Urteil des HessVGH vom 08.12.1986

VGH Kassel: wiederherstellung der aufschiebenden wirkung, gütliche erledigung, ordnungswidrigkeit, jagdhütte, erlöschen, landschaft, bauwerk, anhörung, lebensmittelpunkt, verfügung

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
3. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
3 TH 3135/86
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 6 Abs 1 VwGOAG HE, § 76
Abs 1 Nr 1 BauO HE vom
06.07.1957, § 99 Abs 1
BauO HE 1976, § 8 Abs 2
NatSchG HE, § 5 Abs 1
NatSchG HE
(Erlöschen der Baugenehmigung durch Nichtausnutzung
bei grober Abweichung; Nutzungsverbot für Jagdhütte im
Außenbereich)
Gründe
I .
Die Antragstellerin begehrt mit dem am 13.11.1986 gestellten Eilantrag die
Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen das
sofort vollziehbare Nutzungsverbot des Antragsgegners vom 13.10.1986 für ein
Wohngebäude mit etwa 140 qm überbauter Grundfläche sowie einer freistehenden
Doppelgarage auf dem Außenbereichsgrundstück in der Gemarkung K. Flur 6,
Flurstück 25. Dem Voreigentümer K. war lediglich mit Bauschein vom 22.04.1964
die Errichtung einer "Jagdhütte" mit etwa 80 qm überbauter Grundfläche
genehmigt worden, wobei eine Doppelgarage innerhalb des Hauses selbst
vorgesehen war. Diese Doppelgarage im Haus ist zu einem Aufenthaltsraum
umgenutzt worden.
Das Verwaltungsgericht Kassel hat den gemäß § 80 Abs. 5 VwGO gestellten
Eilantrag der Antragstellerin mit Beschluß vom 17.11.1986 unter Hinweis auf die
formelle Illegalität des Wohnhauses und der freistehenden Doppelgarage
abgelehnt.
Dem Senat liegt die zweibändige Behördenakten des Antragsgegners vor. Sie ist
Gegenstand der Beratung gewesen. Auf ihren Inhalt wird ebenso wie auf die
gewechselten Schriftsätze der Beteiligten ergänzend Bezug genommen.
II.
Die am 24.11.1986 erhobene Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig, aber
nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat den Eilantrag zu Recht abgelehnt.
Der Senat nimmt gemäß Art. 2 § 7 Abs. 1 Entlastungsgesetz vom 31.03.1978
(BGBl. I S. 446) in der Fassung vom 04.07.1985 (BGBl. I S. 1274) Bezug auf die
zutreffenden Entscheidungsgründe des Verwaltungsgerichts. Die
Beschwerdebegründung der Antragstellerin rechtfertigt keine ihr günstigere
Entscheidung.
Klarstellend und ergänzend ist darauf hinzuweisen, daß die formelle Illegalität des
Wohngebäudes der Antragstellerin darauf beruht, daß für das gesamte Gebäude
eine gültige Baugenehmigung überhaupt nicht vorliegt. Der frühere Bauschein
vom 22.04.1964 für die Errichtung einer Jagdhütte mit etwa 80 qm überbauter
Grundfläche ist schon gemäß § 76 Abs. 1 Nr. 1 HBO 1957 im Jahre 1965 erloschen,
weil innerhalb eines Jahres nach Zustellung des Bauscheines mit der Ausführung
der genehmigten Maßnahme nicht begonnen worden ist, sondern in grober
Abweichung davon ein anderes Bauwerk verwirklicht wurde. Man kommt hier nicht
daran vorbei, daß das Genehmigte nicht errichtet, und das Errichtete nicht
genehmigt worden ist (vgl. zum Erlöschen einer Baugenehmigung durch
Nichtausnutzung Hess. VGH, 8. v. 29.10.1986 - 3 TH 2543/86 - m.w.N.).
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In Übereinstimmung mit dem Beschluß des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs
vom 06.08.1982 - IV TH 28/82 - ESVGH 32, 259 ist der Senat der Ansicht, daß im
Hinblick auf die Übergangsvorschrift des § 46 Abs. 1 Satz 3 HeNatG, wonach bei
Inkrafttreten des Gesetzes begonnene und noch nicht abgeschlossene
rechtswidrige Eingriffe als ungenehmigte Eingriffe im Sinne von § 8 gelten, § 8 Abs.
