Urteil des HessVGH vom 13.07.2004

VGH Kassel: clausula rebus sic stantibus, zukunft, ex nunc, zahl, magistrat, satzung, erlass, demokratie, stadtrat, gemeindeordnung

Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
8. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
8 TG 1067/04
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Norm:
§ 8b Abs 3 S 1 Halbs 2
GemO HE
(Ausschlussfrist für auf Änderung der Anzahl der
hauptamtlichen Beigeordneten einer Gemeinde gerichtetes
Bürgerbegehren)
Leitsatz
1. Der sechswöchigen Ausschlussfrist des § 8 b Abs. 3 Satz 1, 2. HS HGO unterliegen
nicht nur solche Bürgerbegehren, die (ausdrücklich) die rückwirkende Aufhebung eines
Beschlusses der Gemeindevertretung verlangen, sondern auch solche, die nur mit
Wirkung für die Zukunft eine inhaltlich von dem Beschluss abweichende Regelung
anstreben.
2. Die einem Bürgerbegehren/Bürgerentscheid zugängliche
kommunalverfassungsrechtliche, abstrakt-generell durch die Hauptsatzung geregelte
Grundentscheidung über die Anzahl der hauptamtlichen Beigeordneten einer Gemeinde
ist auf Dauer angelegt und stellt sich nicht bei jedem Wechsel eines konkreten
Amtsinhabers neu.
3. Die organschaftlichen Befugnisse der Gemeindevertretung können angesichts des in
§ 8 b HGO differenziert geregelten Spannungsverhältnisses zwischen direkter und
repräsentativer Demokratie im Kommunalbereich nicht ohne Weiteres unter Hinweis auf
deren demokratische Legitimation auf Bürgerbegehren/Bürgerentscheid übertragen
werden.
4. Nach Ablauf der Ausschlussfrist des § 8 b Abs. 3 Satz 1, 2. HS HGO kann die
Möglichkeit eines Bürgerbegehrens unabhängig von einer erneuten sachlichen
Befassung und Beschlussfassung der Gemeindevertretung allenfalls dann wieder
eröffnet werden, wenn sich die entscheidungserheblichen tatsächlichen und/oder
rechtlichen Verhältnisse so unvorhersehbar und grundlegend geändert haben und
dadurch eine so völlig neue Sachlage entstanden ist, dass ein früherer Beschluss der
Gemeindevertretung nicht mehr als eine von deren Willen getragene Regelung des sich
nunmehr völlig verändert darstellenden Problembereichs angesehen werden kann, so
dass es sich bei einem Bürgerbegehren über diesen neuen Regelungsgegenstand
deshalb nicht mehr um ein kassatorisches, sondern um ein initiierendes
Bürgerbegehren handelt.
5. Die bloße Verschlechterung der gemeindlichen Haushaltslage stellt für einen
Grundsatzbeschluss der Gemeindevertretung über die Beigeordnetenzahl in der Regel
keine solche unvorhersehbare und grundlegende Veränderung der
Entscheidungsgrundlagen dar.
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des
Verwaltungsgerichts Gießen vom 26. März 2004 - 8 G 539/04 - abgeändert und der
Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.
Die Antragsteller haben die Kosten des erst- und zweitinstanzlichen Verfahrens zu
je einem Drittel zu tragen.
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Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 2.000,00 € festgesetzt.
Gründe
I. Die Antragsteller sind Mitglieder der Stadtverordnetenversammlung (StaVO) der
Antragsgegnerin sowie Unterzeichner und Vertrauenspersonen eines
Bürgerbegehrens, das das Ziel verfolgt, die Anzahl der hauptamtlichen
Stadträte/innen, die neben Bürgermeister/in und sieben ehrenamtlichen
Stadträten/innen zum Magistrat der Antragsgegnerin gehören, von zwei auf
eine(n) durch eine Änderung der Hauptsatzung zu verringern.
Die StaVO der Antragsgegnerin hatte mit Beschluss vom 21. September 2001 die
Vorschrift des § 3 Abs. 2 der Hauptsatzung dahin geändert, dass die Zahl der
Stadträte/innen von acht auf neun erhöht und die Stelle eines/r weiteren
Stadtrates/rätin hauptamtlich verwaltet wird; daraufhin war mit Wirkung zum 1.
Januar 2002 ein weiterer hauptamtlicher Stadtrat gewählt worden.
Nachdem dieser am 28. September 2003 zum Bürgermeister gewählt worden ist,
soll die zum 1. April 2004 frei gewordene Stelle des hauptamtlichen Stadtrates neu
besetzt werden.
Die Antragsteller reichten das "Bürgerbegehren zur Verkleinerung des Magistrats
der Stadt A-Stadt" am 29. Dezember 2003 mit 3.209 Unterschriften bei der
Antragsgegnerin ein.
Das Bürgerbegehren benennt folgende "zu entscheidende Frage:
Sind Sie dafür, dass die Stelle des/der weiteren hauptamtlichen
Stadtrats/Stadträtin nicht wiederbesetzt und zur Abschaffung der Stelle die
nachstehende Satzung in Kraft gesetzt wird?
"Satzung zur Änderung der Hauptsatzung der Stadt A-Stadt
Artikel 1
§ 3 erhält folgende Fassung:
Der Magistrat arbeitet kollegial. Er besteht aus dem/der hauptamtlichen
Bürgermeister/Bürgermeisterin, dem/der hauptamtlichen Ersten Stadtrat/Stadt-
rätin und sieben ehrenamtlichen Stadträten/Stadträtinnen.
Artikel 2
Diese Satzung tritt am Tage nach ihrer Bekanntgabe in Kraft."
Begründung:
Die Stadt A-Stadt befindet sich in einer sehr schlechten finanziellen Lage. Im Jahre
2002 wurden 4,97 Mio. Euro mehr ausgegeben als eingenommen. Trotz Erhöhung
der Grundsteuer ist für 2003 mit einem weiteren Fehlbetrag von 3,41 Mio. Euro zu
rechnen. Die Kredite steigen dramatisch an.
Um weiteren Steuererhöhungen und der Kürzung kommunaler Leistungen zu
Lasten der Bevölkerung entgegenzuwirken, sollte vorrangig im politischen Bereich
gespart werden.
