Urteil des HessVGH vom 25.03.2010

VGH Kassel: handel und gewerbe, ausweisung, raumordnung, stadt, landwirtschaft, subjektives recht, industrie, verfügung, klagebefugnis, regionalplanung

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
4. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
4 A 1687/09
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 12 Abs 4 LPlG HE, § 23
Abs 5 LPlG HE, Art 28 GG, §
22 Abs 2 Nr 2 LPlG HE, § 42
Abs 2 VwGO
(Klage der Nachbargemeinde gegen die Zulassung einer
Abweichung vom Regionalplan.)
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Gießen vom
21. Juli 2008 - 1 K 834/08.GI - abgeändert:
Der Beschluss des Haupt- und Planungsausschusses der Regionalversammlung
Mittelhessen vom 11. März 2008 in der Gestalt des Bescheides des
Regierungspräsidiums Gießen vom 19. März 2008 wird aufgehoben.
Der Beklagte hat die Kosten des gesamten Verfahrens mit Ausnahme der
außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kostenschuldner
darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der vollstreckbaren
Kosten abwenden, sofern nicht der Kostengläubiger vor der Vollstreckung in
entsprechender Höhe Sicherheit leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Mit Schreiben vom 8. August 2007 beantragte die Beigeladene beim
Regierungspräsidium Gießen die Zulassung einer Abweichung vom Regionalplan
Mittelhessen 2001 in ihrem Stadtteil Großen-Linden zwecks Ausweisung eines
interkommunalen Gewerbeparks „Pfaffenpfad“. Das gegenwärtig landwirtschaftlich
genutzte Plangebiet sollte eine Fläche von 83 ha umfassen und im Südwesten der
Gemarkung Großen-Linden liegen, unmittelbar angrenzend an das Stadtgebiet der
Klägerin, und zwar an das Gewerbegebiet „Rechtenbacher Hohl“ im Stadtteil
Lützellinden. Mit Schreiben vom 21. November 2007 reduzierte die Beigeladene
die Antragsfläche auf 40 ha und änderte die Lage der Bauflächen. Zugleich
erklärte sie den Verzicht auf eine ca. 12 ha große Gewerbefläche an anderer Stelle
in ihrem Stadtgebiet. Einen Flächenverzicht stellten auch die Gemeinde
Hüttenberg (1 ha) und die Klägerin (11 ha) in Aussicht. Die im Teilraum
Mittelhessen-Süd zusammengeschlossenen Kommunen (die Beigeladene, die
Stadt Pohlheim, die Gemeinden Fernwald, Hüttenberg und Langgöns) sowie die
Klägerin streben im Rahmen der Flächenentwicklung eine interkommunale
Zusammenarbeit an.
Der Flächennutzungsplan der Beigeladenen stellt den überwiegenden Teil der
Antragsfläche als „Fläche für die Landwirtschaft dar. Im östlichen Bereich ist eine
Teilfläche dargestellt mit einem „besonderen Nutzungszweck von Flächen -
Gebäuden und Flächen, die überwiegend der Lagerung und Aufbereitung von
Mutterboden dienen (gewerbliche Nutzung) sowie Gebäude für die Landwirtschaft“.
Die Antragsfläche ist im Regionalplan Mittelhessen 2001 überwiegend als „Bereich
für die Landwirtschaft“ sowie auf Teilflächen als „Bereich für Landschaftsnutzung
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für die Landwirtschaft“ sowie auf Teilflächen als „Bereich für Landschaftsnutzung
und -pflege“, „Bereich für besondere Klimafunktionen“ und „Regionaler Grünzug“
dargestellt.
Im Regionalplanentwurf 2006 wird die Antragsfläche als „Vorbehaltsgebiet für
Natur und Landschaft“, „Vorranggebiet für Landwirtschaft“ und „Vorranggebiet
Regionaler Grünzug“ ausgewiesen. Außerdem handelt es sich danach um ein
archäologisch relevantes Gebiet.
Im Rahmen des Anhörungsverfahrens erklärte die Klägerin zunächst, die
Antragsunterlagen seien unzureichend. Ihre Zustimmung könne nur erfolgen,
wenn die Umlandgemeinden die noch nicht in Anspruch genommenen Flächen aus
dem Regionalplan zurückentwickeln würden. Auch sei ein Bedarf in der
beantragten Größenordnung unrealistisch. Nach verschiedenen Gesprächen gab
die Klägerin am 15. Oktober 2007 eine weitere Stellungnahme ab. Darin heißt es,
dass bei einer Halbierung des Flächenbedarfs für das beantragte Gewerbegebiet
„Pfaffenpfad“ von ihr, der Klägerin, auch nur die Hälfte, also 11 ha, aus der
Mantelfläche „Großgewerbefläche Lützellinden“ als Flächenrückgabe angeboten
werde.
Nach Eingang des modifizierten Abweichungsantrages der Beigeladenen vom
22. November 2007 teilte die Klägerin mit, dass sie unter folgenden
Voraussetzungen auf eine Fläche von 11 ha im künftigen Regionalplan verzichten
werde:
- Einzelhandelsausschluss auf der Antragsfläche
- Keine konkurrierenden gewerblichen Baugrundstücke größer als 6 ha
- Anfertigen einer Immissionsprognose für den Stadtteil Lützellinden
- 25 bis 30 ha Gesamtgröße für Pfaffenpfad
- Vorschlag der Zweckverbandslösung als künftige Rechtsform der
interkommunalen Zusammenarbeit
- Aufnahme einer raumordnerischen Vereinbarung in den neuen Regionalplan
- Aufrechterhaltung der Hinweise zu den verkehrlichen Erschließungsfragen,
naturschutzrechtlichen Ausgleichsflächen, der Abwasserproblematik und der
Ersatzlandkonzeption.
Sodann erging auf Beschluss des Haupt- und Planungsausschusses der
Regionalversammlung Mittelhessen vom 11. März 2008 in der Gestalt des
Bescheides des Regierungspräsidiums Gießen vom 19. März 2008 gegenüber der
Beigeladenen folgende Abweichungsentscheidung:
„Die Abweichung vom Regionalplan Mittelhessen 2001 zwecks Ausweisung
eines interkommunalen Gewerbeparks „Pfaffenpfad“ in der Stadt Linden, Stadtteil
Großen-Linden, wird gemäß der beigefügten Karte Nr. 2 im reduzierten Umfang
von 30 ha unter Berücksichtigung der nachfolgenden Maßgaben zugelassen:
1. Die reduzierte Antragsfläche wird im Regionalplan als „Vorranggebiet Industrie
und Gewerbeplanung“ ausgewiesen.
2. Die Flächen in den Gemarkungen Gießen-Lützellinden, Hüttenberg und Linden-
Großen-Linden, auf deren gewerbliche Nutzung gemäß Karte Nr. 2 verzichtet wird,
werden im Regionalplan als „Vorranggebiet für Landwirtschaft“ festgelegt. Für die
Fläche in der Gemarkung Gießen-Lützellinden wird hier zusätzlich noch eine
Ausweisung als „Vorranggebiet Regionaler Grünzug“ erfolgen.
3. Im Bereich der beantragten Fläche ist der Einzelhandel auszuschließen. Zum
Zweck der Selbstvermarktung können Ausnahmen zugelassen werden. 4. Die
Erschließung des Bereichs „Pfaffenpfad“ ist auf der Ebene der Bauleitplanung zu
regeln.
5. Ebenso sind die im Anhörungsverfahren angesprochenen naturschutzfachlichen,
siedlungsstrukturellen, wasserwirtschaftlichen und denkmalpflegerischen
Fragestellungen im Rahmen der Bauleitplanung vertieft zu erörtern.
In der zur Begründung abgegebenen raumordnerischen Bewertung heißt es:
„Die Abweichung von den Zielen des Regionalplans kann vorliegend zugelassen
werden, weil die Voraussetzungen des § 12 Abs. 3 HLPG gegeben sind. Danach
muss eine Abweichung vertretbar sein und im Einklang mit den Grundzügen der
Planung stehen. Letzteres ist hier der Fall. Die Grundzüge der Planung werden
nicht berührt. Es liegt auf der Hand, dass durch die Ausweisung einer zusätzlichen
Gewerbefläche von 30 ha kein Grundzug der Planung tangiert wird. Durch die
vorgenommene Reduzierung des Bereichs auf nunmehr 30 ha bei gleichzeitigem
Verzicht auf die gewerbliche Nutzung anderer Flächen ist die Abweichung im
Ergebnis auch vertretbar. Die Summe der im künftigen Regionalplan
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Ergebnis auch vertretbar. Die Summe der im künftigen Regionalplan
ausgewiesenen Zuwachsflächen für Industrie und Gewerbe bleibt im Teilraum
Mittelhessen-Süd in etwa gleich. Soweit von einzelnen Trägern im Rahmen ihrer
Beteiligung eine Ablehnung des Vorhabens erfolgt, sind die dafür genannten
Gründe nicht geeignet, eine derartige Schlussfolgerung zu rechtfertigen.“
In Bezug auf die Anregungen der Klägerin wird weiterhin ausgeführt, eine Nutzung
für Zwecke des Einzelhandels werde bereits durch den gültigen Regionalplan
ausgeschlossen. Gleichwohl werde insoweit der Anregung der Stadt Gießen
entsprochen, da diese zutreffend darauf verwiesen habe, dass die
Regionalversammlung routinemäßig die Einschränkungen des Einzelhandels als
Maßgabe formuliere. Für eine Reduzierung von Einzelvorhaben auf eine Fläche
unterhalb von 6 ha fehle es der Regionalplanung an einer Regelungsbefugnis.
