Urteil des HessVGH vom 14.10.2002
VGH Kassel: beweisantrag, rechtliches gehör, beweismittel, verspätung, libanon, brief, anwesender, vergleich, akte, versuch
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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
3. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
3 UZ 3104/00.A
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 87b VwGO, § 78 Abs 3 Nr
3 AsylVfG 1992, § 138 Nr 3
VwGO
(Präklusion der Gehörsrüge)
Gründe
Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das im Tenor dieser Entscheidung
bezeichnete Urteil bleibt ohne Erfolg, weil die Kläger Zulassungsgründe nicht
dargelegt haben. Da der Zulassungsantrag keine hinreichende Erfolgsaussicht
aufweist, ist auch der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe abzulehnen, §
166 VwGO i. V. m. den §§ 114 ff ZPO.
Die Gehörsrüge der Kläger bleibt ohne Erfolg. Allerdings verbürgt Art. 103 Abs. 1
GG den Beteiligten eines gerichtlichen Verfahrens ein Recht darauf, sich vor Erlass
einer Entscheidung zu dem zu Grunde liegenden Sachverhalt äußern zu können.
Das Gericht ist demgegenüber verpflichtet, Anträge und Ausführungen der
Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen.
Insbesondere müssen erhebliche Beweisanträge vom Gericht berücksichtigt
werden (vgl. z. B. BVerfG, Beschluss vom 30.01.1985 - 1 BvR 876/84 - BVerfGE 69,
145). Allerdings steht dem Gesetzgeber das Recht zu, im Interesse einer
Verfahrensbeschleunigung das rechtliche Gehör durch Präklusionsvorschriften zu
begrenzen (BVerfG, B. v. 30.01.1985 a. a. O.). Die Präklusionsvorschrift des § 87 b
Abs. 3 Satz 1 VwGO genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen.
Soweit die Kläger sich zunächst auf den Seiten 2 bis 7 ihres Zulassungsantrags
darauf berufen, die Zurückweisung des in der mündlichen Verhandlung gestellten
Beweisantrages stelle eine Verletzung des rechtlichen Gehörs dar, bleiben sie
ohne Erfolg. Zwar ist den Klägern zuzugeben, dass der in der mündlichen
Verhandlung gestellte Beweisantrag auf Vernehmung bestimmter, z. T. in der
Sitzung anwesender Personen nicht hätte unter Verweis auf § 87 b Abs. 3 VwGO
als verspätet zurückgewiesen werden dürfen. Denn es sind in dem ablehnenden
Beschluss nicht sämtliche gesetzliche Voraussetzungen für eine Präklusion ohne
Weiteres erkennbar und nachvollziehbar dargelegt, wie es nach der
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts erforderlich ist (BVerwG, B. v. 27.
03. 2000 - 9 B 518/99 - NVwZ 2000, Beil. Nr. 9 S. 99). Dazu gehören regelmäßig
die Angabe, auf welchen Tatbestand die Präklusion gestützt wird (§ 87 b Abs. 1
Satz 1 oder Abs. 2 VwGO), sowie Ausführungen zur Verspätung, zur Verzögerung,
zum Fehlen von Entschuldigungsgründen und zur Ausübung des
Präklusionsermessens (ebenda).
Das Gericht hat sich nicht mit der Frage auseinander gesetzt, ob die Kläger die
verspätete Benennung des Beweismittels i. S. d. § 87 b Abs. 3 Nr. 2 VwGO
genügend entschuldigt haben bzw. ob überhaupt eine Verspätung vorlag.
