Urteil des HessVGH vom 06.08.2002

VGH Kassel: öffentliche sicherheit, genehmigung, betriebliche einrichtung, körperliche unversehrtheit, nacht, verwaltungsverfahren, flugplatz, gutachter, flugverkehr, zahl

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
2. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
2 A 828/01, 2 A
3013/01
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 6 Abs 2 S 3 LuftVG, § 6
Abs 2 S 4 LuftVG
(Nachträgliche Einschränkung der luftverkehrsrechtlichen
Genehmigung - Fluglärm)
Tatbestand
Die Kläger begehren, die luftverkehrsrechtliche Genehmigung des
Verkehrslandeplatzes Reichelsheim im Wege eines Teilwiderrufs nachträglich zu
beschränken.
Der Verkehrslandeplatz Reichelsheim verfügt über eine ca. 730 m lange,
asphaltierte Start- und Landebahn, die in etwa von Norden nach Süden
ausgerichtet ist, sowie eine nahezu rechtwinklig dazu konfigurierte Grasbahn mit
einer Länge von 460 m. Die Bahnen, Rollwege, Gebäude und sonstigen
Einrichtungen des Flugplatzes liegen in dem Gebiet der Stadt Reichelsheim.
Der Flugplatz wurde Anfang der 60er Jahre als betriebliche Einrichtung hergestellt
und erstmals als Verkehrslandeplatz durch Bescheid vom 23. Dezember 1968
befristet bis zum 31. Dezember 1973 luftverkehrsrechtlich genehmigt. Die
Genehmigung wurde mehrfach, zuletzt am 25. November 1985 bis zum 31.
Dezember 1990 verlängert.
Mit Bescheid vom 30. November 1990 erteilte das Regierungspräsidium
Darmstadt der Beigeladenen eine "Neufassung" der Genehmigung, die keine
Befristung mehr enthielt. Nach dieser Genehmigung darf die Zahl von 48.000
Flugbewegungen im Jahr nicht um mehr als 10 % überschritten werden (Teil B, 22
des Bescheides). Die Genehmigung gilt für Flugzeuge bis 3.500 kg bzw. 5.700 kg
bei PPR-Betrieb, Hubschrauber bis 5.700 kg, selbststartende Motorsegler und
Luftschiffe.
Nach den Angaben der Beigeladenen wurden in den vorangegangenen Jahren
folgende Starts bzw. Flugbewegungen durchgeführt:
1995: 18467 + 793 (Ultraleicht) = 19260 Starts - 38520 Flugbewegungen
1996: 15949 + 1341 (Ultraleicht) = 17290 Starts - 34580 Flugbewegungen
1997: 15955 + 2845 (Ultraleicht) = 18800 Starts - 37600 Flugbewegungen
1998: 15545 + 4958 (Ultraleicht) = 20503 Starts - 41006 Flugbewegungen
1999: 16396 + 6420 (Ultraleicht) = 22816 Starts - 45632 Flugbewegungen
2000: 17947 + 6238 (Ultraleicht) = 24185 Starts - 48370 Flugbewegungen
2001: 15955 + 5857 (Ultraleicht) = 21812 Starts - 43624 Flugbewegungen
Die Klägerin zu 1. ist seit 1988 Miteigentümerin des Flurstücks der Flur in der
Gemarkung sowie Miteigentümerin einer Doppelhaushälfte ( ), die 1984 errichtet
wurde. Das Grundstück liegt südlich der Start- und Landebahn des
Verkehrslandeplatzes Reichelsheim.
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Der Kläger zu 2. ist Miteigentümer des im gelegenen Anwesens .........; das von
1978 bis 1981 sanierte Wohnhaus ist vermietet. Der Kläger zu 2. wohnt in dem
ebenfalls in gelegenen Anwesen , das seiner Mutter gehört. Dieses Wohnhaus
wurde Ende der 70er Jahre umgebaut und erweitert.
Die Klägerin zu 1.(mit Schreiben vom 7. Mai 1999) und der Kläger zu 2. (mit
Schreiben vom 22. Mai 2000) beantragten bei dem Regierungspräsidium
Darmstadt, die der Beigeladenen erteilte Betriebsgenehmigung für den
Verkehrslandeplatz Reichelsheim durch folgende "Auflagen" zu beschränken:
1. Nachtflugverbot für sämtliche Luftfahrzeuge,
2.
3. An- und Abflug nur für Luftfahrzeuge bis zu einem höchstzulässigen
Gesamtfluggewicht bis 2.000 kg,
4.
5. Flugbetrieb nur von
a) montags bis freitags von 7.00 bis 13.00 Uhr und 15.00 bis 18.00 Uhr,
b) samstags von 9.00 bis 13.00 Uhr,
c) nicht an Sonn- und gesetzlichen Feiertagen,
6.
7. keine Schwebeflugübungen von Hubschraubern innerhalb des
Verkehrslandeplatzes, insbesondere nicht im Bereich der Grasbahn und
Landestreifen 09/27 sowie dem angrenzenden Naturschutzgebiet.
8.
Zur Begründung führten sie im Wesentlichen aus, der Verkehrslandeplatz sei in
der Vergangenheit stetig ausgebaut worden. Nachdem mehrere Pappeln südlich
der Start- und Landebahn gefällt worden seien, würden die Piloten unterhalb der
vorgeschriebenen Mindesthöhe fliegen, wodurch eine unerträgliche
Lärmbelästigung verursacht werde. Der Verkehrslandeplatz erfülle keine
nennenswerte Verkehrsfunktion, sondern diene dem Interesse weniger
Privatpersonen.
Im Februar 2000 erstellte das Hessische Landesamt für Umwelt und Geologie
(HLUG) im Auftrag des Beklagten und der Beigeladenen ein schalltechnisches
Gutachten, in dem die 55 dB(A)-Konturen als Tagesmittelungspegel für Werktage,
Samstage sowie Sonn- und Feiertage dargestellt sind (vgl. Band 11, Bl. 1036 ff.,
der Beiakten zu 2 UE 641/02). Nach einer ergänzenden Stellungnahme des
Gutachters vom 29. Juli 2002 (Bl. 297 ff. der Akte 2 A 3013/01) ergibt eine
Einzelpunktberechnung für die Anwesen und Tagesdauerschallpegel für einen
mittleren Sonn- oder Feiertag von 57 bzw. 54 dB(A).
