Urteil des HessVGH vom 07.07.1997

VGH Kassel: politische verfolgung, amnesty international, staatliche verfolgung, asylbewerber, polizei, bevölkerung, zahl, regierung, genfer konvention, körperliche unversehrtheit

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
12. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
12 UE 2815/96.A
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
Art 16a Abs 1 GG, § 51 Abs
1 AuslG 1990, § 28 AsylVfG
1992
(Türkei: keine Verfolgungsgefahr für Aleviten)
Tatbestand
Der 1962 in O, Provinz Mus (Türkei) geborene Kläger ist türkischer
Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit alevitischen Bekenntnisses. Er
reiste etwa im Herbst 1991 nach Deutschland ein und beantragte mit
anwaltlichem Schriftsatz vom 3. Dezember 1991 die Anerkennung als
Asylberechtigter. Zur Begründung führte er aus, dass einer seiner Brüder Mitglied
der PKK gewesen und deshalb Ende 1989 aus der Türkei ausgereist sei. Danach
seien Sicherheitskräfte auf die in der Türkei verbliebenen Brüder aufmerksam
geworden. Man habe ihn verdächtigt, ebenfalls die PKK unterstützt zu haben.
Mindestens zwei- bis dreimal pro Monat sei er kurzfristig festgenommen und
verhört worden. In den letzten Monaten hätten sich derartige Vorfälle häufiger
abgespielt. Tatsächlich habe er aber auch der PKK einige Male Geld gespendet,
weil er deren politische Ziele durchaus unterstützt habe.
Anläßlich seiner Anhörung vor dem Bundesamt am 25. Januar 1994 gab er im
wesentlichen an, die Lage in der Provinz, aus der er stamme, sei sehr schlecht.
Viele Menschen seien aus ihren Dörfern vertrieben worden; auch sie habe man aus
ihrem Dorf vertrieben. Täglich hätten Sicherheitskräfte das Dorf überfallen. Sie
hätten die Dorfbewohner auf dem Dorfplatz versammelt und sie geschlagen sowie
beleidigt. Sie hätten nicht mehr auf den Feldern arbeiten können, oft habe es
Ausgangssperren gegeben. Die Sicherheitskräfte hätten ihnen vorgeworfen, sie
hätten die PKK durch Unterkunft und mit Lebensmitteln unterstützt. Nunmehr
lebten nur noch ältere Menschen in dem Dorf. Auch seine Eltern hätten das Dorf
verlassen und seien nach Adana gezogen. Auf Befragen gab der Kläger an, die PKK
nicht unterstützt zu haben, nur seine Eltern hätten der PKK geholfen. Auf weitere
Frage gab er an, er habe sich in Deutschland nicht mit Politik beschäftigt.
Das Bundesamt lehnte mit Bescheid vom 1. März 1994 den Asylantrag des
Klägers ab und stellte gleichzeitig fest, dass die Voraussetzungen der §§ 51 Abs. 1
und 53 AuslG nicht vorlägen. Zugleich forderte es den Kläger auf, Deutschland
innerhalb eines Monats zu verlassen, und drohte ihm für den Fall der
Nichtbefolgung die Abschiebung in die Türkei an.
Gegen diesen am 7. März 1994 zugestellten Bescheid erhob der Kläger am 16.
März 1994 Klage. Unter Vertiefung des bisherigen Vortrags führte er aus, dass von
einer asylrechtlichen Gruppenverfolgung der Kurden in der Türkei auszugehen sei,
ohne dass eine inländische Fluchtalternative zur Verfügung stehe.
Anlässlich der mündlichen Verhandlung vom 5. September 1995 gab der Kläger
an, sein Heimatort sei, wie jüngeren Zeitungsberichten zu entnehmen sei,
staatlichem Terror ausgesetzt. Er selbst habe sich in der Türkei wie auch in
Deutschland nicht politisch betätigt. Er habe auch keine Probleme mit türkischen
Behörden gehabt. Allerdings habe sich sein Bruder H sowohl in der Türkei als auch
in Deutschland politisch betätigt. Dieser sei zudem am 8. November 1993
rechtskräftig wegen der Besetzung des türkischen Konsulats in Mainz verurteilt
worden.
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Der Kläger hat beantragt,
den Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge
vom 1. März 1994 aufzuheben und das Bundesamt zu verpflichten, ihn als
Asylberechtigten anzuerkennen sowie festzustellen, dass bei ihm die
Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 des Ausländergesetzes vorliegen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 5. September 1995
abgewiesen und dazu im wesentlichen ausgeführt, es sei aufgrund der vom Kläger
gemachten Angaben sowie der in das Verfahren eingeführten Erkenntnisquellen zu
der Überzeugung gelangt, dass der Kläger im Falle einer Rückkehr in die Türkei mit
beachtlicher Wahrscheinlichkeit keiner politischen Verfolgung ausgesetzt sein
werde. Es gehe nämlich davon aus, dass dieser unverfolgt ausgereist sei und auch
danach keine sogenannten Nachfluchtgründe entstanden seien. Solche ergäben
sich auch nicht aus der angeblichen Verurteilung des Bruders des Klägers wegen
einer Beteiligung an der Besetzung eines türkischen Konsulats.
Zur Begründung der mit Beschluss des damals zuständigen 3. Senats vom 15. Juli
1996 zugelassenen Berufung beruft sich der Kläger im wesentlichen auf seine
bisherigen Ausführungen, weist jedoch unter Vorlage eines Aktenauszuges aus
dem Strafverfahren 302 Js 12863/92 Jug. 18 Ls des AG Mainz darauf hin, dass der
türkische Konsul über seine Bevollmächtigten Einsicht in die Akten genommen
habe, aus denen hervorgehe, dass sein Bruder an der Besetzung teilgenommen
habe. Dieser Umstand sei für ihn im Falle einer Abschiebung in die Türkei von
Bedeutung. Wegen der Tat seines Bruders drohe ihm längerfristige Polizeihaft,
gegebenenfalls Folter. In diesem Zusammenhang sei auf die Auskunft von Taylan
an das VG Gießen vom 29. Mai 1995 zu verweisen.
Der Kläger beantragt unter Rücknahme der Berufung hinsichtlich der Feststellung
der Voraussetzungen des § 53 AuslG,
die Beklagte unter Abänderung des angegriffenen Urteils und Aufhebung des
Bescheides des Bundesamtes vom 1. März 1994 zu verpflichten, ihn als
Asylberechtigten anzuerkennen und festzustellen, dass bei ihm die
Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Bundesbeauftragte hat sich an dem Berufungsverfahren nicht beteiligt.
Der Kläger ist aufgrund des Beschlusses des Senats vom 24. April 1997 als
Beteiligter über seine Asylgründe vernommen worden; insoweit wird auf die
Niederschrift über den Termin zur Beweisaufnahme vor dem Berichterstatter am
16. Mai 1997 Bezug genommen. Die anlässlich dieses Termins zu den Akten
gereichten fünf Dokumente sind im Termin von dem anwesenden Dolmetscher
und Übersetzer Tanriverdi ihrem Sinngehalt nach übersetzt worden. Insoweit wird
auf Blatt 3 des Vernehmungsprotokolls vom 16. Mai 1997 Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die den
Kläger betreffenden Gerichtsakten (12 UE 2815/96.A), die Akten des Landrats des
Main-Taunus-Kreises und auf die Verwaltungsakten der Beklagten (B 1323024-
163) sowie die den Beteiligten mit Schreiben des Berichterstatters vom 10., 18.
und 24. Juni 1997 mitgeteilten Erkenntnisgrundlagen Bezug genommen, die neben
dem Gutachten von Taylan an das Verwaltungsgericht Gießen vom 29. Mai 1995
allesamt Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren:
I.
1. 18.02.1981
Auswärtiges Amt an VG Berlin
2. 12.06.1981
Sachverständiger Roth vor VG Hamburg
3. 12.06.1981
Sachverständige Kappert vor VG Hamburg
4. 22.06.1981
Auswärtiges Amt an VG Oldenburg
5. 22.06.1981
Auswärtiges Amt an VG Mainz
6. 09.08.1981
a. i. an VG Mainz
7. 22.10.1981
Sternberg-Spohr vor VG Düsseldorf
8. 20.11.1981
Auswärtiges Amt an Bay. VGH
9. 10.11.1982
Nebez vor VG Berlin
10. 10.11.1982
Kaya vor VG Berlin
11. 11.11.1982
Taylan vor VG Berlin
12. 15.11.1982
von Sternberg-Spohr vor VG Berlin
13. 15.11.1982
Roth vor VG Berlin
14. 03.01.1983
Auswärtiges Amt an VG Hannover
15. 18.02.1983
Max-Planck-Institut Heidelberg an VG
Karlsruhe
16. 12.06.1983
Oehring an VGH Baden-Württemberg
17. 16.06.1983
Hauser an VGH Baden-Württemberg
18. 06.02.1984
Sidiq an VG Hamburg
19. Mai 1984
Bericht der Delegation Fischer u. a.
20. 29.05.1984
Kappert an VGH Baden-Württemberg
21. 08.06.1984
Hauser an Hess. VGH
22. 13.06.1984
Götz an Hess. VGH
23. 16.10.1984
Roth an Hess. VGH
24. Okt. 1984
Oguzhan, Die Rechtsstellung der Kurden
in der Türkei
25. Sept. 1985
Das türkische Sprachenverbotsgesetz
26. 15.03.1987
Auswärtiges Amt - Lagebericht Türkei
27. 29.06.1987
Auswärtiges Amt - Lagebericht Türkei
28. 27.07.1990
Auswärtiges Amt an VG Oldenburg
29. 31.10.1990
Rumpf an VG Hamburg
30. 28.01.1991
FAZ: "Ankara hebt Verbot des Kurdischen
auf"
31. 31.07.1991
Auswärtiges Amt an OVG Saarland
32. 10.10.1991
Auswärtiges Amt an VG Stade
33. 15.10.1991
Auswärtiges Amt an VG Hamburg
34. 10.12.1991
FR: "Demirel nennt Kurden Brüder"
35. 14.12.1991
FAZ: "Die türkische Republik ist unser
gemeinsamer Staat"
36. 20.02.1992
Auswärtiges Amt - Lagebericht Türkei
37. 12.03.1992
Auswärtiges Amt an Niedersächsisches
Innenministerium
38. 22.04.1992
Die Welt: "Ankara will mehr für Kurden tun"
39. 18.05.1992
Taylan an OVG Hamburg
40. 12.06.1992
Auswärtiges Amt - Lagebericht Türkei
41. 30.06.1992
Kaya an VG Düsseldorf
42. 01.07.1992
Rumpf an VG Düsseldorf
43. 20.08.1992
SZ: "Özal kündigt Erleichterungen an"
44. 15.09.1992
Rumpf an VG Bremen
45. 23.10.1992
FR: "Krieg läßt die Kurdenprovinzen auch
wirtschaftlich ausbluten"
46. 30.10.1992
Auswärtiges Amt - Lagebericht Türkei
47. 11.11.1992
Taylan an OVG Hamburg
48. 17.11.1992
Rumpf an OVG Hamburg
49. 19.11.1992
Auswärtiges Amt an VG Bremen
50. 24.11.1992
a. i. an VG Bremen
51. 08.12.1992
Zeugenvernehmung Heinecke vor OVG Hamburg
52. 10.12.1992
a. i., Bericht, Türkei (Kurden)
53. 15.12.1992
SZ: "Die fortgesetzte Chronik der
Gnadenlosigkeit"
54. 15.01.1993
a. i. an VG Stuttgart
55. 25.01.1993
a. i. an VG Bremen
56. 02.02.1993
Auswärtiges Amt an VG Wiesbaden
57. 03.03.1993
Oberdiek: "Gefährdung von Kurden in
Städten der Westtürkei"
58. 05.03.1993
Zeuge Ayzit vor VG Hamburg
59. 08.03.1993
Rumpf an VG Wiesbaden
60. 20.03.1993
a. i., Türkei (Kurden)
61. 28.04.1993
Auswärtiges Amt - Lagebericht Türkei
62. 14.05.1993
Auswärtiges Amt an OVG Schleswig-Holstein
63. 17.05.1993
Der Spiegel: "Den eigenen Vater foltern"
64. 02.06.1993
Kaya an OVG Schleswig-Holstein
65. 15.07.1993
Auswärtiges Amt an Regierungspräsidium
Ludwigsburg
66. 04.08.1993
Rumpf an VG Gießen
67. 06.08.1993
a. i., Türkei - Menschenrechtsverletzungen
an Kurden
68. 11.08.1993
FR: "Staatliche Gewalt"
69. 16.08.1993
SZ: "140.000 Soldaten gegen Kurden im
Einsatz"
70. 21.08.1993
a. i., Türkei (Kurden)
71. 26.08.1993
Rechtsanwalt Sahin in Özgür Gündem
72. 27.08.1993
taz: "Hier gibt es keine zivile Gewalt,
nur Militär"
73. 02.09.1993
FR: "Im Kurdenkonflikt setzt Tansu Ciller
aufs Militär"
74. 18.09.1993
FR: "Publizist in Ankara verhaftet"
75. 20.09.1993
Kaya an VG Aachen
76. 23.09.1993
Gesellschaft für bedrohte Völker an
VG Frankfurt am Main
77. 30.09.1993
SZ: "PKK-Führer droht mit totalem Krieg"
78. 20.10.1993
a. i. an OVG Schleswig-Holstein
79. 20.10.1993
Kaya an VG Köln
80. 25.10.1993
SZ: "Berichte über Hunderte von getöteten
Kurden"
81. 26.10.1993
FR: "Ausnahmezustand in Türkei verlängert"
82. 28.10.1993
FR: "Türkei will kurdische Rebellen ausrotten"
83. 29.10.1993
taz: "Der Kampf gegen den Terror"
84. 29.10.1993
Auswärtiges Amt an VG Aachen
85. 30.10.1993
FR: "Armee - Auf Lice bestätigt"
86. 06.11.1993
FR: "Wegen Kurden-Verfolgung Waffenembargo
gegen Türkei verlangt"
87. 10.11.1993
FR: "Hilferufe aus Kurdendorf"
88. 11.11.1993
FR: "Parlament verlängert Notstand"
89. 16.11.1993
Auswärtiges Amt - Lagebericht Türkei
90. 07.01.1994
Auswärtiges Amt an VG Bremen
91. 28.01.1994
a. i. an VG Ansbach
92. März 1994
Saarländische Kurdistan-Delegation:
"Inländische Fluchtalternative Westtürkei"
93. 20.04.1994
a. i. an VG Frankfurt am Main
94. 20.04.1994
Kaya an VG Kassel
95. 10.05.1994
Oberdiek an VG Frankfurt am Main
95. 10.05.1994
Oberdiek an VG Frankfurt am Main
96. 06.06.1994
Auswärtiges Amt - Lagebericht Türkei
97. 30.06.1994
Rumpf an VG Frankfurt am Main
98. 23.08.1994
Rumpf an VG Frankfurt am Main
99. 19.10.1994
Hartwig "Tränen des Krieges in Kurdistan"
in Kurdistan aktuell Nr. 31
100. 17.11.1994
a. i.: Menschenrechtsverletzungen an
Kurden in der Türkei
101. 21.11.1994
Dokumentation des Niedersächsischen
Flüchtlingsrats
102. 04.12.1994
Sauter in Weltspiegel, Kurdistan aktuell
Nr. 33
103. 02.01.1995
dpa: "Tote bei PKK-Überfall im türkischen
Kurdengebiet"
104. 04.01.1995
Auswärtiges Amt an OVG Hamburg
105. 09.01.1995
FAZ: "Pro-Kurdische Zeitungen beschlagnahmt"
106. 17.01.1995
Auswärtiges Amt - Lagebericht Türkei
107. 24.01.1995
dpa: "PKK will Genfer Konvention anerkennen"
108. 17.02.1995
FR: "PKK nennt manche türkische Lehrer
Agenten"
109. 25.02.1995
FR: "Menschenrechtler gibt auf"
110. 27.02.1995
FR: "Politische Morde praktisch ohne Folgen"
111. 03.03.1995
Gesellschaft für bedrohte Völker an
VG Aachen
112. 07.03.1995
Rumpf an OVG Hamburg
113. 13.03.1995
Auswärtiges Amt - Lagebericht Türkei
114. 13.03.1995
dpa: "Schwerste Unruhen in Istanbul seit
15 Jahren"
115. 15.03.1995
FAZ: "Türkische Regierung und alevitische
Religionsführer rufen zur Besonnenheit auf"
116. 16.03.1995
FAZ: "Aleviten von der Polizei erschossen"
117. 18.03.1995
FAZ: "Lage in Istanbul normalisiert"
118. 21.03.1995
Rumpf an VG Köln
119. 21.03.1995
Die Welt: "Türkische Armee marschiert in
Nordirak ein"
120. 24.03.1995
FR: "Sorge um verschollene Reporter"
121. 27.03.1995
Rechtsanwalt Selbert an Hess. VGH
122. 07.04.1995
FAZ: "PKK-Rebellen kämpfen erstmals im
Süden der Türkei"
123. 10.04.1995
FR: "Für jedes Ohr gibt es eine Prämie"
124. 19.04.1995
SZ: "Mindestens 23 Tote bei Kämpfen in der
Türkei"
125. 22.05.1995
Die Welt: "Acht PKK-Kämpfer bei Diyarbakir
getötet"
126. 24.05.1995
Auswärtiges Amt an VG Aachen
127. 26.05.1995
Oberdiek an Bay. VGH
128. 02.06.1995
SZ: "Aktion gegen mysteriöses Verschwinden
in der Türkei"
129. 07.06.1995
dpa: "Deutscher amnesty-Ermittler aus der
Türkei ausgewiesen"
130. 16.06.1995
Die Zeit: "Hörst du einen Schrei?"
131. 16.06.1995
FAZ: "Weitere Truppen gegen die PKK"
132. 22.06.1995
Rumpf vor OVG Schleswig-Holstein
133. 22.06.1995
Kaya vor OVG Schleswig-Holstein
134. 24./25.06.1995 SZ: "Demirel ruft Kurden zum Frieden auf"
135. 26.06.1995
FR: "Immer mehr Menschen verschwinden
in der Türkei"
136. 24.06.1995
Kaya an VG München
137. 12.07.1995
Auswärtiges Amt an VG Freiburg
138. 08.08.1995
FR: "Abgeordneter berichtet von
Kurdenvertreibung"
139. 18.08.1995
FAZ: "Deutsche Aktivisten wieder frei"
140. 18.08.1995
NZZ: "Kurdenzeitung in der Türkei geschlossen"
141. 23.08.1995
NZZ: "Rekordzahl politischer Gefangener
in der Türkei"
142. 01.09.1995
SZ: "Türkischer Journalist in der Haft
gestorben"
143. 13.09.1995
dpa: "Wieder 23 Tote bei Kämpfen in
türkischen Kurdengebieten"
144. 14.09.1995
FR: "Bericht über folternde Polizisten"
145. 21.09.1995
FR: "a. i. greift Türkei erneut scharf an"
146. 01.10.1995
Rumpf an VG Aachen
147. 12.10.1995
dpa: "In Deutschland geehrt, in der
Heimat Türkei mit Gefängnis bedroht"
148. 13.10.1995
Die Zeit: "Exil in der Heimat"
149. 09.11.1995
FR: "Vertreibung radikalisiert Kurden"
150. 11./12.11.1995 FR: "Im Schatten der Bajonette"
151. 26.11.1995
dpa: "Türkische Menschenrechtsstiftung:
Weiter Folter von Festgenommenen"
152. 29.11.1995
dpa: "Mindestens 18 Tote bei Kämpfen in
Kurdengebieten der Türkei"
153. 30.11.1995
Kaya an VG Freiburg
154. 02./03.12.1995 SZ: "Europa siegt in Istanbul"
155. 07.12.1995
Auswärtiges Amt: Lagebericht
156. 13.12.1995
SZ: "Türkische Intellektuelle müssen vor
Gericht"
157. 16.12.1995
SZ: "Kurden bieten Feuerpause an"
158. 18.12.1995
FR: "Soldaten töten vier PKK-Kämpfer"
159. 21.12.1995
FR: "Journalisten verurteilt"
160. 02.01.1996
SZ: "Kämpfe im Herzen der Türkei"
161. 02.01.1996
FR: "Kämpfe mit Kurden jetzt auch in
Zentralprovinz"
162. 09.01.1996
taz: "Mit Stangen erschlagen"
163. 09.01.1996
FR: "Schläge beim morgendlichen Zählappell"
164. 11.01.1996
FR: "Journalist zu Tode gefoltert"
165. 17.01.1996
FAZ: "In der Türkei ..."
166. 15.01.1996
FR: "Islamistische Wohlfahrtspartei bleibt
weiter ohne Partner"
167. 17.01.1996
NZZ: "Eingeständnis Ankaras zum jüngsten
Journalistenmord" und "Rache der PKK an
Dorfmiliz in Südostanatolien"
168. 24.01.1996
Auswärtiges Amt am BMI
169. 30.01.1996
Auswärtiges Amt an VG Freiburg
170. 30.01.1996
FR: "Nach der Abreise der GRÜNEN-Delegation
kam die Armee"
171. 01.02.1996
FR: "Abgeschobener Kurde ist auf
freiem Fuß"
172. 02.02.1996
FR: "Keine Besserung für Kurdistan"
172. 02.02.1996
FR: "Keine Besserung für Kurdistan"
173. 10.04.1996
SZ: "100 PKK-Terroristen getötet"
174. 17.04.1996
Auswärtiges Amt: Lagebericht Türkei
175. 01.05.1996
dpa: "Drei Tote und 48 Verletzte bei
Mai-Unruhen in Istanbul"
176. 10.06.1996
dpa: "PKK kündigt verstärkte militärische
Aktivitäten in der Türkei an"
177. 18.06.1996
SZ: "Keine Offensive in Syrien"
178. 11.07.1996
dpa: "Türkische Luftwaffe bombardierte
PKK-Lager im Norden des Irak"
179. 13.07.1996
FR: "Privat-TV wagt Sendungen in kurdischer
Sprache"
180. 15.07.1996
SZ: "Erbakan: Kurdische Dörfer werden
wieder aufgebaut"
181. 18.07.1996
FAZ: "Für die Kurden im Nahen Osten besteht
wenig Hoffnung"
182. 13.08.1996
Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und
abschiebungsrelevante Lage in der Türkei
183. 06.09.1996
FAZ: "Das Einkommensgefälle in der Türkei
nimmt weiter zu"
184. Oktober 1996
Lorenzi - Gutachten über die Aleviten
in der Türkei
185. 04.12.1996
Auswärtiges Amt - Lagebericht
186. 15.11.1996
Oberdiek an VG Hamburg
187. 20.12.1996
Oberdiek an OVG Schleswig-Holstein
188. 20.01.1997
Auswärtiges Amt an VG Würzburg
189. 22.01.1997
Rumpf an VG Bremen
190. 28.01.1997
Gesellschaft für bedrohte Völker an
OVG Schleswig-Holstein
191. 01.02.1997
Taylan an OVG Schleswig-Holstein
192. 05.02.1997
BMI an VGH Baden-Württemberg
193. 28.02.1997
Auswärtiges Amt an OVG Schleswig-Holstein
194. 02.04.1997
Oberdiek an OVG Mecklenburg-Vorpommern
195. 10.04.1997
Auswärtiges Amt - Lagebericht
196. 24.04.1997
Rumpf an OVG Schleswig-Holstein
II.
1. 02.05.1984
Max-Planck-Institut Heidelberg an
VGH Baden-Württemberg
2. 05.03.1990
Auswärtiges Amt an VG Hannover
3. 05.03.1990
Auswärtiges Amt an VG Hamburg
4. 29.03.1990
amnesty international an VG Stade
5. 18.06.1990
Oehring an VG Hannover
6. 29.08.1991
Kaya an VG Hamburg
7. 18.01.1993
amnesty international an VG Köln
8. 02.08.1994
Deutsche Botschaft in der Türkei
an VG Würzburg
9. 14.11.1994
amnesty international an VG Bremen
10. 17.02.1995
Kaya an VG Neustadt a.d.W.
11. 13.03.1995
amnesty international an VG München
12. 10.05.1995
Taylan an VG Mainz
13. 20.05.1995
Kaya an VG Mainz
14. 09.08.1995
Rumpf an VG Darmstadt
15. 14.08.1995
Auswärtiges Amt an VG Mainz
16. September 1995 amnesty international: Familien von
"Verschwundenen" als Opfer
17. 25.09.1995
SZ: "Bruder des PKK-Führers vorübergehend
festgesetzt"
18. 27.11.1995
Auswärtiges Amt an VG Stuttgart
19. 25.02.1996
Taylan an VG Neustadt a. d. W.
20. 22.07.1996
amnesty international an VG Stuttgart
21. 15.11.1996
Oberdiek an VG Hamburg
III.
1. 28.10.1983
von Sternberg-Spohr an OVG Lüneburg
2. 14.02.1984
Bundesamt für Verfassungsschutz an
VG Köln
3. 01.10.1984
Max-Planck-Institut Heidelberg an
Hess. VGH
4. 17.04.1986
Taylan an Hess. VGH
5. 15.05.1986
Auswärtiges Amt an Hess. VGH
6. 27.11.1989
Auswärtiges Amt an VG Wiesbaden
7. 16.12.1991
Auswärtiges Amt an VG Stuttgart
8. 12.03.1992
Oberdiek an VG Hannover
9. 20.03.1992
Rumpf an VG Hannover
10. 06.04.1992
Taylan an VG Bremen
11. 11.01.1993
Auswärtiges Amt an VG Bremen
12. 03.02.1993
Auswärtiges Amt an VG Stuttgart
13. 21.07.1993
Auswärtiges Amt an VG Gießen
14. 09.11.1993
Kaya an VG Kassel
15. 31.01.1994
amnesty international an VG Ansbach
16. 10.03.1994
Innenministerium Nordrhein-Westfalen an
VG Schleswig
17. 31.03.1994
amnesty international an VG Wiesbaden
18. 31.03.1994
amnesty international an VG Wiesbaden
19. 08.06.1994
Auswärtiges Amt an VG Frankfurt am Main
20. 15.07.1994
Auswärtiges Amt an VG Düsseldorf
21. 08.08.1994
Max-Planck-Institut Freiburg an
VG Wiesbaden
22. 16.08.1994
Gesellschaft für bedrohte Völker
an VG Wiesbaden
23. 29.12.1994
Auswärtiges Amt an VG Wiesbaden
24. 12.02.1996
Rumpf an VG Kassel
25. 03.04.1996
Kaya an VG Neustadt
26. 17.04.1996
Auswärtiges Amt an VG Neustadt
27. 15.09.1996
Kaya an VG Freiburg
28. 09.10.1996
Landesamt für Verfassungsschutz
Baden-Württemberg an VG Stuttgart
29. 30.10.1996
Kaya an VG Bremen
30. 29.11.1996
Max-Planck-Institut Freiburg an
VG Neustadt
31. 19.12.1996
Rumpf an VG Hamburg
32. 22.01.1997
Rumpf an VG Bremen
IV.
