Urteil des HessVGH vom 29.11.1989

VGH Kassel: überwiegendes interesse, aufschiebende wirkung, öffentliches interesse, hausrecht, vollziehung, zutritt, verwaltungsbehörde, rechtswidrigkeit, fremder, gewohnheitsrecht

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
6. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
6 TH 2982/89
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
(Öffentlich-rechtliches Hausverbot)
Gründe
Die zulässige Beschwerde ist begründet.
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 10. März
1989 gegen das mit dem Bescheid des Antragsgegners vom 12. Februar 1989
verfügte Hausverbot, dessen sofortige Vollziehung der Antragsgegner angeordnet
hat, ist gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO wiederherzustellen. Ein öffentliches
Interesse oder überwiegendes Interesse eines Beteiligten an der sofortigen
Vollziehung dieses Verwaltungsaktes besteht nicht, denn der Bescheid erscheint
offensichtlich rechtswidrig.
Die Voraussetzungen für den Erlaß eines Hausverbotes, soweit es dem
Antragsteller den Zutritt zum Kreishaus des Antragsgegners auch zur Besorgung
eigener Angelegenheiten untersagt, liegen nicht vor. Grundlage für die Anordnung,
ein öffentlichen Zwecken dienendes Gebäude nicht zu betreten, ist das Hausrecht
der Verwaltungsbehörde im öffentlich-rechtlichen Bereich. Es umfaßt das Recht,
zur Wahrung der Zweckbestimmung einer öffentlichen Einrichtung und
insbesondere zur Abwehr von Störungen des Dienstbetriebes über den Aufenthalt
von Personen in den Räumen der Einrichtung zu bestimmen (BayVGH, Urteil vom
23.02.1981- Nr. 7 B 80 A.1522 und 1948 --, BayVBl 1981, 657; Kopp, VwGO, 8.
Auflage 1989, § 40 Rdnr. 22). Soweit der Zweck des Hausverbots in der
Aufrechterhaltung eines ungestörten Dienstbetriebes liegt, ist seine
Rechtmäßigkeit nach öffentlichem Recht zu beurteilen (zur Qualifizierung als
privatrechtliche oder öffentlich-rechtliche Willenserklärung je nach dem Zweck des
Hausverbots siehe BVerwG, Urteil vom 13.03.1970 -- 7 C 80.67 -- BVerwGE 35,
103 (106)). Es kann dahingestellt bleiben, ob die rechtliche Grundlage für das
Hausrecht in der mit der Zuweisung der Aufgaben der Verwaltungsbehörde
übertragenen Befugnis liegt, die für die Durchführung dieser Aufgaben
notwendigen Maßnahmen zur Aufrechterhaltung eines ungestörten
Dienstbetriebes zu ergreifen (BayVGH, Urteil vom 23.02.1981, a.a.O.:
"notwendiger Annex zur Sachkompetenz"; ähnlich Ronellenfitsch, Das Hausrecht
der Behörden, Verwaltungsarchiv 1982, 465 (474, 477)) oder ob eine ausdrückliche
gesetzliche Grundlage erforderlich ist (BayVGH, Beschluß vom 09.07.1980 -- Nr. 9
CS 80 A. 268 -- BayVBl 1980, 723 (724), der Gewohnheitsrecht nicht für
ausreichend hält, da es insoweit an einer dauernden übereinstimmenden
Rechtsüberzeugung fehle), für die auch die gesetzliche Verpflichtung einer
öffentlich rechtlichen Körperschaft ausreichen soll, für den ordnungsgemäßen
Gang der Geschäfte zu sorgen (so BayVGH, Urteil vom 16.12.1981 -- Nr. 4 B 80 A.
1991 --, BayVBl 1982, 277 (278), im Hinblick auf Art. 56 Abs. 2 der Bayrischen
Gemeindeordnung). Denn für das von der Antragsgegnerin ausgesprochene
umfassende Hausverbot fehlt die rechtliche Grundlage jedenfalls insoweit, als es
den Antragsteller auch in persönlichen Angelegenheiten darauf verweist, "die
notwendigen Vorgänge mit unserer Verwaltung schriftlich abzuwickeln". Damit wird
deutlich, daß der Antragsteller auch zur Erledigung eigener Angelegenheiten im
Kreishaus nicht mehr persönlich vorsprechen darf. Insoweit wird das Hausverbot
durch das zum Zwecke der Aufrechterhaltung des ungestörten Dienstbetriebes
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durch das zum Zwecke der Aufrechterhaltung des ungestörten Dienstbetriebes
begründete Hausrecht jedenfalls nicht gedeckt.