Die Stelle des/der weiteren hauptamtlichen Stadtrats/Stadträtin wurde infolge der
Rot-Grünen Koalitionsvereinbarung neu eingerichtet. Durch die Wahl des
Amtsinhabers zum Bürgermeister wird sie zum 1. April 2004 wieder frei. Diese
Gelegenheit sollte genutzt werden, die Stelle abzuschaffen."
Die StaVO der Antragsgegnerin erklärte das Bürgerbegehren in ihrer Sitzung vom
30. Januar 2004 für unzulässig. Es richte sich gegen ihren im Herbst 2001
gefassten Beschluss zur Erweiterung des Magistrats um einen weiteren
hauptamtlichen Stadtrat und zur entsprechenden Änderung der Hauptsatzung. Da
es entgegen § 8 b Abs. 3 Satz 1, 2. HS HGO nicht innerhalb der Ausschlussfrist
von sechs Wochen nach Bekanntgabe dieses Beschlusses eingereicht worden sei,
sei es wegen Verfristung unzulässig. Aus der zur Entscheidung vorgelegten Frage
ergebe sich weiterhin nicht eindeutig und zweifelsfrei, dass es sich um ein
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ergebe sich weiterhin nicht eindeutig und zweifelsfrei, dass es sich um ein
kassatorisches Bürgerbegehren handele. Die Bürger würden über den StaVO-
Beschluss vom 21. September 2001 im Unklaren gelassen.
Die Antragsteller haben am 4. Februar 2004 beim Verwaltungsgericht Gießen - 8 E
412/04 - mit dem Ziel Klage erhoben, das Bürgerbegehren für zulässig erklären zu
lassen.
Zur Begründung haben sie u.a. geltend gemacht, das Bürgerbegehren lasse den
StaVO-Beschluss vom 21. September 2001 und dessen unmittelbare
Konsequenzen (Wahl eines weiteren hauptamtlichen Stadtrats zum 1. Januar
2002) völlig unangetastet und verfolge lediglich das Ziel, nach einer drastischen
Verschlechterung der finanziellen Lage der Stadt A-Stadt und dem absehbaren
Freiwerden der Stelle für die Zukunft eine neue Regelung hinsichtlich der Größe
des Magistrats zu erreichen. Es gehe nicht darum, die Einrichtung der Stelle
rückgängig zu machen, sondern eine bereits bestehende Stelle abzuschaffen. Die
damalige Einrichtung der Stelle möge zwar - etwa zur Einarbeitung des zukünftigen
Bürgermeisterkandidaten - (noch) vertretbar gewesen sein, die Beibehaltung
dieser Stelle sei jetzt, nachdem der Amtsinhaber zum Bürgermeister gewählt
worden sei, angesichts der verschlechterten finanziellen Lage der Stadt aber nicht
mehr vertretbar. Nach der Argumentation der StaVO wäre ein auf die Aufhebung
oder Änderung einer seit langem bestehenden Satzung gerichtetes
Bürgerbegehren nie zulässig, weil jede Satzung irgendwann einmal durch die
StaVO beschlossen worden sei. Aus der Regelung des § 8 b Abs. 2 Nr. 4 HGO
ergebe sich aber im Umkehrschluss, dass der Gesetzgeber Satzungen vom
Grundsatz her durchaus als zulässigen Gegenstand eines Bürgerbegehrens
ansehe. Die Ausschlussfrist von sechs Wochen solle lediglich verhindern, dass
durch die Hinauszögerung der Einreichung der Unterschriften eines angekündigten
Bürgerbegehrens die Ausführung eines StaVO-Beschlusses auf unbestimmte Zeit
blockiert werde. Da der damalige Beschluss vom 21. September 2001 durch die
Besetzung der Stelle des weiteren hauptamtlichen Stadtrates umgesetzt worden
sei, bedürfe es dieses Schutzes nicht mehr.
Nachdem der Wahlvorbereitungsausschuss am Tag der Klageerhebung
beschlossen hatte, die Stelle des weiteren hauptamtlichen Stadtrates öffentlich
auszuschreiben, haben die Antragsteller am 12. Februar 2004 beim
Verwaltungsgericht den Antrag gestellt, der Antragsgegnerin im Wege einer
einstweiligen Anordnung zu untersagen, vor einer rechtskräftigen Entscheidung
der Hauptsache die - für den 29. oder 30. März 2004 geplante - Wahl des weiteren
hauptamtlichen Stadtrats vorzunehmen. Dadurch würden vollendete Tatsachen
geschaffen, bevor es zu einer Entscheidung über die Klage und gegebenenfalls zu
einem Bürgerentscheid komme.
Die Antragsgegnerin hat in beiden erstinstanzlichen Verfahren im Wesentlichen
geltend gemacht:
Das Bürgerbegehren sei gegen den Grundsatzbeschluss der StaVO vom 21.
September 2001 über die Erweiterung des hauptamtlichen Magistrats gerichtet,
der ohne zeitliche Befristung eine abstrakt-generelle Regelung über die Zahl der
hauptamtlichen Magistratsmitglieder getroffen habe, die unabhängig von der
jeweiligen konkreten Stellenbesetzung sei. Es komme auch nicht darauf an, ob das
Bürgerbegehren diesen Beschluss rückwirkend oder mit Wirkung für die Zukunft
aufheben wolle.
Allein die Veränderung einer Haushaltssituation könne dem Bürgerbegehren
seinen kassatorischen Charakter nicht nehmen, zumal die haushaltswirtschaftliche
Gesamtverantwortung gerade nicht zur Disposition eines Bürgerbegehrens stehe.
Veränderte Umstände könnten ohnehin nur über eine erneute Befassung in der
StaVO den Weg für ein Bürgerbegehren freimachen.
Die Ausschlussfrist des § 8 b Abs. 3 Satz 1 HGO solle Planungs- und
Rechtssicherheit schaffen und im Interesse der Stabilität und Verlässlichkeit
gemeindlicher Willensbildung verhindern, dass ein sachliches Regelungsprogramm
der StaVO beliebig lange durch ein Bürgerbegehren in Frage gestellt werden
könne. Die Erweiterung des Magistrats sei dauerhaft zum Zwecke der Entlastung
der hauptamtlichen Magistratsmitglieder erfolgt und nicht lediglich zur
Einarbeitung des potenziellen Bürgermeisterkandidaten. Dieser nicht durch ein
Bürgerbegehren innerhalb der Ausschlussfrist angefochtene StaVO-Beschluss
habe dem Magistrat und dem Bürgermeister als Planungsgrundlage für
organisatorische und personelle Entscheidungen im Hinblick auf die
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organisatorische und personelle Entscheidungen im Hinblick auf die
Magistratserweiterung gedient, die nicht bereits nach 2 ½ Jahren mit
entsprechendem Aufwand wieder rückgängig gemacht werden sollten. Jedenfalls
bis zum Ablauf der Wahlperiode des Kommunalparlaments habe die Verwaltung
auf den Bestand dieses Beschlusses vertrauen dürfen.