1. 13.08.1983
Taylan an VG Hamburg
2. 12.10.1983
amnesty international an VG Köln
3. 27.07.1990
Auswärtiges Amt an VG Oldenburg
4. 05.10.1990
Bundesamt für Verfassungsschutz an
VG Köln
5. 15.10.1991
Auswärtiges Amt an VG Hamburg
20
21
5. 15.10.1991
Auswärtiges Amt an VG Hamburg
6. 03.11.1992
Taylan an VG Köln
7. 29.10.1993
Auswärtiges Amt an VG Aachen
8. 22.11.1993
Bundesministerium des Innern
9. 18.12.1994
Kaya an VG Sigmaringen
10. 24.01.1995
CIREA - Lagebericht Türkei -
11. Februar 1995
amnesty international: Türkei - Eine
Politik des Leugnens
12. 15.03.1995
Max-Planck-Institut Freiburg: Die
Situation der Menschenrechte in der Türkei
13. 29.05.1995
Taylan an VG Gießen
14. 12.06.1995
Deutsches Orient-Institut an VG Wiesbaden
15. 29.06.1995
Auswärtiges Amt an VG Wiesbaden
16. September 1995 amnesty international: Reformversprechen
blieben unerfüllt
17. 01.09.1995
amnesty international an Rechtsanwalt Timmer
18. 15.09.1996
Kaya an VG Freiburg
19. 15.11.1996
Oberdiek an VG Hamburg
20. 02.02.1997
Kaya an VG Mainz
V.
1. 07.05.1980
Auswärtiges Amt an VG Stuttgart
2. 13.10.1980
Auswärtiges Amt an VG Gelsenkirchen
3. 14.10.1981
Auswärtiges Amt an VG Stuttgart
4. 03.12.1986
Auswärtiges Amt an Landkreis Friedland
5. 13.04.1989
Auswärtiges Amt an VG Oldenburg
6. 30.04.1990
Auswärtiges Amt an VG Ansbach
7. 20.08.1992
SZ: "Özal kündigt Erleichterungen an"
Entscheidungsgründe
Soweit der Kläger die Berufung zurückgenommen hat, ist das Verfahren
entsprechend § 92 Abs. 2 VwGO einzustellen. Im übrigen ist die vom Senat
hinsichtlich des asylrechtlichen Teils zugelassene und auch insoweit zulässige
Berufung nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat die auf die Verpflichtung zur
Asylanerkennung und Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG
gerichtete Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Die Ablehnung des Asylantrags
durch Bescheid des Bundesamtes vom 1. März 1994 ist rechtmäßig, da der Kläger
in dem nach § 77 Abs. 1 AsylVfG maßgeblichen Zeitpunkt der
Berufungsentscheidung keinen Anspruch darauf hat, dass die Beklagte ihn als
Asylberechtigten nach Art. 16a Abs. 1 GG anerkennt (A.) und feststellt, dass in
seiner Person die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen (B.). Daraus
ergeben sich die zu treffenden Nebenentscheidungen (C.).
A.
Asylrecht als politisch Verfolgter im Sinne des nach Wortlaut und Inhalt mit dem
früheren Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG übereinstimmenden Art. 16a Abs. 1 GG genießt,
wer bei einer Rückkehr in seine Heimat aus politischen Gründen
Verfolgungsmaßnahmen mit Gefahr für Leib und Leben oder Beeinträchtigungen
seiner persönlichen Freiheit zu erwarten hat (BVerfG, 02.07.1980 - 1 BvR 147/80
u.a. -, BVerfGE 54, 341 = EZAR 200 Nr. 1). Wer unverfolgt seinen Heimatstaat
verlassen hat, ist nur dann als Asylberechtigter anzuerkennen, wenn ihm aufgrund
eines beachtlichen Nachfluchttatbestandes politische Verfolgung droht (§ 28
AsylVfG; BVerfG, 26.11.1986 - 2 BvR 1058/85 -, BVerfGE 74, 51 = EZAR 200 Nr.
18; BVerwG, 20.11.1990 - 9 C 74.90 -, BVerwGE 87, 152 = EZAR 201 Nr. 22). Eine
Verfolgung ist in Anlehnung an den Flüchtlingsbegriff des Art. 1 Abschn. A Nr. 2 GK
als politisch im Sinne von Art. 16a Abs. 1 GG anzusehen, wenn sie auf die Rasse,
Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder die
politische Überzeugung des Betroffenen zielt (BVerfG, 01.07.1987 - 2 BvR 478/86
u.a. -, BVerfGE 76, 143 = EZAR 200 Nr. 20; BVerwG, 17.05.1983 - 9 C 874.82 -,
22
23
u.a. -, BVerfGE 76, 143 = EZAR 200 Nr. 20; BVerwG, 17.05.1983 - 9 C 874.82 -,
BVerwGE 67, 195 = EZAR 201 Nr. 5, u. 26.06.1984 - 9 C 185.83 -, BVerwGE 69,
320 = EZAR 201 Nr. 8). Diese spezifische Zielrichtung ist anhand des inhaltlichen
Charakters der Verfolgung nach deren erkennbarem Zweck und nicht nach den
subjektiven Motiven des Verfolgenden zu ermitteln (BVerfG, 10.07.1989 - 2 BvR
502/86 u.a. -, BVerfGE 80, 315, 344 = EZAR 201 Nr. 20; zur Motivation vgl.
BVerwG, 19.05.1987 - 9 C 184.86 -, BVerwGE 77, 258 = EZAR 200 Nr. 19). Werden
nicht Leib, Leben oder physische Freiheit gefährdet, sondern andere
Grundfreiheiten wie etwa die Religionsausübung oder die berufliche und
wirtschaftliche Betätigung, so sind allerdings nur solche Beeinträchtigungen
asylrelevant, die nach Intensität und Schwere die Menschenwürde verletzen und
über das hinausgehen, was die Bewohner des Heimatstaats aufgrund des dort
herrschenden Systems allgemein hinzunehmen haben (BVerfG, 02.07.1980 - 1
BvR 147/80 u.a. -, a.a.O., u. 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 u.a. -, a.a.O.; BVerwG,
18.02.1986 - 9 C 16.85 -, BVerwGE 74, 31 = EZAR 202 Nr. 7). Die Gefahr einer
derartigen Verfolgung ist gegeben, wenn dem Asylsuchenden bei verständiger
Würdigung aller Umstände seines Falles politische Verfolgung mit beachtlicher
Wahrscheinlichkeit droht, wobei die insoweit erforderliche Zukunftsprognose auf die
Verhältnisse im Zeitpunkt der letzten gerichtlichen Tatsachenentscheidung
abgestellt und auf einen absehbaren Zeitraum ausgerichtet sein muss (BVerwG,
03.12.1985 - 9 C 22.85 -, EZAR 202 Nr. 6 = NVwZ 1986, 760 m.w.N.). Die Prüfung
der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erfordert eine qualifizierende
Betrachtungsweise, die neben der Eintrittswahrscheinlichkeit auch die zeitliche
Nähe des befürchteten Eingriffs berücksichtigt (BVerwG, 14.12.1993 - 9 C 45.92 -,
EZAR 200 Nr. 30). Einem Asylbewerber, der bereits einmal politisch verfolgt war,
kann eine Rückkehr in seine Heimat nur zugemutet werden, wenn die
Wiederholung von Verfolgungsmaßnahmen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit
ausgeschlossen ist (BVerfG, 02.07.1980 - 1 BvR 147/80 u.a. -, a.a.O.; BVerwG,
25.09.1984 - 9 C 17.84 -, BVerwGE 70, 169 = EZAR 200 Nr. 12 m.w.N.). Die
Asylanerkennung kann wegen anderweitigen Verfolgungsschutzes, insbesondere
nach Einreise aus einem sicheren Drittstaat ausgeschlossen sein (Art. 16a Abs. 2
GG; §§ 26a, 27, 29 Abs. 1 und 2 AsylVfG, Anlage I zum AsylVfG).
Der Asylbewerber ist aufgrund der ihm obliegenden prozessualen
Mitwirkungspflicht gehalten, von sich aus umfassend die in seine eigene Sphäre
fallenden Ereignisse substantiiert und in sich schlüssig zu schildern sowie
eventuelle Widersprüche zu seinem Vorbringen in früheren Verfahrensstadien
nachvollziehbar aufzulösen, so dass sein Vortrag insgesamt geeignet ist, den
Asylanspruch lückenlos zu tragen (BVerwG, 08.05.1984 - 9 C 141.83 -, EZAR 630
Nr. 13 = NVwZ 1985, 36, 12.11.1985 - 9 C 27.85 -, EZAR 630 Nr. 23 = InfAuslR
1986, 79, u. 23.02.1988 - 9 C 32.87 -, EZAR 630 Nr. 25), und insbesondere auch
den politischen Charakter der Verfolgungsmaßnahmen festzustellen (vgl. BVerwG,
22.03.1983 - 9 C 68.81 -, Buchholz 402.24 Nr. 44 zu § 28 AuslG, u. 18.10.1983 - 9
C 473.82 -, EZAR 630 Nr. 8 = ZfSH/SGB 1984, 281). Bei der Darstellung der
allgemeinen Umstände im Herkunftsland genügt es dagegen, dass die
vorgetragenen Tatsachen die nicht entfernt liegende Möglichkeit politischer
Verfolgung ergeben (BVerwG, 23.11.1982 - 9 C 74.81 -, BVerwGE 66, 237 = EZAR
630 Nr. 1). Die Gefahr einer asylrelevanten Verfolgung kann schließlich nur
festgestellt werden, wenn sich das Gericht in vollem Umfang die Überzeugung von
der Wahrheit des von dem Asylbewerber behaupteten individuellen
Verfolgungsschicksals verschafft, wobei allerdings der sachtypische
Beweisnotstand hinsichtlich der Vorgänge im Verfolgerstaat bei der Auswahl der
Beweismittel und bei der Würdigung des Vortrags und der Beweise angemessen zu
berücksichtigen ist (BVerwG, 12.11.1985 - 9 C 27.85 -, a.a.O.).
Nach diesen Grundsätzen kann aufgrund der persönlichen Angaben des Klägers
anlässlich der Asylantragstellung mit anwaltlichen Schriftsätzen vom 3. Dezember
1991, vor dem Bundesamt am 25. Januar 1994 und vor dem Verwaltungsgericht
am 5. September 1995, aufgrund der Aussagen im Berufungsverfahren anlässlich
der Beweisaufnahme am 16. Mai 1997 und aufgrund der in das Verfahren
eingeführten Dokumente nicht zur Überzeugung des Senats festgestellt werden,
dass der Kläger kraft innerstaatlich geltender völkerrechtlicher Vereinbarung als
Asylberechtigter anzuerkennen ist (I.), dass er bis zu seiner Ausreise aus der
Türkei (II.) wegen seiner Zugehörigkeit zur kurdischen Volksgruppe (1.) oder aus
religiösen Gründen (2.) oder aus individuellen Gründen (3.) politisch verfolgt war
und ihm bei einer Rückkehr in die Türkei (III.) die für kurdische Volkszugehörige
trotz der in den Notstandsgebieten festzustellenden Gruppenverfolgung (1.1.)
grundsätzlich bestehende (1.2.) und erreichbare (1.3.) inländische
Fluchtalternative nicht zur Verfügung steht und dass er dort aus individuellen
24
25
26
Fluchtalternative nicht zur Verfügung steht und dass er dort aus individuellen
Gründen politische Verfolgung zu befürchten hat (2.).
I.
Der Kläger, an dessen kurdischer Volkszugehörigkeit der Senat keine Zweifel hat,
kann seine Anerkennung als Asylberechtigter nicht bereits aufgrund des
Abkommens über die Ausdehnung gewisser Maßnahmen zugunsten russischer
und armenischer Flüchtlinge auf andere Kategorien von Flüchtlingen vom 30. Juni
1928 (abgedruckt in: Societe des Nations, Recueil des Traites, Bd. 89 <1929>, S.
64) erreichen. Da er im Jahre 1962 geboren ist und 1991 die Türkei verlassen hat,
kann dieses Abkommen auf ihn nicht angewandt werden (vom BVerwG durch Urteil
vom 17.05.1985 - 9 C 874.82 -, BVerwGE 67, 195 = EZAR 201 Nr. 5, bestätigte
ständige Rechtsprechung des Hess. VGH, vgl. z. B. 11.08.1981 - X OE 649/81 -,
ESVGH 31, 268, und 25.02.1991 - 12 UE 2106/87, EZAR 231 Nr. 1 = NVwZ-RR
1991, 516).
II.
1. Der Kläger hat in der Türkei bis zu seiner Ausreise etwa im Herbst 1991 wegen
seiner Zugehörigkeit zur kurdischen Volksgruppe keine politische Verfolgung
erlitten. Nach den Feststellungen des Senats war die Bevölkerungsgruppe der
Kurden in der Türkei bis zu diesem Zeitpunkt allgemein dem türkischen Staat
zurechenbarer politischer Verfolgung nicht ausgesetzt (ständige Rechtsprechung
seit Hess. VGH., 07.08.1996 - X OE 189/82 -, zuletzt 5. Mai 1997 - 12 UE
500/96.A).
Asylrelevante politische Verfolgung kann sich nicht nur gegen Einzelpersonen,
sondern auch gegen eine durch gemeinsame Merkmale verbundene Gruppe von
Menschen richten mit der Folge, dass dann jedes Gruppenmitglied als von dem
Gruppenschicksal mitbetroffen anzusehen ist (BVerfG, 02.07.1980 - 1 BvR 147/80
u. a. -, a.a.O., 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 u. a. -, a.a.O., und 23.01.1991 - 2 BvR
902/85 u. a. -, BVerfGE 83, 216 = EZAR 202 Nr. 20, 531; BVerwG, 02.08.1983 - 9 C
599.81 -, BVerwGE 67, 314 = EZAR 203 Nr. 1 und 23.02.1988 - 9 C 85.87 -,
a.a.O.). Die Gefahr eigener politischer Verfolgung eines Asylbewerbers kann sich
deshalb auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen ergeben, wenn diese
wegen eines asylerheblichen, auch bei ihm vorliegenden Merkmals verfolgt werden
und er sich in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsgefahr vergleichbaren Lage
befindet. Gilt die Verfolgung unabhängig von individuellen Umständen allein einer
durch ein asylerhebliches Merkmal gekennzeichneten Gruppe als solcher und
damit grundsätzlich allen Gruppenmitgliedern, so kann eine solche
Gruppengerichtetheit der Verfolgung dazu führen, dass jedes Mitglied der Gruppe
im Verfolgerstaat jederzeit der Gefahr eigener Verfolgung ausgesetzt ist (BVerfG,
23.01.1991 - 2 BvR 902/85 u. a. -, a.a.O.). Die Annahme einer Gruppenverfolgung
setzt eine Verfolgungsdichte voraus, die in quantitativer Hinsicht die Gefahr einer
so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen aufweist, dass ohne weiteres von einer
aktuellen Gefahr eigener Betroffenheit jedes Gruppenmitglieds gesprochen werden
kann (BVerwG, 08.02.1989 - 9 C 33.87 -, EZAR 202 Nr. 15 = NVwZ-RR 1989, 502,
23.07.1991 - 9 C 154.90 -, EZAR 202 Nr. 21 = DVBl. 1991, 1089 = InfAuslR 1991,
363, 24.09.1992 - 9 B 130.92 -, EZAR 202 Nr. 23 = NVwZ 1993, 192, 05.07.1994 -
9 C 158.94 -, EZAR 202 Nr. 25 = NVwZ 1995, 175). Mit dem Begriff der
Gruppenverfolgung werden derartige Fallkonstellationen schlagwortartig
zusammengefasst (BVerwG, 05.11.1991 - 9 C 118.90 -, BVerwGE 89, 162 = EZAR
202 Nr. 22). Eine mittelbare Gruppenverfolgung setzt nicht unbedingt Pogrome
oder vergleichbare Massenausschreitungen voraus (BVerwG, 24.09.1992 - 9 B
130.92 -, a.a.O.). Übergriffe Privater sind dem Staat aber nur zuzurechnen, wenn
er dagegen grundsätzlich keinen effektiven Schutz gewährt (BVerwG, 05.07.1994 -
9 C 1.94 -, EZAR 202 Nr. 24 = InfAuslR 1995, 24). Allerdings erfüllt nicht erst eine
(physische) Vernichtung einer Volksgruppe den Tatbestand einer
Gruppenverfolgung (BVerfG - Kammer -, 11.05.1993 - 2 BvR 2245/92 -; BVerfG -
Kammer -, 09.12.1993 - 2 BvR 1916/93 -, InfAuslR 1994, 156). Um zu beurteilen,
ob eine ausreichende Verfolgungsdichte vorliegt, müssen Intensität und Anzahl
aller Verfolgungshandlungen auch zur Größe der Gruppe in Beziehung gesetzt
werden (BVerwG, 05.07.1994 - 9 C 158.94 -, a.a.O.). Als nicht vorverfolgt ist nur
derjenige Gruppenangehörige anzusehen, für den die Verfolgungsvermutung
widerlegt werden kann (BVerwG, 03.10.1984 - 9 C 24.84 -, EZAR 202 Nr. 3); es
kommt nicht darauf an, ob sich die Verfolgungsmaßnahmen schon in seiner
Person verwirklicht haben (BVerwG, 23.02.1988 - 9 C 85.87 -, a.a.O.).
27
28
29
Bei der Prüfung, ob die kurdische Minderheit in der Türkei seinerzeit asylrechtlich
relevante Beeinträchtigungen zu erleiden oder zu befürchten hatte, ist zunächst
von der Befugnis eines Mehrvölkerstaates auszugehen, seine staatliche Einheit
und seinen Gebietsstand zu sichern und dieses Selbsterhaltungsinteresse auch
durchzusetzen. Dieser Grundsatz verbietet es, die von solchen Maßnahmen
Betroffenen notwendigerweise als politisch Verfolgte anzusehen. Eine andere
Beurteilung könnte Platz greifen, wenn ein Mehrvölkerstaat nach seiner Verfassung
oder in der Staatswirklichkeit von der Vorherrschaft einer Volksgruppe über andere
ausgeht, die ethnischen, kulturellen oder religiösen Eigenarten bestimmter
Volksgruppen überhaupt leugnet und diese an einer ihrer Eigenart entsprechenden
Existenzweise hindert (BVerwG, 17.05.1983 - 9 C 36.83 -, BVerwGE 67, 184, und -
9 C 874.82 -, a.a.O.), wenn er also insbesondere eine Zwangsassimilierung
betreibt. Deshalb bedarf es vor allem der Untersuchung, wie der türkische Staat
die Kurden in seiner Rechts- und Wirtschaftsordnung bis zum Ausreisezeitpunkt
behandelt hat, wie sich deren Lebensverhältnisse im Vergleich zu denen der
türkischen Mehrheit in der Wirklichkeit darstellten und ob dabei etwa Unterschiede
je nach der soziologischen Herkunft, den regionalen Strukturen und dem Maß der
Assimilation der Minderheit an die Mehrheit festzustellen sind. Dabei genügt nicht
eine isolierte Untersuchung einzelner Ausschnitte des individuellen Schicksals des
Asylsuchenden; es kommt vielmehr auf eine umfassende Gesamtbetrachtung der
innenpolitischen Lage in dem angeblichen Verfolgerstaat und aller irgendwie
relevanten Lebensumstände der Betroffenen an. Hierfür sollen sowohl allgemein-
oder gerichtsbekannte geschichtliche Vorgänge als auch Tatsachenbekundungen
aus den oben aufgeführten Unterlagen verwertet werden.
Die im Gebiet des ehemaligen Osmanischen Reiches siedelnden Kurden erlebten
nach dessen Zerfall eine wechselvolle Geschichte. Nach der Aufteilung ihrer
angestammten Heimat auf Syrien, den Irak und die Türkei und der Zusicherung
einer lokalen Autonomie und eines späteren Volksentscheids über die volle
Selbständigkeit in dem Friedensvertrag von Sevres vom August 1920 waren im
Vertrag von Lausanne vom 21. Juli 1923 für ethnische Minderheiten wie Kurden
keinerlei Sonderrechte mehr vorgesehen. Nach der Proklamation der Türkischen
Republik im Oktober 1923 und der Wahl von Mustafa Kemal -"Atatürk" - zum
Staatspräsidenten wurden verstärkt Türkisierungsversuche unternommen. So
wurden etwa kurdische Dorfnamen und kurdische Vornamen geändert, die
kurdische Sprache als Amts- und Unterrichtssprache verboten und die Türkei in
drei ethnisch abgegrenzte Regionen aufgeteilt. Die erste war das Gebiet, in dem
die türkische Kultur in der Bevölkerung sehr stark verankert war; die zweite war
diejenige, in der die Bevölkerung angesiedelt werden sollte, die zu türkisieren war;
bei der dritten handelte es sich um Gebiete, die aus gesundheitlichen,
ökonomischen, kulturellen, militärischen und sicherheitstechnischen Gründen
entvölkert werden sollten und in denen sich niemand mehr ansiedeln durfte. Es
kam zu großangelegten Umsiedlungsaktionen, die teilweise in
Zwangsdeportationen ausarteten. Die auf Atatürk zurückgehenden sechs
kemalistischen Grundprinzipien des türkischen Staats - Nationalismus,
Säkularismus, Republikanismus, Populismus, Etatismus und Reformismus - wurden
auch nach dem Zweiten Weltkrieg nicht aufgegeben. Nach anfänglichen Erfolgen
bei Demokratisierungsbestrebungen unter den Ministerpräsidenten Inönü (CHP)
und Menderes (DP) kam es im Mai 1960 zu einem Militärputsch und im Juli 1961 zu
einer neuen Verfassung, die wiederum vom Kemalismus geprägt war. In den
nachfolgenden zwei Jahrzehnten gab es in der Türkei verschiedene Koalitions- und
Minderheitsregierungen, bis im Dezember 1978 von Ecevit das Kriegsrecht vor
allem über ostanatolische Provinzen verhängt und später auf weitere Provinzen
ausgedehnt und verlängert wurde. Nach dem Militärputsch im Jahre 1980 kam es
zunächst zu einer Verschärfung und gesetzlichen Absicherung der Restriktionen
und Diskriminierungen der kurdischen Volksgruppe durch Maßnahmen, mit denen
der Gebrauch der kurdischen Sprache behindert, die Kurden in der Pflege ihrer
kulturellen Eigenheiten eingeschränkt und in den kurdischen Provinzen massiert
Sicherheitskräfte eingesetzt wurden. Seit Beginn der 90er Jahre verschärften sich
die Auseinandersetzungen mit der PKK (Partiya Karkeren Kurdistan - Arbeiterpartei
Kurdistans) insbesondere in den südöstlichen Landesteilen.
Trotz einer Vielzahl von Restriktionen und Diskriminierungen der kurdischen
Volksgruppe vermag der Senat nicht zu der Überzeugung zu gelangen, dass in der
Vergangenheit jedenfalls in dem hier maßgeblichen Zeitraum eine staatliche
Verfolgung der ethnischen Minderheit der Kurden erfolgt ist. Obwohl der türkische
Staat den Gebrauch der kurdischen Sprache behinderte, die kurdische
Volksgruppe in der Pflege ihrer kulturellen Eigenheiten einschränkte und der
30
31
32
33
34
Volksgruppe in der Pflege ihrer kulturellen Eigenheiten einschränkte und der
wirtschaftlichen und kulturellen Unterentwicklung in kurdischen Provinzen nicht
effektiv entgegentrat, lässt sich nach Auffassung des Senats (für den insoweit
maßgeblichen Zeitraum) nicht der Schluss ziehen, der türkische Staat unterdrücke
und verfolge die Kurden bewusst mit dem Ziel, sie zu assimilieren, zu vertreiben
oder zu vernichten.
Anzeichen für eine asylerhebliche Zwangsassimilierung der Kurden ergeben sich
zunächst nicht aus dem Leugnen ihrer Existenz als eigenständige Volksgruppe.
Die Kurden wurden in der Vergangenheit nach dem historisch gewachsenen
Selbstverständnis der Türkischen Republik offiziell als nicht vorhanden angesehen
und damit von Staats wegen als ethnische Gruppe schlechtweg ignoriert. Diese
Einstellung gegenüber den Kurden kam unter anderem in der in den letzten
Jahrzehnten offiziell verwandten Bezeichnung als "Bergtürken" zum Ausdruck (I 3,
6.). Selbst wenn indessen die Kurden in der Türkei aufgrund dieser Umstände auf
Dauer gesehen der Assimilierung nicht entgehen sollten, ließe sich daraus ein
asylrelevanter Umstand nicht herleiten. Denn das Asylrecht schützt nicht vor
langfristigen und allmählichen Anpassungsprozessen aufgrund veränderter
Lebensbedingungen (BVerwG, 15.02.1984 - 9 CB 191.83 -, EZAR 203 Nr. 2 =
InfAuslR 1984, 152).
Von allen legislativen und administrativen Mitteln, die zum Zwecke der
Verdrängung oder vollständigen Angleichung gegen eine ethnische Minderheit
eingesetzt werden können, kommt einem Verbot der eigenen Sprache eine
wesentliche Bedeutung zu. Soweit es das Primat der türkischen Sprache und den
Ausschluss jeder anderen - und damit vor allem der kurdischen - Sprache angeht,
lässt sich eine eindeutige Rechtslage und Rechtswirklichkeit seit Bestehen der
Türkischen Republik nicht erkennen. Andererseits kann aber auch nicht festgestellt
werden, der Gebrauch der kurdischen Sprache sei im hier maßgeblichen Zeitraum
in der Türkei praktisch verboten gewesen.
Staatspräsident Atatürk soll bereits einige Monate nach Unterzeichnung des
Lausanner Friedensvertrages vom Juli 1923, nach dessen Art. 39 keinem
türkischen Staatsbürger irgendwelche Beschränkungen beim Gebrauch einer
Sprache auferlegt werden können, Kurdisch als Amtssprache verboten haben (I 3,
18). Anderen Angaben zufolge soll der Gebrauch der kurdischen Sprache jedenfalls
in der Zeit von 1924 bis 1929 gesetzlich verboten worden sein. Dieses Verbot ist
aber danach staatlicherseits im Laufe der Zeit nicht mehr durchgesetzt worden (I
5). Im Jahre 1967 machte sodann der Ministerrat von einer im Pressegesetz von
1950 enthaltenen Ermächtigung Gebrauch und verbot die Einfuhr und die
Verteilung sämtlicher in kurdischer Sprache im Ausland herausgegebenen
Druckerzeugnisse, Schallplatten, Tonbänder und dergleichen. Damit war die
Verbreitung von im Ausland hergestellten Erzeugnissen dieser Art unter Strafe
gestellt (I 5, 15). Wenn demgegenüber teilweise ohne nähere Erläuterung und
ohne Schilderung nachprüfbarer Beispiele angegeben wird, allgemein seien der
Besitz (I 2, 13) oder die Herausgabe und nicht nur die Einfuhr kurdischer Schriften
und Tonträger verboten und strafbar gewesen (I 3, 9), so kann dies durchaus auf
Missverständnissen und Ungenauigkeiten bei der Einholung und Wiedergabe von
Informationen beruhen. Denn nach den glaubhaften Angaben von anderen
Sachverständigen (I 15, 16) wurde die Herausgabe kurdischer Zeitschriften -
teilweise mit Beiträgen in türkischer Sprache - nur dann und nur deswegen
verboten und strafrechtlich verfolgt, weil deren Inhalt als autonomistisch oder
separatistisch angesehen wurde.