Die Anträge der Kläger lehnte das Regierungspräsidium Darmstadt durch
Bescheide vom 11. Juli 2000 und 6. Februar 2001 mit im Wesentlichen folgender
Begründung ab: Der Flugbetrieb sei in den letzten Jahren nicht wesentlich erweitert
worden, so dass aus diesem Grund keine Änderungsgenehmigung nach § 6 Abs. 4
Satz 2 LuftVG erforderlich gewesen sei. Die Erhöhung der Flugzahlen halte sich im
Rahmen der allgemeinen Entwicklung des Luftverkehrs. Es bestehe auch keine
Veranlassung, die Genehmigung teilweise zu widerrufen oder einzuschränken.
Nach §§ 45 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. 53 Abs. 1 Satz 1 LuftVZO gelte für den
Verkehrslandeplatz eine Betriebspflicht, die sich grundsätzlich auch auf die Nacht
erstrecke. Nach der Betriebsregelung der Beigeladenen sei für die Nacht (ab
spätestens 21.00 Uhr) PPR-Betrieb (prior permission required) angeordnet, wobei
nur Flugbewegungen bis 23.00 Uhr und nach 06.00 Uhr akzeptiert würden. Nach
dieser Regelung sei es beispielsweise im Februar 2000 zu 27, im März 2000 zu 34
und im April 2000 zu 9 nächtlichen Flugbewegungen gekommen. In der
"Kernnachtzeit" zwischen 23.00 und 06.00 Uhr seien nur Sanitätsflüge zulässig. Für
eine weitergehende Einschränkung des Flugbetriebes und auch des zugelassenen
Fluggerätes bestehe kein Grund, zumal die Beigeladene auf den Bestand der seit
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Fluggerätes bestehe kein Grund, zumal die Beigeladene auf den Bestand der seit
vielen Jahren erteilten Genehmigung vertrauen dürfe. In diesen Bestandsschutz
dürfe nur auf Grund gravierender Umstände eingegriffen werden, die hier nicht
vorlägen. Für den Flugplatz gelte die Landeplatz-Lärmschutz-Verordnung (LLV),
nach der für propellergetriebene Flugzeuge und Motorsegler, die nicht erhöhten
Lärmschutzanforderungen genügten, ein Start- und Landeverbot von montags bis
freitags vor 7.00, zwischen 13.00 und 15.00 Uhr und nach Sonnenuntergang sowie
samstags, sonntags und an Feiertagen vor 9.00 und nach 13.00 Uhr bestehe. Bei
mehreren unangekündigten Kontrollen seien keine Verstöße gegen die Einhaltung
der Mindestflughöhe festgestellt worden. Selbst wenn einzelne Piloten gegen diese
Vorschrift verstoßen haben sollten, rechtfertige das keine Einschränkung der
Betriebserlaubnis. Schließlich komme auch kein Verbot von Schwebeflügen von
Hubschraubern in Betracht, weil diese Flüge notwendiger Bestandteil der
Flugausbildung seien.
Nach erfolglosem Vorverfahren hat die Klägerin zu 1. am 29. Januar 2001 Klage bei
dem Verwaltungsgericht Gießen erhoben, das die Streitigkeit durch Beschluss vom
14. März 2001 an den Hessischen Verwaltungsgerichtshof verwiesen hat.
Ursprünglich hat die Klägerin zu 1. mit ihrer Klage die im Verwaltungsverfahren
gestellten Anträge weiterverfolgt. Nunmehr begehrt sie, die luftverkehrsrechtliche
Genehmigung des Verkehrslandeplatzes Reichelsheim im Wege eines teilweisen
Widerrufs nachträglich dahingehend zu beschränken, dass in den Wohn- und
Schlafräumen kein gesundheitsbeeinträchtigender Fluglärm auftrete. Mit diesem
Begehren hat der Kläger zu 2. am 19. November 2001 bei dem Hessischen
Verwaltungsgerichtshof Klage erhoben.
Zur Begründung ihrer Klage tragen die Kläger vor, der Verkehrslandeplatz
Reichelsheim habe sich allmählich zu dem zweitgrößten Verkehrslandeplatz in
Hessen entwickelt. Neben dem Flugbetrieb mit bis zu 5.700 kg schweren
Flugzeugen seien auch der Hubschrauberbetrieb und der Betrieb von
Ultraleichtflugzeugen zugelassen. Durch den Fluglärm würden sie, die Kläger,
erheblich beeinträchtigt. Während des Überflugs seien Gespräche, Lesen und
konzentriertes Arbeiten nicht mehr möglich; Fernsehen und Radio würden
übertönt. Der Fluglärm lasse sie aus dem Mittags- und Nachtschlaf erwachen.
Besonders störend seien die Schwebeflüge der Hubschrauber. Eine Ermittlung des
Fluglärms mit Hilfe der einschlägigen DIN-Vorschriften habe Spitzenpegel in
seltenen Fällen von 102 bis 108 dB(A) und in häufigen Fällen von 91 bis 101 dB(A)
ergeben. Diese Werte müssten für die gesetzlich definierten Ruhezeiten um 6
dB(A) erhöht werden. Die Mittelungspegel lägen unter Berücksichtigung der
Ruhezeiten bei ca. 65 dB(A). Der Beklagte habe es zu Unrecht abgelehnt,
Lärmminderungsmaßnahmen zu ergreifen. Die Lärmbelastung in ihren
Wohnräumen habe sich unvorhersehbar gesteigert, so dass ihnen ein Anspruch
aus § 75 Abs. 2 Satz 2 HVwVfG zustehe. Die Lärmbelastung dürfe in der Nacht
innen einen Dauerschallpegel von 30 dB(A) und einen Maximalpegel von 45 dB(A)
sowie am Tag innen einen Dauerschallpegel von 50 dB(A) und einen Maximalpegel
von 72 dB(A) - mit Ausnahme von 10 x 82 dB(A) - nicht überschreiten. In den
Ruhezeiten seien um jeweils 10 dB(A) verringerte Werte einzuhalten. Diese
Richtwerte würden hier deutlich überschritten, so dass eine nachträgliche
Schutzanordnung geboten sei. Die erstrebte Minderung des Fluglärms könne
durch unterschiedliche Maßnahmen, z. B. durch Betriebszeitenregelungen oder
durch Lärmkontingentierungen erreicht werden.
