Urteil des HessVGH vom 07.03.1996
VGH Kassel: wiederherstellung der aufschiebenden wirkung, öffentliche aufgabe, aufschiebende wirkung, öffentliches interesse, vollziehung, befehl, polizei, vollzug, stadt, gemeindeordnung
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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
14. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
14 TG 3967/95
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 10 Abs 11 BImSchG, § 17
BImSchG, § 24 BImSchG, §
59 BImSchG, § 60 BImSchG
(Zur Polizeipflichtigkeit von Hoheitsträgern - Durchsetzung
immissionsschutzrechtlicher Anordnungen gegenüber
hoheitlichen Anlagenbetreibern)
Tatbestand
Die antragstellende Stadt betreibt im Ortsteil ein Hallenschwimmbad mit einem
1990 nachträglich angegliederten Außenbecken unter der Bezeichnung
"Panoramabad" als nichtrechtsfähige Anstalt.
Nach Beschwerden aus der Nachbarschaft wurden seit Dezember 1990 mehrfach
Lärmmessungen durchgeführt, von der Antragstellerin ein Lärmgutachten vom 18.
April 1991 eingeholt und neben den generellen Sommerschließungszeiten
beschränkte Öffnungszeiten für den Außenbereich festgesetzt. Nachdem das
Staatliche Amt für Immissions- und Strahlenschutz (im folgenden: SAIS) Frankfurt
am Main seit 1991 und insbesondere mit Schreiben vom 3. März 1994 unter
Fristsetzung und Androhung einer entsprechenden Anordnung
Schallschutzmaßnahmen gefordert hatte, die von der Antragstellerin aus
Kostengründen abgelehnt wurden, und nachdem im März und April 1995 erneut
Lärmmessungen erfolgt waren, traf das SAIS Frankfurt am Main mit dem hier
angefochtenen Bescheid vom 2. August 1995 gegenüber dem Magistrat der
Antragstellerin gemäß § 24 Satz 1 und § 26 des Bundesimmissionsschutzgesetzes
(BImSchG) eine Reihe von Regelungen, von denen im vorliegenden
Beschwerdeverfahren lediglich die Ziffern 3 und 10 von Bedeutung sind, mit denen
bis zur Durchführung von Schallschutzmaßnahmen die Betriebszeiten des
Freibeckens unter Anordnung der sofortigen Vollziehung eingeschränkt (Ziff. 3)
und Zwangsgelder (Ziff. 10) angedroht wurden.
Zur Begründung des Bescheides führte das S im wesentlichen aus, die dem
Panoramabad benachbarten Wohnhäuser B lägen nach dem Bebauungsplan der
Stadt und nach der tatsächlichen Bebauung in einem reinen Wohngebiet. Da die
dafür in der Sportanlagenlärmschutzverordnung - 18. BImSchV - festgesetzten
Immissionsrichtwerte nach den durchgeführten Lärmmessungen deutlich
überschritten würden, hätten zum Schutz der Anwohner Schallschutzmaßnahmen
und bis zu deren Durchführung unter Ziff. 3 die Betriebszeiteneinschränkungen für
das Freibecken angeordnet werden müssen.
Gegen diesen Bescheid erhob die Antragstellerin unter dem 9. August 1995
Widerspruch, über den noch nicht entschieden ist.
Am 12. September 1995 hat sie beim Verwaltungsgericht Frankfurt am Main die
Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen Ziff. 3
der Anordnung des S vom 2. August 1995 beantragt und dies im wesentlichen
damit begründet, daß der fragliche Bereich nicht als reines, sondern (nur) als
allgemeines Wohngebiet einzustufen sei, und daß der Antragsgegner gemäß § 5
Abs. 2 der 18. BImSchV für Freibäder keine Betriebszeiten festsetzen dürfe.