Nach dem Militärputsch von 1980 wurden die Kurden zunehmend stärker in der
Pflege ihrer Kultur und Sprache behindert. Nach der neuen Verfassung vom 9.
November 1982 ist die Türkische Republik als Einheitsstaat konzipiert (Präambel)
und als dem Nationalismus Atatürks verbundener Staat bezeichnet (Art. 2).
Gemäß Art. 3 stellt sie in ihrem Staatsgebiet und Staatsvolk ein unteilbares
Ganzes dar, dessen Sprache Türkisch ist. Die auch in der Verfassung von 1982
zum Ausdruck gelangte Negierung der Existenz der kurdischen Volksgruppe durch
den türkischen Staat rechtfertigt indessen nicht den Schluss auf eine staatlich
bezweckte asylerhebliche Zwangsassimilierung.
Im Umgang mit Behörden und anderen staatlichen Stellen sowie im Militärdienst
wurde seit jeher auf den Gebrauch der türkischen Sprache Wert gelegt. Darüber
hinaus war wegen der Türkisierung der Vor-, Familien- und Ortsnamen die
Registrierung kurdischer Namen nicht erlaubt (vgl. I 9). Anders als in der Schule,
im Rundfunk und im amtlichen Verkehr war der Gebrauch des Kurdischen jedoch
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im Rundfunk und im amtlichen Verkehr war der Gebrauch des Kurdischen jedoch
bei privaten Unterhaltungen und im geschäftlichen Verkehr in den von Kurden
bewohnten Siedlungsgebieten im hier maßgeblichen Zeitraum allgemein üblich
und weder verboten noch gar strafbar (I 5, 10, 14, 16). Am 19. Oktober 1983
erging das Gesetz Nr. 2932 über "Veröffentlichungen in einer anderen als der
türkischen Sprache" - Sprachenverbotsgesetz - (I 25), das die Grundlagen und
Verfahren regelte, "die auf Veröffentlichungen in nicht zugelassenen Sprachen
Anwendung finden" (Art. 1). Gemäß Art. 2 Abs. 2 dieses Gesetzes waren die
Erklärung, Verbreitung und Veröffentlichung von Meinungen in jeder Sprache
verboten, die nicht die erste offizielle Sprache eines von der Türkei anerkannten
Staats war. Obwohl das Gesetz nach seiner Überschrift und der Beschreibung
seines Gegenstandes in Art. 1 nur "Veröffentlichungen" betraf und nur auf die
allein für die Presse geltende Bestimmung des Art. 28 Abs. 2 der Verfassung
Bezug zu nehmen schien, ging der Wortlaut der Vorschriften der Art. 2 und 3
darüber hinaus und erfasste auch andere als veröffentlichte schriftliche
Meinungsäußerungen. Eine entsprechende verfassungsrechtliche Grundlage
befindet sich in Art. 26 Abs. 3 der Verfassung, der lautet: "Bei der Äußerung oder
Verbreitung von Meinungen darf keine durch Gesetz verbotene Sprache verwendet
werden ...". Deshalb bestanden gewichtige Bedenken gegen die Auffassung, nur
der "öffentliche" Gebrauch der kurdischen Sprache sei untersagt und der private
Bereich "nicht berührt" (I 24). Allerdings wurde das Monopol der türkischen
Sprache seit dem Militärputsch lediglich im Umgang mit Behörden und anderen
staatlichen Stellen sowie im Militärdienst durchgesetzt (I 9, 10, 13). Gegen den
Gebrauch des Kurdischen bei privaten Unterhaltungen und im geschäftlichen
Verkehr wurde dagegen nicht eingeschritten und es war im eigentlichen
Siedlungsgebiet der Kurden, im Südosten der Türkei, jedenfalls faktisch möglich,
sich des Kurdischen als Umgangssprache zu bedienen (I 5, 8, 14, 16, 17, 19, 20,
26, 27).
Neben dem Gebrauch der Sprache ist für den Bestand und die Erhaltung einer
eigenständigen Nationalkultur die Pflege von Brauchtum und Sitte wichtig und
letztlich unerlässlich. Auch in dieser Hinsicht unterliegen die Kurden gewissen
Beschränkungen. Sie konnten allerdings im hier maßgeblichen Zeitraum
grundsätzlich ungehindert ihre Nationaltracht tragen, kurdische Volkslieder singen
und ihr Newroz-Fest sowie andere bäuerliche Feste feiern und sich auch sonst als
Kurden zu erkennen geben - angesichts ihrer kurdischen Sprache können sie ihre
Herkunft ohnehin kaum verbergen. Man kann für diesen Zeitraum im Vergleich zu
der Zeit bis 1950 von einer relativen Liberalisierung sprechen (I 10).
Es kann schließlich nicht festgestellt werden, dass der türkische Staat eine gezielte
Assimilierungspolitik durch bewusste Vernachlässigung kurdischer
Siedlungsgebiete in kultureller und wirtschaftlicher Hinsicht betrieben hat. Während
Industrie und Wirtschaft der Türkei hauptsächlich in den westlichen Teilen des
Landes, vorzugsweise in den Ballungsgebieten um die großen Städte angesiedelt
und konzentriert sind, sind die überwiegend von Kurden bewohnten 18 Provinzen in
Ostanatolien von der Agrarwirtschaft geprägt, und deren Strukturen und
Arbeitsweisen sind zudem durch die Herrschaft von Großgrundbesitzern
gekennzeichnet (I 2, 3). Aufgrund unsicherer Besitzverhältnisse, Streitigkeiten um
Weideland und Ackerboden und wegen der Hoffnung auf bessere
Verdienstmöglichkeiten im Westen der Türkei und den Industrieländern Mittel- und
Westeuropas haben im Hinblick auf die eklatante Unterentwicklung der östlichen
Gebiete im Laufe der letzten 30 Jahre immer mehr kurdische Bauern ihre Dörfer
verlassen. Diese Landflucht hat das Ungleichgewicht zwischen den östlichen und
westlichen Provinzen der Türkei noch verstärkt. Das Einkommensgefälle hat auch
in den letzten Jahren weiter zugenommen (I 183). Die Bodenschätze des Ostens
wurden zur Industrialisierung des Westens genutzt. Gesundheitswesen und
Schulen sind wesentlich schlechter ausgestattet als allgemein in der Türkei. Es
sind jedoch keine konkreten Tatsachen festzustellen, die den Vorwurf
rechtfertigen, die türkische Regierung hätte die kurdischen Provinzen in der
Absicht vernachlässigt, die dort lebenden Kurden ihres Volkstums wegen zu
benachteiligen, oder in ihrer Politik habe dieses Ziel zumindest eine nicht
unwesentliche Rolle gespielt (so aber etwa I 11, 19). Gegen eine solche Annahme
spricht, dass von den im Osten der Türkei herrschenden Lebensbedingungen auch
andere Bevölkerungsgruppen wie etwa Christen, Jeziden und Muslime betroffen
waren und sind. Für die Benachteiligung der kurdischen Regionen scheinen
insgesamt gesehen ganz unterschiedliche Faktoren verantwortlich zu sein, etwa
die ungünstigen Boden-, Klima- und Verkehrsverhältnisse. Das Fehlen besonderer
Erschließungs- und Entwicklungsprogramme dürfte auf den desolaten Zustand der
Staatsfinanzen der Türkei zurückzuführen gewesen sein.
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Ungeachtet dessen bestand für Kurden, die ihre Volkszugehörigkeit im
gesellschaftlichen Bereich verbunden mit der Forderung nach politischer
Autonomie oder Unabhängigkeit vom türkischen Staat ostentativ bekundeten, die
Gefahr, durch staatliche Organe des Separatismus bezichtigt zu werden (I 3, 7, 8,
10, 12, 16 bis 23). Insoweit war aber auch eine deutliche Liberalisierung und
Zurückhaltung der Sicherheitskräfte gegenüber friedlichen Meinungsäußerungen
für ein eigenständiges Kurdistan erkennbar. Wegen des schlichten Bekenntnisses
zu ihrer Volkszugehörigkeit waren Kurden nicht von staatlicher Verfolgung bedroht
(I 4, 5). Eine sich in diesem Rahmen haltende Pflege kurdischen Brauchtums war
legal möglich (I 20, 27).
In engem Zusammenhang mit Ermittlungen und Verfolgungen wegen Verdachts
des Separatismus standen die nach dem Militärputsch verstärkt unternommenen
Razzien, die der Suche nach Waffen und dem Aufspüren Krimineller dienten, die
aber in der Regel pauschal alle Bewohner von Grenzdörfern oder bestimmten
Gecekondu-Bereichen erfassten und diese oft einer erniedrigenden, brutalen oder
sonst menschenrechtswidrigen Behandlung unterzogen (I 2, 11, 12, 18, 26, 27). Im
Zuge der Verfolgung kurdischer Separatisten kam es dabei im Herbst 1984
("Operation Sonne") auch zu türkischen militärischen Aktionen auf irakischem
Gebiet (I 26). Während teilweise angenommen wird, diese Aktionen richteten sich
systematisch gegen die kurdische Bevölkerung und sollten deren Einschüchterung
bewirken (I 2, 12, 13), wird in anderen Berichten betont, kurdische
Siedlungsgebiete seien nur wegen der dort festzustellenden Häufigkeit von
anarchistischen, extremistischen und separatistischen Untergrundorganisationen
besonders oft und hart betroffen (I 1, 4, 8, 14, 26, 27). Aufgrund der Vielzahl
terroristischer Aktionen in den kurdischen Siedlungsgebieten kam es nach und
nach zu einer stärkeren Konzentration von Sicherheitskräften in diesen Gebieten
und im Zusammenhang damit zu vielen militärischen Aktionen gegen die PKK, die
das Ziel der Gründung eines unabhängigen kurdischen Staats in den von Kurden
besiedelten Gebieten des türkischen Staatsgebiets verfolgen. Zur Durchsetzung
dieses Ziels führte die PKK in den südöstlichen Landesteilen der Türkei einen
bewaffneten Kampf gegen den türkischen Staat; bei ihren Operationen bediente
sie sich der Guerillataktik (I 28).
Die Maßnahmen des türkischen Staats in den kurdischen Siedlungsgebieten,
insbesondere in den Notstandsgebieten im südöstlichen Grenzgebiet, richteten
sich zunächst im wesentlichen gegen die Kampfaktionen der PKK. Der Senat hat
dazu schon früher durchgehend festgestellt, dass anlässlich dieser Maßnahmen
gehäuft vorkommende illegale oder sogar menschenrechtswidrige Übergriffe auf
Zivilpersonen nicht zu der Annahme einer allgemeinen und landesweiten
Verfolgung der Kurden in Anknüpfung an ihre Volkszugehörigkeit führten (vgl.
Hess. VGH, 23.11.1992 - 12 UE 2590/89 -). Erkenntnisse, die Anlass geben
könnten, diese Einschätzung neu zu überdenken, liegen für den hier maßgeblichen
Zeitraum nicht vor (vgl. Hess. VGH, 24.01.1994 - 12 UE 200/91 -).
2. Der Kläger war in der Türkei bis zu seiner Ausreise im Herbst 1991 auch wegen
seiner Zugehörigkeit zur religiösen Minderheit der Aleviten keinen
Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt.
In der Türkei sind hauptsächlich zwei islamische Richtungen vertreten, nämlich die
Sunniten (etwa 70%) und die Aleviten (etwa 30%), die zu den Schiiten zu zählen
sind. Die sunnitischen Bevölkerungskreise sehen die Aleviten nicht als "wahre
Mohammedaner" an; sie betrachten diese vielmehr als Ungläubige (I 184; V 5),
weil die Schiiten - und damit die Aleviten -, glauben, der Prophet Mohammed habe
Ali, seinen Schwiegersohn, zu seinem Nachfolger bestimmt und jedes rechtmäßige
Oberhaupt der Gemeinschaft - ein Imam - müsse der Nachkommenschaft aus Alis
Ehe mit Mohammeds Tochter Fatima entstammen. Demgegenüber betrachten die
Sunniten die aus dem Stamm Koraisch stammenden Kalifen, die von einem
Wahlkollegium gewählt werden, als rechtmäßige Imame. Ein weiterer Unterschied
zwischen beiden Richtungen des Islams besteht noch darin, dass die Aleviten das
islamische Recht, die Scharia, welche für die Sunniten der Inbegriff des angeblich
von Gott bis ins Detail vorgeschriebenen Ritual- und Verhaltenskodex darstellt,
ablehnen. Aufgrund dieses religiösen Hintergrundes kommt es immer wieder zu
Spannungen zwischen den Aleviten und den Sunniten. So gab es am 24.
Dezember 1978 in Kahramanmarash Ausschreitungen gegen die Aleviten (V 2, 5),
zu weiteren Überfällen von Sunniten auf Aleviten kam es in Sivas am 4.
September 1989 (I 184). Letztlich sind diese Unruhen aber
Ausnahmeerscheinungen geblieben. Eine gewisse Diskriminierung der Aleviten
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Ausnahmeerscheinungen geblieben. Eine gewisse Diskriminierung der Aleviten
wird allerdings nicht ausgeschlossen, wobei diese in aller Regel von Einzelpersonen
ausgehen (V 4, 6). Staatliche Maßnahmen gegen Aleviten sind allerdings nicht
bekannt geworden (V 3). Angesichts dessen lässt sich für den Senat nicht
feststellen, dass Türken alevitischen Glaubens in dem hier maßgeblichen Zeitraum
bis zur Ausreise des Klägers einer Gruppenverfolgung unterlagen (vgl. auch Hess.
VGH, 24.01.1994 - 12 UE 200/91 -).
3. Es kann aufgrund der Angaben des Klägers im Verwaltungsverfahren vor dem
Bundesamt und dem gerichtlichen Verfahren vor dem Verwaltungsgericht sowie
aufgrund der Aussagen bei der Vernehmung im Berufungsverfahren nicht
festgestellt werden, dass er aus individuellen Gründen politische Verfolgung
erlitten hat oder ihm eine solche vor der Ausreise unmittelbar bevorstand.
Der Kläger hat im Verwaltungsverfahren keine Umstände vorgetragen, die darauf
schließen lassen könnten, er sei aus Angst vor politischer Verfolgung ausgereist.
Seinen Angaben vor dem Bundesamt und anlässlich der mündlichen Verhandlung
vor dem Verwaltungsgericht, wo er jeweils die ursprüngliche Behauptung, die PKK
mit Geldspenden unterstützt zu haben, zurücknahm, kann eine asylerhebliche
Beeinträchtigung nicht entnommen werden. Dass er wie die anderen
Dorfbewohner auch Misshelligkeiten dergestalt, dass sie auf dem Dorfplatz
versammelt und geschlagen wurden, ausgesetzt war, kann ihm zwar geglaubt
werden, auch, dass aufgrund gezielter Vertreibung letztlich außer den älteren
Mitbewohnern keiner im Dorf geblieben ist. Dass insbesondere er ins Visier der
Sicherheitskräfte geraten sein könnte, hat er aber selbst nicht vorgetragen.
Vielmehr hat er als primäre Gründe für seine Ausreise fehlende Lebenssicherheit
und die schlechte Lage benannt, Umstände, die nicht zwingend auf eine
persönliche asylerhebliche Betroffenheit schließen lassen. Sein Vortrag anlässlich
der Beweisaufnahme vor dem Berichterstatter hat demgegenüber eine Steigerung
erfahren, die zwar nicht zwingend auf eine teilweise Unglaubwürdigkeit des Klägers
schließen lässt. Allerdings deutet die Art und Weise des Zustandekommens der
Aussage darauf hin, dass er bemüht war, Asylerhebliches zu konstruieren.
Eingangs der Vernehmung gab er an, er sei ein politischer Mensch und aus
politischen Gründen nach Deutschland gekommen. Erst auf Vorhalt seiner
früheren Angaben im Verfahren räumte er ein, sich in der Türkei nicht politisch
betätigt zu haben, nicht ohne aber darauf hinzuweisen, dass er die politische
Betätigung in der Türkei nur aus Angst unterlassen habe. Auf weiteren Vorhalt
bekundete er sodann, die PKK durch Geldspenden unterstützt zu haben, um dann
nach Hinweis auf eine anderslautende Einlassung anlässlich seiner persönlichen
Anhörung vor dem Bundesamt einzuräumen, dass nicht er, aber seine Eltern in
seiner Anwesenheit Geld gespendet hätten. Insgesamt widersprüchlich sind die
Angaben des Klägers anlässlich der Vernehmung durch den Berichterstatter
bezüglich der durch ihn behaupteten Folterung. Zunächst gab der Kläger an, er sei
zweimal mitgenommen, geschlagen und gefoltert worden. Dabei zeigte er auf
seine Füße und meinte, dort seien noch Spuren zu sehen. Auf Vorhalt, von Folter
sei bisher keine Rede gewesen, ließ er sich dahingehend ein, aus Angst habe er
bisher geschwiegen. Auf nochmaligen Vorhalt blieb er dabei, er sei mit den
Dorfbewohnern festgenommen worden. Man habe sie in einem Raum im Dorfcafe
zusammengetrieben und brutal zusammengeschlagen, bis alle auf den Boden
gefallen seien. Der Vorfall sei im Jahre 1989/90 gewesen. Später räumte er dann
ein, gefoltert worden sei er vor etwa 15 Jahren wegen eines Cousins. Davon
abgesehen, dass letzterer Vorfall lange Zeit vor der Ausreise des Klägers datiert
und damit ein Zusammenhang mit der Ausreise selbst unter Beachtung seines
Einwandes, er habe nicht die Möglichkeit gehabt, früher auszureisen, nicht
festgestellt werden kann, ist auch angesichts des wenig genauen Vortrags und
seines erkennbaren Bemühens, Asylerhebliches zu konstruieren, um auf Vorhalt
den Sachverhalt wieder richtigzustellen, ein Verfolgungsschicksal nicht erkennbar.
III.
Der somit unverfolgt ausgereiste Kläger kann seine Anerkennung als
Asylberechtigter auch nicht aufgrund eines im Sinne von § 28 AsylVfG beachtlichen
Nachfluchtgrundes verlangen.
Ein Nachfluchtgrund setzt voraus, dass dem Asylbewerber aufgrund von
Umständen, die nach seiner Ausreise aus seinem Heimatland eingetreten sind, für
den Fall seiner Rückkehr dort gegenwärtig und in absehbarer Zeit politische
Verfolgung droht. Dabei ist zu unterscheiden zwischen objektiven
Nachfluchtgründen, die durch Vorgänge im Heimatland des Asylbewerbers
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Nachfluchtgründen, die durch Vorgänge im Heimatland des Asylbewerbers
unabhängig von seiner Person ausgelöst wurden, und subjektiven
Nachfluchtgründen, die der Asylbewerber nach Verlassen des Heimatstaates aus
eigenem Entschluss geschaffen hat (§ 28 AsylVfG; BVerfG, 26.11.1986 - 2 BvR
1058/85 -, a.a.O.). Für die Prognose der Verfolgungsgefahr ist der Maßstab
anzulegen, ob dem unverfolgt ausgereisten Asylbewerber politische Verfolgung bei
einer Rückkehr in sein Heimatland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht
(BVerwG, 31.03.1981 - 9 C 286.80 -, EZAR 200 Nr. 3, 25.09.1984 - 9 C 17.84 -,
a.a.O., 03.12.1985 - 9 C 22.85 -, a.a.O.).
Bei Anlegung dieses Maßstabs ist festzustellen, dass der Kläger nach der Sachlage
im Zeitpunkt der Entscheidung des Senats in sein Heimatland, und zwar in
Gebiete außerhalb der Notstandsprovinzen, so auch in seine Heimatprovinz, die
nicht Notstandsprovinz ist, vor allem aber in die Großstädte Istanbul und Ankara
zurückkehren kann, ohne dort von politischer Verfolgung bedroht zu sein. Dabei ist
jedoch zu berücksichtigen, dass ihm als Angehörigen der Volksgruppe der Kurden
in einem Teil seines Heimatlandes, nämlich in den Notstandsprovinzen im Osten
der Türkei, politische Verfolgung droht.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist allerdings der
herabgestufte Prognosemaßstab der notwendigen Feststellung hinreichender
Sicherheit vor politischer Verfolgung anzuwenden, wenn einem Asylbewerber in
einem Teil seines Heimatstaates bei einer Rückkehr politische Verfolgung droht
(BVerwG, 16.02.1993 - 9 C 31.92 -, EZAR 203 Nr. 7 = NVwZ 1993, 791 = AuAS
1993, 125; BVerwG, 30.04.1996 - 9 C 171.95 -, EZAR 203 Nr. 8 = DVBL 1996, 1260
= NVwZ 1996, 1113 = InfAuslR 1996, 324). Danach ist für die Prognose einer
Verfolgung bei Rückkehr in das Heimatland das jeweilige Staatsgebiet in seiner
Gesamtheit zu betrachten. Ist dieses unter Berücksichtigung des von dem
Asylsuchenden geltend gemachten Verfolgungsgrundes nach dem jeweils
anzulegenden Wahrscheinlichkeitsmaßstab insgesamt frei von politischer
Verfolgung, scheidet ein Asylanspruch aus. Droht jedoch in einem Teil des
Staatsgebietes politische Verfolgung, so erweist sich der Heimatstaat als ein
Verfolgerstaat, so dass auch ein unverfolgt ausgereister Asylsuchender auf andere
Gebiete seines Heimatstaates nur dann verwiesen werden kann, wenn er dort vor
politischer Verfolgung hinreichend sicher ist und ihm dort auch keine anderen
Nachteile und Gefahren drohen, die nach ihrer Intensität und Schwere einer
asylerheblichen Rechtsgutbeeinträchtigung aus politischen Gründen
gleichkommen, sofern diese existentielle Gefährdung am Herkunftsort so nicht
bestünde (BVerwG, 16.02.1993 - 9 C 31.92 -, a.a.O, unter Hinweis auf BVerfG,
10.07.1989 - 2 BvR 502/86 u. a. -, a.a.O.; BVerfG, 10.11.1989 - 2 BvR 403/84 u. a. -
, BVerfGE 81, 58 = EZAR 203 Nr. 5 = NVwZ 1990, 24 = InfAuslR 1990, 34;
BVerwG, 15.05.1990 - 9 C 17.89 -, EZAR 202 Nr. 18 = NVwZ 1990, 1175 = InfAuslR
1990, 312).
Der Senat vertritt demgegenüber zwar die Ansicht, dass die Anwendung des
herabgesetzten Prognosemaßstabes der hinreichenden Sicherheit vor politischer
Verfolgung bei einer Rückkehr in das Heimatland nicht gerechtfertigt ist, wenn der
unverfolgt ausgereiste Asylbewerber bei einer Rückkehr jedenfalls in einem Teil
seines Heimatlandes verfolgungsfrei leben kann (vgl. dazu ausführlich: Hess. VGH,
26.03.1997 - 12 UE 4967/96 -). Für die Entscheidung des vorliegenden Falles ist die
Frage der Anwendung des normalen oder des herabgestuften Prognosemaßstabes
gleichwohl nicht erheblich, weil der Kläger bei einer Rückkehr in sein Heimatland als
Mitglied der Gruppe kurdischer Volkszugehöriger jedenfalls außerhalb der
Notstandsprovinzen vor politischer Verfolgung hinreichend sicher ist. Obwohl
nämlich Kurden in den Notstandsprovinzen im Südosten der Türkei einer
Gruppenverfolgung ausgesetzt sind, besteht im übrigen für sie grundsätzlich nach
wie vor eine inländische Fluchtalternative (ständige Rechtspr. des Senats seit
24.01.1994 - 12 UE 200/91 -).
Der Senat ist auf der Grundlage der in das Verfahren eingeführten Erkenntnisse zu
der Überzeugung gelangt, dass Kurden in den Notstandsprovinzen im Südosten
der Türkei seit etwa Mitte 1993 einer Gruppenverfolgung ausgesetzt sind (1.1.),
dass ihnen aber generell eine inländische Fluchtalternative in der Westtürkei zur
Verfügung steht (1.2.), sie diese Fluchtalternative grundsätzlich auch erreichen
können (1.3.) und es vorliegend auch aus individuellen Gründen nicht als
unzumutbar ausgeschlossen ist, diese Fluchtalternative wahrzunehmen (2.).
1.1. Zu Beginn der 90er Jahre trat zunächst eine gewisse Entspannung der Lage
der Kurden ein. Durch Art. 23e des "Gesetzes über die Bekämpfung des Terrors"
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der Kurden ein. Durch Art. 23e des "Gesetzes über die Bekämpfung des Terrors"
(Nr. 3713) - Anti-Terror-Gesetz (ATG) - vom 12. April 1991 wurde das
Sprachenverbotsgesetz ersatzlos aufgehoben (I 32). Daraus kann angesichts des
in Art. 1 normierten Zwecks des Sprachenverbotsgesetzes entnommen werden,
dass der Gebrauch einer anderen als der türkischen, insbesondere der Sprache
der Kurden als größter nichttürkischer Volksgruppe im Staatsverband der Türkei,
nicht mehr als separatistische, gegen die Einheit des türkischen Staats gerichtete
Handlung qualifiziert wird. Zudem wird mit der Aufhebung der bisherigen
Feststellung des Art. 3 Abs. 1 des Sprachenverbotsgesetzes, die Muttersprache
der türkischen Staatsbürger sei türkisch, für die türkischen Staatsbürger auch der
Besitz einer anderen Muttersprache eingeräumt und damit mittelbar auch die
Existenz anderer ethnischen Gruppen neben den Türken anerkannt. Die Aufgabe
der Leugnung der Existenz einer kurdischen Volksgruppe in der Türkei kommt im
übrigen in der Anfang 1991 getroffenen Feststellung des damaligen
Staatspräsidenten Özal zum Ausdruck, in der Türkei lebten 10 bis 12 Millionen
Kurden (I 30). Insgesamt wurde durch die Aufhebung des
Sprachenverbotsgesetzes vor allem der öffentliche Gebrauch der kurdischen
Sprache erheblich erleichtert. So ist es nicht mehr verboten, auf Versammlungen
und Demonstrationen Plakate in einer anderen als der türkischen Sprache zu
zeigen und dort in diesen Sprachen Schallplatten und ähnliches abzuspielen oder
kurdischsprachige Lieder zu singen (I 31). Wenngleich für bestimmte Bereiche das
Verbot der Verwendung anderer Sprachen als der türkischen, wie etwa im
Parteiengesetz und Vereinsgesetz (I 25), weiter fortbesteht, hat dennoch die
Aufhebung des Sprachenverbotsgesetzes zunächst in einer wesentlichen Frage zu
einer Abnahme der Beeinträchtigungen der kurdischen Volksgruppe in der Türkei
geführt. So wurde vom Kultusministerium die Freigabe von ungefähr 25.000 früher
verbotenen Buchtiteln bestätigt (I 30). Dies führte zum Beispiel auch Ende
1991/Anfang 1992 zur Herausgabe zweier kurdischsprachiger Wochenzeitungen (I
36), von denen allerdings eine inzwischen ihr Erscheinen - möglicherweise
aufgrund behördlicher Schikanen - wieder eingestellt hat (I 53). Die Zeitung Özgür
Gündem wurde seit ihrem Erscheinen von den türkischen Behörden belästigt (I
74), ein Verbot dieser Zeitung war letztlich nur eine Frage der Zeit (I 83), und auch
die Nachfolgezeitung Özgür Ülke hatte von Anfang an mit Schwierigkeiten
gegenüber den Behörden zu kämpfen (vgl. I 98). Darüber hinaus wurde im Jahre
1993 durch den Nationalen Sicherheitsrat das Anti-Terror-Gesetz (ATG) wieder
verschärft. Danach werden kurdische Musik, kurdische Reden und das Bekenntnis,
Kurde zu sein, mit der Strafandrohung des Art. 8 ATG verfolgt (I 86); auch
Demonstrationen und Märsche gegen die nationale und territoriale Einheit der
Türkei sowie gegen die laizistische Grundordnung auf der Basis einer strikten
Trennung von Staatsführung und Religion sollen schwerer als früher geahndet
werden (I 88).