Satzungsänderungen könnten auch unabhängig von der Ausschlussfrist zum
Gegenstand von Bürgerbegehren gemacht werden, wenn die Satzungen vor der
mit Wirkung zum 1. April 1993 eingeführten Regelung des § 8 b HGO beschlossen
worden seien. Im Übrigen könne eine solche Angelegenheit auch dann wieder
Gegenstand eines Bürgerbegehrens werden, wenn sich die StaVO erneut damit
befasst habe. Dies sei hier aber nicht der Fall. Selbst wenn man der Auffassung
wäre, die Ausschlussfrist des § 8 b Abs. 3 Satz 1, 2. HS HGO stünde einem
Bürgerbegehren nur entgegen, soweit und solange ein sachlicher und zeitlicher
Zusammenhang bestehe und sich die entscheidungserheblichen Umstände nicht
wesentlich verändert hätten, wären diese Voraussetzungen bei dem erst 2 ½ Jahre
zurückliegenden Grundsatzbeschluss nicht gegeben. Auch die eventuell analog
heranzuziehenden Fristen gemäß § 8 b Abs. 4 Satz 1 bzw. Abs. 7 Satz 2 oder § 36
Satz 1 HGO wären nicht eingehalten.
Zudem sei der Bürgerwille durch das Bürgerbegehren unzulässig beeinflusst, weil
der Eindruck erweckt werde, die Neuregelung werde im Zusammenhang mit der
Wiederbesetzung der weiteren hauptamtlichen Stelle angestrebt und ziele nicht
darauf ab, den Grundsatzbeschluss der StaVO vom 21. September 2001 mit ex
nunc-Wirkung aufzuheben. Es werde der Eindruck erweckt, die StaVO habe über
die Erweiterung des Magistrats noch keine grundsätzliche Entscheidung getroffen,
die Schaffung dieser weiteren Stelle beruhe vielmehr allein auf einer
(parteipolitischen) Koalitionsvereinbarung.
Mit Beschluss vom 26. März 2004 - 8 G 539/04 - hat das Verwaltungsgericht
Gießen die beantragte einstweilige Anordnung auf Untersagung der Wahl eines
weiteren (zweiten) hauptamtlichen Stadtrates bis zum rechtskräftigen Abschluss
des Hauptsacheverfahrens 8 E 412/04 erlassen.
Zur Begründung hat es u.a. ausgeführt: Der Anordnungsgrund ergebe sich daraus,
dass die Wahl des weiteren hauptamtlichen Stadtrates letztlich zu einem
drohenden Rechtsverlust führen würde, weil dann ein etwaiger Bürgerentscheid die
Wiederbesetzung der freiwerdenden Stelle nicht mehr verhindern könne.
Es sei auch ein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Die Regelung der Zahl
der hauptamtlichen Beigeordneten sei einem Bürgerentscheid zugänglich. Die
Ausschlussfrist des § 8 b Abs. 3 Satz 1, 2. HS HGO stehe der Zulässigkeit des
Bürgerbegehrens zur Verkleinerung des Magistrats nicht entgegen, weil dieses
sich nicht gegen den StaVO-Beschluss vom 21. September 2001 richte. Dieser
Beschluss sei durch die Besetzung der Stelle umgesetzt worden. Demgegenüber
wolle das Bürgerbegehren nunmehr erreichen, dass diese Stelle nach dem
Ausscheiden des derzeitigen Amtsinhabers zukünftig wegfalle. Es richte sich
deshalb sowohl formell wie auch materiell nicht gegen den Beschluss vom 21.
September 2001, weil es keine rückwirkenden Veränderungen anstrebe, sondern
eine vom Status quo abweichende Größe des hauptamtlichen Magistrats für die
Zukunft erreichen wolle. Es handele sich um ein initiierendes und nicht um ein
kassatorisches Bürgerbegehren. Ob die Ausschlussfrist des § 8 b Abs. 3 HGO zu
beachten sei, könne nur einzelfallbezogen beantwortet werden. Diese Frist diene
der Rechtssicherheit und der Verwaltungseffektivität und wolle verhindern, dass
Beschlüsse der Gemeindevertretung über einen längeren Zeitraum nicht vollzogen
werden könnten oder nach erfolgter Ausführung unmittelbar rückgängig gemacht
werden müssten. Die Umsetzung von Entscheidungen der gemeindlichen Organe
solle nicht durch Einleitung eines Bürgerbegehrens über Gebühr verzögert oder
gar konterkariert werden. Die Realisierung beschlossener gemeindlicher Vorhaben
solle nicht auf unbegrenzte Zeit mit der Gefahr eines möglicherweise
gegenteiligen Bürgerentscheids belastet werden, der u.U. sogar eine
kostenträchtige Rückgängigmachung erforderlich machen könnte. Diese Gründe
stünden aber hier der Zulässigkeit des Bürgerbegehrens nicht entgegen, weil die
Änderung der die Größe des hauptamtlichen Magistrats festlegenden
Hauptsatzung jederzeit möglich sei und deshalb ein Beschluss der
Gemeindevertretung über die Zahl der hauptamtlichen Beigeordneten auch
keinen Bestandsschutz in Bezug auf ein Bürgerbegehren besitze. Wenn sich - wie
hier - ein Bürgerbegehren nicht gegen die erstmalige Umsetzung eines solchen
Beschlusses richte, sondern lediglich eine neue Entscheidung über eine geänderte
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Beschlusses richte, sondern lediglich eine neue Entscheidung über eine geänderte
Zusammensetzung des hauptamtlichen Magistrats mit Wirkung für die Zukunft
herbeiführen wolle, sei die Ausschlussfrist nicht zu beachten. Bestandsschutz für
den hauptamtlichen Magistrat gegenüber einem Bürgerbegehren vermittele
letztlich nur das Beamtenrecht für die gewählten Beigeordneten.
Die Unzulässigkeit des Bürgerbegehrens ergebe sich nicht aus seiner
Fragestellung, weil es sich nicht um ein kassatorisches Bürgerbegehren handele.
