985, ergänzt durch Bescheid vom
14.01.1986 gegen die Antragsteller festgesetzt hat.
Die Antragsteller haben sich zur Durchführung des vorliegenden Verfahrens mit
anderen Antragstellern zu einer sog. Interessengemeinschaft assoziiert, deren
Mitglieder von dem Büro der Anwälte Peter B. u. a. vertreten werden. Um eine
praktikable und möglichst kurzfristige Korrespondenz zwischen den
Bevollmächtigten und den einzelnen Mitgliedern der Interessengemeinschaft zu
gewährleisten, einigten sich diese darauf, die in der nahegelegenen Kanzlei der
Rechtsanwälte Moormann & Partner beschäftigte Anwaltssekretärin, Frau F. als
Botin insbesondere für die alle gleichermaßen betreffende Korrespondenz
einzusetzen.
Der den Antrag der Antragsteller abweisende Beschluß des Verwaltungsgerichts
Darmstadt vom 22.05.1986 wurde dem Prozeßvertreter zusammen mit weiteren
Beschlüssen vom gleichen Tage am 06.06.1986 zugestellt. Diese Beschlüsse
wurden den Antragstellern - unter Einschaltung von Frau F. als Botin - zugänglich
gemacht. Am 13.06.1986 fand eine Besprechung der "Mitglieder" der
Interessengemeinschaft statt, in der das weitere Vorgehen erörtert wurde. Dabei
behielt sich ein Großteil der Antragsteller die Entscheidung, ob Beschwerde
eingelegt werden solle, noch vor. Diese sollte von einer weiteren Kostenkalkulation,
die den Mitgliedern am darauffolgenden Montag zugänglich gemacht wurde,
abhängen. Es wurde vereinbart, daß spätestens am darauffolgenden Mittwoch,
dem 18.06.1986, im Büro des Prozeßvertreters Mitteilung gemacht werden solle,
wer sich endgültig für die Einlegung des Rechtsmittels entschieden habe. Hierbei
sollte wiederum Frau F. als Botin bzw. Übermittlerin der Entscheidung eingesetzt
werden. Am Mittwoch, dem 18.06.1986, rief Frau F. in der Kanzlei des
Prozeßvertreters an und ließ sich mit der ebenfalls in die Sache eingearbeiteten
Sekretärin des Prozeßvertreters, Frau G., verbinden. Frau F. teilte Frau G. aufgrund
einer ihr vorliegenden Liste die Namen derjenigen Antragsteller mit, die ein
Rechtsmittel einlegen wollten. Frau G. zeichnete ihrerseits auf einer ihr
vorliegenden entsprechenden Liste die Namen der genannten Antragsteller ab,
machte die "Gegenprobe" und las ihrerseits die entsprechenden Namen vor. Auf
der Grundlage der von Frau G. erstellten Liste, auf der der Name der Antragsteller
nicht abgezeichnet war, fertigte der Bevollmächtigte der Antragsteller die
Rechtsmittelschriftsätze. Aufgrund der beginnenden Ferienzeit hatten die
Mitglieder der Interessengemeinschaft vereinbart, daß die vom Bevollmächtigten
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Mitglieder der Interessengemeinschaft vereinbart, daß die vom Bevollmächtigten
an sie gerichtete Post bei Frau F. bis zum Wiederbeginn des Schulunterrichts
verbleiben sollte. Als Frau F. daran ging, die Post zu sortieren und zur Verteilung
fertig zu machen, stellte sie fest, daß bei Zugrundelegung ihrer Liste einige
Beschwerdeschriften fehlten, und teilte das am 06.08.1986 in der Kanzlei des
Bevollmächtigten mit.
Am 14.08.1986 beantragte der Prozeßvertreter Wiedereinsetzung in den vorigen
Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist und legte gegen den Beschluß
des Verwaltungsgerichts Darmstadt vom 22.05.1986 Beschwerde ein, der das
Verwaltungsgericht nicht abgeholfen hat.
Er macht geltend, das Versäumnis der Rechtsmittelfrist sei darauf zurückzuführen,
daß sich im Bereich der einerseits von den Antragstellern, andererseits vom
Bevollmächtigten eingeschalteten Hilfspersonen ein Fehler eingeschlichen habe.