Die Kläger beantragen,
die Bescheide des Regierungspräsidiums Darmstadt vom 11. Juli 2000 und 6.
Februar 2001 sowie dessen Widerspruchsbescheide vom 8. Januar 2001 und 15.
Oktober 2001 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten,
die Genehmigung des Verkehrslandeplatzes Reichelsheim im Wege eines
teilweisen Widerrufs dahingehend nachträglich zu beschränken, dass in den Wohn-
und Schlafräumen der Anwesen und keine gesundheitsbeeinträchtigenden
Lärmimmissionen auftreten, hilfsweise, Anordnungen nach den im
Verwaltungsverfahren gestellten Anträgen zu erlassen.
Der Beklagte und die Beigeladene beantragen,
die Klagen abzuweisen.
Sie tragen vor, die Klagen seien bereits unzulässig, weil die Kläger ihre Rechte
verwirkt hätten. Außerdem fehle es an dem erforderlichen Vorverfahren, weil die
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verwirkt hätten. Außerdem fehle es an dem erforderlichen Vorverfahren, weil die
Kläger jetzt ein anderes Ziel verfolgten als in dem vorangegangenen
Verwaltungsverfahren. In dem Klageverfahren der Klägerin zu 1) liege darüber
hinaus eine Klageänderung vor, der widersprochen werde und die nicht als
sachdienlich zugelassen werden dürfe. Die von dem Flugverkehr ausgehende
Lärmbelastung sei zumutbar. Das Gutachten der HLUG sei durch ein im Auftrag
der Gemeinde Florstadt erstelltes Gutachten bestätigt worden. Schließlich müsse
auch die Vorbelastung der klägerischen Anwesen durch den Flugverkehr
berücksichtigt werden. Durch die Erklärungen der Kläger in der mündlichen
Verhandlung seien die Klagen erneut geändert worden; auch dieser Änderung
werde widersprochen.
Wegen des Sachverhalts und Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen wird auf
deren Schriftsätze sowie auf die Verwaltungsvorgänge des Beklagten ( je 1 Heft),
die Bauakten des Wetteraukreises betreffend die Anwesen und sowie die Beiakten
zu dem Verfahren 2 UE 641/02 (8 Ordner und 5 Hefte) verwiesen; diese sind
beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden.
Entscheidungsgründe
Soweit die Streitsachen hinsichtlich der Gebührenfestsetzungen von den
Beteiligten übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt worden sind, ist
das Verfahren entsprechend § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen.
Im Übrigen haben die Klagen keinen Erfolg. Sie sind allerdings entgegen der
Auffassung des Beklagten und der Beigeladenen zulässig.
Der Hessische Verwaltungsgerichtshof ist zur Entscheidung über die Klagen
berufen. Für die Klägerin zu 1. ergibt sich das schon aus der verbindlichen
Verweisung durch das Verwaltungsgericht (§ 83 Satz 2 VwGO i.V.m. § 17a Abs. 2
Satz 1 GVG). Bezüglich des Verfahrens des Klägers zu 2. folgt die erstinstanzliche
Zuständigkeit aus § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 VwGO. Da diese Vorschrift (im
Gegensatz zu Nrn. 7 bis 9) auch Betriebsregelungen außerhalb des
Planfeststellungsverfahrens erfasst, würde der Beschluss des
Bundesverwaltungsgerichts vom 18. Mai 2000 (NVwZ 2000, 1168) der
erstinstanzlichen Zuständigkeit des Senats selbst dann nicht entgegenstehen,
wenn die Klage, wie die Kläger meinen, ihre gesetzliche Grundlage in § 75 Abs. 2
Satz 2 HVwVfG finden würde. Bei dem Flugplatz Reichelsheim handelt es sich um
einen Verkehrslandeplatz im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 VwGO. Die
Ausweisung des beschränkten Bauschutzbereiches war gegenüber dem Kläger zu
2) schon im Zeitpunkt der Erhebung der Klage unanfechtbar.
Die Zulässigkeit der Klage scheitert nicht daran, dass die Kläger die
luftverkehrsrechtliche Genehmigung für den Verkehrslandeplatz Reichelsheim
nicht angefochten und ihr Klagerecht insoweit verwirkt haben. Denn sie greifen hier
nicht die Genehmigung mit dem Ziel der rückwirkenden Aufhebung oder
Teilaufhebung an, sondern sie begehren die Verpflichtung des Beklagten, diese
Genehmigung durch Anordnung von Lärmminderungsmaßnahmen nachträglich zu
ändern. Das Bestehen eines solchen Genehmigungsergänzungs- oder -
änderungsanspruchs kann angesichts der Lärmbetroffenheit der Kläger nicht von
vornherein ausgeschlossen werden, so dass ihnen auch die nach § 42 Abs. 2
VwGO erforderliche Klagebefugnis zusteht.
Die Kläger haben zwar im gerichtlichen Verfahren ihr Begehren umfassender
formuliert als im Verwaltungsverfahren. Daraus folgt aber nicht die Notwendigkeit,
ihr jetziges Verlangen zunächst in einem neuen Verwaltungsverfahren geltend zu
machen. Denn bei verständiger Würdigung zielte das Begehren der Kläger von
Anfang an darauf ab, dass der Beklagte, sollten die konkret geltend gemachten
Anträge keinen Erfolg haben, überhaupt Lärmminderungsmaßnahmen ergreift.
