Urteil des HessVGH vom 22.11.1999
VGH Kassel: rechtliches gehör, beweisantrag, politische verfolgung, einzelrichter, nachfluchtgrund, anerkennung, gefährdung, rechtsgrundsatz, verkündung, wahrscheinlichkeit
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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
9. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
9 UZ 2504/98.A
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 86 Abs 2 VwGO, Art 103
Abs 1 GG, § 138 Nr 3
VwGO, § 78 Abs 3 Nr 3
AsylVfG 1992
(Verlust der Gehörsrüge wegen nicht bemängelter
fehlender Entscheidung über einen Beweisantrag in der
mündlichen Verhandlung)
Gründe
Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das im Tenor des
vorliegenden Beschlusses näher bezeichnete erstinstanzliche Urteil ist gemäß § 78
Abs. 4 AsylVfG statthaft, bleibt in der Sache aber ohne Erfolg. Keiner der in der
Antragsschrift der Klägerin vom 29. April 1998 geltend gemachten
Zulassungsgründe vermag die erstrebte Zulassung der Berufung herbeizuführen.
Erfolglos beruft sich die Klägerin in ihrem Zulassungsantrag zunächst darauf, ihr
sei während des erstinstanzlichen Verfahrens das rechtliche Gehör versagt
worden, und die Berufung sei folglich gemäß §§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG
zuzulassen.
Allerdings beanstandet die Klägerin zu Recht, dass der von ihr in der mündlichen
Verhandlung am 5. März 1998 gestellte Beweisantrag auf Vernehmung ihres
Ehemannes als Zeugen durch die Vorinstanz nicht beschieden wurde. Diese
unterbliebene Entscheidung (die, weil es sich um einen unbedingten Beweisantrag
handelte, gemäß § 86 Abs. 2 VwGO in Form eines vor Verkündung des Urteils
ergehenden, begründeten Beschlusses hätte erfolgen müssen) berührt auch den
Anspruch der Klägerin auf Gewährung des rechtlichen Gehörs, denn dieses --
gemäß Art. 103 Abs. 1 GG auch verfassungsrechtlich verbürgte -- Verfahrensrecht
der Klägerin verpflichtete das Verwaltungsgericht dazu, den gestellten
Beweisantrag zur Kenntnis zu nehmen und in prozessrechtlich ordnungsgemäßer
Weise zu behandeln (vgl. etwa Beschluss des Senats vom 27. April 1999 -- 9 UZ
335/99.A --, m.w.N.).
Auf eine Gehörsverletzung durch die Vorinstanz kann sich die Klägerin jedoch
deshalb nicht berufen, weil ihr Prozessbevollmächtigter (für dessen Verschulden
die Klägerin gemäß §§ 173 VwGO, 85 Abs. 2 ZPO einzustehen hat) es versäumt
hat, eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts über den von dem
Prozessbevollmächtigten gestellten und von dem entscheidenden Einzelrichter zu
Protokoll genommenen Beweisantrag noch vor Schluss der mündlichen
Verhandlung herbeizuführen. Einem Beteiligten, der nicht alle zur Verfügung
stehenden tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeiten genutzt hat, um sich selbst
vor Gericht Gehör zu verschaffen, ist eine Berufung auf die Verletzung seines
Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs versagt (vgl. hierzu etwa Beschluss
des Senats vom 11. Juni 1999 -- 9 UZ 307/99.A --).
Die Klägerin darauf zu verweisen, dass ihr Prozessbevollmächtigter auf eine
Entscheidung über den gestellten Beweisantrag noch in der mündlichen
Verhandlung hätten dringen und damit den nunmehr gerügten Gehörsverstoß
hätten verhindern können, bedeutet keine Überspannung der Anforderungen an
die Wahrung des Anspruchs auf rechtliches Gehör. Zwar kann von einem
Prozessbeteiligten grundsätzlich nicht verlangt werden, das Gericht auf
Verfahrensverstöße aufmerksam zu machen, die dieses noch nicht begangen hat.
Insoweit kann jeder Beteiligte zunächst einmal darauf vertrauen, dass das Gericht
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Insoweit kann jeder Beteiligte zunächst einmal darauf vertrauen, dass das Gericht
sich prozessordnungsgemäß verhält und rechtliches Gehör gewährt (vgl. BVerfG,
Beschluss vom 15. März 1999 -- 2 BvR 243/96 --, InfAuslR 1999, 260).