Mit Beschluß vom 7. November 1995 - 6 G 2594/95(3) - hat das
Verwaltungsgericht Frankfurt am Main die aufschiebende Wirkung des
Widerspruchs der Antragstellerin vom 9. August 1995 gegen Ziff. 3 der Anordnung
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Widerspruchs der Antragstellerin vom 9. August 1995 gegen Ziff. 3 der Anordnung
des Antragsgegners vom 2. August 1995 wiederhergestellt, weil diese Anordnung
gegen den Grundsatz verstoße, daß Gefahrenabwehrbehörden grundsätzlich nicht
im Wege von Befehl und Zwang in die hoheitliche Tätigkeit anderer
Verwaltungsträger eingreifen dürften, wie dies hier durch die Festlegung von
Öffnungszeiten für das Panoramabad der Fall sei, das von der Antragstellerin im
Rahmen hoheitlicher Verwaltung auf dem Gebiet der Daseinsvorsorge als
öffentliche gemeindliche Einrichtung betrieben werde. Dadurch würden vorliegend
auch die den Besonderheiten der Kommunalverwaltung angepaßten besonderen
Regelungen der Hessischen Gemeindeordnung über die aufeinander aufbauenden,
gestuften Eingriffsbefugnisse der Kommunalaufsichtsbehörde - hier des
Hessischen Ministeriums des Innern - umgangen. Daß der Antragsgegner unter
Mißachtung dieser Grundsätze selbst aufgrund des angeordneten Sofortvollzuges
gegen die Antragstellerin vollstrecken und nicht lediglich eine
kommunalaufsichtliche Maßnahme vorbereiten wolle, zeige auch die
Zwangsgeldandrohung in dem angefochtenen Bescheid, die gegen § 73 des
Hessischen Verwaltungsvollstreckungsgesetzes verstoße, wonach gegen
juristische Personen des öffentlichen Rechts nur aufgrund ausdrücklicher
gesetzlicher Zulassung vollstreckt werden dürfe.
Gegen den ihm am 14. November 1995 zugestellten Beschluß hat der
Antragsgegner am 20. November 1995 die vorliegende Beschwerde eingelegt, die
er im wesentlichen wie folgt begründet: Wenn Hoheitsträger, die im allgemeinen
für die Verwirklichung ihrer Verwaltungsziele zwischen öffentlich- und
privatrechtlichem Vorgehen wählen könnten, der formellen Polizeipflicht nur bei
fiskalischer, d.h. privatrechtlicher Tätigkeit oder nur bei einer privatrechtlichen
Ausgestaltung des Benutzungsverhältnisses einer öffentlichen Einrichtung
unterlägen, würden gleichgelagerte Tatbestände ohne sachlichen Grund allein
wegen der eher zufälligen Wahl der Organisationsform insoweit unterschiedlich
behandelt. Deshalb könnten Verwaltungsträger nur dann nicht als Adressaten
polizeilicher Verfügungen in Frage kommen, wenn sie unmittelbar Aufgaben der
Gefahrenabwehr verfolgten und deshalb hoheitlich tätig würden. Das sei hier bei
dem Betrieb des Panoramabades als öffentlicher Einrichtung der Daseinsvorsorge
aber nicht der Fall, so daß die Stadt als Anstaltsträger wie jeder andere Private
polizeilichen Maßnahmen ausgesetzt sei. Dies entspreche auch dem heutigen
Verständnis der Polizeipflichtigkeit als eines Gesetzesgehorsams, der nicht nur
den Bürger im Über - Unterordnungsverhältnis zum Staat, sondern alle der
Staatsgewalt unterworfenen Subjekte verpflichte. Abgesehen davon ergebe sich
aus dem Bundesimmissionsschutzgesetz zwar insoweit keine besondere
Eingriffsmöglichkeit, jedoch folge aus der dort allgemein festgelegten Funktion der
Immissionsschutzbehörden und aus den Vorschriften der §§ 59, 60 und § 10 Abs.
