Urteil des HessVGH vom 31.07.1987
VGH Kassel: örtliche zuständigkeit, aufenthalt, stadt, bezirk, asylbewerber, form, hessen, verwaltungsbehörde, amtshilfe, duldung
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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
10. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
10 TG 1464/87
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Norm:
§ 52 Nr 2 S 3 VwGO
(Örtliche Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts)
Gründe
Auf die zulässige Beschwerde des Antragstellers war der angefochtene Beschluß
aufzuheben und gemäß § 83 Abs. 1 VwGO der Rechtsstreit entsprechend dem
Hilfsantrag des Antragstellers an das örtlich zuständige Verwaltungsgericht Berlin
zu verweisen. Das Verwaltungsgericht Wiesbaden hat seine Zuständigkeit zu
Unrecht angenommen. Für die hier vorliegende Streitigkeit nach dem
Asylverfahrensgesetz ist nämlich gemäß § 52 Nr. 2 Satz 3 VwGO das
Verwaltungsgericht Berlin örtlich zuständig, in dessen Bezirk der Antragsteller
jedenfalls seinen letzten Aufenthalt hatte (vgl. auch Beschluß des Senates vom
09.07.1987 - 10 TG 1785/87 -). Der Antragsteller begehrt die Feststellung, daß der
Antragsgegner die gemäß § 8 Abs. 1 AsylVfG zuständige Ausländerbehörde für die
Bearbeitung des von ihm gestellten Asylfolgeantrags vom 13.10.1986 ist. Bevor
über den genannten Asylfolgeantrag durch das Landeseinwohneramt Berlin mit
Bescheid vom 10. November 1986 negativ entschieden worden war
(bestandskräftig durch Beschluß des Oberverwaltungsgerichts Berlin vom
04.02.1987 - Az.: OVG 4 S 1.87 -), hatte der Antragsteller beantragt, der
Antragsgegnerin aufzugeben, den Asylfolgeantrag vom 13.10.1986 zu bearbeiten
und über die Beachtlichkeit zu entscheiden. Damit hat er eine "Streitigkeit nach
dem Asylverfahrensgesetz" im Sinne des § 52 Nr. 2 Satz 3 VwGO begonnen. Denn
diese gesetzliche Bestimmung ist weit auszulegen (Hamburgisches OVG, Beschluß
vom 27.03.1987, OVG Bs IV 150/87), so daß es auf die Klageart - Anfechtungs-
oder Verpflichtungsklage - nicht ankommt (Hamburgisches OVG, a.a.O.).
Der Antragsteller hat auch durch seinen Aufenthalt vom 02.09.1986 bis Ende
Januar 1987 in Frankfurt am Main und für die Zeit danach, in welcher er sich
offensichtlich in Rüsselsheim am Main aufgehalten hat, keinen neuen Wohnsitz
oder Aufenthalt im Sinne von § 52 Nr. 2 Satz 3 VwGO im Bezirk einer anderen
Ausländerbehörde als der des Landes Berlin neu begründet. Der durch den
Aufenthalt in Berlin (seit dem 09.11.1979) begründete für die Bestimmung der
Gerichtszuständigkeit maßgebliche Aufenthalt ist auch nicht etwa durch eine
Zustimmung anderer Ausländerbehörden zum Aufenthalt des Antragstellers
abgelöst worden, ohne daß hier entschieden werden muß, ob eine solche
Zustimmung für § 52 Abs. 1 Nr. 2 Satz 3 VwGO ausreichen würde. Der Aufenthalt
im Bereich der Ausländerbehörde der Stadt Frankfurt am Main für die Zeit, in
welcher sich der Antragsteller in deren Bezirk in Abschiebehaft befunden hat, ist
vom Antragsteller nämlich selbst erzwungen worden, indem er den Weiterflug in
den Libanon verweigert hat. Die Zustimmung der Ausländerbehörde der Stadt
Frankfurt am Main zu einem mit dieser Haft etwa verbundenen Wechsel des
Aufenthalts - sofern ein solcher, was offengelassen werden kann, überhaupt
vorliegt - ist vom Antragsteller nicht behauptet worden. Sie ist auch ganz
unwahrscheinlich angesichts der allgemein bekannten Überlastung der Stadt
Frankfurt am Main mit Asylbewerbern und der daraus resultierenden
Verwaltungspraxis ihrer Ausländerbehörde. Eine Zustimmung der
Ausländerbehörde der Stadt Rüsselsheim, in deren Bezirk der Kläger sich
offensichtlich derzeit bei seinem Bruder illegal aufhält, liegt ebenfalls nicht vor.