Voraussetzung für eine Verspätung wäre, dass die Kläger aufgrund der konkreten
Prozesssituation nach Ergehen der Aufforderung Anlass gehabt hätten, weitere
Beweismittel zu benennen (vgl. BVerwG, B. v. 19.12.1996 - 9 B 320/96 - BVerwGE
51,188). Nach dem damaligen Stand des Verfahrens hatten sie jedoch keinen
Anlass, ein weiteres Beweismittel für die Behauptung anzubieten, der Kläger zu 1.
habe sich im Jahr 1995 nicht in den Libanon zurückbegeben. Denn sie hatten dazu
bereits den Brief eines libanesischen Rechtsanwalts vorgelegt, dem die Auffassung
zu entnehmen war, dass der Kläger zu 1. zu den in den vorgelegten Urkunden
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zu entnehmen war, dass der Kläger zu 1. zu den in den vorgelegten Urkunden
dokumentierten Terminen nicht selbst im Libanon gewesen, sondern von einem
Bevollmächtigten vertreten worden sei. Sie konnten deshalb den ihrem Vortrag
zuwiderlaufenden, vom Gericht aus den vorgelegten Urkunden gezogenen
Schluss, sie hätten sich 1995 im Libanon aufgehalten, erst im Rahmen der
mündlichen Verhandlung erkennen und sich erst in diesem Zeitpunkt durch
Stellung eines Beweisantrages darauf einstellen. Dass die Kläger bereits zuvor
diese Wertung des Gerichts hätten erkennen müssen, hat das Gericht zumindest
in seinen Ausführungen zur Begründung des ablehnenden Beschlusses nicht
dargelegt.
Es kann insoweit dahinstehen, ob die sonstigen gesetzlichen Voraussetzungen für
eine Präklusion gegeben waren. Daran bestehen Zweifel. Angesichts des bereits in
der Akte befindlichen Sachvortrages der Kläger im Zeitpunkt der Anordnung nach
§ 87 b VwGO dürfte allein die Aufforderung, innerhalb von 2 Wochen "die Tatsachen
und entsprechenden Beweismittel anzugeben, durch deren Berücksichtigung oder
Nichtberücksichtigung sie sich beschwert fühlen", nicht deutlich machen, welche
weiteren Tatsachen die Kläger noch hätten angeben sollen. Die Aufforderung ist
zumindest missverständlich, denn die Kläger hatten eine Klagebegründung bereits
abgegeben, so dass für eine allgemeine Aufforderung nach § 87 b Abs. 1 VwGO,
wie sie hier erfolgt ist, kein Raum mehr gewesen sein dürfte. Die Aufforderung
könnte daher nur dahin zu interpretieren sein, dass eventuelle neue Tatsachen
und Beweismittel vorgetragen werden sollten. Eine differenzierte Aufforderung
nach § 87 b Abs. 2 VwGO ist hier jedenfalls nicht ergangen, denn die Kläger sind
nicht aufgefordert worden, zu bestimmten, vom Gericht näher bezeichneten
Vorgängen ergänzend vorzutragen.
Darüber hinaus dürfte es an der Ausübung des Präklusionsermessens gemäß § 87
b Abs. 3 Satz 1 und 3 VwGO fehlen. Das Gericht stellt auf S. 9 seiner Urteilsgründe
dazu lediglich fest, dass seiner Auffassung zufolge die beantragte Beweiserhebung
durch Vernehmung bestimmter Personen die Anberaumung eines neuen Termins
notwendig gemacht hätte, sodass die Erledigung des Rechtsstreits sich verzögert
hätte. Es fehlt jedoch an einer Ermessensentscheidung dazu, aus welchen
Gründen sich das Gericht bei der Abwägung zwischen dem Gebot beschleunigter
Erledigung und dem Gebot weitestmöglicher Aufklärung angesichts der durch die
Präklusion drohenden Rechtsnachteile hier zugunsten der Beschleunigung
entschieden hat. Auch unter Berücksichtigung des Grundsatzes, dass wegen des
auf Verfahrensbeschleunigung gerichteten Zwecks des § 87 b VwGO nur bei
Vorliegen besonderer Anhaltspunkte darauf geschlossen werden kann, dass das
durch die Vorschrift eröffnete Ermessen in einer dem Sinn und Zweck der
Vorschrift widersprechenden Weise ausgeübt worden ist (vgl. BVerwG, B. v.
