Urteil des HessVGH vom 15.01.1991

VGH Kassel: volksabstimmung, hessen, prinzip der unmittelbarkeit, stimmzettel, rechtsverordnung, umweltschutz, ermächtigung, verkündung, ergänzung, zahl

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
11. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
11 N 62/91
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 71 Verf HE, Art 72 Verf
HE, Art 73 Abs 2 Verf HE,
Art 116 Verf HE, Art 123
Abs 2 Verf HE
(Zur Zulässigkeit eines Normenkontrollverfahren wegen
Gültigkeit einer hessischen Volksabstimmungsverordnung)
Gründe
I.
Nach Art. 123 Abs. 1 der Hessischen Verfassung (HV) können Bestimmungen der
Hessischen Verfassung im Wege der Gesetzgebung geändert werden, indem eine
Änderung des Verfassungstextes oder ein Zusatzartikel zur Verfassung
beschlossen wird. Nach Absatz 2 dieser Vorschrift kommt eine
Verfassungsänderung dadurch zustande, daß der Landtag sie mit mehr als der
Hälfte der gesetzlichen Zahl seiner Mitglieder beschließt und das Volk mit der
Mehrheit der Abstimmenden zustimmt. Das Verfahren bei der Volksabstimmung
ist durch das Gesetz über Volksabstimmung in der Fassung vom 2. Januar 1970
(GVBl. I S. 18), zuletzt geändert durch das Gesetz zur Änderung des Gesetzes
über Volksabstimmung vom 29. Oktober 1990 (GVBl. I S. 599) geregelt. Nach § 1
des Volksabstimmungsgesetzes muß die Landesregierung, wenn der Landtag eine
Änderung des Verfassungstextes oder einen Zusatzartikel zur Verfassung
beschlossen hat, binnen einer Frist von 60 Tagen seit der Beschlußfassung über
dieses Gesetz eine Volksabstimmung herbeiführen. Nach § 2 dieses Gesetzes hat
die Landesregierung als Tag der Abstimmung einen Sonntag oder einen
gesetzlichen Feiertag zu bestimmen, den Termin unverzüglich bekanntzugeben
und gleichzeitig den Wortlaut des vom Landtag beschlossenen Gesetzes sowie den
Wortlaut des Stimmzettels zu veröffentlichen.
Durch § 16 des Volksabstimmungsgesetzes wird der Minister des Innern
ermächtigt, zur Ausführung dieses Gesetzes eine Stimmordnung und die sonst
erforderlichen Rechtsvorschriften zu erlassen sowie für die gleichzeitige
Durchführung von Volksabstimmungen mit Kommunal-, Landtags-, Bundestags-
und Europawahlen Bestimmungen über die Anpassung an das jeweilige Wahlrecht
zu treffen.
Auf Grund dieser Ermächtigung sind vom Hessischen Minister des Innern am 6.
November 1990 die "Verordnung über die gleichzeitige Durchführung von
Volksabstimmungen mit Landtagswahlen" (GVBl. I S. 611) und die
"Stimmordnung" (GVBl. I S. 613) erlassen worden.
Gestützt auf §§ 1 und 2 des Volksabstimmungsgesetzes hat die Hessische
Landesregierung am 19. Dezember 1990 eine Verordnung über die
Volksabstimmungen am 20. Januar 1991 beschlossen und im Gesetz- und
Verordnungsblatt für das Land Hessen Teil I, S. 790, vom 28. Dezember 1990
veröffentlicht. Sie hat folgenden Wortlaut:
Verordnung über die Volksabstimmungen am 20. Januar 1991
Auf Grund der §§ 1 und 2 des Gesetzes über Volksabstimmung in der Fassung
vom 2. Januar 1970 (GVBl. I S. 18), zuletzt geändert durch Gesetz vom 29.
Oktober 1990 (GVBl. I S. 599) wird verordnet:
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§ 1
Als Tag der Abstimmung über die vom Hessischen Landtag am 19. Dezember
1990 beschlossenen Gesetzes zur Einfügung eines Artikels 26 a und zur Änderung
des Artikels 138 und Ergänzung der Verfassung des Landes Hessen wird der 20.