Die von Dezember 1991 an amtierende Regierungskoalition von DYP und SHP
setzte die zuvor begonnene Liberalisierung in der Kurdenpolitik verstärkt fort,
indem sie mehrfach ausdrücklich bekundete, dass sie die Kurden als eine
eigenständige ethnische Minderheit anerkenne und grundsätzlich ein friedvolles
Zusammenleben von Kurden und Türken anstrebe (I 34, 35, 44). In dem
Regierungsprogramm war vorrangig die Fortsetzung des
Demokratisierungsprozesses und die Verbesserung der Menschenrechtssituation,
wozu vor allem eine Normalisierung der Situation in den Notstandsgebieten zählt,
aufgenommen worden (I 36). Das Versprechen für mehr Demokratie und
Rechtsstaatlichkeit konnte die Regierungskoalition allerdings nicht einlösen (I 46).
Nach einem im April 1992 von der türkischen Regierung gefassten Beschluss sollte
die soziale und wirtschaftliche Lage der Kurden dadurch verbessert werden, dass in
den zehn südöstlichen Provinzen der Türkei, also in den Siedlungsgebieten der
Kurden, 10.000 neue Arbeitsplätze geschaffen und das Erziehungs- und
Gesundheitswesen ausgebaut werden sollten (I 38). Auf dieser Linie lag auch die
Ankündigung des damaligen türkischen Staatspräsidenten Özal, in Zukunft
könnten auch Unterricht sowie Rundfunk- und Fernsehsendungen in kurdischer
Sprache erlaubt werden (I 43). Da die PKK - bei ihr handelt es sich um eine
stalinistische Organisation, die blutigen Terror für ein legitimes Mittel hält (I 28) -
offensichtlich die "Gefahr" sah, dass es auf der Grundlage dieses
Öffnungsprozesses zu einer geregelten Autonomie der kurdischen
Siedlungsgebiete innerhalb des türkischen Staatsverbands kommen könnte,
versucht sie seit dem Frühjahr 1992 mit umfangreichen militärischen Aktionen,
den türkischen Staat und insbesondere das Militär zum Rückzug aus den
kurdischen Siedlungsgebieten sowie zur Aufgabe staatlicher Hoheitsgewalt in
diesem Gebiet zu zwingen. Durch Gegenaktionen der türkischen Armee wurde
auch die kurdische Zivilbevölkerung zum Teil erheblich in Mitleidenschaft gezogen.
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auch die kurdische Zivilbevölkerung zum Teil erheblich in Mitleidenschaft gezogen.
Erster Höhepunkt waren die schweren Zusammenstöße zwischen türkischen
Sicherheitskräften und kurdischen Guerillas aus Anlass des kurdischen
Neujahrsfestes (Newroz) am 21. März 1992. Es kam zu zahlreichen Toten und
Verwundeten, wobei diese Unruhen in Cizre begannen und danach unter anderem
noch Sirnak, Nusaybin, Batman erfassten. In Sirnak kam es Mitte August 1992 zu
weiteren heftigen Kämpfen, in deren Folge die Stadt von ihren Bewohnern
weitgehend verlassen wurde, wobei allerdings die PKK eine Verwicklung ihrer
Mitglieder in die Vorfälle leugnete und sich im weiteren Verlauf die Anzeichen
mehrten, dass es sich allein um eine von den Sicherheitskräften zu
verantwortende Aktion gegen die Bevölkerung handelte (I 44). Gegen die unter
Einsatz von militärischen Mitteln - mit Bomben, Mörsern und Raketenwaffen - zum
Teil mit Hunderten von Guerillakämpfern durchgeführten Überfälle der PKK,
Anschläge in zahlreichen Städten und Ortschaften des südöstlichen Grenzgebiets
der Türkei und Angriffe auf öffentliche Gebäude wie Bankfilialen und insbesondere
Einrichtungen des Militärs, der Gendarmas und der Polizei setzte der türkische
Staat große Einheiten von Sicherheitskräften - zunehmend die paramilitärisch
ausgerüsteten Gendarmas (Landpolizei) und die in gleicher Weise ausgerüsteten
Sicherheitseinheiten des Innenministeriums - ein, die in Gegenschlägen in
kurdischen Siedlungsgebieten selbst und im nördlichen Irak - dem Rückzugsgebiet
der PKK - PKK-Kämpfer aufspüren und bekämpfen sollen (I 40). Durch
Umsiedlungsaktionen im Kampfgebiet der PKK sollte der PKK auch die in diesem
Gebiet mögliche logistische Unterstützung durch die örtliche Bevölkerung
entzogen werden (I 54).
Im Jahre 1993 standen sich im Südosten der Türkei ungefähr 140.000 türkische
Soldaten und etwa 10.000 PKK-Kämpfer gegenüber (I 69). Damit wurden dort etwa
zwei Drittel der Streitkräfte der türkischen Armee stationiert, dazu zählen auch 80
% der Panzer-und Helikoptereinheiten (I 79). Die Situation in der Südosttürkei
wurde mittlerweile als Krieg (I 69, 79) oder doch jedenfalls als bürgerkriegsähnlich
charakterisiert (I 61), wobei die PKK in bestimmten Bergregionen im Südosten und
Osten der Türkei sogar schon effektive Gewalt ausübte (I 89). In dieser insgesamt
angespannten Situation entschloss sich die Führung der PKK am 20. März 1993 -
auch um für eine geplante Frühjahrsoffensive der türkischen Streitkräfte nicht den
Grund zu liefern, wobei der Newroz-Enthusiasmus des kurdischen Volkes als
Vorwand für eine Provokation genutzt werden sollte (I 75) -, dem türkischen Staat
zunächst bis zum 15. April 1993 und alsdann bis auf weiteres einen einseitigen
Waffenstillstand und die Bereitschaft zu Verhandlungen anzubieten (I 70). Eine
offizielle Reaktion gab es darauf nicht. Der damalige Staatschef Özal hatte für die
dritte Aprilwoche den Nationalen Sicherheitsrat zu einer Sondersitzung geladen,
bei der er seine Kurdeninitiative erläutern wollte. Dazu kam es jedoch nicht mehr,
da der Staatschef eine Woche vor dieser Sitzung verstarb (I 73). Nach der
Aufkündigung des von der PKK einseitig verkündeten Waffenstillstandes am 24. Mai
1993 (I 84) kündigten die türkische Regierung und der Generalstabschef eine
Großoffensive mit dem Ziel der endgültigen Vernichtung der PKK an (I 67). Der
Generalstabschef Güres erklärte, wenn man die PKK bis zum Winterbeginn nicht
ausgerottet habe, müsse über die Türkei das Kriegsrecht verhängt werden (I 73).
Staatspräsident Demirel sprach sich dagegen aus, der kurdischen Minderheit das
Recht auf Schulunterricht in ihrer Muttersprache einzuräumen, und schloss "jeden
Kuhhandel und jedes Zugeständnis" an die PKK aus (I 82). Die damalige
Ministerpräsidentin Ciller lehnte kurdischen Schulunterricht ab und sprach
anlässlich einer Informationsreise durch die Südostprovinzen davon, dass es gar
keine Kurdenfrage gebe (I 73). Die Armeeführung kündigte einen
"Vernichtungskrieg" unter Einsatz von moderneren und wirksameren Waffen an (I
82). Bereits vorher hatte der Führer der PKK, Abdullah Öcalan, der Türkei den
Vernichtungskrieg erklärt, nachdem er den türkischen Streitkräften vorgeworfen
hatte, bei ihren Aktionen chemische Waffen und Napalmbomben gegen die Kurden
einzusetzen (I 77; vgl. auch I 75).
Im Zuge der präventiven Bekämpfung von PKK-Einheiten durch türkische
Sicherheitskräfte wurden und werden unbeteiligte Bewohner in terrorgefährdeten
Gebieten der Südosttürkei erheblich in Mitleidenschaft gezogen. Übergriffe gegen
die Zivilbevölkerung geschehen häufig bei Dorf- und Räumungsaktionen. Dabei
kommt es auch zu zahlreichen Misshandlungen von Zivilpersonen durch
Sicherheitskräfte (I 90). Insgesamt verbesserte sich die Menschenrechtslage in
den kurdischen Provinzen der Türkei unter der Regierung Ciller nicht, sie wurde
eher verschärft. Die Verschleppung und Ermordung von Menschen, teils durch
uniformiert auftretende offizielle Sicherheitskräfte, aber auch durch die PKK nahm
erschreckende Ausmaße an (I 91). Die Regierung setzte entgegen einer im
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erschreckende Ausmaße an (I 91). Die Regierung setzte entgegen einer im
Koalitionsprotokoll vom 24. Juni 1993 erklärten Absicht einseitig auf eine
militärische Lösung. Die staatlichen Handlungen in den Notstandsprovinzen des
Südostens und Ostens der Türkei haben seither insgesamt den Charakter eines
Guerilla-Bürgerkriegs angenommen. Übergriffe der Sicherheitskräfte in Form von
Eigentumszerstörung, Freiheitsberaubung, Misshandlung und Tötung auch
gegenüber Unbeteiligten kommen verbreitet vor; die Aktionen gehen zum Teil in
ihrer Intensität auch über das für die Wiederherstellung der staatlichen
Friedensordnung erforderliche Maß erheblich hinaus (I 94).
Die Auseinandersetzungen zwischen den türkischen Sicherheitskräften und der
PKK verschärften sich Mitte 1993 erheblich und erhöhten die damit verbundenen
Gefahren für die in diesen Provinzen lebende Bevölkerung (I 61, 70). Im
Zusammenhang mit der Eskalation der Gewalt im Südosten wurde der über zehn
Provinzen (Batman, Bingöl, Bitlis, Diyarbakir, Hakkari, Mardin, Siirt, Sirnak, Tunceli,
Van) verhängte Ausnahmezustand mehrmals verlängert (I 88, 104, 106, 155, 174,
185), mit Ausnahme betreffend die Provinz Mardin, für welche das Notstandsrecht
am 28. November 1996 wieder aufgehoben wurde (I 195). Die Maßnahmen der
türkischen Sicherheitskräfte richten sich seit den verschärften Kämpfen mit der
PKK auch gegen die Zivilbevölkerung. Früher waren die Maßnahmen der türkischen
Sicherheitskräfte durchgehend dadurch gekennzeichnet, dass sie aus Anlass und
zum Zweck der Eindämmung des bewaffneten Kampfes der PKK in der
Südosttürkei durchgeführt wurden. So erfolgten zum Beispiel
Umsiedlungsaktionen (I 40) zielgerichtet unter militärisch-strategischen
Gesichtspunkten der Bekämpfung der PKK und noch nicht wahllos unter
Anknüpfung an die kurdische Volkszugehörigkeit, sondern veranlasst durch
Operationen der PKK vor allem in Gebieten, in denen die PKK besondere
Unterstützung genießt (I 40). Dazu zählten auch - bedingt durch die Guerilla-Taktik
der PKK - Durchsuchungen und vorläufige Festnahmen der Einwohner ganzer
Dörfer (vgl. Hess. VGH, 23.11.1992 - 12 UE 2590/89 -).
Dagegen kann bei den Maßnahmen der Sicherheitskräfte seit etwa Mitte 1993
nicht mehr davon gesprochen werden, sie würden nur dem aktiven Terroristen,
dem Teilnehmer im strafrechtlichen Sinn oder demjenigen gelten, der im Vorfeld
Unterstützungshandlungen zugunsten terroristischer Aktivitäten vornimmt, ohne
sich an diesen Aktivitäten unmittelbar zu beteiligen. Die Maßnahmen der
türkischen Sicherheitskräfte gegen die Zivilbevölkerung sowohl nach Angriffen der
PKK als auch nach legalen oder illegalen Demonstrationen erscheinen seit Mitte
1993 als Strafaktionen gegen die kurdische Bevölkerung; für den türkischen Staat
gelten seitdem offenbar alle Kurden als potentielle Unterstützer der PKK. Dies
zeigt sich unter anderem dann, dass als Reaktion auf PKK-Aktivitäten
Sicherheitskräfte nicht die Guerillakämpfer verfolgten, sondern ganze Ortschaften
im kurdischen Osten zusammenschossen (I 63, 75). Zwar wurde von der
türkischen Staatsführung angekündigt, sie werde die Rebellen der verbotenen PKK
ausrotten (I 82). Daraus kann jedoch nicht geschlossen werden, von etwaigen
Maßnahmen der Sicherheitskräfte sei die Zivilbevölkerung nicht betroffen.
Vielmehr kommt es tatsächlich in einer Vielzahl von Fällen zu Angriffen auf die
Zivilbevölkerung in den Notstandsgebieten, wobei sogar zunehmend Massaker an
kurdischen Zivilisten vom Militär in Kauf genommen wurden (I 83).
Beispielsweise wurde die hauptsächlich von Kurden bewohnte Stadt Lice von der
türkischen Armee angegriffen. Dabei wurden aus Hubschraubern und Panzern
Brandsätze eingesetzt; anschließend wurden die Bewohner von Soldaten aus ihren
Wohnungen geholt und diese dann in Brand geschossen (I 85). Während nach
offiziellen Angaben dabei 34 Menschen ums Leben kamen, berichteten Einwohner
von Hunderten von Toten und Vermissten (I 83). Danach gab es Befürchtungen,
dass die Regierungstruppen auch in der nahegelegenen Kleinstadt Kulp ein
Massaker anrichten würden, nachdem diese Stadt belagert und angegriffen
worden war (I 81). Die ungefähr 950 Einwohner des Dorfes Kursunlu bei Dicle
wurden vom Militär aufgefordert, ihre Siedlung zu verlassen; gleichzeitig wurde
ihnen angedroht, nach Ablauf des Ultimatums werde das Dorf beschossen, auch
wenn Einwohner dort bleiben würden (I 87). In Lice war kurze Zeit vorher der
Kommandeur der Militärpolizei dieser Region erschossen worden (I 80). Im Frühjahr
und Sommer 1993 wurden 108 Siedlungen zerstört (I 68); nach einer in der
Zeitung Özgür Gündem veröffentlichten Liste wurden vom 20. März bis 30. August
1993 117 Dörfer verbrannt und deren Bewohner vertrieben (I 75; vgl. auch I 73).
Zwar steht den Betroffenen eine Entschädigung zu; zu Entschädigungsleistungen
ist es bisher aber nachweislich nicht gekommen (I 84). Bei diesen Aktionen trieben
die Sicherheitskräfte regelmäßig zunächst alle Dorfbewohner auf dem Dorfplatz
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die Sicherheitskräfte regelmäßig zunächst alle Dorfbewohner auf dem Dorfplatz
zusammen, durchsuchten danach die Häuser, raubten das Geld und die
Wertsachen der Bewohner und setzten die Häuser einschließlich der darin
befindlichen Gegenstände und die Ställe mit den Tieren in Brand. Teilweise wurden
die Dorfbewohner noch misshandelt und geschlagen (I 75). Dabei wurden in der
Region um Lice, Kulb und Bingöl innerhalb von drei Tagen neun Dörfer von
Soldaten niedergebrannt. In der Provinz Bitlis wurden drei Dörfer - Kovanis, Sap
und Kutlu - von Soldaten und Dorfschützern unter Einsatz von Artillerie angegriffen
und innerhalb von vier Stunden vernichtet (I 75). Am 14. August 1993 richteten
Sondereinheiten der türkischen Armee in der Kreisstadt Digor während eines
Schweigemarsches von über 4.000 Kurden aus Anlass des 9. Jahrestages des
Beginns des bewaffneten Kampfes der PKK ein Blutbad an (I 72). Als sich einen Tag
später Tausende von Menschen am Kreuzungspunkt Dolabas im Kreis Malazgirt
(Provinz Mus) versammelten, um zu demonstrieren, wurden sie von
Militäreinheiten umstellt und unter anderem von Panzern und Helikoptern unter
Beschuss genommen; dabei gab es drei Tote und über 70 Verletzte (I 79). Darüber
hinaus waren noch zahlreiche weitere Dörfer von Militäraktionen betroffen (I 67, 75,
79). In der Provinz Mardin wurden fünf Dörfer geräumt, weil die Bewohner nicht
Dorfwächter werden wollten (I 74). Solche Aktionen fanden auch später und in
anderen Provinzen statt (I 114, 136, 153), wobei zu berücksichtigen ist, dass das
Dorfschützeramt nicht zwangsweise übertragen und eine Weigerung nicht
strafrechtlich geahndet wird (I 137, 169). Auch nach den Angaben des Auswärtigen
Amtes leidet die Bevölkerung in den unter Notstandsrecht stehenden Gebieten
nach wie vor unter den oft unverhältnismäßigen Aktionen der Sicherheitskräfte und
unter anderem den blutigen Anschlägen der PKK (I 61, 155, 174, 195), wobei
aufgrund der in den Notstandsgebieten nicht gewährleisteten Pressefreiheit (I 36;
zur Pressezensur vgl. auch I 168) davon ausgegangen werden kann, dass nicht alle
dort vorkommenden schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen bekannt
werden. Die Übergriffe der Sicherheitskräfte im Südosten in Form von
Eigentumszerstörung, Freiheitsberaubung, Misshandlung oder Tötung ereignen
sich meistens - und damit nicht immer - im Zusammenhang mit militärischen
Einsätzen als Antwort auf bewaffnete Angriffe der PKK, im Zusammenhang mit
polizeilichen Maßnahmen zur Strafverfolgung von Staatsschutzdelikten sowie zur
Gefahrenabwehr oder auch im Zusammenhang mit notstandsrechtlich
sanktionierten Zwangsevakuierungen von Dörfern (I 88), wobei die Grenze
zwischen Terrorismusbekämpfung und individuellen und/oder kollektiven
Maßnahmen der Sicherheitskräfte gegen die Zivilbevölkerung immer schwerer zu
ziehen ist (I 84). Bei Straßenkämpfen in den größeren Ortschaften der Region
verschwimmen die Grenzen zwischen gezieltem Vorgehen gegen PKK-Militante
und willkürlichem Beschuss ganzer Stadtteile. Als Beispiel wird in diesem
Zusammenhang angeführt, dass die Stadt Sirnak im August 1992 noch lange
nach dem Rückzug angreifender PKK-Militanter vom türkischen Militär zum Teil mit
Artillerie unter Beschuss genommen und schwer beschädigt wurde (I 84). Nach
Angaben der pro-kurdischen Zeitung "Özgür Gündem" wurde Anfang 1993 über die
Ortschaft Beytüssebap ein Nahrungsmittelembargo verhängt, das seit August
1993 auf die Städte Uludere, Sirnak und umliegende Dörfer ausgeweitet wurde,
wobei zur Begründung angegeben wurde, dass die Bewohner die PKK mit
Lebensmitteln versorgten (I 84). Das Lebensmittelembargo wurde dann auf die im
Dreieck der Kreise Lice, Kulp und Genc liegenden Kreisstädte und Dörfer sowie auf
die auf den Bergen Agri und Tendürek gelegenen Dörfer ausgedehnt (I 75). Die
türkische Regierung selbst hat auf eine parlamentarische Anfrage eines DEP-
Abgeordneten bestätigt, dass bis Ende 1993 über 870 Dörfer zwangsweise
geräumt wurden; ein großer Teil dieser Dörfer wurde niedergebrannt (I 96). Dabei
kam es zu zahlreichen Übergriffen, zu "standrechtlichen" Erschießungen und
Folterungen an Dorfbevölkerungen, die eindeutig nicht mehr durch Notstandsrecht
zu rechtfertigen sind (I 96, 106). Bis zum Herbst 1994 waren etwa 1.300 Dörfer (I
95, 104, 106) evakuiert und teilweise ganz zerstört worden.
Auch danach wurden die Kämpfe zwischen den Sicherheitskräften und den
Angehörigen der PKK in den Notstandsgebieten mit unverminderter Härte
fortgesetzt. Nachdem die PKK im Januar 1995 gegenüber dem Internationalen
Komitee des Roten Kreuzes die Genfer Konvention und das Zusatzprotokoll von
1977 anerkannt und sich insbesondere zur Schonung von Zivilisten bei
Kampfhandlungen und zur korrekten Behandlung von Gefangenen verpflichtet
hatte (I 107), haben sowohl die Sicherheitskräfte als auch die PKK ihre Aktivitäten
nach Anzahl und Umfang im Laufe des Jahres 1995 noch verstärkt. Seit
September 1994 konzentrierte die Armee ihre Streitkräfte in der Provinz Tunceli,
die seit Ende 1994/Anfang 1995 unter Notstandsrecht steht (I 103); 1995 wurde
die Provinz Tunceli zunehmend zum wichtigsten Schauplatz der Kämpfe. Bis zum
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die Provinz Tunceli zunehmend zum wichtigsten Schauplatz der Kämpfe. Bis zum
Sommer 1995 stieg die Zahl der dort stationierten Streitkräfte auf insgesamt
50.000 Soldaten an (I 131). Im März 1995 dehnte die PKK ihre Übergriffe erstmals
auf die südtürkische Provinz Hatay aus (I 129). Am 21. März 1995 marschierten
35.000 türkische Soldaten mit Panzern und Artillerie in die Kurdengebiete im
Nordirak ein und gingen, unterstützt von mit der PKK rivalisierenden irakischen
Kurdengruppen, gegen PKK-Lager vor. Die Aktion dauerte bis zum Mai 1995. Die
türkischen Sicherheitskräfte wurden für zahlreiche Übergriffe gegen die kurdische
Zivilbevölkerung im Irak sowie die Zerstörung etlicher Dörfer verantwortlich
gemacht (I 119, 122). Bis zum Herbst 1995 kam es in allen Notstandsprovinzen
wiederum zu zahlreichen Auseinandersetzungen (vgl. z. B. I 124, 125, 134, 143,
152). Auch nach einem von dem PKK-Führer Öcalan am 15. Dezember 1995
wegen der am 24. Dezember bevorstehenden Parlamentswahlen verkündeten
einseitigen Waffenstillstand gingen die Sicherheitskräfte weiter gegen die PKK vor (I
157, 158, 160, 161). Während des gesamten Jahres 1995 kamen bei etlichen
Überfällen der PKK auf Dörfer sowohl in der Notstandsregion als auch in
angrenzenden Provinzen zahlreiche vor allem kurdische Zivilisten ums Leben, so
bei einem Angriff von PKK-Kämpfern auf das Dorf Hamzali in der Provinz Diyarbakir
und auf das Dorf Naliza in der Nähe der Stadt Kulp (vgl. z. B. I 103, 143). Nach wie
vor und in zunehmendem Maße richten sich die Anschläge der PKK gegen Lehrer,
die von ihr als türkische Agenten und damit der gegnerischen Kriegspartei
zugehörig bezeichnet werden (I 108). Auch in den an die Notstandsregionen
angrenzenden Provinzen kam es zu mehreren Überfällen der PKK auf Bergdörfer,
vor allem in der Provinz Karamanmaras (I 113, 146), über welche bis zum Jahr
1985 ebenfalls der Ausnahmezustand verhängt war (I 126). Der von der PKK
ausgerufene Waffenstillstand galt zunächst fort, wurde dann aber im Juni 1996
beendet (I 176). Im Rahmen der Frühjahrsoffensive gab es auf beiden Seiten
wieder zahlreiche Tote und Verwundete (I 173), wobei es auch zu
Auseinandersetzungen mit der PKK im Nordirak kam. Im Juli 1996 griff auch die
türkische Luftwaffe PKK-Lager im Nordirak an (I 178).
Die türkischen Sicherheitskräfte, die sich aus Armeeangehörigen, Polizei- und
Gendarmaeinheiten sowie Spezialeinheiten, sogenannte Özel Tims,
zusammensetzen, setzten im Zuge der gesteigerten Aktivitäten zur Bekämpfung
der PKK in den Notstandsgebieten die massiven Übergriffe gegen die kurdische
Zivilbevölkerung fort. Auch 1995 gab es zahlreiche Zwangsevakuierungen und -
umsiedlungen, bei denen die Bewohner immer wieder schwerwiegenden
Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt werden. Dabei standen die Aktionen der
Sicherheitskräfte seit Ende 1994/Anfang 1995 in zunehmendem Maße im
Zusammenhang mit der seitdem verstärkt verfolgten Strategie, Dorfbewohner,
bisweilen sogar ganze Dorfgemeinschaften zur Übernahme des
Dorfschützeramtes zu pressen und im Weigerungsfall die Dorfbewohner zu
schlagen, die Häuser zu verwüsten und Haushaltsgegenstände zu zerstören (I
136). Es kommt weiterhin zu Zwangsevakuierungen, die seit November 1994
systematisch mit völliger Zerstörung der Dörfer einschließlich des Viehbestandes,
der landwirtschaftlichen Geräte, Ernte und noch nicht geernteter Feldfrüchte
einhergehen (I 148). Mehrere Dörfer in der Nähe der Stadt Dogubeyazit wurden
vom Militär entvölkert; die Einwohner der Stadt berichteten über täglich
stattfindende willkürliche Verhaftungen (I 128). Bei einem Überfall der
Sicherheitskräfte unter Einsatz von Hubschraubern auf das Dorf Pilvenk in der
Nähe der Stadt Tunceli nach einem Gefecht mit der PKK ließen die Soldaten den
etwa 800 Dorfbewohnern nur Zeit, das Nötigste zusammenzupacken, und
zerstörten dann die etwa 80 Häuser. Die Stadt Tunceli selbst war im April 1995
infolge der Vertreibungen in der Region in kurzer Zeit von 25.000 auf 40.000
Einwohner angewachsen (I 123). Im Zusammenhang mit den Kämpfen in den
Bergen nördlich von Tunceli im Juni 1995 wurde den Sicherheitskräften erneut
vorgeworfen, kurdische Dorfbewohner zum Verlassen ihrer Häuser gezwungen zu
haben. Das Dorf Dedeagac wurde von türkischen Soldaten niedergebrannt (I 131).