Der Beklagte hat es auch erkennbar generell abgelehnt, die der Beigeladenen
erteilte luftverkehrsrechtliche Genehmigung nachträglich einzuschränken, so dass
es nicht mit den Grundsätzen der Verfahrensökonomie und der Effektivität des
Rechtsschutzes zu vereinbaren wäre, wenn das Gericht die Kläger zunächst auf ein
erneutes, als bloße Formalie anzusehendes Verwaltungsverfahren verweisen
würde. Im Übrigen würden auch die Einlassungen der Hauptbeteiligten zur Sache
ein erneutes Vorverfahren entbehrlich machen. Daraus ergibt sich, dass auch die
Neuformulierung der Anträge der Klägerin zu 1. im gerichtlichen Verfahren nicht
als Klageänderung im Sinne des § 91 VwGO anzusehen ist. Jedenfalls wäre eine
eventuelle Klageänderung als sachdienlich im Sinne des § 91 Abs. 1 VwGO
zuzulassen, weil sie den Streitstoff nicht wesentlich verändert hat und zu einer
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zuzulassen, weil sie den Streitstoff nicht wesentlich verändert hat und zu einer
endgültigen Erledigung der Streitsache beiträgt. Entsprechendes gilt für die
Erklärungen, die die Kläger zur Konkretisierung ihrer Anträge in der mündlichen
Verhandlung abgegeben haben.
Die Klagen sind jedoch nicht begründet.
Eine Verpflichtung der Behörde zu einer oder mehreren bestimmten
Lärmminderungsmaßnahmen oder zur Einhaltung bestimmter Innenpegel
scheitert an der fehlenden Spruchreife (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Selbst wenn
man unterstellt, dass den Klägern ein Anspruch auf Lärmminderung zusteht,
stünde der Behörde ein Ermessensspielraum offen, ob sie aktiven oder passiven
Schallschutz anordnet. Als aktive Schallschutzmaßnahmen können wiederum
unterschiedliche und kombinierte Maßnahmen in Betracht gezogen werden (z. B.
Betriebszeitenregelungen, Fluggerätbeschränkungen,
Flugbewegungskontingentierung, Fluglärmkontingentierung). Auch hinsichtlich der
Frage, ob im Falle einer gebotenen Lärmminderung auf Innen- oder Außenpegel
bzw. Dauer- oder Maximalpegel abzustellen ist, steht der Genehmigungsbehörde
ein gewisser Gestaltungsspielraum offen, der nicht von vornherein auf nur eine der
Möglichkeiten reduziert ist.
Den Klägern steht aber auch kein Anspruch auf Neubescheidung ihrer Anträge zu.
Denn der Beklagte hat es in rechtlich nicht zu beanstandender Weise abgelehnt,
die der Beigeladenen erteilte luftverkehrsrechtliche Genehmigung überhaupt
nachträglich über das bisherige Maß hinaus einzuschränken.
Entgegen der Auffassung der Kläger lässt sich ein derartiger Anspruch auf
Einschränkung der Genehmigung nicht aus § 75 Abs. 2 Satz 2 HVwVfG herleiten.
Nach dieser Vorschrift besteht ein Anspruch auf Anordnung nachträglicher
Schutzauflagen, wenn sich nach Unanfechtbarkeit eines festgestellten oder
genehmigten Plans unvorhersehbare Nachteile ergeben. Diese Vorschrift dürfte
entsprechend auf Flugplätze anwendbar sein, die keiner Planfeststellung bedürfen
(vgl. BVerwG, Urteil vom 15. September 1999, UPR 2000, 116 <117>), wäre aber
inhaltlich auf einen Genehmigungsergänzungsanspruch (durch Anordnung in der
Regel passiver Schallschutzmaßnahmen) gerichtet, so dass fraglich ist, ob aus
dieser Norm ein Anspruch auf Einschränkung des genehmigten Flugbetriebs im
Wege eines Teilwiderrufs der ursprünglichen Genehmigung hergeleitet werden
kann (vgl. OVG Berlin, Urteil vom 2. Mai 1996, DVBl. 97, 73 <76>; Wysk, in:
Flughafenplanung, Hrsg. J. Ziekow, 2001, S. 34). Problematisch ist die
Anwendbarkeit des § 75 Abs. 2 Satz 2 HVwVfG auch unter dem zeitlichen Aspekt.
Denn zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Vorschrift am 1. Januar 1977 war der
Flugplatz Reichelsheim schon als Verkehrslandeplatz luftverkehrsrechtlich
bestandskräftig genehmigt und § 75 Abs. 2 Satz 2 HVwVfG entfaltet ebenso wenig
eine Rückwirkung wie § 17 Abs. 6 Satz 2 FStrG -1974 - (vgl. BVerwG, Beschluss
vom 24. August 1999, NVwZ 2000, 70 m.w.N.).
Diese Fragen können jedoch auf sich beruhen. Denn die Entwicklung des
Verkehrslandeplatzes Reichelsheim hat sich nicht unvorhersehbar vollzogen. Bei
verständiger Würdigung der Situation müssen Anlieger eines Verkehrslandeplatzes
damit rechnen, dass der Flugplatz im Zuge der allgemeinen Entwicklung des
Luftverkehrs bzgl. der technischen und baulichen Einrichtungen, hinsichtlich der
verwendeten Fluggeräte und insbesondere der Zahl der Flugbewegungen
expandiert und die Kapazität im Rahmen der Genehmigung ausgeschöpft und mit
der Folge erweitert wird, dass auch die Lärmbelastung zunimmt. Atypische
Geschehensabläufe sind hier nicht erkennbar und insbesondere nicht darin zu
erblicken, dass einige Pappeln gefällt worden sind, die in den von Hindernissen
freizuhaltenden Luftraum hineingewachsen waren. Wenn, wie die Kläger meinen,
die Lärmbelastung unvorhersehbar das Maß einer Gesundheitsgefährdung erreicht
haben sollte, würde das hier schon deshalb keine analoge Anwendung des § 75
Abs. 2 Satz 2 HVwVfG auf bloß genehmigungsbedürftige Flugplätze rechtfertigen,
weil für diesen Fall wegen § 6 Abs. 2 Sätze 3 und 4 LuftVG keine Regelungslücke
besteht.
Als gesetzliche Grundlage für das klägerische Begehren kommt daher allein § 6
Abs. 2 Sätze 3 und 4 LuftVG in Betracht (vgl. OVG Schleswig, Urteil vom 28.