Januar 1991 bestimmt.
§ 2
Die vom Hessischen Landtag beschlossenen Gesetze haben folgenden Wortlaut:
1. "Gesetz zur Ergänzung der Verfassung des Landes Hessen (Artikel 26 a -
Umweltschutz)
Artikel 1
Nach Artikel 26 der Verfassung des Landes Hessen vom 1. Dezember 1946 (GVBl.
S. 229) wird als Abschnitt II a eingefügt:
"II a Staatsziel Umweltschutz Artikel 26 a
Die natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen stehen unter dem Schutz des
Staates und der Gemeinden."
Artikel 2
Dieses Gesetz tritt am Tage nach der Verkündung in Kraft.
2. "Gesetz zur Änderung des Artikels 138 und Ergänzung der Verfassung des
Landes Hessen
Artikel 1
Die Verfassung des Landes Hessen vom 1. Dezember 1946 (GVBl. S. 229) wird wie
folgt geändert:
1. Artikel 138 erhält folgende Fassung:
"Artikel 138
Die Oberbürgermeister, Bürgermeister und Landräte als Leiter der Gemeinden
oder Gemeindeverbände werden von den Bürgern in allgemeiner, unmittelbarer,
freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt."
2. Als Artikel 161 wird angefügt:
"Artikel 161
Artikel 138 in der Fassung vom... gilt erstmals für die nächste seinem Inkrafttreten
folgende Kommunalwahlperiode. Die erforderlichen Übergangsregelungen trifft der
Gesetzgeber."
Artikel 2
Dieses Gesetz tritt am Tage nach der Verkündung in Kraft."
§ 3
Für jede Volksabstimmung wird ein gesonderter Stimmzettel verwendet; die
Stimmzettel haben folgenden Wortlaut:
1. "Stimmzettel für die Volksabstimmung am 20. Januar 1991 über Artikel 26 a der
Hessischen Verfassung - Umweltschutz -
Der Hessische Landtag hat in der Sitzung vom 19. Dezember 1990 ein Gesetz zur
Einfügung eines Artikels 26 a in die Verfassung des Landes Hessen beschlossen.
Durch dieses Gesetz soll eine Bestimmung in die Verfassung aufgenommen
werden, nach der die natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen unter dem
Schutz des Staates und der Gemeinden stehen.
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Stimmen Sie diesem Gesetz zur Änderung der Verfassung des Landes Hessen zu?
JA NEIN 0 0
2. "Stimmzettel für die Volksabstimmung am 20. Januar 1991 über Artikel 138 und
161 der Hessischen Verfassung - Urwahl der Bürgermeister/Oberbürgermeister
und Landräte -
Der Hessische Landtag hat in der Sitzung vom 19. Dezember 1990 ein Gesetz zur
Änderung des Artikels 138 und Einfügung eines Artikels 161 in die Verfassung des
Landes Hessen beschlossen.
Durch dieses Gesetz soll in der Verfassung vorgeschrieben werden, daß der
Bürgermeister, in Städten mit mehr als 50 000 Einwohnern der
Oberbürgermeister, sowie der Landrat künftig unmittelbar von den Bürgerinnen
und Bürgern gewählt werden; gegenwärtig werden sie von der jeweiligen
Vertretungskörperschaft - Gemeindevertretung bzw.
Stadtverordnetenversammlung und Kreistag - gewählt. Diese Regelung soll
erstmals für Wahlen angewendet werden, die nach dem 31. März 1993
durchgeführt werden. Erforderliche Übergangsregelungen sollen vom Landtag
noch erlassen werden.
Stimmen Sie diesem Gesetz zur Änderung der Verfassung des Landes Hessen zu?
JA NEIN 0 0
§ 4
Diese Verordnung tritt am Tage nach der Verkündung in Kraft.