Der Bundestagsabgeordnete Özdemir berichtete nach einer Türkeireise Anfang
August 1995, dass zwei Drittel der Dörfer um die Hauptstadt Tunceli entvölkert
und die Bewohner in die Flucht getrieben worden seien; rechtsextreme
Sondereinheiten hätten einen Staat im Staate errichtet und versuchten, mit
Ausgangssperren und Nahrungsmittelrationierungen jegliche Unterstützung für die
PKK zu verhindern (I 138). Nach den Parlamentswahlen am 24. Dezember 1995
sollen die Sicherheitskräfte in kurdischen Dörfern der Notstandsgebiete
Strafaktionen gegen die Zivilbevölkerung durchgeführt haben, weil diese die
HADEP gewählt hätten. Mit dieser Begründung sollen 34 Einwohner des Dorfes
Kurtepe bei Diyarbakir bei militärischen Operationen verhaftet worden sein, ebenso
drei Dorfschützer aus einem anderen Dorf der Region. In dem Dorf Narike sollen
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drei Dorfschützer aus einem anderen Dorf der Region. In dem Dorf Narike sollen
die Einwohner gezwungen worden sein, sich auf dem Dorfplatz zu versammeln,
und gefoltert worden sein (I 160). Der türkische Staatspräsident Demirel räumte
Ende 1995 ein, dass seit Beginn der bewaffneten Auseinandersetzungen mit der
PKK im Jahre 1984 in der Kurdenregion 690 Dörfer und 1.563 Weiler vollständig,
weitere 215 Dörfer und 146 Weiler teilweise evakuiert wurden. Offiziellen türkischen
Angaben zufolge waren davon 307.000 Menschen betroffen; kurdische Quellen
sprechen von mehr als einer Million Vertriebenen (I 149). Ausgehend von den
Lageberichten des Auswärtigen Amtes (I 185, 195) wurden seit Beginn der
militärischen Auseinandersetzungen zwischen der PKK und den Sicherheitskräften
etwa 2.700 Dörfer evakuiert und ganz oder teilweise zerstört, wobei die
Gesamtzahl der Dörfer im Notstandsgebiet mit 12.000 angegeben wird und noch
im Lagebericht vom 17. April 1996 (I 174) von lediglich 2.000 evakuierten und ganz
oder teilweise zerstörten Dörfern ausgegangen wird.
An dieser Situation, die weiter durch die bürgerkriegsähnlichen
Auseinandersetzungen zwischen der PKK und den Sicherheitskräften geprägt ist,
hat sich bis zum Zeitpunkt der Entscheidung nichts geändert. Wie bisher kommt
es in den Provinzen, über die der Notstand verhängt ist, im Rahmen von
Zwangsevakuierungen von Dörfern sowie bei sonstigen großangelegten Aktionen
der Sicherheitskräfte zu Übergriffen gegenüber Zivilpersonen, insbesondere wenn
diese verdächtigt werden, mit der PKK zusammenzuarbeiten (I 174, 185, 195).
Nach wie vor ist die PKK trotz sichtbarer Erfolge der Sicherheitskräfte in den besser
zu kontrollierenden Ebenen und vor allem den Städten in bestimmten
Bergregionen im Südosten und Osten der Türkei präsent und drangsaliert die
kurdische Bevölkerung, wenn diese die Unterstützung verweigert oder gar den
türkischen Staat aktiv unterstützt (I 174, 185, 195). Eine Wende in der
Kurdenpolitik ist nicht erkennbar (I 189).
Aufgrund dieser Entwicklung im Südosten der Türkei bis zum
Entscheidungszeitpunkt ergibt sich zur Überzeugung des Senats eine gegen die
Kurden als Gruppe in den Notstandsprovinzen gerichtete staatliche Verfolgung, die
an ihre Volkszugehörigkeit und damit an ein asylerhebliches Merkmal anknüpft.
Die die kurdische Zivilbevölkerung in diesen Gebieten betreffenden Maßnahmen
und Übergriffe der türkischen Sicherheitskräfte stellen sich nach den oben
aufgeführten Grundsätzen als eine Gruppenverfolgung der Kurden in diesen
Gebieten dar. Es ist nämlich festzustellen, dass die türkischen Sicherheitskräfte
die Angehörigen der kurdischen Bevölkerung unter Anknüpfung an ihre
Volkszugehörigkeit durch schwerwiegende Rechtsverletzungen verfolgen, die
gerade auch darauf ausgerichtet sind, die dort lebenden Kurden wegen ihrer
Volkszugehörigkeit zu treffen. Die staatlichen Kräfte führen den Kampf gegen die
PKK in einer Weise, die auch auf die physische Vernichtung der durch
asylerhebliche Merkmale bestimmten Personengruppe der Kurden gerichtet ist,
obwohl diese keinen Widerstand leisten oder nicht am militärischen Geschehen
beteiligt sind. Diese Voraussetzungen sind nach Einschätzung des Senats seit
etwa Mitte 1993 festzustellen und für die voraussehbare Zukunft angesichts der
Art und Weise des militärischen Handelns der türkischen Sicherheitskräfte in den
Notstandsgebieten mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten. Deren
Aktionen sind jedenfalls seit dieser Zeit bei einer Vielzahl von Angriffen bewusst
auch gegen die kurdische Zivilbevölkerung in diesen Gebieten gerichtet und gehen
über das hinaus, was im Interesse der Wiederherstellung der staatlichen
Friedensordnung notwendig ist. Dabei ist für das Vorliegen einer asylrelevanten
Intensität des Eingriffs maßgebend, ob sich dieser nicht nur als Beeinträchtigung,
sondern als ausgrenzende Verfolgung darstellt (BVerfG - Kammer -, 04.04.1991 -
2 BvR 1497/90 -). Die Maßnahmen der Sicherheitskräfte in den
Notstandsprovinzen sind, soweit sie die Zivilbevölkerung betreffen, seither als
Aktionen eines bloßen Gegenterrors zu werten, die zwar auch der Bekämpfung des
Terrorismus und seines ihn aktiv unterstützenden Umfelds gelten mögen, aber
gleichzeitig darauf ausgerichtet sind, die an dem bestehenden Konflikt nicht
unmittelbar beteiligte Zivilbevölkerung unter den Druck brutaler Gewalt zu setzen
(vgl. BVerfG, 10.07.1989 - 2 BvR 502/86 u. a. -, a.a.O.), so dass daraus auf eine
allgemeine Gefährdung der in diesem Gebiet lebenden durch die
Volkszugehörigkeit gekennzeichneten Gruppe der Kurden zu schließen ist. Dabei
ist auch zugrundezulegen, dass - wie für die Annahme einer unmittelbar
staatlichen Gruppenverfolgung erforderlich - mit diesem Handeln eigene staatliche
Ziele des türkischen Staates durchgesetzt werden sollen, wozu sich der Staat der
Sicherheitskräfte - wie Gendarmas und Polizei - sowie der Armee bedient (vgl.
grundsätzlich zu diesem Erfordernis für eine "unmittelbare" staatliche
Gruppenverfolgung im Unterschied zu einer mittelbaren Gruppenverfolgung:
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Gruppenverfolgung im Unterschied zu einer mittelbaren Gruppenverfolgung:
BVerwG, 05.07.1994 - 9 C 158.94 -, a.a.O.). Wie aus den dargelegten Maßnahmen
der Sicherheitskräfte und der Streitkräfte ersichtlich, wird damit eine Konzeption
der türkischen Regierung zur "Befriedung" der kurdischen Siedlungsgebiete im
Südosten der Türkei durchgesetzt, die auch auf politische Verfolgung der
kurdischen Bevölkerungsgruppe setzt. Dabei unterstellen die Sicherheits- und
Streitkräfte ganz überwiegend pauschal eine Nähe oder Unterstützung
separatistischer Aktivitäten der PKK und knüpfen insoweit an die kurdische
Volkszugehörigkeit der Bewohner dieses Gebietes an (vgl. zu diesen Kriterien für
die Gerichtetheit von Verfolgungsmaßnahmen bei unmittelbarer staatlicher
Gruppenverfolgung: BVerfG - Kammer -, 09.12.1993 - 2 BvR 1638/93 -, a.a.O.;
BVerwG, 05.07.1994 - 9 C 158.94 -, a.a.O.).
Insbesondere die zahlreichen Fälle von Zwangsevakuierungen und vollständiger
oder teilweiser Zerstörung von Dörfern mit den damit einhergehenden massiven
Eingriffen in die Freiheit und körperliche Unversehrtheit der Dorfbewohner
verdeutlichen, dass die Sicherheitskräfte verstärkt zu einer Strategie
übergegangen sind, die neben dem unmittelbaren militärischen Kampf gegen die
PKK auch auf eine politische Verfolgung der kurdischen Bevölkerungsgruppe setzt,
um so der PKK Ressourcen und eine breitere Unterstützung in der Bevölkerung zu
entziehen. Welche Dimensionen die Aktivitäten der Sicherheitskräfte in Anwendung
dieser Strategie hat, zeigen die bekannt gewordenen Zahlen eindrucksvoll.
Insgesamt ist bei Abwägung und Einbeziehung aller genannten Berichte
festzustellen, dass die Aktionen der Sicherheitskräfte in den Notstandsprovinzen
seither nicht allein unmittelbar auf die Bekämpfung der PKK gerichtet sind,
sondern dass bewusst und in einer Vielzahl von Fällen zielgerichtet die Verletzung
und Tötung von Personen der Zivilbevölkerung in Kauf genommen wird, um
dadurch jedenfalls auch mittelbar - durch Abschreckung und Einschüchterung der
kurdischen Zivilbevölkerung - den militärischen Kampf gegen die PKK zu
erleichtern, ohne einen konkreten Anlass dafür zu haben, dass es sich bei den
jeweiligen Personen um Anhänger oder Unterstützer der PKK handelt. Dabei ist es
für die Asylrelevanz dieser Maßnahmen nicht erforderlich, dass sie auf die
Zerstörung der Identität der gesamten der Gegenseite zugerechneten
Zivilbevölkerung ausgerichtet sind. Es ist insoweit schon asylrechtlich erheblich,
wenn von solchen Aktionen nur Teile dieser Zivilbevölkerung betroffen sind, die -
wie hier - nach asylerheblichen Merkmalen bestimmt sind (BVerwG, 27.01.1993 - 9
B 95.92 -). Für diese Beurteilung maßgeblich sind nicht die subjektiven Gründe
oder Motive der handelnden Sicherheitskräfte, sondern die nach ihrem inhaltlichen
Charakter erkennbare Gerichtetheit der von ihnen durchgeführten Aktionen. Damit
ist eine objektivierte Betrachtung der grundsätzlichen Zielrichtung der Aktionen
der türkischen Sicherheitskräfte erforderlich. Aus der Sicht eines objektiven Dritten
stellen sich die Aktionen der türkischen Sicherheitskräfte als in erheblichem
Umfange auch gegen die kurdische Zivilbevölkerung gerichtet dar. Die bewusst
auch gegen die Zivilbevölkerung gerichteten Aktionen stellen eine seit etwa Mitte
1993 erweiterte Dimension der Kampfführung der türkischen Sicherheitskräfte
gegen die PKK dar, durch die als flankierende Maßnahmen zu dem direkten Kampf
gegen die PKK die kurdische Zivilbevölkerung mit brutaler Gewalt unter Druck
gesetzt werden soll, den PKK-Aktivisten keinen Schutz zu gewähren und sie nicht
zu unterstützen.
Der Senat legt auch zugrunde, dass aufgrund der geschilderten zahlreichen und
durchgehenden Vorkommnisse während der kriegerischen Handlungen im
Südosten der Türkei, insbesondere auch in Anbetracht der Tatsache, dass in den
letzten Jahren weit über tausend kurdische Dörfer durch Sicherheits- und
Streitkräfte zwangsweise geräumt und Dorfbewohner dabei regelmäßig Eingriffen
in Leben, körperliche Unversehrtheit und Freiheit ihrer Person ausgesetzt waren,
eine derartige Verfolgungsdichte besteht, dass jedem kurdischen
Volkszugehörigen im Südosten der Türkei akut ein den genannten Vergleichsfällen
entsprechendes Verfolgungsschicksal droht (zum Kriterium der Verfolgungsdichte
vgl. insbesondere BVerwG, 05.07.1994 - 9 C 158.94 -, a.a.O.). Der Senat hält es
deshalb im Ergebnis für beachtlich wahrscheinlich, dass durchaus jeder noch in
seinem angestammten Siedlungsgebiet im Südosten der Türkei lebende Kurde
von an seine Volkszugehörigkeit anknüpfenden, oben beschriebenen
Verfolgungsmaßnahmen staatlicher Organe in der Türkei betroffen sein kann. Der
Senat weist insoweit darauf hin, dass er zur Begründung und Herleitung dieses
Ergebnisses nur die wesentlichen Gründe angegeben hat, die für die richterliche
Überzeugungsbildung gemäß § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO leitend gewesen sind, und
nicht alle Einzelheiten von Gutachten und Berichten, die er in seine
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nicht alle Einzelheiten von Gutachten und Berichten, die er in seine
Entscheidungsfindung einbezogen hat, hier ausdrücklich wiedergegeben und
bewertet hat. Aus der Nichterwähnung einzelner Umstände ist deshalb nicht zu
schließen, dass der Senat diese bei seiner Entscheidung unberücksichtigt gelassen
hätte; insbesondere der Umstand, dass bestimmte verfolgungsrelevante
Situationen in einem Bericht nicht erwähnt sind, kann im vorliegenden Rahmen
nicht jeweils ausdrücklich dargestellt und bewertet werden (vgl. zu diesen
Erfordernissen grundsätzlich: BVerwG, 05.07.1994 - 9 C 158.94 -, a.a.O.). Dies
bedeutet aber nicht, dass der Senat bei der Gewichtung der vorhandenen
Dokumente dies nicht im Blick gehabt und etwa nicht in seine Betrachtung
einbezogen hätte. Soweit der Senat hinsichtlich der Feststellung oder Bewertung
von Verfolgungstatsachen von der Rechtsprechung anderer Tatsachengerichte
abweicht, hat er dies bei seiner Überzeugungsbildung beachtet. Vor allem hat er
alle divergierenden Tatsachenfeststellungen, soweit sie ihm bekannt sind, in die
Beweiswürdigung einbezogen, auch soweit dies nicht ausdrücklich vermerkt ist.
Zusammenfassend ist danach festzustellen, dass einem kurdischen
Volkszugehörigen, der in den Notstandsprovinzen des Südostens der Türkei lebt,
mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung durch Aktionen der
türkischen Sicherheitskräfte droht, da Angriffe der Sicherheitskräfte gezielt auch
die Zivilbevölkerung in Anknüpfung an ihre kurdische Volkszugehörigkeit wahllos
treffen, um diese von einer gerade aufgrund ihrer Volkszugehörigkeit für möglich
gehaltenen Unterstützung der PKK abzuhalten (siehe auch: OVG Nordrhein-
Westfalen, 03.06.1997 - 25 A 3631/95.A -; Niedersächsisches OVG, 08.06.1994 -
11 L 37/90 -, zuletzt 16.05.1995 - 11 L 6012/91 -; VGH Baden-Württemberg,
03.11.1994 - A 12 S 698/92 -; OVG Hamburg, 23.08.1995 - Bf V 88/89 -). Gegen
diese Annahme spricht nicht, dass es in der hier maßgebenden Region einzelne
Kurden geben mag, die aufgrund ihrer wirtschaftlichen und sozialen Stellung oder
ihrer Einbindung in den Staat von diesen Aktionen nicht betroffen sind und im
wesentlichen unbehelligt leben können; denn für diese wäre dann gegebenenfalls
die Verfolgungsvermutung als widerlegt anzusehen.
1.2. Ein kurdischer Volkszugehöriger kann aber in die Türkei zurückkehren und dort
leben, ohne dass ihm politische Verfolgung droht, wenn er sich außerhalb der
Notstandsprovinzen, vor allem in den Großstädten Ankara und Istanbul,
niederlässt (vgl. Hess. VGH, 23.11.1992 - 12 UE 2590/89 -, 24.01.1994 - 12 UE
200/91 -, 26.09.1994 - 12 UE 170/94 -, 22.04.1996 - 12 UE 2632/95 -, 05.05.1997 -
12 UE 4660/96.A -). In diesen Gebieten besteht für ihn eine inländische
Fluchtalternative, da er dort hinreichend sicher vor staatlichen
Verfolgungsmaßnahmen ist und auch keiner anderen existentiellen Gefährdung
ausgesetzt ist, die so in seiner Heimatregion nicht bestünde.
Wer nicht von landesweiter, sondern von nur regionaler politischer Verfolgung
betroffen ist, ist erst dann politisch Verfolgter im Sinne von Art. 16a Abs. 1 GG,
wenn er dadurch landesweit in eine ausweglose Lage versetzt wird. Das ist der Fall,
wenn er in anderen Teilen seines Heimatstaates eine zumutbare Zuflucht nicht
finden kann; dabei ist eine inländische Fluchtalternative regelmäßig nur bei einer
Drittverfolgung in Betracht zu ziehen, während sie bei unmittelbarer staatlicher
Verfolgung eher die Ausnahme darstellt (BVerfG, 10.11.1989 - 2 BvR 403/84 u. a. -
, a.a.O.). Ist der Asylsuchende von unmittelbarer staatlicher Verfolgung in einem
Teil seines Heimatlandes betroffen, so kann eine inländische Fluchtalternative nur
vorliegen, wenn der Verfolgerstaat "mehrgesichtig" ist, er also Personen, die er in
einem Landesteil selbst aktiv verfolgt, in einem anderen Landesteil unbehelligt
lässt (BVerfG, 10.07.1989 - 2 BvR 502/86 u. a. -, a.a.O.). Die Zumutbarkeit einer
inländischen Fluchtalternative setzt voraus, dass der Ausländer am Ort der
möglichen Fluchtalternative politische Verfolgungsmaßnahmen nicht begründet
befürchten muss. Zu dem asylrechtlich geschützten Bereich der persönlichen
Freiheit gehören dabei auch die Rechte auf freie Religionsausübung und
ungehinderte berufliche und wirtschaftliche Betätigung. Die Beeinträchtigung
dieser Rechte kann einen Asylanspruch begründen, wenn sie nach ihrer Intensität
und Schwere die Menschenwürde verletzt und über das hinausgeht, was die
Bewohner des Heimatstaats aufgrund des dort herrschenden Systems allgemein
hinzunehmen haben (BVerwG, 15.02.1984 - 9 CB 191.83 -, a.a.O.). Unabhängig
von politischer Verfolgung drohende Gefährdungen am Ort der inländischen
Fluchtalternative sind grundsätzlich asylirrelevant, es sei denn, der Ausländer
gerät am Ort der inländischen Fluchtalternative in eine wirtschaftliche Notlage, in
der ihm kaum mehr als das zum Leben unbedingt Notwendige gesichert ist
(BVerwG, 06.10.1987 - 9 C 13.87 -, EZAR 203 Nr. 4 = InfAuslR 1988, 57). Insoweit
kommt es darauf an, ob dem Asylbewerber am Ort einer möglichen
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kommt es darauf an, ob dem Asylbewerber am Ort einer möglichen
Fluchtalternative bei generalisierender Betrachtung mit beachtlicher
Wahrscheinlichkeit auf Dauer ein Leben unter dem Existenzminimum droht, das zu
Hunger, Elend und schließlich zum Tode führt (BVerwG, 16.06.1988 - 9 C 1.88 -,
InfAuslR 1989, 107). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts,
der insoweit nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts Bindungswirkung im
Sinne des § 31 BVerfGG zukommt (BVerwG, 15.05.1990 - 9 C 17.89 -, a.a.O.),
setzt die inländische Fluchtalternative voraus, dass der Asylbewerber in den in
Betracht kommenden Gebieten vor politischer Verfolgung hinreichend sicher ist
und ihm jedenfalls auch dort keine anderen Nachteile und Gefahren drohen, die
nach ihrer Intensität und Schwere einer asylerheblichen Rechtsgutbeeinträchtigung
aus politischen Gründen gleichkommen, sofern diese existentielle Gefährdung am
Herkunftsort so nicht bestünde (BVerfG, 10.07.1989 - 2 BvR 502/86 u. a. -, a.a.O.,
10.11.1989 - 2 BvR 403/84 u. a. -, a.a.O.). Zu diesen existentiellen Gefährdungen
kann vor allem die Unmöglichkeit der Wahrung eines religiösen (BVerfG - Kammer
-, 30.12.1991 - 2 BvR 406/91 -, InfAuslR 1992, 219) oder wirtschaftlichen
Existenzminimums gehören (BVerwG, 15.05.1990 - 9 C 17.89 -, a.a.O.). Für die
Feststellung einer existentiellen Gefährdung des Asylbewerbers auch am Ort der
inländischen Fluchtalternative reicht nicht die Möglichkeit einer solchen
Gefährdung aus, sondern es muss mit dem nach dem allgemeinen
Prognosemaßstab für die Nachfluchtgründe notwendigen Überzeugungsgrad
festgestellt werden, dass dem Asylbewerber dort ein Leben unter dem
Existenzminimum droht, das jedenfalls zu einer verfolgungsunabhängigen
wirtschaftlichen Verelendung führt (BVerwG, 06.10.1987 - 9 C 13.87 -, a.a.O.).
Beeinträchtigungen des Rechts auf ungehinderte berufliche und wirtschaftliche
Betätigung, die die Wahrung eines wirtschaftlichen Existenzminimums verhindern,
sind nur dann nicht hinzunehmen, wenn sie so erheblich sind, dass sie sich als
Eingriff in die Menschenwürde darstellen (BVerfG, 02.07.1980 - 1 BvR 147/80 u. a. -
, a.a.O.; BVerwG, 23.11.1982 - 9 C 844.80 -, DÖV 1983, 206). Beschränkungen der
Erwerbstätigkeit sind demnach erst asylerheblich, wenn sie die wirtschaftliche
Existenz bedrohen und jenes Existenzminimum nicht mehr gewährleisten, das ein
menschenwürdiges Dasein erst ausmacht (BVerwG, 30.04.1991 - 9 C 105.90 -).
Dies kann außer bei der Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz nur
angenommen werden, wenn gravierende Beeinträchtigungen der beruflichen
Betätigung die Menschenwürde verletzen (BVerwG, 20.10.1987 - 9 C 42.87 -,
Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 75 = InfAuslR 1988, 22). Liegt die Voraussetzung
einer existentiellen Gefährdung am Ort der inländischen Fluchtalternative vor,
kommt es nicht mehr darauf an, ob eine staatliche Verantwortlichkeit für das
Fehlen eines wirtschaftlichen oder religiösen Existenzminimums am Ort der
inländischen Fluchtalternative zu bejahen ist (BVerfG, 30.12.1991 - 2 BvR 406/91 u.
a. -, a.a.O.). Dabei ist für die Frage einer Gruppenverfolgung wegen kurdischer
Volkszugehörigkeit allein darauf abzustellen, ob in der Westtürkei lebenden oder
dort zugewanderten Kurden, die sich für ihr Volkstum nach außen hin für die
türkischen Sicherheitskräfte nicht erkennbar politisch einsetzen, asylrelevante
Verfolgungsmaßnahmen drohen. Staatliche Maßnahmen, die wesentlich darauf
gerichtet sind, gegen von einem Betroffenen vorgenommene Aktivitäten
vorzugehen, erfüllen diese Voraussetzungen nicht. Soweit diese den Charakter
politischer Verfolgung aufweisen, sind sie im Rahmen der Prüfung des individuellen
Verfolgungsschicksals desjenigen, der solche Maßnahmen geltend macht, zu
berücksichtigen und können zu einer Asylanerkennung des Betreffenden führen.
Etwas anderes gilt nur dann, wenn zwischen einem Vorgehen wegen der
politischen Überzeugung bzw. deren Betätigung und dem Merkmal der
Volkszugehörigkeit nicht mehr realitätsgerecht getrennt werden kann (vgl. BVerfG
- Kammer -, 09.12.1993 - 2 BvR 1638/93 -, InfAuslR 1994, 105, 108).
Der Senat vermag der davon abweichenden Rechtsprechung des OVG Schleswig-
Holstein, das in seinen Urteilen vom 26. April 1995 (- 4 L 18/95 -) und
insbesondere vom 22. Juni 1995 (- 4 L 30, 262/94 -) eine inländische
Fluchtalternative für die Kurden, die in den Notstandsprovinzen und in den
überwiegend kurdisch besiedelten Teilen, insbesondere der an die
Notstandsgebiete angrenzenden Provinzen geboren sind und/oder dort bis in
jüngste Zeit gelebt haben, verneint, nicht zu folgen. Nach Auffassung des Senats
setzen diese Entscheidungen die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung
aufgestellten Vorgaben zur regional begrenzten staatlichen Gruppenverfolgung
und zur möglichen inländischen Fluchtalternative bei Bejahung der
Mehrgesichtigkeit des verfolgenden Staates nicht konsequent um und sind mit
dem Begriff der Gruppenverfolgung nicht vereinbar (so auch BVerwG, 30.04.1996 -
9 C 170.95 -, DVBl. 1996, 1257 = NVwZ 1996, 1110 = EZAR 202 Nr. 27; BVerwG,
30.04.1986 - 9 C 171.95 -, DVBl. 1996, 1260 = EZAR 203 Nr. 8 = InfAuslR 1996,
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30.04.1986 - 9 C 171.95 -, DVBl. 1996, 1260 = EZAR 203 Nr. 8 = InfAuslR 1996,
324 = NVwZ 1996, 1113). Soweit das OVG Schleswig-Holstein im übrigen für
Kurden aus den Notstandsgebieten oder den den von ihm benannten kurdischen
Siedlungsgebieten eine asylrechtserhebliche Verfolgungsgefahr in der Westtürkei
daraus herleitet, dass der aus dem Nüfus ersichtliche Herkunftsort grundsätzlich
eine gezielte Terrorisierung oder sogar Folterung durch die Sicherheitskräfte nach
sich zieht, bewertet der Senat die zugrundeliegenden Auskünfte und
Stellungnahmen anders und vermag ihnen insbesondere nicht zu entnehmen,
dass die Mitglieder des genannten Personenkreises grundsätzlich mit
Misshandlungen und Folterungen durch die Sicherheitskräfte rechnen müssen
(dazu im einzelnen Hess. VGH, 05.02.1996, - 12 UE 4176/95 -).
Nach den danach geltenden oben erwähnten Maßstäben konnten und können
Kurden, soweit sie in ihrer Heimat allenfalls der marginalen Unterstützung der PKK
verdächtig waren, ohne sich aktiv und hervorgehoben für separatistische
Bestrebungen einzusetzen, insbesondere in der Westtürkei grundsätzlich
unbehelligt leben (I 44, 56, 106, 174, 195). Dort sind keine asylrechtlich relevanten
Übergriffe der türkischen Streitkräfte oder Sicherheitsbehörden zu befürchten, es
sei denn, dass der Einzelne Verdachtsmomente dahingehend aufweist, in
strafrechtlich relevanter Weise insbesondere für die PKK aktiv geworden zu sein (I
33, 106). Ob darüber hinaus andere überwiegend von Kurden bewohnte Gebiete,
die nicht mehr zur Westtürkei gezählt werden können, ebenfalls als inländische
Fluchtalternative in Betracht kommen können, bedarf danach keiner Entscheidung.