Der Senat läßt dahingestellt, ob ein Hausverbot ergehen darf, wenn durch einen
Verstoß gegen gesetzliche Vorschriften -- hier: das Rechtsberatungsgesetz -- nur
eine "abstrakte" Störung des Dienstbetriebs eintritt, oder ob Voraussetzung für
den Erlaß eines Hausverbots das Vorliegen einer konkreten Beeinträchtigung des
Geschäftsganges ist. Die Begründung des Bescheids vom 12. Februar 1989, die
allein auf die Störung des Verwaltungsbetriebes durch einen Verstoß des
Antragstellers gegen Art. 1 § 1 Abs. 1 des Rechtsberatungsgesetzes abstellt,
vermag nicht zu rechtfertigen, daß dem Antragsteller auch in eigenen
Angelegenheiten der Zutritt zum Kreishaus verboten und damit die Möglichkeit zur
persönlichen Vorsprache bei den dort untergebrachten Behörden verwehrt wird.
Das Hausverbot ist insoweit unter Verletzung des Grundsatzes der
Verhältnismäßigkeit ergangen. Denn zur Abwehr der von dem Antragsgegner
dargelegten Störung ist das Verbot unter dem Aspekt des geringstmöglichen
Eingriffs nicht erforderlich. Der nach Ansicht des Antragsgegners zu besorgende
Verstoß gegen das Rechtsberatungsgesetz betrifft die Besorgung fremder
Rechtsangelegenheiten. Bei der Verfolgung eigener Angelegenheiten kann der
Antragsteller nicht gegen das Rechtsberatungsgesetz verstoßen, eine Störung des
Verwaltungsbetriebes kann also nicht eintreten. Der Zweck des Hausverbots,
Verstöße gegen das Rechtsberatungsgesetz im Kreishaus zu unterbinden, läßt
sich auch verwirklichen, wenn die Besorgung eigener Angelegenheiten davon
ausgenommen wird. Denn es ist jederzeit einfach feststellbar, ob der Antragsteller
das Kreishaus zur Besorgung eigener oder fremder Angelegenheiten betreten will.
Die offensichtliche Rechtswidrigkeit des Hausverbotes, soweit es auch die
Besorgung eigener Angelegenheiten des Antragstellers betrifft, führt zur
offensichtlichen Rechtswidrigkeit des gesamten Verwaltungsaktes und damit zur
Verneinung des besonderen öffentlichen Interesses am sofortigen Vollzug des
ganzen Verbotes. Bei dem Erlaß eines Hausverbotes handelt es sich um eine im
Ermessen des Antragsgegners liegende Entscheidung. Diese
Ermessensentscheidung wäre im Klageverfahren insgesamt aufzuheben, wenn wie
hier eine fehlerhafte Ermessensausübung festzustellen ist. Eine Ausnahme würde
nur gelten, wenn es ausgeschlossen wäre, daß der Antragsgegner bei
sachgemäßer Ausübung seines Ermessens zu einem anderen Ergebnis hätte
kommen können, sein Ermessensspielraum also auf eine allein richtige
Entscheidung begrenzt wäre. Dieser Fall liegt hier nicht vor. Das Gericht kann nicht
anstelle der Antragsgegnerin die Ermessensentscheidung treffen, ob ein
Hausverbot auch dann ausgesprochen werden soll, wenn dem Antragsteller der
Zutritt zum Kreishaus zur Besorgung eigener Angelegenheiten zu gewähren ist.
Da insoweit offen ist, ob der Antragsgegner ein Hausverbot unter Berücksichtigung
dieser Einschränkung erlassen hätte, ist die sofortige Vollziehung des gesamten
Verwaltungsaktes zu hemmen.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.