Die Antragsteller haben am 10. Januar 1991 ein Normenkontrollverfahren mit dem
Ziel anhängig gemacht, die Verordnung über die Volksabstimmungen am 20.
Januar 1991 für nichtig zu erklären.
Zur Begründung tragen sie im wesentlichen vor, sie seien als
abstimmungsberechtigte hessische Bürger, die sich an der Volksabstimmung
beteiligen wollten, antragsbefugt, weil sie als Abstimmungswillige durch die
Anwendung der Verordnung in ihrem verfassungsrechtlich geschützten Recht auf
Gesetzgebung durch Volksabstimmung, ihrer Stellung als Aktivbürger in der
Demokratie, dem Recht auf demokratische Willensbildung und auf
Abstimmungsfreiheit verletzt würden. Zudem führe die angegriffene Verordnung
zu einer Irreführung der Antragsteller über den Inhalt der Gesetze, über den sie
abzustimmen hätten.
Die angegriffene Verordnung sei wegen Verstoßes gegen Hessisches
Verfassungsrecht und gegen das Volksabstimmungsgesetz nichtig. Sie verstoße
gegen den ungeschriebenen Verfassungsgrundsatz, daß Grundlage für eine
Abstimmung des Gesetzgebers nur ein inhaltlich bestimmter Gesetzesentwurf,
nicht aber eine in indirekter Rede unvollständig und zum Teil irreführend und
fehlerhaft referierte Zusammenfassung des Inhalts eines zu beschließenden
Gesetzes sein könne. Für das bei einer Volksabstimmung mit dem Ziel einer
Verfassungsänderung mitwirkungsbefugte Volk müßten insoweit die gleichen
Grundsätze wie für den Landtag gelten, da es im Rahmen einer
Abstimmungsentscheidung nach Art. 116 und 123 HV gleichfalls als Gesetzgeber
fungiere. Aus dem verfassungsrechtlich verankerten Grundsatz der
Abstimmungsfreiheit folge, daß dem an der Gesetzgebung mitwirkungsbefugten
Volk Kenntnis vom genauen Inhalt des verfassungsändernden Gesetzes verschafft
werden müsse. Diesen Grundsätzen genüge die angegriffene Verordnung nicht.
Aus der Fassung der Stimmzettel gehe nicht hervor, daß der erste Hauptteil der
Verfassung um einen neuen Unterabschnitt ("II a") ergänzt werden und ferner nicht
ein Grundrecht auf Umweltschutz, sondern lediglich eine entsprechende
Staatszielbestimmung in die Hessische Verfassung aufgenommen werden solle.
Ferner sei der Inhalt der Stimmzettel mit dem Prinzip der Unmittelbarkeit der
Stimmabgabe unvereinbar. Verfassungsrechtlich geboten sei eine Fassung der
Stimmzettel, die die zur Abstimmung gestellten Gesetze im Wortlaut enthielten.
Die angegriffene Verordnung sei auch nichtig, soweit in § 1 als Tag der
Volksabstimmung der Termin der Landtagswahl bestimmt worden sei. Dies sei mit
Art. 72 HV unvereinbar, da hierdurch die Ausübung der verfassungsändernden
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Art. 72 HV unvereinbar, da hierdurch die Ausübung der verfassungsändernden
Gesetzgebung durch die Verknüpfung mit der Parlamentswahl zum Gegenstand
des Parteienwahlkampfes gemacht werde. Schließlich sei sie nicht von dem zum
Erlaß einer solchen Verordnung gesetzlich ermächtigten Minister des Innern
sondern von der Hessischen Landesregierung erlassen worden.
Die Antragsteller beantragen sinngemäß,
die Verordnung über die Volksabstimmungen am 20. Januar 1991 vom 19.