2 HeNatG im vorliegenden Fall zur Untersagung der formell illegalen Nutzung des
vor Inkrafttreten des Hess. Naturschutzgesetzes errichteten Gebäudes anwendbar
ist. Die untersagte ungenehmigte Nutzung des ungenehmigt errichteten
Gebäudes stellt gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 HeNatG einen Eingriff in Natur und
Landschaft dar, der noch nicht abgeschlossen ist, und zwar eine Veränderung der
Nutzung von Grundflächen, die mindestens den Erholungswert nachhaltig
beeinträchtigen kann. Auch wenn die Herstellung des Gebäudes selbst
abgeschlossen ist, die § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 HeNatG beispielhaft, jedoch nicht
abschließend (vgl. dazu Hess. VGH, 8. v. 09.09.1985 - 3 TG 1640/85 - ESVGH 36,
25 NVwZ 1986, 675 = NuR 1986, 31) als Eingriff in Natur und Landschaft
gesetzlich definiert, ohne zugleich die Nutzung baulicher Anlagen einzubeziehen,
ändert dies nichts daran, daß neben dem Vorhandensein des Gebäudes auch
seine andauernde Benutzung mit ihren intensiven Auswirkungen auf die
Umgebung einen noch nicht abgeschlossenen Teil des Natur- und
Landschaftseingriffs gemäß Abs. 1 Satz 1 der Vorschrift darstellt. Zu denken ist
hier an die mit der Errichtung von Baulichkeiten im Außenbereich regelmäßig
auftretenden Sekundäreffekte wie beispielsweise Kfz-Verkehr,
Gewässerbelastungen, Lärm und Abfälle.
Das Recht und die Pflicht der Bauaufsichtsbehörde zum Erlaß eines
Nutzungsverbots gemäß § 8 Abs. 2 HeNatG, ohne daß ihr insoweit ein
Einschreitermessen noch zustünde (vgl. Hess. VGH, B. v. 06.08.1982, a.a.O.), ist
durch den langen Zeitablauf nach Errichtung des ungenehmigten Gebäudes auch
nicht verjährt oder verwirkt oder gar im Hinblick auf das Gebot zum unverzüglichen
Einschreiten nach Inkrafttreten des Hess. Naturschutzgesetzes am 01.01. 1981
tatbestandlich ausgeschlossen. In diesem Zusammenhang ist von Bedeutung,
daß nur verzichtbare Rechte verwirken oder sonst untergehen können, nicht aber
Pflichten, z.B. die der Bauaufsicht, belastende Verwaltungsakte zu erlassen und
wirksam durchzusetzen (vgl. Hess. VGH, U. v. 10.03.1978 - IV OE 55/73 -).
Die angefochtene Maßnahme der Gefahrenabwehr ist zwischen den Beteiligten
auch nicht wirksam abbedungen worden. Insbesondere war die
Bauaufsichtsbehörde wegen der Aussetzung eines Widerspruchsverfahrens, in
dem es um die Verfügung des Antragsgegners vom 12.08.1976 mit dem Widerruf
der Baugenehmigung vom 22.04.1964 und ein Abbruchgebot für das Gebäude
ging, nicht am Erlaß des streitbefangenen Nutzungsverbots gehindert. Dasselbe
gilt im übrigen für das erneut angeordnete Beseitigungsgebot vom 29.07.1986.
Daß der Anhörungsausschuß selbst bei Einvernehmen der Beteiligten keine
Befugnis zu einer lange währenden oder gar dauernden Aussetzung eines
Widerspruchsverfahrens hat, ergibt sich aus seinen eingeschränkten gesetzlichen
Kompetenzen. Gemäß § 6 Abs. 1 HessAG/VwGO hat der Ausschuß den
Widerspruchsführer vor der Entscheidung Über den Widerspruch, die also nicht
durch beliebig langes Aussetzen des Vorverfahrens unterbunden werden darf,
mündlich zu hören. Nach § 9 Abs. 1 des Gesetzes hat der Ausschuß die Sach- und
Rechtslage mit den Beteiligten zu erörtern und auf eine gütliche Erledigung des
Widerspruchs hinzuwirken. Damit ist eine endgültige Erledigung durch
Vereinbarung oder Nachgeben im Recht gemeint, nicht jedoch ein bloßes Liegen-
und Unbearbeitetlassen der Angelegenheit. § 9 Abs. 2 des Gesetzes erlegt dem
Ausschuß schließlich die Pflicht auf, das wesentliche Ergebnis der Anhörung in eine
Niederschrift aufzunehmen und mit einem Vorschlag des Ausschusses der
Behörde vorzulegen, die den Verwaltungsakt erlassen oder seine Vornahme
abgelehnt hat. Auch diese Regelung zeigt deutlich, daß die Anhörung im Ausschuß
nur eine Zwischenstufe zur endgültigen Entscheidung über den Widerspruch sein
soll, was die Beförderung einer Nichtentscheidung auf Dauer, hier gar mit der
Folge eines faktischen Bestandsschutzes für ein illegales Bauwerk im
Außenbereich, ausschließt.