Allerdings sei der von der Stadt Gießen hergestellte Zusammenhang zu der von
ihr geplanten städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme im Bereich der
„Großfläche“ Lützellinden nachvollziehbar. Aus diesem Grund werde der
Beigeladenen empfohlen, diesbezüglich mit der Nachbarstadt Gießen zu einer
einvernehmlichen Regelung zu gelangen. Nach Informationen der Oberen
Landesplanungsbehörde sei die Beigeladene auch bereit, eine über 6 ha
hinausgehende Inanspruchnahme für ein Einzelvorhaben nur in Abstimmung mit
der Klägerin zuzulassen. Soweit die Klägerin eine interkommunale Entwicklung der
Fläche für sinnvoll erachte, werde den Beteiligten empfohlen, diesen Vorschlag
aufzugreifen. Dafür spreche schon der Umstand, dass die Klägerin sich
bereiterklärt habe, die Ausweisung eines Bereichs im Umfang von 30 ha durch
einen eigenen Flächenverzicht zu ermöglichen. Schließlich habe auch die
Beigeladene von Anfang an von dem „interkommunalen Gewerbegebiet
Pfaffenpfad“ gesprochen. Ob die Kooperation nur auf diese Fläche und nur auf die
beiden Kooperationspartner Gießen und Linden beschränkt bleibt, bedürfe noch
weiterer Verhandlungen. Der befürchteten Beeinträchtigung der oberzentralen
Funktion der Stadt Gießen werde durch die vorgenommene Flächenreduzierung
hinreichend begegnet. Dadurch würden im Übrigen auch gleichlautende Bedenken
des Oberzentrums Wetzlar berücksichtigt.
Die weiteren Hinweise der Klägerin, die sich auf die Erschließung des Geländes
sowie auf die von dort eventuell ausgehenden Emissionen, die
Abwasserproblematik sowie Ausgleichsflächen etc. bezögen, seien berechtigt. Sie
deckten sich mit den Anregungen und Hinweisen der Träger öffentlicher Belange.
Dabei sei hinsichtlich der Erschließung hervorzuheben, dass die
Straßenbauverwaltung die ihr im Rahmen der Beteiligung unterbreiteten
Vorstellungen gegenwärtig ablehne. Die Beigeladene sei aber bereits damit
beschäftigt, tragfähige Lösungen zu erarbeiten. Es werde von keiner Stelle
vorgetragen, dass bezogen auf die Erschließung Hindernisse bestünden, die im
Rahmen der anstehenden kommunalen Bauleitplanung nicht überwunden werden
könnten.
Hiergegen hat die Klägerin am 14. April 2008 Klage erhoben und zur Begründung
im Wesentlichen geltend gemacht, sie werde durch die Abweichungsentscheidung
in ihrer Funktion als Oberzentrum geschwächt. Zudem werde ihr
Einvernehmensvorbehalt in Bezug auf ihre Funktion im oberzentralen
Siedlungsbereich missachtet. Einem Unterzentrum werde durch die
Abweichungsentscheidung im oberzentralen Siedlungsbereich ein Gewerbegebiet
für großflächige Ansiedlungen erlaubt. Ihre Planungshoheit werde auch verletzt,
denn die westlich der Ortslage ausgewiesenen großen gewerblichen Bauflächen
sollten den regionalen Bedarf an solchen Flächen decken. Zudem werde ihr, der
Klägerin, eine im Regionalplan Mittelhessen 2001 ausgewiesene Gewerbefläche
entzogen und mit der Funktionszuweisung als Grünzug bzw. als Fläche für die
Landwirtschaft überlagert.
Die Klägerin hat beantragt,
den Beschluss des Haupt- und Planungsausschusses der
Regionalversammlung Mittelhessen vom 11. März 2008 in der Gestalt des
Bescheides des Regierungspräsidiums Gießen vom 19. März 2008 aufzuheben,
hilfsweise
festzustellen, dass der Beschluss des Haupt- und Planungsausschusses der
Regionalversammlung Mittelhessen vom 11. März 2008 in der Gestalt des
Bescheides des Regierungspräsidiums Gießen vom 19. März 2008 nichtig ist.
Der Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
Er hat geltend gemacht, die Klage sei mangels Klagebefugnis unzulässig. Überdies
sei die Klage unbegründet. Die oberzentrale Funktion der Klägerin verleihe ihr
keinen generellen Anspruch darauf, dass benachbarte Grundzentren gänzlich auf
die Ausweisung von Gewerbeflächen verzichten müssten.
Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt. Sie hat die Auffassung vertreten, die
Klage sei unzulässig, jedenfalls aber unbegründet.
Durch Urteil vom 21. Juli 2008 hat das Verwaltungsgericht Gießen die Klage
abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, die
Anfechtungsklage sei mangels Klagebefugnis der Klägerin unzulässig. Zwar sei die
Klägerin nicht darauf verwiesen, ihrem Schutz dienende Ziele der Raumordnung im
Regionalplan Mittelhessen nach § 2 Abs. 2 BauGB erst im Rahmen der
Bauleitplanung der Beigeladenen geltend zu machen. Indessen werde durch die
von der Klägerin mit der Anfechtungsklage angegriffene Abweichungsentscheidung
kein im Regionalplan Mittelhessen 2001 enthaltenes Ziel der Raumordnung, das
dem Schutz der Klägerin diene, verletzt. Durch die Maßgabe Nr. 2 der
Abweichungsentscheidung werde der Klägerin kein Recht entzogen, da diese
Maßgabe lediglich einen klarstellenden Hinweis enthalte und keine Regelung treffe.
Dafür spreche, dass die Festlegung und Ausweisung erst erfolgen werde, wie die
Verknüpfung durch „zusätzlich“ in Satz 2 der Maßgabe mit Satz 1 dieser Maßgabe
und der Formulierung „wird erfolgen“ in Satz 2 dieser Maßgabe zeigten, das heißt
noch nicht mit der Abweichungsentscheidung erfolgt seien. Mithin habe auch kein
unzuständiges Gremium gehandelt.
Auf den Antrag der Klägerin hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof mit
Beschluss vom 25. Mai 2009 die Berufung gegen das Urteil des
Verwaltungsgerichts Gießen zugelassen.
Zur Begründung der Berufung trägt die Klägerin im Wesentlichen vor, sie sei nach
den Zielen der Raumordnung, wie sie sich aus dem Landesentwicklungsplan 2000
und dem Regionalplan Mittelhessen 2001 (B 3.3-9) ergäben, eines von drei
Oberzentren der Planungseinheit Mittelhessen. Bei den beiden anderen
Oberzentren handele es sich um die Städte Marburg und Wetzlar. Sie, die Klägerin,
sei außerdem nach den Zielen des Regionalplans Mittelhessen 2001 (C 5.4-1) ein
gewerblicher Schwerpunkt. Der gültige Regionalplan lege unter B 5.2-1 fest, dass
Zuwachsflächen für Industrie und Gewerbe mit Vorrang in gewerblichen
Schwerpunkten ausgewiesen werden. Dementsprechend seien in der Plankarte in
der Gemarkung der Beigeladenen keine derartigen Zuwachsflächen ausgewiesen.
Für solche Gemeinden sehe der Regionalplan gemäß B 5.2-4 nur eine gewerbliche
Eigenentwicklung vor. Die Fläche am Pfaffenpfad gehe jedoch
eingestandenermaßen über eine gewerbliche Eigenentwicklung hinaus. Mithin
stimmten die Ausführungen des Beklagten zur gewerblichen Entwicklung von
Grundzentren über den Eigenbedarf hinaus nicht mit den Zielen des geltenden
Regionalplans überein. Soweit der Beklagte ausführe, das Gewerbekonzept werde
im künftigen Regionalplan nicht weitergeführt, sei dies im vorliegenden Verfahren
ohne Belang, weil Verfahrensgegenstand eine Abweichungsentscheidung vom
geltenden Regionalplan Mittelhessen 2001 sei.
Aus den Lageplänen ergebe sich, dass die Beigeladene bisher jenseits der
Autobahn A 485 keinerlei Siedlungsentwicklung aufweise. Das projektierte
Gewerbegebiet schließe dagegen unmittelbar an das bereits rechtsgültig
ausgewiesene Gewerbegebiet „Rechtenbacher Hohl“ der Klägerin an. Eine
sinnvolle Erschließung des streitgegenständlichen Gebietes sei nur über diese
Fläche möglich. Die Beigeladene strebe jedoch an, dieses Gebiet über die eigene
Ortslage zu erschließen. Dies würde einen Aufwand verursachen, der nur dann
finanzierbar wäre, wenn die Fläche statt der zugelassenen 30 ha entsprechend der
ursprünglichen Planung eine Fläche von 80 ha erhielte.
Das Verwaltungsgericht habe die Klagebefugnis zu Unrecht verneint. Sie, die
Klägerin, könne sich auf die Verletzung ihrer oberzentralen Funktion und auf die
Verletzung des Einvernehmensgebotes aus B 3.3-17 des Regionalplans
Mittelhessen 2001 berufen. Das angefochtene Urteil begründe die fehlende
Klagebefugnis unter anderem damit, dass die oberzentralen Funktionen nach 4.2
des Landesentwicklungsplanes Hessen allein „Versorgungsfunktionen für die
Bevölkerung aus den Bereichen Kultur und Bildung, Soziales und Sport, Verkehr,
Verwaltung und Gerichte pp.“ seien, die durch die Ausweisung eines weiteren
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Verwaltung und Gerichte pp.“ seien, die durch die Ausweisung eines weiteren
Gewerbegebiets im Gebiet der Beklagten gänzlich unberührt bleibe.
Demgegenüber führe der Beklagte aus, dass Ober- und Mittelzentren aufgrund
ihrer zentralörtlichen Lage und Funktion als Gewerbestandorte prädestiniert seien.
Es sei in Wahrheit sogar so, dass die zentralen Orte in ihre zentralörtliche
Infrastruktur investierten, um ihre zentralörtliche Funktion im Hinblick auf die
Ansiedlung von Gewerbe wahrnehmen und die Infrastrukturkosten über höhere
Gewerbesteuereinnahmen refinanzieren zu können. Mithin lasse sich die
infrastrukturelle Ausstattung und die Ausweisung von Gewerbeflächen nicht
voneinander trennen.
Das Verwaltungsgericht übersehe auch, dass die angefochtene
Abweichungsentscheidung ihr, der Klägerin, Rechtspositionen in Gestalt von 11 ha
im Regionalplan ausgewiesener Gewerbeflächen entziehe, ohne ihr, der Klägerin,
dafür Vorteile einzuräumen. Allein dieser Umstand begründe die Klagebefugnis.
