Urteil des HessVGH vom 27.06.1988

VGH Kassel: politische verfolgung, orthodoxe kirche, ausreise, ärztliche behandlung, staatliche verfolgung, religionsunterricht, minderheit, wahrscheinlichkeit, schüler, bevölkerung

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
12. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
12 UE 2438/85
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
Art 16 Abs 2 S 2 GG, § 1
Abs 1 AsylVfG, § 4 Abs 1
AsylVfG
(Verfolgungssituation syrisch-orthodoxer Christen in der
Türkei)
Tatbestand
Der am 1. Januar 1950 in ..., Kreis Midyat, Bez. Mardin, geborene Kläger zu 1) und
die am 1. Januar 1946 im selben Ort geborene Klägerin zu 2) sind Eheleute. Die
am 5. Oktober 1973 in Istanbul, am 15. August 1975 in ... sowie am 27.
September 1977 in Istanbul geborenen Kläger zu 3) bis 5) sind die gemeinsamen
Kinder der Kläger zu 1) und 2). Sämtliche Kläger sind türkische Staatsangehörige
syrisch-orthodoxen Glaubens. Sie verließen die Türkei am 23. August 1979 und
reisten am selben Tage, mit dem Flugzeug aus Istanbul kommend, über Frankfurt
am Main in die Bundesrepublik Deutschland ein. Sie waren im Besitz eines am 12.
Juli 1979 in Istanbul ausgestellten und für ein Jahr gültigen türkischen
Familienpasses, der später vom türkischen Generalkonsulat in Frankfurt am Main
bis zum 11. Juli 1982 verlängert wurde. Eine Kontaktaufnahme mit dem Konsulat
zwecks weiterer Verlängerung lehnte der Kläger zu 1) unter dem 2. Juli 1982 ab,
weil er befürchtete, daß seine noch in der Türkei lebenden Eltern und zwei
Geschwister sonst Schwierigkeiten bekämen.
Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 9. November 1979 beantragten die Kläger ihre
Anerkennung als Asylberechtigte mit folgender Begründung: Die christliche
Minderheit in der Türkei sei seit jeher Verfolgungen durch die Mohammedaner
ausgesetzt gewesen. Viele Christen seien deshalb in den vergangenen Jahren ins
Ausland geflohen. Für die Verbliebenen sei die Lage dadurch zusehends
schwieriger geworden. Sie, die Kläger, hätten zunächst in der Südosttürkei gelebt
und sich von Landwirtschaft und Viehzucht ernährt. Dabei seien sie ständig von
Mohammedanern überfallen, ihr Vieh sei geraubt oder erschlagen, die Ernte
gestohlen und die Felder verwüstet worden. Etwa 1971 sei ein Onkel des Klägers zu
1) bei einem Überfall von Mohammedanern erschossen worden. Etwa 1974 sei ein
weiterer Onkel gestorben, nachdem er bei einem Überfall schwer verletzt und
anschließend in einem mohammedanischen Krankenhaus nicht ausreichend
versorgt worden sei. Daraufhin sei der Kläger zu 1) ca. 1975 mit seiner Familie
nach Istanbul gezogen. Er habe zwar zunächst Arbeit in einer Farbenfabrik
gefunden. Nachdem jedoch sein Glaube bekannt geworden sei, hätten ähnliche
Verfolgungsmaßnahmen wie früher begonnen. Der Kläger zu 1) sei von seinen
Arbeitskollegen, sämtliche Kläger darüber hinaus von ihren Nachbarn ständig
beschimpft, bedroht und oftmals auch geschlagen worden. Der Kläger zu 1) habe
sich mehrmals an die Polizei gewandt, sei aber regelmäßig mit dem Bemerken
fortgeschickt worden, daß seine Belange niemanden interessierten, da er Christ
sei.
Bei ihrer persönlichen Anhörung durch die Ausländerbehörde am 21. Februar 1980
bezogen sich die Kläger zu 1) und 2) auf die Begründung ihres Asylantrags,
bestätigten diese als richtig und erklärten, weiteres hätten sie nicht hinzuzufügen.
Als Verwandter des Klägers zu 1) in der Bundesrepublik Deutschland wurde ... ... in
Gießen (Kläger im Verfahren 12 OE 94/83) genannt, als Verwandter der Klägerin zu
2) ... ... in Paderborn.
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Anläßlich seiner Anhörung im Rahmen der Vorprüfung durch das Bundesamt für
die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge am 28. Januar 1981 in Nürnberg führte
der Kläger zu 1) aus: Er habe keine Schulbildung genossen, jedoch das Lesen und
Schreiben erlernt. Von 1970 bis 1972 habe er Militärdienst geleistet. 1972 habe er
die Klägerin zu 2) geheiratet. In seinem Heimatort ..., wo seine Familie eine
Landwirtschaft besitze, habe er wegen Verfolgungen durch die Moslems auf Dauer
nicht mehr leben können. Er sei deshalb 1975 mit seiner Familie nach Istanbul
gezogen, habe dort Arbeit in einer Farbenfabrik im Stadtviertel Davud Pasa
gefunden und monatlich 8.000,-- TL verdient. Für die Wohnung im Stadtviertel
Kumkapi hätten sie monatlich 1.700,-- TL Miete gezahlt. Seine Arbeitgeber seien
"ein rumänischer Christ und ein türkischer Moslem" gewesen. Während "der
Rumäne" ihn, den Kläger zu 1), gern gemocht habe, habe der moslemische Chef
ihn immer beschimpft und sich mit ihm prügeln wollen; zu einer Entlassung sei es
wegen der guten Beziehungen "zum Rumänen" nicht gekommen. Daneben habe
es Schwierigkeiten mit den Nachbarn gegeben, die ihm ständig seine Religion
vorgeworfen hätten und einmal - im Sommer 1977 - während seiner Abwesenheit
auch gewaltsam in die Wohnung eingedrungen seien und die Klägerin zu 2) derart
mißhandelt hätten, daß sie schwerste Knochenbrüche erlitten und noch heute an
den Folgen zu leiden habe. Als er daraufhin bei der Polizei Anzeige erstattet habe,
sei ihm gesagt worden, da er aus einem christlichen Gebiet komme, gehe sie die
Sache nichts an. Die Ärzte in den Krankenhäusern von Smatya und Carak Pasa
hätten ihn, als er die Ursache für die Verletzungen der Klägerin zu 2) geschildert
habe, als Lügner bezeichnet und ferner erklärt, eine Operation der Klägerin zu 2)
sei zu riskant. Da mithin der Klägerin zu 2) in Istanbul keine ärztliche Versorgung
zuteil geworden sei und außerdem die Kläger zu 3) bis 5) dauernd von
moslemischen Kindern als gottlose "Gavur" beleidigt und beschimpft worden seien,
habe er sich zur Ausreise entschlossen.
Die Klägerin zu 2), die zum Zeitpunkt der Anhörung des Klägers zu 1) krank und
nicht reisefähig war, bezog sich schriftsätzlich auf dessen Angaben und führte
ergänzend aus: Ihre ärztliche Behandlung in Istanbul sei offensichtlich deshalb
abgelehnt worden, weil sie Christin sei und behauptet habe, von Moslems
zusammengeschlagen worden zu sein. Sie leide an einem akuten
Bandscheibenschaden, der schon vor Jahren hätte behandelt werden müssen, und
darüber hinaus an einer Verletzung am Arm, die durch die damalige Mißhandlung
hervorgerufen worden sei.
Mit Bescheid vom 23. Februar 1983 - zugestellt am 18. April 1983 - lehnte das
Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge die Asylanträge der
Kläger ab. Zur Begründung wurde ausgeführt: Es sei nicht glaubhaft gemacht, daß
für die Ausreise aus der Türkei politische Verfolgung ursächlich gewesen sei oder
daß bei einer Rückkehr mit asylerheblichen Verfolgungsmaßnahmen gerechnet
werden müsse. Weder gebe es in der Türkei eine gezielte staatliche Verfolgung von
Angehörigen der christlichen Minderheit noch könne von einer generellen Duldung,
Untätigkeit oder gar Unterstützung des türkischen Staates bei Übergriffen Dritter
die Rede sein, wenngleich die türkische Regierung nicht in jedem Fall die Sicherheit
des Einzelnen garantieren könne. Die Folgen der früheren desolaten
innenpolitischen Zustände hätten im übrigen nicht nur die christlichen
Minderheiten, sondern die türkische Bevölkerung in ihrer Gesamtheit getroffen.
Daß vielfach Christen Opfer von Angriffen und Bedrohungen von Privatpersonen
wurden, sei nicht in erster Linie auf ihre Volks- bzw. Religionszugehörigkeit,
sondern auf ihre relativ bessere wirtschaftliche Situation sowie auf ihre - durch
Abwanderung eines großen Teils der arbeitenden und verteidigungsfähigen Männer
- geschwächte Selbstverteidigungskraft zurückzuführen. Durch den Machtwechsel
vom 12. September 1980 habe sich überdies die Sicherheitslage grundlegend
gebessert, so daß eine Rückkehr mindestens nach Istanbul zumutbar sei. Gegen
die von den Klägern geltend gemachte Gefährdung durch Übergriffe bzw.
Bedrohungen von Dritten sei der Schutz des türkischen Staates in Anspruch zu
nehmen; dies gelte auch für die Verweigerung ärztlicher Hilfe. Daß den Klägern
gezielt - trotz Ausschöpfung des Rechtsweges staatlicher Schutz - und zwar
aufgrund ihrer Volks- bzw. Religionszugehörigkeit - verwehrt worden sei, hätten sie
nicht hinreichend substantiiert und glaubhaft gemacht, zumal nach dem
vorliegenden Informationsmaterial davon auszugehen sei, daß gerade in Istanbul
Christen die ihnen zustehenden Rechte bei staatlichen Institutionen wie jeder
andere türkische Bürger erfolgreich wahrnehmen könnten. Für die Kläger zu 3) bis
5) seien weitere eigene Asylgründe ohnehin nicht dargetan.
Mit Bescheiden vom 13. April 1983 - zugestellt am 18. April 1983 - forderte der
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Mit Bescheiden vom 13. April 1983 - zugestellt am 18. April 1983 - forderte der
Oberbürgermeister der Beklagten zu 2) die Kläger zu 1) und 2) zur Ausreise auf
und drohte ihnen für den Fall, daß sie nicht innerhalb eines Monats nach Eintritt
der Unanfechtbarkeit des Bescheids des Bundesamtes und dieser Bescheide den
Geltungsbereich des Ausländergesetzes verließen, die Abschiebung an.
Mit Schriftsatz vom 11. Mai 1983, der am 16. Mai 1983 einging, erhoben die Kläger
hiergegen Klage.
Zur Begründung bezogen sie sich im wesentlichen auf das Vorbringen der Kläger
zu 1) und 2) im Asylverwaltungsverfahren.
In der mündlichen Verhandlung am 12. September 1985 erklärte der Kläger zu 1):
Die Moslems hätten sein Vieh gestohlen, die Weinberge und die Ernte zerstört.
Zwei seiner Onkel seien erschossen worden. Nach der Umsiedlung nach Istanbul
im Jahre 1975 habe ihn sein moslemischer Chef am Arbeitsplatz drangsaliert und
beschimpft. Die Klägerin zu 2) sei im Jahre 1977 in Istanbul von Moslems derart
geschlagen worden, daß ihr zwei Knochen gebrochen seien und daß sie am Arm
und auch sonst sehr verletzt gewesen sei; deswegen sei sie hier in der
Bundesrepublik operiert worden. Die Polizei in Istanbul habe kein Interesse an der
Verfolgung gehabt, weil sie Christen seien. Auch hätten die Kläger zu 3) bis 5) in
Istanbul nicht allein auf die Straße gehen können, da sie durch das Kreuz an ihrem
Hals als Christen zu erkennen gewesen und von moslemischen Kindern
geschlagen worden seien.
Die Kläger beantragten,
die Beklagte zu 1) unter Aufhebung des Bescheids des Bundesamtes für die
Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 23. Februar 1983 zu verpflichten, sie
als Asylberechtigte anzuerkennen, sowie die Bescheide der Beklagten zu 2) vom
13. April 1983 aufzuheben.
Die Beklagten beantragten unter Bezugnahme auf die angegriffenen Bescheide,
die Klagen abzuweisen.
Der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten äußerte sich nicht.
Das Verwaltungsgericht gab mit Urteil vom 12. September 1985 den Klagen unter
Zulassung der Berufung statt und führte zur Begründung aus: Die Kläger seien als
Asylberechtigte anzuerkennen, denn sie seien politisch Verfolgte i.S.d. Art. 16 Abs.
2 Satz 2 GG. Politisch Verfolgter sei ein Ausländer, der in seiner Person liegender
Eigenschaften wegen oder aufgrund seiner Überzeugungen
Verfolgungsmaßnahmen staatlicher Organe seines Heimat- oder Herkunftslandes
erlitten oder zu befürchten habe. Diese Voraussetzungen erfüllten die Kläger, da
sie als syrisch-orthodoxe Christen einer Gruppe angehörten, die in jüngster
Vergangenheit in asylrechtlich erheblicher Weise verfolgt worden sei. Es erscheine
allerdings zweifelhaft, ob von einer religiösen Gruppenverfolgung gesprochen
werden könne; die Situation stelle sich eher als eine Verfolgung wegen der
Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe dar, nämlich einer durch das
gemeinsame Merkmal des christlichen Glaubens verbundenen Minderheit. Nach
1960 sei die syrisch-orthodoxe Minderheit zunehmend nicht mehr in der Lage
gewesen, sich gegen die vornehmlich aus Neid und Feindseligkeit erfolgten
Übergriffe türkischer Moslems zu wehren. Staatliche Hilfe hätten die Christen nur
in seltenen Fällen zu erlangen vermocht. Insofern treffe die Stellungnahme von
Monsignore Wilschowitz vom 9. April 1981 den Kern der Sache, wenn es sich
hierbei auch um eine vereinfachende Darstellung der Situation der Christen in der
Türkei handele. Die Beklagte zu 1) habe die Lage der Christen in zahlreichen
Bescheiden (etwa vom 10. Dezember 1982 - Tür-T-13538 -) ebenfalls zutreffend
geschildert. Da die Kläger nach ihren glaubhaften Darlegungen in der Türkei mit
feindlich gesinnten Moslems in Berührung gekommen seien, könne auch nicht
davon ausgegangen werden, daß sie von der allgemein stattfindenden
Gruppenverfolgung der Christen in der Türkei ausgenommen gewesen seien.
Zudem müßten sie bei einer Rückkehr in die Türkei befürchten, dort in asylrechtlich
erheblicher Weise verfolgt zu werden. Zwar habe sich insgesamt gesehen die
Sicherheitslage nach dem Militärputsch am 12. September 1980 deutlich
verbessert. Dies gelte jedoch - bedingt durch zunehmende Abwanderung - nicht
für die christlichen Minderheiten, so daß von einer weiterhin bestehenden
Gruppenverfolgung gesprochen werden müsse. Schließlich gebe es keine
Möglichkeit, der Gruppenverfolgung innerhalb der Türkei auszuweichen. Die als
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Möglichkeit, der Gruppenverfolgung innerhalb der Türkei auszuweichen. Die als
inländische Fluchtalternative in Betracht kommenden Großstädte Istanbul und
Ankara seien nicht in der Lage, die große Zahl der abgewanderten Christen
aufzunehmen und ihnen das Existenzminimum zu gewährleisten. Die Rückkehr der
Christen würde deshalb voraussichtlich zu Spannungen führen, die sich zu
pogromartigen Übergriffen steigern könnten. Letzten Endes könne aber
dahinstehen, ob zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Minderheit der Christen in der
Türkei verfolgt werde; sie müsse hiermit jedenfalls in absehbarer Zukunft ernsthaft
rechnen; denn die weitere Entwicklung lasse sich vor dem Hintergrund der
wachsenden Islamisierungstendenzen nicht sicher abschätzen. Nach alledem sei
den Klägern Asyl zu gewähren. Dementsprechend sei auch die Klage begründet,
die sich gegen die Bescheide der Beklagten zu 2) richte.
Gegen dieses ihm am 28. Oktober 1985 zugestellte Urteil hat der
Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten mit Schriftsatz vom 25. November
1985 - eingegangen am 26. November 1985 - hinsichtlich des asylrechtlichen
Verfahrensteils Berufung eingelegt.
Er macht geltend: Die Kläger hätten weder bisher eine asylrechtlich erhebliche
Verfolgung erlitten, noch brauchten sie eine solche für den Fall ihrer Rückkehr zu
befürchten. Sie hätten vor ihrer Ausreise in Istanbul gelebt. Dort seien die syrisch-
orthodoxen Christen bereits in der Zeit vor dem Militärputsch keiner asylrechtlich
relevanten Gruppenverfolgung ausgesetzt gewesen. Die Schwierigkeiten und
Diskriminierungen, unter denen sie auch in Istanbul zu leiden hatten, erreichten
nicht den Grad einer asylrechtlich erheblichen Verfolgung. Es gebe auch keine
Anhaltspunkte dafür, daß die in Istanbul lebenden Christen zu dieser Zeit durch
den Staat wirtschaftlich oder sozial gezielt benachteiligt und ihnen bei der
Integration Schwierigkeiten gemacht worden seien. Die schlechte wirtschaftliche
Situation habe zugewanderte Moslems in gleicher Weise betroffen. Soweit die in
Istanbul lebenden syrisch-orthodoxen Christen Diskriminierungen von Seiten
nichtstaatlicher Personen oder Gruppen ausgesetzt gewesen seien, fehlten
Anhaltspunkte dafür, daß diese Übergriffe gerade an die Religions- oder
Volkszugehörigkeit angeknüpft hätten. Vielmehr liege die Annahme nahe, daß
derartige Übergriffe Abbild der seinerzeit überhand nehmenden Gewaltkriminalität
gewesen seien, zumal ihre Häufigkeit nach der Machtübernahme durch die Militärs
rapide nachgelassen habe. Insofern habe es sich um Einzelfälle gehandelt, aus
denen sich eine dem Staat zurechenbare politische Verfolgung nicht herleiten
lasse. Die Kläger seien - insbesondere während ihres Aufenthalts in Istanbul - auch
nicht persönlich von politischer Verfolgung betroffen gewesen; die von ihnen
geschilderten Schwierigkeiten - Beschimpfungen und Bedrohungen - erreichten
nicht den Grad einer asylrechtlich relevanten Verfolgung. Ihnen drohe auch für den
Fall ihrer Rückkehr keine politische Verfolgung. Denn die Angehörigen der syrisch-
orthodoxen Glaubensgemeinschaft erhielten zumindest seit dem Militärputsch in
allen Landesteilen bei Übergriffen im Grundsatz einen ausreichenden staatlichen
Schutz, und zwar trotz einer in jüngerer Zeit bemerkbaren allgemeinen Tendenz
zur Islamisierung.