Dezember 1990 (GVBl. I 5.790) für nichtig zu erklären.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Der Antrag sei unzulässig. Gemäß § 47 Abs. 3 VwGO sei das angerufene Gericht
gehindert, eine Sachentscheidung zu treffen. Denn nach Art. 132 HV treffe
ausschließlich der Staatsgerichtshof die Entscheidung darüber, ob eine
Rechtsverordnung mit der Verfassung in Widerspruch stehe. Die
Prüfungskompetenz des Verwaltungsgerichtshofs sei daher darauf beschränkt, die
Vereinbarkeit der angegriffenen Rechtsverordnung mit einfachem Landesrecht und
sonstigem Bundesrecht zu prüfen. Außerdem sei der Normenkontrollantrag
deshalb unzulässig, weil die angegriffene Verordnung der Vorbereitung einer
Volksabstimmung diene, deren Ergebnis ausschließlich vom Staatsgerichtshof zu
überprüfen sei (Art. 131 Abs. 1 HV, §S 12, 14 Abs. 2 des
Volksabstimmungsgesetzes). Hieraus folge, daß Klagen von Bürgern im
gegenwärtigen Stadium des Volksabstimmungsverfahrens grundsätzlich
ausgeschlossen seien. Die Antragsteller seien auf eine nachträgliche Prüfung
durch den Staatsgerichtshof zu verweisen. Schließlich sei der Antrag auch deshalb
unzulässig, weil das Begehren der Antragsteller auf eine vorbeugende
Normenkontrolle gerichtet sei. Denn der Sache nach gehe es ihnen um eine
Modifizierung der Voraussetzungen für die Stimmabgabe bei der vorgesehenen
Volksabstimmung, so daß es sich um einen Eingriff in ein laufendes
Gesetzgebungsverfahren handele.
Soweit das Begehren der Antragsteller dahin zu verstehen sei, daß sie auch eine
Kontrolle der Gültigkeit der Verordnung anhand einfachrechtlicher
Prüfungsmaßstäbe erreichen wollten, sei der Antrag wegen des Fehlens der
Antragsbefugnis (§ 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO unzulässig. Die Frage der
Ausgestaltung der Stimmzettel habe ausschließlich objektiv-rechtlichen Charakter.
Subjektive Rechte der Antragsteller seien insoweit nicht betroffen, wie näher
ausgeführt wird.
Soweit die Normenkontrollbefugnis des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs
reiche, sei der Antrag unbegründet, weil die angegriffene Verordnung in formeller
und materieller Hinsicht - wie im einzelnen ausgeführt wird - mit höherrangigem
Recht vereinbar sei.
Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der
gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg. Er ist unzulässig. Für das von den Antragstellern
verfolgte Begehren, die Verordnung über die Volksabstimmungen am 20. Januar
1991 für nichtig zu erklären, ist der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten (§ 47
Abs. 1, § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht gegeben. Vielmehr handelt es sich um eine
verfassungsrechtliche Streitigkeit, deren Entscheidung dem Staatsgerichtshof des
Landes Hessen obliegt.
Zwar begründet § 11 Abs. 1 HessAG VwGO aufgrund der Ermächtigung in § 47
Abs. 1 Nr. 2 VwGO die Kompetenz des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs, im
Normenkontrollverfahren über die Gültigkeit aller im Range unter dem
Landesgesetz stehenden Rechtsvorschriften zu entscheiden. Aber auch im
Normenkontrollverfahren kann eine Sachentscheidung nur ergehen, wenn insoweit
der Verwaltungsrechtsweg gegeben ist (§ 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Dies bringt § 47
Abs. 1 VwGO mit der Formulierung "im Rahmen seiner Gerichtsbarkeit" zum
Ausdruck. Wenn auch im vorliegenden Normenkontrollverfahren von den
Beteiligten über die Gültigkeit von Rechtssätzen gestritten wird, aus deren
Anwendung öffentlich-rechtliche Streitigkeiten entstehen können, ist für deren
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Anwendung öffentlich-rechtliche Streitigkeiten entstehen können, ist für deren
Entscheidung der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten deswegen nicht
eröffnet, weil es sich um eine verfassungsrechtliche Streitigkeit im Sinne von § 40
Abs. 1 Satz 1 VwGO handelt. Sie ist dadurch gekennzeichnet, daß zwischen
Verfassungsorganen oder Teilen von solchen um die ihnen durch
Verfassungsrechtsnormen eingeräumten Rechte, Pflichten und Kompetenzen
gestritten wird. Die Streitigkeit muß also ihren Grund in spezifisch
verfassungsrechtlichen Kompetenz-, Anspruchs- oder Befugnisnormen haben (vgl.
