Urteil des HessVGH vom 08.03.1989

VGH Kassel: unterhaltsbeitrag, hauptsache, ermessen, erlöschen, vererblichkeit, öffentlich, auflage, erblasser, ruhegehalt, behörde

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
1. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
1 UE 2485/85
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 113 Abs 1 S 4 VwGO, §
161 Abs 2 VwGO, § 125 Abs
2 S 2 BBG, § 164 Abs 1 Nr
1 BBG, § 166 Nr 3 BBG
(Hauptsachenerledigung im Berufungsverfahren;
Vererblichkeit eines öffentlich-rechtlichen Anspruchs
(Unterhaltsbeitrag)
Vererblichkeit eines Anspruchs auf Unterhaltsbeitrag)
Tatbestand
Die am 21.9.1986 verstorbene Klägerin war seit 1955 mit einem am 30.7.1969
verstorbenen Postoberschaffner (Besoldungsgruppe A 3) verheiratet. Die Ehe
wurde durch Urteil des Landgerichts Fulda vom 27.7.1964 aus Verschulden des
Ehemannes geschieden. Eine Unterhaltsvereinbarung wurde nicht getroffen, der
geschiedene Ehemann leistete der Klägerin bis zu seinem Tode keinen Unterhalt.
Unter dem 31.1.1984 beantragte die verstorbene Klägerin unter Hinweis auf ihre
zwischenzeitlich eingetretene Erwerbsunfähigkeit bei der Beklagten, ihr einen
Unterhaltsbeitrag zu gewähren. Nach Ablehnung dieses Antrages und erfolglosem
Vorverfahren hat die verstorbene Klägerin Klage erhoben, der das
Verwaltungsgericht Kassel mit Urteil vom 16.10.1985 - I/1 E 2293/84 -
stattgegeben hat. Es hat die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen
Bescheide verpflichtet, die Klägerin auf ihren Antrag vom 31.1.1984 für die Zeit ab
1.2.1984 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
Gegen dieses ihr am 7.11.1985 zugestellte Urteil hat die Beklagte mit Schriftsatz
vom 3.12.1985, bei dem Verwaltungsgericht in Kassel eingegangen am 4.12.1985,
Berufung eingelegt.
Nach dem Tode der Klägerin wird der Rechtsstreit von ihrer Tochter als Alleinerbin
fortgeführt.
Nach gerichtlichen Hinweisen zur Frage der Vererblichkeit von Ansprüchen auf
Ermessensentscheidungen bzw. zur höchstpersönlichen Natur von
Unterhaltsbeiträgen nach dem Beamtenversorgungsrecht sowie auf die
Rechtsprechung des erkennenden Senats, nach der ein Unterhaltsbeitrag allenfalls
in Höhe von einem Drittel des Ruhegehalts des geschiedenen Beamten in
Betracht komme, auf den die Rente der Klägerin hätte angerechnet werden
müssen, hat die Klägerin mit Schriftsätzen ihres Bevollmächtigten vom 25.8.1987
und vom 18.10.1988 die Hauptsache für erledigt erklärt. Demgegenüber hält die
Beklagte an ihrem Berufungsantrag fest und weist darauf hin, daß der verstorbene
Ehemann der verstorbenen Klägerin im Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen
Ausgangsbescheides vom 10.9.1984 ein monatliches Netto-Ruhegehalt von
1.266,51 DM (= Brutto-Ruhegehalt 1.454,97 DM) bezogen und die Rente der
verstorbenen Klägerin 618,70 DM zuzüglich eines Zuschusses für
Krankenversicherung betragen habe. Diese Summe übersteige ein Drittel des
Ruhegehalts des geschiedenen Beamten, das der verstorbenen Klägerin als
Unterhaltsbeitrag allenfalls zugestanden hätte.
Der Vertreter der Beklagten beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Der Bevollmächtigte der Klägerin beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen, sowie festzustellen, daß der
Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt ist.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der
Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie auf den Inhalt des
Prozeßkostenhilfeverfahrens - Hess.VGH - ... sowie auf die Personalakten der
Oberpostdirektion F. über den verstorbenen Ehemann der ehemaligen Klägerin (1
Band) Bezug genommen, die zum Gegenstand der Verhandlung vor dem
erkennenden Senat gemacht worden sind.