Der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 12. September 1985
bezüglich der Beklagten zu 1) aufzuheben und die Klage abzuweisen. Die Kläger
stellen keinen ausdrücklichen Antrag.
Die Beklagte zu 1) stellt zu der Berufung keinen Antrag.
Der Senat hat aufgrund des Beschlusses vom 25. Mai 1988 Beweis erhoben über
die Asylgründe der Kläger durch Vernehmung des Klägers zu 1) und der Klägerin
zu 2) als Beteiligte durch den Berichterstatter als beauftragten Richter.
Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Niederschrift vom 10.
Juni 1988 verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der
Beteiligten wird auf die von diesen eingereichten Schriftsätze, den einschlägigen
Vorgang des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge -
Gesch.-Z.: Tür-S-30491 - und die über die Kläger zu 1) und 2) geführten
Ausländerakten des Oberbürgermeisters der Universitätsstadt Gießen (2 Hefter)
Bezug genommen, ferner auf die den Bruder ... ... des Klägers zu 1) betreffenden
Gerichtsakten (VG Wiesbaden VIII/2 E 6214/80 = Hess. VGH 12 OE 94/83)
einschließlich Bundesamts- und Ausländerakten. Diese sind ebenso zum
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einschließlich Bundesamts- und Ausländerakten. Diese sind ebenso zum
Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden wie die nachfolgend
aufgeführten Dokumente:
I.
1. Dez. 1978 Yonan: "Assyrer heute"
2. 11.04.1979 Auswärtiges Amt an Bay. VGH
3. Mai/Juni pogrom Nr. 64 ("Verfolgte christliche Minderheiten in der Türkei"
u.a.)
1979
4. 07.08.1979 Dr. Harb-Anschütz an Bay. VGH
5. 12.11.1979 epd Dokumentation Nr. 49/79: "Christliche Minderheiten aus
der Türkei"
6. Nov. 1979 Ev. Akademie Bad Boll, Materialdienst 2/80: "Christen aus der
Türkei suchen Asyl"
7. Mai 1980 pogrom Nr. 72/73 ("Zur Lage der syrisch-orthodoxen Christen
in der Türkei" u.a.)
8. 20.05.1980 Patriarch Yakup III und Bischof Cicek vor dem VG
Gelsenkirchen
9. 15.10.1980 Carragher an Bay. VGH
10. 09.04.1981 Msgr. Wilschowitz: "Die Situation der christlichen
Minderheiten in der Türkei"
11. 29.04.1981 Reisebericht einer schwedisch-norwegischen Reisegruppe
12. 02.05.1981 Dr. Hofmann "Zur Lage der Armenier in
Istanbul/Konstantinopel"
13. 12.06.1981 Prof. Dr. Kappert vor VG Hamburg
14. 06.07.1981 Staatssekretär von Staden (BT-Drs. 9/650)
15. 20.07.1981 IGFM an VG Wiesbaden
16. 22.07.1981 Vocke an VG Karlsruhe
17. 04.08.1981 Auswärtiges Amt an VG Wiesbaden
18. 24.11.1981 RA Wiskandt an Bundesamt: "Situation der Christen in der
Türkei"
19. 21.01.1982 Schweiz. Ev. Pressedienst Nr. 3
20. 03.02.1982 Auswärtiges Amt an VG Minden
21. 26.03.1982 Auswärtiges Amt an VG Trier
22. 07.04.1982 Pfarrer Diestelmann: "Die Situation der syrisch-orthodoxen
Christen ..."
23. 21.04.1982 Carragher zum Gutachten Wiskandt
24. 28.04.1982 Dr. Hofmann zum Gutachten Wiskandt
25. 06.05.1982 Diakonisches Werk EKD zum Gutachten Wiskandt
26. 18.05.1982 Ev. Gemeinde dt. Sprache in der Türkei an EKD
27. Juni 1982 CCMWE: "The Situation of the Christian Minorities of Turkey ..."
28. 03.07.1982 Anschütz/Harb, Protokoll HR (3. Fernsehprogramm)
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29. 26.07.1982 Sürjanni Kadim an VG Minden
30. 17.08.1982 Dr. Harb-Anschütz an VG Minden
31. 1983 Kraft, in "Christ in der Gegenwart": "Fremde und Außenseiter"
32. 28.02.1983 RA Müller: "Zur Lage der Christen in der Türkei"
33. 04.03.1983 Pfarrer Weber: "Christen aus der Türkei suchen Asyl"
34. Mai 1983 Ev. Akademie Bad Boll, Protokolldienst 27/83: "Studienfahrt in
die Türkei"
35. 09.04.1984 Oberkreisdirektor Gütersloh an RP Detmold
36. 12.06.1984 epd Dokumentation Nr. 26/84: "Die Lage der christlichen
Minderheiten in der Türkei ..."
37. 26.06.1984 Auswärtiges Amt an Bay. VGH
38. 11.09.1984 Auswärtiges Amt an Hess. VGH
39. 14.09.1984 Dr. Oehring an VG Minden
40. 09.11.1984 Auswärtiges Amt an VGH Baden-Württemberg
41. 03.12.1984 RA Müller, RA Wiskandt, Dr. Oehring und Erzbischof Cicek als
sachverständige Zeugen vor dem Bay. VGH
42. 04.02.1985 Dr. Hofmann an VG Stuttgart
43. 17.03.1985 Prof. Dr. Wießner an VG Stuttgart
44. 07.05.1985 Dr. Binswanger an VGH Baden-Württemberg
45. 30.05.1985 Dr. Oehring an VG Gelsenkirchen
46. 22.06.1985 RA Müller: "Reisebericht zur Lage der Christen in der Türkei"
47. 07.10.1985 Auswärtiges Amt an VG Ansbach
48. 31.03.1986 Sprenzel: "Situation der aramäisch sprechenden, syrisch-
orthodoxen Christen in der (Ost)Türkei"
49. 01.07.1986 EKD an VG Hamburg
50. 14.10.1986 Prof. Dr. Wießner an VG Hamburg
51. 10.11.1986 Auswärtiges Amt an VG Hamburg
52. 03.12.1986 Auswärtiges Amt an VG Köln
53. 06.01.1987 Dr. Tasci vor VG Gelsenkirchen
54. 01.06.1987 Auswärtiges Amt an VG Ansbach
55. 09.10.1987 EKD an RA König
56. 18.12.1987 Auswärtiges Amt an OVG Bremen
II.
1. 25.05.1984 Auswärtiges Amt an VG Karlsruhe
2. 30.06.1987 Ev. Gemeinde deutscher Sprache in der Türkei an VGH
Baden-Württemberg
3. 06.07.1987 Auswärtiges Amt an VGH Baden-Württemberg
4. 15.01.1988 Dr. Oehring an VGH Baden-Württemberg
Entscheidungsgründe
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I. Die auf den asylrechtlichen Verfahrensteil beschränkte
Berufung des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten ist frist- und
formgerecht eingelegt (§§ 124, 125 VwGO) und auch sonst zulässig. Sie ist
nämlich vom Verwaltungsgericht zugelassen worden (§ 32 Abs. 1 AsylVfG), und der
Bundesbeauftragte war zur Einlegung der Berufung ungeachtet dessen befugt,
daß er sich am erstinstanzlichen Verfahren weder durch einen Antrag noch sonst
beteiligt hat (BVerwG, Beschluß v. 11. März 1983, BVerwGE 67, 64 = NVwZ 1983,
413; Hess. VGH, Urteil v. 11. August 1981, ESVGH 31, 268).
II.
Die Berufung des Bundesbeauftragten ist aber nur hinsichtlich des Klägers zu 1)
begründet, denn dieser kann nach der maßgeblichen Sach- und Rechtslage im
Zeitpunkt der Berufungsentscheidung die Anerkennung als Asylberechtigter durch
die Beklagte zu 1) nicht beanspruchen, weil er nicht politisch verfolgt ist (§§ 1 Abs.
1, 4 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG). Dagegen ist die Berufung
hinsichtlich der Kläger zu 2) bis 5) nicht begründet; zu ihrer Anerkennung als
Asylberechtigte ist das Bundesamt nämlich vom Verwaltungsgericht im Ergebnis
zu Recht verpflichtet worden.
Asylrecht als politisch Verfolgter i.S. des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 genießt, wer bei
einer Rückkehr in seine Heimat aus politischen Gründen Verfolgungsmaßnahmen
mit Gefahr für Leib und Leben oder Beeinträchtigungen seiner persönlichen
Freiheit zu erwarten hätte oder politischen Repressalien ausgesetzt wäre (BVerfG,
B. v. 2. Juli 1980, BVerfGE 54, 341 = EZAR 200 Nr. 1). Als politisch im Sinne des
Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG ist eine Verfolgung in Anlehnung an den Flüchtlingsbegriff
des Art. 1 Abschn. A Nr. 2 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge
- Genfer Konvention (GK) - vom 28. Juli 1951 (BGBl. 1953 II S. 559) dann
anzusehen, wenn sie auf die Rasse, die Religion, die Nationalität, die Zugehörigkeit
zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder die politische Überzeugung zielt
(BVerwG, Ue. v. 4. November 1965, DVBl. 1966, 645, u. v. 29. November 1977,
BVerwGE 55, 82 = EZAR 201 Nr. 3, m.w.N.); insofern kommt es entscheidend auf
die Motive für die Verfolgungsmaßnahmen des Staates an (BVerwG, Ue. v. 17. Mai
1983 - 9 C 874.82 -, BVerwGE 67, 195 = EZAR 201 Nr. 5, und - 9 C 36.83 -,
BVerwGE 67, 184, v. 8. November 1983, BVerwGE 68, 171 = EZAR 200 Nr. 9, v.
26. Juni 1984, BVerwGE 69, 320 = EZAR 201 Nr. 8, v. 21. Oktober 1986, BVerwGE
75, 99, v. 19. Mai 1987, NVwZ 1987, 895 = EZAR 200 Nr. 19, u. v. 20. Oktober
1987, NVwZ 1988, 160 = InfAuslR 1988, 19). Werden nicht Leib, Leben oder
psychische Freiheit gefährdet, sondern andere Grundfreiheiten wie etwa die
Religionsausübung oder die berufliche und wirtschaftliche Betätigung, so sind nur
solche Beeinträchtigungen asylrelevant, die nach Intensität und Schwere die
Menschenwürde verletzen und über das hinausgehen, was die Bewohner des
Heimatstaats aufgrund des dort herrschenden Systems allgemein hinzunehmen
haben (BVerfG, Be. v. 2. Juli 1980, a.a.O., u. v. 1. Juli 1987, BVerfGE 76, 143 =
EZAR 200 Nr. 20; BVerwG, Ue. v. 18. Februar 1986 - 9 C 16.85 -, BVerwGE 74, 31
= EZAR 202 Nr. 7, u. - 9 C 104.85 -, BVerwGE 74, 41, sowie vom 20. Oktober 1987,
InfAuslR 1988, 22). Asylerhebliche Bedeutung haben hierbei nicht nur unmittelbare
Verfolgungsmaßnahmen des Staates; dieser muß sich vielmehr auch Übergriffe
nichtstaatlicher Personen und Gruppen - als mittelbare staatliche
Verfolgungsmaßnahmen - zurechnen lassen, wenn er sie anregt, unterstützt, billigt
oder tatenlos hinnimmt und damit den Betroffenen den erforderlichen Schutz
versagt, der allerdings nicht lückenlos zu sein braucht (BVerfG, B. v. 2. Juli 1987,
a.a.O., BVerwG, Ue. v. 2. August 1983, BVerwGE 67, 317 = EZAR 202 Nr. 1, u. v. 3.
Dezember 1985, BVerwGE 72, 269 = EZAR 202 Nr. 5, u. v. 2. Juli 1986 - 9 C 2.85 -
). Asylrelevante politische Verfolgung - und zwar sowohl unmittelbar staatlicher als
auch mittelbar staatlicher Art - kann sich nicht nur gegen Einzelpersonen, sondern
auch gegen durch gemeinsame Merkmale verbundene Gruppen von Menschen
richten mit der regelmäßigen Folge, daß jedes Gruppenmitglied als von dem
Gruppenschicksal mitbetroffen anzusehen ist (BVerfG, B. v. 2. Juli 1980, a.a.O.,
BVerwG, Ue. v. 2. August 1983, BVerwGE 67, 314 = EZAR 203 Nr. 1, v. 30. Oktober
1984, BVerwGE 70, 232, v. 18. Februar 1986, BVerwGE 74, 31 = EZAR 202 Nr. 7, u.
v. 23. Februar 1988 - 9 C 85.87 -). Ist jemand bereits in seiner Heimat politisch
verfolgt worden oder hatte er dort bereits gute Gründe, eine solche Verfolgung zu
befürchten, so sind sog. Vorfluchttatbestände gegeben; sind erst nach dem
Verlassen des Heimatstaats Gründe entstanden, die im Falle seiner Rückkehr
politische Verfolgung erwarten lassen, so handelt es sich um sog.
Nachfluchttatbestände. In beiden Fällen ist eine Rückkehr nur dann zumutbar,
wenn der Asylbewerber nunmehr in seiner Heimat vor Verfolgungsmaßnahmen
88
89
wenn der Asylbewerber nunmehr in seiner Heimat vor Verfolgungsmaßnahmen
sicher sein kann (vgl. BVerfG, B. v. 2. Juli 1980, a.a.O.). Die insoweit erforderliche
Zukunftsprognose muß auf die Verhältnisse im Zeitpunkt der letzten gerichtlichen
Tatsachenentscheidung abgestellt und auf einen absehbaren Zeitraum
ausgerichtet sein (BVerwG, B. v. 31. März 1981, EZAR 200 Nr. 3 = DVBl. 1981,
1096, U. v. 3. Dezember 1985, EZAR 202 Nr. 6 = NVwZ 1986, 760, u. B. v. 31. Juli
1986, NVwZ 1987, 60). Beim Vorliegen von Vorfluchttatbeständen sind allerdings
bei der Prognose künftiger Verfolgungssicherheit grundsätzlich geringere
Anforderungen zu stellen als beim ausschließlichen Gegebensein von
Nachfluchttatbeständen (vgl. BVerwG, U. v. 2. August 1983, BVerwGE 67, 314 =
EZAR 203 Nr. 1). Dem Vorverfolgten kann eine Rückkehr regelmäßig schon dann
nicht zugemutet werden, wenn die Wiederholung von Verfolgungsmaßnahmen
nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann (BVerfG,
B. v. 2. Juli 1980, a.a.O., BVerwG, Ue. v. 27. April 1982, BVerwGE 65, 250 = EZAR
200 Nr. 7, v. 2. August 1983, BVerwGE 67, 314 = EZAR 203 Nr. 1, v. 15. Oktober
1985, EZAR 630 Nr. 22, u. v. 23. Februar 1988 - 9 C 85.87 -). Ansonsten kommt
eine Anerkennung als Asylberechtigter nur in Betracht, wenn bei verständiger
Würdigung aller Umstände des konkreten Falles bei der Rückkehr in die Heimat
politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht (BVerwG, B. v. 31.
März 1981, EZAR 200 Nr. 3 = DVBl. 1981, 1096, Ue. v. 25. September 1984,
BVerwGE 70, 169 = EZAR 200 Nr. 12 u. v. 3. Dezember 1985, EZAR 202 Nr. 6 =
NVwZ 1986, 760). Unabhängig hiervon ist der Asylbewerber aufgrund der ihm
obliegenden prozessualen Mitwirkungspflicht gehalten, von sich aus die in seine
eigene Sphäre fallenden tatsächlichen Umstände substantiiert und in sich stimmig
zu schildern sowie eventuelle Widersprüche zu seinem Vorbringen in früheren
Verfahrensstadien nachvollziehbar aufzulösen, so daß sein Vortrag insgesamt
geeignet ist, den Asylanspruch lückenlos zu tragen (BVerwG, Ue. v. 8. Mai 1984,
EZAR 630 Nr. 13 = NVwZ 1985, 36, v. 12. November 1985, EZAR 630 Nr. 23 =
InfAuslR 1986, 79, u. v. 20. Oktober 1987 - 9 C 147.86 -) und insbesondere auch
eine politische Motivation der Verfolgungsmaßnahmen festzustellen (BVerwG, Ue.
v. 22. März 1983, Buchholz 402.24 Nr. 44 zu § 28 AuslG, u. v. 18. Oktober 1983,
EZAR 630 Nr. 8). Bei der Darstellung der allgemeinen Umstände im Heimatland
genügt es dagegen, daß die vorgetragenen Tatsachen die nicht entfernt liegende
Möglichkeit politischer Verfolgung ergeben (BVerwG, U. v. 23. November 1982,
BVerwGE 66, 237 = EZAR 630 Nr. 1). Ungeachtet dessen muß sich das Gericht in
vollem Umfang die Überzeugung von der Wahrheit des von dem Asylbewerber
behaupteten individuellen Verfolgungsschicksals verschaffen, wobei allerdings der
sachtypische Beweisnotstand hinsichtlich der Vorgänge im Heimatland bei der
Auswahl der Beweismittel und bei der Würdigung des Vortrags und der Beweise
angemessen zu berücksichtigen ist (BVerwG, Ue. v. 29. November 1977, BVerwGE
55, 82 = EZAR 201 Nr. 3, v. 16. April 1985, BVerwGE 71, 180 = EZAR 630 Nr. 17,
u. v. 12. November 1985, EZAR 630 Nr. 23 = InfAuslR 1986, 79).
Der erkennende Senat ist nach diesen Grundsätzen aufgrund der eigenen
Angaben und Aussagen der Kläger zu 1) und 2), der beigezogenen Akten und der
in das Verfahren eingeführten Dokumente zu der Überzeugung gelangt, daß die
Kläger zwar nicht kraft innerstaatlich geltender völkerrechtlicher Vereinbarung als
Asylberechtigte anzuerkennen sind (1.) und daß sie auch vor ihrer Ausreise aus
der Türkei weder als Mitglieder der Gruppe der syrisch-orthodoxen Christen
politisch verfolgt (2.) noch persönlich von Verfolgungsmaßnahmen betroffen waren
(3.), ferner daß sie auch bei einer Rückkehr in die Türkei keine Gruppenverfolgung
zu befürchten haben (4.), daß aber die Kläger zu 2) bis 5) dann - anders als der
Kläger zu 1) (5.) - politischer Verfolgung i.S.d. Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG ausgesetzt
sein werden (6. und 7.).
