Urteil des HessVGH vom 05.02.1988

VGH Kassel: politische verfolgung, abschiebung, interessenabwägung, pakistan, behörde, unterlassen, asylbewerber, aufenthalt, ausländer, bedürfnis

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
10. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
10 TH 14/88
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 10 Abs 2 AsylVfG, § 14
Abs 1 AsylVfG, § 51 VwVfG,
§ 14 AuslG
(Verpflichtung der Behörde zur Berücksichtigung
politischer Verfolgung auch bei Unbeachtlichkeit des
Asylfolgeantrags)
Gründe
Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Das Verwaltungsgericht hat den
Antrag des Antragstellers auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage
gegen die Abschiebungsandrohung der zuständigen Ausländerbehörde des
Antragsgegners zu Unrecht abgelehnt.
Der Senat läßt es ausdrücklich offen, ob die Vorinstanz und die Ausländerbehörde
des Antragsgegners zu Recht die Unbeachtlichkeit des Asylfolgeantrags des
Antragstellers vom 26. Januar 1987 festgestellt haben. Darüber hinaus kann er
auch offenlassen, ob dem Antragsteller aufgrund des Erlasses des Hessischen
Ministers des Innern vom 6. Februar 1986 - III A 51 - 23 d -, betreffend die
ausländerrechtliche Behandlung pakistanischer Asylbewerber, die der Ahmadiyya-
Glaubensgemeinschaft angehören, nach § 14 Abs. 1 i.V.m. § 10 Abs. 1 AsylVfG
ungeachtet der Entscheidung über seinen Asylantrag der Aufenthalt im
Geltungsbereich dieses Gesetzes ermöglicht wird, und schon deshalb die
angefochtene Abschiebungsandrohung vom 13. Juli 1987 rechtswidrig ist. Denn
das Verwaltungsgericht hat es jedenfalls zu Unrecht unterlassen zu prüfen, ob der
Antragsgegner von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen der angedrohten Art
deswegen hätte absehen müssen, weil dem Antragsteller bei der Rückkehr in sein
Heimatland Pakistan politische Verfolgung droht (§ 14 Abs. 1 Aus1G). Die
Voraussetzungen des als "kleines Asyl" bezeichneten Abschiebungsschutzes
aufgrund des § 14 Abs. 1 Satz 1 AuslG müssen durch die Ausländerbehörde vor
Erlaß einer Abschiebungsandrohung jedenfalls gegenüber einem Ausländer geprüft
werden, der sich auf eine politische Verfolgung im Sinne dieser Vorschrift beruft,
zumal die Behörden anders ihren Verpflichtungen aus § 14 Abs. 2 Sätze 1 und 2
AuslG nicht nachkommen können (vgl. hierzu Hess. VGH, B. v. 16. Dezember 1987
- 12 TE 1991/87 - m.w.N.). Diese Prüfungspflicht, wie sie anerkanntermaßen vor
einer mit einer Ausreiseaufforderung nach § 28 Abs. 1 AsylVfG verbundenen
Abschiebungsandrohung besteht, gilt auch bei Abschiebungsandrohungen, die -
wie im vorliegenden Fall - auf der Grundlage von § 10 AsylVfG ergehen. Denn ein
Bedürfnis nach Schutz vor Abschiebung in einen Verfolgerstaat besteht bei
derartigen Entscheidungen gleichermaßen, zumal im Falle der
Abschiebungsandrohung nach § 10 AsylVfG gegenüber der nach § 28 Abs. 1
AsylVfG die Vornahme einer Abschiebung in der Regel in kürzerer Frist anstehen
kann.
Im vorliegenden Fall kommt ein Abschiebungshindernis nach § 14 Abs. 1 AuslG
zumindest in Betracht, so daß der Ausgang des Hauptsacheverfahrens offen ist.
Bei der mithin vorzunehmenden Interessenabwägung überwiegt das private
Interesse des Antragstellers an der Aussetzung der Vollziehung zum Schutz gegen
eine mögliche Abschiebung in einen Verfolgerstaat das öffentliche Interesse am
sofortigen Vollzug der Abschiebungsandrohung.
Ein Abschiebungshindernis nach § 14 Abs. 1 AuslG kommt hier deswegen ernsthaft
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Ein Abschiebungshindernis nach § 14 Abs. 1 AuslG kommt hier deswegen ernsthaft
in Betracht, weil der Senat, nachdem er bereits durch Urteil vom 13.9.1984 - X OE
524/81 - dem Asylbegehren eines aus Pakistan geflohenen Ahmadis stattgegeben
hat, gegenwärtig in Asylrechtsstreitigkeiten von Ahmadis aufgrund von
Beweisbeschlüssen ermittelt, ob diesen im Falle ihrer Rückkehr wegen ihrer bloßen
Zugehörigkeit zu dieser Glaubensgemeinschaft politische Verfolgungsmaßnahmen
in ihrem Heimatland drohen. Hierzu werden Sachverständigengutachten eingeholt.
Solche umfangreichen und zeitaufwendigen Ermittlungen können nicht im
vorliegenden Aussetzungsverfahren vorgenommen werden. Denn der Senat ist
mit zahlreichen Eilverfahren überlastet. Die anderenfalls im Eilverfahren
anzustellenden Ermittlungen würden einen Zeitaufwand erfordern, der praktisch
auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung hinausliefe. Die demzufolge im
Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO erforderliche Interessenabwägung fällt - wie
bereits eingangs erwähnt - zugunsten des Antragstellers aus. Denn für ihn streitet
der hohe Rang des Asylrechts nach Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG, das sich hier in Form
des Abschiebungshindernisses nach § 14 Abs. 1 Satz 1 AuslG auswirkt, dem
gegenüber das Interesse des Antragsgegners am Sofortvollzug des
angefochtenen Bescheides jedenfalls dann immer als von geringerem Gewicht
erscheint, wenn keine weiteren als die der gesetzlichen Anordnung des
Sofortvollzugs zugrundeliegenden Interessen für die sofortige Vollziehbarkeit
sprechen. Derartige weitergehende Interessen sind weder von dem Antragsgegner
geltend gemacht noch sonst aus den Umständen des Falles ersichtlich. Dem
Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die
angefochtene Abschiebungsandrohung ist daher stattzugeben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Festsetzung des Gegenstandswerts der Beschwerde beruht auf den §§ 20 Abs.
3, 13 Abs. 1 GKG.
Der Beschluß ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 25 Abs. 2 GKG).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.