Ganz im Gegenteil hat die Stadt Rüsselsheim sich geweigert, den Aufenthalt. des
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Ganz im Gegenteil hat die Stadt Rüsselsheim sich geweigert, den Aufenthalt. des
Antragstellers in irgendeiner Form zu legalisieren und hat ihn deshalb ersucht, das
Stadtgebiet zu verlassen und sich wieder nach Berlin zu begeben. Das kommt
auch dadurch zum Ausdruck, daß die Stadt Rüsselsheim dem Antragsteller weder
eine Duldung noch eine Aufenthaltsgestattung erteilt hat. Stattdessen hat die
Stadt Rüsselsheim dem Antragsteller, damit er sich in irgendeiner Form
legitimieren kann, lediglich eine beglaubigte Fotokopie seines abgelaufenen
libanesischen Fremdenpasses gegeben, um damit. zum Ausdruck zu bringen, daß
sie seinem Aufenthalt im Stadtgebiet gerade nicht zustimmt.
Daraus, daß die Stadt Rüsselsheim im Wege der Amtshilfe für Berlin einen Antrag
auf Abschiebehaft gegen den Antragsteller beantragt hat, und aus der Tatsache,
daß die Behörde in Berlin den Folgeantrag des Antragstellers vom 13.10.1986
bearbeitet und ihre Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren durch
zwei Instanzen vor den Berliner Verwaltungsgerichten verteidigt hat, folgt vielmehr,
daß die Ausländerbehörde der Stadt Berlin ihre aus dem Aufenthalt des
Antragstellers in Berlin folgende Zuständigkeit für Abschiebungsmaßnahmen in
Anspruch genommen hat und auch weiter in Anspruch nehmen will. Insofern liegt
der Fall auch anders als der vom Verwaltungsgericht Hamburg mit Beschluß von
22.06.1987 (Az.: 11 VG A 1277/87) entschiedene, in welchem das
Verwaltungsgericht seine Zuständigkeit in einem Verfahren bejaht hat, in welchem
dar Antragsteller im Gerichtsbezirk einen Asylfolgeantrag gestellt hatte. Anders als
in dem hier zu entscheidenden Fall stand der Antragsteller in Hamburg
offensichtlich nicht in einem (wenn auch inzwischen ausgesetzten)
Abschiebungsverfahren, und die ehemals zuständigen Ausländerbehörden hatten
ihre Zuständigkeit für den Folgeantrag (anders als Berlin) verneint.
Somit kann dahinstehen, ob der Antragsteller durch den Aufenthalt in Frankfurt
und in Rüsselsheim seinen Aufenthalt im Sinne des § 52 Nr. 2 Satz 3 VwGO in
Berlin verloren hat, da für die Bestimmung der Gerichtszuständigkeit jedenfalls der
letzte mit Zustimmung der Behörde begründete Aufenthalt in Berlin maßgeblich
ist (ebenso Hamburgisches OVG, a.a.O.).