1. Die Kläger können ihre Anerkennung nicht (schon) aufgrund des Abkommens
über die Ausdehnung gewisser Maßnahmen zugunsten russischer und
armenischer Flüchtlinge auf andere Kategorien von Flüchtlingen vom 30. Juni 1928
(abgedruckt in: Völkerbund-Vertragssammlung, Bd. 89, Nr. 2002) erreichen. Da sie
1946 und später geboren sind und erst 1979 die Türkei verlassen haben, kann
dieses Abkommen auf sie ohnehin nicht angewandt werden (ständige und vom
Bundesverwaltungsgericht durch Urteil v. 17. Mai 1983, BVerwGE 67, 195 = EZAR
201 Nr. 3, bestätigte Rechtsprechung des Hess. VGH, vgl. z.B. B. v. 28. Juni 1979 -
VII TH 72/79 -, U. v. 22. Januar 1981 - VII OE 36/80 -, Be. v. 27. April 1981 - AS II OE
501/81 - u. v. 17. Juli 1981 - X OE 553/81 -, sowie Ue. v. 11. August 1981, ESVGH
31, 268, v. 7. August 1986 - X OE 189/82 -, v. 1. Februar 1988 - 12 OE 419/82 - u.
v. 30. Mai 1988 - 12 UE 2500/85 u. 2514/85 -). Der Senat kann deshalb
offenlassen, ob dem durch die genannte Vereinbarung geschützten Personenkreis
überhaupt noch ein Anspruch auf Asylanerkennung oder Asylgewährung in anderer
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überhaupt noch ein Anspruch auf Asylanerkennung oder Asylgewährung in anderer
Form zusteht, nachdem § 39 Nr. 4 AsylVfG die bis dahin in § 28 AuslG enthaltene
Bezugnahme auf Art. 1 GK und die dort in Abschn. A Nr. 1 enthaltene Verweisung
auf die erwähnte Vereinbarung ersatzlos beseitigt hat und eine Asylanerkennung
nunmehr allein an die Voraussetzungen des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG anknüpft
(vgl. dazu auch Berberich, ZAR 1985, 30 ff., und Köfner/Nicolaus, ZAR 1986, 11,
15).
2. Der Senat hat auch nicht feststellen können, daß die Angehörigen der syrisch-
orthodoxen Minderheit in der Türkei im Gebiet des Tur'Abdin oder in Istanbul bis
zur Ausreise der Kläger einer unmittelbaren oder mittelbaren Gruppenverfolgung
ausgesetzt waren.
a) Der Senat legt seiner Beurteilung der Lage der Christen in der Türkei im
allgemeinen und der syrisch-orthodoxen Glaubensgemeinschaft im besonderen
sowie des Verhältnisses dieser Christen zu anderen dort lebenden religiösen und
ethnischen Gruppen die nachfolgend anhand der vorliegenden schriftlichen
Unterlagen (im folgenden nur noch mit der entsprechenden Nummer der Listen I
und II von S. 10 f. bezeichnet) auszugsweise dargestellte historische Entwicklung
der christlichen Siedlungsgemeinschaften im Nahen Osten zugrunde.
Die Anhänger der syrischen Kirchen siedelten ursprünglich im mesopotamischen
Raum, und zwar im Bergland des Tur'Abdin mit dem Zentrum Midyat, im weiter
östlich gelegenen Bergland von Bohtan, im alpenähnlichen Hochgebirge Hakkari
und weiter südlich in der Mosul-Ebene sowie in der Urmia-Ebene. Nachdem im 7.
Jahrhundert im Zuge der Arabisierung die Mehrheit dieser Christen zum Islam
übergetreten war und dann mongolische Eindringlinge Ende des 14. Jahrhunderts
die syrischen Kirchen bis auf wenige Überreste vernichtet hatten, erlebten sowohl
die syrisch-orthodoxen als auch die anderen im Osmanischen Reich lebenden
Christen vom Ende des 15. Jahrhunderts an eine vergleichsweise friedliche und
gesicherte Periode, in der sie als nichtmuslimische Völkerschaften - als millat -
auch ihr Personal- und Familienrecht nach eigenem Rechtsstatut regeln konnten.
Während der im 19. Jahrhundert zur Bewahrung des Osmanischen Reichs
eingeleiteten Reformbewegungen kam es sodann etwa nach der Seeschlacht von
Navarino 1827 zu einer Verfolgung der Armenier und 1843 zu einem Massaker der
Kurden unter den nestorianischen Bergstämmen im Hakkari. Die abseits in ihren
Siedlungsräumen in Ostanatolien lebenden syrischen Christen blieben von
derartigen Ereignissen aber weitgehend verschont. Sie waren ähnlich wie die
ebenfalls in dieser Region siedelnden Kurden stammesmäßig organisiert und
erhielten sich Unabhängigkeit und Schutz durch Selbstverteidigung und durch
Tributzahlungen an den Sultan. Nachdem seit der ersten Hälfte des 19.
Jahrhunderts eine rege Missionstätigkeit christlicher Religionsgesellschaften aus
Amerika, England und Frankreich dazu beigetragen hatte, die kulturelle und
gesellschaftliche Bedeutung der Christen im Nahen Osten zu heben und
gleichzeitig deren politisches Bewußtsein zu fördern, reagierte das Osmanische
Reich im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts auf Unabhängigkeitsbestrebungen
der Christen mit dem Einsatz kurdischer Söldnertruppen, und dabei kam es dann
häufig zu Morden, Plünderungen und Hungersnöten (I. 1., S. 17 ff.). Schließlich
fanden während des Ersten Weltkriegs unter den Christen zahlreiche Massaker
statt, die insgesamt über drei Millionen Tote gefordert haben sollen (I. 1., S. 28; I.
5., S. 14); für sie sind zumindest auch die Allianz der Christen mit England und
Rußland und die Kriegserklärung des damaligen Patriarchen Benjamin XXI. an die
Türkei im Mai 1915 verantwortlich zu machen. So wurden etwa bis März 1915 im
Urmia- und im Salamas-Gebiet über 70 Dörfer von türkischen Truppen und
kurdischen Freiwilligen zerstört und geplündert und die christliche Bevölkerung
massakriert, und im selben Jahr folgten weitere Massenmorde in der armenischen
Stadt Van und im Bohtan-Gebiet (I. 1., S. 29 f.). Bei der Flucht der Bergassyrer
nach Salamas und der Urmia-Assyrer nach Hamadan sollen jeweils mehr als
10.000 Menschen umgekommen sein (I. 1., S. 30 ff.). Schließlich siedelten syrische
Christen in den Jahren 1922 und 1924 in zwei großen Fluchtbewegungen aus der
Türkei in das benachbarte Syrien über (I. 1., S. 110), und im Gefolge des Ersten
Weltkriegs und des Friedensvertrags von Lausanne vom 24.7.1923 verließen mehr
als zwei Millionen Griechen die Türkei (I. 3., S. 41). Damals verlegte der syrisch-
orthodoxe Patriarch seinen Sitz vom Kloster Dair Za'faran bei Mardin nach Homes
im heutigen Syrien, wo er seit 1954 in Damaskus residiert (I. 5., S. 21; I. 8., S. 2; I.
9., S. 2).
Es mag im einzelnen Streit darüber herrschen, welche Bedeutung das christliche
Bekenntnis der verschiedenen Gruppen der Christen für ihr jeweiliges Schicksal in
94
Bekenntnis der verschiedenen Gruppen der Christen für ihr jeweiliges Schicksal in
der Vergangenheit im einzelnen hatte, welche Rolle politische und militärische
Interessen fremder Großmächte gespielt haben und ob und in welchem Maße sich
etwa bei Armeniern, Griechen oder Syrisch-Orthodoxen ein eigenes
Nationalbewußtsein entwickeln konnte (vgl. dazu: I. 1., S. 12 ff.; I. 5., S. 1 ff.; I. 18.,
S. 6 ff.). Die Situation der Christen in der Türkei ist jedenfalls seit langem geprägt
von ihrer bis in die Anfänge des Christentums zurückreichenden religiösen und
kirchlichen Tradition, von den ethnischen und sprachlichen Besonderheiten der
einzelnen Gruppen und von einem mehr und mehr hoffnungslos erscheinenden
Überlebenskampf in einer mehrheitlich türkischen/muslimischen Umwelt, der
angesichts der leidvollen historischen Erfahrungen als besonders bedrückend
empfunden wird. Während die Christen Ende des 19. Jahrhunderts noch etwa 30 %
der Untertanen des Osmanischen Reichs ausmachten, stellen sie nunmehr in der
Türkei mit schätzungsweise kaum noch 100.000 Menschen nur eine äußerst kleine
Minderheit der Gesamtbevölkerung von 43 Millionen (zu den Zahlenangaben und
im übrigen vgl.: I. 2.; I. 5., S. 5; I. 6., S. 5; I. 7.; I. 18., S. 8; I. 43.). Außer den
Armeniern und den Griechen sind zahlenmäßig vor allem die Syrer von Bedeutung,
denen aber im Unterschied zu den Armeniern, Griechen und Juden ein Schutz als
nichtmuslimische Minderheit aufgrund des Lausanner Vertrags von 1923 nicht
zugestanden wird. Die syrischen Christen bestehen in der Türkei im wesentlichen
aus Syrisch-Katholischen und Nestorianern sowie aus Syrisch-Orthodoxen
(Jakobiten) unter dem Patriarchat von Antiochia und dem gesamten Osten, deren
Patriarch Mar Ignazius Yakup III. seinen Sitz jetzt in Damaskus hat. Die Syrisch-
Orthodoxen berufen sich auf eine Abstammung von Noah und eine Bekehrung in
unmittelbarer Beziehung zu Christus, bedienen sich einer altsyrischen
Liturgiesprache und heben sich durch verschiedene Dialekte der neuaramäischen
Umgangssprache (im Tur'Abdin: turoyo) von den muslimischen Türken und Kurden
sowie von den Yeziden ab. Während bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts im
Gebiet der heutigen Türkei noch etwa eine Million Jakobiten und Nestorianer gelebt
haben sollen und 1927 immerhin noch insgesamt 257.000 (I. 1., S. 46, 110),
beträgt die Zahl der Syrisch-Orthodoxen in der Türkei neueren Schätzungen
zufolge nur noch etwa 45.000 (I. 1., S. 111; I. 5., S. 20), 35.000 (I. 1., S. 46), 20.000
bis 35.000 (I. 6., S. 17), 20.000 (I. 8., S. 2) oder sogar nur 10.000 bis 15.000 (I. 2.).
Im Gebiet des Tur'Abdin (Berg der Gottesknechte), wo vor 25 Jahren noch 70.000
Syrisch-Orthodoxe lebten, sollen es 1967/68 noch 20.000 gewesen sein (I. 4., S. 2)
und 1980 noch 25.000 (I. 5., S. 29) oder zumindest annähernd 40.000 (I. 27., S.
18; I. 36., S. 17), während ihre Zahl in Istanbul im selben Zeitraum von einigen
Hundert auf 15.000 oder gar auf 17.000 angestiegen sein soll (I. 5., S. 46; I. 9., S.
7; I. 21.; I. 26.; I. 29.; für die Zeit nach 1982 vgl. auch I. 39. und I. 41., S. 11). In der
Kreisstadt Midyat sollen im Jahr 1978 von den ursprünglich 3.000 syrischen
Familien infolge einer seit 1960 anhaltenden starken Abwanderung in türkische
Großstädte und ins Ausland noch 1.000 Familien gewohnt haben (I. 1., S. 117). Aus
dem Dorf Kefrezi sind die Christen, die 1970 dort noch 90 Familien zählten,
inzwischen vollständig vertrieben (I. 8.). Das Dorf Arbey war vor 20 Jahren von 100
christlichen Familien bewohnt; schon 1979 waren davon 65 dem Druck der
umliegenden muslimischen Dörfer gewichen und geflohen (I. 22., S. 15).
b) Vor dem Hintergrund dieser geschichtlichen Entwicklung kann nicht festgestellt
werden, daß die christliche Bevölkerung in der Türkei und insbesondere im Gebiet
des Tur'Abdin in dem hier maßgeblichen Zeitraum bis zur Ausreise der Kläger aus
der Türkei im August 1979 unter einer religiös motivierten Gruppenverfolgung zu
leiden hatte; dies gilt sowohl hinsichtlich einer unmittelbaren staatlichen
Verfolgung als auch hinsichtlich einer vom türkischen Staat gebilligten oder
geduldeten Verfolgung durch andere Bevölkerungsgruppen (ebenso schon der
früher für Asylverfahren allein zuständige 10. Senat des Hess. VGH in st. Rspr.,
zuletzt U. v. 30. Mai 1985 - 10 OE 35/83 -, und jetzt der 12. Senat, Ue. v.22.
Februar 1988 - 12 UE 1071/84, 1587/84 und 2585/85 -, v.16. Mai 1988 - 12 UE
2571/85 -, v. 30. Mai 1988 - 12 UE 2500/85 u. 2514/85 - sowie v. 13. Juni 1988 - 12
OE 94/83 - ; ähnlich VGH Baden-Württemberg, U. v. 25. Juli 1985 - A 12 S 573/81 -
und OVG Lüneburg, U. v. 25. August 1986 - 11 OVG A 263/85 -; a.A. Bay. VGH U.
v. 19. März 1981, InfAuslR 1981, 219, VGH Baden-Württemberg, U. v. 9. Februar
1987 - A 13 S 709/86 - und OVG Nordrhein-Westfalen, U. v. 23. April 1985 - 18 A
10237/84 - sowie OVG Rheinland- Pfalz, U. v. 10. Dezember 1986 - 11 A 131/86 -).
Bei der Frage nach einer religiösen oder religiös motivierten Gruppenverfolgung ist
allgemein zu beachten, daß eine aus Gründen der Religion stattfindende
Verfolgung nur dann asylerheblich ist, wenn die Beeinträchtigungen der Freiheit
der religiösen Betätigung nach Intensität und Schwere die Menschenwürde
verletzen (BVerfG, B. v. 2. Juli 1980, BVerfGE 54, 341 <357> = EZAR 200 Nr. 1).
Es muß sich um Maßnahmen handeln, die den Gläubigen als religiös geprägte
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Es muß sich um Maßnahmen handeln, die den Gläubigen als religiös geprägte
Persönlichkeit ähnlich schwer treffen wie bei Eingriffen in die körperliche
Unversehrtheit oder die physische Freiheit (BVerwG, U. v. 18. Februar 1986,
BVerwGE 74, 31 = EZAR 202 Nr. 7), indem sie ihn physisch vernichten, mit
vergleichbar schweren Sanktionen bedrohen, seiner religiösen Identität berauben
oder daran hindern, seinen Glauben im privaten Bereich und durch Gebet und
Gottesdienst zu bekennen (BVerfG, B. v. 1. Juli 1987, BVerfGE 76, 143 = EZAR 200
Nr. 20).
aa) Aus den in das Verfahren eingeführten Gutachten, Auskünften und anderen
Erkenntnismitteln ergeben sich keine tragfähigen Anhaltspunkte dafür, daß der
türkische Staat die syrisch-orthodoxen Christen in diesem Sinne in dem hier
maßgeblichen Zeitraum unmittelbar aus religiösen Gründen verfolgt hat.
Die syrisch-orthodoxen Christen waren - und sind - von Verfassungs wegen ebenso
wie die Angehörigen anderer muslimischer und nichtmuslimischer
Glaubensgemeinschaften gegen Eingriffe in die Religionsfreiheit und gegen
Diskriminierungen aus religiösen Gründen geschützt (Art. 19 d. türk. Verf. v. 1961,
Art. 24 Abs. 1 d. Verf. vom 7. November 1982; I. 1., S. 2; I. 18., S. 23). Sie sind in
den durch Art. 14 der Verfassung von 1982 gezogenen Grenzen frei,
Gottesdienste, religiöse Zeremonien und Feiern abzuhalten (Art. 24 Abs. 2 dieser
Verfassung). Sie werden jedoch seit jeher anders als die Armenier, Griechen und
Juden in der Staatspraxis nicht zu den nichtmuslimischen Minderheiten gerechnet,
denen aufgrund der Art. 38 ff. des Friedensvertrags von Lausanne vom 24. Juli
1923 besondere Minderheitenrechte gewährleistet sind, so u.a. gemäß Art. 40 das
Recht, auf eigene Kosten Schulen und andere Einrichtungen für Lehre und
Erziehung mit dem Recht auf Gebrauch ihrer eigenen Sprache und freie
Religionsausübung zu errichten, zu betreiben und zu kontrollieren (I. 1., S. 112; I.
5., S. 57 f.; I. 8., S. 3 f.; I. 9., S. 15 f.; I. 13.; I. 44.). Während die in Istanbul lebenden
etwa 80.000 Armenier dazu imstande sind, ungefähr 40 Kirchen und 30 Schulen,
mindestens ein Krankenhaus und 12 Jugendclubs zu unterhalten (I. 12., I. 52.),
verfügen die etwa 15.000 Syrisch-Orthodoxen in Istanbul lediglich über ein eigenes
Kirchenzentrum und sind in fünf weiteren Kirchen zu Gast (I. 26., I. 29.), sie dürfen
aber keine Schulen und keine Sozialeinrichtungen betreiben. Die syrisch-
orthodoxen Christen werden allerdings ebensowenig wie andere christliche
Glaubensgemeinschaften staatlicherseits unmittelbar an der Ausübung ihrer
Religion gehindert. Sie können sowohl im Gebiet des Tur'Abdin als auch in Istanbul
in den ihnen verbliebenen Kirchen Gottesdienst nach ihrer Liturgie feiern und ihren
Glauben praktizieren.