Oktober 1996 - 4 L 154/95 - Jur. Dok. S. 10, OVG Lüneburg, Urteil vom 9. Juni 1997
- 12 K 325/96 - Jur. Dok. S. 35). Nach dieser Bestimmung kann die
luftverkehrsrechtliche Genehmigung - auch teilweise - widerrufen werden, wenn
sich nach Erteilung der Genehmigung Tatsachen ergeben, die die Annahme
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sich nach Erteilung der Genehmigung Tatsachen ergeben, die die Annahme
rechtfertigen, dass durch den Flugbetrieb u. a. die öffentliche Sicherheit oder
Ordnung gefährdet wird. In Bezug auf Lärmbeeinträchtigung lässt sich aus dieser
Vorschrift ein Anspruch auf Einschreiten der Genehmigungsbehörde nur unter der
Voraussetzung ableiten, dass die Lärmimmissionen - sei es infolge einer Zunahme
oder sei es infolge einer wissenschaftlich gebotenen Neubewertung - einen Eingriff
in den Schutzbereich des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2
Satz 1 GG) darstellen (OVG Schleswig, Urteil vom 28. Oktober 1996, a.a.O. S. 10
und OVG Lüneburg, Urteil vom 9. Juni 1997, a.a.O. S. 35). Aus § 48 LuftVZO (i.V.m.
§§ 53 Abs. 1 und 60 LuftVZO) lassen sich keine weitergehenden Rechtspositionen
ableiten (OVG Schleswig, Urteil vom 28. Oktober 1996, a.a.O. S. 10).
Diese Schwelle zur Gesundheitsgefährdung, die auch als Eingriffs-, Enteignungs-
oder Sanierungsschwelle bezeichnet wird, ist hier nicht erreicht. Sie ist zu
unterscheiden von der sog. Erheblichkeitsschwelle, bei deren Überschreitung bei
dem Bau oder der wesentlichen Änderung (hinsichtlich dieser Veränderung) einer
Verkehrsanlage Schutzauflagen anzuordnen sind. Die
Gesundheitsgefährdungsgrenze ist aber auch zu unterscheiden von derjenigen
Grenze oder Schwelle, unterhalb der aus präventivmedizinischer Sicht
Gesundheitsbeeinträchtigungen auszuschließen sind. Diese Präventivschwelle
markiert Vorsorgewerte, auf die bei der Anwendung des § 6 Abs. 2 Sätze 3 und 4
LuftVG nicht abgestellt werden darf (OVG Lüneburg, Urteil vom 9. Juni 1997, a.a.O.
S. 44 f.). Denn diese Vorschrift knüpft mit der Verwendung des Begriffs der Gefahr
für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung an den ordnungsrechtlichen
Gefahrenbegriff, aber nicht an den Vorsorgegrundsatz an.
Die Grenze, ab der Fluglärm die Gesundheit gefährdet, ist nicht normativ
bestimmt. Das Gesetz zum Schutz gegen Fluglärm ist nicht auf
Verkehrslandeplätze anwendbar. Die Landeplatz-Lärmschutz-Verordnung vom 5.
Januar 1999 (BGBl. I S. 35) sieht zeitliche Einschränkungen des Betriebs von
propellergetriebenen Flugzeugen und Motorseglern vor, die nicht den erhöhten
Lärmschutzanforderungen entsprechen. Die Verordnung enthält aber keine
allgemeinen Richtwerte für die Zumutbarkeit von Fluglärm (vgl. zu sonstigen -
nicht anwendbaren - Normierungen die Zusammenfassung bei: OVG Hamburg,
Urteil vom 3. September 2001 - 3 E 32/98.P - S. 83 f.). Das vorliegende Verfahren
gibt dem Senat keine Veranlassung, näher auf die Frage einzugehen, bei welchem
Schwellen- oder Richtwert eine Lärmbelastung das Maß einer
Gesundheitsgefährdung erreicht. Denn die Bandbreite, innerhalb der dieser Wert
anzusiedeln ist, wird hier deutlich unterschritten:
Bzgl. der Nachtzeit folgt das schon aus der geringen Anzahl der Flugbewegungen.
Nach den Angaben der Beigeladenen, gegen deren Richtigkeit keine
substantiierten Einwendungen vorgebracht oder sonst ersichtlich sind, lag die Zahl
der Flugbewegungen von April bis September 2001 in der Zeit von 21.00 bis 23.00
Uhr (Ortszeit) bei 31 und in der Zeit von 23.00 bis 6.00 Uhr bei 29 Starts oder
Landungen von Flugzeugen. Von den insgesamt 60 Flugbewegungen entfällt
allenfalls die Hälfte auf die An- und Abflugrichtung 18 (Süd), so dass die Anwesen
der Kläger in einem Zeitraum von 180 Tagen der Lärmbelastung durch 30
startende oder landende Flugzeuge ausgesetzt waren. Die nächtlichen
Hubschrauberbewegungen vollziehen sich in Ost-West-Richtung im Bereich der
Grasbahn, wodurch nach dem HLUG-Gutachten (S. 4) am Ortsrand von Ober-
Ramstadt Maximalpegel von bis zu 55 dB(A) erreicht werden. Bei diesem
Außenmaximalpegel ist zweifelhaft, ob in den Schlafräumen die Aufwachschwelle
überschritten wird. Dies bedarf jedoch keiner weitergehenden Ermittlung. Denn
selbst wenn man die Anzahl der nächtlichen Störereignisse oberhalb der
Aufwachschwelle verdoppeln würde, hätte das zur Folge, dass durchschnittlich auf
jede dritte Nacht ein Aufweckereignis fällt, wovon wiederum die Hälfte der
Zeitspanne vor 23.00 Uhr zuzurechnen ist. Angesichts der vielfältigen nächtlichen
Störungen, denen Menschen auch in äußerst ruhigen Wohnlagen - zumal vor 23.00
Uhr - ausgesetzt sind, ohne dass dadurch die Gefahr einer
Gesundheitsbeeinträchtigung herbeigeführt wird, werden die Kläger durch den
nächtlichen Fluglärm des Verkehrslandeplatzes Reichelsheim nach der
Überzeugung des Senats nicht in ihrem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG
verletzt.