Dieses Ergebnis steht auch nicht im Widerspruch zum Beschluß des
Bundesverwaltungsgerichts vom 03. 12.1980 - 9 ER 403.80 -, in Buchholz 310, § 52
Nr. 20 -. Dort ist. lediglich entschieden, daß der tatsächliche Aufenthaltsort für die
Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts nach § 52 Nr. 2
Satz 3 VwGO in den Fällen maßgeblich ist, in welchen die Zustimmung einer
Ausländerbehörde zum Aufenthalt im Bundesgebiet überhaupt fehlt, also auch in
der Vergangenheit keine solche Zustimmung vorgelegen hat. Hier hat eine
Zustimmung der Ausländerbehörde in Berlin aber vorgelegen. Wollte man
hingegen allein wegen das Aufenthalts des Antragstellers im Bereich des Landes
Hessen für den dort gestellten Asylfolgeantrag die Zuständigkeit der hessischen
Verwaltungsgerichte annehmen, bestünde damit zumindest theoretisch die
Möglichkeit, daß der Asylbewerber durch diese Verfahrensweise das für ihn
zuständige Geeicht selbst bestimmt. Diese Konsequenz wollte der Gesetzgeber,
wie das Bundesverwaltungsgericht ausführt (BVerwG, a.a.O.), gerade vermeiden,
so daß nach dem gesetzgeberischen Willen und dem eindeutigen Wortlaut des §
52 Nr. 2 Satz 3 VwGO für eine andere als die getroffene Entscheidung kein Raum
besteht. Diese Auffassung findet ihre Bestätigung auch im Beschluß des
Bundesverwaltungsgerichts vom 09.09.1980 ( 9 ER 402.80 -, Buchholz 310, § 52
Nr. 19 = EZAR 611 Nr. 1), wonach in Fällen, in welchen der Asylbewerber sich an
einem anderen als dem von den Behörde bestimmten Wohnort aufhält, die
örtliche Zuständigkeit desjenigen Verwaltungsgerichts gegeben ist, in dessen
Bezirk den Asylbewerber sich nach dem Willen der zuständigen Ausländerbehörde
hätte aufhalten sollen. Dabei hat das Bundesverwaltungsgericht zu der insoweit
inhaltsgleichen Fassung des § 52 Nr. 2 Satz 3 VwGO (i.d.F. des Zweiten
Änderungsgesetzes zur VwGO vom 25.07.1978 - BGBl. I S. 1107) ausgeführt, daß
der mit der Dezentralisierung der ursprünglichen Gesamtzuständigkeit des
Verwaltungsgerichts Ansbach bzw. des Bayrischen Verwaltungsgerichtshofs vom
Gesetzgeber beabsichtigte Entlastungs- und Beschleunigungseffekt beeinträchtigt
wäre, wenn die Zuständigkeitsregelung allein an den tatsächlichen Wohn- und
Aufenthaltsort des Ausländers angeknüpft hätte. Eine solche Regelung könnte
einen Anreiz dafür schaffen, daß sich Asylbewerber unter Mißachtung der
behördlichen Anordnung in den Bezirken ohnehin überlasteter Verwaltungsgerichte
niederlassen. Nach dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers solle jedoch dem
Asylberechtigten keinesfalls die Möglichkeit eingeräumt werden, durch eigene Wahl
des Aufenthaltsortes die Zuständigkeit des Gerichts selbst zu bestimmen. Dazu
verweist der Beschluß auf die Materialien der Gesetzesänderung
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verweist der Beschluß auf die Materialien der Gesetzesänderung
(Bundestagsdrucksache 8/1935). Danach komme es für die örtliche
Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts allein auf den von der zuständigen
Ausländerbehörde bestimmten und nicht auf den vom Asylberechtigten gegen der
Willen der Behörden tatsächlich gewählten Wohn- oder Aufenthaltsort maßgeblich
an.
Für die begehrte Entscheidung des Antragstellers ist nach alldem das
Verwaltungsgericht Berlin zuständig, ungeachtet sonstiger Bedenken bezüglich der
Zulässigkeit des Antrags im allgemeinen und seiner Statthaftigkeit im
besonderen, in dessen Bezirk der Antragsteller mit Zustimmung der zuständigen
Ausländerbehörde seinen letzten Wohnsitz bzw. Aufenthaltsort hatte.
Mit dieser Entscheidung weicht der Senat von seiner Entscheidung vom
11.07.1985 - 10 TG 1244/85 - nicht ab. Dort ist lediglich für die Zuständigkeit der
Verwaltungsbehörde nach § 8 Abs. 1 AsylVfG auf den tatsächlichen Aufenthalt:
abgestellt worden und ausdrücklich eine Abgrenzung zu der Gerichtszuständigkeit
nach § 52 Nr. 2 Satz 3 VwG vorgenommen worden (Seite 7 des
Beschlußabdruckes). Ob der Senat für die Zuständigkeit der Verwaltungsbehörde
nach § 8 Abs. 1 AsylVfG an seiner dort geäußerten Rechtsansicht festhält (anderer
Ansicht: Hamburgisches OVG, a.a.O.) braucht hier nicht entschieden zu werden.
Die Entscheidung über die Kosten und den Streitwert des gesamten Verfahrens
müssen der Schlußentscheidung durch das Verwaltungsgericht Berlin vorbehalten
bleiben.
Dieser Beschluß ist unanfechtbar.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.