Obwohl die Religionsausübung nach außen hin - weder in der Vergangenheit noch
jetzt - offen behindert oder gar untersagt ist, sind dennoch zahlreiche
administrative Schwierigkeiten festzustellen, die die Syrisch-Orthodoxen bei der
Ausübung ihres Glaubens und der Pflege ihres Brauchtums empfindlich stören und
auf Dauer gesehen das kirchliche und religiöse Leben beeinträchtigen und
schließlich zum Erliegen bringen können. So ist beispielsweise die Ausbildung der
Priester zwar von Staats wegen nicht verboten und auch nicht erkennbar restriktiv
reglementiert. Tatsächlich gibt es aber seit geraumer Zeit in der Türkei weder
einen syrisch-orthodoxen Bischof noch Priesterseminare (I. 8., S. 4; I. 19., S. 16),
und deshalb können neue Priester, die die türkische Staatsangehörigkeit besitzen
müssen, nur im Ausland ausgebildet und geweiht werden (I. 9., S. 5). Die
seelsorgerische Betreuung der noch in den ehemals syrisch-orthodoxen
Siedlungsgebieten verbliebenen Gläubigen ist auch dadurch erschwert, daß viele
Priester ihre Gemeinden gegen den Willen der Kirchenleitung verlassen haben und
im Zuge der Anwerbung von Arbeitnehmern durch die Bundesrepublik
Deutschland und andere westeuropäische Staaten ins Ausland abgewandert sind
(I. 43., S. 3; I. 50., S. 3). Die ehemals zahlreichen Klöster im Tur'Abdin sind jetzt nur
noch von wenigen Mönchen oder Nonnen bewohnt und im übrigen verlassen (I. 5.,
S. 21). Die Klosterschule in Dair Za'faran wurde zudem mehrmals zumindest
zeitweilig geschlossen, weil der türkische Staat das Schulprogramm mit syrisch-
aramäischem Sprachunterricht und christlichem Religionsunterricht für illegal
erachtete (I. 5., S. 28; I. 6., S. 18; I. 36., S. 18; I. 50., S. 5). Der Bau und die
Errichtung von Kirchen sind, nachdem das Eigentum an dem Besitz der "frommen
Stiftungen" im Jahre 1965 auf den Staat übertragen worden ist, nur noch mit
vorheriger staatlichen Genehmigung zulässig (I. 9., S. 17). Die Tatsache, daß in
den vergangenen Jahren keine neue syrisch-orthodoxe Kirche gebaut worden ist,
während in der ganzen Türkei zahlreiche neue Moscheen entstanden sind (I. 46., S.
3 f.; I. 49., S. 3; I. 50., S. 4), kann allerdings darauf zurückzuführen sein, daß Geld
für einen derartigen Kirchenbau nicht vorhanden war (I. 30.). Trotz dieser
98
für einen derartigen Kirchenbau nicht vorhanden war (I. 30.). Trotz dieser
faktischen Behinderungen im administrativen Bereich läßt sich daraus eine
unmittelbare staatliche Beeinträchtigung der Religionsfreiheit für die Zeit bis zur
Ausreise der Kläger aus der Türkei nicht herleiten.
Ebenso verhält es sich mit der Gestaltung des Religionsunterrichts an den
staatlichen Schulen. Insoweit neigt der Senat allerdings grundsätzlich zu einer
anderen Betrachtung als das Bundesverwaltungsgericht, das annimmt, ein
islamischer Pflichtunterricht beeinträchtige die Religionsfreiheit andersgläubiger
Kinder nicht (BVerwG, B. v. 14. Mai 1987, EZAR 202 Nr. 9 = DVBl. 1987, 1113).
Religionsunterricht, der gegen den Willen der Kinder oder der insoweit
erziehungsberechtigten Eltern erteilt wird, kann den Beginn einer
Zwangsbekehrung bedeuten, stellt doch die religiöse Unterweisung von Kindern,
Jugendlichen und Erwachsenen einen unverzichtbaren, weil lebenswichtigen Teil der
Religionsfreiheit dar. Denn ohne die Weitergabe religiösen Wissens und religiöser
Überzeugungen vermag weder der einzelne Gläubige noch die
Glaubensgemeinschaft auf Dauer zu bestehen. Neben der Verkündigung des
Glaubens während des kirchlichen Gottesdienstes spielt hierbei vor allem der
Religionsunterricht für Kinder eine ausschlaggebende Rolle. In diesem
Zusammenhang ist es von Bedeutung, daß die Vorschriften des Art. 24 der
türkischen Verfassung von 1982 vorsehen, daß niemand gezwungen werden darf,
an Gottesdiensten, religiösen Zeremonien und Feiern teilzunehmen oder seine
religiöse Anschauung und seine religiösen Überzeugungen zu offenbaren (Abs. 3),
und daß die Religions- und Sittenerziehung und -lehre unter der Aufsicht und
Kontrolle des Staats durchgeführt wird und religiöse Kultur und Sittenlehre in den
Grund- und Mittelschulanstalten zu den Pflichtfächern gehören (Abs. 4). Auf der
Grundlage dieser Verfassungsbestimmung ist in den letzten Jahren der
Religionsunterricht als Pflichtfach an türkischen Schulen eingeführt worden; ob und
in welcher Weise daraufhin christliche Schüler zur Teilnahme am islamischen
Religionsunterricht gezwungen worden sind, war anfangs zweifelhaft, ist aber
inzwischen aufgeklärt. Das Auswärtige Amt hat zunächst berichtet, christliche
Schüler nähmen nicht am islamischen Religionsunterricht teil, sondern erhielten
eine christliche Unterweisung; in Einzelfällen hätten Schulleiter allerdings gegen
einen entsprechenden Runderlaß des Erziehungsministeriums verstoßen (I. 38.).
Nunmehr hat das Auswärtige Amt unter Bezugnahme auf einen Erlaß des
Ministeriums für nationale Erziehung, Jugend und Sport vom 20. Oktober 1986 Nr.
2219 die Auskunft erteilt, daß christliche Schüler im Fach "Religionslehre und
Grundsätze der Ethik" nicht dazu verpflichtet seien, das islamische
Glaubensbekenntnis, die islamische Einleitungsformel Amentü, die Koranverse und
das islamische Ritualgebet Namaz zu lernen und Kenntnisse über Namaz,
Ramadan, die Regeln der islamischen Jahresspenden und das Pilgern nach Mekka
zu erwerben; allerdings habe man Kenntnis erlangt von Diskriminierungen in der
Praxis und davon, daß manche Schüler lieber an den islamischen Gebeten
teilnähmen, bevor sie dauernd einer demütigenden Behandlung ausgesetzt seien
(I. 54.). Anderen Auskünften zufolge soll der sog. Ethik- und Moralunterricht in den
früheren 70er Jahren weitgehend laizistisch und wertneutral gewesen sein,
inzwischen aber immer mehr islamisiert und zu einem Neben-Religionsunterricht
ausgebaut worden sein (1. 39.). Die jetzige Ausgestaltung des staatlichen
Religions- und Ethikunterrichts führe insofern zu einer Benachteiligung der
christlichen Minderheiten, als ein Äquivalent für die nichtmuslimischen Schüler
nicht angeboten werde (I. 49.). Die Annahme, es sei nunmehr ein islamischer
Religionsunterricht als Pflichtfach eingeführt und damit auch für christliche Schüler
verbindlich (I. 49., I. 50.), erscheint indes nicht gerechtfertigt. Die in deutscher
Übersetzung vorliegenden Richtlinien (Anlage zu I. 54.) bestimmen eindeutig, daß
der Grundsatz des Laizismus während des Ausbildungsprogramms "Religionslehre
und Grundsätze der Ethik" immer zu beachten und zu schützen ist und niemand
zu religiösen Handlungen gezwungen werden darf. Außerdem ist bestimmt, daß,
wenn den Kindern die "nationale Moral gelehrt wird", nicht unter den Religionen
unterschieden wird, um den Kindern später die Anpassung an die Gesellschaft zu
erleichtern. Insgesamt kommt zwar in den Richtlinien deutlich zum Ausdruck, daß
der Islam die Religion der Türkei und Mohammed ein Vorbild für die Türken sein
soll. Die nach dem Verfassungsgrundsatz des Laizismus gebotene Distanz des
türkischen Staats gegenüber der islamischen Religion äußert sich allerdings darin,
daß Namaz, Suren und Gebete im staatlichen Unterricht nicht in arabischer
Sprache gelehrt werden dürfen. Nach alledem bieten die gesetzlichen und die
verwaltungsinternen Vorschriften für den Religionsunterricht an staatlichen
Schulen keine Veranlassung für die Annahme, der türkische Staat greife
unmittelbar in die Freiheit der religiösen Betätigung der Syrisch-Orthodoxen in
einer Art und Weise ein, die die Menschenwürde oder das sogenannte religiöse
99
einer Art und Weise ein, die die Menschenwürde oder das sogenannte religiöse
Existenzminimum antastet. Dies gilt auch und erst recht für die Zeit vor
Inkrafttreten der Verfassung von 1982 und vor der Machtübernahme durch das
Militär im September 1980. Auch wenn berücksichtigt ist, daß ein christlicher
Religionsunterricht an staatlichen Schulen nicht angeboten wird und es bei der
praktischen Handhabung der Unterscheidung zwischen ethischen und allgemein-
religiösen Lehrinhalten einerseits und islamischen Glaubenslehren andererseits im
Unterricht leicht zu Benachteiligungen und Beeinträchtigungen der
Glaubensüberzeugungen christlicher Schüler kommen könnte, kann darin
insgesamt ein asylrelevanter Eingriff nicht gesehen werden. Denn abgesehen von
der fehlenden Intensität mangelt es insoweit auch an der erforderlichen staatlichen
Motivation und an der Zurechenbarkeit. Die Einführung des staatlichen
Pflichtunterrichts in Ethik und Religion verfolgt das Ziel einer Eindämmung des
Einflusses der privaten Koranschulen (I. 20.) und läßt deshalb für sich noch keinen
Rückschluß auf eine im Jahre 1986 oder schon früher vorhandene Neigung
staatlicher Stellen zur gezielten Beeinträchtigung nichtmuslimischer Religionen zu.
Schließlich wären gelegentliche Übergriffe einzelner Lehrer, die die Anweisungen
zur Achtung der Religion nichtmuslimischer Schüler mißachten, dem türkischen
Staat asylrechtlich schwerlich zuzurechnen, weil Anhaltspunkte dafür, daß die
Verantwortlichen derartige dienstliche Verfehlungen förderten oder zumindest
duldeten, nicht bekannt sind.
Schließlich können Anzeichen für eine gegen Christen gerichtete
Gruppenverfolgung auch nicht in der Art und Weise festgestellt werden, wie
christliche Wehrpflichtige in der türkischen Armee behandelt werden. Insoweit
liegen allerdings unterschiedliche Auskünfte und Stellungnahmen vor. So hat das
Auswärtige Amt im Juni und November 1984 berichtet, Christen hätten in der
türkischen Armee nach allen bisherigen Erkenntnissen in aller Regel weder seitens
ihrer Vorgesetzten noch seitens ihrer Kameraden mit diskriminierenden
Handlungen zu rechnen; wenn ein Christ allerdings die Tatsache seines Glaubens
demonstrativ deutlich mache, seien Sticheleien und gelegentliche Übergriffe
seiner Kameraden nicht auszuschließen (I. 37., I. 40.). Im Oktober 1985 hat das
Auswärtige Amt darüber hinausgehend berichtet, daß zuverlässigen Angaben
zufolge regelmäßig beim ersten Gesundheitsappell nach der Einberufung von
Vorgesetzten im Unteroffiziersrang hämische Bemerkungen über die "dreckigen
Christenschweine" gemacht würden, die noch nicht einmal eine so elementare
hygienische Maßnahme wie die Beschneidung durchführen ließen; einfache
Rekruten in normalen Einheiten sähen sich leicht infolge der Schikanen der
Unteroffiziere und der Kameraden einem zumindest subjektiv als unwiderstehlich
empfundenen Druck ausgesetzt, der viele veranlasse, den geforderten Eingriff
"freiwillig" vornehmen zu lassen (I. 47.). Im Dezember 1987 hat das Auswärtige
Amt wiederum die Auskunft gegeben, es sei von gezielten Schikanen gegen
Christen während des Wehrdienstes nichts bekannt geworden; außerdem hat es
berichtet, es seien keine Fälle von Zwangsbeschneidungen mehr bekannt
geworden (I. 56.). Dagegen sprechen andere Quellen teilweise in pauschaler Form,
teilweise aber auch sehr dezidiert von Zwangsbeschneidungen christlicher
Wehrpflichtiger in der Türkei. Die Sachverständige Dr. Hofmann (I. 42.) berichtet
aufgrund zahlreicher Gespräche mit Betroffenen, die Diskriminierungen reichten
von der verbalen Beleidigung ("schmutziges Christenschwein", "Gavur") bis hin zur
schweren Körperverletzung, an denen Kameraden und Vorgesetzte beteiligt seien;
bis in die Gegenwart (Februar 1985) würden christlichen Soldaten Gewalt und
Zwangsbeschneidung zumindest angedroht, die Androhung der
Zwangsbeschneidung begleite die männlichen Christen durch alle
Lebensabschnitte, sei aber während des Militärdienstes besonders virulent. Dem
Sachverständigen Prof. Wiesner (I. 43.) sind Versuche der zwangsweisen
Bekehrung und der Zwangsbeschneidung während des Militärdienstes dagegen
nicht bekannt geworden; er hält derartige Angaben von Asylbewerbern für
Greuelmärchen und begründet im einzelnen seine Bedenken gegen die Wahrheit
entsprechender Erzählungen. Auch der Sachverständige Dr. Binswanger (I. 44.)
gibt an, Fälle von Zwangsbeschneidungen christlicher Soldaten während ihrer
Militärdienstzeit seien unbekannt, ein offenes Geheimnis sei hingegen die
körperliche Mißhandlung durch sadistische Unteroffiziere, deren Haltung in
seltenen Fällen auch muslimische Wehrpflichtige treffe; diskriminiert würden die
Christen insofern, als Wehrpflichtige mit Abitur nicht wie sonst in der Regel als
Offiziersanwärter rekrutiert würden. Der Sachverständige Dr. Oehring (I. 45.) hat
noch im Frühjahr 1985 erfahren, daß christliche Soldaten generell mit den
unangenehmsten Aufgaben betraut werden und Pöbeleien an der Tagesordnung
und Übergriffe nicht ausgeschlossen seien; Zwangsbeschneidungen oder
zumindest entsprechende Drohungen kämen vor, allerdings "nicht überall und
100
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zumindest entsprechende Drohungen kämen vor, allerdings "nicht überall und
nicht immer". Demgegenüber hat ein Zeuge in einem Verfahren vor dem
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen nähere Angaben über einzelne Fälle von
Zwangsbeschneidungen gemacht (I. 53.). Er ist 16 Monate lang bis Juli 1985
Militärarzt in der Osttürkei gewesen und hat während seiner Dienstzeit etwa 90
christliche Rekruten kennen gelernt. Seinen Angaben zufolge kann er nicht als
Augenzeuge bestätigen, daß jemand beim Militär einer gewaltsamen
Zwangsbeschneidung unterzogen worden ist; er hat allerdings glaubhaft bezeugt,
daß man auf andere Weise Personen gezwungen hat, sich beschneiden zu lassen.
Er selbst habe die Beschneidung einiger Soldaten, die zu ihm zur
Zwangsbeschneidung geschickt worden seien, abgelehnt. Er habe aber mit
eigenen Augen gesehen, daß man in dem Militärkrankenhaus von Agri einen
christlichen Soldaten beschnitten habe, der bei einem späteren Gespräch
offenbart habe, daß er nur unter Zwang die Beschneidung habe vornehmen
lassen; er sei nämlich nach seiner anfänglichen Weigerung "vom Schreibdienst
zum Toilettenplatz degradiert" und dann auch noch wiederholt geschlagen worden.
Er wisse, daß 30 bis 40 christliche Soldaten der Beschneidung im Krankenhaus
unterzogen worden seien; er habe diese Soldaten aus den üblichen
Generaluntersuchungen, die alle drei Monate stattfänden, gekannt, und alle hätten
ihm unter vier Augen bedeutet, sie seien auf keinen Fall zur Beschneidung bereit
gewesen. Wenn nach alledem auch nicht auszuschließen ist, daß christliche
Wehrpflichtige von Kameraden und auch von Vorgesetzten mit mehr oder weniger
Druck gezwungen worden sind - und weiterhin gezwungen werden -, sich
beschneiden zu lassen, so kann doch andererseits nicht festgestellt werden, daß
christliche Wehrpflichtige allgemein mit einer derartigen Behandlung im Militär in
dem Sinne zu rechnen hatten oder haben, daß daraus auf eine direkte
Kollektivverfolgung aller Christen oder zumindest aller christlichen Wehrpflichtigen
geschlossen werden kann. Anhaltspunkte dafür, daß die militärische Führung
derartige Übergriffe duldet oder gar fördert, bestehen nämlich nicht. Selbst wenn
angesichts der straffen Disziplin in den türkischen Streitkräften unterstellt wird,
daß die Beschwerde eines Soldaten zumindest in den unteren Rängen nicht
akzeptiert würde und die Folgen für den Soldaten eher negativ wären, besteht
schon im Hinblick auf die geringe Anzahl nachgewiesener Fälle wirklicher
Zwangsbeschneidungen und die fehlende Förderung oder zumindest Duldung
durch nicht nur untergeordnete Stellen im türkischen Militär kein genügender
Anhalt für eine asylrechtliche Zurechenbarkeit derartiger Vorfälle (vgl. Hess. VGH,
B. v. 14. Oktober 1987, EZAR 633 Nr. 13; ähnlich auch VGH Baden-Württemberg,
U. v. 23. Juli 1984 - A 13 S 267/84 -, bestätigt durch BVerwG, U. v. 22. April 1986,
BVerwGE 74, 160 = EZAR 202 Nr. 8), geschweige denn für eine unmittelbare
Verantwortlichkeit des türkischen Staats.
bb) Darüber hinaus waren die Christen in der Türkei, insbesondere in der
Südosttürkei in dem hier maßgeblichen Zeitraum auch keiner mittelbaren
staatlichen Kollektivverfolgung in der Weise ausgesetzt, daß sie von anderen
Bevölkerungsgruppen ihrer Religion und ihres christlichen Bekenntnisses wegen
verfolgt wurden und hiergegen staatlichen Schutz nicht erhalten konnten.
In diesem Zusammenhang ist es nicht erforderlich, die Ursachen der oben (unter
II. 2. a) dargestellten Abwanderungsbewegungen aus den ursprünglich
ausschließlich oder zumindest überwiegend christlichen Dörfern nach Mardin und
Midyat und vor allem nach Istanbul und von dort aus ins Ausland im einzelnen zu
ermitteln. Tatsächlich sind die Christen den Anwerbeaktionen der
westeuropäischen Wirtschaft seit Beginn der 60er Jahre wohl dank ihrer besseren
Ausbildung und ihrer größeren Flexibilität eher gefolgt als die in der Südosttürkei
lebenden Kurden und haben dann nach und nach ihre Familien in die
Bundesrepublik Deutschland und andere westeuropäische Länder nachgeholt. Eine
gewisse Rolle mag anfangs auch die allgemein in der Türkei zu beobachtende
Landflucht gespielt haben, die die Einwohnerzahl von Istanbul auf jetzt acht bis
zehn Millionen hat anwachsen lassen (I. 1., S. 111; I. 18., S. 20). Wie bereits oben
(unter II. 2. b aa) festgestellt, haben zudem viele Priester im Zuge der
Gastarbeiterwanderung ihre syrisch-orthodoxen Gemeinden im Tur'Abdin
verlassen und sind gegen den Willen der Kirchenleitung nach Europa und nach
Übersee ausgewandert (I. 49., S. 3), was zusätzlich zu einer Destabilisierung der
gewachsenen Siedlungsstrukturen der Christen in der Südosttürkei beigetragen
hat. Schließlich haben auch die Ereignisse um Zypern, im Libanon und im Iran
sowie allenthalben feststellbare Islamisierungstendenzen zu einer Verhärtung des
Verhältnisses zwischen Christen und muslimischen Kurden im Tur'Abdin
beigetragen.
