Urteil des HessVGH vom 19.04.1989

VGH Kassel: aufenthaltserlaubnis, überwiegendes öffentliches interesse, asylbewerber, offensichtliches versehen, aufschiebende wirkung, amnesty international, politische verfolgung, anerkennung

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
10. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
10 TH 898/89
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 16 Abs 2 S 2 GG, § 2
Abs 1 S 2 AuslG, § 14 Abs 1
S 1 AuslG, § 21 Abs 3 S 1
AuslG, § 10 AsylVfG
(Zur Abschiebung von Sikhs nach bestandskräftiger
Ablehnung ihrer Asylanträge)
Gründe
I.
Der 1956 geborene Antragsteller ist indischer Staatsangehöriger und Sikh. Er
verließ sein Heimatland mit einem in C ausgestellten indischen Reisepaß am 20.
Juni 1980, reiste über Belgien ins Bundesgebiet ein und stellte mit Anwaltschreiben
vom 26. Juni 1980 Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter mit der
Behauptung, er sei Mitglied der Akali-Dal-Partei und habe von der Polizei verhaftet
werden sollen, weil er für diese Partei Propagandamaterial verteilt und Reden
gehalten habe. Die Polizei sei bei ihm am 26. Januar 1980 erschienen und habe ihn
aufgefordert, nicht weiter an politischen Aktivitäten seiner Partei teilzunehmen.
Den Asylantrag lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer
Flüchtlinge mit Bescheid vom 27. April 1981 -- 436/14443/80 -- ab. Die daraufhin
vom Antragsteller erhobene Asylverpflichtungsklage wies das Verwaltungsgericht
Wiesbaden mit Urteil vom 25. Februar 1983 -- IV/V E 7975/81 -- ab. Die vom
beschließenden Senat mit Beschluß vom 20. Dezember 1984 -- 10 TE 288/83 --
zugelassene Berufung gegen dieses Urteil wies der Senat mit Beschluß vom 30.
Juli 1986 -- 10 UE 3051/84 -- zurück. Die Beschwerde des Antragstellers gegen die
Nichtzulassung der Revision in diesem Beschluß blieb erfolglos (Beschluß des
BVerwG vom 9. Juni 1987).
Mit Anwaltschreiben vom 7. Juli 1987 ließ der Antragsteller sodann bei der
Antragsgegnerin einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis stellen und
machte zur Begründung unter Vorlage einer Bescheinigung seines Arbeitgebers,
des Inhabers des "C" in F vom 3. September 1987, geltend, er sei für seinen
Arbeitgeber unentbehrlich und habe sich inzwischen nach einer Aufenthaltsdauer
von sieben Jahren in der Bundesrepublik Deutschland integriert. Seine
persönlichen und finanziellen Verhältnisse seien geordnet, seine Führung sei
einwandfrei. Darüber hinaus könne er derzeit nicht in sein Heimatland
zurückkehren, da der indische Teil des Punjab derzeit als Krisengebiet einzustufen
sei und nach Schätzungen religiöser Führer der Sikhs seit der Ermordung Indira
Gandhis 40.000 Sikhs umgekommen seien. Die Situation dort habe sich nochmals
verschlimmert, seitdem der Punjab unter Zentralverwaltung gestellt worden sei.
Diese Situation habe den Oberstadtdirektor der Stadt Köln und die saarländische
Landesregierung veranlaßt, Sikhs aus ihrem Zuständigkeitsbereich nicht mehr
nach Indien abzuschieben.
Im Rahmen des Verwaltungsverfahrens holte die Antragsgegnerin eine
Stellungnahme des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge
vom 7. September 1987 zu der Frage ein, ob Sikhs in Indien mit politischer
Verfolgung zu rechnen haben. Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer
Flüchtlinge verneinte dies im wesentlichen unter Bezugnahme auf den zitierten
Senatsbeschluß vom 30. Juli 1986.