11 BImSchG, daß auch hoheitliche Anlagen dem Vollzug dieses Gesetzes, wie etwa
der Genehmigungserteilung, der Überwachung und des Einschreitens gegen
Gesetzesverstöße, durch die dafür zuständigen Immissionsschutzbehörden
unterworfen seien, die für diese Zwecke auch organisatorisch und fachlich
besonders ausgestattet seien. Da etwa auch nach dem Hessischen
Abfallbeseitigungsgesetz Anordnungen der Abfallbehörden gegen
öffentlichrechtliche Verwaltungsträger als Entsorgungspflichtige möglich seien,
müsse dies erst recht für den Bereich der Daseinsvorsorge gelten, in dem die
Gemeinden keine Pflichtaufgabe erfüllten, sondern sich lediglich wie ein Privater
verhielten. Zudem lasse § 73 des Hessischen Verwaltungsvollstreckungsgesetzes
den Schluß zu, daß der Gesetzgeber die Möglichkeit vorausgesetzt habe, daß auch
gegen Behörden vollstreckbare Verwaltungsakte erlassen werden könnten, die
deren öffentlich-rechtliche Pflichten aus der Sicht der jeweiligen Fachbehörde
konkretisierend feststellten. Jedenfalls sei die vorliegende Anordnung selbst unter
Zugrundelegung der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht unzulässig, weil sie
nicht in die hoheitliche Tätigkeit der Antragstellerin eingreife, deren Kompetenz
nicht ignoriere und ihre Hoheitsbefugnisse nicht im Kern tangiere, sondern lediglich
Art und Weise des Betriebs des Panoramabades regele.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Parteivorbringens wird
auf den Inhalt der Streitakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge
verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Beschwerde des Antragsgegners ist nicht begründet, denn das
Verwaltungsgericht hat dem Antrag der Antragstellerin gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1
VwGO auf vorläufige Aussetzung der Vollziehung der in Ziff. 3 des Bescheides des
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VwGO auf vorläufige Aussetzung der Vollziehung der in Ziff. 3 des Bescheides des
S vom 2. August 1995 verfügten Betriebszeitbeschränkung durch
Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihres dagegen gerichteten
Widerspruchs zu Recht stattgegeben. Es besteht nämlich kein öffentliches
Interesse an der sofortigen Vollziehung dieses in die Wahrnehmung der
Selbstverwaltungsangelegenheiten der Antragstellerin eingreifenden
Verwaltungsaktes.
Das ergibt sich schon aus den allgemeinen Grundsätzen des Polizei- und
Ordnungsrechts über die Polizeipflichtigkeit von Hoheitsträgern. Danach sind
Hoheitsträger auch bei der Wahrnehmung ihrer öffentlichen Aufgaben zwar
materiell polizeipflichtig, also zur Beachtung besonderer ordnungsrechtlicher
Vorschriften - wie etwa des Immissionsschutzrechts - verpflichtet. Diese dürfen
ihnen gegenüber durch die Gefahrabwehrbehörden aber grundsätzlich nicht mit
Befehl und Zwang durchgesetzt werden, wenn dadurch in ihre hoheitliche Tätigkeit
eingegriffen wird (vgl. grundlegend: BVerwG, Urteil vom 16. Januar 1968 - I A 1.67 -
BVerwGE 29 S. 52 ff.; Götz, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, 10. Aufl.
1991, Rdnr. 222 ff.). Durch Art. 20 Abs. 3 GG sind nämlich die Träger öffentlicher
Verwaltung verpflichtet, sowohl die ihnen gesetzlich übertragenen hoheitlichen
Aufgaben zu erfüllen, als auch dabei die öffentlich-rechtlichen Vorschriften zur
Gefahrenabwehr in eigener Verantwortung zu beachten, wie andererseits auch die
zuständigen Gefahrabwehrbehörden nach Art. 20 Abs. 3 GG verpflichtet sind,
ihrerseits für die Einhaltung der ordnungsrechtlichen Vorschriften zu sorgen.