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Ungeachtet der im einzelnen maßgeblichen Gründe für die
Bevölkerungsbewegungen, die durchaus umstritten sein mögen, wurde aber seit
Mitte der 70er Jahre aus dem Gebiet um Midyat über eine auffällige Zunahme
schwerer Übergriffe der muslimischen Mehrheit (meist Kurden) gegen Christen
berichtet, und zwar über Morde, Mordversuche, Entführungen,
Zwangsbeschneidungen, Viehdiebstähle, Landnahme, Sachbeschädigungen und
Plünderungen (vgl. dazu etwa: Schreiben eines syrisch-orthodoxen Ortsvorstehers
an den türkischen Staatspräsidenten vom März 1976, zitiert in 1. 1., S. 112 f.; 1.
3., S. 46 f.; Schilderungen in der Zeitschrift "Egartho" zitiert in 1. 1., S. 115 f.; 1. 5.,
S. 32 ff. und 106 ff.; 1. 8., S. 5; 1. 14.; 1. 16.; 1. 36., S. 17 ff.). Gleichzeitig wurde
allgemein beanstandet, daß staatliche Stellen, wenn sie um Hilfe angegangen
wurden, entweder überhaupt nicht tätig geworden sind oder aber sogar offen zum
Ausdruck gebracht haben, sie lehnten es ab, Christen Schutz zu gewähren (vgl.
etwa: 1. 4., S. 3, 5; I. 5., S. 34; 1. 15.). Außerdem wurde betont, ähnliche
Gewalttaten Syrisch-Orthodoxer seien, wenn sie vereinzelt vorgekommen seien,
auch verfolgt worden (I. 9., S. 21). Für die zahlreichen Übergriffe gegenüber
syrisch-orthodoxen Christen seien beispielhaft folgende Ereignisse erwähnt:
Raubüberfall auf einen Priester auf der Fahrt zwischen Ado und Midyat Anfang
1978 (I. 1., S. 115); Überfall auf einen Pfarrer in Gölgöze am 30.4.1978, dabei zwei
Verwandte erschossen (1. 1., S. 116); Entführung eines christlichen Mädchens
einen Tag vor der Hochzeit, Anrufung der Gerichte blieb ohne Erfolg (I. 5., S. 34 f.);
Entführung eines 13jährigen Mädchens am 19. Februar 1979 durch drei Kurden,
trotz Gerichtsentscheidung keine polizeilichen Maßnahmen wie Festnahme der
Entführer und Vorführung des Mädchens bei Gericht (1. 5., S. 36; ähnliche Fälle in
1. 11., S. 7, 9); Landwegnahme 1948, vor Gericht erfolgreicher Christ anschließend
ermordet, 1958 Mord an zehn Christen, die ebenfalls gerichtliche Verfahren zur
Wiedererlangung ihres Besitzes angestrengt hatten (1. 5., S. 37 f.); Mord an dem
letzten in Kerburan verbliebenen Christenführer am 29. Oktober 1978 nach
Ermordung und allmählicher Verdrängung der ursprünglich mehrheitlich
christlichen Bevölkerung (I. 3., S. 50; 1. 5., S. 40; vgl. dazu auch 1. 11., S. 5).
Bei der Frage nach den Ursachen für die danach seit Mitte der 60er Jahre vermehrt
feststellbaren Beeinträchtigungen der Christen durch die muslimische Bevölkerung
im Tur'Abdin werden teils die Auswirkungen der Verfolgung weniger schwerwiegend
dargestellt, teils die religionsbezogene Motivation der Verfolger bezweifelt und teils
die Einstellung der staatlichen Stellen zu diesen Maßnahmen der andersgläubigen
Mitbürger nicht so gewertet und eingeschätzt, daß den Christen der erforderliche
staatliche Schutz gegen private Übergriffe ihrer Religion wegen verwehrt wurde. So
bestätigen etwa auch andere als die bereits erwähnten Quellen gewalttätige
Auseinandersetzungen und existenzbedrohende Übergriffe im Südosten der Türkei
(I. 2., S. 2; I. 17.) und die Gefahr administrativer Schikanen sowie die
Schutzlosigkeit gegenüber gesetzlosen Zuständen vor der Machtübernahme
durch das Militär im September 1980 (I. 15.). Andererseits wird aber darauf
hingewiesen, daß unter schwierigen Lebensverhältnissen und der gesetzlosen
Lage vor September 1980 auch die übrige Bevölkerung zu leiden gehabt habe, die
Abwanderung aus dem Tur'Abdin vorwiegend wirtschaftliche und soziale Gründe
habe und die Wanderungsbewegung bei den Christen nicht stärker sei als bei der
übrigen Bevölkerung (vgl. vor allem I. 18., S. 23 ff., 31. ff.). Während das
Auswärtige Amt als Ursachen für die Abwanderung neben religiösen Spannungen
sowohl wirtschaftliche Schwierigkeiten als auch die in Gewalttätigkeiten
ausufernden Streitigkeiten aus sprachlichen, sozialen und ethnischen Motiven
nennt, räumt es doch gleichzeitig ein, Christen hätten teilweise
existenzbedrohende Benachteiligungen erlitten und seien gewalttätigen
Übergriffen ausgesetzt gewesen, gegen die ausreichender staatlicher Schutz
besonders in schwer zugänglichen ländlichen Gebieten häufig nicht habe gewährt
werden können, so daß praktisch die christliche Minderheit oftmals gewalttätigen
Übergriffen schutzlos preisgegeben gewesen sei (I. 2., S. 2). Wenn Wiskandt
bezweifelt, daß Christen aus dem Tur'Abdin in wesentlich größerem Ausmaß als
Kurden abgewandert sind (I. 18., S. 23 ff., besonders S. 28), so fällt auf, daß er die
Anzahl der in der Provinz Mardin lebenden Syrisch-Orthodoxen aus einer offiziellen
Einwohnerstatistik und eigenen Berechnungen ableitet, während die oben (unter
11. 2. a) erwähnten Zahlenangaben anderer Autoren zwar vorwiegend auf
Schätzungen beruhen, aber insgesamt zutreffender erscheinen, weil dort der
Bevölkerungsrückgang bei den Christen zum größten Teil durch die Nennung von
Ortsnamen und exakten Einwohnerzahlen belegt ist. Es mag zutreffen, daß die
historischen Fakten in den epd-Dokumentationen (1. 5. und 1. 36.) nicht immer
neutral dargestellt sind und die religiösen Bezüge dort ebenso einseitig in den
Vordergrund gestellt werden wie von Yonan (1. 1.) der Prozeß der Entwicklung einer
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Vordergrund gestellt werden wie von Yonan (1. 1.) der Prozeß der Entwicklung einer
assyrischen Nation. Abgesehen aber davon, daß Wiskandt seine Befragungen
offenbar ohne die in solchen Situationen wichtige Vertrauensbasis zu den
befragten Personen und ohne Bekanntgabe seines Auftrags durchgeführt hat, ist
in seinem Gutachten an zahlreichen Stellen nachzuweisen, daß seine
Ausführungen nicht völlig frei sind von Vorverständnissen und festliegenden
persönlichen Positionen, die die Beantwortung der ihm gestellten Fragen teilweise
beeinflußt haben könnten (vgl. dazu im einzelnen 1. 23., 1. 24., 1. 25.). So wirft er
der ersten epd-Dokumentation offen bewußte Zahlenmanipulation vor (S. 27, 29),
polemisiert gegen die "hiesige Lobby der Sürjannis" (S. 65) und beschreibt die
"Erfolge" der Militärregierung ohne jede Einschränkung (S. 20 ff.), obwohl
Vorbehalte gegen die Politik der Militärregierung angesichts zahlreicher Proteste
gegen Menschenrechtsverletzungen in der Türkei zumindest erwähnenswert
gewesen wären.
Nach alledem vermag der Senat nicht festzustellen, daß die Christen in der Türkei
- und zwar auch im Tur'Abdin - in ihrer Gesamtheit im Zeitraum von etwa 1973 bis
etwa 1980 in der Weise mittelbar aus religiösen Gründen verfolgt worden sind, daß
sie als Angehörige der christlichen Minderheit gewalttätigen Übergriffen mit
Gefahren für Leib und Leben und die persönliche Freiheit durch die muslimische
Bevölkerung ausgesetzt waren und der türkische Staat diese
Verfolgungsmaßnahmen entweder gebilligt oder zumindest tatenlos
hingenommen und damit den Christen den erforderlichen staatlichen Schutz
versagt hat. Die dargelegten Verhältnisse stellen sich allerdings so dar, daß in
zahlreichen Einzelfällen tatsächlich syrisch-orthodoxe Bewohner des Tur'Abdin von
muslimischen Mitbürgern umgebracht, verletzt, entführt oder beraubt worden sind,
ohne daß die zuständigen staatlichen Behörden hiergegen eingeschritten sind,
obwohl ihnen dies möglich gewesen wäre (vgl. z.B. die Fälle in den vom 10. Senat
des Hess. VGH entschiedenen Verfahren X OE 847/81 und X OE 1131/81).
Wenn das Verwaltungsgericht demgegenüber in dem angegriffenen Urteil
angenommen hat, die Kläger seien von einer mittelbaren Gruppenverfolgung aller
Syrisch-Orthodoxen in der Türkei betroffen worden, die allerdings nach dem
Militärputsch vom September 1980 nicht mehr andauere, dann beruht dies auf
einer nicht gerechtfertigten Auswertung des Inhalts der in diesem Urteil zitierten
Gerichtsentscheidungen und Erkenntnisquellen. So beruft sich das
Verwaltungsgericht zu Unrecht zum Nachweis dafür, daß die Syrisch-Orthodoxen
zumindest vor September 1980 im Tur'Abdin wegen ihres Glaubens verfolgt
worden seien, u.a. auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 2. August
1983 - 9 C 599.81 - (BVerwGE 67, 314 = EZAR 203 Nr. 1). In dieser Entscheidung
mußte das Bundesverwaltungsgericht wie auch in anderen Verfahren aufgrund
seiner Bindung an Tatsachenfeststellungen in dem zugrundeliegenden Urteil des
Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (vgl. § 137 Abs. 2 VwGO) davon ausgehen,
daß existenzbedrohende Benachteiligungen und gewalttätige Übergriffe um das
Jahr 1976 so zugenommen hatten, daß die Auswanderung der Christen aus dieser
Region zunehmend Fluchtcharakter annahm und ihre Zahl von ursprünglich 70.000
auf einen Bruchteil dessen absank und daß die Sachwalter des türkischen Staats
das Vorgehen der Muslime aufgrund der weitgehend von feudalen Stammes- und
Religionsführern bestimmten Machtstrukturen in der Region nicht oder völlig
unzureichend ahndeten. Wenn das Revisionsgericht daraufhin ausgeführt hat, das
Berufungsgericht habe diesen Sachverhalt zu Recht dahin gewürdigt, daß zu der in
dem dortigen Verfahren maßgeblichen Zeit die syrisch-orthodoxen Christen in
einer dem türkischen Staat zuzurechnenden Weise als Gruppe asylrechtlich
verfolgt worden sind, dann bedeutete dies nicht, daß diese Frage seitdem
letztverbindlich entschieden war. Deshalb blieb auch die Revision eines syrisch-
orthodoxen Christen erfolglos, in dessen Verfahren der 10. Senat des Hessischen
Verwaltungsgerichtshofs eine dem türkischen Staat zurechenbare allgemeine
Gruppenverfolgung syrisch-orthodoxer Christen im Tur'Abdin verneint hatte (U. v.
27. Mai 1982 - X OE 727/81 -); das Bundesverwaltungsgericht hat dazu
ausdrücklich ausgeführt, ein Asylbewerber könne tatsächliche Feststellungen der
Tatsachengerichte zur Gruppenverfolgung im Revisionsverfahren nicht erfolgreich
damit angreifen, daß andere Tatsachengerichte dieselbe Situation anders
beurteilten (BVerwG, U. v. 8. Mai 1984, EZAR 630 Nr. 13 = NVwZ 1985, 36).
Dieselben Überlegungen gelten im übrigen für die Frage, ob politisch motivierte
Übergriffe von Vorgesetzten und Kameraden auf syrisch-orthodoxe Wehrpflichtige
in der Türkei asylerheblich sind oder zumindest als Indiz für eine Kollektivverfolgung
gewertet werden können. Insoweit hat das Bundesverwaltungsgericht zwar
aufgrund entsprechender bindender Tatsachenfeststellungen des
Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg entschieden, daß derartige
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Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg entschieden, daß derartige
Übergriffe dem türkischen Staat nicht zuzurechnen sind, weil die Militärführung
eine religiös motivierte Verfolgung von Christen in der Armee nicht nur mißbilligt,
sondern auch nach Kräften zu verhindern trachtet (BVerwG, U. v. 22. April 1986,
BVerwGE 74, 160 = EZAR 202 Nr. 8); damit ist aber noch nicht ausgeschlossen,
daß ein Gericht aufgrund anderer tatsächlicher Erkenntnisse zu anderen
Schlußfolgerungen gelangt. Schließlich gibt es auch keine verbindliche
Revisionsentscheidung über die asylrechtliche Bedeutung der Pflicht christlicher
Schüler zur Teilnahme am staatlichen Religionsunterricht in der Türkei. Insoweit hat
das Bundesverwaltungsgericht anläßlich der Zurückweisung einer
Nichtzulassungsbeschwerde ausgeführt, die Pflicht zur Teilnahme am islamischen
Religionsunterricht in staatlichen Schulen der Türkei stelle für Angehörige anderer
Religionsgemeinschaften für sich allein keine asylerhebliche Beeinträchtigung der
Religionsausübung dar (BVerwG, B. v. 14. Mai 1987, EZAR 202 Nr. 9 = DVBl. 1987,
1113). Es können durchaus Bedenken bestehen gegen die Meinung, es sei
offensichtlich, daß durch die "bloße Teilnahmepflicht am islamischen
Religionsunterricht" das religiöse Existenzminimum unberührt bleibe, und die
Pflicht zur Teilnahme am islamischen Religionsunterricht könne keinesfalls mit der
Pflicht, sich zum Islam zu bekennen, gleichgesetzt werden. Zudem ist zu
berücksichtigen, daß die Verpflichtung zur Teilnahme an diesem
Religionsunterricht in tatsächlicher Hinsicht bereits differenzierter gesehen werden
muß, als dies das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen in dem der
Beschwerdeentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zugrundeliegenden
Urteil angenommen hat, und gerade nicht die Pflicht zum Erlernen islamischer
Gebete und islamischer Glaubenssätze mitumfaßt (vgl. dazu oben
S. 23 ff.).
3. Es kann auch nicht festgestellt werden, daß die Kläger persönlich bereits vor
ihrer Ausreise aus der Türkei in ihrem Heimatdorf (a) oder in Istanbul (b) von
religiös motivierten Übergriffen muslimischer Mitbürger betroffen waren und
dagegen staatlichen Schutz nicht in Anspruch nehmen konnten. Ebensowenig
kann angenommen werden, daß die Kläger damals schon in ihrer persönlichen
Freiheit oder in ihrer körperlichen Unversehrtheit oder in ihrer Religionsfreiheit
beeinträchtigt oder bereits so konkret bedroht waren, daß ein asylrelevanter
Eingriff unmittelbar bevorstand, und sie deshalb als vorverfolgt anzusehen sind.
Die Angaben der Kläger zu ihrem Lebensschicksal und zu den Gründen und
Umständen ihrer Ausreise aus der Türkei sind allerdings im wesentlichen
glaubhaft.
a) Danach steht fest, daß die Kläger zu 1) und 2) in dem Dorf ... (türkisch: ... )
geboren sind; dies wird auch durch die in den Akten befindlichen Kopien von
Personalpapieren bestätigt. Hinsichtlich der Geburtsorte der Kläger zu 3) bis 5)
fehlt es an amtlichen Verlautbarungen; jedoch haben die Kläger zu 1) und 2)
ausweislich der Niederschrift vom 21. Februar 1980 bei der Ausländerbehörde
angegeben, die Klägerinnen zu 3) und 5) seien in Istanbul und der Kläger zu 4) sei
in ... geboren. Diese Angaben hat der Kläger zu 1) bei seiner Vernehmung durch
den Berichterstatter des Senats am 10. Juni 1988 bestätigt und auf Nachfrage
dahingehend erläutert, daß die Familie bereits Ende 1972 oder Anfang 1973 nach
Istanbul gezogen und die Geburt des Klägers zu 4) in ... darauf zurückzuführen sei,
daß sich die Klägerin zu 2) seinerzeit ca. sechs Monate pro Jahr im Heimatdorf
aufgehalten habe. Demgegenüber hat die Klägerin zu 2) bei ihrer Vernehmung
bekundet, sie glaube, daß die Klägerin zu 3) noch in ... geboren sei und daß die
Familie erst 1975, als der Kläger zu 1) in Istanbul eine Arbeit aufgenommen habe,
dorthin übergesiedelt sei. Allerdings hat die Klägerin zu 2) deutlich gemacht, daß
sie sich erst nach ihrer Einreise in die Bundesrepublik Deutschland mit Zahlen
vertraut zu machen begonnen habe und daher genaue Zeitangaben nicht machen
könne. Der Senat kann deshalb zweifelsfrei nur feststellen, daß die Kläger zu 3)
und 4) entweder noch in ... oder schon in Istanbul geboren sind, während für die
Klägerin zu 5) - auch aufgrund der bei der Bundesamtsakte (Bl. 36) befindlichen
Nüfuskopie - Istanbul als Geburtsort feststeht.