Der Oberbürgermeister der Antragsgegnerin gab dem Antragsteller sodann mit
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Der Oberbürgermeister der Antragsgegnerin gab dem Antragsteller sodann mit
Schreiben vom 4. Dezember 1987 Gelegenheit zur schriftlichen Äußerung und
lehnte mit Bescheid vom 8. Januar 1988 den Antrag auf Erteilung einer
Aufenthaltserlaubnis vom 7. Juli 1987 ab. Gleichzeitig wies die Ausländerbehörde
den Antragsteller auf seine Ausreiseverpflichtung nach § 12 Abs. 1 AuslG hin und
drohte ihm für den Fall, daß er nicht innerhalb von vier Wochen nach Zustellung
der Verfügung ausreisen sollte, die Abschiebung an. In der bei den beigezogenen
Behördenakten befindlichen Abschrift des zur Abfassung des Bescheids
verwendeten Tenorierungsformulars ist ferner die Rubrik "Ausweisungsverfügung"
angekreuzt, ohne daß in dem zugehörigen Formulartext die vorgesehenen
Ergänzungen bezüglich eines Ausweisungsgrundes (§ 10 Abs. 1 AuslG) und der
Dauer des Aufenthaltsverbots vorgenommen sind. Zur Begründung dieses
Bescheids führte der Oberbürgermeister der Antragsgegnerin im wesentlichen
aus, die Einreise des Antragstellers sei ausschließlich zur Durchführung eines
Asylverfahrens erfolgt, der zu diesem Zweck gestattete langjährige Aufenthalt
habe keinen Vertrauenstatbestand geschaffen. Bei Ausübung des Ermessens der
Ausländerbehörde gebühre dem öffentlichen Interesse an der genauen Einhaltung
und Beachtung der ausländerrechtlichen Gesetze und Vorschriften der Vorrang vor
den entgegenstehenden persönlichen Interessen des Antragstellers am weiteren
Verbleib im Bundesgebiet. Nach herrschender Auffassung bestehe ein
überwiegendes öffentliches Interesse daran, daß Asylbewerber nach Abschluß
ihres Asylverfahrens das Bundesgebiet wieder verlassen. Wegen weiterer
Einzelheiten wird auf den Bescheid vom 8. Januar 1988 Bezug genommen, der
dem damaligen Bevollmächtigten des Antragstellers am 14. Januar 1988
zugestellt wurde.
Am 28. Januar 1988 hat der Antragsteller bei der Antragsgegnerin Widerspruch
gegen den Bescheid vom 8. Januar 1988 eingelegt und bei dem
Verwaltungsgericht Frankfurt am Main Antrag auf Anordnung der aufschiebenden
Wirkung dieses Widerspruchs gestellt. Zur Begründung der Rechtsbehelfe hat er
die Auffassung vertreten, seine Ausweisung und die Ablehnung der Erteilung einer
Aufenthaltserlaubnis seien aus humanitären Gründen nicht zu verantworten und
verstießen gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Ferner hat er
behauptet, er sei mittlerweile mit einer deutschen Staatsangehörigen verlobt, die
Eheschließung solle in Kürze stattfinden.
Der Antragsteller hat beantragt,
die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 27. Januar 1988 gegen die
Ausweisungsverfügung des Antragsgegners vom 8. Januar 1988 anzuordnen.
Die Antragsgegnerin hat beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Sie hält die angegriffene Verfügung für rechtmäßig und hat zur Klarstellung darauf
hingewiesen, daß der Bescheid entgegen der Auffassung des Antragstellers keine
Ausweisung beinhalte, wie sich eindeutig der Begründung entnehmen lasse, die
sich ausschließlich und zutreffend im Rahmen der Ermessensausübung mit den
gegensätzlichen öffentlichen und privaten Interessen auseinandersetze. Es
entspreche ständiger Rechtsprechung, in Fällen der vorliegenden Art die
Aufenthaltserlaubnis abzulehnen, da bei Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis
einerseits eine faktische Einwanderung in das Bundesgebiet gestattet und
andererseits ein Anreiz zum Mißbrauch des Asylrechts geschaffen würde.