Auch im Übrigen lägen weder eine irreführende Fragestellung noch sonstige
Zulässigkeitsbedenken vor.
Gegen den ihr am 30. März 2004 zugestellten Beschluss hat die Antragsgegnerin
am 5. April 2004 Beschwerde eingelegt und diese gleichzeitig u.a. wie folgt
begründet:
Das Bürgerbegehren richte sich gegen den StaVO-Beschluss vom 21. September
2001, weil dieser eine zeitlich nicht befristete, sondern eine dauerhafte abstrakte
Grundentscheidung über die Erweiterung des Magistrats getroffen habe, die nicht
durch die Besetzung einer Stelle umgesetzt worden sei. Das Bürgerbegehren wolle
- wie das Verwaltungsgericht selbst ausführe - den Beschluss mit Wirkung für die
Zukunft ungültig werden lassen. Die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens sei deshalb
von der Einhaltung der Ausschlussfrist des § 8 b Abs. 3 Satz 1, 2. HS HGO
abhängig. Der Hinweis des Verwaltungsgerichts, die Hauptsatzung könne jederzeit
geändert werden, beziehe sich nur auf die Änderung durch die
bzw. die , stehe aber einem Bestandsschutz
gegenüber der Aufhebung durch und nicht
entgegen. Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts könne grundsätzlich jede
durch die StaVO beschlossene Satzung, die nicht in § 8 b Abs. 2 HGO aufgeführt
sei, jederzeit mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben werden. Die Änderung mit
Wirkung für die Zukunft sei bei Satzungen aber der Regelfall. Abstrakte
Satzungsregelungen würden typischerweise in einer Vielzahl von unbestimmten
Fällen wiederholt zur Anwendung kommen bzw. vollzogen und verfügten jedenfalls
für den überschaubaren Zeitraum bestimmter politischer Mehrheiten über eine
gewisse Stabilität und Verlässlichkeit. Diese würde durch die Möglichkeit einer
zeitlich beliebigen Initiierung eines Bürgerbegehrens gegen derartige abstrakte
Regelungen in Frage gestellt. Der Schutz durch die Ausschlussfrist sei
grundsätzlich endgültig. Die in der HGO geregelte Zuständigkeit der
Gemeindevertretung zum Erlass von Satzungen werde unterlaufen, wenn durch
ein Bürgerbegehren unabhängig von einer zeitlichen Beschränkung jederzeit
Satzungen inhaltlich verändert werden könnten. Auch angeblich veränderte
finanzielle Rahmenbedingungen könnten dies nicht rechtfertigen.
Im Übrigen hat die Antragsgegnerin auf ihre Ausführungen in ihren Schriftsätzen
vom 24. Februar und 16. März 2004 im Klageverfahren verwiesen, die sie ihrer
Beschwerdebegründung in Kopie beigefügt hat. Das Verwaltungsgericht habe die
dort vorgetragenen Argumente in weiten Teilen nicht gewürdigt.
Demgegenüber machen die Antragsteller u.a. noch geltend:
Die Beschwerde sei unzulässig, weil die StaVO den Magistrat nicht
ordnungsgemäß zu ihrer Einlegung beauftragt habe.
Angesichts dessen, dass das Verwaltungsgericht in dem angefochtenen Beschluss
das Bürgerbegehren nach summarischer Prüfung als zulässig eingestuft habe,
könne es nicht so offenkundig unzulässig sein, dass sich ein Erfolg der Klage im
Hauptsacheverfahren von vornherein ausschließen lasse. Deshalb sei eine
Interessenabwägung vorzunehmen. Danach sei es der Antragsgegnerin eher
zuzumuten, für die Dauer des Hauptsacheverfahrens vorübergehend auf die
Besetzung der Stelle eines hauptamtlichen Beigeordneten zu verzichten, als den
Unterzeichnern des Bürgerbegehrens, nach vollzogener Wahl des weiteren
hauptamtlichen Stadtrates ihr Ziel im Ergebnis nicht mehr verwirklichen zu
können.
Die Ausschlussfrist des § 8 b Abs. 3 Satz 1 HGO werde von der Antragsgegnerin zu
weit ausgelegt. Deren Ziel könne es nicht sein, Beschlüsse der StaVO nach Ablauf
von sechs Wochen auf immer und ewig einer Änderung durch Bürgerbegehren und
-ent-scheid zu entziehen. Bürgerbegehren seien nämlich gemäß § 8 b Abs. 1 HGO
auf wichtige Angelegenheiten der Gemeinde beschränkt, über die im Regelfall die
Gemeindevertretung zu beschließen habe. Folglich ließen sich zu den meisten
Bürgerbegehren auch Beschlüsse der Gemeindevertretung konstruieren. Aber
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Bürgerbegehren auch Beschlüsse der Gemeindevertretung konstruieren. Aber
selbst bei einem gegen einen Beschluss der Gemeindevertretung gerichteten
Bürgerbegehren stehe die Ausschlussfrist nicht entgegen, wenn diesem Beschluss
durch Veränderung der Rahmenbedingungen sozusagen die Geschäftsgrundlage
entzogen sei. Das aber sei hier der Fall. Bei Einrichtung der Stelle des weiteren
hauptamtlichen Stadtrates seien nach dem seinerzeit bekannten Haushaltsplan
2001 und der Finanzplanung bis 2004 keine Fehlbeträge zu erwarten gewesen.
Dies habe sich innerhalb von zwei Jahren dramatisch dahin verändert, dass
nunmehr mit einem kumulierten Fehlbetrag von fast 16 Mio. Euro bis zum Jahr
2006 zu rechnen sei. Die StaVO habe deshalb im Februar 2003 ein
Haushaltskonsolidierungskonzept mit u.a. dem Abbau von zwei Stellen jährlich und
einer sechsmonatigen Stellenbesetzungssperre beschlossen.
Die Antragsgegnerin hat ergänzend zur Zulässigkeit der Beschwerde geltend
gemacht, dass die Außenvertretungskompetenz des Magistrats gemäß § 71 HGO
grundsätzlich unabhängig von der innergemeindlichen Willensbildung bestehe;
vorsorglich sei die Beschwerdeeinlegung von der StaVO noch einmal genehmigt
worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens
wird auf den Inhalt der Streitakten des vorliegenden einstweiligen
Rechtsschutzverfahrens und des Klageverfahrens 8 E 412/04 und auf die
beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin verwiesen.
II. Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des
Verwaltungsgerichts Gießen vom 26. März 2004 ist gemäß § 147 Abs. 1 und § 146
Abs. 4 VwGO zulässig. Die gegen die Befugnis des Magistrats zur
Beschwerdeeinlegung erhobenen Bedenken der Antragsteller sind nicht berechtigt,
weil dessen Außenvertretungskompetenz gemäß § 71 HGO grundsätzlich
unabhängig von der innergemeindlichen Willensbildung besteht. Der Magistrat
handelt deshalb prinzipiell auch bei Überschreitung seiner Kompetenzen wie im
Fall des - hier von den Antragstellern behaupteten - Fehlens einer nach § 51 Nr. 18
HGO gemeindeverfassungsrechtlich erforderlichen ordnungsgemäßen
Beschlussfassung der StaVO wirksam für die Stadt (vgl. Staatsgerichtshof des
Landes Hessen, Urteil vom 13. Juni 2001 - P. St. 1562 - StAnz. 2001 S. 2513
<2515> m.w.N.). Zudem hat sich der Magistrat der Antragsgegnerin auch nicht
rechtsmissbräuchlich über einen etwa entgegenstehenden Willen der StaVO
hinweggesetzt, diese hat vielmehr die Beschwerdeeinlegung vorsorglich
nachträglich genehmigt.
Die zulässige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg, denn das
Verwaltungsgericht hat die von den Antragstellern beantragte auf die vorläufige
Untersagung der Wahl eines weiteren (zweiten) hauptamtlichen Stadtrates
gerichtete einstweilige Sicherungsordnung gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO zu
Unrecht erlassen.
Die von der Antragsgegnerin unter dem 2. April 2004 dargelegten
Beschwerdegründe, auf die die Prüfungskompetenz des Senats gemäß § 146 Abs.
4 Satz 6 VwGO zunächst in einer ersten Prüfungsstufe beschränkt ist (vgl. Hess.
VGH, Beschluss vom 3. Dezember 2002 - 8 TG 2413/02 - NVwZ-RR 2003 S. 756 =
juris m.w.N.), sind - in Anlehnung an die Darlegungsvoraussetzungen des § 124 a
Abs. 4 Satz 4 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO - geeignet, die tragenden
Erwägungen des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten so in
Frage zu stellen, dass die Richtigkeit des angefochtenen Beschlusses erfolgreich in
Zweifel gezogen und es damit dem Senat auf einer zweiten Prüfungsstufe
ermöglicht wird, über den einstweiligen Rechtsschutzantrag auf Grund einer
eigenen uneingeschränkten und umfassenden Sachprüfung zu entscheiden.
Die Antragsgegnerin hat in ihrer Beschwerdebegründung überzeugende Einwände
gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts erhoben, dass sich das
Bürgerbegehren deshalb nicht gegen den StaVO-Beschluss vom 21. September
2001 richte, weil es keine Veränderung dieses bereits durch
Besetzung der geschaffenen Stelle in die Praxis umgesetzten Beschlusses,
sondern nach dem Ausscheiden des derzeitigen Amtsinhabers eine Verkleinerung
des hauptamtlichen Magistrats nur mit Wirkung erreichen wolle.
Dem hat die Antragsgegnerin zu Recht entgegengehalten, dass dieser StaVO-
Beschluss zur Änderung der Hauptsatzung eine zeitlich nicht befristete, abstrakte
Grundentscheidung für die Magistratserweiterung darstelle, mit der Größe und
Zusammensetzung des Magistrats auf Dauer festgelegt und die deshalb nicht
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Zusammensetzung des Magistrats auf Dauer festgelegt und die deshalb nicht
durch eine konkrete Stellenbesetzung umgesetzt bzw. vollzogen worden sei.
Die Argumentation des Verwaltungsgerichts vermengt die einer Entscheidung
durch Bürgerentscheid zugängliche kommunalverfassungsrechtliche, -
generell durch die Hauptsatzung zu regelnde Frage der Zahl der hauptamtlichen
Beigeordneten mit den unter den Ausschlusstatbestand des § 8 b Abs. 2 Nr. 3
HGO fallenden Rechtsverhältnissen der Mitglieder des
Gemeindevorstands. Weil die Bestimmung der Zahl der hauptamtlichen
Magistratsmitglieder eine die "äußere Verfassung" der Gemeinde betreffende, in
der Hauptsatzung festgeschriebene kommunalverfassungsrechtliche
Grundentscheidung ist, die nicht die innere Organisation der Gemeindeverwaltung
betrifft, sondern deren äußeren Rahmen setzt, fällt sie nicht unter den weiteren
Ausschlusstatbestand des § 8 b Abs. 2 Nr. 2 HGO (vgl. Hess. VGH, Beschluss vom
30. September 2003 - 8 TG 2479/03 - NVwZ-RR 2004 S. 281 ff.). Eine solche
Grundentscheidung ist naturgemäß auf Dauer angelegt und stellt sich nicht bei
jedem Wechsel eines konkreten Amtsinhabers neu.
Wenn ein Bürgerbegehren eine Verkleinerung der so abstrakt-generell
festgelegten Magistratsgröße auch nur für die Zukunft anstrebt, ist es im Sinne
des § 8 b Abs. 2 Satz 1, 2. HS HGO gegen den der Regelung in der Hauptsatzung
zu Grunde liegenden Beschluss der Gemeindevertretung gerichtet. Ein sog.
kassatorisches Bürgerbegehren ist nämlich nicht nur dann anzunehmen, wenn es
ausdrücklich die (rückwirkende) Aufhebung eines Beschlusses der
Gemeindevertretung fordert, sondern auch dann, wenn es in seiner
Zielsetzung auf dessen Korrektur ausgerichtet ist, für die bereits entschiedene
Angelegenheit eine abweichende Sachentscheidung begehrt bzw. die durch den
Beschluss getroffene Regelung durch eine wesentlich andere ersetzen will (vgl.
VGH Bad.-Württ., Urteile vom 14. November 1983 - 1 S 1204/83 - NVwZ 1985 S.
288 und vom 18. Juni 1990 - 1 S 657/90 - VBlBW 1990 S. 460 = juris; OVG NW,
Urteil vom 28. Januar 2003 - 15 A 203/02 - NVwZ-RR 2003 S. 584 ff.; von Danwitz,
DVBl. 1996 S. 134 <137>; Spies, Ute, Bürgerversammlung-Bürgerbegehren-
Bürgerentscheid, 1999, S. 180 jeweils m.w.N.).