Der Senat geht ferner davon aus, daß in dem etwa 20 Autominuten östlich von ...
gelegenen Dorf ... Anfang der 70er Jahre etwa 250 bis 500 Familien gewohnt
haben, von denen etwa die Hälfte christlicher Konfession waren. Dies entnimmt
der Senat aus einer Gesamtschau der Bekundungen der Kläger zu 1) und 2) bei
ihrer Vernehmung am 10. Juni 1988 sowie der Angaben des Bruders ... des Klägers
zu 1) in dessen Asylverfahren, insbesondere in der mündlichen Verhandlung vor
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zu 1) in dessen Asylverfahren, insbesondere in der mündlichen Verhandlung vor
dem Verwaltungsgericht am 17. Mai 1982 und bei der Vernehmung durch die
Berichterstatterin des Senats am 23. März 1988. Der Bruder ... des Klägers zu 1)
hat darüber hinaus bekundet, daß es in ... eine christliche Kirche gegeben habe,
die neben der örtlichen Moschee lag. Damit lassen sich auch die Angaben in der
Aufstellung von Dörfern mit assyrischer Bevölkerung im Tur'Abdin bei Yonan (I. 1.,
S. 118) in Einklang bringen; zwar ist dort nur ein Dorf ... mit 100 bis 120
christlichen Familien und der Kirche "..." erwähnt; hierbei kann es sich aber den
Bekundungen des hiernach am 10. Juni 1988 befragten Klägers zu 1) zufolge
durchaus um das hier fragliche Dorf, dessen Name dialektbedingt unterschiedlich
ausgesprochen werden mag, handeln. Gegenwärtig leben nach den glaubhaften
Bekundungen des Klägers zu 1) und seines Bruders ... noch zwischen 4 und 30
christliche Familien in ... .
Nahe Verwandte der Kläger wohnen nicht mehr dort; ihre noch nicht verstorbenen
Elternteile und sämtliche Geschwister haben das Dorf verlassen und leben - mit
Ausnahme des noch in Istanbul wohnenden Bruders ... des Klägers zu 1) - in der
Bundesrepublik Deutschland und in Schweden.
Die Gründe, weswegen die Kläger zu 1) und 2) - sowie möglicherweise auch die
Kläger zu 3) und 4) -, ihre Verwandten und die Mehrzahl der übrigen Christen ...
nach und nach verlassen haben, erscheinen vielgestaltig, rechtfertigen aber nicht
die Annahme, die Kläger seien dort in asylrechtlich erheblicher Weise verfolgt
worden. Wenn die Kläger in ihrem Asylantrag vom 9. November 1979 haben
vortragen lassen und der Kläger zu 1) in der mündlichen Verhandlung vor dem
Verwaltungsgericht am 12. September 1985 erklärt hat, sie seien in ... ständig von
Muslimen überfallen, ihr Vieh sei geraubt oder erschlagen, die Ernte gestohlen und
die Felder bzw. Weinberge verwüstet worden, so kann dies sowohl auf
wirtschaftliche als auch auf religiöse Gründe zurückgeführt werden. Die Angaben
sind überdies zu pauschal und unsubstantiiert, als daß ihnen - auch hinsichtlich der
Intensität der Übergriffe - asylrechtliche Bedeutung beigemessen werden könnte.
Auch sind die Kläger zu 1) und 2) bei ihrer Vernehmung durch den Berichterstatter
des Senats hierauf nicht mehr im einzelnen zurückgekommen; der Kläger zu 1)
hat lediglich ausgeführt, sie seien in ... als "Gavur" (d.h. Ungläubige) beschimpft
und in Schlägereien verwickelt worden, von denen sich noch heute Spuren an
seinem Kopf befänden. Daß und in welchem Umfang der Versuch unternommen
worden sei, gegen die geschilderten Übergriffe damals staatlichen Schutz in
Anspruch zu nehmen, haben die Kläger ebenfalls nicht vorgetragen. Soweit im
Asylantrag, vor dem Verwaltungsgericht und in der Vernehmung durch den
Berichterstatter des Senats erwähnt wurde, daß sowohl ein Onkel väterlicherseits
als auch ein Onkel mütterlicherseits des Klägers zu 1) vor Jahren von Muslimen
getötet worden seien, liegen diese Vorfälle weit zurück - sie geschahen etwa
zwischen 1968 und 1974 -, lassen eine ihnen zugrundeliegende religiöse
Motivation nicht sicher erkennen und insbesondere keinen zuverlässigen
Rückschluß dahingehend zu, daß etwa den mit ihnen nur in der Seitenlinie
verwandten bzw. verschwägerten Klägern ein ähnliches Schicksal unmittelbar
bevorstand. Davon abgesehen wurden die Umstände des Todes des zuletzt
umgekommenen Onkels mütterlicherseits im Asylantrag anders dargestellt als bei
der Vernehmung des Klägers zu 1) am 10. Juni 1988, wofür dieser eine in jeder
Hinsicht plausible Erklärung nicht zu geben vermochte. Schließlich ist nicht
dargetan, daß der Tod der beiden Onkel des Klägers staatlicherseits ungeahndet
geblieben ist. Es bestehen auch keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, daß die
muslimischen Einwohner von ... und den umliegenden ebenfalls überwiegend von
Muslimen bewohnten Dörfern - die nächsten christlichen Dörfer ... und ... lagen ca.
eine bzw. drei Stunden Fußmarsch entfernt - sich die zwangsweise Bekehrung der
christlichen Einwohner des Dorfes ... zum Ziel gesetzt hatten. Eine Erklärung dafür,
daß die Mehrzahl der christlichen Familien den Ort zwischenzeitlich verlassen hat,
kann vielmehr ebensogut darin gefunden werden, daß es sich bei den früheren
Übergriffen um gewöhnliche Straftaten handelte und die Täter es in der
Hauptsache auf den Besitz der Christen, insbesondere auf ihre Viehherden und ihr
Erntegut sowie unter Umständen auch auf ihre Felder und Weinberge abgesehen
hatten. Die Vorfälle, die die Bewohner von ... zur allmählichen Abwanderung
bewogen haben, stehen demnach zwar in Beziehung zu ihrer
Religionszugehörigkeit und zu ihrer Eigenschaft als Bewohner eines teilweise
christlichen Dorfes in einer mehrheitlich muslimischen Umgebung. Sie erlauben
damit aber noch nicht - weder für sich genommen noch im Zusammenhang
gesehen - den Schluß, daß diejenigen von den fünf Kläger, die seinerzeit ihr
Heimatdorf verließen - also nicht in Istanbul geboren sind -, zu den Christen
gehörten, in deren Person sich der oben beschriebene Zustand einer latenten
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gehörten, in deren Person sich der oben beschriebene Zustand einer latenten
allgemeinen Gefährdung und Verdrängung der Christen aus der Osttürkei zu einer
individuellen Verfolgung oder unmittelbaren Verfolgungsgefahr verdichtet hatte.
b) Die Kläger sind nach Überzeugung des Senats auch in Istanbul, wo sie sich -
soweit sie nicht später geboren sind - frühestens seit Ende 1972 und spätestens
seit Mitte 1975 weit überwiegend aufgehalten haben, nicht in asylrechtlich
erheblicher Weise verfolgt worden.
Soweit die Kläger angegeben haben, sie seien von Nachbarn ständig beschimpft,
bedroht und oftmals geschlagen worden, und es sei für sie völlig ausgeschlossen
gewesen, ein Kreuz offen zu tragen, sind diese Schilderungen zu unsubstantiiert
und pauschal, um die Feststellung asylrechtlicher Erheblichkeit zu ermöglichen.
Hierzu fehlt es nicht nur an einer konkreten Darlegung der einzelnen Umstände,
die eine örtliche und zeitliche Einordnung sowie eine Aussage zu einer
möglicherweise zugrundeliegenden politischen Motivation erst erlauben würden,
sondern vor allem auch an einer näheren Beschreibung der Intensität der
angeblich erlittenen Schläge und an einer Bezeichnung des- bzw. derjenigen der
fünf Kläger, die jeweils im Einzelfall geschlagen worden sein sollen. Wenn die Kläger
tatsächlich gehindert gewesen sein sollten, ein Kreuz offen zu tragen, so war
jedenfalls nicht das religiöse Existenzminimum betroffen, vor dessen
Beeinträchtigung Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG allein schützt. Die Angaben des Klägers
zu 1), er habe sich in Istanbul mehrmals an die Polizei gewandt, diese habe ihm
aber keine Hilfe zukommen lassen, genügen überdies für eine asylrechtliche
Zurechnung zum türkischen Staat nicht. Denn das nicht näher substantiierte
Vorbringen des Klägers zu 1) läßt objektiv die Annahme zu, daß er die Täter nicht
namhaft machen konnte oder jedenfalls nicht namhaft gemacht hat und daß die
Polizei nur deshalb nicht tätig geworden ist, mag der Kläger zu 1) das
Untätigbleiben subjektiv auch auf seine Religionszugehörigkeit zurückgeführt
haben.
Soweit der Kläger zu 1) im Asylantrag pauschal hat vortragen lassen, er sei von
seinen Arbeitskollegen beschimpft, bedroht und auch geschlagen worden, hat er
diese Angaben in späteren Verfahrensstadien dahingehend modifiziert und
konkretisiert, daß sich einer seiner beiden Arbeitgeber, der muslimischen
Glaubens gewesen sei, mit ihm habe prügeln wollen (so bei der Anhörung im
Rahmen der Vorprüfung am 28. Januar 1981) bzw. etwa einmal pro Woche mit ihm
tätlich auseinandergesetzt habe (so bei der Vernehmung durch den
Berichterstatter des Senats am 10. Juni 1988). Abgesehen davon, daß eine
politische Motivation nicht ohne weiteres ersichtlich ist und der Kläger zu Hilfe
nachgesucht zu haben, hatte er gute Beziehungen zu seinem zweiten Arbeitgeber,
mag dieser nun Rumäne - wie in der Vorprüfungsniederschrift aufgenommen -
oder - wofür mehr spricht - rum-orthodoxer Christ türkischer Staatsangehörigkeit
gewesen sein, und deshalb war der Kläger zu 1) auch bis zu seiner Ausreise in
ungekündigter Stellung in der betreffenden Firma beschäftigt, in der ca. 100
Moslems und ca. 15 Christen arbeiteten. Konkrete Anhaltspunkte dafür, daß er -
wie er bei seiner Vernehmung am 10. Juni 1988 erstmals behauptet hat - mit
seiner Kündigung habe rechnen müssen, hat der Kläger zu 1) selbst auf Nachfrage
nicht zu nennen vermocht.
Soweit schließlich die Klägerin zu 2) im Sommer 1977 von Muslimen schwer
mißhandelt worden sein will, die in Abwesenheit des Klägers zu 1) gewaltsam in die
Wohnung der Kläger eingedrungen sein sollen, vermag der Senat eine
asylerhebliche Verfolgung ebenfalls nicht festzustellen. Allerdings mag der Klägerin
zu 2) geglaubt werden können, daß sich ein derartiger Vorfall tatsächlich
abgespielt hat, wenngleich die Angaben hinsichtlich der erlittenen Verletzungen
nicht in jeder Hinsicht stimmig sind. Hatte nämlich der Kläger zu 1) anläßlich der
Vorprüfungsanhörung am 28. Januar 1981 noch von schwersten Knochenbrüchen
gesprochen, so war in einem späteren anwaltlichen Schriftsatz vom 10. Februar
1983 von einer Armverletzung und vor dem Verwaltungsgericht am 12. September
1985 und bei der Vernehmung durch den Berichterstatter des Senats am 10. Juni
1988 dann von beidem die Rede. Unzutreffend erscheinen dem Senat jedenfalls
die vom Kläger zu 1) bei der Vorprüfung bzw. vor dem Verwaltungsgericht
aufgestellten Behauptungen, die Klägerin zu 2) leide noch immer an den Folgen
der damaligen Mißhandlungen und habe deswegen in der Bundesrepublik
Deutschland - also frühestens zwei Jahre nach dem Überfall - noch operiert werden
müssen, sowie die Angaben der Kläger zu 1) und 2) bei ihrer Vernehmung am 10.
Juni 1988, die Klägerin zu 2) bekomme wegen des damaligen Vorfalls noch heute
Spritzen. Denn aus den zur Glaubhaftmachung dieses Vorbringens auf
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Spritzen. Denn aus den zur Glaubhaftmachung dieses Vorbringens auf
Anforderung des Berichterstatters des Senats vorgelegten ärztlichen Attesten
bzw. Arztbriefen ergibt sich hierfür keinerlei Anhalt; vielmehr geht aus den beiden
Attesten des Arztes für Innere Medizin Dr. W. in Gießen vom 18. Juni 1984 und vom
25. Mai 1988 lediglich hervor, daß die Klägerin zu 2) an rheumatischen
Beschwerden und an einer Knochenerkrankung (nämlich an Osteomalazie, d.h. an
einem Mineralstoffmangel im Eiweißknochengrundgerüst, vgl. Pschyrembel,
Klinisches Wörterbuch, 255. Aufl. 1986, S. 1222) leidet, ferner daß die Klägerin zu
2) sich wegen am 6. Oktober 1985 ihren Angaben zufolge von ihrem Hausmeister
bzw. von zwei Männern ihr zugefügten Schlägen in ärztliche Behandlung begeben
hat, wobei ausweislich der Arztbriefe der Klinik für Allgemeinchirurgie des Klinikums
der Justus-Liebig-Universität Gießen vom 9. Oktober 1985 und der Ärzte für
Neurologie und Psychiatrie Dres. G. und W. vom 24. Januar 1986 multiple
Prellungen (insbesondere eine Bauchprellung) und ein leichtes Schleudertrauma
der Halswirbelsäule diagnostiziert wurden. Muß demnach davon ausgegangen
werden, daß die Kläger zu 1) und 2) die im Sommer 1977 erlittenen Verletzungen
der Klägerin zu 2) mindestens in ihren angeblichen Spätfolgen ganz offensichtlich
aufgebauscht haben, so läßt sich anhand ihrer Bekundungen auch nicht zur
Überzeugung des Senats feststellen, daß den seinerzeitigen Mißhandlungen eine
asylrelevante Motivation zugrundegelegen hat, die dem türkischen Staat
zugerechnet werden kann. Insbesondere fehlt es an überzeugenden
Anhaltspunkten dafür, daß die Muslime damals tatsächlich religiöse Motive
verfolgten. Allein der Umstand, daß die Kläger subjektiv diese Vorstellung gehabt
haben mögen, reicht insoweit nicht aus. Vor allem erscheinen dem Senat die
Bekundungen der Klägerin zu 2) bei ihrer Vernehmung durch den Berichterstatter
des Senats am 10. Juni 1988 zweifelhaft, die Muslime hätten ihre Übergriffe
ausdrücklich damit gerechtfertigt, daß die Klägerin zu 2) Christin sei und aus der
Provinz ... stamme, denn erstens war davon im bisherigen Verlauf des sich
immerhin nun schon mehr als acht Jahre hinziehenden Asylverfahrens nie die
Rede, und zweitens beherrscht die Klägerin zu 2) ihren Angaben und denen des
Klägers zu 1) zufolge nur Aramäisch und (etwas) Kurdisch, versteht hingegen kein
Türkisch, so daß ihre auf Nachfrage erfolgte Erklärung, sie habe die betreffenden
Äußerungen der Muslime "sozusagen stichwortartig verstanden", kaum glaubhaft
ist. Indessen bedarf dies keiner abschließenden Würdigung denn selbst wenn das
Verhalten der Muslime politisch motiviert gewesen wäre, könnte es dem türkischen
Staat auf der Grundlage des klägerischen Vorbringens nicht zugerechnet werden.
Denn der Kläger zu 1) hat weder bei der erstmaligen Erwähnung des Vorfalls
anläßlich der Vorprüfungsanhörung noch zu einem späteren Zeitpunkt
vorgetragen, daß er der Polizei bei der Anzeigeerstattung die Namen der Täter
mitgeteilt hat, obwohl es sich ausweislich der Bekundungen der Klägerin zu 2) bei
ihrer Vernehmung am 10. Juni 1988 um Leute aus der Nachbarschaft handelte, die
sie kannte. Unter diesen Umständen kann aber die Untätigkeit der Polizei in
diesem Fall auch darauf zurückzuführen sein, daß Ansatzpunkte für
erfolgversprechende Ermittlungen fehlten. Eine asylrelevante Beeinträchtigung der
Klägerin zu 2) vermag der Senat auch nicht darin zu erblicken, daß sie im Anschluß
an den bedauerlichen Überfall nicht sogleich im nächsten Krankenhaus ärztlich
versorgt wurde. Zwar bestehen keine Zweifel an den insoweit übereinstimmenden
Angaben der Kläger zu 1) und 2), daß die Klägerin zu 2) in keinem Krankenhaus
stationär aufgenommen, sondern daß sie lediglich - und zwar frühestens im
zweiten angegangenen Krankenhaus - ambulant behandelt wurde. Indessen ist
nicht feststellbar, daß hierfür die Religionszugehörigkeit der Klägerin zu 2)
ausschlaggebend war, wie diese zunächst verlautbart hat. Denn der Kläger zu 1)
hat sowohl bei der Vorprüfungsanhörung als auch bei seiner Vernehmung am 10.
Juni 1988 bekundet, eine Operation der Klägerin sei mit der Begründung abgelehnt
worden, daß diese zu riskant sei, und die Klägerin hat auf Nachfrage letztlich
erklärt - und dies erscheint dem Senat vor allem wegen der mangelnden
türkischen Sprachkenntnisse der Klägerin zu 2) auch allein als wahrscheinlich -, die
Gespräche in den Krankenhäusern habe seinerzeit der Kläger zu 1) geführt.
Was die Kläger zu 3) bis 5) angeht, so war zunächst vorgetragen, sie seien von
Nachbarn - insbesondere von muslimischen Kindern - beleidigt, beschimpft und
geschlagen worden. Diese Angaben hat der Kläger zu 1) auf Vorhalt des
damaligen Alters der Kläger zu 3) bis 5) bei seiner Vernehmung am 10. Juni 1988
dahingehend eingeschränkt, daß nur der Klägerin zu 3) derartiges widerfahren sei,
während die Kläger zu 4) und 5) seinerzeit noch nicht allein auf die Straße
gegangen seien. Indessen reicht dieses pauschale und unsubstantiierte
Vorbringen nicht aus, um - nach Intensität, Motivation und Zurechenbarkeit -
politische Verfolgung der Klägerin zu 3) annehmen zu können.
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4. Waren demnach die Kläger vor ihrer Ausreise aus der Türkei nicht politisch
verfolgt und legt man demzufolge den "normalen" Wahrscheinlichkeitsmaßstab an
(vgl. BVerwG, B. v. 31. März 1981, EZAR 200 Nr. 3 = DVBl. 1981, 1096, Ue. v. 25.
September 1984, BVerwGE 70, 169 = EZAR 200 Nr. 12 u. v. 3. Dezember 1985,
EZAR 202 Nr. 6 = NVwZ 1986, 760), so kann auch nicht festgestellt werden, daß
ihnen bei einer Rückkehr im jetzigen Zeitpunkt als Angehörigen einer kollektiv
verfolgten Gruppe politische Verfolgungsmaßnahmen drohen.