Das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main hat den Aussetzungsantrag mit
Beschluß vom 20. Februar 1989 abgelehnt und zur Begründung ausgeführt, es
könne dahingestellt bleiben, ob die weitere Anwesenheit des Antragstellers
Belange der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtige, jedenfalls habe der
Oberbürgermeister der Antragsgegnerin die beantragte Aufenthaltserlaubnis aus
rechtlich nicht zu beanstandenden Ermessenserwägungen abgelehnt. Sinn des
Aufenthalts eines Ausländers während des Asylverfahrens sei es gerade nicht,
seine Integration zu ermöglichen. Es bestehe ein erhebliches öffentliches Interesse
daran, daß abgelehnte Asylbewerber das Bundesgebiet wieder verlassen, denn die
Bundesrepublik Deutschland sei kein Einwanderungsland. Entgegen der
Auffassung des Antragstellers ständen der Ablehnung der Erteilung der
Aufenthaltserlaubnis auch keine humanitären Gründe entgegen, die Ablehnung sei
auch nicht unverhältnismäßig und stelle keine Härte dar. Dem Antragsteller sei
zuzumuten, in sein Heimatland zurückzukehren und sich dort wieder zu
integrieren, zumal ihm in Indien keine politische Verfolgung drohe, wie aufgrund
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integrieren, zumal ihm in Indien keine politische Verfolgung drohe, wie aufgrund
der eingeholten Auskunft des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer
Flüchtlinge vom 7. September 1987 feststehe.
Gegen diesen seinen Prozeßbevollmächtigten am 2. März 1989 zugestellten
Beschluß hat der Antragsteller bei dem Verwaltungsgericht Frankfurt am Main am
14. März 1989 Beschwerde eingelegt, zu deren Begründung er sich auf sein
bisheriges Vorbringen bezieht.
Die Beteiligten sind mit Schreiben des Berichterstatters vom 30. März 1989 unter
anderem auf die Senatsurteile vom 22. Oktober 1987 -- 10 UE 3116/86 und 10 UE
3134/86 -- sowie auf insgesamt 121 dem Senat vorliegende Dokumente
hingewiesen worden. Wegen der Einzelheiten wird auf das Schreiben vom 30. März
1989 und die den Beteiligten übersandte Liste der Dokumente hingewiesen.
Dem Senat liegen die den Antragsteller betreffenden Akten der Antragsgegnerin
vor. Zur weiteren Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf die bei den
Gerichtsakten (Bl. 7 GA) befindliche Fotokopie der dem früheren Bevollmächtigten
des Antragstellers zugestellten Ausfertigung des Bescheids des
Oberbürgermeisters der Antragsgegnerin vom 8. Januar 1988 Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet. Denn das Verwaltungsgericht hat
den Aussetzungsantrag zu Recht abgelehnt. Auf die zutreffenden Ausführungen
des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main in dem angefochtenen Beschluß wird
gemäß Art. 2 § 7 Abs. 1 EntlG zur weiteren Begründung Bezug genommen.
Entgegen der Auffassung des Antragstellers enthält der angegriffene Bescheid des
Oberbürgermeisters der Antragsgegnerin keine Ausweisung des Antragstellers,
obgleich die Abschrift des Bescheids bei den beigezogenen Behördenakten und
die in dieser Abschrift angekreuzte Rubrik "Ausweisungsverfügung" im
verwendeten Tenorierungsvordruck den Anschein erweckt, als habe auch die
Ausweisung verfügt werden sollen. Neben dem Fehlen notwendiger Angaben zum
Ausweisungsgrund und zur Dauer der Wirkung einer Ausweisung auch in der
Abschrift des angegriffenen Bescheids bei den Behördenakten spricht aber
insbesondere die vom Antragsteller im Aussetzungsverfahren vorgelegte
Fotokopie der seinem damaligen Bevollmächtigten zugestellten
Bescheidausfertigung dafür, daß die Bescheidabschrift bei den Behördenakten in
diesem Punkt offensichtlich unrichtig ist und daß hinsichtlich der angekreuzten
Rubrik "Ausweisungsverfügung" ein offensichtliches Versehen vorliegt. Denn in der
dem Bevollmächtigten des Antragstellers zugestellten Bescheidausfertigung fehlt
das Kreuz an dieser Stelle, so daß aus der Sicht des Empfängers gar kein Zweifel
darüber aufkommen konnte, daß keine Ausweisung verfügt worden war. Die
andernfalls zu klärende Frage hinreichender Bestimmtheit des Verwaltungsakts (§
37 Abs. 1 HVwVfG) stellt sich mithin nicht, sondern allenfalls die hier nicht zu
beantwortende Frage, ob eine Berichtigung der Abschrift des Bescheids in den
Behördenakten erfolgen sollte.
Auch im übrigen sind der angefochtene Bescheid und die angegriffene
Entscheidung des Verwaltungsgerichts letztlich nicht zu beanstanden, obgleich die
vom Verwaltungsgericht bestätigte Auffassung der Antragsgegnerin, die
Ausländerbehörde habe bei der Entscheidung über die Erteilung einer
Aufenthaltserlaubnis nach § 2 Abs. 1 Satz 2 AuslG Ermessen auszuüben gehabt,
Bedenken begegnet.