An dieser Bewertung ändern auch Informationen nichts, wonach die Eskalation der
Auseinandersetzungen in den Notstandsprovinzen nicht völlig ohne Folgen in der
westlichen Türkei geblieben ist.
Seit Verschärfung der Auseinandersetzung zwischen Sicherheitskräften und PKK
im Südosten der Türkei sollen auch in der Westtürkei Repressionen gegen Kurden
zugenommen haben (I 50, 60, 70). Die kurdischen Zuwanderer sollen bei Razzien
und Fahndungen in erster Linie von Festnahmen betroffen worden sein, da sie
bereits allein aufgrund ihrer kurdischen Herkunft als verdächtig gelten (I 51, 70).
Dies soll sich mit der Andauer des Kampfes im Südosten weiter verschlimmert
haben. Dabei soll es keine besondere Rolle spielen, welche konkreten
Verdachtsmomente in Bezug auf die Verwandtschaft oder Bekanntschaft mit PKK-
Rebellen vorliegen. Des Weiteren wird der Verdacht geäußert, dass Kurden in den
west-, süd- und nordtürkischen Regionen von der Polizei drangsaliert würden, ohne
dass auch nur der Versuch gemacht werde, den Vorwurf einer tatsächlich
vorhandenen radikalen kurdischen Einstellung oder Aktivität nachzuweisen. Allein
die Zugehörigkeit zur ethnischen Gruppe der Kurden ziehe den Vorwurf einer
separatistischen Einstellung nach sich (I 76, 100). Demgegenüber wird in anderen
Berichten darauf verwiesen, dass nichts davon bekannt sei, dass Kurden in den
westlichen türkischen Großstädten allein wegen ihrer Volkszugehörigkeit verhaftet
würden (I 47). Selbst in Zeitschriften, die in kurdischer Sprache erscheinen, sei
nicht von willkürlichen Festnahmen von Kurden, nur weil sie Kurden seien, berichtet
worden.
Schon 1992 und 1993 kam es in verschiedenen Orten der West- und Südtürkei zu
Zwischenfällen gegenüber kurdischen Volkszugehörigen (I 70, 76). Im Rahmen von
Beerdigungen und Trauerfeiern von türkischen Trauergemeinden gab es nicht nur
gegen die PKK, sondern gegen die Kurden gerichtete Ausschreitungen, die
teilweise mehrere Tage andauerten, beispielsweise Ende Oktober 1992 in Alanya in
der Nähe von Antalya (I 48, 57, 60) und in Fethiye (Provinz Mugla; I 48, 70). Anfang
Dezember 1992 entstanden in Antalya nach einem Feuerüberfall auf einen
Polizeiwagen Spannungen zwischen türkischer und kurdischer Bevölkerung, die in
Ausschreitungen gegen kurdische Geschäfte mündeten (I 61). Auch alltägliche
Streitereien zwischen Bürgern türkischer und kurdischer Herkunft wurden häufig
zum Anlass gewalttätiger Auseinandersetzungen genommen, wie in der Nacht
vom 12. zum 13. Juli 1993 in Ezine (Provinz Canakkale) zwischen kurdischen
Hotelangestellten und Gästen aus dem Nachbardorf (I 76). Darüber hinaus trugen
auch öffentliche diskriminierende Äußerungen von Politikern zur Verschlechterung
des Verhältnisses zwischen Türken und Kurden bei (I 76). Mit dem Andauern der
Kämpfe im Südosten der Türkei und weiterer Flüchtlingswellen aus diesen Gebieten
insbesondere in die Großstädte im Westen der Türkei hat sich die Lage vor allem in
den überwiegend von Kurden bewohnten Vierteln nicht verbessert. Dort hat sich
die Häufigkeit von Razzien und Überprüfungen einschließlich Festnahmen eher
noch vermehrt, da die Sicherheitskräfte unter den neu aus den östlichen Provinzen
hinzugezogenen Kurden einen hohen Anteil von PKK-Anhängern vermuten (I 93,
100, 105, 114). Nach auf Informationen von türkischen Menschenrechtsvereinen
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100, 105, 114). Nach auf Informationen von türkischen Menschenrechtsvereinen
beruhenden Berichten kam es im Jahre 1994 zu 14.473 Festnahmen (I 105); in der
gesamten Türkei soll es sich um eine Million Festnahmen pro Jahr handeln (I 106).
Oberdiek hat aus Zeitungsberichten oder Informationen von
Menschenrechtsvereinen für Istanbul, Adana, Izmir und andere Orte insgesamt
etwa 118 Razzien und Verhaftungen im Zeitraum Oktober 1994 bis Mai 1995
ermittelt; daneben ist es in diesem Zeitraum zu mehreren ungeklärten Fällen
Ermordeter und Verschwundener sowie zu Bombenanschlägen gekommen, deren
Täter vielfach nicht zu ermitteln waren, so beispielsweise in Adana und Mersin im
März 1995 (I 114). Laut amnesty international verschwanden allein 1995
mindestens 35 Personen; in den ersten 11 Monaten des Jahres 1996 waren es
schon 179 (I 191). Besonders gravierende Folgen hatte der Vorfall in einer
Teestube in Istanbul im März 1995, bei dem mehrere Aleviten von Unbekannten
erschossen wurden. Gegen die Polizei wurde der Vorwurf erhoben, nicht
hinreichend schnell tätig geworden zu sein und dadurch die Ermittlung der Täter
vereitelt zu haben; in der Folge kam es zu Demonstrationen und schweren
Unruhen mit etlichen Toten, nachdem die Polizei in die demonstrierende Menge
geschossen hatte (I 107, 109). Nach mehrtägigen Unruhen normalisierte sich die
Lage in Istanbul wieder und die an den Todesfällen beteiligten Polizisten sollen zur
Verantwortung gezogen worden sein (I 108, 110, 114).
Auch in der zweiten Hälfte des Jahres 1995 und bis zum Entscheidungszeitpunkt
war die Situation in der Türkei von dem verschärften Vorgehen staatlicher Organe
gegen Oppositionelle und insbesondere Kritiker der Kurdenpolitik der Regierung
geprägt. Hiervon betroffen sind in erster Linie Menschenrechtsaktivisten, türkische
und ausländische Journalisten sowie Politiker von Parteien, die sich für die Kurden
einsetzen, insbesondere der HADEP bzw. DEP. So wurde nach dem Verbot der pro-
kurdischen Zeitung Özgür Gündem im April 1994 auch das Nachfolgeorgan Özgür
Ülke nach Beschlagnahme ihrer Ausgaben jeweils noch vor der Auslieferung im
Februar 1995 eingestellt (I 105, 140). Im August 1995 wurde auch die
Nachfolgezeitung Yeni Politika verboten. Im Gegensatz zu dem Vorgehen gegen
die Vorgängerzeitungen wurde das Verbot der Yeni Politika indes nicht wegen eines
konkreten Berichtes angeordnet, sondern mit der Begründung, die Zeitung sei im
wesentlichen eine Fortsetzung der Özgür Ülke gewesen (I 140). Das massive
Vorgehen der türkischen Behörden gegen Kritiker der staatliche Kurdenpolitik wird
aus den Angaben verschiedener Quellen über die im Zusammenhang mit Art. 8
ATG Inhaftierten und Verurteilten deutlich. So sollen im Juli 1995 171 Personen im
Zusammenhang mit einer Verletzung des Art. 8 ATG inhaftiert gewesen sein (I
141). Andere Quellen sprechen von fast 200 türkischen Journalisten, Schriftstellern
und Intellektuellen, die sich in Haft befänden und wegen Verletzungen des Art. 8
ATG mit langjährigen Freiheitsstrafen rechnen müssten (I 145, vgl. auch 191). Die
am 27. Oktober 1995 vom türkischen Parlament beschlossene Reform der
Vorschriften in Art. 8 und 13 ATG führte zu einer Einengung sowohl des objektiven
als auch des subjektiven "Separatismus"-Tatbestandes als auch und insbesondere
zu einer Veränderung des Strafrahmens nach unten. Nach dem neuen Recht sieht
der Strafrahmen statt Zuchthaus von zwei bis fünf Jahren und schwerer Geldstrafe
von 50 bis 100 Millionen türkische Lira Gefängnisstrafe von einem bis drei Jahre
und schwere Geldstrafen von 100 bis 300 Millionen türkischen Lira vor und lässt die
Umwandlung von Freiheitsstrafen in Geldstrafen oder eine Maßnahme sowie die
Aussetzung der Strafen zur Bewährung zu (I 155). Nach Auffassung von
Menschenrechtsorganisationen sind diese Änderungen allerdings nur als reine
kosmetische Änderung anzusehen, die an der bisher geübten Praxis nichts
änderten (I 150). In der Tat hatte die Reform des Art. 8 ATG unmittelbare
praktische Auswirkungen insoweit, als sie zum Freispruch des türkischen
Schriftstellers Yasar Kemal wie auch der amerikanischen Journalistin Eliza Marcus
vom Vorwurf der Separatismus führte und bis April 1996 zur Freilassung von über
140 von etwa 150 bis 180 nach Art. 8 ATG Verurteilten führte (I 174); andere
Quellen berichten für den Zeitraum Anfang Dezember 1995 von der Entlassung
von 123 von insgesamt 146 nach Art. 8 ATG Verurteilten, unter denen sich auch
prominente Menschenrechtler wie die Rechtsanwältin Erin Keskin befanden (I 154,
155). Zu einer vollständigen Aufhebung des Art. 8 ATG oder zu einer Amnestie der
nach dieser Vorschrift Verurteilten konnte sich das türkische Parlament allerdings
nicht durchringen, sondern es beschloss die Wiederaufnahme der bis dahin nach
Art. 8 ATG durchgeführten Verfahren auch nach Eintritt der Rechtskraft innerhalb
eines Monats nach Inkrafttreten der gesetzlichen Regelung unter Beurteilung der
Strafbarkeit nach neuem Recht (I 155), mit der Folge, dass die bisher nach Art. 8
ATG Verurteilten nicht ohne weiteres mit einem Freispruch, sondern mit einer
erneuten Verurteilung rechnen müssen. So wurden vom Staatssicherheitsgericht
in Istanbul Mitte Dezember 1995 die Anträge von 98 unter dem ATG angeklagten
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in Istanbul Mitte Dezember 1995 die Anträge von 98 unter dem ATG angeklagten
Intellektuellen auf Einstellung der Verfahren oder Verweisung an ein
Berufungsgericht mit dem Hinweis zurückgewiesen, dass das ATG inzwischen zwar
abgemildert, aber nicht abgeschafft worden sei (I 156). Das gleiche Gericht
verurteilte am 21. Dezember 1995 einen türkischen Journalisten, der im April 1994
in der Zeitung Özgür Ülke einen Artikel über den PKK-Führer Öcalan veröffentlicht
hatte, wegen separatistischer Propaganda zu 10 Monaten Haft und einer
Geldstrafe in Höhe von umgerechnet 8.300 DM (I 159). Am 9. Januar 1996 wurde
ein früherer kurdischer Abgeordneter der Partei der Ministerpräsidentin Ciller, der
zwei Jahre zuvor aus Protest gegen die Kurdenpolitik der Regierung aus der Partei
ausgetreten war, unter dem Vorwurf der Unterstützung der PKK festgenommen,
wobei den Behörden vorgeworfen wurde, dass die Verhaftung ausschließlich
politisch motiviert und wegen der deutlichen Kritik des Festgenommenen an der
Kurdenpolitik der Regierung erfolgt sei (I 166). Insgesamt ist festzustellen, dass
auch nach dieser Reform des Art. 8 ATG die bisher geübte Strafverfolgungspraxis
gegenüber kritischen türkischen und türkisch-kurdischen aber auch ausländischen
Journalisten, Mitgliedern von Menschenrechtsvereinen und den die Kurdenpolitik
kritisierenden Politikern keine Veränderung erfahren hat. Wie weitere Reformen
wirken, wird abzuwarten sein. Das türkische Parlament hat jedenfalls am 6. März
1997 einen Gesetzesentwurf verabschiedet, der die Verkürzung der maximal
zulässigen Dauer des Polizeigewahrsams und eine Beschneidung der
Kompetenzen der Staatssicherheit vorsieht, wobei allerdings während der ersten
vier Tage des Polizeigewahrsams das Recht anwaltlichen Beistandes nicht gewahrt
wird (I 195).
Noch gravierender ist das brutale Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen
missliebige Journalisten. So ist im August 1995 ein kurdischer Journalist
offensichtlich im türkischen Polizeigewahrsam in Bitlis ums Leben gekommen.
Nach Erklärungen der Polizei hatte sich der 27jährige Sayfettin Tepe, der für die
Zeitung Yeni Politika arbeitete, in seiner Zelle erhängt. Nach Angaben von
Familienangehörigen wies die Leiche aber Folterspuren auf (I 142). Am 8. Januar
1996 wurde der türkische Journalist Metin Göktepe in Istanbul tot aufgefunden,
nachdem er während der Beerdigung zweier während des Gefängnisaufstandes
Ende Dezember 1995 in Istanbul getöteter Häftlingen abgeführt worden war (I
164). Zwischenzeitlich räumte die Regierung ein, dass er im Polizeigewahrsam
umgebracht wurde (I 167). Mindestens 20 kritische Journalisten sollen in den
letzten fünf Jahren ermordet worden sein (I 191). Von dem Vorgehen der
Sicherheitskräfte gegen missliebige Journalisten oder sonstige Kritik äußernde
Personen blieben auch ausländische Beobachtergruppen, Aktivisten und
Journalisten nicht verschont (I 120, 129, 130, 139).
Über die Sicherheitslage der Kurden in den westlichen Gebieten der Türkei liegen
im Hinblick auf eine generelle asylrechtsrelevante Gefährdung insbesondere für
den Zeitraum ab Ende Mai 1995 konkrete aktuelle Zahlen weder zu Übergriffen
privater Dritter noch über die Anzahl von Razzien, Überprüfungen und
Verhaftungen durch die Sicherheitskräfte vor. Nach wie vor kommt es nach den
Angaben des Auswärtigen Amtes in den Großstädten im westlichen Teil der Türkei
sowie in Städten im Süden des Landes, zum Beispiel Adana und Mersin, in den
dortigen Kurdensiedlungen überdurchschnittlich häufig zu Polizeirazzien mit
zahlreichen vorläufigen Festnahmen bei der Suche der Sicherheitskräfte nach PKK-
Mitgliedern und Sympathisanten und dabei häufiger zu Übergriffen seitens der
Sicherheitskräfte (I 155; 174). Nach den Berichten der türkischen
Menschenrechtsorganisationen ist nach wie vor auffallend hoch die Zahl der unter
ungeklärten Umständen Verschwundenen sowie der ungeklärten, offensichtlich
politisch motivierten Morde. Der türkische Menschenrechtsverein IHD gab im Juni
1995 die Zahl der nach Festnahmen durch die Sicherheitskräfte verschwundenen
Menschen für die ersten drei Monate des Jahres 1995 mit 77 an. Die Opfer seien
zumeist gefoltert und ermordet aufgefunden worden (I 128). In einer anderen
Studie ist von 30 bis 40 "Verschwundenen" im Monat die Rede, gegenüber 328
Menschen im Jahre 1994. Diesen Angaben zufolge verschwinden die meisten Opfer
im Polizeigewahrsam, andere würden auf offener Straße von Unbekannten
verschleppt. Die meisten blieben spurlos verschwunden, in anderen Fällen seien
die Leichen Verschwundener nach Tagen oder Wochen meist mit schweren
Folterspuren tot aufgefunden worden. Es wird vermutet, dass es sich bei den
Opfern in vielen Fällen um unter der Folter im Polizeigewahrsam gestorbene
Menschen handelt, deren Leichen zur Verwischung der Spuren beseitigt wurden (I
135). In seinem Menschenrechtsbericht für den Monat August 1995 wies der IHD
auf 21 im Polizeigewahrsam umgekommene oder von Unbekannten getötete
Menschen hin. Des weiteren seien 22 Fälle von Folter durch die türkische Polizei
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Menschen hin. Des weiteren seien 22 Fälle von Folter durch die türkische Polizei
bekannt geworden (I 144). Nach einem Bericht von amnesty international vom
September 1995 sollen die Todesfälle nach Folter, das Verschwindenlassen von
Menschen sowie politisch motivierte Morde in den ersten acht Monaten des Jahres
1995 leicht abgenommen haben (I 145). Der türkische Menschenrechtsverein
Human Rights Association (HRA) gab im Oktober 1995 die Zahl der bis dahin
Verschwundenen mit 158 an (I 147). Amnesty international berichtet von 80
politischen Morden in der Zeit von Januar bis August 1995 (I 150). In einer im
Januar 1996 veröffentlichten Jahresbilanz für 1995 zählt der türkische
Menschenrechtsverein IHD 99 Tote und 136 Verletzte, die offenbar politisch
motivierten Anschlägen zum Opfer fielen; dem Bericht zufolge starben 122
Personen durch extralegale Hinrichtungen oder Folter im Polizeigewahrsam, 231
Personen verschwanden, 251 wurden im Gefängnis gefoltert, 14.473 Personen
wurden vorläufig und 2.101 dauernd festgenommen (I 172).
Nach einem Bericht der türkischen Menschenrechtsstiftung TIHV wird von den
türkischen Sicherheitskräften die Folter weit verbreitet als systematische
Verhörmethode sowie als Mittel zur Bestrafung und Abschreckung angewandt.
Danach wird am häufigsten, nämlich mit ca. 78 % aller bekannt gewordenen Fälle,
in Polizeihauptquartieren gefoltert; der Erhebung zufolge werden von den
Folteropfern, die bei der TIHV, die medizinische Zentren zur Behandlung von
Folteropfern unterhält, um Hilfe nachsuchten, ca. 85 % aus politischen Gründen, 2
% wegen gewöhnlicher Kriminalität und ca. 13 % ohne ersichtliche Gründe gefoltert
(I 151). Die türkischen Behörden bestreiten nach wie vor die erhobenen
Foltervorwürfe; die Verweigerung der Veröffentlichung des Berichts der von der
türkischen Regierung eingesetzten Menschenrechtskommission und der Rücktritt
mehrerer Mitglieder der Kommission aus Protest dagegen sprechen indes für sich.
Den Angaben dieser Mitglieder zufolge kam die Anfang 1994 eingesetzte
Kommission zu dem Ergebnis, dass in türkischen Polizeiwachen systematisch
gefoltert wird, die daran beteiligten Beamten aber überhaupt nicht oder nur
unzureichend belangt werden (I 109). Für die ungeklärten politischen Morde
werden von Menschenrechtsorganisationen und kurdennahen Oppositionskreisen
Todesschwadronen verantwortlich gemacht, bezeichnet als "Kontra-Guerilla" oder
"Hisbollah", die über enge Verbindungen zum staatlichen Sicherheitsapparat
verfügen sollen. Dies ist bislang nicht bewiesen worden. Seitens türkischer
Menschenrechtsgruppen wird den Strafverfolgern eine bewusste Verschleppung
der Ermittlungen vorgeworfen. Ein zur Aufklärung dieser Morde eingesetzter
parlamentarischer Untersuchungsausschuss beendete seine Arbeiten ergebnislos.
Der Abschlussbericht soll sich ungewöhnlich kritisch mit der Aufklärungsarbeit
örtlicher Sicherheitskräfte und mit dem einschlägigen politischen Umfeld befassen
(I 110, 155).
Die Situation in der Türkei ist seit der zweiten Hälfte des Jahres 1995 bis zum
Entscheidungszeitpunkt geprägt durch die von unterschiedlichen Auffassungen zur
Lösung des Kurdenproblems, insbesondere aber die gravierende Verschlechterung
der wirtschaftlichen Situation ausgelöste Regierungskrise. Aus den Neuwahlen vom
24. Dezember 1995 ging die islamistische Wohlfahrtspartei (RP) mit 21,3 % der
Stimmen als Sieger hervor, gefolgt von der Mutterlandspartei (ANAP) und der
Partei des Rechten Weges von Ministerpräsidentin Ciller (DYP), die dicht unter 20 %
der Stimmen blieben (I 194). Die neue Regierung wurde aus einer Koalition von RP
und DYP gebildet. Am 28. Juni 1996 wurde Erbakan zum Ministerpräsidenten
gewählt (I 195). Diese und andere neuere Entwicklungen wie auch die
Gefängnisrevolte und die Todesfastenaktion im Sommer 1996 haben zu keiner
entscheidenden Änderung der Vorgehensweise der Sicherheitskräfte geführt (I
195). Soweit es Übergriffe auch im Westen gegeben hat (I 187, 191) rechtfertigt
dies nicht die Annahme, Kurden seien in der Westtürkei generell von
asylrechtsrelevanten staatlichen Verfolgungsmaßnahmen bedroht. Bei der den
Sicherheitskräften vorgeworfenen Ermordung des türkischen Journalisten Göktepe
handelt es sich um einen der mittlerweile zahlreichen Fälle exzessiven Vorgehens
der türkischen Polizei gegen missliebige Journalisten. Die anlässlich der Beerdigung
zweier politischer Häftlinge von der Polizei in Istanbul vorgenommenen vorläufigen
Festnahmen von zumindest 500 bis 800 Trauergästen zur Feststellung der
Personalien (I 163, vgl. auch I 162) erfolgten offensichtlich zur Verhinderung
befürchteter Ausschreitungen und lassen ebenfalls eine verschärfte
Vorgehensweise der Sicherheitskräfte gegenüber den Kurden nicht erkennen.
Ebensowenig bewirkte die von PKK-Chef Öcalan im Dezember 1995 angebotene
Feuerpause, die von der türkischen Regierung postwendend zurückgewiesen wurde
(I 157), eine Änderung der Situation. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf eine
Verbesserung der Situation in den Notstandsgebieten, zumal die
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Verbesserung der Situation in den Notstandsgebieten, zumal die
Auseinandersetzungen zwischen den türkischen Sicherheitskräften und der PKK
auch nach dem Waffenstillstandsangebot fortgesetzt wurden (I 158, 161, 165) und
der Waffenstillstand von der PKK später wieder aufgekündigt wurde (I 176).
Aufgrund der wiederholten Bekämpfung der PKK über die Landesgrenze hinaus
kam es zwar zu Verstimmungen mit Irak und Syrien (I 177), Rückwirkungen auf das
allgemeine Verhältnis zu der kurdischen Bevölkerung außerhalb der
Notstandsgebiete lassen sich aber insoweit nicht feststellen.
Insgesamt kann aufgrund dieser Erkenntnisse für die absehbare Zukunft
zugrundegelegt werden, dass unter Sicherheitsgesichtspunkten eine inländische
Fluchtalternative für Kurden in der Westtürkei besteht. Soweit in den beigezogenen
Quellen über bestimmte Ausschreitungen berichtet wird, fehlen entsprechende
Anhaltspunkte dafür, dass diese vom türkischen Staat veranlasst oder geduldet
wurden. Übergriffe Privater sind dem Staat als mittelbare staatliche Verfolgung nur
dann zuzurechnen, wenn er gegen Verfolgungsmaßnahmen Privater grundsätzlich
keinen effektiven Schutz gewährt. Eine grundsätzliche Schutzbereitschaft des
Staates bei Übergriffen Privater besteht dann, wenn Polizei und
Sicherheitsbehörden zur Schutzgewährung ohne Ansehen der Personen
verpflichtet und dazu von der Regierung auch landesweit angehalten werden,
vorkommende Fälle von Schutzversagung also ein von der Regierung nicht
gewolltes Fehlverhalten der Handelnden darstellt (BVerwG, 05.07.1994 - 9 C 1.94 -,
a.a.O.). Auf dieser Grundlage ist für den vorliegenden Zusammenhang
festzustellen, dass die türkischen Sicherheitskräfte grundsätzlich schutzbereit
sind. So wird bei der Schilderung von durch unbekannte Täter verübten
Anschlägen und Morden auch berichtet, dass anschließend
Ermittlungsmaßnahmen der Polizei durchgeführt wurden, beispielsweise durch
Hausdurchsuchungen (I 114, S. 27); teilweise ist auch die Polizei selbst betroffen
von solchen Anschlägen (I 114, S. 25). Selbst bei den Vorfällen am 12. März 1995
in Istanbul ist die Polizei eingeschritten, wenn auch mit erheblicher Verzögerung (I
114, S. 53/54). Die Vorfälle bei den Demonstrationen in Istanbul im März 1995
stellen offenbar einen Exzess beteiligter Sicherheitskräfte dar, der zu
Suspendierungen und Ermittlungsverfahren geführt hat (I 110). Auch bei den
Übergriffen Privater gegenüber kurdischen Volkszugehörigen in der Westtürkei, bei
denen es sich weitgehend um einen spontanen Ausdruck emotionaler Überhitzung
wegen der türkischen Opfer der bewaffneten Auseinandersetzungen mit der PKK
handelte, blieb die Polizei nicht völlig untätig. So wurde zum Beispiel in Manisa die
kurdische Bevölkerung mit Lautsprechern aufgefordert, zur Vorsicht ihre Häuser
vorübergehend nicht zu verlassen, und in Ezine (Provinz Canakkale) konnten das
herbeigerufene Militär, die Polizei und der Gouverneur persönlich weitere
Ausschreitungen verhindern (I 76). Auch soweit über erhebliche Schwierigkeiten
aus dem Südosten der Türkei zuwandernder Kurden berichtet wird, in Adana
verfolgungsfrei leben zu können, und insoweit Einzelfälle von Übergriffen
staatlicher Sicherheitskräfte nach Festnahmen von Kurden dort berichtet werden (I
87), kann daraus insbesondere unter Berücksichtigung der großen Zahl der
grundsätzlich verfolgungsfrei im Westen der Türkei lebenden sechs bis acht
Millionen Kurden nicht entnommen werden, dass Kurden dort generell wegen ihrer
Volkszugehörigkeit politische Verfolgung droht.