Für die Frage, ob die Kläger bei einer Rückkehr in die Türkei politisch motivierte
Verfolgungsmaßnahmen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten haben,
ist zu unterstellen, daß die Kläger jeweils allein dorthin zurückkehren. Insoweit kann
nur fiktiv auf eine Rückkehr und außerdem auf die tatsächlichen Umstände im
Zeitpunkt der Prognose und in einer absehbaren Zeit danach abgestellt werden
und nicht darauf, ob die Kläger aus asylverfahrensunabhängigen Gründen zum
weiteren Verbleib im Bundesgebiet berechtigt sind und ob etwa einer ihrer
Verwandten dazu bereit oder familienrechtlich verpflichtet wäre, ihnen bei einer
Rückkehr in die Heimat zu folgen. Ebensowenig wie ihnen ein
Rechtsschutzbedürfnis an der Weiterverfolgung ihrer Asylklagen mit dem Hinweis
auf die Asylanerkennung von Verwandten abgesprochen werden kann (vgl.
BVerwG, U. v. 13. Januar 1987, EZAR 204 Nr. 3; Hess. VGH, st. Rspr., vgl. etwa U.
v. 13. November 1986 - 10 OE 108/83 m.w.N.), kann umgekehrt bei der
Verfolgungsprognose auf die Schutz- und Aufnahmebereitschaft von Verwandten
abgestellt werden, die sich im Entscheidungszeitpunkt außerhalb des
gemeinsamen Heimatstaats aufhalten und nicht bereit sind, dorthin
zurückzukehren.
Die Gefahr einer Gruppenverfolgung Syrisch-Orthodoxer in der Türkei vermag der
Senat auch für die Zukunft nicht festzustellen. Wie schon oben (unter II. 2. b)
ausgeführt, hatten die syrisch-orthodoxen Christen bis zur Ausreise der Kläger aus
der Türkei allgemein in der Türkei und insbesondere auch in Istanbul eine derartige
politische Verfolgung nicht zu befürchten. Inzwischen hat sich die Sicherheitslage
nach der Machtübernahme durch die Militärs im September 1980 allgemein
erheblich verbessert, und dies hat sich nach allgemeiner Einschätzung auch
zugunsten der syrisch-orthodoxen Christen in Istanbul wie in anderen Landesteilen
ausgewirkt (vgl. dazu etwa: I. 18., S. 34; I. 21.; I. 26.; I. 29.; I. 30.; I. 37.; I. 39.; I.
41.). Das Auswärtige Amt hat dazu nach eingehenden Gesprächen mit syrisch-
orthodoxen Geistlichen unter Bezugnahme auf einen deutschsprachigen Bericht in
dem Organ der Erzdiözese der syrisch-orthodoxen Kirche von Antiochien in Europa
vom Dezember 1982/Januar 1983 einen zunehmenden staatlichen Schutz für die
syrisch-orthodoxen Christen nach der Machtübernahme durch die Militärs
festgestellt (I. 37.). Die Evangelische Gemeinde deutscher Sprache in der Türkei
berichtet davon, daß von der Geistlichkeit und von einzelnen Gemeindemitgliedern
immer wieder festgestellt werde, daß sich die Verhältnisse nach dem 12.
September 1980 gebessert hätten (I. 26.). Die Sürjanni Kadim berichtet, ihre
Mitglieder befänden sich wie jeder anderer türkische Bürger nach dem 12.
September 1980 "in Ruhe und in Sicherheit" (I. 29.). Nach Auskunft der
Sachverständigen Dr. Harb-Anschütz hat sich nach dem 12. September 1980
auch in Istanbul die Lage der syrisch-orthodoxen Christen wesentlich verbessert (I.
30.). Zu demselben Ergebnis gelangten die Teilnehmer einer von der
Evangelischen Akademie Bad Boll im Mai 1983 veranstalteten Studienfahrt in die
Türkei (I. 34., S. 7, 18.). Soweit - wie vom Verwaltungsgericht in dem
angefochtenen Urteil - eine Verbesserung der Sicherheitslage mit den
entsprechenden Auswirkungen auf die Situation der Syrisch-Orthodoxen in Istanbul
bezweifelt wird (I. 36., S. 17 ff.), fehlt es an konkreten Hinweisen darauf, daß sich
tatsächlich entgegen der allgemeinen Lebenserfahrung die in der Türkei in den
letzten Jahren zu beobachtende Verbesserung der Sicherheitslage nicht auch
zugunsten der christlichen Bevölkerung ausgewirkt haben könnte (so auch: Bay.
VGH, U. v. 29. November 1985 - 11 B 85 C 35 -; VGH Baden-Württemberg, U. v.
20. Juni 1985 - A 13 S 221/84 -, bestätigt durch BVerwG, U. v. 16. Oktober 1986 - 9
C 320.85 -; VGH Baden-Württemberg, U. v. 9. Februar 1987 - A 13 S 709/86 -;
OVG Bremen, Ue. v. 14. April 1987 - 2 BA 28/85 u. 32/85 -; OVG Hamburg, U. v.
10. Juni 1987 - Bf V 21/86 -; OVG Nordrhein-Westfalen, U. v. 19. Februar 1987 - 18
A 10315/86 -; Hess. VGH, Ue. v. 30. August 1984 - X OE 306/82 - u. v. 22. Februar
1988 - 12 UE 1071/84, 1587/84 u. 2585/85 -, v. 16. Mai 1988 - 12 UE 2571/88 -, v.
30. Mai 1988 - 12 UE 2500/85 u. 2514/85 - sowie v. 13. Juni 1988 - 12 OE 94/83 -;
a.A. OVG Rheinland-Pfalz, U. v. 10. Dezember 1986 - 11 A 131/86 -, aufgehoben
durch BVerwG, U. v. 6. Oktober 1987, EZAR 203 Nr. 4 = InfAuslR 1988, 57). Die
demgegenüber in dem angegriffenen Urteil geäußerten Zweifel an der
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demgegenüber in dem angegriffenen Urteil geäußerten Zweifel an der
Dauerhaftigkeit der nach dem Militärputsch erreichten Stabilisierung der
Sicherheitslage haben sich nicht bewahrheitet. Das Oberverwaltungsgericht
Nordrhein-Westfalen, auf dessen Urteil vom 23. April 1983 - 18 A 10237/84 - sich
das Verwaltungsgericht insoweit beruft, ohne die zugrundeliegenden
Prognosetatsachen zu nennen, hält an seiner damals geäußerten Auffassung
ersichtlich nicht mehr fest (vgl. U. v. 19. Februar 1987 - 18 A 10315/86 -).
5. Ferner kann für den Kläger zu 1) - mangels einer Änderung der hierfür in
Betracht zu ziehenden Prognosetatsachen - nicht zur Überzeugung des Senats
festgestellt werden, daß gerade ihm bei einer Rückkehr in seine Heimat im
derzeitigen Zeitpunkt politisch motivierte (Einzel-)verfolgung droht.
Ob ein Asylbewerber in seinen Heimatstaat zurückkehren kann, ohne dort mit
beachtlicher Wahrscheinlichkeit asylrechtlich relevanten Verfolgungsmaßnahmen
ausgesetzt zu sein, ist für das gesamte Territorium des Heimatstaats zu
beantworten; eine Beschränkung auf etwa den Geburtsort oder den letzten
Aufenthaltsort ist weder geboten noch statthaft. Droht einem Asylbewerber
nämlich eine Verfolgung in Teilen seines Heimatlandes erstmals oder wiederholt,
dann kann er darauf verwiesen werden, dort Aufenthalt zu nehmen, wo er
innerhalb seines Heimatstaats ohne Furcht vor politischer Verfolgung leben kann
(sog. interne Fluchtalternative; vgl. BVerfG, B. v. 2. Juli 1980, BVerfGE 54, 341
<359 ff.> = EZAR 200 Nr. 1, sowie BVerwG, U. v. 2. August 1983, BVerwGE 67,
314 = EZAR 203 Nr. 1, B. v. 15. Februar 1984, EZAR 203 Nr. 2 = DVBl. 1986, 485,
v. 2. Juli 1986 - 9 C 2.85 - u. v. 6. Oktober 1987, ZAR 203 Nr. 4 = InfAuslR 1988,
57).
Es kann hier dahinstehen, ob der Kläger zu 1) gefahrlos nach ... zurückkehren
kann, wo er mindestens bis Ende 1972 gelebt hat; ein Asylrecht steht ihm nämlich
schon deswegen nicht zu, weil er in Istanbul, wo er mindestens vier Jahre, seinen
letzten Bekundungen bei seiner Vernehmung am 10. Juni 1988 zufolge sogar mehr
als sechs Jahre lang gewohnt hat, ohne Furcht vor politischer Verfolgung leben
kann. Denn wie oben (unter II. 4.) dargelegt, hat sich die Verbesserung der
Sicherheitslage nach der Machtübernahme durch die Militärs im September 1980
auch zugunsten der syrisch-orthodoxen Christen in Istanbul in der Weise
ausgewirkt, daß nicht angenommen werden kann, dort seien Männer im Alter des
Klägers zu 1) von religiös motivierten Übergriffen muslimischer Türken betroffen
und diesen Verfolgungsmaßnahmen schutzlos ausgesetzt. Der Kläger zu 1)
verfügt darüber hinaus nach eigenen Angaben, obwohl er keine Schule besucht
hat, über türkische Sprachkenntnisse; er kann lesen und schreiben. Außerdem ist
er nach seinem Alter und seinem Gesundheitszustand arbeitsfähig und - mangels
gegenteiliger Anhaltspunkte -offenbar auch arbeitswillig. Es ist überdies nicht
auszuschließen, daß er erneut in der Fabrik wird Arbeit finden können, in der er
seinerzeit von 1975 bis 1979 gearbeitet hat, zumal er nicht entlassen wurde,
sondern auf eigenen Wunsch ausgeschieden ist und zumal er jedenfalls zu dem
christlichen seiner beiden Arbeitgeber ein gutes Verhältnis hatte. Selbst wenn der
Kläger zu 1) nicht an seiner früheren Arbeitsstelle sollte unterkommen können,
fehlen Anzeichen dafür, daß es ihm nicht wie anderen Rückkehrern oder
Zuwanderern aus dem Tur'Abdin gelingen sollte, sich vor möglichen Übergriffen
Andersgläubiger in Istanbul hinreichend zu schützen und insbesondere auch eine
Beschäftigung zu finden, die es ihm ermöglicht, jedenfalls seinen eigenen
Unterhaltsbedarf zu befriedigen. Er hat schließlich schon einmal in Istanbul gelebt
und gearbeitet und kann deshalb nicht als so unerfahren und ortsunkundig
angesehen werden wie andere Christen, die unmittelbar aus dem Tur'Abdin nach
Istanbul ziehen. Offenbar gibt es aus jüngerer Zeit keine Bezugsfälle, in denen
männliche Christen in Istanbul ernsthaft an der Ausübung ihrer Religion gehindert
worden sind oder aber eine ausreichende materielle Lebensgrundlage nicht
erlangen konnten; jedenfalls sind die unsicheren Verhältnisse vor September
1980, die den Kläger zu 1) letztlich zum Verlassen der Türkei bewogen haben,
inzwischen soweit verbessert, daß für ihn nicht nur ein Leben "am Rande des
Verderbens" (vgl. dazu BVerwG, U. v. 6. Oktober 1987, EZAR 203 Nr. 4 = InfAuslR
1988, 57, u. Hess. VGH, U. v. 16. Mai 1988 - 12 UE 2571/85 -) gewährleistet ist.
Darauf, daß der Bruder ... des Klägers zu 1) derzeit noch Istanbul lebt, und darauf,
ob dieser Umstand für den Kläger zu 1) einen zusätzlichen verwandtschaftlichen
Anknüpfungspunkt darstellt, obgleich ... und dessen Familie gegenwärtig selbst
ihre baldige Ausreise vorbereiten, kommt es danach nicht an.
6. Demgegenüber droht den Klägerinnen zu 2) und 3) nach Überzeugung des
Senats mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Verfolgung, wenn sie
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Senats mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Verfolgung, wenn sie
nach ihrer jetzigen Rückkehr - und zwar jede von beiden für sich allein (vgl. oben
unter II. 4.) - entweder in ..., in der zugehörigen Kreisstadt Midyat oder in Istanbul
als alleinstehende Christinnen zu leben versuchten. In allen diesen Orten haben
die Klägerinnen zu 2) und 3) nämlich mit asylrelevanten Übergriffen muslimischer
Türken zu rechnen, gegen die sie staatlichen Schutz nicht wirksam werden in
Anspruch nehmen können, und ein anderer Ort, an dem sie innerhalb ihres
Heimatstaats ohne Furcht vor politischer Verfolgung leben könnten und der
deshalb als sog. interne Fluchtalternative (vgl. oben unter II. 5.) in Betracht käme,
ist von vornherein nicht ersichtlich.
Das Dorf ..., in dem die Klägerin zu 2) geboren und aufgewachsen ist und in dem
die Klägerin zu 3) möglicherweise ebenfalls geboren ist und ganz kurz gelebt hat,
scheidet als denkbarer Wohnort im Rückkehrfalle deshalb aus, weil sich dort den
Angaben des Klägers zu 1) und dessen Bruders ... bei deren Vernehmungen durch
die Berichterstatter des Senats zufolge nur noch zwischen 4 und 30 christliche
Familien aufzuhalten scheinen und sich hierunter keinerlei nähere Verwandte der
Klägerinnen zu 2) und 3) mehr befinden. Insbesondere wurde der Besitz der
Familie des Klägers zu 1) nach dem Tod von dessen Vater im Jahre 1980 oder
1981 offenbar allmählich - so verkaufte und schlachtete man zunächst das
ursprünglich zahlreiche Vieh - und anläßlich der Ausreise der letzten
Familienmitglieder offenbar endgültig aufgegeben. Entsprechendes gilt ersichtlich
für die Familie der Klägerin zu 2), deren Mutter verstorben ist und deren Vater und
Geschwister sich allesamt nicht mehr in der Türkei aufhalten. Es erscheint
deswegen für die Klägerinnen zu 2) und 3) von vornherein als aussichtslos, in ...
etwa den früheren Familienbesitz wieder in Anspruch nehmen und von den
dortigen Erträgnissen leben zu wollen.
Dagegen leben sowohl in Istanbul als auch in Midyat trotz der seit der Ausreise der
Klägerinnen zu 2) und 3) aus der Türkei fortgeschrittenen Abwanderung weiterhin
syrisch-orthodoxe Christen in größerer Anzahl. Wie bereits oben (unter II. 4.)
ausgeführt, hat sich die Sicherheitslage nach der Machtübernahme durch die
Militärs im September 1980 landesweit und damit auch zugunsten der syrisch-
orthodoxen Christen in Istanbul und in Midyat erheblich verbessert. Der Senat teilt
insoweit nicht die Auffassung des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz (U. v.
10. Dezember 1986 - 11 A 131/86 -, aufgehoben durch BVerwG, U. v. 6. Oktober
1987, EZAR 203 Nr. 4 = InfAuslR 1988, 57), daß Asylbewerbern, die in der
Osttürkei von einer Gruppenverfolgung betroffen worden seien und sich nicht
länger in Istanbul aufgehalten hätten, dort allgemein keine zumutbare
Fluchtalternative zur Verfügung stehe, weil auch dort gewaltsame Übergriffe
gegenüber Christen nicht ausgeschlossen werden könnten (vgl. dazu U. d. Senats
v. 30. Mai 1988 -12 UE 2514/88 -). Für den erkennenden Senat steht jedoch nach
Auswertung der ihm vorliegenden Berichte und Gutachten (insbesondere I. 4.; I. 5.,
S. 23 ff., I. 43. ff.; I. 14. bis I. 16.; I. 39.; I. 49., S. 5 f.;) über die Lage der syrisch-
orthodoxen Christen in Istanbul und in Midyat fest, daß diejenigen, die in diese
Städte zuziehen, ohne dort auf die Unterstützung von Verwandten und Bekannten
rechnen zu können, schon allgemein auf erhebliche Schwierigkeiten bei der
Sicherung ihrer wirtschaftlichen und religiösen Existenz stoßen. Dabei wird es nach
Überzeugung des Senats jüngeren alleinstehenden Frauen noch weitaus schwerer
als etwa einem jüngeren Mann fallen, einen Arbeitsplatz und eine Wohnung zu
finden. Die Bemühungen der christlichen Kirchengemeinden, neu zuziehende
Christen aufzunehmen und mit dem Notwendigsten zu versorgen, sind begrenzt
und im übrigen in den letzten Jahren durch die große Zahl der christlichen
Zuwanderer sehr stark in Anspruch genommen worden.
Wenn ein aus dem Ausland zurückkehrender syrisch-orthodoxer Christ danach
weder in seinem Heimatdorf noch in Istanbul noch in Midyat eine ausreichende
materielle Lebensgrundlage zu erreichen vermag, wächst selbstverständlich die
Gefahr, Übergriffen Andersgläubiger hilflos ausgesetzt und damit auch in der
religiösen Existenz bedroht zu sein. Gegen Nachstellungen Andersgläubiger und
gegen gewaltsame Übergriffe sowie gegen Entführungen und damit verbundene
Zwangsbekehrungen kann sich angesichts des nach wie vor nicht ausreichenden
staatlichen Sicherheitssystems wirksam nur schützen, wer in materiell gesicherten
Verhältnissen lebt und über gesellschaftliche Verbindungen zu Gleichgesinnten
verfügt. Nach alledem hängt die Möglichkeit eines verfolgungsfreien Lebens
entscheidend vom sozialen Status und den persönlichen Voraussetzungen,
insbesondere der Arbeitsfähigkeit und den Sprachkenntnissen des aus dem
Ausland zurückkehrenden syrisch-orthodoxen Christen ab. Alleinstehenden
christlichen Frauen, die danach zu einer Sicherung ihrer wirtschaftlichen
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christlichen Frauen, die danach zu einer Sicherung ihrer wirtschaftlichen
Lebensgrundlage nicht imstande sind, droht mit einer Wahrscheinlichkeit, die nach
Überzeugung des Senats der Gewißheit gleichkommt, Entführung durch
muslimische Männer und damit notwendigerweise der zwangsweise Übertritt zum
Islam. Die zahlreichen Berichte über Entführungen junger Mädchen und Frauen (I.