Entscheidungsgründe
Über den nach §§ 124, 125 VwGO zulässigen Berufungsantrag der Beklagten kann
der Senat nicht mehr entscheiden, weil die Klägerin das Verfahren in der
Hauptsache zu Recht für erledigt erklärt hat. Ihre Erklärung führt zu der
Feststellung, daß das Verfahren in der Hauptsache erledigt ist, so daß zur
Rechtsklarheit auszusprechen ist, daß das angefochtene Urteil in entsprechender
Anwendung von § 92 Abs. 2 VwGO und § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO i.V.m. § 173 VwGO
unwirksam ist.
Da die Beklagte der Erledigungserklärung der Klägerin widersprochen hat und auf
ihrem Berufungsantrag beharrt, ist im Berufungsverfahren durch Urteil streitig
darüber zu entscheiden, ob der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt ist. Liegt
nämlich (nur) eine einseitige Erledigungserklärung vor - hier: der Klägerin - und hat
ihr der andere Beteiligte - hier: die Beklagte - widersprochen, so ist die einseitige
Erledigungserklärung als Antrag an das Gericht zu werten, die Erledigung der
Hauptsache festzustellen, weil sich der Streit der Beteiligten nunmehr nur noch
um die Frage dreht, ob eine Erledigung in der Hauptsache eingetreten ist oder
nicht. Je nach Ausgang dieses Streites ist der auf Feststellung der Erledigung
gerichtete Antrag abzulehnen und die Klage mangels Sachantrags abzuweisen
oder aber festzustellen, daß sich die Hauptsache erledigt hat (allgemeine
Meinung: Urteile des erkennenden Senats vom 28.11.1973 - I OE 16/71 - und vom
8.6.1988 - 1 OE 62/83--; Senatsbeschluß vom 14.11.1986 - 1 TG 2512/86 -;
HessVGH, Beschluß vom 8.11.1983 - 5 TH 46/83 -; HessVGH, Urteil vom 12.1.1982
-IX OE 5/79 - im Anschluß an BVerwG, Urteil vom 30.10.1969, MDR 1970, 261; vgl.
Kopp, VwGO, 7. Auflage 1986, § 161 Rdnr. 19 m.w.N. und Redeker/von Oertzen,
VwGO, 9.Auflage 1988, § 107 Rdnr. 21 m.w.N.). Voraussetzung ist allerdings, daß
die Klage bis zum Eintritt des erledigenden Ereignisses zulässig war (vgl. hierzu
Redeker/von Oertzen, a.a.O. m.w.N. aus der Rechtsprechung), woran hier keine
Zweifel bestehen.
Die Erledigungserklärung der Klägerin entspricht der Verfahrenslage, denn der von
der verstorbenen Klägerin geltend gemachte Unterhaltsbeitrag hatte
höchstpersönlichen Charakter und ist mit ihrem Tode am 21.9.1986 erloschen
(vgl.§§ 164 Abs. 1 Nr. 1, 166 Nr. 3 BBG a.F.; §§ 22 Abs. 2, 61 Abs. 1 Nr. 1, 63 Nr. 6
BeamtVG). Er kann daher für die Zeit ab 22.9.1986 von ihrer Erbin nicht mehr
geltend gemacht werden. Für die Zeit bis zum 21.9.1986 gilt folgendes:
Ob und in welchem Umfange Ansprüche, die dem öffentlichen Recht angehören -
wie hier: der geltendgemachte Unterhaltsbeitrag -, vererblich sind, ist in erster
Linie nach öffentlich-rechtlichen Grundsätzen und nicht nach bürgerlichem Recht
zu entscheiden (so BVerwG, Urteil vom 6.7.1965, BVerwGE 21, 302, 303 unter
Hinweis auf BVerwGE 16, 68, 69). Allerdings kann für die Beurteilung dieser Frage
der Rechtsgedanke des § 1922 BGB entsprechend angewendet werden.
Demzufolge sind vermögensrechtliche Ansprüche öffentlich-rechtlicher Natur, die
nicht so höchstpersönlich sind, daß sie mit dem Tode des Berechtigten auch für
die Vergangenheit erlöschen, dem vererblichen Vermögen zuzuzählen, sofern sie
in der Person des Erblassers soweit entstanden sind, daß sie seiner rechtlichen
Lebenssphäre zugerechnet werden können. Diese Voraussetzungen waren im
Zeitpunkt des Todes der verstorbenen Klägerin in ihrer Person jedoch noch nicht
erfüllt.