Zutreffend hat die Antragsgegnerin weiter dargelegt, dass sich die vom
Verwaltungsgericht vertretene Auffassung auch nicht aus Sinn und Zweck der
sechswöchigen Ausschlussfrist, aus der jederzeitigen Abänderbarkeit der
Hauptsatzung durch die StaVO und aus dem Gewicht und der Bedeutung eines
Bürgerbegehrens/Bürgerentscheids herleiten lässt.
Die 1992 eingeführte unmittelbare Wahl der Bürgermeister/Oberbürgermeister und
Landräte sowie die ebenfalls eingeführten Bürgerbegehren/Bürgerentscheide
sollten das die Hessische Gemeindeordnung bestimmende System der
repräsentativen Demokratie, nach dem die Organe der Gemeinde grundsätzlich
die Verantwortung für deren Verwaltung und Entwicklung tragen, durch einzelne
plebiszitäre Elemente ergänzen, um eine stärkere Mitwirkung der Bürgerschaft am
kommunalen Geschehen zu ermöglichen (vgl. Begründung des Gesetzentwurfes
der Landesregierung, LT/Ds. 13/1397 vom 6. Januar 1992 S. 22). Die Regelungen in
§ 8 b HGO mussten demgemäß dem Spannungsverhältnis zwischen der hohen
demokratischen Legitimation von Bürgerbegehren/Bürgerentscheid einerseits und
der Wahrung der Funktionsfähigkeit und Effizienz des gemeindlichen
Verwaltungshandelns andererseits gerecht werden, die im Verantwortungsbereich
der repräsentativ-demokratischen Gemeindeorgane liegen. So kommt etwa der
hohe Rang direkt-plebiszitär demokratischer Entscheidungen dadurch zum
Ausdruck, dass ein erfolgreiches Bürgerbegehren, dem die Gemeindevertretung
nicht nach Absatz 4 Satz 3 dieser Vorschrift folgt, in einem Bürgerentscheid
fortgeführt werden kann, der nach Absatz 7 Satz 1 mit der erforderlichen Mehrheit
die Wirkung eines endgültigen Beschlusses der Gemeindevertretung hat und nach
Absatz 7 Satz 2 und Absatz 4 Satz 1 für die Dauer von mindestens drei Jahren
weder durch die Gemeindevertretung noch durch ein neues Bürgerbegehren
abgeändert werden kann, also für diesen dreijährigen Zeitraum das Handeln der
Gemeinde verbindlich bestimmt, während auf der anderen Seite ein Beschluss der
Gemeindevertretung von vornherein einen solchen Bestandsschutz nicht genießt,
sondern von einem Bürgerbegehren sofort in Frage gestellt und bei Erfolg
aufgehoben werden kann. Andererseits wird die Funktionsfähigkeit der Verwaltung
etwa nach Absatz 1 durch die Beschränkung eines Bürgerbegehrens auf
Angelegenheiten der Gemeinde und insbesondere auch durch die
Ausschlusstatbestände des Absatzes 2 geschützt.
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Diesem Schutzzweck dient auch die sechswöchige Ausschlussfrist des § 8 b Abs. 3
Satz 1, 2. HS HGO. Mit ihr soll im Interesse der Stabilität und Verlässlichkeit
gemeindlicher Willensbildung und auch aus Gründen der Rechtssicherheit
vermieden werden, dass die Ausführung von Beschlüssen der Gemeindevertretung
in wichtigen Gemeindeangelegenheiten längere Zeit nicht in Angriff genommen
und danach beliebig lange durch ein Bürgerbegehren in Frage gestellt werden
kann. Die in dem der Gemeindeordnung zu Grunde liegenden System der
repräsentativen Demokratie grundsätzlich vorrangige Verantwortlichkeit der
Gemeindevertretung für die Effektivität und Sparsamkeit der Gemeindeverwaltung
würde in Frage gestellt, wenn ein Bürgerbegehren auch ohne zeitlichen
Zusammenhang mit einer "bürgerentscheidsfähigen" Beschlussfassung zulässig
wäre, weil dann die Gefahr bestünde, dass sich ein möglicherweise erheblicher
wirtschaftlicher und personeller Aufwand im nachhinein als überflüssig erwiese;
nach Ablauf der Ausschlussfrist soll ein solcher Beschluss vielmehr als sichere
Planungsgrundlage für das Verwaltungshandeln dienen können, und zwar
grundsätzlich endgültig (vgl. u.a. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 14. November 1983
a.a.O. und OVG NW, Urteil vom 28. Januar 2003 a.a.O.).
Diesen Zielen läuft nicht nur eine spätere Aufhebung eines
Beschlusses der Gemeindevertretung mit den dann erforderlichen
Rückabwicklungsmaßnahmen zuwider, sondern auch eine Änderung für die
Zukunft, die ebenfalls dazu führen kann, dass angelegte
Umsetzungsmaßnahmen - wie hier etwa die an die Dezernentenzahl angepasste
Verwaltungsorganisation - mit erheblichem Kosten- und Zeitaufwand rückgängig
gemacht werden müssen.
Diesem Sinn und Zweck der Ausschlussfrist wird es nicht gerecht, wenn das
Verwaltungsgericht einen dadurch bewirkten Bestandsschutz eines Beschlusses
der Gemeindevertretung gegenüber einem Bürgerbegehren/Bürgerentscheid mit
der Begründung verneint, dass Änderungen der Hauptsatzung gemäß § 6 Abs. 2
HGO grundsätzlich jederzeit möglich seien. Diese Möglichkeit besteht nämlich -
worauf die Antragsgegnerin zu Recht hinweist - nur für die Gemeindevertretung
selbst, der im Rahmen des repräsentativ-demokratischen Systems grundsätzlich
die organschaftliche Befugnis der gemeindlichen Satzungsgebung zukommt und
die durch die regelmäßig gleichbleibenden Mehrheitsverhältnisse während einer
Wahlperiode eine gewisse Stabilität und Verlässlichkeit gewährleistet, wie dies
gerade auch für eine wesentliche Änderung der Hauptsatzung in der "Sperrfrist"
von einem Jahr vor Ablauf der Wahlzeit in § 6 Abs. 2 Satz 2 HGO zum Ausdruck
kommt. Angesichts der in § 8 b HGO erfolgten Regelung des
Spannungsverhältnisses zwischen direkter und repräsentativer Demokratie im
Kommunalbereich können organschaftliche Befugnisse der für die
vorrangig verantwortlichen Gemeindevertretung nicht allein
unter Hinweis auf Gewicht und Bedeutung, die der Gesetzgeber Bürgerbegehren
und Bürgerentscheid im Hinblick auf den Gesichtspunkt der
unmittelbaren Bürgerbeteiligung zuerkannt hat, ohne Weiteres auf diese
übertragen werden. Das würde zum einen den differenzierten gesetzlichen
Kompetenzzuweisungen widersprechen und zum anderen außer Betracht lassen,
dass die 1992 eingeführten plebiszitären Elemente das die Gemeindeordnung
nach wie vor bestimmende repräsentativ-demokratische System nur "ergänzen"
sollen.