Es spricht nämlich viel dafür, daß dem Antragsteller die beantragte
Aufenthaltserlaubnis auch ohne Rücksicht auf die angestellten
Ermessenserwägungen gar nicht hätte erteilt werden dürfen, weil sein weiterer
Aufenthalt im Bundesgebiet nach rechtskräftig negativem Abschluß des
Asylverfahrens Belange der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt und daher
die sogenannte Negativschranke des § 2 Abs. 1 Satz 2 AuslG zur Versagung einer
Aufenthaltserlaubnis zwingt. Daß diese Vorschrift mit höherrangigem Recht
vereinbar ist und insbesondere dem aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden
Grundsatz hinreichender Bestimmtheit von Rechtsnormen genügt, ist in der
Rechtsprechung anerkannt (BVerfG, Beschluß vom 26. September 1978 -- 1 BVR
525/77 -- BVerfGE 49, 168 = NJW 1979, 2446 = EZAR 100 Nr. 3; BVerwG, Urteil
vom 27. September 1978 -- 1 C 48.77 --, BVerwGE 56, 254 = NJW 1979, 1112 =
EZAR 100 Nr. 6; vgl. wegen abweichender Auffassungen in der Literatur:
Kanein/Renner, Ausländerrecht 4. Aufl. 1988, Rdnr. 8 zu § 2 AuslG m.w.N.). Der
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Kanein/Renner, Ausländerrecht 4. Aufl. 1988, Rdnr. 8 zu § 2 AuslG m.w.N.). Der
unbestimmte Rechtsbegriff "Belange der Bundesrepublik Deutschland" ist weit zu
verstehen, seine Interpretation kann, insbesondere im Zusammenhang mit
etwaigen Änderungen der Wirtschaftslage, einem raschen und unvorhersehbaren
Wandel unterworfen sein (BVerwG, a.a.O.). Nach ständiger Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts zählt zu den Belangen im Sinne der Negativschranke
auch das öffentliche Interesse an der Einhaltung des Aufenthaltsrechts
einschließlich der Einreisevorschriften, was es beispielsweise erforderlich macht,
grundsätzlich einen ohne notwendigen Sichtvermerk einer Auslandsvertretung
begründeten Aufenthalt nicht nachträglich im Wege einer Aufenthaltserlaubnis
durch die örtliche Ausländerbehörde zu legalisieren (BVerwG, Urteil vom 4.
September 1986 -- 1 C 19.86 --, BVerwGE 75, 20 = EZAR 100 Nr. 20; Hess. VGH,
Beschluß vom 22. September 1988 -- 12 TH 836/88 --). Der Gesetzgeber hat --
wenn auch erst nach Einreise des Antragstellers ins Bundesgebiet -- zunächst
durch § 5 des Zweiten Gesetzes zur Beschleunigung des Asylverfahrens vom 16.
August 1980 (BGBl. I S. 1437) und durch die diese Vorschrift ersetzende
Normierung aufenthaltsbeendender Maßnahmen im Asylverfahrensgesetz zu
erkennen gegeben, daß nach dem erfolglosen Abschluß eines Asylverfahrens die
Ausreise des betreffenden Ausländers erfolgen und notfalls erzwungen werden soll
(§§ 11 Abs. 1 u. 2 i.V.m. § 10 Abs. 2 u. 3, § 28 AsylVfG). Diese nur für Asylbewerber
geltenden Spezialvorschriften zeigen, daß der Bundesgesetzgeber die Ausreise
oder Abschiebung abgelehnter Asylbewerber nach erfolglosem
Anerkennungsverfahren zur Regel machen und Ausnahmen nur für die Fälle
zulassen wollte, in denen §§ 11 Abs. 1 Satz 1, 28 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG ein
Absehen von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen ermöglichen. Ein Unterlaufen
der sich aus Sondervorschriften für Asylbewerber ergebenden
Ausreiseverpflichtungen durch nachträgliche Anträge auf Erteilung einer
Aufenthaltserlaubnis sollte durch Wegfall der Fiktionswirkung derartiger Anträge
nach § 21 Abs. 3 Satz 1 AuslG unterbunden werden (§ 28 Abs. 7 AsylVfG).