Neue Erkenntnisse der Lärmwirkungsforschung, auf die sich die Kläger berufen,
rechtfertigen keine andere Beurteilung. In der Literatur wird die Frage der
Gesundheitsgefährdung durch nächtlichen Fluglärm in der Regel im
Zusammenhang mit dem Problem der Schlafstörungen erörtert. Untersuchungen
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Zusammenhang mit dem Problem der Schlafstörungen erörtert. Untersuchungen
über Schlafstörungen durch nächtlichen Fluglärm beziehen sich, soweit ersichtlich,
auf Situationen, in denen Menschen mehreren Störereignissen in einer Nacht
ausgesetzt sind. Als besonders schutzwürdig wird der zweite Abschnitt der Nacht,
beginnend um 1.00 Uhr, angesehen. Die Diskussion der
Gesundheitsgefährdungsgrenze befasst sich deshalb im Wesentlichen mit der
Frage, welche Maximalpegel nach Anzahl, Höhe und Verteilung auf eine Nacht
zugemutet werden können, ohne Gesundheitsbeeinträchtigungen durch
Schlafstörungen befürchten zu müssen (vgl. z. B. Ortscheid/Wende,
Umweltbundesamt, Fluglärmwirkungen, Berlin 2000;
Griefahn/Jansen/Scheuch/Spreng, Erarbeitung von Fluglärmkriterien für ein
Schutzkonzept, Februar 2002; Maschke/Hecht/Wolf, Nächtliches Erwachen durch
Fluglärm, Bundesgesundheitsblatt 2001, S. 1001 ff.).
Rein vorsorglich weist der Senat darauf hin, dass auch eine diese Schwelle
überschreitende nächtliche Lärmbelastung in den Wohn- und Schlafräumen nicht
zu einem Verbot der nächtlichen Ambulanzflüge führen würde, auf die sich der
Flugverkehr zwischen 23.00 und 6.00 Uhr beschränkt. Insoweit könnte den Klägern
allenfalls ein Anspruch auf passiven Schallschutz zustehen, sofern die Wohnhäuser
über keine ausreichende Schalldämmung verfügen.
Auch die Lärmbelastung, denen die Anwesen der Kläger am Tag ausgesetzt sind,
erreicht nicht das Maß einer Gesundheitsgefährdung.
Die Lärmbelastung ist nach dem HLUG-Gutachten vom Februar 2000 und der
ergänzenden Stellungnahme des Gutachters vom 29. Juli 2002 an Sonn- und
Feiertagen am stärksten und beträgt für das Anwesen 57 dB(A) und das Anwesen
... 54 dB(A) - jeweils als äquivalente Dauerschallpegel. Für das Anwesen ... liegt
keine spezielle Berechnung vor; die Belastung liegt wohl zwischen den oben
genannten Werten, jedenfalls aber nicht über 57 dB(A).
Diese Berechnung ist rechtlich nicht zu beanstanden. Sie beruht auf der "Leitlinie
zur Ermittlung und Beurteilung der Fluglärmimmissionen in der Umgebung von
Landeplätzen" vom 14. Mai 1997 (Landeplatz-Fluglärmleitlinie), die von dem
Länderausschuss für Immissionsschutz (LAI) herausgegeben worden ist und sich
an die für Immissionsschutz zuständigen Behörden der Länder in der
Raumordnung und Bauleitplanung richtet. Das Berechnungsverfahren wird in der
Leitlinie selbst durch eine modifizierte Verweisung auf die Anleitung zur
Berechnung von Lärmkonturen - AzB - (Verwaltungsvorschrift vom 27. Februar
1975, GMBl. S. 162, i.d.F. vom 20. Februar 1984) geregelt. Dieses für Landeplätze
entwickelte Berechnungsverfahren (AzB-L) trägt der Kritik Rechnung, die gegen die
AzB vorgebracht worden ist, indem es insbesondere den Halbierungsparameter q
= 3 verwendet (vgl. Referentenentwurf des Bundesumweltministeriums -
"Eckpunkte" - der Novelle des Gesetzes zum Schutz gegen Fluglärm vom Januar
2000) und - im Gegensatz zu der AzB - nicht den Fluglärm bei weniger als 100.000
Flugbewegungen unterschätzt (vgl. Sondergutachten des Rates von
Sachverständigen für Umweltfragen - Sondergutachten - vom Dezember 1999,
BT-Drs. 14/2300, S. 194 ).
Es bedarf daher keines Rückgriffs auf die DIN 45684 (Ermittlung von
Fluggeräuschimmissionen an Landeplätzen, Teil 2: Berechnungsverfahren), die
bislang ohnehin nur als Entwurf vorliegt. Die gravierenden Unterschiede zwischen
dem Ergebnis des HLUG-Gutachtens und den Berechnungen des Klägers zu 2. auf
der Grundlage der DIN 45684 beruhen, wie der Kläger zu 2. in der mündlichen
Verhandlung eingeräumt hat, auch nicht auf Differenzierungen im
Berechnungsverfahren, sondern auf unterschiedlichen Eingabegrößen und auf
Zuschlägen, die der Kläger zu 2. im Gegensatz zu dem Gutachter für geboten
erachtet. Aber auch unter diesem Aspekt besteht für den Senat keine
Veranlassung, in eine weitere Ermittlung des Sachverhalts einzutreten. Die von
dem Gutachter verwendeten Daten über die Flugzeugbewegungen und den
Flugzeugmix beruhen zwar auf Angaben der Beigeladenen, diese ist aber als
Betreiberin des Flugplatzes gehalten, diese Zahlen insbesondere im Flugbuch zu
dokumentieren. Die Beigeladene hat auch zu dem von den Klägern vorgelegten
"Flugzeitenbuch" substantiiert Stellung genommen. Anhaltspunkte, dass die
Angaben der Beigeladenen in einem das Ergebnis der schalltechnischen
Untersuchung beeinflussenden Ausmaß unrichtig sein könnten, sind weder von
den Klägern vorgetragen noch sonst ersichtlich. Hinsichtlich der Flugrouten haben
sich die Flugzeugführer an die Vorgaben der Flugsicherung und des Betreibers des
Flugplatzes zu halten (vgl. insbesondere Sichtanflugkarte, Anlage 5 zu dem HLUG-
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Flugplatzes zu halten (vgl. insbesondere Sichtanflugkarte, Anlage 5 zu dem HLUG-
Gutachten). Die der Berechnung zugrunde zu legenden Flughöhen werden letztlich
durch die AzB-L selbst festgelegt; sie ergeben sich aus den An- und Abflugwinkeln,
die in der AzB-L je nach dem Flugzeugtyp, also nach flugtechnischen Aspekten,
vorgegeben sind.