Soweit der die jeweiligen Aufgabenzuweisungen regelnde Gesetzgeber zur
Bewältigung dieses behördlichen Kompetenzkonflikts den Kompetenzbereich der
Gefahrenabwehrbehörde nicht ausdrücklich durch besondere Eingriffsbefugnisse
gegen andere Hoheitsträger erweitert hat, wie etwa im Hessischen
Abfallwirtschaftsgesetz, darf die Gefahrenabwehrbehörde die ihr nur allgemein
verliehenen Befugnisse gegenüber anderen Hoheitsträgern nur insoweit ausüben,
als sie damit nicht in deren hoheitlichen Tätigkeits- und Kompetenzbereich
eingreift, so daß etwa die Wahrnehmung bloßer Zustimmungs-, Genehmigungs-,
Auskunfts- oder Überwachungsrechte oder ein Hinweis auf Gesetzesverstöße
durch die Gefahrabwehrbehörde grundsätzlich zulässig ist (vgl. Gebhard, DÖV
1986 S. 545 ff. m.w.N.). Daraus wird deutlich, daß diese sich aus einem
Kompetenzkonflikt öffentlicher Verwaltungsträger ergebende
Eingriffsbeschränkung für die Gefahrenabwehrbehörden dann - entgegen der
Auffassung des Antragsgegners - sachlich nicht gerechtfertigt ist, wenn ein
Hoheitsträger rein fiskalisch, also nicht in Wahrnehmung einer ihm zugewiesenen
öffentlichen Aufgabe tätig wird, oder wenn umgekehrt eine eigentlich öffentliche
Aufgabe nicht von einem Hoheitsträger, sondern von einem dem öffentlichen
Sonderrecht und der besonderen Verpflichtung des Art. 20 Abs. 3 GG nicht
unterworfenen Privatrechtssubjekt durchgeführt wird, und daß andererseits das
Bestehen dieser Eingriffsbeschränkung gegenüber einer zur Erfüllung hoheitlicher
Zwecke betriebenen Einrichtung davon unabhängig ist, ob das
Benutzungsverhältnis verwaltungsprivatrechtlich oder öffentlichrechtlich
ausgestaltet ist (vgl. Götz a.a.O., Rdnr. 225 und 226).
Nach diesen Grundsätzen, die auch in § 73 HVwVG (vgl. auch § 17 VwVG) zum
Ausdruck kommen, wonach Verwaltungsakte, mit denen eine Handlung, Duldung
oder Unterlassung gefordert wird, gegen Behörden und juristische Personen des
öffentlichen Rechts nur bei einer ausdrücklichen Zulassung durch
Rechtsvorschriften vollstreckt werden dürfen, durfte das S gegenüber der
Antragstellerin die Betriebszeitenbeschränkung für das Freibecken des
Panoramabades nicht durch die für sofort vollziehbar erklärte Anordnung in Ziff. 3
und durch die Zwangsgeldandrohung in Ziff. 10 seines Bescheides vom 2. August
1995 mit Befehl und Zwang durchsetzen, weil es damit unmittelbar regelnd und
zwangsvollstreckend in den Betrieb des Panoramabades als einer öffentlichen
gemeindlichen Einrichtung der Antragstellerin gemäß §§ 19 und 20 HGO und damit
in deren hoheitliche Aufgabenwahrnehmung im Bereich der Daseinsvorsorge
eingegriffen hat, ohne zu einem solchen zwangsweisen Vorgehen durch das
Bundesimmissionsschutzgesetz ermächtigt zu sein. Eine ausdrückliche besondere
Ermächtigung für eine solche Anordnung oder gar für eine Vollstreckung gegen
hoheitliche Anlagenbetreiber ergibt sich weder aus den allgemeinen
Eingriffsermächtigungen der §§ 17 und 24 BImSchG noch aus sonstigen
Vorschriften dieses Gesetzes, wie der Antragsgegner selbst einräumt. Auch aus
der in diesem Gesetz allgemein festgelegten Funktion der
Immissionsschutzbehörden und deren besonderer organisatorischen und
fachlichen Ausstattung und aus den Sonderregelungen für Anlagen der
Landesverteidigung in den §§ 59, 60 und 10 Abs. 11 BImSchG läßt sich unter
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Landesverteidigung in den §§ 59, 60 und 10 Abs. 11 BImSchG läßt sich unter
Berücksichtigung obiger Grundsätze nicht der Schluß ziehen, der Gesetzgeber
habe den Immissionsschutzbehörden das Recht eingeräumt, in den
Kompetenzbereich hoheitlicher Anlagenbetreiber einzugreifen (so aber VG Berlin,
Beschluß vom 20. Oktober 1982 - 13 A 379/82 - UPR 1984 S. 101 f.; Jarass,
Bundesimmissionsschutzgesetz, Kommentar, 2. Aufl. 1993, Rdnr. 8 zu § 2; a.A.
