Urteil des HessVGH vom 19.06.1989
VGH Kassel: örtliche zuständigkeit, persönliche anhörung, ausländischer arbeitnehmer, landrat, asylbewerber, bundesamt, behörde, zustellung, bankrecht, arbeitsrecht
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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
12. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
12 TH 3957/87
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 11 Abs 1 AsylVfG, § 11
Abs 3 AsylVfG, § 20 Abs 2 S
1 AuslG, § 80 Abs 5 VwGO
(Zuständigkeit für aufenthaltsbeendende Maßnahmen;
Ende der Ausreisefrist)
Gründe
Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Das Verwaltungsgericht hat zu
Unrecht die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage des Antragstellers
gegen den ausländerbehördlichen Bescheid vom 5. Mai 1987 abgelehnt; denn
dieser Bescheid erweist sich als offenbar rechtswidrig mit der Folge, daß das
private Interesse des Antragstellers an der Aussetzung der Vollziehung das
öffentliche Interesse am sofortigen Vollzug der Abschiebungsandrohung überwiegt.
Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts war der Landrat des Main-
Kinzig-Kreises nicht zum Erlaß der angegriffenen Abschiebungsandrohung örtlich
zuständig. Denn der Antragsteller hat sich im Zeitpunkt des Erlasses dieses
Bescheids allem Anschein nach im Bereich der Ausländerbehörde der Stadt
Frankfurt am Main aufgehalten, und der Landrat des Main-Kinzig-Kreises war nicht
schön allein deswegen zuständig, weil der Antragsteller mit der
Zuweisungsentscheidung vom 13. Juni 1986 ihm zur Aufnahme zugewiesen
worden war. Hinsichtlich der örtlichen Zuständigkeit ist die Sachlage im Zeitpunkt
der Entscheidung der Ausländerbehörde maßgeblich (BVerwG, 03.11.1987 - 9 C
254.86 BVerwGE 78, 243 = EZAR 221 Nr. 29 = NVwZ 1988, 260; Hess. VGH,
29.11.1988 - 12 D 6221/88 - m.w.N.), und der Antragsteller hielt sich dem Inhalt
der vorgelegten Akten zufolge im Zeitpunkt des Erlasses und der Zustellung des
Bescheids vom 5. Mai 1987 ausschließlich in Frankfurt am Main auf. Schon in dem
Asylantrag vom 11. April 1986 ist als Anschrift angegeben: "Münchner Str. 35, 6
Ffm.", unter dem 16. September 1986 hat der Landrat des Main-Kinzig-Kreises
dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge mitgeteilt, der
Antragsteller sei in der ihm zugewiesenen Unterkunft nicht erschienen, und bei der
Anhörung im Vorprüfungsverfahren in Schwalbach am Taunus am 26. Februar
1987 hat der Antragsteller im einzelnen erklärt, daß er in Frankfurt am Main in der
Münchner Straße 35 bei seinem Vater wohnt, der seit etwa 1.9 Jahren als
ausländischer Arbeitnehmer im Bundesgebiet lebe, nunmehr arbeitslos sei,
Sozialhilfe beziehe und von ihm gepflegt werde, da er krank sei und nicht mehr
laufen könne. Zudem ist gegen den Antragsteller Strafanzeige erstattet worden,
weil bei einer polizeilichen Kontrolle des Männerwohnheims in der Münchner Straße
35 am 17. September 1986 festgestellt worden war, daß sich der Antragsteller
dort aufhielt, obwohl die ihm vom Landrat des Main-Taunus-Kreises ausgestellte
Aufenthaltsgestattung seinen Aufenthalt auf die Gemeinden Ebertshausen,
Rödermark und Schwalbach am Taunus beschränkte. Dementsprechend hat der
Antragsteller mit anwaltlichem Schriftsatz vom 1.Juni 1987 vorgetragen, er habe
sich niemals im Zuständigkeitsbereich des Main-Kinzig-Kreises aufgehalten.
