Urteil des HessVGH vom 04.11.1991

VGH Kassel: wiederherstellung der aufschiebenden wirkung, grundstück, genehmigung, garage, zahl, wohngebäude, bedingung, abnahme, verfügung, eng

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
4. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
4 UE 3617/87
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 8 Abs 1 BauO HE 1976
vom 25.09.1991, § 8 Abs
12 BauO HE 1976 vom
25.09.1991, § 96 Abs 1 S 1
BauO HE 1976 vom
25.09.1991, § 7 Abs 5 S 2
BauO HE 1976 vom
16.12.1977
(Bauaufsichtliche Genehmigung für die Errichtung eines
überdachten Stellplatzes)
Tatbestand
Der Kläger ist Eigentümer des Grundstücks A in H Im vorderen Bereich, zur A
Straße hin, befindet sich ein Mehrfamilienhaus mit 6 Wohnungen, für das die
Beklagte dem Kläger am 28.08.1973 die Baugenehmigung erteilte. Im
rückwärtigen Bereich wurden in den 60er und 70er Jahren mit Genehmigung 2
Garagenzeilen mit 18 Garagen, davon mindestens 8 im Bauwich, errichtet.
Mit Bauantrag vom 24.10.1983 begehrte der Kläger die Erteilung der
bauaufsichtlichen Genehmigung für den "Anbau eines überdachten Pkw-
Abstellplatzes" im Bauwich und zur Astraße hin.
Mit Bescheid vom 30.01.1984 versagte die Beklagte die Baugenehmigung unter
Hinweis auf das nicht erteilte Einvernehmen der Gemeinde und im wesentlichen
mit der Begründung, auf dem Grundstück sei eine für die vorhandene
Wohnnutzung ausreichende Anzahl von Garagen vorhanden.
Dagegen legte der Kläger, der zwischenzeitlich das Vorhaben realisiert hatte, ohne
nähere Begründung am 07.02.1984 Widerspruch ein.
Mit Widerspruchsbescheid vom 07.08.1984 wies der Regierungspräsident in D den
Widerspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung führte er aus, das Vorhaben
sei, da kein rechtskräftiger Bebauungsplan existiere, nach § 34 Bundesbaugesetz -
BBauG - zu beurteilen. Nach der Bausubstanz in der näheren Umgebung sei das
Gebiet als allgemeines Wohngebiet einzuordnen. Nach § 34 Abs. 3 BBauG i.V.m. §
12 Abs. 2 Baunutzungsverordnung - BauNVO - seien im allgemeinen Wohngebiet
Stellplätze und Garagen nur für den durch die zugelassene Nutzung verursachten
Bedarf zulässig. Angesichts der mindestens 16 Garagen im rückwärtigen
Grundstücksteil und der - laut Angaben des Klägers in der Sitzung vor dem
Widerspruchsausschuß des Beklagten - 4 tatsächlich vorhandenen Wohnungen in
dem Wohngebäude bestehe kein Bedarf für einen überdachten Stellplatz. Bei
dieser Rechtslage komme eine Ausnahmeerteilung nach § 7 Abs. 5 Hessische
Bauordnung - HBO - für das zwischenzeitlich illegal ausgeführte Bauvorhaben nicht
in Betracht.
Der Kläger hat am 07.09.1984 beim Verwaltungsgericht Klage erhoben, die er
nicht begründet hat.
Der Kläger hat beantragt,
unter Aufhebung des Bescheides des Beklagten vom 30. Januar 1984 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides des Regierungspräsidenten in D vom 7.
August 1984 die Beklagte zu verpflichten, seinen Bauantrag vom 27. Oktober 1983
positiv zu bescheiden.
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Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 14.10.1987 die Klage abgewiesen. Zur
Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, der Kläger begehre die
bauaufsichtliche Genehmigung (§ 96 Abs. 1 Satz 1 HBO) für die Errichtung eines
überdachten Abstellplatzes (§ 2 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 2 HBO) im Bauwich (§ 7 Abs. 1
Satz 1, Abs. 3 HBO), was nur ausnahmsweise (§ 7 Abs. 5 Satz 2 HBO) zulässig sei.
Die Beklagte habe vorliegend die Erteilung einer solchen Ausnahmegenehmigung
ermessensfehlerfrei abgelehnt. Insoweit werde auf die zutreffenden Gründe des
Widerspruchsbescheides Bezug genommen. Mithin verbleibe es bei der
zwingenden Regelung des § 7 Abs. 1 HBO, so daß die Baugenehmigung habe
versagt werden müssen.