Hansmann in Landmann-Rohmer, Umweltrecht I, Stand: 1. Oktober 1995, Rdnr. 20
zu § 59 BImSchG). Aus den den Immissionsschutzbehörden gesetzlich allgemein
übertragenen Aufgaben und Befugnissen ergibt sich nämlich nicht, daß der
Gesetzgeber den oben dargestellten behördlichen Kompetenzkonflikt regeln und
abweichend von den allgemeinen Grundsätzen zugunsten der
Immissionsschutzbehörden entscheiden wollte. Eine solche Auslegung ist auch
nach Sinn und Zweck des Gesetzes nicht geboten, weil die
Immissionsschutzbehörden zu einer effektiven Aufgabenwahrnehmung unter
Einsatz ihrer besonderen fachlichen Kompetenz auch im Hinblick auf hoheitlich
betriebene Anlagen bereits dadurch hinreichend in der Lage sind, daß diese zum
einen materiell und grundsätzlich auch verfahrensrechtlich den Anforderungen des
Bundesimmissionsschutzgesetzes unterliegen, wobei allerdings die öffentliche
Aufgabenwahrnehmung in die Beurteilung der Erheblichkeit von
Umwelteinwirkungen einzubeziehen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Juli 1976 - IV A
1.75 - NJW 1977 S. 163, Urteil vom 29. April 1988 - VII C 33.87 - BVerwGE 79 S. 254
(260); OVG Koblenz, Urteil vom 22. April 1986 - 6 A 16/85 - NJW 1986 S. 2779; Götz
a.a.O. Rdnr. 223; a.A. zur "Begünstigung" der öffentlichen Aufgabenwahrnehmung:
Jarass, a.a.O. Rdnr. 8 zu § 2 und Rdnr. 29 zu § 22), und weiterhin auch dadurch,
daß hoheitliche Anlagen zum anderen dem Genehmigungserfordernis und der
Überwachung durch die Immissionsschutzbehörden unterliegen (vgl. VG Stade,
Urteil vom 8. Dezember 1988 - 1 A 91/87 - NVwZ 1989 S. 497 (500)), die den
hoheitlichen und deshalb für den gesetzmäßigen Betrieb selbst gemäß Art. 20
Abs. 3 GG verantwortlichen Anlagenbetreiber auch auf Gesetzesverstöße oder
sonstige Mängel hinweisen und gegebenenfalls die Aufsichtsbehörden unterrichten
können (vgl. Hansmann a.a.O.). Ob darüber hinaus - wie der Antragsgegner
allgemein aus einem Umkehrschluß aus § 73 HVwVG herleitet - auch
Verwaltungsakte, wenn auch bloß feststellenden Charakters, gegenüber
hoheitlichen Anlagenbetreibern zulässig sind, wenn dadurch lediglich deren
materielle immissionsschutzrechtliche Pflichten - etwa durch Festlegung
einzuhaltender Immissionsrichtwerte - durch die Immissionsschutzbehörden