Nach der allein gebotenen summarischen Prüfung im Rahmen der danach
eröffneten zweiten, umfassenden Prüfungsstufe haben die Antragsteller auch mit
ihrem Verweis auf die verschlechterte Finanzlage der Antragsgegnerin die
Nichtanwendbarkeit der Ausschlussfrist im vorliegenden Fall und damit das
Bestehen eines Anordnungsanspruchs nicht glaubhaft gemacht.
Es ist den Antragstellern zwar zuzugeben, dass die plebiszitäre Entscheidungsform
des Bürgerbegehrens/Bürgerentscheids bei strikter Anwendung der Ausschlussfrist
in erheblichem Umfang eingeschränkt wird.
Da gemäß § 8 b Abs. 1 HGO nur Angelegenheiten einem
Bürgerbegehren/Bürgerentscheid zugänglich sind und ein erfolgreicher
Bürgerentscheid gemäß § 8 b Abs. 7 Satz 1 HGO einen Beschluss der
Gemeindevertretung ersetzt, können nur solche Angelegenheiten einem
Bürgerbegehren/Bürgerentscheid unterfallen, die zur Zuständigkeit der
Gemeindevertretung gehören (vgl. LT/Ds. 13/1397, S. 25 zu § 8 b HGO). Ein sog.
initiierendes, fristfreies Bürgerbegehren kann danach nur ein von der
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initiierendes, fristfreies Bürgerbegehren kann danach nur ein von der
Gemeindevertretung bisher "noch unbestelltes Feld bearbeiten" und "damit
ausschließlich gemeindliche Aktivitäten" anstoßen (vgl. OVG NW, Urteil vom 28.
Januar 2003 a.a.O.). Da dies bei Satzungsregelungen nie der Fall ist, weil ihnen
immer ein Beschluss der Gemeindevertretung zu Grunde liegen muss, wären
Bürgerbegehren, die auf eine Änderung von - jedenfalls nach dem Inkrafttreten
des § 8 b Abs. 3 Satz 1, 2. HS HGO am 1. April 1993 erlassenen -
Gemeindesatzungen gerichtet sind, nur innerhalb von sechs Wochen nach ihrem
Erlass zulässig und danach für alle Zukunft nicht mehr möglich.
Dieses - bei Satzungsregelungen immer auftretende - "erhebliche Problem" (vgl.
Spies a.a.O. S. 180) führt in Literatur und Rechtsprechung zu verschiedenen
Lösungsansätzen.
So wird teilweise eine analoge Anwendung der Sperrfrist für die Änderung zustande
gekommener Bürgerentscheide durch eine Beschlussfassung der
Gemeindevertretung - nach § 8 b Abs. 7 Satz 2 HGO drei Jahre - in Erwägung
gezogen, die aber von der überwiegenden Meinung - aus wohl zutreffenden
Erwägungen - abgelehnt wird (vgl. Spies a.a.O. S. 181 f. m.w.N. auch auf die a.A.;
OVG NW, Urteil vom 28. Januar 2003 a.a.O.).
Weiterhin soll etwa die Ausschlussfrist einem Bürgerbegehren nur
entgegenstehen, soweit und solange ein sachlicher und zeitlicher Zusammenhang
mit dem Beschluss der Gemeindevertretung besteht und sich die
entscheidungserheblichen Umstände nicht so wesentlich verändert haben, dass
über einen neuen, nicht mehr gegenstandsgleichen Sachverhalt entschieden
werden soll (vgl. Spies a.a.O. S. 181). Eine nachträglich eingetretene tatsächliche
oder rechtliche Veränderung könne - ähnlich dem Wegfall der Geschäftsgrundlage
(clausula rebus sic stantibus) bei einem Vertrag - einem Ratsbeschluss, in Hessen
einem Beschluss der Gemeindevertretung, die Grundlage entziehen, damit die
früher entschiedene Frage neu aufwerfen und die Angelegenheit wieder einem
Bürgerbegehren öffnen (vgl. OVG NW, Urteil vom 28. Januar 2003 a.a.O. S. 585).
Eine Nichtanwendbarkeit der Ausschlussfrist könne auch in dem ganz besonderen
Ausnahmefall in Frage kommen, dass seit dem Ratsbeschluss eine so erhebliche
Zeit verstrichen ist, dass die ursprüngliche Bewertung des Rates praktisch obsolet
geworden sei (vgl. Leitfaden des Innenministeriums des Landes Nordrhein-
Westfalen zu Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, 4. Aufl., Stand: November
2002, S. 12).
In diesem Zusammenhang ist weiter zu erwägen, ob durch eine solche Änderung
der Sach- und Rechtslage ein Bürgerbegehren ohne Weiteres wieder zulässig wird,
diese Frage also nach einer gemäß § 8 b Abs. 4 Satz 2 HGO ablehnenden
Entscheidung der Gemeindevertretung gerichtlich voll überprüfbar ist, oder ob die
Einschätzung des Erfordernisses einer Neubefassung dem repräsentativ-
demokratischen Gemeindevertretungsorgan in eigener Verantwortlichkeit mit der
Folge zusteht, dass der Weg für ein neues Bürgerbegehren nur wieder eröffnet
wird, wenn nach erneuter Sachberatung ein neuer, wiederholender
Grundsatzbeschluss der Gemeindevertretung ergeht (vgl. dazu etwa VGH Bad.-
Württ., Urteil vom 13. April 1993 - 1 S 1076/92 - NVwZ-RR 1994 S. 110; Hess. VGH,
Beschluss vom 16. Juli 1996 - 6 TG 2264/96 - NVwZ 1997 S. 310; OVG NW, Urteil
vom 28. Januar 2003 a.a.O. S. 585).