Sie, die Klägerin, habe dem Entzug der Gewerbeflächen nur unter mehreren
Vorbehalten zugestimmt, die die angefochtene Abweichungsentscheidung nicht
erfülle. Sie, die Klägerin, habe somit dem Entzug ihrer Rechtsposition in dieser
Form nicht zugestimmt. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts
enthielten die Maßgaben 1 und 2 Satz 1 nicht nur Hinweise, sondern Regelungen.
Der Wortlaut dieser Maßgaben spreche eindeutig dafür, dass das beklagte Land
eine Regelung unmittelbar im Regionalplan habe treffen wollen. Dafür spreche
auch, dass das beklagte Land bei Gelegenheit anderer
Abweichungsentscheidungen durchaus differenziert habe. Gegen den
Hinweischarakter der Maßgaben 1 und 2 spreche aber auch der Satz 2 der
Maßgabe 2. Durch diese Maßgabe werde angekündigt, dass die sogenannte
Verzichtsfläche der Klägerin als regionaler Grünzug ausgewiesen werde. Ein bloßer
Hinweis sei eine Wissenserklärung. Der Haupt- und Planungsausschuss könne aber
gar nicht wissen, welche Letztentscheidung die nach § 23 Abs. 5 Satz 4 Nr. 2 HLPG
ausschließlich zuständige Regionalversammlung im Hinblick auf den regionalen
Grünzug im kommenden Regionalplan treffen werde. Daraus folge, dass der
Haupt- und Planungsausschuss keine Wissenserklärung habe abgeben können.
Vielmehr habe er im Zusammenhang mit seiner Abweichungsentscheidung eine
Regelung treffen wollen, die die Klägerin daran hindern sollte, bis zum Inkrafttreten
des neuen Regionalplans die sogenannte Verzichtsfläche zu überplanen. Ein bloßer
Hinweis hätte dies nicht verhindert. Ebenso wenig wären die Verzichtserklärungen
dazu geeignet gewesen, die Klägerin zu binden. Denn sie hätten Vorbehalte
enthalten, die nicht eingelöst worden seien. Soweit sich die Beigeladene darauf
berufe, dass die Willenserklärung des Landes im Zweifel gesetzeskonform
auszulegen sei, sei darauf hinzuweisen, dass ein Hinweis des Haupt- und
Planungsausschusses auf den Inhalt eines künftigen Regionalplans, über den die
zuständige Regionalversammlung noch gar nicht entschieden habe, ebenfalls nicht
gesetzeskonform sei. Er sei ebenso wenig gesetzeskonform wie eine Änderung
des Regionalplans durch den Haupt- und Planungsausschuss. Also biete dieser
Aspekt keine Auslegungshilfe, so dass sich das beklagte Land am Wortlaut seiner
Entscheidung festhalten lassen müsse. Die Beigeladene verweise auch ohne Erfolg
darauf, dass das beklagte Land durch eine Verfügung nach § 16 Abs. 2 HLPG
verhindern könne, dass die Verzichtsflächen überplant würden. Diese Vorschrift
setze nämlich voraus, dass die Änderung von Zielen der Raumordnung für die
Verzichtfläche eingeleitet seien. Das beklagte Land habe aber kein solches
Verfahren eingeleitet. Dies ergebe sich aus der Berichtsvorlage vom 25. April 2008
des Regierungspräsidiums an das Präsidium der Regionalversammlung. Dort seien
die Änderungen aufgelistet, die seit der ersten Offenlegung im Jahr 2006 in den
Regionalplanentwurf aufgenommen worden seien. Der Pfaffenpfad und „die
Verzichtsflächen“ seien dort nicht erwähnt. Dies beruhe darauf, dass das beklagte
Land davon ausgehe, dass diese Bereiche bereits durch die entsprechenden
Maßgaben der angefochtenen Abweichungsentscheidungen Bestandteil des
gültigen Regionalplans seien.
Soweit der Beklagte moniere, dass sie, die Klägerin, von dem im Regionalplan
ausgewiesenen 130 ha großen Bereich nur 25 ha entwickeln wolle, beruhe dies
gerade auf der streitigen Abweichungsentscheidung. Das Gebiet Pfaffenpfad der
Beigeladenen sei auf Großinvestoren orientiert. Dies ergebe sich schon aus der
Begründung zu dem Abweichungsantrag, wie ihn die Beigeladene dem
Regierungspräsidium vorgelegt und den das Regierungspräsidium befürwortet
habe. Dies mache die Ausweisung eines städtebaulichen Entwicklungsbereichs im
Bereich der Klägerin rechtlich unmöglich, weil sich der erhöhte Bedarf an
Arbeitsstätten aus Sicht von potentiellen Investoren für die Fläche in Lützellinden
nicht mehr nachweisen lasse. Im Übrigen habe die Stadtverordnetenversammlung
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nicht mehr nachweisen lasse. Im Übrigen habe die Stadtverordnetenversammlung
der Klägerin am 26. März 2009 beschlossen, für den gesamten, im Regionalplan
ausgewiesenen gewerblichen Bereich von 130 ha ein Verfahren zur Änderung des
Flächennutzungsplans mit dem Ziel der Darstellung dieses Bereichs einzuleiten.
Die angefochtene Entscheidung beeinträchtige sie, die Klägerin, bei der Erfüllung
ihrer Anpassungspflicht aus dem Regionalplan, weil sie die Durchführung einer
städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme und dementsprechend die zügige
Durchführung und Realisierung des Planvorhabens unmöglich mache. Sie, die
Klägerin, habe daraus die Konsequenz gezogen, in Übereinstimmung mit dem
Regionalplan den gesamten Bereich zunächst im Flächennutzungsplan
darzustellen und die Fläche im Übrigen entgegen der ursprünglichen Planung
zunächst sukzessive auszuweisen. Sollte die streitige Abweichungsentscheidung
aufgehoben werden, werde sie, die Klägerin, zu prüfen haben, ob sie zur
ursprünglich verfolgten Strategie zurückkehren könne.
Die Klage sei auch begründet. Die angefochtene Abweichungsentscheidung sei
rechtswidrig. Nach § 12 Abs. 3 HLPG dürfe vom Regionalplan abgewichen werden,
wenn die Abweichung unter raumordnerischen Gesichtspunkten vertretbar sei und
Grundzüge des Regionalplans nicht berührt würden. Im vorliegenden Fall sei die
Abweichungsentscheidung jedoch raumordnerisch nicht vertretbar. Sie begünstige
die Fortsetzung des Suburbanisierungsprozesses, den der Regionalplan selbst
abmildern und umkehren wolle. Der angefochtene Bescheid stelle es in das
Belieben der Beigeladenen, ob sie im oberzentralen Siedlungsraum kooperiere,
wenn sie Flächen von regionaler Bedeutung ausweise. Damit verstoße der
Bescheid gegen B 3.3-17 des Regionalplans, ohne dass er von diesem Ziel
suspendiere. Es wäre dem beklagten Land rechtlich ohne weiteres möglich
gewesen, den Einvernehmensvorbehalt gemäß B 3.3-17 des Regionalplans in dem
angefochtenen Bescheid umzusetzen. Es hätte lediglich die Zulässigkeit der
bauleitplanerischen Ausweisung der Fläche von dem Zustandekommen einer
interkommunalen Kooperation zwischen der Klägerin und der Beigeladenen
abhängig gemacht werden müssen. Soweit der Beklagte ausführe, die Zulassung
der Fläche am Pfaffenpfad berühre Grundzüge der Planung nicht, widerspreche er
sich in seinem eigenen Schriftsatz, indem er vortrage, dass es sich bei den
Flächen am Gießener Südkreuz um „1 A-Lagen“ handele, für die die
Regionalplanung alle Anliegerkommunen an einen Tisch bringen wolle. Abgesehen
davon, dass die angefochtene Abweichungsentscheidung nichts für das Ziel einer
kommunalen Zusammenarbeit leiste, sondern im Gegenteil Alleingänge der
Beigeladenen ermögliche, sei die Argumentation des beklagten Landes auch in
sich widersprüchlich. Entweder sei die Fläche ohne jegliche Bedeutung für die
Klägerin, oder es handele sich um eine „1 A-Lage“. Entweder berühre die
angefochtene Entscheidung die Grundzüge des Regionalplans nicht, oder die
Fläche sei so bedeutsam, dass dafür alle Anliegerkommunen an einen Tisch
gebracht werden müssten. Sie, die Klägerin, sei der Meinung, dass die Fläche
wegen ihrer Größe und Lage so bedeutsam sei, dass ihre Belange wesentlich
beeinträchtigt würden und sehe sich in dieser Auffassung durch die Ausführungen
des Beklagen hinsichtlich der Qualität der streitigen Flächen bestätigt.
Der Regionalplan (B 3.3-17) mache die Entwicklung von Bauflächen im
oberzentralen Siedlungsraum von dem Einvernehmen des Oberzentrums
abhängig. Indem der angefochtene Bescheid die Entwicklung der Fläche ohne
Mitwirkung des Oberzentrums ermögliche, sei er raumordnerisch unvertretbar, weil
er gegen Ziele der Raumordnung verstoße, von denen er ausdrücklich nicht
suspendiere. Der angefochtene Bescheid führe ausdrücklich die Ziele der
Raumordnung auf, von denen er Abweichungen zulasse. Die Zielfestlegung B 3.3-
17 des Regionalplans werde dabei nicht erwähnt. Soweit das beklagte Land in dem
angefochtenen Bescheid ausführe, dass die Abweichungsentscheidung nicht von
einer interkommunalen Kooperation habe abhängig gemacht werden können, weil
die Beigeladene darauf nur beschränkt Einfluss nehmen könne, übersehe es, dass
dieser beschränkte Einfluss der Beigeladenen als Unterzentrum notwendige Folge
des Konzepts des oberzentralen Siedlungsraumes sei. Der Plangeber habe
gewollt, dass im oberzentralen Siedlungsraum ohne Zustimmung des
Oberzentrums keine oberzentralen Funktionen wahrgenommen werden sollten.