Schließlich sind aufenthaltsbeendende Maßnahmen gegen (ehemalige)
Asylbewerber auch dann noch aufgrund des § 28 Abs. 1 AsylVfG möglich, wenn die
Ablehnung eines Asylantrags bereits bestandskräftig geworden ist und das in § 30
AsylVfG vorgesehene Verbundverfahren schon aus diesem Grund nicht mehr
durchführbar ist (BVerwG, Urteil vom 14. Mai 1986 -- 1 C 23.85 --, BVerwGE 74,
189 = EZAR 223 Nr. 12; anderer Auffassung noch Hess. VGH, Beschluß vom 6.
Februar 1984 -- X TH 570/83 --, NVwZ 1985, 67 = EZAR 223 Nr. 6). Bei
aufenthaltsbeendenden Maßnahmen nach §§ 10, 11 AsylVfG bzw. § 28 AsylVfG
steht der Ausländerbehörde grundsätzlich kein Ermessen zu, vielmehr ist sie zur
Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung verpflichtet, wenn nicht die
gesetzlich normierten Ausnahmefälle vorliegen (Kanein/Renner, a.a.O., Rdnr. 4 ff.
zu § 28 AsylVfG m.w.N.).
Dies alles spricht -- zumindest bei Asylbewerbern, die nach Inkrafttreten des
Asylverfahrensgesetzes ins Bundesgebiet eingereist sind -- dafür, in dem weiteren
Aufenthalt eines rechtskräftig abgewiesenen Asylbewerbers einen Verstoß gegen
Belange der Bundesrepublik Deutschland im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 2 AuslG zu
sehen. Der vorliegende Sachverhalt zwingt indessen nicht zu einer abschließenden
Entscheidung dieser Frage und insbesondere nicht zur Erörterung des weiteren
Problems, ob dem vor Inkrafttreten des Zweiten Gesetzes zur Beschleunigung des
Asylverfahrens ins Bundesgebiet eingereisten Antragsteller die nachträglich
geschaffenen aufenthaltsrechtlichen Sondervorschriften für Asylbewerber als
öffentliche Belange im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 2 AuslG entgegengehalten
werden können.
Denn jedenfalls wäre die Ablehnung des Aufenthaltserlaubnisantrags des
Antragstellers auch dann nicht zu beanstanden, wenn der Erteilung der
Aufenthaltserlaubnis nicht schon die Negativschranke entgegengestanden haben
sollte. Es unterliegt keinem Zweifel, daß die von der Ausländerbehörde
angestellten Ermessenserwägungen die getroffenen Entscheidungen tragen.
Es besteht auch schon aus den bisher dargelegten Gründen ein erhebliches
öffentliches Interesse daran, daß der Aufenthalt bestandskräftig abgewiesener
Asylbewerber im Bundesgebiet beendet wird, um einem Mißbrauch des
Grundrechts aus Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG und des daraus folgenden Bleiberechts
während des Asylverfahrens durch nicht politisch Verfolgte entgegenzuwirken und
die Aufnahmefähigkeit der Bundesrepublik Deutschland für wirklich politisch
Verfolgte zu erhalten. Könnten durch einen erlaubnisfrei gestatteten Aufenthalt
von Asylbewerbern im Bundesgebiet Anrechte auf einen asylunabhängigen
Daueraufenthalt begründet werden, würde dies den Anreiz, das Grundrecht aus
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Daueraufenthalt begründet werden, würde dies den Anreiz, das Grundrecht aus
Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG auch bei offensichtlichem Fehlen der Voraussetzungen in
Anspruch zu nehmen, noch weiter steigern. Schließlich konnte die
Ausländerbehörde ohne Ermessensfehler auch einwanderungspolitische
Gesichtspunkte heranziehen, denn an der Verhinderung der unerwünschten
Niederlassung nicht aufenthaltsberechtigter Ausländer besteht ein erhebliches
öffentliches Interesse (BVerwG, Urteil vom 27. Oktober 1987 -- 1 C 19/85 --,
BVerwGE 78, 192 = NVwZ 1988, 251).