Diese Fragen bedürfen im vorliegenden einstweiligen Rechtsschutzverfahren aber
keiner endgültigen Beantwortung, weil die von den Antragstellern geltend
gemachte bloße Verschlechterung der gemeindlichen Haushaltslage bei
summarischer Einschätzung auch unter Zugrundelegung dieser Lösungsansätze
eine Nichtanwendbarkeit der Ausschlussfrist nicht rechtfertigen könnte.
Die Gemeindevertretung der Antragsgegnerin hat eine erneute Sachbehandlung
der in der Hauptsatzung geregelten Größe des Magistrats nicht durchgeführt und
damit keinen wiederholenden Grundsatzbeschluss erlassen, der die Möglichkeit
eines Bürgerbegehrens innerhalb einer neuen Ausschlussfrist eröffnet hätte.
Da der Landesgesetzgeber eine solche Wiedereröffnungsmöglichkeit nicht
vorgesehen, sondern durch Einfügung der Ausschlussfrist des § 8 b Abs. 3 Satz 1,
2. HS HGO vielmehr zu erkennen gegeben hat, dass Beschlüsse der
Gemeindevertretung nach Ablauf dieser Frist als verlässliche Grundlage
gemeindlichen Handelns grundsätzlich durch Bürgerbegehren/Bürgerentscheid
nicht mehr angreifbar sein sollen, könnte eine unabhängig von einer erneuten
sachlichen Befassung und Beschlussfassung der Gemeindevertretung eröffnete
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sachlichen Befassung und Beschlussfassung der Gemeindevertretung eröffnete
Möglichkeit für ein Bürgerbegehren allenfalls dann angenommen werden, wenn
sich die entscheidungserheblichen tatsächlichen oder/und rechtlichen Verhältnisse
so unvorhersehbar und grundlegend geändert haben und dadurch eine so völlig
neue Sachlage entstanden ist, dass ein früherer Beschluss der
Gemeindevertretung nicht mehr als eine von deren Willen getragene Regelung des
sich nunmehr völlig verändert darstellenden Problembereichs angesehen werden
kann, dass also ein neuer Regelungsgegenstand entstanden und mithin nach der
Formulierung im Urteil des OVG NW vom 28. Januar 2003 (a.a.O.) wieder ein
"unbestelltes Feld zu bearbeiten" ist. Dann handelt es sich nämlich nicht mehr um
ein fristgebundenes kassatorisches, sondern in Bezug auf diesen neuen
Sachverhalt um ein initiierendes, gemeindliche Aktivitäten erneut anstoßendes
Bürgerbegehren, auf das die Ausschlussfrist nicht anwendbar ist.
Eine solche unvorhersehbare und grundlegende Veränderung der
Entscheidungsgrundlage des StaVO-Beschlusses vom 21. September 2001 kann
hierin der bis zur Einreichung des Bürgerbegehrens am 29. Dezember 2003 nach
dem Vortrag der Antragsteller eingetretenen Verschlechterung der Finanzlage der
Antragsgegnerin nicht gesehen werden.
Eine Berücksichtigung der Haushaltslage kann zwar entgegen der Auffassung der
Antragsgegnerin in ihrer in Bezug genommenen Klageerwiderung vom 24. Februar
2004 wohl nicht allein mit dem Argument ausgeschlossen werden, die
haushaltswirtschaftliche Gesamtverantwortung stehe gemäß § 8 b Abs. 2 Nr. 4
HGO nicht zur Disposition eines Bürgerbegehrens. Dieser Ausschlusstatbestand
dürfte sich nur auf unmittelbare Regelungen über Fragen der Haushaltswirtschaft
und Abgabenerhebung, nicht aber auf mittelbar aus der Haushaltslage zu
ziehende Konsequenzen im Rahmen einer plebiszitfähigen Entscheidung beziehen,
wie schon dadurch zum Ausdruck kommt, dass ein Bürgerbegehren gemäß § 8 b
Abs. 3 Satz 2 HGO "einen nach den gesetzlichen Bestimmungen durchführbaren
Vorschlag für die Deckung der Kosten der verlangten Maßnahme enthalten" muss.
Die finanzielle Situation der Gemeinde - wie dies bei solchen Entscheidungen
regelmäßig erforderlich ist - war aber schon bei der damaligen, bei Einreichung des
Bürgerbegehrens nur etwas mehr als zwei Jahre zurückliegenden
Beschlussfassung über die Erweiterung des hauptamtlichen Magistrats zu
berücksichtigen und deren nunmehr geltend gemachte Verschlechterung war auch
nicht so unvorhersehbar, dass die von der StaVO getroffene Regelung deshalb
jetzt als gegenstandslos angesehen werden könnte. Im Gegenteil hat die StaVO
durch den im Februar 2003 zur Konsolidierung des Haushalts u. a. beschlossenen
Abbau von zwei Stellen pro Jahr und die sechsmonatige Stellenbesetzungssperre
deutlich gemacht, dass sie trotz der veränderten Haushaltslage an der
beschlossenen und nicht in Frage gestellten Magistratserweiterung festhält, diese
also nach wie vor ihrem Willen entspricht. Dann aber kann ein Bürgerbegehren,
das demgegenüber auf die Verringerung der Zahl der hauptamtlichen
Stadträte/innen gerichtet ist, nicht als initiierendes, sondern nur als ein der
Ausschlussfrist unterliegendes kassatorisches Bürgerbegehren angesehen
werden.
Nach alledem ist auf die Beschwerde der Antragsgegnerin der Antrag auf Erlass
einer einstweiligen Sicherungsanordnung unter Abänderung des
verwaltungsgerichtlichen Beschlusses mit der Kostenfolge gemäß § 154 Abs. 1 und
§ 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO abzulehnen.
Die Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 20 Abs. 3
i.V.m. § 13 Abs. 1 und § 14 GKG a.F. i.V.m. §§ 71, 72 GKG i.d.F. des Gesetzes zur
Modernisierung des Kostenrechts vom 5. Mai 2004 (BGBl. I S. 718) und
berücksichtigt durch die Halbierung des Auffangstreitwertes den vorläufigen
Charakter des hier nicht auf eine Vorwegnahme der Hauptsache gerichteten
einstweiligen Rechtsschutzverfahrens.
Dieser Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO und § 25 Abs. 3 Satz 2 GKG a.F.
unanfechtbar.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.