Selbst wenn die Voraussetzungen für eine Zulassung der Abweichung nach § 12
Abs. 3 HLPG vorgelegen hätten, wäre der angefochtene Bescheid rechtswidrig, weil
der Beklagte sich von sachwidrigen Erwägungen bei der Ausübung seines
Ermessens habe leiten lassen. Der Beklagte habe in der Klageerwiderung als
wesentlichen Ermessensgrund angeführt, mitbestimmend für die
Abweichungsentscheidung sei auch der Umstand gewesen, dass die Klägerin
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Abweichungsentscheidung sei auch der Umstand gewesen, dass die Klägerin
hinsichtlich der Entwicklung der Großfläche Lützellinden ihre selbst gesetzten
Zwischenziele nicht erreicht habe. So sei es ihr nicht gelungen, eine
Entwicklungssatzung auf den Weg zu bringen. Diese Erwägungen seien grob
sachwidrig. Sie, die Klägerin, habe sachliche Gründe gehabt, die zu einer
Verzögerung des Erlasses der Entwicklungssatzung geführt hätten. Der Haupt-
und Planungsausschuss habe nämlich gefordert, dass die Gewerbefläche in
Lützellinden in Funktionsverbindung mit der Stadt Wetzlar zu entwickeln sei. Dem
sei sie, die Klägerin, gefolgt. Der Beklagte habe auch keine Erkenntnisse über den
Stand der Verhandlungen zwischen Wetzlar und Gießen. Er habe davon
abgesehen, sich sachkundig zu machen. Der Beklagte habe aus den angeblichen
Versäumnissen der Klägerin die Konsequenz gezogen, entgegen dem Prinzip der
zentralen Orte und des oberzentralen Siedlungsraums oberzentrale Funktionen
auf ein Unterzentrum zu übertragen. Eine Abweichungsentscheidung sei nicht das
geeignete Instrumentarium für derart weitreichende Entscheidungen. Es komme
hinzu, dass auch das beklagte Land bei der Fortschreibung des Regionalplans den
vorgegebenen Zeitraum von acht Jahren (§ 10 Abs. 7 HLPG) überschreite.
Der angefochtene Bescheid sei auch deshalb ermessensfehlerhaft, weil die
Zulassung der Fläche am Pfaffenpfad damit begründet werde, dass sie, die
Klägerin, auf eine gewerbliche Fläche von 11 ha verzichtet habe. Damit lasse der
Beklagte außer Acht, dass sie, die Beklagte, ihren Verzicht nur unter bestimmten
Voraussetzungen in Aussicht gestellt habe, die im vorliegenden Fall nicht erfüllt
seien. Daraus folge, dass der Beklagte in dem angefochtenen Bescheid die seiner
Entscheidung zugrundeliegenden Tatsachen falsch bewertet habe. Er sei von
einem wirksamen Flächenverzicht ausgegangen, der nicht gegeben sei.
Der Bescheid sei auch rechtswidrig, weil er selbst festlege, dass die
Flächenverzichte im Regionalplan umgesetzt werden. Die Festlegung von Zielen
der Raumordnung sei aber nur durch den Regionalplan möglich. Selbst wenn der
angefochtene Bescheid lediglich darauf hinweisen würde, dass der Flächenverzicht
künftig im Regionalplan umgesetzt werde, sei er rechtswidrig. Denn in diesem Fall
überschreite der Haupt- und Planungsausschuss auch mit solch einem Hinweis
seine Kompetenzen, weil er den Entscheidungen der Regionalversammlung
vorgreife. Hätte der angefochtene Bescheid die verbindliche Umsetzung des
Flächenverzichtes gewährleisten wollen, hätte er die Zulassung der Abweichung
von der aufschiebenden Bedingung der Ausweisung des Flächenverzichts im
Regionalplan abhängig machen müssen. Der Beklagte trage vor, dass die
Regionalversammlung großen Wert darauf gelegt habe, dass durch die
Flächenausweisung die Gesamtbilanz der Gewerbeflächen nicht verändert werde.
Auch dieser Vortrag zeige, dass der Beklagte zwischen der Regionalversammlung
und ihrem Haupt- und Planungsausschuss nicht hinreichend unterscheide. Die
Regionalversammlung habe nämlich im Hinblick auf die angefochtene
Entscheidung gar keine Beschlüsse gefasst. Vielmehr seien solche Beschlüsse
vom Haupt- und Planungsausschuss gefasst worden, der dabei Kompetenzen
wahrgenommen habe, die nur der Regionalversammlung zustünden.
Der angefochtene Bescheid sei auch deshalb rechtswidrig, weil er mit den
Maßgaben 1 und 2 die Klägerin belaste, ohne dass es hierfür eine Rechtsgrundlage
gebe. Er lege im Stadtgebiet von Gießen eine landwirtschaftliche Fläche fest, die
der geltende Regionalplan als Bereich für Industrie und Gewerbe ausweise. § 12
HLPG biete keine Rechtsgrundlage dafür, dass Abweichungsentscheidungen
Maßgaben enthielten, die Dritte belasten.
Die Abweichungsentscheidung sei raumordnerisch auch deshalb unvertretbar, weil
sie unterstelle, dass sich die Fläche am Pfaffenpfad in der zugelassenen Gestalt in
einer Größe von 30 ha wirtschaftlich erschließen lasse. In diesem Zusammenhang
sei von Bedeutung, dass der Bürgermeister der Beigeladenen gegenüber der
Gießener Allgemeine (vom 23. Mai 2008) erklärt habe, die Erschließung des
Gebietes Pfaffenpfad sei durch Erträge aus der Gewerbefläche nur finanzierbar,
wenn es nicht bei den zugestandenen 30 ha bleibe; daher habe er das Ziel, die
kompletten 80 ha gemeinsam mit Nachbargemeinden zu nutzen. Diese
Zielsetzung werde auch aus dem gesamten Schriftverkehr im Vorfeld des
angefochtenen Bescheides deutlich. Es sei rechtswidrig, wenn der Beklagte eine
wirtschaftlich nicht erschließbare Fläche für raumordnerisch vertretbar erkläre.
Das Verwaltungsgericht habe auch den Feststellungsantrag zu Unrecht
abgewiesen. Die der Abweichungsentscheidung beigefügten Maßgaben Nr. 1 und 2
seien nichtig, weil der Haupt- und Planungsausschuss durch sie ganz offenkundig
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seien nichtig, weil der Haupt- und Planungsausschuss durch sie ganz offenkundig
seine durch § 23 Abs. 5 HLPG begrenzten Kompetenzen überschritten habe.
Darüber hinaus habe er auch Normsetzungsbefugnisse für sich in Anspruch
genommen, die ihm nicht zustehen. Ziele der Raumordnung seien generell-
abstrakte Regelungen und damit Rechtsnormen. Insoweit komme es auf die eher
esoterischen Ausführungen des Verwaltungsgerichts nicht an, nach denen
hessische Regionalpläne Allgemeinverfügungen seien. Dementsprechend sei der
Versuch der Änderung des rechtssatzförmigen Regionalplans durch die
Handlungsform des Verwaltungsakts als grob formenmissbräuchlich anzusehen.
Daran ändere sich auch dadurch nichts, dass die Fläche nunmehr im Entwurf des
neuen Regionalplans ausgewiesen sei. Zum einen liege der Aufnahme der Fläche
in den Entwurf des Regionalplans keine landesplanerische Abwägung der
Regionalversammlung zugrunde. Vielmehr habe diese die Fläche ohne eigene
Abwägung aufgrund der bereits ergangenen Abweichungsentscheidung in den
Entwurf übernommen, weil sie die Abweichungsentscheidung als eine gültige
Änderung des Regionalplans aufgefasst habe. Zum anderen sei der
Regionalplanentwurf noch nicht beschlossen. Die Abweichungsentscheidung
erledige sich erst durch das zeitlich noch nicht absehbare Inkrafttreten des
Regionalplans.
Sie, die Klägerin, habe auch ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der
Nichtigkeit der Abweichungsentscheidung. Denn zumindest die Maßgaben Nr. 1
und 2 erweckten den Eindruck, als Ziele der Raumordnung zu gelten und damit
Beachtens- und Anpassungspflichten auszulösen. Damit würde ein
Rechtsverhältnis zwischen den Beteiligten begründet. Das gelte für die Maßgabe 1
deshalb, weil sie Änderungen der Erschließungsplanung der Klägerin im
Geltungsbereich des Bebauungsplans Rechtenbacher Hohl nach sich ziehen
würde, der unmittelbar neben der zugelassenen Abweichungsfläche liege. Für die
Maßgabe Nr. 2 Satz 1 gelte dies, weil diese Maßgabe unmittelbar im Stadtgebiet
eine Beachtenspflicht nach sich ziehe und eine bisher im Regionalplan enthaltene
Rechtsposition entziehe.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Gießen vom 21. Juli 2008 - 1 K 834/08.GI -
abzuändern und den Beschluss des Haupt- und Planungsausschusses der
Regionalversammlung Mittelhessen vom 11. März 2008 in der Gestalt des
Bescheides des Regierungspräsidiums Gießen vom 19. März 2008 aufzuheben,
hilfsweise
festzustellen, dass der Beschluss des Haupt- und Planungsausschusses vom 11.