Bei diesen Hilfspersonen handele es sich um berufserfahrene, im Umgang mit
Fristen vertraute und im höchsten Maße zuverlässige Anwaltssekretärinnen. Ihnen
sei in den letzten Jahren kein vergleichbares Mißgeschick unterlaufen. Beide seien
sich der Bedeutung der einzuhaltenden Frist bewußt und seien auch vom
Bevollmächtigten ausdrücklich darauf hingewiesen worden.
Die Antragsteller beantragen,
unter Abänderung des Beschlusses vom 22.03.1986 - Az.: IV/2 H 59/86 - die
aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 04.11.1985 gegen die
Heranziehungsbescheide zu einer Vorausleistung auf den Ausgleichsbetrag vom
15.10.1985
hilfsweise,
in der Fassung des Ergänzungsbescheides vom 14.01.1986 anzuordnen.
Die Antragsgegnerin stellt keinen Antrag.
Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Antragsteller wird auf die
Beschwerdeschrift vom 08.08.1986 und die eidesstattlichen Versicherungen von
Frau F. und Frau G. vom 13.06.1986 Bezug genommen.
II.
Den Antragstellern konnte die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
wegen Versäumung der Beschwerdefrist nicht gewährt werden.
Gemäß § 60 Abs. 1 VwGO ist jemand, der ohne Verschulden verhindert war, eine
gesetzliche Frist einzuhalten, auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu
gewähren.
Im vorliegenden Fall sind bereits die formellen Voraussetzungen für eine
Wiedereinsetzung nicht erfüllt, denn die Antragsteller haben die zweiwöchige
Antragsfrist des § 60 Abs. 2 Satz 1 VwGO versäumt. Nach dieser Vorschrift ist der
Antrag auf Wiedereinsetzung binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses
zu stellen. Die Antragsfrist begann - entgegen der Auffassung der Antragsteller -
nicht erst am 06.08.1986 zu laufen, dem Zeitpunkt, zu dem Frau F. die
eingegangene Post zur Verteilung fertig machte und feststellte, daß einige
Beschwerdeschriften fehlten, sondern bereits um den 20.06.1986 herum. An
diesem Tage gingen die Beschwerdeschriften der übrigen Antragsteller bei dem
Verwaltungsgericht ein. Die Durchschriften der Beschwerdeschriften wurden von
Frau F. entgegengenommen und von ihr ungeöffnet verwahrt. Hätte Frau F. die
Durchsicht der Beschwerdeschriften und den Vergleich mit ihrer Liste der
Beschwerdeführer bereits nach Eingang der Beschwerdeschriften und nicht erst
am 06.08.1986 vorgenommen, wäre die Versäumung der Beschwerdefrist bereits
zu jenem Zeitpunkt bemerkt worden. Der Zeitpunkt des Eingangs der
Beschwerdeschriften bei Frau F. war somit der Zeitpunkt, zu dem bei ihr und dem
Prozeßvertreter die Fristversäumnis hätte bekannt sein können, wenn Frau F. den
Anruf in der Kanzlei des Prozeßvertreters, den sie am 06.08.1986 tätigte, bereits
zu diesem Zeitpunkt vorgenommen hätte. Insoweit liegt bei Frau F. eine
Verletzung der erforderlichen Sorgfalt und damit ein Verschulden vor, das sich
auch auf die Kenntnis des Wegfalls des Hinderungsgrundes beziehen kann (Kopp,
VwGO, 7. Aufl., § 60 Rdnr. 19; OLG Hamm, B. v. 28. 02. 1977 - 8 U 32/77 - NJW
1977, 2077 zur ähnlichen Vorschrift des § 234 ZPO). Das Verschulden von Frau F.
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1977, 2077 zur ähnlichen Vorschrift des § 234 ZPO). Das Verschulden von Frau F.