Entgegen der Auffassung des Antragsgegners bestimmt sich die örtliche
Zuständigkeit für aufenthaltsbeendende Maßnahmen gegenüber Asylbewerbern
mangels spezieller Regelungen im Asylverfahrensgesetz nach § 20 Abs. 2 Satz 1
AuslG (Hess. VGH, st. Rspr., z.B. 25.07.1-98812 TH 3568/87 - m.w.N.). Der Landrat
des Main-Kinzig-Kreises wäre zum Erlaß der angegriffenen
Abschiebungsandrohung danach nur zuständig gewesen, wenn hierfür ein
tatsächlicher Anknüpfungspunkt vorgelegen hätte; der bloße Erlaß der
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tatsächlicher Anknüpfungspunkt vorgelegen hätte; der bloße Erlaß der
Zuweisungsentscheidung reichte insoweit jedoch nicht aus (Hess. VGH,
22.02.198812 TH 1398/86 -; Hess. VGH, 16.06.1988 - 12 TH 1906/87 -; Hess. VGH,
29.11.1988 - 12 D 6221/88 -). Ob die persönliche Stellung eines Asylantrag beim
Landrat des Main-Taunus-Kreises und eine persönliche Anhörung gemäß § 8
AsylVfG bei dieser Behörde hierfür ausreichen könnte, kann im vorliegenden Fall
dahinstehen; denn der Antragsteller hat den Asylantrag schriftsätzlich durch seine
Bevollmächtigten gestellt und ist der Ladung zur Anhörung am 27. Mai 1986 nicht
gefolgt, und im übrigen würde sich daraus eine Zuständigkeit des Main-Kinzig-
Kreises jedenfalls nicht ergeben. An diesem Ergebnis ändert sich nichts dadurch,
daß der Antragsteller nunmehr in Alfter wohnhaft zu sein scheint und unter dem 3.
Januar 1989 erneut um Asyl nachgesucht hat.
Der damit festgestellte ist nicht gemäß § 46 HVwVfG unbeachtlich. Dieser
Vorschrift zufolge kann ein Verwaltungsakt nicht allein wegen der Verletzung von
Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit aufgehoben werden, wenn eine andere
Entscheidung in der Sache nicht hätte getroffen werden können; sie ist
ausnahmsweise auch bei Ermessensentscheidungen anwendbar, wenn das der
Behörde eingeräumte Ermessen auf Null reduziert war (vgl. dazu Hess. VGH,
19.07.1988 - 12 TH 2887/88 - m.w.N.). Im vorliegenden Fall kann dies jedoch nicht
angenommen werden, weil nicht ausgeschlossen ist, daß die örtlich zuständige
Ausländerbehörde im Rahmen der von ihr gemäß § 11 Abs. 2 i.V.m. § 10 Abs. 2
AsylVfG zu erlassenden Abschiebungsandrohung bei Ausübung des ihr insoweit
zustehenden Ermessens eine andere, für den Antragsteller günstigere
Ausreisefrist festgesetzt hätte (vgl. dazu Hess. VGH, 28.08.1986 - 10 TH 2242/86 -
). In dem angegriffenen ausländerbehördlichen Bescheid ist zur Fristbemessung
lediglich ausgeführt, die eingeräumte Frist von 14 Tagen nach Zustellung der
Abschiebungsandrohung reiche für den Antragsteller aus, um vor der Ausreise
seine persönlichen Angelegenheiten zu regeln. Dabei ist nicht auf die persönlichen
Lebensumstände des Antragstellers eingegangen, die sich aus dem bei den
Ausländerakten befindlichen Protokoll über die Vorprüfungsanhörung im einzelnen
ergeben. Unter diesen Umständen erscheint es zumindest möglich, daß die örtlich
zuständige Ausländerbehörde bei Erlaß der Abschiebungsandrohung dem
Antragsteller eine längere Ausreisefrist eingeräumt hätte.
Nach alledem ist dem Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz ohne Rücksicht darauf
zu entsprechen, ob der Asylantrag zu Recht mit Bescheid vom 22. April 1987 als
offensichtlich unbegründet abgelehnt worden ist, wie das Verwaltungsgericht
angenommen hat. Gemäß § 11 Abs. 3 AsylVfG endet damit die Ausreisefrist einen
Monat nach Eintritt der Unanfechtbarkeit der Ablehnung des Asylantrags.
Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg
(30.01.1987 - A 13 S 517/86 -, NVwZ 1987, 625) und des Oberverwaltungsgerichts
Berlin (19.02.1988 - 3 S 1.88 - ) enthält § 11 Abs. 3 AsylVfG keine verdeckte Lücke,
die im Wege einer teleologischen Reduktion mit der Einschränkung aufzufüllen ist,
daß die dort vorgesehene Rechtsfolge nur bei Zweifeln an der offensichtlichen
Unbegründetheit des Asylbegehrens eintritt (Hess. VGH, 08.12.1988 - 12
TH m.w.N.). Die Regelung des § 11 Abs. 3 AsylVfG verfolgt erkennbar den Zweck,
den Asylbewerber, der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gegen eine
Abschiebungsandrohung im Anschluß an die Ablehnung seines Asylantrags als
offensichtlich unbegründet Erfolg hat, hinsichtlich der Ausreisefrist demjenigen
Asylbewerber gleichzustellen, dessen Asylantrag als schlicht - unbegründet
abgelehnt worden ist und für den gemäß 28 Abs. 1 und 2 AsylVfG eine
Ausreisefrist zu bestimmen ist, die frühestens einen Monat nach Eintritt der
Unanfechtbarkeit der Asylablehnung endet. Damit soll es dem betreffenden
Asylbewerber ermöglicht werden, vorläufig weiterhin im Bundesgebiet zu bleiben
und das verwaltungsgerichtliche Hauptsacheverfahren vom Inland aus
weiterzubetreiben. Auf die Gründe für den Erfolg des Asylbewerbers im Eilverfahren
kommt es nach dem Wortlaut des § 11 Abs. 3 AsylVfG nicht an.
Der beschließende Senat hält an seiner dahingehenden ständigen Rechtsprechung
(vgl. etwa Hess. VGH, 08.12.1988 - 12 TH 3534/88 -; vgl. auch Hess. VGH,
29.12.1983 - 10 TH 466/83 fest, obwohl das Bundesverwaltungsgericht inzwischen
zu der Vorschrift des § 10 Abs. 4 AsylVfG entschieden hat, ein Folgeantrag sei
nicht schon dann an das Bundesamt weiterzuleiten, wenn eine Klage gegen eine
Abschiebungsandrohung im Falle eines unbeachtlichen Folgeantrags wegen eines
Abschiebungshindernisses erfolgreich ist (BVerwG, 25.10.1988 - 9 C 2.88 -, EZAR
224 Nr. 20 NVwZ 1989, 473; vgl. dazu jetzt ausführlich Hess. VGH, 30.05.1989 - 12
TH 4051/88 -). Für die Anwendung der Vorschrift des § 11 Abs. 3 AsylVfG gelten
ähnliche Überlegungen. Ihr Wortlaut ist eindeutig und einer Auslegung dahin, daß
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ähnliche Überlegungen. Ihr Wortlaut ist eindeutig und einer Auslegung dahin, daß
trotz Erfolgs des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO die Ausreisefrist früher als einen
Monat vor Rechtskraft der Asylablehnung endet, nicht zugänglich. Nach dem Willen
des Gesetzgebers soll nach Stattgabe des Eilantrags gegen
aufenthaltsbeendende Maßnahmen deren Rechtmäßigkeit in jedem Fall im
Hauptsacheverfahren geprüft werden. Auf die Art der Gründe für die Entscheidung
im Eilverfahren soll es dabei erkennbar nicht ankommen. Sie können auch so
verschiedenartig sein, daß eine Differenzierung hinsichtlich der Rechtsfolgen nicht
allein von der Rechtsprechung verantwortet werden kann, ohne daß der
Gesetzgeber hierfür einen deutlichen Anhalt gibt. Insbesondere erschiene es im
Falle eines von der Ausländerbehörde nicht beachteten Abschiebungshindernisses
oder einer unzutreffend bemessenen Ausreisefrist nicht gerechtfertigt, von der in §
11 Abs. 3 AsylVfG vorgeschriebenen Rechtsfolge abzuweichen.
Die Entscheidungen über die Kosten und den Streitwert des Beschwerdeverfahrens
ergeben sich aus § 154 Abs. 2 VwGO und §§ 13 Abs. 1 Satz 2, 20 Abs. 3 GKG.
Der Beschluß ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 Satz 1 VwGO; § 25 Abs. 2 Satz 2
GKG).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.