März 2008 in der Gestalt des Bescheides des Regierungspräsidiums Gießen vom
19. März 2008 nichtig ist.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er macht im Wesentlichen geltend, durch eine Gewerbefläche im
Gemarkungsbereich der Beigeladenen im Umfang von 30 ha, die zudem teilweise
durch Reduzierungen von Gewerbeflächen an anderer Stelle im lokalen Umfeld
ermöglicht werde, werde die oberzentrale Funktion der Klägerin nicht substantiell
beeinträchtigt. Die Klägerin habe sich in der Vergangenheit widersprüchlich
verhalten. Als die Beigeladene noch eine Fläche von 80 ha für sich begehrt habe,
habe die Klägerin ihre prinzipielle Bereitschaft bekundet, durch einen eigenen
Flächenverzicht im Umfang von 22 ha einen Beitrag zur Entwicklung des
Standortes Pfaffenpfad zu leisten. Mit Blick auf die nunmehr von ihr dargestellte
Interessenlage hätte sie einem derartigen Ansinnen aber von vornherein
vehement entgegentreten müssen. Die von der Klägerin dargestellte Folgerung,
ein Gewerbebereich Pfaffenpfad stelle für ihre Gewerbefläche in Lützellinden eine
Konkurrenz dar, sei ohne weitere Belege nicht schlüssig und nachvollziehbar. Dies
gelte umso mehr, als sich die Überlegungen der Klägerin noch in einem
unverbindlichen Stadium befänden.
Hinsichtlich der Maßgaben sei festzuhalten, dass die Argumentation der Klägerin
durch die mittlerweile eingetretene Entwicklung eindrucksvoll widerlegt werde. So
habe die Regionalversammlung Mittelhessen am 1. Oktober 2008 den
Regionalplan Mittelhessen beschlossen. Dabei seien auch die hier in Rede
stehenden einschlägigen Maßnahmen einbezogen worden. Möglicherweise habe
die Regionalversammlung durch die Wahl unterschiedlicher Formulierungen
innerhalb verschiedener Abweichungsentscheidungen einen Beitrag zu einer
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innerhalb verschiedener Abweichungsentscheidungen einen Beitrag zu einer
gewissen Verunsicherung geleistet. Im Gesamtkontext, bei dem alle maßgeblichen
Umstände bei der Auslegung herangezogen würden, werde aber stets hinreichend
deutlich, dass die Zuständigkeit der Regionalversammlung von den Ausschüssen
innerhalb des ihnen von der Geschäftsordnung zugewiesenen Kompetenzbereichs
stets gewahrt worden sei. Soweit die Klägerin sich auf B 3.3-17 (Z) des
Regionalplanes beziehe und anführe, sie habe ihr danach erforderliches
Einvernehmen nicht erteilt, gelte es klarzustellen, dass die
Abweichungsentscheidung zugunsten der Beigeladenen die oberzentrale Funktion
der Klägerin nicht berühre, so dass der genannte Plansatz hier nicht einschlägig
sei. Allerdings sei nicht völlig auszuschließen, dass sich eventuell im Zuge der
Bauleitplanung ausnahmsweise Konstellationen ergeben könnten, die geeignet
seien, eine tatsächliche Beeinträchtigung nachbarlicher Belange hervorzurufen.
Dann wäre die Klägerin befugt dagegen vorzugehen. Die bloße Einräumung einer
gewerblichen Entwicklung im Bereich Pfaffenpfad auf der Ebene der
Regionalplanung verleihe ihr diese Befugnis aber in der konkreten Situation nicht.
Die Klägerin selbst wolle von der Großfläche Lützellinden, die ursprünglich im
Regionalplan 2001 eine Fläche von ca. 200 ha umfasst habe und die dann auf
einen Antrag der Klägerin hin im Jahr 2006 auf 130 ha reduziert worden sei, nur
noch ganze 25 ha entwickeln. Für das Erfordernis der sehr massiven Reduzierung
werde das Projekt Pfaffenpfad auf Seiten der Beigeladenen verantwortlich
gemacht. Dieses Vorgehen der Klägerin erweise sich als unredlich und zugleich
auch als unverständlich. Welchen Sinn solle die Durchführung des
Berufungsverfahrens haben, wenn die Klägerin der von ihr angegriffenen
Entscheidung derartige auf Dauer gerichtete negative Wirkungen zuschreibe. Die
neuerliche massive Reduzierung der vormaligen Großfläche Lützellinden erfolge in
Wahrheit aus anderen Gründen, die der Stadtbaurat der Klägerin gegenüber der
Gießener Allgemeine im Januar 2009 geäußert habe: „Wir haben jetzt zusammen
über 50 ha besiedelbare Gewerbefläche an der Autobahn 45 zur Verfügung. Die
muss man in diesen Zeiten erst einmal vermarkten.“ Demgegenüber bewerte die
Regionalplanung das ursprüngliche Konzept einer Großfläche Lützellinden weiterhin
positiv. Sie denke ihrer Funktion gemäß nicht nur in zentralörtlichen, sondern in
teil- bzw. gesamträumlichen Kategorien und bleibe danach bei ihrer Auffassung,
dass die Flächen um das Gießener Südkreuz sogenannte 1 A-Lagen darstellten.
Sie sei bestrebt, alle Anliegerkommunen an einen Tisch zu bringen. Es gehe nicht
darum, die Klägerin in ihrer Oberzentralität zu schwächen, sondern den Teilraum
insgesamt zu stärken.
Der von der Klägerin angestrengte Versuch, dem nach der Geschäftsordnung
zuständigen Haupt- und Planungsausschuss der Regionalversammlung eine
Kompetenzüberschreitung zu unterstellen, weil er eine planerische
Letztentscheidung getroffen habe, sei untauglich. Der Entwurf des Regionalplans,
der der Landesregierung im Dezember 2008 zur Genehmigung vorgelegt worden
sei, weise den Bereich Pfaffenpfad in der auf 30 ha verringerten Form als
Gewerbezuwachsfläche aus. Werde der Regionalplan in dieser Form in Kraft
gesetzt, so wäre die streitige Abweichungsentscheidung überholt und das
vorliegende Verfahren erledigt.
Das von der Klägerin zitierte Konzept der gewerblichen Schwerpunkte sei in den
Regionalplanentwurf Mittelhessen nicht übernommen worden. Wie die Klägerin
zutreffend ausführe, habe es sich dabei bis auf eine Ausnahme um eine Liste von
Orten gehandelt, die entweder Ober- oder Mittelzentren seien. Diese Orte seien
aufgrund ihrer zentralörtlichen Ausstattung und ihrer Funktion ohnehin als
Gewerbestandorte prädestiniert. Insofern bedürfe es keiner weiteren
Hervorhebung. Durch die Aufgabe des vormaligen Schwerpunktkonzeptes würden
aber Grundzentren nicht von der gewerblichen Entwicklung innerhalb ihres
Gemarkungsbereichs ausgeschlossen. Der von der Klägerin herangezogene
Gesichtspunkt „oberzentraler Siedlungsraum“ habe in den Regionalplanentwurf
(Stand: Juni 2009) jedenfalls keinen Eingang mehr gefunden. Dadurch werde aber
die sich aus der Oberzentralität der Klägerin ableitbare Funktion in keiner Weise
beeinträchtigt. Eine Gewerbefläche von nur noch 30 ha, die eine Umlandgemeinde
noch dazu in der Absicht interkommunaler Kooperation entwickeln wolle, sei
grundsätzlich nicht geeignet, diese oberzentrale Funktion zu beeinträchtigen. Dies
gelte umso mehr, als die Klägerin durch den von ihr in Aussicht gestellten
Flächenverzicht erst eine wesentliche Voraussetzung für die regionalplanerische
Ausweisung des Bereichs Pfaffenpfad geschaffen habe. Die Regionalversammlung
habe nämlich bei ihrer Entscheidung großen Wert darauf gelegt, dass durch die
Flächenausweisung die Gesamtbilanz der Gewerbeflächen nicht geändert und
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Flächenausweisung die Gesamtbilanz der Gewerbeflächen nicht geändert und
deren Bestand auf der Ebene des Regionalplans konstant gehalten werde.
Die Beigeladene hat im Berufungsverfahren keinen Antrag gestellt.
Sie führt aus, die Behauptung der Klägerin, dass eine Erschließung des
projektierten Gewerbegebietes nur finanzierbar wäre, wenn die Fläche auf 80 ha
erweitert würde, sei unzutreffend.
Die Klägerin sei darauf hinzuweisen, dass mit ihrer Stellung als Oberzentrum nicht
nur Rechte, sondern auch Pflichten einhergingen. Die Klägerin habe es über
Jahrzehnte hin versäumt, Industrie- und Gewerbeflächen auszuweisen. Hätte die
Klägerin in der Vergangenheit ausreichend Flächen zur Verfügung gestellt, müsste
sie sich jetzt nicht mit dem von ihr kritisierten Suburbanisierungsprozess
auseinandersetzen. Die Klägerin habe innerhalb ihres Stadtgebietes innerhalb von
Bebauungsplangebieten 24 ha unausgeschöpfte Flächen. Im ersten Entwurf des
Regionalplans seien Vorranggebiete Industrie und Gewerbe - Zuwachs in einem
Umfang von 208 ha ausgewiesen worden. Damit habe sich im Jahr 2008 ein
Flächenpotential von mehr als 230 ha ergeben. Dieses Potential sei im derzeitigen
Entwurf des Regionalplans noch einmal ausgeweitet worden. Vor diesem
Hintergrund damit zu argumentieren, dass die Planungen der Beigeladenen wegen
der Größe des Gebietes oberzentrale Funktionen beeinträchtigten, sei
unzutreffend.
Sofern der Regionalplanentwurf in der derzeitigen Variante von der
Regionalversammlung beschlossen werde, fehle das Rechtsschutzinteresse für das
vorliegende Berufungsverfahren, da in den derzeit offenliegenden Entwurf sowohl
die Antragsflächen der Beigeladenen als auch die „Verzichtsflächen“ der Klägerin
übernommen worden seien.