ist den Antragstellern als eigenes Verschulden zuzurechnen, da für die
Antragsteller geboten gewesen wäre, sich wegen des von ihnen im Rahmen der
Interessengemeinschaft gewählten besonderen Weges für die Übermittlung der
Entscheidung ein Rechtsmittel einzulegen an den Prozeßvertreter, vom
rechtzeitigen Zugang ihrer Mitteilung durch Rückfrage in der Kanzlei ihres
Prozeßvertreters Kenntnis zu verschaffen. Zumindest hätten sie veranlassen
müssen, daß der Posteingang von Frau F., die sie für einen längeren Zeitraum
zum Empfangsboten der Post ihres Prozeßvertreters gemacht hatten, daraufhin
kontrolliert wurde, ob Beschwerde tatsächlich eingelegt wurde. Verschulden liegt
vor, wenn der Beteiligte diejenige Sorgfalt außer Acht läßt, die für einen
gewissenhaften und seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahrnehmenden
Prozeßführenden geboten ist und ihm nach den gesamten Umständen des
konkreten Falles zuzumuten war. Wenn Frau F. diese danach gebotene Sorgfalt bei
der Kontrolle des Posteingangs außer Acht gelassen hat, so beruht das nach dem
Vorbringen der Antragsteller im Zusammenhang mit ihrem
Wiedereinsetzungsantrag darauf, daß die Interessengemeinschaft ihr den Auftrag
dazu nicht gegeben hat und damit die Verbindung zwischen den Antragstellern
und dem Büro des Prozeßvertreters für die Frau F. als Übermittlerin der
Entscheidungen der einzelnen Antragsteller einerseits und als Empfangsbote
andererseits eine wichtige Aufgabe wahrzunehmen hat, nicht zweckmäßig
organisiert hatte. Der Eingang des Wiedereinsetzungsgesuches beim
Verwaltungsgericht am 14.08.1986 war damit verspätet.
Wie bereits angedeutet, beruht darüber hinaus auch die Versäumung der
Beschwerdefrist durch die Antragsteller auf eigenem Verschulden: Bei der
telefonischen Übermittlung einer Vielzahl von Entscheidungen aus den Reihen der
Interessengemeinschaft - nach den Angaben der Antragsteller insgesamt 48
parallellaufende Einzelverfahren - an das Büro des Prozeßvertreters kann ein
Fehler, der zur Versäumung der Rechtsmittelfrist führt, leicht eintreten. Aus
diesem Grunde wäre eine Nachfrage der Antragsteller im Büro des
Prozeßvertreters nach dem Eingang der Mitteilung über die
Beschwerdeentscheidung vor dem 20.06.1986, dem Tag des Ablaufs der
Rechtsmittelfrist, geboten und zumutbar gewesen. Etwas anderes könnte nur
gelten, wenn ein Verschulden von Hilfspersonen des Prozeßvertreters - nach Lage
der Dinge käme nur ein Fehler von Frau G. in Betracht - glaubhaft gemacht wäre.
Das ist jedoch nicht der Fall, da nach dem Vortrag im Rahmen des
Wiedereinsetzungsantrages und den zu seiner Glaubhaftmachung vorgelegten
eidesstattlichen Versicherungen von Frau F. und Frau G. nicht mehr vollständig
aufzuklären ist, in wessen Verantwortungsbereich, in dem von Frau F. oder Frau G.,
der Fehler dafür liegt, daß auf der dem Prozeßvertreter überreichten Liste der
Name der Antragsteller nicht abgezeichnet ist Frau F. gehörte nicht zu den
Hilfspersonen des Prozeßvertreters der Antragsteller, deren Verschulden den
Antragstellern als Verschulden ihres Prozeßbevollmächtigten nur dann
zuzurechnen wäre, wenn dieser sie nicht mit der erforderlichen Sorgfalt
ausgewählt, angeleitet und überwacht hätte.
Nach alledem war der Antrag der Antragsteller auf Wiedereinsetzung in den
vorigen Stand abzulehnen.
Da die Beschwerde nach Ablauf der zweiwöchigen Beschwerdefrist (§ 147 VwGO)
bei dem Verwaltungsgericht eingegangen ist, war sie als unzulässig zu verwerfen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens haben die Antragsteller gemäß § 154 Abs.
2 VwGO zu tragen, weil die Beschwerde keinen Erfolg hat.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf der entsprechenden Anwendung der §§ 13
Abs. 1, 14 Abs. 1 i.V.m. 20 Abs. 3, 25 Abs. 1 Gerichtskostengesetz - GKG -.
Der Senat setzt in ständiger Rechtsprechung in Eilverfahren 2/3 des Wertes der
Hauptsache, hier der streitigen Ausgleichsforderung als Streitwert fest. Die
Befugnis zur entsprechenden Abänderung der erstinstanzlichen Beschlusses
beruht auf § 25 Abs. 1 Satz 3 GKG.
Hinweis: Der Beschluß ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 Satz 1 VwGO; 25 Abs. 2
Satz 2 GKG).
Dr. Wilhelm Eisenberg Kohlstädt
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.