festgestellt und ihnen nicht konkrete Maßnahmen verpflichtend vorgeschrieben
werden (vgl. Rudolf, Polizei gegen Hoheitsträger, 1965, S. 29), bedarf hier keiner
abschließenden Entscheidung, weil vorliegend - wie oben bereits ausgeführt - eine
regelnde, die bestimmte Maßnahme der Betriebszeitenbeschränkung
verpflichtend vorschreibende und bereits in der Vollstreckung befindliche
Anordnung im Streit steht. Als besondere Ermächtigungsgrundlage für eine solche
Anordnung des S gegenüber der hoheitlich handelnden Antragstellerin kann auch
nicht § 2 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 Nr. 1 der Verordnung zur Regelung von
Zuständigkeiten nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz vom 21. Juli 1994
(GVBl. I S. 313) angesehen werden, weil es sich dabei nicht um eine besondere
Eingriffsermächtigung durch den für die Zuweisung der Aufgaben, Kompetenzen
und Befugnisse der Immissionsschutzbehörden zuständigen Gesetzgeber des
Bundesimmissionsschutzgesetzes handelt, sondern lediglich um eine Verordnung
der Landesregierung, die nur befugt ist, die Zuständigkeiten der
Immissionsschutzbehörden des Landes im Rahmen der gesetzlich vorgegebenen
Aufgaben- und Kompetenzzuweisungen zu bestimmen. Ob sich schließlich auch
die besondere gesetzliche Zuständigkeitsregelung des § 59 BImSchG für den
"Vollzug dieses Gesetzes" bei Anlagen der Landesverteidigung in dem allgemein
vorgegebenen Rahmen hält und den "Vollzug" in diesem gegenüber hoheitlichen
Anlagenbetreibern eingeschränkten Umfang versteht oder eine besondere
abweichende gesetzliche Ermächtigung auch für Zwangsmaßnahmen gegenüber
Hoheitsträgern darstellt, kann hier offenbleiben, weil es sich dann jedenfalls um
eine spezielle, nicht verallgemeinerungsfähige Eingriffsermächtigung handeln
würde.
Abgesehen von diesen, einem zwangsweisen Vorgehen gegen andere hoheitlich
handelnde Behörden allgemein entgegenstehenden Grundsätzen verstößt die hier
streitige Eingriffsmaßnahme des S gegen die ihre gemeindlichen
Selbstverwaltungsangelegenheiten wahrnehmende Antragstellerin insbesondere
auch gegen die Vorschrift des § 145 HGO, die dem Schutz der in Art. 28 Abs. 2
Satz 1 GG und Art. 137 HV garantierten gemeindlichen Selbstverwaltung dient.