Kopp, VwGO, 8. Aufl., § 40 Rdnr. 32 m.w.N.). Bei Anlegung dieses Maßstabes ist
der Verwaltungsrechtsweg namentlich bei allen Organstreitigkeiten im Sinne von
Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, §§ 63 ff. BVerfGG bzw. Verfassungsstreitigkeiten gemäß
Art. 131 Abs. 1 HV, § 44 StGHG ausgeschlossen, da insoweit die Zuständigkeit der
Verfassungsgerichte begründet ist. Demgegenüber genügt es für die Annahme
des Vorliegens einer verfassungsrechtlichen Streitigkeit nicht, wenn für eine
Entscheidung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren Normen des Bundes- oder
Landesverfassungsrechts neben solchen des einfachen Rechts oder auch
ausschließlich den Prüfungsmaßstab bilden; namentlich gilt dies für Streitigkeiten,
die zwischen einem einzelnen Bürger und staatlichen Stellen darüber ausgetragen
werden, ob eine behördliche Entscheidung Grundrechte der Bürger verletzt hat.
Das vorliegende Normenkontrollverfahren erhält seine Prägung als
verfassungsrechtliche Streitigkeit dadurch, daß die Antragsteller nicht als einzelne
Bürger, sondern in ihrer Funktion als Teil des gemäß Art. 116, 123 Abs. 2 HV zur
Abstimmung über die geplanten Verfassungsänderungen berufenen Volkes, das
infolge der verfassungsrechtlichen Ausgestaltung seiner Mitwirkungsrechte
insoweit als Verfassungsorgan tätig wird, mit der Landesregierung, also einem
anderen Verfassungsorgan, über das bei der Abstimmung gemäß Art. 123 Abs. 2
HV einzuhaltende Verfahren streiten. Dabei geht es in erster Linie um die Frage,
ob die Hessische Landesregierung verfassungsrechtlich verpflichtet ist, zur
Wahrung der dem Volk eingeräumten Abstimmungsrechte (Art. 71, 72, 73 Abs. 2
Satz 1 HV) den Inhalt der Stimmzettel so zu gestalten hat, daß für die
abstimmungsberechtigten Bürger eindeutig erkennbar ist, welchen Inhalt das
verfassungsändernde Gesetz hat, über das sie abzustimmen haben. Mithin
streiten die Antragsteller in ihrer Funktion als Teil eines Verfassungsorgans mit
einem anderen Verfassungsorgan um die verfassungsrechtlich in Art. 123 Abs. 2
HV i.V.m. den Ausführungsregelungen im Volksabstimmungsgesetz verankerten
Mitwirkungsrechte des Volkes. Angesichts der Struktur des Verfahrens, der
verfassungsrechtlichen Ausgestaltung der Rechte der Beteiligten und der
maßgeblichen verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstäbe entspricht das
vorliegende Verfahren seinem Typus nach der in Art. 131 Abs. 1 HV, § 44 StGHG
ausgestalteten Verfassungsstreitigkeit sowie dem bundesrechtlich in Art. 93 Abs. 1
Nr. 1 GG, §§ 63 ff. BVerfGG geregelten Organstreitverfahren, ohne daß es im
vorliegenden Zusammenhang einer abschließenden Entscheidung des Senats
bedarf, ob die Antragsteller in Organstreitverfahren gemäß Art. 131 Abs. 1 HV, §
44 StGHG parteifähig wären (Art. 131 Abs. 2 HV, § 17 Abs. 2 StGHG; vgl. hierzu
BVerfGE 60, 175 (199 ff.); Bethge, in: Starck/Stern (Hrsg.),
Landesverfassungsgerichtsbarkeit Bd. II (1983), S. 17 (34 f.); Gehb, Verfassung,
Zuständigkeiten und Verfahren des Hessischen Staatsgerichtshofs, 1987, S. 196
ff.). Für die Entscheidung derartiger Rechtsfragen ist mithin der
Verwaltungsrechtsweg nicht eröffnet. Demgemäß ist im vorliegenden Fall der
Hessische Verwaltungsgerichtshof nicht zur Entscheidung berufen. Eine
Bestätigung seiner Auffassung sieht der Senat darin, daß durch Art. 131 Abs. 1
HV, § 14 Abs. 2 des Volksabstimmungsgesetzes die Nachprüfung des Ergebnisses
einer Volksabstimmung ausschließlich dem Staatsgerichtshof vorbehalten ist.