06.04.2000 - 9 B 50/00 - NVwZ 2000,1042; Hess. VGH, B. v.09.06.1995 - 13 UZ
1015/95 - NVwZ-RR 1996,364), hätte hier angesichts der damals bereits erreichten
Dauer des bereits seit 1995 anhängigen Verfahrens und der im Vergleich dazu
nicht ohne weiteres als erheblich erkennbaren Verzögerung durch Anberaumung
eines neuen Verhandlungstermins Anlass bestanden, die Ermessensausübung zu
erläutern. Diese Fragen können jedoch letztlich dahinstehen, denn die Rüge der
Gehörsverletzung bleibt aus anderen Gründen ohne Erfolg.
Sie ist nur dann begründet, wenn die Kläger sich nicht hätten Gehör verschaffen
können und wenn die Ablehnung der Beweisanträge nicht aus (weiteren)
prozessualen oder materiellrechtlichen Gründen gerechtfertigt gewesen wäre (vgl.
BVerwG, B. v. 19.12.1996 - 9 B 320/96 - a. a. O.). An beiden Voraussetzungen fehlt
es hier jedoch.
Zum einen haben die Kläger nicht den Versuch gemacht, sich selbst Gehör zu
verschaffen. Dies ist aber Voraussetzung dafür, dass ein Beteiligter sich auf die
Gehörsverletzung berufen kann. Im Fall der Anwendung der Präklusionsvorschriften
durch ein Gericht muss der davon seiner Auffassung nach zu Unrecht betroffene
Beteiligte entweder dartun, dass und aus welchen Gründen er zuvor nicht in der
Lage war, rechtzeitig gegenüber dem Gericht die eingetretene Verzögerung zu
entschuldigen (vgl. BVerwG, B. v. 06.04.2000 - 1 B 50/00 - a. a. O.), oder dartun,
dass eine Verspätung nicht vorliegt. An letzterem fehlt es hier jedoch. Ein von
einem Präklusionsbeschluss betroffener Beteiligter kann zwar möglicherweise nicht
bereits in der mündlichen Verhandlung erkennen, ob das Gericht die Vorschrift in
jeder Hinsicht in zulässiger Weise angewandt hat. Er kann jedoch erkennen und
überprüfen, ob sein Vortrag tatsächlich verspätet war. Denn dies betrifft sein
eigenes bisheriges prozessuales Verhalten. Die Kläger haben sofort in der
mündlichen Verhandlung erkennen können, dass die Annahme des Gerichts, sie
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mündlichen Verhandlung erkennen können, dass die Annahme des Gerichts, sie
seien 1995 im Libanon gewesen, für sie neu war und sie erst aufgrund dieser
neuen Situation und damit erst in der mündlichen Verhandlung einen
Beweisantrag stellen konnten. Nach ihrer Ansicht war der Beweisantrag deshalb
nicht verspätet. Auf diesen Umstand hätten sie hinweisen und sich damit
rechtliches Gehör verschaffen müssen. Dies ist ausweislich der
Sitzungsniederschrift jedoch nicht geschehen.
Zum anderen führt ein Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs nur
dann zur Zulassung der Berufung, wenn das Gericht dem Beweisantrag
nachgehen musste. Einem Beweisantrag, der unzulässig ist, muss ein Gericht
jedoch nicht nachgehen. Die Grundsätze der Prozessordnung gebieten nur die
Berücksichtigung erheblicher, d. h. nach den Vorschriften und Grundsätzen der
jeweiligen Prozessordnung zulässiger und ordnungsgemäß gestellter
Beweisanträge. Im Falle eines unzulässigen Beweisantritts kann folglich auch dann,
wenn das Gericht den Antrag fälschlich als zulässig angesehen und mit einer
unzulässigen Begründung abgelehnt hat, keine Gehörsverletzung eintreten (vgl.