Gegen das am 23.10.1987 zur Post gegebene Urteil hat der Kläger am 20.11.1987
Berufung eingelegt.
Zur Begründung führt er im wesentlichen aus, daß der streitbefangene Parkplatz
"von Anfang an" als Besucherparkplatz vorhanden gewesen sei, daß deshalb auch
der Gehweg als Einfahrt hergerichtet und abgesenkt worden sei, daß aufgrund der
Parksituation in der A weitere Parkplätze benötigt würden, daß für das klägerische
Grundstück A-straße ein vergleichbares Bauvorhaben in Grenzbebauung
genehmigt worden sei, daß das Nachbareinverständnis vorliege, daß der Kläger
inzwischen das benachbarte Grundstück erworben habe und daß die Beklagte den
streitbefangenen überdachten Stellplatz seit Jahren dulde.
Der Kläger beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 14.
Oktober 1987 die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom
30. Januar 1984 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des
Regierungspräsidenten in D vom 7. August 1984 zu verpflichten, den Bauantrag
des Klägers vom 27. Oktober 1983 positiv zu bescheiden.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung verweist sie im wesentlichen auf das angegriffene erstinstanzliche
Urteil. Weiter weist sie darauf hin, daß sie gegen den Kläger unter dem 07.12.1988
ein sofort vollziehbares Nutzungsverbot und eine Beseitigungsanordnung verfügt
habe. Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des
Widerspruchs des Klägers gegen diese Verfügung sei vom Verwaltungsgericht
Frankfurt am Main mit Beschluß vom 05.01.1989 - IV/2 H 32/89 - bestandskräftig
abgelehnt worden. Der Widerspruch sei vom Regierungspräsidium D mit
Widerspruchsbescheid vom 31.05.1989 bestandskräftig zurückgewiesen worden.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter ohne
mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten der Sach- und Rechtslage wird Bezug genommen
auf den Inhalt der Gerichtsakte, von 5 Heftern mit Behördenakten betreffend das
streitbefangene Anwesen, von einem Hefter Bauakten betreffend das Anwesen A-
straße sowie der Gerichtsakten des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main - IV/2 H
32/89 -.
Entscheidungsgründe
Die Entscheidung über die zulässige Berufung (§ 84 Abs. 2 Nr. 1, §§ 124, 125
VwGO) ergeht im Einverständnis der Beteiligten durch den Berichterstatter
anstelle des Senats und ohne mündliche Verhandlung (§§ 87a Abs. 2 und 3, 101
Abs. 2 VwGO).
Die Berufung ist unbegründet, da das Urteil des Verwaltungsgericht auf die
zulässige Verpflichtungsklage (§ 42 Abs. 1 VwGO) zu Recht ergangen ist (§ 113
Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Maßgebliche Sach- und Rechtslage für die vorgenannte Klage ist der Zeitpunkt der
letzten mündlichen Verhandlung (vgl. BVerwG, Urteil vom 24.10.1980 - 4 C 3.78 -,
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letzten mündlichen Verhandlung (vgl. BVerwG, Urteil vom 24.10.1980 - 4 C 3.78 -,
BVerwGE 61, 128 = NJW 1981, 2426). Abzustellen ist somit auf die Hessische
Bauordnung in der Fassung vom 16.12.1977 (GVBl. 1978 I S. 1), zuletzt geändert
durch Gesetz vom 25.09.1991 (GVBl. 1991 I S. 301) - HBO - und auf das
Baugesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 08.12.1986 (BGBl. 1986
I S. 2253), zuletzt geändert durch Einigungsvertrag vom 31.08.1990 (BGBl. 1990 II
S. 889, 1122) - BauGB -.
Die vom Kläger begehrte und erforderliche (§ 87 Abs. 1 Satz 1 HBO)
bauaufsichtliche Genehmigung für die Errichtung des überdachten Abstellplatzes
(§ 2 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 2 HBO) ist zu Recht nach § 96 Abs. 1 Satz 1 HBO versagt
worden, da das Vorhaben den öffentlich-rechtlichen Vorschriften nicht entspricht.