Es könne dahinstehen, ob die Klage im Übrigen zulässig oder unzulässig sei, da die
Klägerin jedenfalls nicht in ihren subjektiven Rechten verletzt werde. Die Meinung
der Klägerin, dass Handel und Gewerbe zu den zentralen Funktionen gehörten, die
für die Einordnung zentraler Orte maßgeblich seien und zentrale Orte überhaupt
erst konstituierten, sei unzutreffend. Sie finde in der Begründung des
Landesentwicklungsplans Hessen 2000 (4.2) keine Grundlage. Dort werde
ausgeführt:
„Oberzentren sind beispielsweise gekennzeichnet durch Einrichtungen zur
Deckung des höheren spezialisierten Bedarfs, sie weisen beispielhaft folgende
Infrastruktur auf:
- Kultur und Bildung: Hochschulen, Zentral-, Fachbibliothek, überregional
bedeutsame
Museen, Kongresszentrum oder vergleichbare Mehrzweckhalle
- Soziales und Sport: Krankenhaus der Maximalversorgung, Frauenhäuser,
überregio-
nal bedeutsame Sportstätten
- Verkehr: ICE/IC-Haltepunkt, innerstädtisches öffentliches Verkehrsnetz
- Verwaltung und Gerichte: Behörden höherer oder mittlerer Verwaltungsebene,
Gerichte höherer oder mittlerer Instanz“.
Es dürfte unstreitig sein, dass Oberzentren durch ihre infrastrukturelle Ausstattung
eine gewisse Standortgunst aufwiesen und hierdurch Handel und Gewerbe
anzögen. Dies gelte jedoch nicht für alle Branchen gleichermaßen. Es bestehe
gerade kein untrennbarer Zusammenhang zwischen oberzentralen Funktionen, zu
denen ausschließlich die öffentliche Infrastruktur im weitesten Sinne sowie der
Einzelhandel zählten. Vielmehr ziehe die Infrastruktur Handel und Gewerbe nach
sich. Die Bemühungen, der Klägerin aus den nebeneinander stehenden
Zielfestsetzungen des Regionalplans etwas anderes zu konstruieren, seien nicht
haltbar. Sie verkenne, dass das System der zentralen Orte und damit die
Bestimmung eines Oberzentrums an die vorhandene Infrastruktur anknüpfe. Die
Regionalplanung verknüpfe nicht wie in einer Planwirtschaft die Infrastruktur mit
Handel und Gewerbe und unterwerfe sie dem politischen Willen des Plangebers,
sondern bestimme die gewerblichen Schwerpunkte vollzugsorientiert nach der
Interessenlage der potentiellen Nutzer der Plangebiete. Wenn man die
Argumentation der Klägerin konsequent weiterverfolge, würde auch die
Ausweisung eines allgemeinen Wohngebietes oberzentrale Funktionen tangieren.
Bei diesem Verständnis könnten sogar Wohngebiete nach 3.3-17 des
Regionalplans nur im Einverständnis mit dem Oberzentrum festgelegt werden.
Praktisch würde dieses Verständnis dazu führen, dass jede kommunale
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Praktisch würde dieses Verständnis dazu führen, dass jede kommunale
Bauleitplanung im oberzentralen Siedlungsraum nur im Einvernehmen mit dem
Oberzentrum stattfinden könnte. Dies könne nicht richtig sein und würde die
Planungshoheit der Umlandgemeinden nach Art. 28 GG verletzen.
Als Begründung dafür, dass „oberzentrale Funktionen“ tangiert seien, könne auch
nicht die Lage und die Größe bzw. die Qualität der geplanten Fläche Pfaffenpfad
herhalten. Unbestritten weise die streitgegenständliche Fläche eine besondere
Standortgunst auf. Die streitgegenständliche Fläche sei raumordnerisch sinnvoll,
da sie einfach zu erschließen sei, keine Kollisionen mit den Interessen von
Anwohnern aufweise von Immissionen verschont zu bleiben und verkehrlich sehr
gut angebunden sei. Selbstverständlich komme hierzu noch der
Agglomarationsvorteil aufgrund der Lage der Fläche und die Tatsache, dass die
Flächengröße auf die aktuellen Nachfragebedingungen zugeschnitten sei. Letztlich
biete die von der Beigeladenen gewünschte Planung Vorteile für die Region als
Ganzes, insbesondere für den oberzentralen Siedlungsraum. Da die Zulassung der
streitigen Gewerbeflächen keine oberzentrale Funktionen der Berufungsklägerin
tangiere, könne auch nicht ihr Einvernehmensrecht aus B 3.3-17 des
Regionalplans Mittelhessen 2001 verletzt sein. Es dränge sich der Verdacht auf,
dass eine unattraktive Planung der Klägerin dadurch attraktiv gemacht werden
solle, dass keine besser geeigneten Flächen im Siedlungsraum zur Verfügung
stehen dürften. Anhaltspunkt für die Unattraktivität der Planung sei insoweit das
Verhalten der Stadt Wetzlar, die aufgrund ihres Gutachtens von einer
interkommunalen Kooperation mit der Klägerin Abstand genommen habe.
Außerdem befinde sich nur wenige Kilometer von der „Rechtenbacher Hohl“ die
Konversionsfläche „Magna Park“, die gemeinsam von Butzbach und Langgöns
entwickelt worden sei. Dies Gebiet besitze ebenfalls einen Autobahnanschluss und
wäre mit seinen 105 ha ebenfalls für Großgewerbe geeignet. Somit bestehe
bereits eine realistische Alternative zu Lützellinden mit vergleichbarer Lagegunst
und mit Sicherheit günstigerem Hebesatz.
Auch die Maßgaben 1 und 2 des Abweichungsbescheides seien rechtlich nicht zu
beanstanden. Der Klägerin würden durch die Maßgaben keine durch
regionalplanerische Festlegungen begründeten Rechtspositionen entzogen.
Vielmehr würden diese erst durch den neuen Regionalplan entzogen. Aber auch
durch den neuen Plan werde die Klägerin nicht beeinträchtigt, weil ihr im Bereich
der Rechtenbacher Hohl ca. 11 ha Fläche entzogen werde. An anderer Stelle seien
nämlich Bereiche für Industrie und Gewerbe neu hinzugekommen. Insgesamt
stünden der Klägerin mehr Flächen als vor der Abweichungsentscheidung zur
Verfügung. Selbst wenn man die Richtigkeit des Vortrags der Berufungskläger
unterstelle, habe dies lediglich zur Folge, dass die insoweit belastenden Maßgaben
aufgehoben werden müssten, nicht jedoch die Abweichungsentscheidung als
solche. Eine Teilaufhebung sei geboten, wenn der Verwaltungsakt teilbar sei und
sich die Rechtswidrigkeit des einen Teils nicht auf den Rest des Verwaltungsaktes
auswirke. Teilbar sei der Verwaltungsakt, wenn er ohne den fraglichen Teil
sinnvoller- und rechtmäßigerweise bestehen bleiben könne. Genauso liege der Fall
hier.
Entgegen der Auffassung der Klägerin seien die tatbestandlichen Voraussetzungen
einer Abweichungszulassung gemäß § 12 HLPG gegeben. Die Ausführungen der
Klägerin beruhten auf einem grundlegend falschen Verständnis des vorliegenden
Regionalplans und der Regionalplanung im Allgemeinen. Es sei nicht so, dass die
Nicht-Oberzentren in einem oberzentralen Siedlungsraum lediglich für die
Wünsche und Absichten der Klägerin zur Verfügung stünden. Vielmehr könnten
und sollten sich auch diese eigenverantwortlich entwickeln. Gerade
interkommunale Gewerbegebiete lägen typischerweise im „suburbanen“ Raum,
das heißt außerhalb der Ortslage. Hieraus zu schließen, dass eine Maßnahme
raumordnerisch unvertretbar sei, könne nicht richtig sein. Es sei befremdlich, wenn
die Stadt Gießen eine interkommunale Kooperation einfordere. Eine solche
Kooperation beruhe auf Gegenseitigkeit. Die Klägerin lasse jedoch ein modernes
Verständnis von kooperativer und konsensualer Planung sowie die notwendige
Sensibilität im Umgang mit den Umlandgemeinden vermissen.
Die Abweichungsentscheidung sei auch nicht deswegen unvertretbar, weil in den
Nebenbestimmungen keine verpflichtende interkommunale Zusammenarbeit
geregelt worden sei. Zwar sei diese wünschenswert, deren Erfolg derzeit jedoch
unwahrscheinlich. Darüber hinaus bestehe bei einer Fläche, wie sie hier im Streit
stehe, keine Verpflichtung zur interkommunalen Entwicklung.
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Ein Hefter mit Unterlagen der Klägerin sowie die einschlägigen
Verwaltungsvorgänge des Beklagten (1 Ordner und 1 Hefter) liegen vor und waren
Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
Die vom Senat zugelassene und auch im Übrigen zulässige Berufung ist
begründet.
Zutreffend führt das Verwaltungsgericht aus, dass es sich bei dem Hauptantrag
der Klägerin gegen die Entscheidung über die Abweichung vom Regionalplan
Mittelhessen 2001 (Beschluss des Haupt- und Planungsausschusses der
Regionalversammlung Mittelhessen vom 11. März 2008 in der Gestalt des
Bescheides des Regierungspräsidiums Gießen vom 19. März 2008) um eine
Anfechtungsklage handelt. Soweit das Verwaltungsgericht zur Begründung dieser
Ansicht unter Bezugnahme auf das Urteil des Senats vom 15. August 2002 - 4 N
3272/01 - (ESVGH 53, 39 - 48) ausführt, Regionalpläne hätten keinen
Normcharakter, sondern seien Allgemeinverfügungen im Sinne des § 35 Satz 2
HVwVfG, ist darauf hinzuweisen, dass der Senat nunmehr im Einklang mit der
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vom 20. November 2003 -
BVerwG 4 CN 6/03 - (BRS 66 Nr. 55) davon ausgeht, dass in einem Regionalplan
enthaltene Ziele der Raumordnung Rechtsvorschriften im Sinne des § 47 Abs. 1
Nr. 2 VwGO sind. Dies bedeutet jedoch nicht, dass auch die Zulassung einer
Abweichung von einem raumordnerischen Ziel selbst Rechtssatzqualität hätte.