Die Kläger machen zwar zu Recht geltend, dass diese - errechneten - Werte nicht
immer mit den tatsächlichen Fluglinien und Flughöhen übereinstimmen mögen,
das beeinträchtigt aber nicht die Verwertbarkeit des HLUG-Gutachtens. Denn zum
einen werden derartige Abweichungen zum Teil schon in den
Berechnungsvorschriften der AzB-L berücksichtigt. Darüber hinaus sind solche
Vorschriften nur praktikabel, wenn sie mit Pauschalierungen einhergehen. So mag
es sein, dass bestimmte Abweichungen von der errechneten Fluglinie oder nicht
erfasste einzelne schalltechnische Phänomene eine tatsächliche Lärmbelastung
unterschätzen. Dafür wirken sich andere Pauschalierungen zugunsten der Anlieger
aus, wie insbesondere die sog. 100 %-Regelung, die - verkürzt formuliert -
rechnerisch unterstellt, dass alle Flüge auf der Nord-Süd-Achse von und nach
Süden landen oder starten. Sollten Piloten in Einzelfällen von den Vorgaben der
Flugsicherung abweichen oder ihre Verpflichtung zur Lärmminderung (vgl. § 29b
Abs. 1 LuftVG) verletzen, darf das nicht der Beigeladenen durch Einschränkung der
Betriebsgenehmigung angelastet werden. Schließlich ist das HLUG-Gutachten
durch das im Auftrag der Gemeinde Florstadt erstellte Gutachten des Instituts
ADU-cologne vom September 2000 bzgl. der Methode und des Ergebnisses der
Berechnungen bestätigt worden (Bl. 82 ff. d. A. 2 A 828/01).
Die Ausführungen des Gutachters Dr. K. in der mündlichen Verhandlung und in
seiner Stellungnahme vom 5. August 2002 rechtfertigen keine andere Beurteilung
der Lärmbelastung der Kläger. Ein darin liegender neuer Sachvortrag wäre, wenn
er entscheidungserheblich wäre sowie weitere Ermittlungen und damit
Verzögerungen auslösen würde, als verspätet zurückzuweisen (§ 87b Abs. 3
VwGO). Der Gutachter Dr. K. gelangt aber nur unter der Voraussetzung zu
anderen Ergebnissen als das HLUG-Gutachten, dass andere Eingabedaten
verwendet werden; deshalb kann auf das zu den Berechnungen des Klägers zu 2)
Gesagte verwiesen werden.
Für Zuschläge, wie sie die Kläger fordern, bietet die Berechnung nach der AzB-L
keinen Raum. In den Berechnungsvorschriften ist eine separate
Kennzeichnungszeit für Sonn- und gesetzliche Feiertage vorgesehen, so dass der
höhere Flugbetrieb an diesen Tagen nicht in eine Mittelung mit anderen Tagen
eingeht. Flugzeitbeschränkungen sieht, wie oben dargelegt, die Landeplatz-
Lärmschutzverordnung für bestimmte Flugzeugtypen vor. Weitergehende
Zuschläge für Ruhezeiten oder Wochenenden sehen die AzB-L im Gegensatz zu
anderen Normierungen (z. B. TA-Lärm), aber in Übereinstimmung mit dem
sonstigen Verkehrslärmschutz (vgl. 16. BImSchV) nicht vor. Der erhöhten
Lästigkeit des Fluglärms gegenüber Schienen- und Straßenverkehrslärm kann,
solange keine verbindlichen Berechnungsvorschriften (wie z. B. zum
Schienenbonus) erlassen worden sind, auf der Ebene der Lärmbewertung bzw.
Richtwertdiskussion Rechnung getragen werden.
Die nach allem zutreffend ermittelte Lärmbelastung am Tag von maximal 57 dB(A)
an Sonn- und Feiertagen liegt deutlich unterhalb der Bandbreite, innerhalb der der
Beginn einer Gesundheitsgefährdung liegen könnte, so dass der Senat im
vorliegenden Verfahren auch hinsichtlich des Tageszeitraums nicht gehalten ist,
die genaue Grenze zu ermitteln, ab der Fluglärm die Gesundheit gefährdet.
Da hier Anzahl und Höhe der Einzelschallereignisse (vgl. Anlage 10 des HLUG-
Gutachtens) keine ungewöhnliche Verkehrslärmcharakteristik abbilden, stellt der
äquivalente Dauerschallpegel, der neben den Einzelschallereignissen auch die
Dauer der Lärmbeeinträchtigung in Relation zu den Ruhezeiten widerspiegelt,
einen geeigneten Beurteilungsmaßstab dar. Die Schwelle zur
Gesundheitsgefährdung wird auch von denjenigen Autoren und Institutionen, die
für eher niedrige Ansätze eintreten, in der Größenordnung von um die 65 dB(A)
angesiedelt, wobei gelegentlich von dem sonst im Verkehrsrecht angenommenen
Wert von 70 dB(A) am Tag ausgegangen und dieser Wert um einen Fluglärmmalus
gekürzt wird (vgl. insbesondere Ortscheid/Wende, a.a.O. S. 20;
Griefahn/Jansen/Scheuch/Spreng, a.a.O. S. 6, die 65 dB(A) als Präventivrichtwert
benennen; Sondergutachten, a.a.O. S. 174 ; Eckpunkte der Novelle
des Gesetzes zum Schutz gegen Fluglärm, a.a.O. S. 3). Die Kläger können sich
demgegenüber nicht mit Erfolg auf die "Neufahrner Resolution" berufen, weil es
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demgegenüber nicht mit Erfolg auf die "Neufahrner Resolution" berufen, weil es
sich bei dem dort genannten Wert von 60 dB(A) am Tag um eine Präventiv- oder
Vorsorgeschwelle handelt, die für die Auslegung des § 6 Abs. 2 Sätze 3 und 4
LuftVG, wie oben dargelegt, nicht herangezogen werden kann. Darüber hinaus wird
der Wert von 60 dB(A) unmittelbar nur in der Stellungnahme von Hecht und
Maschke begründet und - durch Abzug eines Fluglärmmalus - aus dem
Sondergutachten abgeleitet (vgl. Nachtfluglärmproblematik, Schriftenreihe des
Vereins für Wasser-, Boden- und Lufthygiene, Hersg.: Bartels und Ising, S. 136 f.).