Demgegenüber hat das Interesse des Antragstellers an der Erteilung einer
Aufenthaltserlaubnis kein vergleichbares Gewicht. Insbesondere führt der
Umstand, daß sich der Antragsteller seit 1980 bis zur rechtskräftigen Ablehnung
seines Asylantrages rund sieben Jahre lang rechtmäßig im Bundesgebiet
aufgehalten hat, nicht dazu, daß nach den im Rahmen des § 2 Abs. 1 Satz 2 AuslG
zu beachtenden Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und Zumutbarkeit eine
Aufenthaltserlaubnis zu erteilen wäre. Allein aufgrund der langen Dauer eines
Asylverfahrens kann ein Ausländer nicht darauf vertrauen, weiter im Bundesgebiet
bleiben zu dürfen (BVerwG, Beschluß vom 17. Februar 1987 -- 1 B 5.87 --, InfAuslR
1987, 147 m.w.N.). Spätestens seit Ablehnung seines Asylantrags durch das
Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge im April 1981 mußte
dem Antragsteller klar sein, daß sein Asylantrag nicht erfolgversprechend war und
er sich deshalb auf eine Rückkehr in sein Heimatland einzustellen hatte, auch
wenn er auf eine gerichtliche Nachprüfung der getroffenen
Verwaltungsentscheidung Wert legte. Daß dem Antragsteller ungeachtet der
Ablehnung seiner Asylanträge aufgrund des durch Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG
gewährleisteten Bleiberechts für Asylbewerber auch während der Dauer des
gesamten Gerichtsverfahrens der Aufenthalt im Bundesgebiet ermöglicht worden
ist, hat keinen Tatbestand geschaffen, aufgrund dessen der Antragsteller erwarten
konnte, daß ihm ein weiteres Verbleiben im Bundesgebiet auf Dauer erlaubt
werden würde. Demgemäß kann der möglicherweise tatsächlich eingetretenen
Integration des Antragstellers in deutsche Lebensverhältnisse durch seine
Berufstätigkeit während des Asylverfahrens kein entscheidendes Gewicht
beigemessen werden. Sein Hinweis auf eine bevorstehende Eheschließung mit
einer namentlich nicht genannten deutschen Staatsangehörigen hat schon
deshalb keine entscheidende Bedeutung, weil der anwaltlich vertretene
Antragsteller auch im Beschwerdeverfahren sein Vorbringen hierzu nicht
substantiiert, geschweige denn seine Heiratsabsicht glaubhaft gemacht hat.
Im übrigen ist die angefochtene Entscheidung der Ausländerbehörde nicht zu
beanstanden, insbesondere steht der angedrohten Abschiebung kein Hindernis im
Sinne des § 14 Abs. 1 AuslG entgegen. Die vom Antragsteller angesprochenen
Entscheidungen des saarländischen Innenministers und einzelner
Ausländerbehörden in anderen Bundesländern sind für die Beurteilung der
angegriffenen Abschiebungsandrohung ohne rechtliche Bedeutung. Selbst wenn
diese für die betroffenen Ausländerbehörden ermessensbindenden
Entscheidungen der Antragsgegnerin bei Erlaß der angefochtenen
Abschiebungsandrohung bekannt gewesen sein sollten, wäre dadurch für sie keine
Ermessensbindung eingetreten, weil die hier tätig gewordene hessische
Ausländerbehörde den vom Antragsteller genannten Stellen nicht nachgeordnet
ist. Erst wenn sich der in Hessen zuständige Fachminister zum Erlaß von
Verwaltungsvorschriften entschließen sollte, die hessische Ausländerbehörden zu
einem Absehen von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen in den Fällen der §§ 10
und 11 AsylVfG verpflichten, hätte dies unter Anwendung des
Gleichheitsgrundsatzes Außenwirkung gegenüber asylsuchenden Sikhs aus Indien
im Zuständigkeitsbereich der hessischen Landesbehörden. Mit dem vom
Antragsteller vorgelegten Artikel im Spiegel vom 22. Juni 1987 hat sich der Senat
in seinen Urteilen vom 22. Oktober 1987 -- 10 UE 3116/86 und 3134/86 -- ebenso
befaßt wie mit den Äußerungen der Sachverständigen Dr. Gräfin Bernstorff und der
sachverständigen Zeugin Strieder, der Autorin des vom Antragsteller vorgelegten
Spiegel-Artikels sowie mit der Auskunft von amnesty international vom 19.
Oktober 1987. Auf die Ausführungen in den Entscheidungsgründen beider Urteile
wird, um Wiederholungen zu vermeiden, auch insofern Bezug genommen.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.