Soweit die Antragstellerin meint, angesichts ihrer besonders schützenswerten
privaten Wohninteressen könne das Nutzungsverbot, das von seiner Reichweite
her hier ein Räumungsverlangen einschließe, jedenfalls nicht bei bloßer formeller
Illegalität des Bauwerks gerechtfertigt werden, sondern allenfalls bei zusätzlich
vorhandener materieller Illegalität, entspricht dies nicht der ständigen
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vorhandener materieller Illegalität, entspricht dies nicht der ständigen
Rechtsprechung des Senats (vgl. zuletzt Hess. VGH, Beschluß vom 18.11.1986 - 3
TH 2900/86 -). Dies hängt auch damit zusammen, daß den Tatbestand einer
Ordnungswidrigkeit nach § 113 Abs. 1 Nr. 13 HBO verwirklicht, wer ohne die
erforderliche Baugenehmigung eine bauliche Anlage errichtet oder benutzt. Mithin
würde sich ein Erfolg der Antragstellerin in diesem Eilverfahren dahin auswirken,
daß ihr bzw. ihren Angehörigen erneut die Möglichkeit eröffnet würde, den
Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit zu erfüllen, ohne daß ein solcher immer
wieder neu begangener Gesetzesverstoß verjähren würde. Dieses Ergebnis stünde
aber im Widerspruch zur Einheit der Rechtsordnung.
Die Erfüllung eines Tatbestandes der Ordnungswidrigkeit nach 113 Abs. 1 Nr. 13
HBO ist auch ein Gesichtspunkt dafür, ein erst nach längerem Zeitablauf seit
Errichtung des ungenehmigten Bauwerks erlassenes Nutzungsverbot zu
rechtfertigen. Insoweit überwiegen auch die privaten Nutzungsinteressen der
Antragstellerin nicht das öffentliche Interesse an einer sofortigen und wirksamen
Durchsetzung des Nutzungsverbots. Immerhin stellt das streitbefangene Gebäude
nicht den eingerichteten Lebensmittelpunkt der in Frankfurt am Main wohnenden
Antragstellerin dar, auch wenn sie nach ihren Angaben seit Oktober 1977 in Klein-
Gladenbach eine Nebenwohnung angemeldet hat. Zu diesem Zeitpunkt war ihr
durch die Verfügung des Antragsgegners vom 12.08.1976 bereits bekannt, daß
das streitbefangene Gebäude bauaufsichtlichen Maßnahmen der Gefahrenabwehr
unterworfen worden war.
Das Bauwerk ist, ohne daß es für die Rechtfertigung des sofort vollziehbaren
Nutzungsverbotes darauf noch entscheidend ankommt, als nicht privilegiertes
Außenbereichsvorhaben auch materiellrechtlich unzulässig. Es beeinträchtigt
Öffentliche Belange im Sinne des § 35 Abs. 2 und 3 BBauG a.F. und n.F., weil
jedenfalls durch den störenden baulichen Fremdkörper die natürliche Eigenart der
natürlichen Landschaft beeinträchtigt und ein städtebaulich unerwünschter
Zersiedelungsvorgang herbeigeführt worden ist. Daß dadurch die Verfestigung
einer im Außenbereich unerwünschten Splittersiedlung zu befürchten ist, zeigt
schon ein entsprechender Bauantrag der Antragstellerin für einen
Erweiterungsbau. Die von der Antragstellerin als zu kurz gerügte vierwöchige Frist
für die Unterlassung der Nutzung ist auch unter Berücksichtigung des Grundsatzes
der Verhältnismäßigkeit (§ 70 HessVwVG) rechtlich nicht zu beanstanden (§ 69
Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 HessVwVG). Wie dargelegt, handelt es sich bei dem
Außenbereichsanwesen nicht um den Lebensmittelpunkt der Antragstellerin und
ihrer Familie. Die Frist war lang genug, um sich gegebenenfalls nach einer
geeigneten Unterstellmöglichkeit für die wichtigsten Gegenstände umzusehen. Sei
alledem ist nach Ansicht des Senats bisher nichts dafür ersichtlich, daß sich der
Antragsgegner nach jeweiliger Absprache im Einzelfall einem begründeten
Räumungs- und Wartungsbegehren unter Einschluß eines kurzzeitigen Zutritts zu
dem Gebäude sowie einer eventuellen Ent- und Wiederversiegelung verschließen
wird. Diese von der Antragstellerin im Rahmen ihrer Abwendungsbefugnis nach § 8
Satz 2 HSOG i.V.m. § 112 HBO anzuregende schonende Handhabung des
Nutzungsverbots würde seine grundsätzliche Wirksamkeit nicht beeinträchtigen
und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (vgl. auch § 5 HSOG i.V.m. § 112 HBO)
ausreichend beachten.
Nach alledem ist der vorläufige Aussetzungsantrag gegenstandslos geworden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 13 Abs. 1, 14 Abs. 1 entsprechend, 20
Abs. 3 und 25 Abs. 1 GKG. Der Senat bemißt das Interesse der Antragstellerin an
einem erfolgreichen Verfahrensausgang aufgrund der Lage und der Größe des
Wohnhauses und der Doppelgarage nach den derzeit erkennbaren Umständen im
Eilverfahren mit 10.000.-- DM.
Die Befugnis zur Abänderung der erstinstanzlichen Streitwertfestsetzung beruht
auf § 25 Abs. 1 Satz 3 GKG).
Hinweis: Dieser Beschluß ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 Satz 1 VwGO, 25 Abs. 2
Satz 2 GKG).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.