Diese Argumentation überzeugt nicht ohne weiteres, weil sich die von Hecht und
Maschke in Bezug genommenen Ausführungen in dem Sondergutachten auf alle
Arten von Verkehrslärm beziehen, so dass ein weiterer Abzug von 5 dB(A) unter
Berücksichtigung eines allgemein ermittelten Fluglärmmalus von 3 dB(A) einer
eingehenden Begründung bedarf, um in einem gerichtlichen Verfahren als
Maßstab herangezogen werden zu können. Schließlich ist für den Senat nicht
erkennbar, dass diese Resolution, wie die Kläger meinen, auf einem Konsens
führen der Umweltmediziner beruht. Insoweit wird auf die gemeinsame Erklärung
von Basner, Griefahn, Jansen und Scheuch vom 16. Dezember 2001 (an das
Regierungspräsidium Darmstadt) verwiesen.
Auch unter Berücksichtigung der Maximalpegel lässt sich nicht feststellen, dass
von dem Verkehrslandeplatz Reichelsheim eine gesundheitsgefährdende
Lärmbelastung am Tag ausgeht. Die ermittelten Maximalpegel (vgl. HLUG-
Gutachten, Anlage 10) liegen nicht nur unter dem sog. Jansen-Kriterium von 19 x
99 dB(A) (vgl. Scheuch/Jansen, Zeitschrift für Lärmbekämpfung 2002, S. 7 ff.; dazu
auch: VG Mainz, Urteil vom 28. August 2001, NVwZ-RR 2002, 495), sondern auch
unter dem von Griefahn/Jansen/Scheuch/Spreng, a.a.O. S. 6, als Präventivwert
vorgeschlagenen Kriterium von 25 x 90 dB(A).
Schließlich geht eine Gesundheitsgefährdung - als Gefahr für die öffentliche
Sicherheit und Ordnung im Sinne des § 6 Abs. 2 Sätze 3 und 4 LuftVG - nicht von
dem Hubschrauberflugverkehr am Tag aus. Nach dem HLUG-Gutachten (S. 4)
verursachen die Schwebeflüge mit Hubschraubern im Bereich der Grasbahn am
Ortsrand von Ober-Florstadt Maximalpegel von bis zu 55 dB(A), die zwar deutlich
wahrgenommen werden, aber im Vergleich zu sonstigen Fluggeräuschen keinen
Beitrag zum Gesamtpegel liefern. Auch diese gutachterliche Aussage ist weder
von dem Gutachter Dr. K. noch von den Klägern substantiiert in Frage gestellt oder
erschüttert worden. Zu den tatsächlichen Eingabedaten gelten hier die
Ausführungen zu dem Flugzeugverkehr entsprechend. Die in der mündlichen
Verhandlung von den Klägern vorgelegten "Eidesstattlichen Versicherungen"
gebieten keine Beweisaufnahme. Der in diesen Erklärungen zum Ausdruck
kommende neue Sachvortrag über Flugverhalten der Hubschrauberpiloten wäre,
wenn er eine Beweisaufnahme veranlassen und damit das Verfahren verzögern
würde, als verspätet zurückzuweisen (§ 87b Abs. 3 VwGO). Darüber hinaus sind
Erklärungen, die von nicht sachkundigen Personen nach einem vorgefertigten
Muster über Flugbewegungen abgegeben werden, keine taugliche Grundlage für
eine alternative Fluglärmberechnung. Schließlich gilt auch hier, wie bereits oben
dargelegt, dass ein von den Anweisungen des Flugplatzunternehmers
abweichendes Flugverhalten einzelner Piloten keine Einschränkung der
Betriebserlaubnis des Flugplatzes rechtfertigt. Für den von Hubschraubern
verursachten Fluglärm sehen die AzB-L keinen Zuschlag vor, obwohl gerade an
Verkehrslandeplätzen ein Flugverkehr mit Hubschraubern, insbesondere auch zu
Schulungszwecken, häufig anzutreffen ist. Für Zuschläge wegen einer besonderen
Störqualität fehlen hinreichende Anhaltspunkte (vgl. hierzu: OVG Hamburg,
Beschluss vom 19. Februar 2002, NVwZ-RR 2002, 493; VG Mainz, Urteil vom 28.
August 2001, a.a.O. S. 495).
Abschließend sieht sich der Senat zu der Klarstellung veranlasst, dass hier keine
Entscheidung über die Erheblichkeit, Lästigkeit oder allgemeine Zumutbarkeit des
von dem Verkehrslandeplatz Reichelsheim ausgehenden Fluglärms getroffen
worden ist. Die Kläger haben den von dem - genehmigten - Verkehrslandeplatz
verursachten Fluglärm unabhängig von seiner Erheblichkeit grundsätzlich zu
dulden. Ein Anspruch auf Lärmminderung besteht nur für den Fall der
Überschreitung der Schwelle zur Gesundheitsgefährdung. Diese Schwelle wird hier,
ohne dass es einer konkreten Grenzziehung bedarf, deutlich unterschritten.
Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens in vollem Umfang zu tragen. Zwar
wäre - für sich betrachtet - hinsichtlich des erledigten Verfahrensteils eine
Beteiligung des Beklagten an der Kostenlast entsprechend § 160 VwGO billig
gewesen im Sinne des § 161 Abs. 2 VwGO, insgesamt ist aber das Maß des
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gewesen im Sinne des § 161 Abs. 2 VwGO, insgesamt ist aber das Maß des
Unterliegens des Beklagten sowohl im Hinblick auf den Anteil am Gesamtstreitwert
als auch im Hinblick auf die verursachten Gebühren als geringfügig anzusehen, so
dass den Klägern die Kosten des gesamten Verfahrens - entsprechend dem auf
sie entfallenden Anteil am Streitwert - aufzuerlegen sind (§ 155 Abs. 1 Satz 3
VwGO), und zwar einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen,
die sich durch ihren Sachantrag am Kostenrisiko beteiligt hat (§§ 162 Abs. 3 i.V.m.
154 Abs. 3 VwGO).
Die Vollstreckbarkeitserklärung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11 und
711 ZPO.
Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.