Der Anspruch auf einen Unterhaltsbeitrag der geschiedenen Ehefrau eines
verstorbenen Beamten erlischt mit dem Tode der Ehefrau. Mit dem "Erlöschen"
eines Anspruchs ist im Beamtenrecht in aller Regel sein völliger, endgültiger
Wegfall gemeint (so BVerwG, Urteil vom 12.1.1967, BVerwGE 26,15,18). Dieses
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Wegfall gemeint (so BVerwG, Urteil vom 12.1.1967, BVerwGE 26,15,18). Dieses
Erlöschen tritt kraft Gesetzes ein (so Fürst, GKÖD I K § 164 BBG Rdnr. 4). Das
gesetzliche Erlöschen bezieht sich auch auf Anwartschaften, die möglicherweise im
Zeitpunkt des Todes der geschiedenen Ehefrau des verstorbenen Beamten auf
einen Unterhaltsbeitrag bereits entstanden waren. Der entsprechende Anspruch
entsteht dann von vornherein nicht (so Fürst, a.a.O. K § 164 Rdnr. 8).
Wie das Bundesverwaltungsgericht indessen in seinem bereits zitierten Urteil vom
6.7.1965 (a.a.O., S.303) ausgeführt hat, stellt sich die Frage, ob und unter welchen
Voraussetzungen bloße Rechtsanwartschaften und Rechtsverkehrslagen als
Vermögensbestandteile angesehen werden müssen, die auf die Erben übergehen,
auch für das öffentliche Recht. Zu dieser Kategorie rechtlicher Beziehungen gehört
demnach die dem Erblasser erwachsene Möglichkeit, eine vermögensrechtliche
Leistung aufgrund einer Verwaltungsentscheidung zu erhalten, die in das
Ermessen der dafür zuständigen Behörde gestellt ist. Hierzu zählt auch der von
der verstorbenen Klägerin geltend gemachte Anspruch auf einen Unterhaltsbeitrag
als geschiedene Ehefrau ihres verstorbenen Ehemannes. Wie das
Bundesverwaltungsgericht in der zitierten Entscheidung weiter ausführt, könne bei
Ermessensentscheidungen der Fall allerdings so liegen, daß der Erblasser sich
gegenüber der zuständigen Behörde schon in einer Rechtsposition befunden habe,
in deren Rahmen der Anspruch auf gesetzmäßige Ausübung des Ermessens zu
den vererblichen Vermögensrechten gerechnet werden müsse (so BVerwG, Urteil
vom 6.7.1965, a.a.O., S. 304). Eine derartige Rechtsposition, die im Ergebnis eine
Ermessensbeschränkung der Beklagten auf Null vorausgesetzt hätte, hatte die
verstorbene Klägerin hinsichtlich des von ihr begehrten Unterhaltsbeitrages als
geschiedene Ehefrau eines verstorbenen Beamten der Beklagten jedoch noch
nicht erreicht. In diesem Zusammenhang hat das Verwaltungsgericht in dem
angefochtenen Urteil darauf hingewiesen, daß die Beklagte von ihrem ihr in § 125
Abs. 2 Satz 2 BBG a.F.eingeräumten Ermessen (noch) nicht in einer dem Zweck
dieser Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht habe, der darin
bestehe, daß das vom Gesetz mit dem Unterhaltsbeitrag verfolgte Ziel einer
Härtemilderung auch nach einer Änderung der Verhältnisse erreicht werde. Es
stehe aber gerade im Ermessen der Beklagten - mindestens hinsichtlich der Höhe
- die Änderung der Verhältnisse durch Gewährung des zunächst versagten
Unterhaltsbeitrages nach § 125 Abs. 2 Satz 2 BBG a.F. zu berücksichtigen. Da eine
auf einen bestimmten Betrag hinauslaufende Einschränkung des Ermessens der
Beklagten nicht gegeben sei, erscheine die Sache nicht spruchreif mit der Folge,
daß antragsgemäß lediglich Verpflichtung zur Neubescheidung ausgesprochen
werden dürfe. Ausgehend von diesen Erwägungen, denen sich der erkennende
Senat anschließt, hatte sich das Ermessen der Beklagten im Zeitpunkt des Todes
der verstorbenen Klägerin noch nicht in der Weise "auf Null" beschränkt, daß ihr
Anspruch auf gesetzmäßige Ausübung des Ermessens bereits zu den vererblichen
Vermögensrechten gerechnet werden mußte.