Soweit darüber hinaus einfachrechtliche Maßstäbe für die Prüfung der Gültigkeit
der angegriffenen Verordnung von den Antragstellern herangezogen werden oder
vom Senat zu berücksichtigen wären, sind hiervon rechtliche Aspekte betroffen,
denen - wie der Frage der Ermächtigung zum Erlaß der Verordnung - nach
Auffassung des Senats im Verhältnis zu dem verfassungsrechtlich geprägten Kern
des Rechtsstreits keine eigenständige Bedeutung zukommt. Zudem besteht
insoweit ein Annexverhältnis zu den verfassungsrechtlichen Hauptfragen des
Rechtsstreits. Der durch die verfassungsrechtliche Auseinandersetzung zweier
Verfassungsorgane geprägte Charakter des Verfahrens wird hierdurch nicht
verändert. Mithin ist in Ermangelung eines eine eigenständige Bedeutung
aufweisenden Teilkomplexes nichtverfassungsrechtlicher Art des
Verfahrensgegenstandes, der verwaltungsgerichtlicher Kontrolle zugänglich wäre,
dem Senat eine auch nur teilweise Kontrolle der zur Prüfung gestellten
Rechtsverordnung verwehrt. Sie würde sich im übrigen - wie vorsorglich angemerkt
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Rechtsverordnung verwehrt. Sie würde sich im übrigen - wie vorsorglich angemerkt
wird - auf den Hinweis beschränken, daß es keiner näheren Auseinandersetzung
mit den von den Antragstellern insoweit erhobenen Rügen bedarf, weil sie
ersichtlich nicht geeignet sind, die Gültigkeit der Verordnung in Zweifel zu ziehen.
Bereits aus dem Wortlaut des Volksabstimmungsgesetzes ergibt sich, daß durch
§§ 1, 2 die Landesregierung zum Erlaß bestimmter, eine konkrete
Volksabstimmung betreffende Regelungen und durch § 16 der Minister des Innern
zum Erlaß allgemeiner Regelungen zur Durchführung von Volksabstimmungen
ermächtigt werden. Hiervon ist im Streitfall mit der angegriffenen Verordnung von
der Landesregierung einerseits und andererseits mit der Verordnung über die
gleichzeitige Durchführung von Volksabstimmungen mit Landtagswahlen vom 6.
November 1990 (GVBl. I S. 611) sowie der Stimmordnung vom 6. November 1990
(GVBl. I S. 613), beide vom Minister des Innern erlassen, Gebrauch gemacht
worden.