Dies gilt auch hinsichtlich der insbesondere in den Großstädten der Westtürkei
zunehmenden Anzahl von Razzien, Überprüfungen und Verhaftungen. Nach wie
vor lässt sich nicht feststellen, dass Kurden, die keiner Beteiligung an einer
konkreten Tat der PKK oder eines sonstigen Verstoßes gegen das Anti-Terror-
Gesetz verdächtig sind, allein wegen ihrer Volkszugehörigkeit verhaftet, verhört
und gefoltert werden. Zwar lässt sich aus den recherchierten Fällen feststellen,
dass die kurdische Volkszugehörigkeit und der Zuzug aus dem Südosten vor
kürzerer Zeit schon als Anknüpfungspunkt für die Durchführung einer Razzia oder
Durchsuchung ausreichen können. Abgesehen davon, dass diese Maßnahmen
darauf beruhen, dass unter diesem Personenkreis eine Vielzahl von PKK-
Anhängern vermutet wird, sind solche, noch der Bekämpfung terroristischer
Anschläge und Täter dienende Maßnahmen für sich allein nicht als asylrechtlich
relevante Beeinträchtigung zu bewerten. Zu längerdauernden Verhaftungen
kommt es - von einzelnen Fällen abgesehen - jedoch in aller Regel nur bei
Vorliegen entsprechender Verdachtsmomente, auch wenn diese häufig als vage
und willkürlich erscheinen. So ist auch in der Vielzahl der von Oberdiek (I 114)
ermittelten Fälle festzustellen, dass bei den länger Inhaftierten
Verdachtsmomente dieser Art vorlagen, wenn es sich beispielsweise um HADEP-
Mitglieder handelte oder die Verwendung kurdischer Farben und/oder Symbole,
das Singen kurdischer Lieder und ähnliche Begebenheiten Anlass für die
78
das Singen kurdischer Lieder und ähnliche Begebenheiten Anlass für die
Maßnahme waren. Insbesondere die willkürlich erscheinenden Verhaftungen und
Misshandlungen bis zur Folter stehen oft im Zusammenhang mit früheren
Verhaftungen von Freunden, Bekannten oder Verwandten, so dass -
möglicherweise unter Folter erzwungene - Denunziationen der Anlass hierfür sein
können. Den aus Berichten türkischer Menschenrechtsvereine hervorgehenden
Zahlen von ca. 1.000 Folterfällen, 298 Todesfällen in Polizeihaft oder bei
Polizeirazzien und 328 Fällen vermuteten Verschwindenlassens innerhalb eines
Jahres (I 106) steht eine (geschätzte) Zahl von etwa 3,5 Millionen Kurden in
Istanbul (von etwa 8,5 Millionen Einwohnern) und 800.000 Kurden in Izmir (von über
drei Millionen Einwohnern; I 105) gegenüber. Die Zahl der Binnenflüchtlinge aus
dem Südosten, die sich im Westen niedergelassen haben, wird auf zwei bis drei
Millionen geschätzt; etwa die Hälfte bis annähernd zwei Drittel der
kurdischstämmigen Bevölkerung leben damit im Westen der Türkei (I 106, 195).
Der Zunahme bei der Zahl von Verhaftungen und auch Übergriffen steht damit
zugleich die Zunahme der Zahl der kurdischstämmigen, insbesondere auch aus
dem Südosten neu zugezogenen Bevölkerung gegenüber. Wenn sich die Situation
insgesamt auch verschlechtert hat, so ist die Zahl relevanter Beeinträchtigungen
kurdischer Volkszugehöriger im Westen der Türkei insgesamt nicht so hoch, dass
hieraus eine derartige Verfolgungsbetroffenheit des einzelnen Angehörigen des
kurdischen Bevölkerungsteils resultiert, die diesen nicht mehr hinreichend sicher
vor entsprechenden Übergriffen und damit vor politischer Verfolgung im Westen
der Türkei erscheinen lässt. Es gibt auch nicht genügend konkrete Belege und
Anknüpfungspunkte dafür, dass dies bezogen auf die bevorzugt von insbesondere
neu hinzugezogenen Kurden in den Städten der Westtürkei besiedelten Vierteln
(sogenannte Gecekondu-Viertel) und dort hinsichtlich solcher kurdischer
Volkszugehöriger, die in einer der Notstandsprovinzen geboren und erst nach
Beginn der verschärften bewaffneten Auseinandersetzungen in andere Landesteile
gezogen sind, anders zu beurteilen ist (so jedoch OVG Schleswig, 26.04.1995 - 4 L
18/95 -). Zwar mögen diese Viertel und damit auch die in Anknüpfung an
verwandtschaftliche Bindungen oder eine frühere Dorfgemeinschaft
neuzugezogenen kurdischen Volkszugehörigen aus dem Südosten mehr als
andere Gebiete von Razzien, Festnahmen und Verhaftungen betroffen sein. Unklar
ist dabei jedoch schon, wie hoch der Anteil dieser Gruppe an der Zahl der Kurden
im Westen der Türkei ist; ebenso ungeklärt ist, wieviele der Polizeiaktionen - und
davon insbesondere solche, die zu asylrelevanten Beeinträchtigungen führen -
allein auf diese Gruppe entfallen. Die Erhöhung der Gesamtzahl von
durchgeführten Polizeiaktionen ist selbst dann, wenn man von einer Zahl von zwei
bis drei Millionen aus dem Südosten zugewanderten kurdischen Volkszugehörigen
ausgeht, bei ermittelten etwa 15.000 Festnahmen - selbst wenn die tatsächliche
Zahl doppelt so hoch liegen mag - immer noch nicht derart hoch, dass man von
einer relevanten Verfolgungsbetroffenheit jedes aus dem Südosten neu in den
Westen der Türkei zugezogenen kurdischen Volkszugehörigen ausgehen kann.
Die in einem Briefwechsel zwischen dem türkischen Innenminister und dem
Bundesinnenminister enthaltene Erklärung der Republik Türkei (Text in BT-Drs.
13/1434, S. 2 bis 4) hat keine Auswirkung auf die Beurteilung der Frage, ob für
kurdische Volkszugehörige in der Türkei ein Leben ohne politische Verfolgung
möglich ist. Abgesehen von der rechtlichen Einordnung dieser Erklärung
(offengelassen auch von BVerfG - Kammer -, 23.03.1995 - 2 BvR 492/95 -), die die
Qualität als "Abschiebevereinbarung" allenfalls insoweit aufweist, als die Republik
Türkei sich darin bereit erklärt, auch in der Bundesrepublik Deutschland straffällig
gewordene türkische Staatsangehörige zu übernehmen und der Bundesrepublik
Deutschland unter bestimmten Voraussetzungen auf Anfrage Auskunft über die
einer bestimmten Person drohenden Maßnahmen der Strafverfolgung oder -
vollstreckung zu geben, kommt auch dieser im Asylverfahren weder Bindungs-
noch Indizwirkung zu. Auf der Grundlage dieser Absprache gibt die Türkei über die
Ausübung ihrer Staatsgewalt gegenüber eigenen Staatsangehörigen der
Bundesrepublik Deutschland Auskunft (vgl. BT-Drs. 13/1434, S. 7). Hieraus lassen
sich weder im Asylverfahren zu beachtende Rechtspositionen etwa betroffener
Asylbewerber herleiten, noch folgt aus dieser Erklärung eine allgemeine
Verfolgungssicherheit in der Türkei. Auch wenn man hieraus einen Anspruch auf
Einholung der im Briefwechsel seitens der Türkei zugesicherten Auskunft ableiten
wollte, stünde dieser nur dem eingeschränkten Personenkreis der in Deutschland
wegen Straftaten in Zusammenhang mit der PKK und anderen
Terrororganisationen straffällig gewordenen türkischen Staatsangehörigen zu (vgl.
Erlass des Hessischen Ministeriums des Innern und für Landwirtschaft, Forsten und
Naturschutz vom 05.07.1995). Die Vorschriften des Asyl- und Ausländerrechts
bleiben im übrigen von der Absprache unberührt, und weitere
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bleiben im übrigen von der Absprache unberührt, und weitere
Ausführungsbestimmungen liegen nicht vor (BT-Drs. 13/1434, S. 8, 10). Selbst bei
Durchführung dieses Verfahrens ist für die Beurteilung der Frage drohender
politischer Verfolgung die tatsächliche Situation im Heimatstaat des
Asylbewerbers zu untersuchen, die durch den genannten Briefwechsel lediglich
beschrieben, nicht jedoch in irgendeiner Form tatsächlich verändert wird (so auch
OVG Nordrhein-Westfalen, 02.06.1995 - 25 A 4702/94.A -).
Kurdische Volkszugehörige haben insbesondere in der Westtürkei, vor allem in den
Großstädten Istanbul und Ankara grundsätzlich die Möglichkeit, sich jedenfalls für
eine bescheidene Lebensführung eine ausreichende wirtschaftliche und finanzielle
Grundlage zu schaffen. Es droht ihnen bei der gebotenen generalisierenden
Betrachtung (BVerwG, 08.02.1989 - 9 C 30.87 -, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr.
104) nicht auf Dauer ein Leben unter dem Existenzminimum, das zu Hunger,
Verelendung und schließlich zum Tod führt. Etwa die Hälfte bis annähernd zwei
Drittel der kurdischen Bevölkerung (I 89, 106, 174, 185, 195), deren Gesamtzahl
auf etwa 12 oder 13 Millionen geschätzt wird (I 97), lebt mittlerweile außerhalb der
ursprünglichen Siedlungsgebiete im Osten der Türkei. In der übrigen Türkei,
insbesondere in den Großstädten Istanbul, Izmir und Ankara, leben zwischen sechs
und zehn Millionen türkischer Staatsangehörige kurdischer Volkszugehörigkeit (I
61, 105). Die Zahl der Zuwanderer beläuft sich dort inzwischen auf etwa ein Fünftel
bis ein Drittel der Gesamteinwohnerzahl (I 32, 76). In Istanbul wohnen etwa 3,5
Millionen Kurden unter einer Gesamtbevölkerung von jedenfalls über acht Millionen
(I 29, 58, 105) und damit mehr als in den meistumkämpften Kurdenprovinzen (I
63). Im Großraum Izmir lebt etwa eine Million Kurden bei einer
Gesamteinwohnerzahl von etwas über drei Millionen (I 53). Ein Teil der Kurden lebt
schon seit Generationen und assimiliert im Einvernehmen mit den jeweiligen
Nachbarn im Westen, während andere erst in letzter Zeit zugewandert sind, wobei
sich die Zuwanderung aus einem bestimmten Dorf an dem Ort konzentriert, an
dem der erste Abwanderer aus diesem Dorf sich niedergelassen hat (I 32, 33). Das
Gros der im Westen lebenden kurdischstämmigen Bevölkerung befindet sich im
Familienverbund und wird dadurch auch in die Lage versetzt, sich gegenseitig zu
unterstützen (I 49). Ursachen für diese "Auswanderung" in den Westen der Türkei
sind oft auch wirtschaftliche Gründe, da sich die wirtschaftliche Lage insbesondere
in den städtischen Gebieten der Westtürkei in der Regel besser als im Heimatdorf
der Kurden in ihrem Siedlungsgebiet darstellt (I 36, 185, 195). Die wirtschaftliche
Situation der in der Westtürkei lebenden kurdischstämmigen Bevölkerung hängt
tatsächlich nicht von ihrer Volkszugehörigkeit, sondern überwiegend von ihrem
Bildungs- und Ausbildungsstand ab (I 33). Auch Kurden aus dem ländlichen
Bereich der kurdischen Siedlungsgebiete im Südosten der Türkei, die mangels
ausreichenden Schulbesuchs oft nicht einmal lesen oder schreiben können und vor
allem in der Landwirtschaft tätig waren, finden in den Großstädten durchaus
Möglichkeiten, sich insbesondere als Hilfskräfte im Dienstleistungsbereich ein
bescheidenes Auskommen zu sichern. Da die Schulpflicht auch unter den in den
Gecekondus der Großstädte lebenden Zuwanderern zu einem hohen Prozentsatz
erfüllt wird, sind die wirtschaftlichen Möglichkeiten dort heranwachsender Kurden
bereits erheblich besser und unterscheiden sich nicht von denen vergleichbarer
angestammter Einwohner dieser Städte (I 33). Kurdischstämmige Türken sind hier
in die Gesellschaft gut integriert und entsprechend ihrer Qualifikation auch in
höchsten Positionen der Wirtschaft, beim Militär und bei der Regierung vertreten (I
33). Der Präsident der Istanbuler Handelskammer etwa ist Kurde (I 44). Kurden
können insbesondere in westtürkischen Großstädten, vor allem in Istanbul,
genauso - derzeit mit den gleichen Schwierigkeiten - wie die dort angestammten
Einwohner Arbeit finden. Es lässt sich nicht erkennen, dass Kurden in den Städten
von Arbeitslosigkeit verhältnismäßig stärker betroffen wären als andere Gruppen (I
44). Länger ansässige Kurden haben im Westen der Türkei ohne Anzeichen für
irgendeine Diskriminierung ihren festen Platz in der Geschäftswelt (I 44), etwa in
der Gastronomie, im Gemüse- und Obstgroßhandel, im Transportwesen oder der
Industrie. Ein Großteil des Kleinhandels, aber auch des Handwerks, befindet sich
fest in kurdischer Hand (I 50). Aus dem Südosten zuwandernden Kurden ist es
bisher nicht schwerer gefallen als anderen Zuwanderern, auf dem Arbeitsmarkt
unterzukommen. Gerade in der türkischen Bauwirtschaft, die insbesondere an den
Küsten einen Boom erlebt, gehören Kurden zu den beliebtesten Arbeitskräften (I
44). Tatsächlich sind aus diesem Grunde in den letzten Jahren Hunderttausende
aus den Kurdenprovinzen, die auch unter dem Einfluss der zwischen der PKK und
türkischen Sicherheitskräften geführten bewaffneten Auseinandersetzungen
wirtschaftlich ausbluten, aus ihren heimatlichen Siedlungsgebieten in den Westen
der Türkei abgewandert (I 45). In den städtischen Ballungszentren ist für sie immer
noch besser Arbeit zu finden als im mehr und mehr verödenden Südosten (I 61,
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noch besser Arbeit zu finden als im mehr und mehr verödenden Südosten (I 61,
185, 193). Neben der allgemein herrschenden Arbeitslosigkeit führt allerdings eine
zunehmend feindliche Haltung der Türken in der Westtürkei gegenüber Kurden
dazu, dass diese zum Teil bewusst nicht mehr beschäftigt werden. Kurden, die oft
ihre einzige Möglichkeit, Geld zu verdienen, in einer Tätigkeit als Straßenhändler
sehen, wird diese Tätigkeit zunehmend durch polizeiliche Maßnahmen wie Verbote,
Festnahmen und Misshandlungen erschwert (I 91), z. B. durch Umwerfen der
Wagen, so dass die Waren kaum mehr zu verkaufen sind. Männer können durch
Gelegenheitsarbeiten nur das Notwendigste verdienen; angesichts einer hohen
Arbeitslosigkeit bleiben ihnen auch in den Großstädten nur schlecht bezahlte
Arbeiten am Bau und in der Kanalisation (I 92). Andererseits ist festzustellen, dass
kurdische Arbeitnehmer auch auf dem Hintergrund der sehr angespannten
Arbeitsmarktsituation im Westen der Türkei dort und an der Südküste immer noch
eher Arbeit finden als in ihrem südöstlichen Heimatgebiet. Denn die
Lebensverhältnisse in der Türkei sind durch ein starkes West-Ost-Gefälle geprägt;
das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf beträgt in der Osttürkei nur ein Zehntel des
Wertes in der Westtürkei. Unter der hohen Arbeitslosigkeit haben Kurden und
Türkei in der jeweiligen Region gleichermaßen zu leiden (I 96, 106, 174, 185).
Kurdische Flüchtlinge müssen im Westen der Türkei oft auf engerem Raum
zusammenleben als in ihren Heimatdörfern; zudem sind sie zusätzlich belastet
durch hohe Mieten und mangelnde Wasserversorgung. Einnahmen können sie sich
als ungelernte Arbeitskräfte nur durch eine Beschäftigung in der Landwirtschaft, im
Baugewerbe, als Lastenträger oder als Straßenhändler verschaffen (I 98). Auch
wenn derartige existentielle Schwierigkeiten für Kurden an ihrem Herkunftsort im
Südosten in Friedenszeiten so nicht bestanden haben (I 98), ist zu beachten, dass
angesichts der kriegerischen Auseinandersetzungen in ihrem Heimatgebiet die
Sicherheits- und Wirtschaftslage in der Regel im Westen, jedenfalls in den
Großstädten, gesicherter ist, worauf auch die ganz erhebliche Binnenwanderung
vom Südosten nach Westen wegen der dort jedenfalls derzeit besseren
materiellen Lebensumstände (I 96, 174, 185) hinweist. Diese Möglichkeit, im
Bereich der inländischen Fluchtalternative die für eine bescheidene Lebensführung
ausreichende wirtschaftliche und finanzielle Grundlage zu schaffen, hat sich trotz
der weiter zunehmenden Zuwanderung nicht wesentlich verändert. Nach wie vor
gibt es im Westen weder Hungersnot noch sonstige Existenzbedrohungen; die
überwiegende Mehrheit findet dort immer noch ihr Auskommen (I 106). Wenn die
Rahmenbedingungen sich auch weiter verschlechtert haben, so bestehen doch
immer noch Möglichkeiten, einen Lebensstandard zu erreichen, der dem
Existenzminimum entspricht, so als Straßenverkäufer, Schuhputzer oder
ähnliches; trotz der auch dort sich verschlechternden Lage kommen auch das
Schwarzmeer- und das Mittelmeergebiet mit der Tourismusbranche immer noch
als attraktives Fluchtgebiet in Frage (I 105). Aus einer Umfrage des
Menschenrechtsvereins in Istanbul geht hervor, dass 62,5 % der befragten Kurden
Einkünfte durch Arbeit erzielen, wenn diese auch bei der Mehrzahl äußerst niedrig
sind und bei 44,6 % bis umgerechnet 100 DM pro Monat und bei 38 % bis maximal
300 DM im Monat betragen (I 114).
Die wirtschaftliche Situation in der Türkei hat sich auch in der letzten Zeit weiter
verschlechtert. Nach neueren Angaben des Gewerkschaftsverbandes mussten 40
% aller Beschäftigten mit einem Mindestlohn von umgerechnet ca. 150 DM im
Monat auskommen, die Mehrheit davon in den Städten. Nach Einschätzung des
Gewerkschaftsverbandes handelt es sich um die schwerste soziale Krise der Türkei
seit ihrer Gründung und es wird mit einer weiteren Verschlechterung gerechnet (I
148). Allerdings besteht nach wie vor die Möglichkeit, in der sich verstärkt
ausgebildeten Schatten- und Nischenwirtschaft ein Auskommen zu finden, die in
der Türkei mittlerweile etwa die Hälfte des Bruttoinlandsproduktes ausmacht (I
148). Zwar dürften die Möglichkeiten, in der Nischenwirtschaft ein Auskommen zu
finden, mit dem zunehmenden Zuwanderungsdruck vor allem auf die Großstädte
künftig abnehmen (vgl. auch I 187 S. 102). Es lässt sich jedoch nicht feststellen,
dass es für Kurden im Westen der Türkei generell unmöglich ist, ein - wenn auch
bescheidenes - Auskommen zu finden. Jedenfalls ist bis auf wenige Einzelfälle eine
soziale Verelendung der Kurden bis hin zum Verhungern in der Türkei nicht
feststellbar (I 155, 174, 193). Maßgebend für die Frage, ob und inwieweit
zurückkehrende Kurden im Westen der Türkei unterkommen, dort auf dem
regulären Arbeitsmarkt Fuß fassen, in der Schattenwirtschaft ein Auskommen
finden oder sonst versorgt werden können, sind nach wie vor das Bestehen von
familiären Kontakten zu Eingesessenen, die allgemeinen Marktgegebenheiten
sowie die beruflichen und sonstigen Qualifikationen des Rückkehrers (I 112, 190).
Allerdings soll auch nicht verkannt werden, dass die Existenzmöglichkeiten im
Westen insbesondere außerhalb der Großstädte immer schwieriger werden, weil
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Westen insbesondere außerhalb der Großstädte immer schwieriger werden, weil
gerade dort Kurden - dies gilt gerade auch in den touristischen Gebieten -
besonders argwöhnisch beobachtet werden, so dass der Zuwanderungsdruck auf
die Gecekondu-Viertel der Großstädte weiter zunehmen dürfte (I 187, 193, 194).
Insgesamt lässt sich demnach aber feststellen, dass für Kurden außerhalb der
Notstandsprovinzen, jedenfalls aber in der Westtürkei, sowohl unter
Sicherheitsaspekten als auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten eine
inländische Fluchtalternative besteht (so auch: VGH Baden-Württemberg,
03.11.1994 - A 12 S 698/92 -; OVG des Saarlandes, 05.10.1994 - 9 R 74/92 -; OVG
Nordrhein-Westfalen, 03.06.1997 - 25 A 3631/95.A -; Niedersächsisches OVG,
16.05.1995 - 11 L 6012/91 -; OVG Hamburg, 05.04.1994 - Bf V 12/92 -; 23.11.1995
- 11 L 6076/91 -; OVG Rheinland-Pfalz, 04.12.1995 - 10 A 12970/95 -).
1.3. Ein kurdischer Volkszugehöriger hat grundsätzlich die Möglichkeit, die Orte der
inländischen Fluchtalternative, insbesondere in der Westtürkei zu erreichen, ohne
dass ihm die Gefahr droht, an der Landesgrenze oder am Flughafen
asylrelevanten Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt zu sein.
Nach verschiedenen Gutachten und Auskünften müssen ehemalige Asylbewerber,
die in die Türkei abgeschoben werden oder freiwillig einreisen, an der Grenze mit
längerfristiger Polizeihaft rechnen, während von den türkischen Behörden geprüft
wird, ob sich der Betreffende politisch gegen den türkischen Staat betätigt hat
oder Informationen über exilpolitische Organisationen geben kann. Amnesty
international nimmt an, dass bei diesen während der Haft stattfindenden Verhören
bei Personen kurdischer Volkszugehörigkeit auch Folter angewandt wird (I 52, 55,
60, 70, 78, 100), und stützt dies auf Berichte, die jedoch vor allem wegen der
Angst der Betroffenen vor weiteren Verfolgungsmaßnahmen schwer zu
recherchieren seien. Nach Ayzit (I 58) werden abgelehnte kurdische Asylbewerber
vom Flugplatz abgeholt, auf die Polizeiwache gebracht und dort gefoltert, wovon in
der Regel jeder betroffen sei. Allerdings konnte er selbst keinen einzigen Fall
nennen, in dem in dieser Art verfahren worden ist; er räumte auch ein, selbst noch
keinen derartigen Fall bearbeitet zu haben. Rumpf (I 66, 97) stuft eine Festnahme
bei der Einreise als wahrscheinlich ein; zurückgewiesene Asylbewerber müssten,
wenn sie als solche von den türkischen Behörden erkannt worden seien, mit
Festnahme und genauerer Untersuchung der persönlichen Verhältnisse und, wenn
es sich um einen Kurden handele, mit verschärften sonstigen Maßnahmen, wozu
die körperliche Misshandlung zähle, rechnen (I 42, 59). Allerdings räumt er selbst
ein, dass ihm über das konkrete Schicksal von Rückkehrern aus der türkischen
Presse nur vereinzelte Nachrichten - zuletzt in Cumhuriyet vom 12. März 1992 -
vorlägen. Auch die Gesellschaft für bedrohte Völker (I 76) kann das Risiko einer
Festnahme und anschließenden Folterung von abgeschobenen kurdischen
Asylbewerbern nur schwer beurteilen und letztlich keine konkreten Fälle nennen.
Die Gefahr sei erhöht, wenn der Betreffende auf Fahndungslisten stehe,
insbesondere bei Kurden, die irgendwann einmal für die PKK tätig gewesen seien.
Ein erhöhtes Risiko treffe noch denjenigen, der mit einem gefälschten Pass in die
Türkei einreise. Die Asylantragstellung gelte als verdächtig, da davon
ausgegangen werde, dass im Rahmen der Begründung des Asylgesuchs
"separatistische Aktivitäten" und entsprechende Reaktionen des türkischen Staats
geltend gemacht würden.
Kaya (I 41) berichtet, dass Folter in der Türkei bei Verhören durch alle
Sicherheitskräfte als gängige Methode angewandt werde. Flüchtlinge, die nach
Ablehnung ihres Asylantrages in die Türkei zurückkehren müssten, würden
unterschiedlich behandelt. Dabei spiele es eine Rolle, ob man türkischer oder
kurdischer Abstammung sei, einen gültigen Reisepass habe oder durch die Polizei
abgeschoben werde. Personen mit einem gültigen Reisepass könnten, wenn nicht
nach ihnen gefahndet werde, nach Durchlaufen der für alle anderen Reisenden
üblichen Kontrollen wieder in die Türkei zurückkehren. Kurden, die mit einem
vorläufigen Reisedokument einreisten, würden von den Sicherheitskräften zwecks
Feststellung ihrer Personalien und ihrer rechtlichen Lage eine Zeitlang
festgehalten. Sie würden nach ihren Kontakten im Ausland und nach dem Grund
ihres Asylantrages befragt. Abgeschobene ehemalige Asylbewerber würden ohne
Ausnahme direkt der türkischen Polizei überstellt; gegen sie werde ausführlich
ermittelt. Gegen Personen, die bereits früher aufgrund ihrer politischen Aktivitäten
verfolgt oder verurteilt, von der politischen Abteilung der Polizei erfasst worden
oder vorbestraft seien, werde genauer und sorgfältiger ermittelt (I 64). Es könne
davon ausgegangen werden, dass aufgrund der Eskalation des Krieges im
Südosten der Türkei die Polizeikräfte an den Flughäfen die Kontrollen weiter
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Südosten der Türkei die Polizeikräfte an den Flughäfen die Kontrollen weiter
verschärften, die Überprüfungen wiedereinreisender Kurden noch sorgfältiger
durchführten und diese noch schlechter behandelten als zuvor (I 75). Wenn die
Nachforschungen dann aber ergeben hätten, dass die betreffende Person nicht
gesucht werde, gegen sie kein strafrechtliches Verfahren laufe und keine
Anzeichen dafür sprächen, dass sie mit einer illegalen politischen Organisation in
Verbindung stehe, werde sie freigelassen und nicht weiter verhört (I 41).
Taylan (I 39) zufolge kann demgegenüber davon ausgegangen werden, dass
zurückkehrende Asylbewerber im allgemeinen unbehelligt die Grenze passieren
können. Seit dem Regierungswechsel sei weder ihm noch seinen Informanten
bekannt geworden, dass diese an der türkischen Grenze misshandelt würden.
Selbst Asylbewerber, die 1991 nach mehrwöchigen, öffentlichkeitswirksamen
Hungerstreiks in der Schweiz abgeschoben worden seien, hätten nach Feststellung
der Personalien unbehelligt die Grenze passieren können.
Nach Berichten des Auswärtigen Amts hat sich bei der Einreise in die Türkei
jedermann einer Personenkontrolle zu unterziehen (I 61, 103, 174, 195). Sofern
abgelehnte Asylbewerber freiwillig und mit einem gültigen Reisepass in die Türkei
zurückkehrten, hätten sie in der Regel nicht mit Repressalien zu rechnen. Ebenso
verhalte es sich, wenn türkische Asylbewerber im Wege der Abschiebung einreisten
und dies den türkischen Behörden bekannt sei. Es werde dann allerdings bei der
Grenzpolizei eine eingehendere Befragung durchgeführt, vor allem nach einer
eventuellen politischen Tätigkeit im Ausland, die jedoch nicht generell unterstellt
werde (I 103, 106). Ein solches Verhör finde in jedem Fall dann statt, wenn die
Einreisenden nicht über ein gültiges türkisches Reisedokument verfügten (I 89,
103, 174). Dann müsse zunächst eine Personenfeststellung durchgeführt werden,
die in den meisten Fällen eine Rückfrage bei den Sicherheitsbehörden am
Heimatort und bei den dortigen Personenstandsbehörden umfasse. Insbesondere
werde in diesem Zusammenhang der Geburtseintrag der Betreffenden überprüft.