BVerwG, B. v. 19.12.1996 - 9 B 320/96 - a. a. O.; Hess. VGH, B. v. 08.07.1999 - 9
UZ 177/98.A - m. w. N.). Die Stellung eines unsubstantiierten Beweisantrags ist
dem Unterlassen einer Beweisantragstellung durch die anwaltlich vertretene Partei
gleichzusetzen (vgl. BVerwG, U. v. 26.04.1988 - 9C 271/86 - Buchholz 310 § 60
VwGO Nr. 155). Zur Substantiierung eines Beweisantrags muss im Einzelnen
dargelegt werden, welche rechtlich erheblichen Beweistatsachen von dem
angeführten Beweismittel zu erwarten sind, so dass das Gericht in die Lage
versetzt wird, die Tauglichkeit des Beweismittels zu beurteilen (vgl. BVerwG,
ebenda; B. v. 28.07.1977 -III C 17.74- MDR 1978, 76; B. v. 08.02.1993 -9 C 598/82-
InfAuslR 1983, 185).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze stellt sich der von den Klägern in der
mündlichen Verhandlung gestellte Beweisantrag als unzulässig dar. Dies folgt
daraus, dass im Beweisantrag nicht, wie es gemäß § 98 VwGO i. V. m. § 373 ZPO
erforderlich ist, angegeben wurde, welche rechtlich erheblichen Wahrnehmungen
von den darin benannten Personen im Einzelnen zu erwarten sind. Dazu gehört,
dass dargetan wird, aufgrund welcher Zusammenhänge, Tatsachen,
Vorkommnisse etc. die benannten Personen über die behaupteten Erkenntnisse
verfügen. Ein solcher Vortrag ist hier nicht erfolgt.
Soweit die Kläger einen weiteren Verstoß gegen das Gebot die Gewährung
rechtlichen Gehörs wegen der Ablehnung der Hilfsbeweisanträge auf den S. 7 bis
12 ihres Zulassungsantrags rügen, bleiben sie damit bereits deshalb ohne Erfolg,
weil die Ablehnung eines Hilfsbeweisantrags unter keinen Umständen zur
Verletzung des rechtlichen Gehörs führen kann (Hess. VGH, B. v. 07.02.2002 - 6
UZ 695/99.A -). Begibt sich ein Verfahrensbeteiligter der Möglichkeit, im Falle der
Ablehnung eines Beweisantrags ergänzend vorzutragen und weitere
Beweisanträge zu stellen, indem er einen Beweisantrag nur hilfsweise stellt, kann
er sich auf eine Verletzung des rechtlichen Gehörs nicht mehr berufen.
Soweit die Kläger darüber hinaus die Frage aufwerfen, ob "eine unentschuldigte
Nichtteilnahme an der mündlichen Verhandlung zugleich den wirksamen Verzicht
auf Parteiöffentlichkeit hinsichtlich der Verwertung solcher Beweis- und
Erkenntnismittel im Termin der mündlichen Verhandlung darstellt, mit der die
nichterschienene Partei rechnen konnte", ist diese Frage, soweit sie der
Interpretation zugänglich ist, jedenfalls nicht im Sinne von § 78 Abs. 3 Nr. 1
AsylVfG grundsätzlich klärungsbedürftig. Dies folgt bereits daraus, dass die damit
offenbar angesprochene Frage bereits im Sinne der Ausführungen der ersten
Instanz durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der sich der
Senat anschließt, geklärt ist (vgl. BVerwG, B. v. 28.07.2000 - 7 B 48/00 - Buchholz
310 § 97 VwGO Nr. 4). Aus dieser Rechtsprechung folgt, dass das Gericht einen
Gehörsverstoß begeht, wenn es sich zu einer für die nicht anwesenden Beteiligten
nicht vorhersehbaren Beweisaufnahme während der mündlichen Verhandlung
entschließt, diese sodann durchführt und zu einer abschließenden Entscheidung
gelangt, ohne dass der nicht anwesende Beteiligte nochmals Stellung nehmen
konnte.
Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 2, 159 VwGO i. V. m. § 100 Abs.
1 ZPO. Die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 83 b Abs. 1 AsylVfG.
Der Beschluss ist unanfechtbar, § 78 Abs. 5 Satz 2 AsylVfG.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.