Der Antrag ist darüber hinaus aber auch deshalb unzulässig - und insoweit werden
die zuvor angestellten Erwägungen bestätigt -, weil der angerufene Hessische
Verwaltungsgerichtshof zur Prüfung der Gültigkeit der Verordnung über die
Volksabstimmungen am 20. Januar 1991 wegen des nach hessischem
Landesrecht gemäß § 47 Abs. 3 VwGO bestehenden Vorbehalts zugunsten der
Landesverfassungsgerichtsbarkeit nicht zuständig ist. Nach dieser Vorschrift prüft
das Oberverwaltungsgericht die Vereinbarkeit der Rechtsvorschrift mit Landesrecht
nicht, soweit gesetzlich vorgesehen ist, daß sie ausschließlich durch das
Verfassungsgericht des Landes nachprüfbar ist. In Hessen ist ein derartiger
ausschließlicher Vorbehalt zugunsten des Staatsgerichtshofs des Landes Hessen
hinsichtlich der Prüfung der Gültigkeit von Rechtsverordnungen der
Landesregierung und der Landesministerien am Maßstab der Hessischen
Verfassung durch Art. 132 HV begründet (vgl. StGH, Urteil vom 15. Juli 1970,
ESVGH 21, 1 [8]; HessVGH, Beschluß vom 6. Dezember 1968, - V N 1/67 -, ESVGH
19, 197 [202 f.]; HessVGH, Urteil vom 10. September 1980 - I N 4/77 -, ESVGH 31,
1 f.). Aufgrund des Kontroll- und Verwerfungsmonopols des Staatsgerichtshofs
hinsichtlich förmlicher Landesgesetze und Landesrechtsverordnungen unter dem
Aspekt ihrer Vereinbarkeit mit der Hessischen Verfassung ist es dem im
Normenkontrollverfahren angerufenen Hessischen Verwaltungsgerichtshof
verwehrt, die Gültigkeit der den Prüfungsgegenstand bildenden Verordnung am
Maßstab der Hessischen Verfassung zu überprüfen. Da die Gültigkeit dieser
Verordnung nur unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten in Frage gestellt ist,
bleibt kein Raum für eine Sachentscheidung des Senats. Die Antragsteller haben
auch die Möglichkeit (gehabt), durch Erhebung einer Grundrechtsklage Art. 131
Abs. 1 HV, §§ 45 ff. StGHG, den Staatsgerichtshof anzurufen und hierdurch
Rechtsschutz zu erlangen, wie dies andere Antragsteller im Streit um die Gültigkeit
der angegriffenen Verordnung ebenfalls getan haben. Die Streitfrage, ob es sich
bei dem Vorbehalt zugunsten der Verfassungsgerichtsbarkeit in § 47 Abs. 3 VwGO
um eine Zulässigkeitsvoraussetzung des Normenkontrollverfahrens oder um eine
Einschränkung des Prüfungsmaßstabs handelt (so StGH, a.a.O., S. 9; vgl. im
übrigen zum Problem Kopp, a.a.O., § 47 Rdnr. 41 f. m.w.N.), bedarf hier keiner
abschließenden Entscheidung. Der Senat hält nämlich einen Normenkontrollantrag
jedenfalls dann für unzulässig, wenn - wie hier ein ausschließlicher Vorbehalt
zugunsten des Landesverfassungsgerichts besteht und lediglich
verfassungsrechtliche Prüfungsmaßstäbe zur Anwendung kommen (vgl. auch
HessVGH, Urteil vom 10. Dezember 1980, a.a.O., S.1).
Eine Vorlage an den Staatsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 1 HV kommt nicht in
Betracht, weil die Verfassungsmäßigkeit der angegriffenen Rechtsverordnung nicht
Vorfrage, sondern Hauptfrage des Normenkontrollverfahrens ist (vgl. StGH, a.a.O.,
S. 8 f. m.w.N.).
Die Antragsteller haben die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner zu
tragen, da sie unterlegen sind (§ 154 Abs. 1, § 159 VwGO, § 100 Abs. 4 ZPO).
Die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes beruht auf § 13 Abs. 1 Satz 2
GKG, § 5 ZPO. In Ermangelung der Möglichkeit einer ziffernmäßigen Bewertung des
Interesses der Antragsteller am Ausgang des Verfahrens hat der Senat auf den
Auffangstreitwert in Höhe von 6.000,-- DM zurückgegriffen, der, mit der Zahl der
Antragsteller vervielfacht, den festgesetzten Wert ergibt.
Von einer Vorlage der Sache an das Bundesverwaltungsgericht hat der Senat
abgesehen, weil die Voraussetzungen des § 47 Abs. 7 VwGO nicht gegeben sind.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.