Urteil des HessVGH vom 30.10.2007
VGH Kassel: beiladung, öffentliche sicherheit, grundstück, stützmauer, verfügung, zivilprozessrecht, quelle, auflage, zahl, billigkeit
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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
3 TG 2196/07
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Tenor
Auf die Beschwerde der Beschwerdeführer wird der Beschluss des
Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 18. September 2007 – 4 E 2188/07
(2) – aufgehoben.
Zum Verfahren werden
1. Frau ...,
2. Herr ...,
beide wohnhaft: ...,
gemäß § 65 Abs. 1 VwGO beigeladen.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei.
Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen werden nicht erstattet.
Gründe
Streitgegenstand des Klageverfahrens ist die Verfügung des Beklagten vom 5. Mai
2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 12. Juli 2007, mit der dem
Kläger aufgegeben wurde, eine Stützmauer sowie einen Holzsichtschutzzaun, der
an der Nachbargrenze zum Grundstück der Antragsteller errichtet worden ist, zu
beseitigen. Das Verwaltungsgericht hat den Beiladungsantrag der Antragsteller
mit Beschluss vom 18. September 2007 mit der Begründung abgelehnt, die
Voraussetzungen für eine notwendige Beiladung gemäß § 65 Abs. 2 VwGO lägen
nicht vor. Einer einfachen Beiladung stünde das Interesse an einer zügigen
Gerichtsentscheidung entgegen.
Die Antragsteller sind auf ihre zulässige Beschwerde hin gemäß § 65 Abs. 1 VwGO
zum Verfahren beizuladen, weil ihre Beiladung zweckmäßig erscheint.
Die Voraussetzungen einer notwendigen Beiladung gemäß § 65 Abs. 2 VwGO sind
nicht gegeben. Die Entscheidung über die streitgegenständliche
Beseitigungsanordnung hat keine rechtsgestaltende Wirkung gegenüber den
Antragstellern. Es ist nicht geltend gemacht worden oder sonst ersichtlich, dass
das Beseitigungsgebot über die Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit
und Ordnung hinaus ausnahmsweise zugleich zugunsten der Antragsteller mit
dem behördlichen Willen ergangen wäre, ihnen einen unmittelbaren
Rechtsanspruch zu verschaffen (vgl. dazu Hess. VGH, B. v. 09.08.1978 – IV TE
49/78 -).
Dagegen liegen die Voraussetzungen einer einfachen Beiladung gemäß § 65 Abs.
1 VwGO vor, denn die gerichtliche Entscheidung im Klageverfahren berührt die
rechtlichen Interessen der Antragsteller. Dies beruht darauf, dass das
Beseitigungsgebot auf eine Verletzung des Mindestabstandsflächengebots des § 6
HBO gestützt wird, dem nachbarschützende Wirkung zugunsten der Antragsteller
zukommt.
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Bei alledem ist der Senat als zweite Tatsacheninstanz auch als Beschwerdegericht
zu einer vollen Überprüfung erstinstanzlicher Entscheidungen berufen und kann
die gemäß § 65 Abs. 1 VwGO erforderliche Ermessensentscheidung selbst treffen
(vgl. Hess. VGH, B. v. 09.08.1978, a.a.O.; Sodan/Ziekow, VwGO, Kommentar, 2.
Auflage 2006, § 65 Rdnr. 167, 182).
Ohne dass dem Verwaltungsgericht bei fehlender Ermessensreduzierung auf Null
der Vorwurf einer rechtsfehlerhaften Ablehnung des Beiladungsantrags zu machen
ist, hält der Senat die Beiladung der Antragsteller zum Rechtsstreit hier für
zweckmäßig. Die Antragsteller sind Eigentümer des dem klägerischen Grundstück
unmittelbar benachbarten Wohngrundstücks. Ihr durch den Antrag auf Beiladung
und ihre Beschwerde gegen dessen Ablehnung nachdrücklich bekundetes
Interesse am Verfahren lässt erwarten, dass sie zur Sachaufklärung beitragen
können, etwa was die konkreten Auswirkungen der streitbefangenen Bauteile in
dem räumlich verhältnismäßig engen nachbarschaftlichen
Gemeinschaftsverhältnis anbelangt, ebenso die Entstehung der Konfliktsituation
etwa bezogen auf die ursprünglichen Geländeverhältnisse und deren Veränderung.
Gegebenenfalls können die Beigeladenen auch zu einer gütlichen Beilegung des
Rechtsstreits beitragen, wie es im Falle der streitigen Erledigung auch von
Bedeutung ist, dass sie gemäß § 121 Nr. 1 VwGO an die Rechtskraft eines
möglichen Urteils gebunden sind. Prozessökonomisch ist dabei von Belang, dass
ein möglicher zweiter Prozess als denkbarer Nachbarstreit vermieden werden
kann. Angesichts der kleinräumigen und übersichtlichen Nachbarsituation ist auch
nicht mit weiteren Beiladungsanträgen und damit einer unangemessenen
Erweiterung der Zahl der Verfahrensbeteiligten zu rechnen.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei (§ 3 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 5502 des
Kostenverzeichnisses der Anlage 1 zum GKG).
Auch sonst kommt eine Kostenentscheidung nach § 154 Abs. 1 VwGO nicht in
Betracht, da in dem Beschwerdeverfahren keiner der Beteiligten als unterliegender
Teil angesehen werden kann. Nach ständiger Rechtsprechung des 4. Senats des
Hessischen Verwaltungsgerichtshofs, der sich der Senat anschließt, können in
derartigen Fällen, in denen ein Beschwerdegegner fehlt, außergerichtliche Kosten
der Beigeladenen in entsprechender Anwendung des § 162 Abs. 3 VwGO der
Staatskasse auferlegt werden (Hess. VGH, B. v. 25.10.1977 – IV TE 76/77 –
m.w.N.). Die Übernahme der Kosten durch die Staatskasse erscheint jedoch nur
dann angemessen, wenn die abweichende Entscheidung der Vorinstanz fehlerhaft
war und es deswegen unbillig wäre, die Beschwerdeführer die Kosten der
erfolgreichen Beschwerde selbst tragen zu lassen. Wie ausgeführt, beruht die
unterlassene Beiladung der Beschwerdeführer hier nicht auf einem Rechtsfehler
der Vorinstanz, sondern lediglich auf einer abweichenden Beurteilung der
Zweckmäßigkeit einer Beiladung durch den Senat. Deswegen entspricht es nicht
der Billigkeit, der Staatskasse die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen für
das Beschwerdeverfahren aufzuerlegen.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§65 Abs. 4 Satz 3 VwGO).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.