Diese Schutzvorschrift wahrt die Einheit der Aufsicht gegenüber der
Kommunalverwaltung und gewährleistet, daß zu Eingriffen in die gemeindliche
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Kommunalverwaltung und gewährleistet, daß zu Eingriffen in die gemeindliche
Selbstverwaltung grundsätzlich nur die in § 136 HGO bestimmten allgemeinen
staatlichen Kommunalaufsichtsbehörden - hier gemäß Abs. 1 dieser Vorschrift der
Minister des Innern - befugt sind, die einen umfassenden Überblick über die
kommunalen Verhältnisse haben und gemäß § 11 HGO nicht nur deren
Pflichterfüllung sichern, sondern auch deren Rechte schützen sollen. Demgemäß
können Kontroll- und Zwangsmittel gegenüber Kommunen umfassend nur von den
Kommunalaufsichtsbehörden wahrgenommen werden und können andere
Behörden, wie etwa Fach- und Sonderaufsichtsbehörden, denen auch die
Immissionsschutzbehörden zuzurechnen sind, nach Satz 1 des § 145 HGO die
ihnen in Sondergesetzen - wie hier dem Bundesimmissionsschutzgesetz -
eingeräumten Unterrichtungs-, Prüfungs-, Besichtigungs- und sonstigen
Überwachungsbefugnisse nur "im Benehmen" mit der Kommunalaufsichtsbehörde,
d.h. zumindest nach deren vorheriger Unterrichtung ausüben, und können sie
nach Satz 2 dieser Vorschrift vor allem nicht selbst zwangsweise gegen eine
Gemeinde vorgehen, soweit ihnen nicht - was hier nach obigen Ausführungen nicht
der Fall ist - insoweit besondere Eingriffsbefugnisse gesetzlich verliehen sind; sie
sind vielmehr insoweit darauf angewiesen, ein Ersuchen an die allgemeine
Kommunalaufsichtsbehörde auf Erlaß einer kommunalaufsichtlichen Anweisung
gemäß § 139 HGO mit anschließender zwangsweisen Durchsetzung nach den §§
140 ff. HGO zu richten. Bei der Überprüfung und Umsetzung eines solchen fach-
oder sonderaufsichtlichen Ersuchens haben dann die allgemeinen
Kommunalaufsichtsbehörden jedenfalls darauf hinzuwirken, daß die
durchzusetzende Maßnahme mit den administrativen und wirtschaftlichen
Verhältnissen der Kommunalverwaltung im Einklang steht (vgl. Schlempp,
Kommentar zur Hessischen Gemeindeordnung, Stand: Februar 1993, Anm. III. 1.
zu § 11 und Anm. I.-IV. zu § 145; Schneider/Jordan, Kommentar zur Hessischen
Gemeindeordnung, Stand: März 1994, Anm. 1 zu § 145; vgl. dazu auch den vom
Hess. VGH mit Beschlüssen vom 25. August 1981 - IX TH 21/81 -, vom 25. März
1982 - III TH 15/82 - und vom 16. April 1982 - III TH 18/82 - HSGZ 1982 S. 73, 186
und 259 entschiedenen Fall des zwangsweisen Vorgehens der
Kommunalaufsichtsbehörde gegen eine Gemeinde auf Ersuchen einer
Fachbehörde durch eine Anweisung gemäß § 139 HGO und durch Erklärung des
Einvernehmens im Wege der kommunalaufsichtlichen Ersatzvornahme gemäß §
140 HGO; sowie Hess. VGH, Beschluß vom 1. Juli 1986 - I OE 72/81 - HessVGRspr.
1986 S. 94, wonach eine Maßnahme der Schulaufsichtsbehörde gegenüber einer
Gemeinde als Schulträger im Weigerungsfall stets mittels Vollzugsmaßnahmen
der Kommunalaufsichtsbehörde durchgesetzt werden muß).
Da nach alledem die vom S gegen die Antragstellerin in Ziff. 3 seines Bescheides
vom 2. August 1995 verfügte Betriebszeitbeschränkung und die Einleitung ihrer
zwangsweisen Durchsetzung sowohl gegen die allgemeinen Grundsätze der
Polizeipflichtigkeit von Hoheitsträgern, als auch gegen § 73 HVwVG und
insbesondere auch gegen die dem verfassungsrechtlich garantierten Schutz der
gemeindlichen Selbstverwaltung dienende Vorschrift des § 145 HGO verstößt,
kann ein öffentliches Vollzugsinteresse insoweit nicht angenommen werden, so
daß das Verwaltungsgericht dem Antrag auf Gewährung einstweiligen
Vollstreckungsschutzes durch Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des
Widerspruchs der Antragstellerin zu Recht stattgegeben hat und die Beschwerde
des Antragsgegners mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen
ist.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 20 Abs. 3 i.V.m. § 13 Abs. 1 GKG.
Dieser Beschluß ist gemäß § 152 Satz 1 VwGO und § 25 Abs. 3 Satz 2 GKG
unanfechtbar.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.