5., S. 33 ff., I. 48. f.; I. 11., S. 4 f., I. 7., S. 9) belegen überzeugend die hohe
Wahrscheinlichkeit, mit der jede wirtschaftlich und sozial ungesicherte Christin -
auch in den Städten Istanbul und Midyat - dieser Gefahr ausgesetzt ist, ohne
hiergegen staatlichen Schutz erhalten zu können. Es liegt in der Eigenart dieser
Gewalttat begründet, daß dabei auf die Religion des Opfers keine Rücksicht
genommen wird und mit der Aufnahme in den Haushalt des Entführers oder mit
der Heirat durch den Entführer der Wechsel der Religionszugehörigkeit verbunden
ist, wenn es sich bei dem Entführer um einen Muslimen und bei der entführten
Frau um eine Christin handelt. Der Annahme einer in der Freiheitsentziehung und
Zwangsbekehrung liegenden religiös motivierten Verfolgung steht nicht entgegen,
daß auch Frauen muslimischen Glaubens entführt werden. Denn die Täter, die eine
christliche Frau entführen, nutzen dabei bewußt die Schutzlosigkeit einer
Angehörigen einer religiösen Minderheit aus und betreiben deren Übertritt zum
Islam auch aus religiöser Überzeugung. Wenn der türkische Staat den
erforderlichen Schutz hiergegen nicht bereitzustellen vermag, wie die dem Senat
vorliegenden Unterlagen bestätigen (I. 5., S. 33 ff., 48. f.; I. 11., S. 4 f., I. 7., S. 9),
dann ist dies als mittelbare staatliche Verfolgung ungeachtet dessen zu werten,
daß im Einzelfall eine politische, d.h. religiöse Motivation auf Seiten des türkischen
Staats nicht festzustellen ist; denn bei Übergriffen nichtstaatlicher Personen oder
Gruppen braucht zur Feststellung des Asylanspruchs eine politische
Verfolgungsmotivation lediglich des privaten Verfolgers, nicht aber auch des
letztlich verantwortlichen Staats festgestellt zu werden, wenn dieser zur
Verhinderung dieser Übergriffe grundsätzlich oder auf gewisse Dauer außerstande
ist (BVerwG, B. v. 14. März 1984, Buchholz 402.25, Nr. 20 zu § 1 AsylVfG).
Angesichts dieser allgemein syrisch-orthodoxen Frauen drohenden Gefährdung ist
festzustellen, daß den Klägerinnen zu 2) und 3) unter Berücksichtigung ihrer
persönlichen Eigenschaften, Kenntnisse und Beziehungen ein verfolgungsfreies
Leben in der Türkei nicht möglich sein wird. Mit Ausnahme des Bruders ... des
Klägers zu 1) verfügen sie über keinen näheren verwandtschaftlichen
Anknüpfungspunkt mehr in der Türkei. ... ... lebt zwar derzeit noch in Istanbul; nach
den übereinstimmenden Bekundungen des Klägers zu 1) und des Bruders ... bei
deren Vernehmungen durch die Berichterstatter des Senats bereitet er jedoch
seine Ausreise mit seiner Familie vor; der Kläger zu 1) hat hierzu am 10. Juni 1988
angegeben, ... gehe davon aus, daß er in spätestens zwei Monaten in der
Bundesrepublik Deutschland sein werde. Unter diesen Umständen kann nicht
davon ausgegangen werden, daß sich ... der zurückkehrenden Klägerinnen zu 2)
und 3) annehmen und von seinen eigenen, mit langer Hand vorbereiteten Plänen
Abstand nehmen würde. Es ist weder von der Beklagten zu 1) oder dem
Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten geltend gemacht noch aus den
Angaben der Klägerinnen zu 2) und 3) ersichtlich, daß sie sonst über konkrete
Beziehungen zu in der Türkei lebenden Christen verfügen, die ihnen den Aufbau
einer Existenz und damit ein verfolgungsfreies Leben erleichtern oder zumindest
dafür sorgen könnten, daß sie unbehelligt dort leben könnten. Die Klägerinnen zu
2) und 3) verfügen auch über keinerlei türkische Sprachkenntnisse. Die Klägerin zu
2) hat überdies während ihres mehrjährigen Aufenthalts in Istanbul offenbar
weitgehend abgeschirmt von der Außenwelt gelebt und kaum die Wohnung
verlassen; selbst die Einkäufe hat der Kläger zu 1) erledigt; Verbindungen zu
anderen dort ansässigen Christen konnte sie demzufolge praktisch nicht knüpfen.
Entsprechendes gilt für die Klägerin zu 3), die lediglich als kleines Kind in Istanbul
gelebt hat und bereits im Alter von nicht einmal sechs Jahren in die Bundesrepublik
Deutschland gekommen ist. Die Klägerinnen zu 2) und 3) sind deshalb nicht in der
Lage, sich ohne fremde Hilfe und jeweils für sich allein eine Existenzgrundlage in
der Türkei zu schaffen. Sie sind daher mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit der
Gefahr einer Entführung durch muslimische Türken mit anschließender
Zwangsbekehrung ausgesetzt. Das gilt ohne weiteres für die knapp 16jährige
Klägerin zu 3), ebenso aber auch (noch) für die immerhin 42 Jahre alte
verheiratete Klägerin zu 2). Denn angesichts der vom Islam erlaubten Polygynie
sind Muslime nicht nur an der Entführung junger Mädchen, sondern auch an
Frauen mittleren Alters interessiert, um diese alsdann etwa Haushalts- und
sonstige anfallende Arbeiten verrichten zu lassen. Ob auch hinsichtlich der noch
nicht einmal 11 Jahre alten Klägerin zu 5) bereits jetzt angenommen werden kann,
daß ihr mindestens in absehbarer Zeit Entführung und Zwangsbekehrung drohen,
kann der Senat offenlassen, weil sie jedenfalls - wie sogleich (unter II. 7.)
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kann der Senat offenlassen, weil sie jedenfalls - wie sogleich (unter II. 7.)
darzulegen sein wird - aus anderen Gründen asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt
sein wird.
Ebenso kann dahinstehen, ob die Klägerin zu 2) auch deswegen als
Asylberechtigte anzuerkennen ist, weil sie bei einer Rückkehr in ihre Heimat zwar
keine eindeutig politisch motivierte Verfolgung zu befürchten hat, wohl aber eine
existenzbedrohende Notlage, weil ihr weder in Istanbul noch in Midyat oder
anderswo in der Türkei wenigstens die für ein bloßes Überleben erforderlichen
Mittel zur Verfügung stehen werden (vgl. Hess. VGH, U. v. 16. Mai 1988 - 12 UE
2571/85 -).
7. Den Klägern zu 4) und 5) droht bei einer Rückkehr nach Überzeugung des
Senats ebenfalls mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Verfolgung.
Auch bei den Klägern zu 4) und 5) ist hinsichtlich der Verfolgungsprognose zu
unterstellen, daß sie jeweils allein in die Türkei zurückkehren. Auch für sie kommt
es nicht darauf an, ob ihre Eltern als Asylberechtigte anerkannt werden oder aber
aus anderen Gründen nicht dazu gezwungen sein werden, in ihre Heimat
zurückzukehren (vgl. oben unter II. 4.). Bisweilen ist zwar in der Rechtsprechung
angedeutet, es sei bei minderjährigen Asylbewerbern darauf abzustellen, daß sie
gewöhnlich zusammen mit ihren Eltern in den Heimatstaat zurückkehrten (vgl.
etwa OVG Nordrhein-Westfalen, B. v. 6. März 1987 - 18 B 20195/86 -); diese
Auffassung erscheint jedoch nicht gerechtfertigt. Es mag sein, daß asylrechtliche
Verfolgungsprognosen weitgehend fiktiv sind, wie das Oberverwaltungsgericht
Nordrhein-Westfalen in dem genannten Beschluß anmerkt; das gilt aber sowohl für
minderjährige Kinder von in der Bundesrepublik lebenden Ausländern als auch für
mit Deutschen verheiratete Asylbewerber, ohne daß in dem einen oder anderen
Fall allein mit Blick auf die aufenthaltsrechtliche Stellung des Asylbewerbers oder
seiner Familienangehörigen von einer asylrechtlichen Verfolgungsprognose
abgesehen werden dürfte.
Für die hier zu treffende Verfolgungsprognose ist das Alter der Kläger zu 4) und 5)
insofern von Bedeutung, als die Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung für einen
absehbaren Zeitraum nach dem jetzigen Zeitpunkt beurteilt werden muß. Insofern
kann davon ausgegangen werden, daß jedenfalls die 10 Jahre alte Klägerin zu 5)
auch in der Türkei noch schulpflichtig ist. Dagegen könnte der knapp 13 Jahre alte
Kläger zu 4) nach türkischem Recht seiner Schulpflicht bereits genügt haben;
andererseits steht für ihn eine Einberufung zum Wehrdienst auch noch nicht in
absehbarer Zeit bevor. Wie oben (unter II. 2. b aa) im einzelnen ausgeführt, kann
die Einführung des islamischen Religionsunterrichts an türkischen Schulen nicht als
asylrelevante Verfolgung christlicher Schüler angesehen werden, und ist im
übrigen auch die Behandlung im Wehrdienst nicht so zu bewerten, daß daraus auf
eine politische Verfolgung junger Christen geschlossen werden könnte. Da jedoch
im vorliegenden Fall davon auszugehen ist, daß die Kläger zu 4) und 5) weder in
ihrem Heimatdorf noch sonstwo in der Türkei über aufnahmebereite Verwandte
verfügen (vgl. oben unter II. 6.), ist zu befürchten, daß ihnen wegen der ihnen
notwendigerweise bevorstehenden Aufnahme in ein staatliches türkisches
Waisenhaus die zwangsweise Aufgabe ihres christlichen Bekenntnisses droht (vgl.
Hess. VGH, Ue. v. 23. August 1984 - X OE 609/82 - u. v. 30. Mai 1988 - 12 UE
2514/85 -; OVG Nordrhein-Westfalen, U. v. 23. April 1985 - 18 A 10237/84 -).
Wenn keine aufnahmebereiten Eltern oder Verwandten für minderjährige Kinder in
der Türkei leben, werden diese in staatliche Waisenhäuser aufgenommen. Der
Zustand dieser Waisenhäuser entspricht nach Auskunft des Auswärtigen Amts (II.
1.) nicht unseren Vorstellungen; mit Sicherheit werden dort aufgenommene Kinder
danach in ihren Entfaltungschancen beeinträchtigt, und bei christlichen Kindern ist
davon auszugehen, daß sie in keinem Fall im christlichen Sinne erzogen würden.
Nach Auskunft der Evangelischen Gemeinde deutscher Sprache in der Türkei (II.
2.) wird sich die syrisch-orthodoxe Kirche um ein alleinstehendes minderjähriges
Kind kümmern und versuchen, es bei Verwandten oder Freunden der Familie
unterzubringen; sollte dies nicht möglich sein, würde es in einem Kloster
aufgenommen werden. Die in Istanbul vorhandenen Waisenhäuser anderer
christlicher Konfessionen sind allerdings danach nicht befugt, syrisch-orthodoxe
Kinder aufzunehmen. Öffentliche Waisenhäuser sind auf laizistische Grundsätze
verpflichtet; in einer Zeit des zunehmenden islamischen Bewußtseins kann es aber
nach dieser Auskunft "durchaus dazu kommen, daß der Erzieher den Islam
betont." Auch das Auswärtige Amt hat inzwischen bestätigt (II. 3.), daß öffentliche
Waisenhäuser von der kemalistisch-laizistischen Staatsideologie geprägt sind,
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Waisenhäuser von der kemalistisch-laizistischen Staatsideologie geprägt sind,
daneben aber auch von den islamischen Vorstellungen der Bevölkerungsmehrheit
beeinflußt werden und Kontakte zur syrisch-orthodoxen Kirche nicht unterbunden
würden, eine pro-islamische Beeinflussung aber wahrscheinlich sei; Repressalien,
Schläge oder Ehrverletzungen durch Aufsichtspersonen habe ein christliches Kind
in einer öffentlichen Sozialeinrichtung oder Schule wohl nicht zu befürchten,
inwieweit solche Handlungen von Altersgenossen verhindert oder wirksam
geahndet würden, hänge aber weitgehend von der Einstellung und
Durchsetzungskraft der Aufsichtspersonen ab. Schließlich hat Oehring in einem
neueren Gutachten (II. 4.) im einzelnen dargelegt, daß die syrisch-orthodoxe
Kirche in Istanbul sich bemühen würde, für ein alleinstehendes, in der Türkei
befindliches Kind Pflegeeltern zu finden, daß aber für außerhalb der Türkei lebende
Kinder allein die kirchlichen Stellen in Hengelo (Niederlande) zuständig seien. Der
Erfolg von Bemühungen, für in die Türkei zurückkehrende minderjährige Syrisch-
Orthodoxe Pflegeeltern zu finden, sei zudem ungewiß. Die Neigung selbst der
Großfamilie, der das Kind angehöre, dieses Kind als Pflegekind aufzunehmen,
werde nicht groß sein, weil keine syrisch-orthodoxe Großfamilie noch mehr
Schwierigkeiten mit der Obrigkeit haben möchte, als dies ohnehin schon aufgrund
ihres Glaubens der Fall sei; eine Aufnahme in einer anderen Großfamilie bereite
schon deswegen Schwierigkeiten, weil der größte Teil der heute noch in der Türkei
lebenden syrisch-orthodoxen Christen den einkommensschwachen
Bevölkerungsschichten zuzurechnen sei. In einem staatlichen türkischen
Waisenhaus sei hingegen eine Erziehung im christlichen Sinne auf keinen Fall
gewährleistet. Daran ändere auch die Tatsache nichts, daß das Prinzip des
Laizismus seit 1937 in der Türkischen Verfassung verankert sei und das staatliche
Erziehungswesen seither von der kemalistischen Staatsideologie geprägt worden
sei; die Durchsetzung der kemalistischen Staatsideologie habe von allem Anfang
an dort ihre Grenzen gehabt, wo sie mit den islamischen Vorstellungen der
Bevölkerungsmehrheit kollidiert sei. Es sei ferner davon auszugehen, daß ein
alleinstehendes minderjähriges syrisch-orthodoxes Kind in einem staatlichen
türkischen Waisenhaus keine Möglichkeit hätte, an einer religiösen Unterweisung
durch Religionslehrer oder Geistliche der syrisch-orthodoxen Kirche oder an
syrisch-orthodoxen Gottesdiensten teilzunehmen. Der Sachverständige Oehring
führt weiter aus, einem minderjährigen Kind werde sehr bald klar sein, daß der
Versuch eines Kontakts zur syrisch-orthodoxen Kirchengemeinde seine
allgemeinen Lebensumstände im Waisenhaus verschlechtern würde, deshalb
komme es nicht darauf an, ob solche Kontakte von offizieller Seite unterbunden
würden. Schließlich kämen Ehrverletzungen christlicher Kinder durch
Aufsichtspersonen inzwischen in einer Vielzahl von Schulen häufig vor, und zwar
auch im Zusammenhang mit der Einführung des islamischen Religionsunterrichts
an Schulen; ein alleinstehendes minderjähriges Kind, das nicht auf die moralische
Unterstützung seiner Eltern bauen könne, würde bald dem Assimilationsdruck, der
in der Schule - und dort nicht nur im Religionsunterricht - und dem Waisenhaus
latent vorhanden sei, erliegen und sich bald zum Islam bekennen.
In der damit verbundenen Gefährdung einer christlichen Erziehung syrisch-
orthodoxer Kinder in einem türkischen Waisenhaus ist nach Überzeugung des
Senats ein Eingriff in die Religionsfreiheit zu sehen. Da die Kläger zu 4) und 5) aus
einer christlichen Großfamilie stammen, droht ihnen gegen den Willen ihrer Eltern
und ihren eigenen Willen eine Aufgabe ihres christlichen Glaubens und
Bekenntnisses und damit ein Eingriff in den Kernbereich der Religionsfreiheit, der
nach Intensität und Schwere die Menschwürde verletzt und deshalb asylrechtlich
relevant ist. Eingriffe in die Religionsfreiheit müssen, um zu einer Asylanerkennung
führen zu können, ein derartiges Gewicht haben, daß sie in den elementaren
Bereich der sittlichen Person eingreifen, in dem für ein menschenwürdiges Dasein
die Selbstbestimmung möglich bleiben muß, sollen nicht die physischen
Grundlagen menschlicher Existenz zerstört werden (BVerfG, B. v. 1. Juli 1987,
BVerfGE 76, 143 = EZAR 200 Nr. 20; BVerwG, U. v. 18. Februar 1986, BVerwGE 74,
31 = EZAR 202 Nr. 7). Wie das Bundesverfassungsgericht a.a.O., ausgeführt hat,
gehört die Religionsausübung im häuslich-privaten Bereich, die Möglichkeit zum
Reden über den eigenen Glauben und zum religiösen Bekenntnis im
nachbarschaftlich-kommunikativen Bereich, ferner das Gebet und der
Gottesdienst abseits der Öffentlichkeit in persönlicher Gemeinschaft mit anderen
Gläubigen unter dem Gesichtspunkt der Menschenwürde wie nach internationalem
Standard zu dem elementaren Bereich, den der Mensch als "religiöses
Existenzminimum" zu seinem Leben- und Bestehenkönnen als sittliche Person
benötigt. Es liegt auf der Hand, daß dieses religiöse Existenzminimum angetastet
ist, wenn die Kläger zu 4) und 5) aufgrund einer Einweisung in ein staatliches
Waisenhaus in der Türkei überhaupt keine Möglichkeit mehr erhalten, in ihrem
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Waisenhaus in der Türkei überhaupt keine Möglichkeit mehr erhalten, in ihrem
christlichen Glauben erzogen zu werden und aufzuwachsen.
Dasselbe gilt auch für die ebenfalls noch minderjährige Klägerin zu 3), so daß diese
nicht nur wegen der ihr im Rückkehrfalle drohenden Entführung mit anschließender
Zwangsbekehrung, sondern auch wegen ihrer bevorstehenden Aufnahme in ein
staatliches türkisches Waisenhaus religiös motivierter asylerheblicher Verfolgung
ausgesetzt wäre.
III.
Die Entscheidungen über die Kosten des Verfahrens und die vorläufige
Vollstreckbarkeit beruhen auf §§ 154 Abs. 1 und 2, 155 Abs. 1 Satz 1, 167 VwGO
i.V.m. 708 Nr. 11 und 711 Satz 1 ZPO.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 132 Abs. 2 VwGO) liegen nicht vor;
insbesondere rechtfertigt es nicht die Zulassung der Revision, daß der Senat von
den Entscheidungen anderer Oberverwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtshöfe)
abweicht, soweit er eine kollektive Verfolgung der christlichen Minderheit im
Tur'Abdin für die Zeit vor 1980 verneint.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.