Dies könne bei Einreisen am Wochenende und in den Fällen, in denen die
Personenstandsunterlagen in einer kleinen Kreisstadt in Ostanatolien geführt
würden, ein bis drei Tage dauern (I 89, 174). Während dieser Zeit werde die
betreffende Person bei der Grenzpolizei am Flughafen in Polizeigewahrsam
genommen (I 65). Würden keine belastenden Erkenntnisse herausgefunden, könne
der Betreffende seine Reise fortsetzen (I 37). Konkrete Erkenntnisse, dass ein aus
Deutschland Abgeschobener der Folter unterworfen worden sei, lägen nur in einem
Fall vor, obwohl man stets allen konkreten Hinweisen auf Folter nachgegangen sei
(I 106). Aus Berichten türkischer Menschenrechtsvereine seien für das Jahr 1994
22 Fälle bekannt geworden, in denen der Verdacht menschenunwürdiger
Behandlung Abgeschobener geäußert worden sei; davon sei kein Fall belegt. In 21
dieser Fälle sei eine Freilassung am Einreisetag oder dem darauffolgenden Tag
erfolgt. Es könne auch nicht bestätigt werden, dass während einer Festnahme
grundsätzlich eine menschenrechtswidrige Behandlung zu erwarten sei und dass
türkische Staatsangehörige kurdischer Volkszugehörigkeit eher als andere
türkische Staatsangehörige Gefahr liefen, menschenunwürdig behandelt zu
werden (I 62).
Oberdiek (I 114) führt demgegenüber an, dass aus dem Ausland zurückkehrende,
insbesondere abgeschobene Kurden den gleichen Risiken ausgesetzt seien wie die
Kriegsflüchtlinge. Sie alle würden bei einer Einreise sicherheitsdienstlich erfasst
und gälten zumindest im gleichen Maße wie Personen, die sich weigerten,
Dorfschützer zu werden, als "unloyale Staatsbürger"; belegte Fälle von Verhaftung
aus der Abschiebung sind nicht angeführt. Dem erkennenden Gericht sind aus
verschiedenen Quellen (I 71, 97, 99, 100, 101, 102, 104, 106, 111) ebenfalls einige
Fälle von Verhaftungen nach Abschiebung oder Rückreise in die Türkei bekannt
geworden. Insgesamt handelt es sich dabei um 24 Fälle in einem Zeitraum von
insgesamt fünf Jahren. Dabei ist anzumerken, dass nicht in allen Fällen von
längerdauernder Verhaftung, Misshandlungen oder Folter berichtet wurde, sondern
es sich in der Mehrzahl der Fälle um eine kurze Verhaftungsdauer handelte, wenn
auch zum Teil später erneute Verhaftung erfolgte. Auch die Fälle, in denen
Misshandlungen und/oder Folter behauptet wurden, sind nicht alle belegt oder
belegbar. In einer Vielzahl von Fällen sind die ehemals Verhafteten nicht mehr
ermittelbar, wobei von Seiten der Sicherheitskräfte angegeben wurde, die
Betreffenden seien freigelassen worden (I 97 in fünf Fällen). Weder aus der Zahl
dieser Fälle noch aus weiteren Umständen und Begebenheiten lässt sich jedoch
der Schluss ziehen, dass kurdische Volkszugehörige - und sei es erst seit kürzerer
Zeit - grundsätzlich bei der Überprüfung nach einer Rückkehr
menschenunwürdiger Behandlung ausgesetzt sind. Auch aus der Häufung von 14
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menschenunwürdiger Behandlung ausgesetzt sind. Auch aus der Häufung von 14
Fällen während des Jahres 1994 lässt sich dies nicht folgern. Diese beruht
maßgeblich darauf, dass es sich hierbei größtenteils um letztlich ungeklärte Fälle
derjenigen handelt, die nach der Verhaftung nicht mehr ermittelbar waren. Selbst
wenn man jedoch unterstellen wollte, dass es in allen diesen Fällen zu einer
menschenunwürdigen Behandlung gekommen ist, lässt sich angesichts der
Gesamtzahl von Abschiebungen hieraus der Schluss einer wenn nicht allen, so
jedoch der weitaus größten Zahl kurdischer Volkszugehöriger drohenden
Behandlung dieser Art nicht ziehen. Hiergegen spricht schon die vermutlich
wesentlich höher liegende Zahl von Rückkehrern türkischer Staatsangehörigkeit
und kurdischer Volkszugehörigkeit. Allein für den Zeitraum von Dezember 1994 bis
März 1995 liegt die Zahl abgeschobener türkischer Staatsangehöriger - deren
kurdische Volkszugehörigkeit nicht immer erkennbar ist oder feststeht - bei etwa
200, obwohl in dieser Zeit in verschiedenen Bundesländern Abschiebestopps
galten (BT-Drs. 13/1434). Die Zahl der Rückkehrer im Jahr 1994 und zuvor dürfte
insgesamt wesentlich höher gewesen sein. Im Jahre 1995 wurden von der
Grenzschutzdirektion Koblenz 2.610 Personen in die Türkei per Flugzeug
zurückgeführt, unter denen nach vorläufigen Angaben mindestens 1.234
abgelehnte Asylbewerber waren (I 174). Insgesamt lassen die bekannt gewordenen
Zahlen jedenfalls nicht die Bewertung zu, dass kurdische Volkszugehörige bei einer
Rückkehr in die Türkei den Bereich der inländischen Fluchtalternative nicht ohne
die erhebliche Gefahr drohender menschenunwürdiger Behandlung erreichen
könnten.
Auch die aktuellen Erkenntnisse geben keinen Anlass für eine Änderung dieser
Bewertung (I 132, 155, 174, 195). Der Sachverständige Kaya bestätigte die vom
Auswärtigen Amt in den letzten Lageberichten (I 155, 174, 195) wiedergegebenen
Erkenntnisse über die Vorgehensweise der türkischen Behörden gegenüber
zurückkehrenden Kurden. Seinen Angaben zufolge wird vor allem gegen Kurden,
die längere Zeit im Ausland waren, besonders ermittelt, da ihnen unterstellt wird,
dass sie sich für die kurdische Sache eingesetzt haben. Liegen keine Beweise vor,
wird die betreffende Person freigelassen, muss aber damit rechnen, beschattet zu
werden (I 133). Nach Rumpf ist davon auszugehen, dass das abgefragte
Fahndungsregister alle Personen ausweist, die mit staatsanwaltschaftlichen
Festnahmeanordnungen gesucht werden, die ihrerseits auf der Grundlage eines
Haftbefehls ergehen. Gleiches nimmt er auch für solche Personen an, die ohne
Haftbefehl aufgrund staatsanwaltschaftlicher oder polizeilicher
Festnahmeanordnung gesucht werden, die allerdings die Ausnahme bildeten. Als
Personengruppen kommen insoweit entflohene Strafhäftlinge oder Personen in
Betracht, die bereits, unabhängig auf welcher Grundlage, festgenommen worden
waren und den Bewachern entkommen sind. Auf frischer Tat ertappte Täter oder
sonstige Täter für deren Ergreifung Staatsanwaltschaften oder Polizeiorgane
wegen Fluchtgefahr oder Gefahr im Verzuge unmittelbar zur Festnahme befugt
sind, werden dem Sachverständigen zufolge nicht im Fahndungsregister geführt.
Danach ist davon auszugehen, dass es zu einem Eintrag im Fahndungsregister
auch einen vollziehbaren Haftbefehl gibt (I 112).
An dieser Bewertung durch den Senat ändert auch nichts die Ende Januar 1996
berichtete Verhaftung eines aus Deutschland abgeschobenen Kurden, der bei
seiner Rückkehr von zwei Landtagsabgeordneten der Bündnis 90/Die Grünen im
nordrhein-westfälischen Landtag begleitet worden war. Auch hier handelt es sich
um einen Einzelfall, der eine grundsätzlich andere Bewertung der
Rückkehrsituation für insbesondere kurdische Asylbewerber nicht zu begründen
vermag, zumal sich die ursprünglich behauptete Verhaftung und Verschleppung
dieser Person durch das Militär nach Abreise der Landtagsabgeordneten als
unzutreffend herausstellte (I 170, 171).
Auch nach neuen Erkenntnissen muss ein als Asylbewerber identifizierter
Rückkehrer bei der Einreise regelmäßig damit rechnen, dass er zunächst
festgehalten und einer intensiven Überprüfung unterzogen wird (I 97, 104, 106,
174, 195). Dies gilt insbesondere, wenn gültige Reisedokumente nicht vorgewiesen
werden können. In diesem Falle erfolgt regelmäßig eine genaue
Personalienfeststellung (unter Umständen mit einem Abgleich der Angaben der
Personenbestandsbehörde und des Fahndungsregisters) hinsichtlich Grund und
Zeitpunkt der Ausreise aus der Türkei, Grund der Abschiebung, eventuellen
Vorstrafen in Deutschland, Asylantragstellung und Kontakten zu illegalen
türkischen Organisationen im In- und Ausland (I 96, 174, 195). Diese Einholung von
Auskünften, während der der Rückkehrer meist in den Diensträumen der jeweiligen
Polizeiwache festgehalten wird, kann bis zu mehreren Tagen dauern. Da den
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Polizeiwache festgehalten wird, kann bis zu mehreren Tagen dauern. Da den
türkischen Behörden bekannt ist, dass viele türkische Staatsbürger aus
wirtschaftlichen Gründen mit dem Mittel der Asylantragstellung versuchen, in
Deutschland ein Aufenthaltsrecht zu erlangen, werden Verfolgungsmaßnahmen
nicht allein deshalb durchgeführt, weil der Betroffene in Deutschland einen
Asylantrag gestellt hat, sondern nur, wenn sich konkrete Anhaltspunkte für eine
Mitgliedschaft oder Unterstützung der PKK ergeben (I 96, 174, 195). Liegt gegen
den Betroffenen nichts vor, so wird er in der Regel nach spätestens zwei oder drei
Tagen wieder freigelassen. Anders ist es, wenn wegen konkreter Anhaltspunkte für
die Begehung von Straftaten, insbesondere durch Unterstützung der PKK,
Betroffene durch die politische Abteilung der Polizei in Haft genommen werden;
dann besteht die realistische Gefahr von asylrelevanten Verfolgungsmaßnahmen
bis hin zum Verschwinden von Personen (I 97, vgl. auch I 191).
2. Der Kläger ist auch unter Berücksichtigung seiner persönlichen Verhältnisse bei
einer Rückkehr in die Türkei vor politischer Verfolgung hinreichend sicher. Eine
besondere Gefährdung des Klägers bei einer Rückkehr ist nicht ersichtlich. Die von
ihm in Deutschland behauptete politische Betätigung - Teilnahme an
Veranstaltungen - weist nicht die erforderliche Verknüpfung zu einer schon vor der
Ausreise vorhandenen festen, bereits erkennbar betätigten Überzeugung im Sinne
des § 28 AsylVfG auf, weshalb ein asylrechtlich beachtlicher Nachfluchtgrund nicht
vorliegt. Auch die Befürchtung, er könne wegen seines Bruders in der Türkei
belangt werden, rechtfertigt keine andere Entscheidung. Insofern ist zwar zugrunde
zu legen, dass den türkischen Behörden der Name seines Bruders im
Zusammenhang mit der Besetzung des türkischen Konsulats in Mainz wegen der
Einsicht in die Strafverfahrensakten durch den türkischen Konsul bekannt sein
dürfte. Gleichwohl ist nicht zu erwarten, dass der Kläger im Wege der Sippenhaft
Asylerhebliches erleiden könnte, auch nicht wegen der in der Türkei verhafteten
Cousins.
Ein Institut der Sippenhaft gibt es im türkischen Strafrecht, das in seinen
wesentlichen Zügen dem italienischen Strafrecht nachgebildet ist, nicht (II 1, 13).
Verfolgungsmaßnahmen sind auch gegenüber Familienangehörigen von
Straftätern grundsätzlich unzulässig (II 3). Obwohl die Sippenhaft dem türkischen
Recht insgesamt unbekannt ist, spielt der Zugriff auf Angehörige in der
Polizeiermittlungspraxis jedoch eine große Rolle, wie zahlreiche Beispiele zeigen (II
14). Unter Umständen werden Verwandte von Gesuchten polizeilich zu deren
Aufenthaltsort vernommen (II 15). Deshalb erscheint es auch möglich, dass die
Ehefrau eines flüchtigen Straftäters in Polizeigewahrsam genommen, verhört und
bedroht und auf die eine oder andere Art und Weise genötigt wird (II 6). Es gibt
indes keine Erkenntnisse über Verfolgungsmaßnahmen gegen minderjährige
Kinder türkischer Staatsangehöriger, die nach türkischem Recht verfolgt werden
und sich im Ausland aufhalten (II 2, 5). Auch die Familienangehörigen der in der
Türkei als Terroristen gesuchten Personen wie etwa des Führers der PKK, Ö und
des C halten sich nach wie vor in der Türkei auf und werden nicht behelligt (II 2);
allerdings wurde der Bruder des PKK-Führers im September 1990 vorübergehend
festgenommen, als er mit gefälschtem Pass zusammen mit seinen sechs Kindern
auf eine griechische Ägäisinsel fliehen wollte (II 17). In die Türkei zurückkehrende
kurdische Volkszugehörige werden nicht allein deswegen verfolgt, weil Verwandte
im Ausland als Asylberechtigte anerkannt sind (II 12, 18) oder dort ein
Asylverfahren betreiben (II 13, 19). Es gibt allerdings Berichte darüber, dass
insbesondere bei der Verfolgung von PKK-Aktivisten Familienangehörige von den
Sicherheitskräften unter Druck gesetzt wurden, um der Gesuchten habhaft zu
werden (II 4), dass der Ehegatte eines in Deutschland politisch aktiven
Asylbewerbers bei einer Rückkehr in die Türkei ebenfalls mit
menschenrechtswidriger Behandlung rechnen muss (II 7), dass insbesondere
gegen Frauen mittels entwürdigender Übergriffe vorgegangen wird (II 9) und dass
von derartigen Beeinträchtigungen auch die Familienangehörigen von
Verschwundenen (II 16) und von Asylberechtigten (II 20) betroffen sind.
Insbesondere nach 1990 wurde die Unterdrückung von Angehörigen gesuchter
Personen verstärkt, wie zahlreiche Beispiele belegen (II 10, 11). Verwandte von
gesuchten Personen werden nicht ihrerseits der Beteiligung an Aktivitäten
verdächtigt und ebenfalls verfolgt, müssen aber bei Razzien zum Zwecke der
Festnahme der gesuchten Personen damit rechnen, unter Druck gesetzt,
geschlagen und schikaniert zu werden (Taylan an VG Gießen vom 29.05.1995). Zu
Übergriffen auf Verwandte kommt es vor allem auch deshalb, weil es bei der
Fahndung nach Personen, denen Unterstützungshandlungen für die PKK zur Last
gelegt werden, durchaus üblich ist, alle bekannten Anschriften des Verdächtigen
zu überprüfen (II 21).
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Auch unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist eine asylerhebliche Behelligung
des Klägers bei einer erzwungenen Rückkehr in die Türkei nicht zu besorgen. Den
türkischen Behörden ist der Aufenthalt des Bruders bekannt, so dass
diesbezügliche gezielte Nachstellungen zur Ermittlung des Aufenthaltes nicht
mehr erforderlich und daher nicht zu erwarten sind. Zudem ist der Bruder, wie den
Urteilsgründen zu entnehmen ist, nicht als Aktivist in den Vordergrund getreten.
Sollte der türkische Staat gleichwohl noch Informationen über ihn benötigen, so ist
es nicht erforderlich, sich des Klägers als Informationsquelle zu bedienen. Der
Senat ist grundsätzlich davon überzeugt, dass türkische Stellen und insbesondere
der türkische Geheimdienst - MIT - vor allem politisch aktive, oppositionelle und
staatsfeindliche Organisationen wie die PKK und ihre Unterstützungsgruppen im
Ausland besonders aufmerksam beobachten (I 54, 55, 70; III 1, 3, 4, 8, 14, 20, 23,
24, 25, 28, 29) und dabei in den letzten Jahren vermutlich bundesweit
Informationen über pro-kurdische Widerstandsgruppen und Demonstrationen
gesammelt und ausgewertet haben und dass dies auch gegenwärtig noch
andauert. Da der MIT zudem über ein relativ dichtes Informationsnetz verfügt (III
15), ist es ihm auch möglich, sowohl Auskünfte über Gruppierungen, die sich für
ein unabhängiges Kurdistan einsetzen, als auch Auskünfte über Einzelpersonen
einzuholen. Besteht aber bereits die Möglichkeit der Informationsgewinnung in
Deutschland, bedarf es schon rein tatsächlich keiner Festnahme des Klägers mehr
zum Zwecke dessen Befragung hinsichtlich der Aktivitäten und des Aufenthaltes
seines Bruders. Zu bedenken ist auch, dass die Eltern des Klägers in Adana leben,
mithin bereits jetzt in der Türkei der Zugriff auf unmittelbare Angehörige bestände,
ohne dass Derartiges vorgetragen oder berichtet worden wäre. Etwas anderes
ergibt sich auch nicht aus dem Gutachten von Taylan an das Verwaltungsgericht
Gießen vom 29. Mai 1995. Davon abgesehen, dass es sich insbesondere mit
Personen befasst, die aus demselben Ort wie A stammen und ebenfalls den
Familiennamen A tragen, ist dem Gutachten verallgemeinernd lediglich zu
entnehmen, dass eine Überprüfung von Angehörigen per Haftbefehl Gesuchter bei
der Einreise droht und eine Festnahme dann wahrscheinlich ist, wenn der
Einreisende als (führendes) PKK-Mitglied verdächtigt wird, was aber auf den Kläger
nicht zutrifft.
Auch die Zugehörigkeit zur religiösen Minderheit der Aleviten vermag an der
Einschätzung der hinreichenden Sicherheit bei einer Rückkehr nichts zu ändern.
Zwar sind in der jüngeren Vergangenheit Ausschreitungen gegen Aleviten bekannt
geworden. So zündeten sunnitische Fundamentalisten im Juli 1993 in Sivas ein
Hotel an, in dem sich viele alevitische und laizistisch-denkende türkische
Schriftsteller und Intellektuelle befanden. Dabei fanden 37 Personen den Tod.
Zudem kam es 1994 zum islamisch-fundamentalistischen Bombenanschlägen auf
liberale türkische Wissenschaftlicher und Journalisten (I 184). Im Jahre 1995 wurden
in einer Teestube in Istanbul mehrere Aleviten von Unbekannten erschossen (I
107, 109, 184). Auch sind unter dem ehemaligen Ministerpräsidenten Erbakan
1338 Richter und Staatsanwälte mit dem Bemerken des Amtes enthoben oder
versetzt worden, das Justizministerium sei mit Kommunisten und Aleviten überfüllt
(I 184). Was zumindest die Vorfälle in Istanbul betrifft, so sollen die an den
Todesfällen beteiligten Polizisten allerdings zur Verantwortung gezogen worden
sein (I 108, 110, 114). Im Übrigen liegen auch keine weiteren Meldungen und
Berichte von Ausschreitungen gegen Aleviten vor. Insofern kann derzeit nicht
festgestellt werden, Aleviten seien allein wegen ihrer Glaubenszugehörigkeit in der
Türkei einer landesweiten Verfolgung ausgesetzt. Auch der Kläger hat
diesbezüglich nichts verlauten lassen, was den Rückschluss auf eine Verfolgung
seiner Person wegen seines alevitischen Bekenntnisses zulassen könnte.
B.
Der Asylantrag des Klägers hat auch insoweit keinen Erfolg, als dieser die
Feststellung begehrt, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen.
Nach § 51 Abs. 1 AuslG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben
werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion,
Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Diese Vorschrift erfasst
grundsätzlich alle Fälle drohender politischer Verfolgung im Heimatland des
Ausländers oder in einem Drittstaat. Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG
genießt daher grundsätzlich auch derjenige, dessen Asylbegehren im Rahmen des
§ 16 a Abs. 1 GG deshalb keinen Erfolg hat, weil er sich nur auf asylrechtlich
unbeachtliche subjektive Nachfluchtgründe berufen kann (BVerfG - Kammer -,
26.05.1993 - 2 BvR 20/93 -; BVerfG, 26.11.1986 - 2 BvR 1058/85 -, a.a.O.; BVerwG,
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26.05.1993 - 2 BvR 20/93 -; BVerfG, 26.11.1986 - 2 BvR 1058/85 -, a.a.O.; BVerwG,
18.02.1992 - 9 C 59.91 -, a.a.O.; Hess. VGH, 11.03.1991 - 13 UE 3469/89 -).
Soweit sich der Kläger auf eine bereits in der Türkei erlittene politische Verfolgung
sowie eine drohende Verfolgung bei einer Rückkehr beruft, soweit sie nicht auf
exilpolitischen Tätigkeiten in Deutschland beruht, sind die Voraussetzungen des §
51 Abs. 1 AuslG deshalb nicht festzustellen, da diese in diesem hier maßgeblichen
Umfang mit denen des Art. 16 a GG übereinstimmen (vgl. dazu BVerwG,
26.10.1993 - 9 C 50.92 u.a. -, EZAR 230 Nr. 2 = NVwZ 1994, 500; 18.01.1995 - 9 C
48.92 -, EZAR 230 Nr. 3 = NVwZ 1994, 497, dazu Anmerkung Renner, ZAR 1994,
85).
Aber auch die geltend gemachten exilpolitischen Betätigungen des Klägers
rechtfertigen nicht die Feststellungen der Voraussetzungen des § 51 AuslG in
Bezug auf seine Person. Wie bereits dargelegt, geht der Senat zwar davon aus,
dass türkische Stellen und insbesondere der türkische Geheimdienst - MIT - vor
allem politisch Aktive, oppositionelle und staatsfeindliche Organisationen wie die
PKK und ihre Unterstützungsgruppen im Ausland besonders aufmerksam
beobachten und dabei in den letzten Jahren vermutlich bundesweit Informationen
über pro-kurdische Widerstandsgruppen und Demonstrationen gesammelt und
ausgewertet haben und dass dies auch gegenwärtig noch andauert. Allerdings gilt
besonderes Augenmerk dabei, je nach Bewertung der Gefährlichkeit der einzelnen
Gruppe, den in besonderem Maße aktiv engagierten (I 55; III 9, 23, 29). Besonders
beobachtet und überwacht werden diejenigen, die eine leitende Funktion bei
exilpolitischen Aktivitäten übernehmen oder in politischen Kreisen bekannt und
einflussreich sind wie etwa Führer politischer Parteien, Vorsitzende und
einflussreiche Personen größerer Organisationen (I 70; III 10, 14, 23, 32). Es ist
aber nicht zu erwarten, dass diejenigen besonders beobachtet und überwacht
werden, die sich an solchen Aktivitäten beteiligen, ohne im Vordergrund zu stehen
oder leitende Funktionen zu übernehmen (I 64, 65; III 14). Die Teilnahme an großen
Demonstrationen von Kurden erweckt allein noch nicht den Verdacht einer
subversiven Tätigkeit (III 6) oder einer nach Inkrafttreten des Antiterrorgesetzes
von 1991 strafbaren separatistischen Propaganda (III 7, 26, 28, 30). Ebenso verhält
es sich mit der Teilnahme an Newroz-Demonstrationen (III 21),
Autobahnblockaden (III 23) oder Zuschriftenaktionen anlässlich der Aufhebung der
Immunität von DIP-Abgeordneten im Jahre 1994 (III 20). Nach den Erkenntnissen
von amnesty international (I 55) werden Aktivitäten wie Mitgliedschaften in
Exilvereinen oder deren Vorstand ebenso beobachtet und erfasst wie
Besetzungsaktionen und Demonstrationen. In der Regel werden aber
Identifizierungen von einfachen Teilnehmern, die auf Bildaufnahmen zu sehen sind,
nicht ausgewertet, da sie als Beweismittel für Strafverfolgungsbehörden meistens
wenig ergiebig sind (III 21; vgl. auch III 30). Vorrangig werden öffentlich agierende
Vereine mit politischer Ausrichtung beobachtet, insbesondere solche mit
türkeifeindlicher Tendenz (III 24, 32).
Aufgrund dieser Auskunftslage geht der Senat in ständiger Rechtsprechung davon
aus, dass untergeordnete politische Betätigungen in Deutschland türkischen
Sicherheitskräften in der Regel nicht bekannt werden und deshalb nicht zu
Ermittlungen und Verfolgungsmaßnahmen in der Türkei führen. Eine politische
Verfolgung aufgrund exilpolitischer Aktivitäten in Deutschland droht demgemäß
erst dann mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit, wenn diese Betätigung für die
kurdische Sache in hervorgehobener Weise erfolgt und den türkischen
Sicherheitskräften bekannt geworden ist. Dies kommt regelmäßig erst dann in
Betracht, wenn der Aktivist als exponiertes Mitglied einer staatsfeindlichen Gruppe
innerhalb oder ausserhalb dieser Gruppe einen Bekanntheitsgrad erlangt, der die
Aufmerksamkeit eines möglichen Spitzels innerhalb der Gruppe oder von
Mitarbeitern des türkischen Geheimdienstes außerhalb der Gruppe erregt. Es
muss sich also bei ihm um einen exponierten Regimegegner handeln (vgl. dazu
grundsätzlich: Hess.VGH, 23.11.1992 - 12 UE 2590/89 -, 24.01.1994 - 12 UE
200/91 -, 05.02.1996 - 12 UE 4176/95 -, 05.05.1997 - 12 UE 4660/96 -; im Ergebnis
ebenso: VGH Baden-Württemberg, 28.11.1996 - A 12 S 922/94 -, 02.12.1996 - A
12 S 3481/95 -; OVG Hamburg, 05.04.1994 - Bf V 12/92 -; Niedersächsisches OVG,
16.05.1995 - 11 L 6012/91 -; OVG Rheinland-Pfalz, 21.10.1994 - 13 A 12464/93 -;
OVG des Saarlandes, 28.06.1996 - 9 R 80/93 -, 26.06.1996 - 9 R 70/92 -); eine
bloße Teilnahme an Vereinsversammlungen und Demonstrationen genügt
dagegen nicht.
Diese Voraussetzungen liegen in Bezug auf den Kläger nicht vor. Es ist nichts dafür
ersichtlich und auch nicht vorgetragen, dass der Kläger gemessen an den oben
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ersichtlich und auch nicht vorgetragen, dass der Kläger gemessen an den oben
dargelegten Grundsätzen eine derart hervorgehobene Position bei den
Veranstaltungen eingenommen haben könnte, dass er damit die Aufmerksamkeit
türkischer Behörden auf sich gezogen haben könnte. Dies gilt auch für die
Versammlungen im Kurdistan-Informations- und Beratungszentrum in Darmstadt.
Außer der bloßen Teilnahme an derartigen Veranstaltungen hat der Kläger nichts
dargetan, was auf eine besondere Bedeutung seiner Person hinweisen könnte.
C.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 155 Abs. 2 VwGO, §§ 83b Abs.
1, 87a Abs. 1 AsylVfG. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit in
Bezug auf den nicht zurückgenommenen Teil der Berufung folgt aus §§ 708 Nr. 11,
711 Satz 1 ZPO, § 167 VwGO.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 132 Abs. 2 VwGO).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.