Ebenso wie die Zulassung einer Abweichung von Festsetzungen eines
Bebauungsplans keinen Normcharakter hat, sondern lediglich von der Pflicht zur
Einhaltung der Festsetzung des Bebauungsplans durch Einzelfallregelung im Wege
eines Verwaltungsaktes entbindet, stellt auch die Zulassung einer Abweichung von
Zielen der Raumordnung einen Verwaltungsakt dar. Der Entscheidung über die
Zielabweichung kommt gegenüber demjenigen, der die Abweichung beantragt hat,
sowie den von der Abweichung Betroffenen Außenwirkung zu, denn durch diese
werden Rechte einer außerhalb der Verwaltung stehenden Rechtsperson
unmittelbar begründet, verbindlich festgestellt oder mit bindender Wirkung
verneint (vgl. Schmitz, in: Bielenberg/Runkel/Spannowsky, Raumordnungs- und
Planungsrecht des Bundes und der Länder, Stand: Oktober 2009, K § 11 Rdnr.
114). Dieser Auffassung ist der Hessische Landesgesetzgeber durch die Regelung
des § 12 Abs. 5 Satz 2 HLPG gefolgt, wonach ein Widerspruchsverfahren nach § 68
VwGO gegen die Abweichungsentscheidung nicht stattfindet. Damit hat der
Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, dass die Abweichungsentscheidung als
Verwaltungsakt ohne Vorverfahren mit der Klage angefochten werden kann.
Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts fehlt es der Klägerin nicht an
der erforderlichen Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO, da nach ihrem
Vorbringen die Verletzung eigener Rechte als möglich erscheint. Erforderlich und
ausreichend ist hierfür, dass es ein subjektives Recht in der von der Klägerin
behaupteten Art überhaupt gibt, die streitgegenständliche Bestimmung also
zumindest auch ihren subjektiven Interessen zu dienen bestimmt ist, die Klägerin
zu deren geschützten Personenkreis gehört und eine Rechtsverletzung nicht
offensichtlich ausgeschlossen ist.
Soweit die Klägerin geltend macht, die streitige Abweichungsentscheidung verletze
sie in ihrer oberzentralen Funktion nach der Zielfestlegung B 3.3-9 und in dem
Einvernehmensgebot nach der Zielfestlegung B 3.3-17 des Regionalplans
Mittelhessen 2001, dürfte es sich um abwehrfähige Rechte handeln, die nicht nur
im Rahmen eines Normenkontrollverfahrens nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO gegen
einen Bebauungsplan gemäß § 2 Abs. 2 Satz 2 BauGB geltend gemacht werden
können (Koch/Hendler, Baurecht, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, 5.
Aufl., S. 143, und Schmitz, in: Bielberg/Runkel/Spannowsky, a. a. O., K § 11 Rdnr.
115), sondern auch im Wege der Anfechtungsklage gegen eine
Abweichungsentscheidung (OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 15. Oktober 2008 - 1
A 10388/08 - BRS 73 Nr. 7, insoweit bestätigt durch Urteil des
Bundesverwaltungsgerichts vom 5. November 2009 - BVerwG 4 C 3.09 - DVBl.
2010, S. 180 ff.). Insbesondere das Einvernehmensgebot nach B 3.3-17 stellt ein
verbindliches Ziel der Raumordnung dar, das der Klägerin eine Mitwirkungsbefugnis
verleiht.
Die insoweit von der Klägerin gerügte Rechtsverletzung ist jedoch nicht möglich, da
die angefochtene Abweichungsentscheidung sich zu der Ausweisung der Klägerin
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die angefochtene Abweichungsentscheidung sich zu der Ausweisung der Klägerin
als Oberzentrum gar nicht verhält und von dem Einvernehmensgebot B 3.3-17
keine Abweichung zulässt. Wie das Bundesverwaltungsgericht (a. a. O.) ausführt,
muss sich der gewollte Regelungsgehalt eines Verwaltungsakts entweder aus dem
Tenor des Bescheides oder aus den sonstigen Umständen klar und
unmissverständlich ergeben. Der Tenor der streitigen Abweichungsentscheidung
enthält aber gar keine Präzisierung, von welchen Zielfestlegungen des
Regionalplans er überhaupt eine Abweichung gestatten will, sondern begrenzt die
Abweichung lediglich räumlich unter Hinweis auf die beigefügte Karte Nr. 2 und
sachlich hinsichtlich der Ausweisung eines interkommunalen Gewerbeparks. Aus
der Begründung der Abweichungsentscheidung wird jedoch hinreichend deutlich,
dass die Abweichungsentscheidung sich ausschließlich auf die flächenbezogenen
Zielfestlegungen „Bereich für Landwirtschaft“ bzw. „Bereich für
Landschaftsnutzung und -pflege“, „Bereich für besondere Klimafunktionen“ und
„Regionaler Grünzug“ bezieht und dass dementsprechend nur eine Abweichung
von diesen Zielfestlegungen zugelassen werden sollte. Denn nur hinsichtlich dieser
flächenbezogenen Zielfestlegungen enthält die Begründung der
Abweichungsentscheidung und die raumordnerische Bewertung
Ermessenserwägungen. Die oberzentrale Funktion der Klägerin und das
Einvernehmensgebot nach der Zielfestsetzung B 3.3 - 17 des Regionalplans
Mittelhessen 2001 werden an keiner Stelle erwähnt. Dementsprechend verleiht die
Abweichungsentscheidung der Beigeladenen keine Befugnis, die oberzentrale
Funktion der Klägerin in Frage zu stellen oder das Einvernehmensgebot außer Acht
zu lassen. Für eine regionalplanerische Entscheidung zu diesen beiden
Gesichtspunkten bestand für den Beklagten auch kein Anlass, denn der
Abweichungsantrag der Beigeladenen bezog sich ebenfalls ausschließlich auf die
oben genannten flächenbezogenen Darstellungen und nicht auf die oberzentrale
Funktion der Klägerin oder das Einvernehmensgebot nach B 3.3 - 17 des
Regionalplans Mittelhessen 2001. Für eine Abweichungsentscheidung hinsichtlich
dieses Einvernehmensgebots bestand aus Sicht des Beklagten im Übrigen auch
deshalb keine Veranlassung, weil er (unzutreffender Weise) davon ausging, die
Abweichungsentscheidung ergehe im Einvernehmen mit der Klägerin.
Danach steht fest, dass die streitige Abweichungsentscheidung die Vereinbarkeit
des Vorhabens mit der oberzentralen Funktion der Klägerin nicht verbindlich
feststellt und dass die Beigeladene auch nicht von der Verpflichtung entbunden
wird, Einzelmaßnahmen, die oberzentrale Funktionen enthalten, nur im
Einvernehmen mit dem Oberzentrum festzulegen (B 3.3.-17 des Regionalplans
Mittelhessen 2001). Dementsprechend ist eine Verletzung der der Klägerin
insoweit zustehenden Rechte offensichtlich ausgeschlossen.
Der Klägerin steht die erforderliche Klagebefugnis aber deshalb zu, weil die im
Tenor der Entscheidung enthaltene Maßgabe 2. unmittelbar geltende Regelungen
für Teile des Gemeindegebiets der Klägerin trifft und die Klägerin insoweit in ihrer
durch Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG gewährleisteten kommunalen Planungshoheit
verletzt sein kann (Schmitz, in: Bielenberg/Runkel/Spannowsky, a. a. O., K § 11
Rdnr. 114).
Bei der Maßgabe 2. handelt es sich nicht um einen unverbindlichen Hinweis auf
eine künftige Regelung im neuen Regionalplan. Aus der im angefochtenen
Bescheid enthaltenen raumordnerischen Bewertung wird nämlich deutlich, dass es
dem Beklagten entscheidend darauf ankam, die in der Region vorgesehene
Gewerbefläche insgesamt nicht zu erhöhen. Nur bei gleichzeitigem Fortfall
anderweitiger geplanter Gewerbeflächen konnte dem Vorhaben der Beigeladenen
zugestimmt werden. Dies hat die Beklagte in ihrem Schriftsatz vom 15. März 2010
nochmals bestätigt. Dem Verwaltungsgericht und der Beigeladenen ist dabei
zuzugestehen, dass sich dem Wortlaut der 2. Maßgabe nicht zweifelsfrei
entnehmen lässt, ob durch diese Maßgabe bereits der Regionalplan Mittelhessen
2001 modifiziert werden soll oder ob sich diese Maßgabe auf den künftigen
Regionalplan beziehen soll. Aus dem tatsächlichen und rechtlichen
Gesamtzusammenhang des angefochtenen Bescheides ist aber zu entnehmen,
dass sich die Maßgabe auf den gegenwärtig noch gültigen Regionalplan
Mittelhessen 2001 beziehen muss. Denn eine Maßgabe, die die Zulassung einer
Abweichung vom Regionalplan 2001 davon abhängig macht, dass der künftige
Regionalplan mit einem entsprechenden Inhalt in Kraft tritt, wäre völlig sinnlos, weil
mit dem Inkrafttreten des neuen Regionalplans der alte Regionalplan ohnehin
unbeachtlich wird. Steht somit fest, dass der Beklagte durch die Maßgabe 2.
sicherstellen wollte, dass auch schon vor dem Inkrafttreten des neuen
Regionalplans die regionale Gewerbeflächenbilanz unverändert bleibt, so hatte er
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Regionalplans die regionale Gewerbeflächenbilanz unverändert bleibt, so hatte er
den erkennbaren Regelungswillen, die in der Karte Nr. 2 bezeichnete, 11 ha große
Fläche der Stadt Gießen als „Vorranggebiet für Landwirtschaft“ und zusätzlich als
„Vorranggebiet Regionaler Grünzug“ darzustellen. Dieser Regelungswille wird auch
im Wortlaut der Maßgabe 2. hinreichend deutlich.