Im vorliegenden Fall konnte der Bevollmächtigte der Klägerin aber gerade nicht
darauf vertrauen, dass der entscheidende Einzelrichter des Verwaltungsgerichts
mit dem zum Schluss der mündlichen Verhandlung am 5. März 1998 verkündeten
Beschluss, eine Entscheidung werde am Ende der Sitzung ergehen, seiner
gesetzlichen Verpflichtung gemäß § 86 Abs. 2 VwGO nachkommen und zunächst
nur über den von dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin gestellten
Beweisantrag befinden würde. Eine stattgebende Entscheidung über den
Beweisantrag war nach Verkündung des vorgenannten Beschlusses offensichtlich
nicht mehr zu erwarten, denn eine von dem Einzelrichter ins Auge gefasste
Beweisaufnahme wäre, da der angebotene Zeuge im Termin anwesend war und
ersichtlich kein Grund vorlag, mit der Einvernahme dieses präsenten Zeugen
zuzuwarten und hierfür einen weiteren Termin zu bestimmen, noch in der
mündlichen Verhandlung am 5. März 1998 durchgeführt worden. Da ein
entsprechender Beweisbeschluss nicht erging, der Einzelrichter auch keine
ablehnende Entscheidung traf und auf den Beweisantrag bis zum Schluss der
Verhandlung auch nicht anderweitig zurückkam, konnte der
Prozessbevollmächtigter der Klägerin auch nicht damit rechnen, dass der
Einzelrichter am Schluss der Sitzung den Beweisantrag ablehnen würde, ohne
zugleich abschließend in der Sache zu entscheiden. In diesem Fall wäre ein Hinweis
des Einzelrichters zu erwarten gewesen, dass nach Ergehen der Entscheidung eine
Fortsetzung der Verhandlung zu erwarten bzw. dass die Ansetzung eines weiteren
Termins vorgesehen sei. Da ein solcher Hinweis nicht gegeben wurde, sprach
vieles dafür, dass das Gericht den Beweisantrag übergehen und abschließend zur
Sache entscheiden würde. In dieser Situation war es für den
Prozessbevollmächtigten der Klägerin zumutbar und zur Wahrung des Anspruchs
auf rechtliches Gehör auch erforderlich, durch Nachfrage bei dem Einzelrichter in
Erfahrung zu bringen, ob am Ende der Sitzung (nur) über den Beweisantrag
entschieden werden sollte, oder ob von diesem etwa eine ablehnende
Endentscheidung ins Auge gefasst worden war. Es hätte dann die Möglichkeit
bestanden, den Einzelrichter auf die von ihm offensichtlich übersehene
Verpflichtung gemäß § 86 Abs. 2 VwGO hinzuweisen und eine Entscheidung über
den Beweisantrag herbeizuführen.
Die Zulassung der Berufung kann auch nicht gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylVfG
wegen der von der Klägerin weiterhin gerügten Abweichung des Urteils erster
Instanz von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts erfolgen.
Eine solche Divergenz sieht die Klägerin darin begründet, dass das
Verwaltungsgericht in seinem Urteil angenommen habe, die Asylantragstellung im
westlichen Ausland werde grundsätzlich von den zuständigen iranischen Stellen
nicht zum Anlass für Verfolgungsmaßnahmen genommen, wobei an anderer Stelle
des Urteils für eine Anerkennung auf Grund der Asylantragstellung zudem eine
akute bzw. potenziell konkrete Gefährdungslage verlangt werde. Dadurch werde
von dem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 17.
Januar 1989 -- BVerwG 9 C 56.88 --, BVerwGE 81, 170) aufgestellten
Rechtsgrundsatz abgewichen, wonach eine politische Verfolgung nach sich
ziehende Beantragung von Asyl als selbst geschaffener Nachfluchtgrund
ausnahmsweise dann vom Asylgrundrecht erfasst werde, wenn sich der Ausländer
vor dem Verlassen des Heimatstaates aus politischen Gründen in einer latenten
Gefährdungslage befunden habe. Dieser Ansicht vermag der Senat nicht zu
folgen.
Der in der Antragsschrift dargestellte Rechtsgrundsatz des
Bundesverwaltungsgerichts betrifft die Rechtsfrage, ob und ggf. unter welchen
Voraussetzungen die Asylbeantragung als ein von dem Asylsuchenden erst im
Aufnahmestaat aus eigenem Entschluss und damit von ihm selbst geschaffener
Verfolgungsgrund für die Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16 a Abs. 1
GG überhaupt beachtlich ist. Mit dieser Frage hat sich die Vorinstanz in ihrem
Urteil nicht befasst. Vielmehr hat das Verwaltungsgericht, ohne die Beachtlichkeit
der Asylbeantragung als selbst geschaffener Nachfluchtgrund anhand der von ihm
an früherer Stelle des Urteils genannten Kriterien zu problematisieren, die Stellung
des Asylantrages durch die Klägerin deshalb nicht als ausreichende Grundlage für
die von dieser begehrte Asylanerkennung betrachtet, weil aus seiner Sicht die
Asylbeantragung nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu einer politischen
Verfolgung führt. Für diese -- die Beachtlichkeit der Asylbeantragung als
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Verfolgung führt. Für diese -- die Beachtlichkeit der Asylbeantragung als
Nachfluchtgrund voraussetzende oder unterstellende -- Feststellung ist das
Vorliegen einer (lediglich) latenten Gefährdungslage unerheblich. Auch eine wegen
latenter Gefährdung vor der Ausreise als Nachfluchtgrund beachtliche
Asylbeantragung kann nur dann zur Anerkennung als Asylberechtigter führen,
wenn sich die hieraus folgende Gefährdung insoweit verdichtet und konkretisiert
hat, dass wegen der mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohenden Repressalien
eine Rückkehr in das Heimatland unzumutbar ist. Fehlt den von der Klägerin
beanstandeten Annahmen der Vorinstanz aber der erforderliche Bezug zu der
dargestellten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, kann hieraus eine
Abweichung im Sinne des Zulassungstatbestandes gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 2
AsylVfG nicht hergeleitet werden.
Da die Klägerin mit ihrem Zulassungsantrag erfolglos bleibt, hat sie die Kosten des
Antragsverfahrens zu tragen (§ 154 Abs. 2 VwGO). Gerichtskosten werden gemäß
§ 83 b Abs. 1 AsylVfG nicht erhoben. Infolgedessen entfällt auch die Notwendigkeit,
für das vorliegende Antragsverfahren einen Streitwert festzusetzen.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 78 Abs. 5 Satz 2, 80 AsylVfG).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.