Abgesehen davon billigt der erkennende Senat in Anlehnung an die einschlägige
Kommentarliteratur zu der Regelung des § 125 BBG bzw. den entsprechenden
landesgesetzlichen Bestimmungen schuldlos geschiedenen Ehefrauen
verstorbener Beamter einen Unterhaltsbeitrag grundsätzlich nur in Höhe eines
Drittels der Einkünfte des früheren Ehemannes zu, wenn - wie hier - keine hiervon
abweichende vertragliche Unterhaltsvereinbarung oder gerichtliche
Unterhaltsentscheidung vorliegt. Ob von dieser Regel bei erhöhtem Bedarf wegen
einer besonderen Notlage oder aus anderen Gründen abzuweichen ist, kann hier
dahingestellt bleiben. Jedenfalls hätte sich die verstorbene Klägerin auf den
Unterhaltsbeitrag in Höhe eines Drittels der Einkünfte des früheren Ehemannes
grundsätzlich ihre Rentenzahlungen aus der eigenen Sozialversicherung ebenso
wie eine etwaige Witwenrente, die infolge des Todes ihres früheren Ehemannes
gewährt worden wäre, anrechnen lassen müssen (so Senatsbeschluß vom
20.9.1988 -- 1 D 5005/88 - unter Hinweis auf Fürst, a.a.O., K § 125 Rdnr.34;
Kümmel, Kommentar zum BeamtVG, Stand: Juni 1988, § 86 Erl.11;
Stegmüller/Schmalhofer/Bauer, Kommentar zum BeamtVG, Stand: Mai 1988, §
86, Erl. 2 Buchst. 1; Plog/Wiedow/Beck, Kommentar zum BBG, § 122 Rdnr. 24).
Geht man von dieser Berechnungsweise aus, so hätte die Beklagte bei ihrer in ihr
Ermessen gestellten Entscheidung, ob und inwieweit sie bei der Bewilligung eines
Unterhaltsbeitrages im Rahmen des § 125 Abs. 2 Satz 2 BBG a.F. die nach dem
Tode des früheren Ehemannes der verstorbenen Klägerin eingetretenen
Veränderungen der Verhältnisse berücksichtigen will, auch in Rechnung stellen
können, daß das in Betracht zu ziehende Drittel des monatlichen Ruhegehalts des
verstorbenen Ehemannes der verstorbenen Klägerin durch ihre anzurechnende
eigene Rente aufgezehrt worden wäre. Es kann daher gerade nicht davon
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eigene Rente aufgezehrt worden wäre. Es kann daher gerade nicht davon
ausgegangen werden, daß sich der geltend gemachte Anspruch der verstorbenen
Klägerin auf einen Unterhaltsbeitrag bereits zu einer vererblichen
Vermögensposition verdichtet hatte.
Entspricht demnach die Erledigungserklärung der Rechtsnachfolgerin der
verstorbenen Klägerin des Ausgangsverfahrens der Sach- und Rechtslage, weil der
von der verstorbenen Klägerin geltend gemachte Anspruch auf einen
Unterhaltsbeitrag als schuldlos geschiedene Ehefrau nach ihrem verstorbenen
Ehemann mit ihrem Tode als solcher erloschen ist und für die Vergangenheit eine
zu den vererblichen Vermögensrechten verdichtete Rechtsposition nicht
entstanden ist, kann in ihrer Erledigungserklärung auch keine "verschleierte"
Klagerücknahme gesehen werden, was stets zu prüfen ist (vgl.hierzu Kopp, VwGO,
7.Auflage 1986, § 161 Rdnr.20 und Redeker/von Oertzen, a.a.O., § 107 Rdnr. 21
m.w.N.).
Schließlich liegt auch kein Ausnahmefall vor, in dem die Beklagte trotz Erledigung
der Hauptsache an ihrem Berufungsantrag festhalten konnte. Ein solcher
Ausnahmefall wird nur dann angenommen, wenn auf der Beklagtenseite eine
Interessenlage besteht, die einem Kläger die Möglichkeit eines
Fortsetzungsfeststellungsantrages entsprechend § 113 Abs.1 Satz 4 VwGO
eröffnen würde (vgl.hierzu Senatsurteile vom 28.11.1973 - 1 OE 16/71 - unter
Hinweis auf BVerwGE 31,318,320 und BVerwGE 34,159,160 sowie vom 8.6.1988 - 1
OE 62/83 --). Indessen hat die Beklagte eine derartige Konstellation weder
dargelegt noch liegt sie vor. Für die allein in Betracht zu ziehende
"Wiederholungsgefahr" ist darauf hinzuweisen, daß die in dem Ausgangsverfahren
umstrittenen Rechtsfragen - wie ausgeführt - in der höchstrichterlichen
Rechtsprechung geklärt sind.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.