Die mithin zulässige Klage ist auch begründet. Dies gilt schon deshalb, weil die
Maßgabe 2. in den ausschließlichen Kompetenzbereich der Regionalversammlung
fällt, der gemäß § 23 Abs. 5 Satz 4 Nr. 2 HLPG nicht auf Ausschüsse übertragen
werden kann. Denn durch die Maßgabe 2. wird über eine bloße
Abweichungsentscheidung hinaus bezüglich der in der Karte Nr. 2 (als Anlage der
Abweichungsentscheidung) verzeichneten Gebiete das Ziel "Vorranggebiet für
Landwirtschaft" festgelegt und die Fläche in der Gemarkung Gießen-Lützellinden
zusätzlich als "Vorranggebiet regionaler Grünzug" ausgewiesen. Damit ändert die
Maßgabe 2. der Sache nach den Regionalplan Mittelhessen 2001 und stellt eine
partielle Neuplanung dar. Werden als Nebenbestimmung einer
raumordnungsrechtlichen Abweichungsentscheidung neue raumordnerische Ziele
festgelegt, so stellt dies eine inhaltliche Änderung des Regionalplans dar; hierfür
bedarf es einer Beschlussfassung über den Regionalplan, die gemäß § 23 Abs. 5
Satz 4 Nr. 2 HLPG nicht auf Ausschüsse übertragen werden kann. Darüber hinaus
spricht viel dafür, dass auch die Beschlussfassung über "echte
Abweichungsentscheidungen", die den Regionalplan als solchen unverändert
lassen, der Regionalversammlung selbst vorbehalten bleiben muss und nicht auf
einen Ausschuss delegiert werden kann. § 22 Abs. 2 Nr. 2 HLPG legt nämlich fest,
dass die Regionalversammlung über die Abweichung vom Regionalplan zu
entscheiden hat; § 12 Abs. 4 HLPG setzt eine Entscheidung der
Regionalversammlung, eine Abweichung zuzulassen oder zu versagen, voraus.
Dementsprechend wird auch in der Begründung des Gesetzentwurfes zur
Neufassung des Hessischen Landesplanungsgesetzes vom 12. März 2002
(Landtagsdrucks. 15/3746 - Seite 25) ausgeführt: "Die Regionalversammlungen als
Plangeber sollen auch weiterhin Einfluss auf den Planvollzug haben und deshalb
auch für die Entscheidungen über die Abweichungen zuständig bleiben." Der Senat
vermag aus der Befugnis der Regionalversammlung, ihre inneren Angelegenheiten
und die Wahrnehmung ihrer Aufgaben zu organisieren (§ 22 Abs. 3 Satz 2 HLPG)
keine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage für eine Delegation der in § 22 Abs. 2
Nr. 2 HLPG eingeräumten Kompetenzen auf Ausschüsse zu entnehmen. Denn die
Übertragung von Entscheidungsbefugnissen eines Plenums auf einen Ausschuss
stellt keine bloße Regelung der Organisation der Aufgabenwahrnehmung dar,
sondern ist eine Verlagerung der Aufgabenwahrnehmung selbst. Auch § 23 Abs. 5
HLPG, der die Übertragung bestimmter Aufgaben auf die Ausschüsse verbietet,
ermächtigt nicht dazu, alle nicht ausgeschlossenen Aufgaben an Ausschüsse zu
delegieren. Die mit diesen Gesichtspunkten zusammenhängenden Fragen können
aber im vorliegenden Verfahren auf sich beruhen, da die Maßgabe 2. der streitigen
Abweichungsentscheidung sich im vorliegenden Fall als partielle Neuplanung
darstellt, die keinesfalls in den Zuständigkeitsbereich des Haupt- und
Planungsausschusses fällt. Schon aus diesem Grund ist die Maßgabe 2.
rechtswidrig.
Die Maßgabe 2. ist darüber hinaus auch aus einem zweiten, die vorliegende
Entscheidung selbstständig tragenden Grund rechtswidrig. Denn ein wirksamer
"Flächenverzicht" der zur Festlegung der Maßgabe 2. bezüglich des Gebiets der
Klägerin in der Sache berechtigt hätte, liegt nicht vor. Zum einen ist festzuhalten,
dass die Klägerin einen unmittelbaren Flächenverzicht gar nicht erklärt hat,
sondern lediglich mitgeteilt hat, sie werde im künftigen Regionalplan auf eine
gewerbliche Fläche von 11 ha verzichten. Zum anderen hat sie ihren künftigen
Verzicht von sieben Voraussetzungen abhängig gemacht, die jedoch nicht
vollständig erfüllt sind, wie der Beklagte im angefochtenen Bescheid auf Seite 8
selbst näher ausführt. Die Begrenzung der Einzelvorhaben auf eine Fläche von
maximal 6 ha, der Vorschlag einer Zweckverbandslösung als künftiger Rechtsform
der interkommunalen Zusammenarbeit, sowie die Hinweise zur Erschließung des
Geländes sind insbesondere nach wie vor nicht umgesetzt. Soweit der Beklagte
ausführt, dass diese Gesichtspunkte im Rahmen der streitigen
Abweichungsentscheidung nicht geregelt werden konnten, mag dies zutreffen.
Dies ändert aber nichts daran, dass der Flächenverzicht der Klägerin erst nach
oder bei Erfüllung der von ihr aufgestellten Voraussetzungen erfolgen sollte.Lagen
somit die Voraussetzungen für den Erlass einer Abweichungsentscheidung
bezüglich der in Maßgabe 2. genannten Flächen der Klägerin nicht vor, so verletzt
die gleichwohl getroffene Regelung die Klägerin in ihrer Planungshoheit, die durch
das in Art. 28 Abs. 2 Satz 2 GG gewährleistete kommunale Selbstverwaltungsrecht
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das in Art. 28 Abs. 2 Satz 2 GG gewährleistete kommunale Selbstverwaltungsrecht
geschützt ist (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 1. August 2002 - BVerwG
4 C 5.01 - BRS 65 Nr. 10). Die Maßgabe 2. der angefochtenen Verfügung ist mithin
rechtswidrig und verletzt eigene Rechte der Klägerin. Denn durch die Maßgabe 2.
wird die 11 ha große Fläche im Stadtgebiet der Klägerin der Bauleitplanung
entzogen. Die in § 2 Abs. 1 Satz 1 BauGB den Gemeinden zur eigenen
Verantwortung übertragene Bauleitplanung ist jedoch Kernbestandteil der
kommunalen Planungshoheit und damit des verfassungsrechtlich garantierten
Selbstverwaltungsrechts der Gemeinde für die Angelegenheiten der örtlichen
Gemeinschaft. Sie umfasst das ihr als Selbstverwaltungskörperschaft zustehende
Recht auf Planung der baulichen und sonstigen Nutzung der Grundstücke in ihrem
Gebiet. Dabei kann im vorliegenden Verfahren offenbleiben, ob eine
Rechtsverletzung der Gemeinde durch eine überörtliche Planung nur dann in
Betracht kommt, wenn die überörtliche Planung eine hinreichend bestimmte
örtliche Planung nachhaltig stört (verneinend zum Beispiel Battis, in:
Battis/Krautzberger/Löhr, Baugesetzbuch, Kommentar, 11. Aufl., § 2 Rdnr. 22,
bejahend NWVerfGH, Urteil vom 25. Juni 2002 - VerfGH 42/00 - NVwZ 2003, 202
ff.). Im vorliegenden Fall bestehen jedenfalls bezüglich der streitigen Fläche
hinreichend konkrete planerische Vorstellungen der Klägerin, die durch die
Maßgabe 2. durchkreuzt werden. Eine gemeindliche Planung ist nicht erst dann
hinreichend konkretisiert, wenn sie das Stadium eines verbindlichen Bauleitplans
erreicht hat (NWVerfGH a. a. O.). Vielmehr können auch auf andere Weise
dokumentierte örtliche Planungsvorstellungen Bedeutung erlangen. Dies ist hier
der Fall. Dabei ist von entscheidender Bedeutung, dass die im Regionalplan
Mittelhessen 2001 dargestellte Gewerbefläche in Gießen-Lützellinden bereits das
Ergebnis eines planerischen Prozesses ist, in den die Klägerin ihre eigenen
bestehenden Planungsabsichten eingebracht hat. Die regionale
Planungsversammlung Mittelhessen hat diese klägerischen Planungsabsichten
aufgegriffen und zum Gegenstand der regionalplanerischen Festlegungen
gemacht. In der Folgezeit hat die Klägerin ihre Planungen weiter vorangetrieben.
So hat die Stadtverordnetenversammlung der Klägerin am 26. März 2009
beschlossen, für den gesamten im Regionalplan ausgewiesenen gewerblichen
Bereich von 130 ha ein Verfahren zur Änderung des Flächennutzungsplans mit
dem Ziel der Darstellung dieses Bereichs einzuleiten.
Entgegen der Auffassung der Beigeladenen erfasst die Rechtswidrigkeit der
Maßgabe 2. den gesamten Abweichungsentscheid. Denn es handelt sich bei der
Maßgabe 2. nach dem Gesamtzusammenhang der Begründung des Bescheides
um keine selbstständig angreifbare Auflage, die etwa die Beigeladene zu erfüllen
hätte, sondern um eine in der Kompetenz des Beklagten liegende Regelung einer
Rahmenbedingung, die die Abweichungsentscheidung als solche erst ermöglicht.
Denn aus der Begründung der Abweichungsentscheidung und der beigefügten
raumordnerischen Bewertung ist zu entnehmen, dass durch die Maßgabe 2. die
entscheidende Voraussetzung dafür geschaffen worden ist, die die
Abweichungsentscheidung erst vertretbar macht. Auch aus dem Tenor der
angefochtenen Abweichungsentscheidung ergibt sich, dass die Zulassung der
Abweichung und die beigefügten fünf Maßgaben eine unaufgebbare Einheit
darstellen, aus der kein Teilstück herausgebrochen werden kann, ohne den übrigen
Inhalt der Regelung in Frage zu stellen. Danach steht fest, dass die
Rechtswidrigkeit der Maßgabe 2. den gesamten angefochtenen Bescheid erfasst.
Im Hinblick darauf, dass die Klage mit dem Hauptantrag Erfolg hat, ist der
Hilfsantrag gegenstandslos.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO. Da die
Beigeladene im Berufungsverfahren keinen Antrag gestellt und sich damit keinem
Kostenrisiko ausgesetzt hat (§ 154 Abs. 3 VwGO) entspricht es nicht der Billigkeit,
ihre außergerichtlichen Kosten der unterliegenden Partei aufzuerlegen.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt
aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.
die obersten Bundesgerichte erfolgt.