Die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zur bauordnungsrechtlichen
Unzulässigkeit des Vorhabens sind im Ergebnis nach wie vor zutreffend, jedoch ist
die vom Verwaltungsgericht beigezogene Vorschrift des § 7 HBO a.F. über den
Bauwich inzwischen gestrichen worden ist. Diese Vorschrift ist ersetzt worden
durch § 8 HBO über Abstände und Abstandsflächen. Diese landesrechtliche
Vorschrift steht der Erteilung einer Baugenehmigung entgegen. Nach § 8 Abs. 1
Satz 1 HBO sind vor den Außenwänden von Gebäuden Abstandsflächen
freizuhalten, innerhalb derer oberirdische Gebäude nicht errichtet werden dürfen.
Die Tiefe der Abstandsfläche bemißt sich nach § 8 Abs. 4 und 5 HBO. Dieser
Grundsatz wird hier nicht durch die Ausnahmeregelung des § 8 Abs. 12 HBO
durchbrochen. Nach § 8 Abs. 12 Nr. 1 1. Halbsatz HBO ist ohne Abstandsfläche
gegenüber der Nachbargrenze eine Garage je Grundstück mit bestimmten
Abmessungen zulässig. Die Vorschrift erfaßt nur eine Garage pro Grundstück (vgl.
Punkt 3.3.13 des Einführungserlasses zum Änderungsgesetz der Hessischen
Bauordnung vom 12.07.1990 - GVBl. 1990 I S. 395 - in der Fassung vom
11.09.1990 - GVBl. 1990 I S. 538 -, abgedruckt in StAnz. 1991 S. 58). Diese
Ausnahmeregelung greift hier nicht, da der Kläger bereits 8 Garagen in der
Abstandsfläche errichtet hat. Daher bedarf es auch keiner Erörterung, ob die eng
auszulegende Ausnahmevorschrift des § 8 Abs. 12 Nr. 1 1. Halbsatz HBO
entgegen ihrem Wortlaut auf überdachte Stellplätze entsprechend anwendbar ist.
Der streitbefangene überdachte Stellplatz kann somit nur nach § 8 Abs. 12 Nr. 1 2.
Halbsatz HBO zugelassen werden. Bei der Ermessensentscheidung nach dieser
Vorschrift sind die von der Rechtsprechung des Hessischen
Verwaltungsgerichtshofs für die Grenzgaragenbebauung zu § 7 Abs. 5 Satz 2 HBO
a.F. entwickelten Grundsätze unverändert zu beachten (vgl. den Einfügungserlaß,
a.a.O.). Nach dieser Rechtsprechung (vgl. z. B. Urteil vom 25.05.1987 - 4 UE
2880/84 -) hat die Bauaufsichtsbehörde das durch § 7 Abs. 5 Satz 2 HBO a.F.
eingeräumte Ermessen unter Berücksichtigung verschiedener Gesichtspunkte
auszuüben. Auf der einen Seite ist dem Grundsatz des § 67 Abs. 2 HBO Rechnung
zu tragen, wonach für den durch die Nutzung von Grundstücken verursachten
Verkehr Abstellmöglichkeiten auf dem Grundstück geschaffen werden müssen. Auf
der anderen Seite ist aber zu berücksichtigen, daß die Bauwiche - jetzt
Abstandsflächen - dem Brandschutz, der verstärkten Beweglichkeit der Feuerwehr,
der Gewährleistung ausreichender Lüftung der Grundstücke und der baulichen
Anlagen unter Vermeidung sonstiger schädlicher Einwirkungen auf die
Nachbargrundstücke, die durch zu enges Heranrücken an die Nachbargrenze
auftreten können, dienen soll. Zunächst ist daher zu prüfen, ob ein triftiger Grund
für eine Bebauung des Bauwichs gegeben ist. Erst wenn diese Frage bejaht wird,
sind die Belange der Beteiligten im übrigen zu prüfen und sind die Vor- und
Nachteile eines Standortes an der Grenze abzuwägen. Die Frage nach dem
Bedürfnis gehört zu den triftigen Gründen, die als Voraussetzung für die Zulassung
einer Ausnahme zunächst einmal vorliegen müssen. An einem solchen triftigen
Grund fehlt es hier. Der Beklagte und das Verwaltungsgericht haben zutreffend
darauf abgestellt, daß für das auf dem streitbefangenen Grundstück errichtete
Wohnhaus mit - nach Angaben des Klägers - 4 Wohnungen weit mehr als die
erforderliche Anzahl von Garagen vorhanden sind. Dies gilt auch, wenn man die
genehmigte Zahl von 6 Wohnungen zugrundelegt. Nach der Stellplatzsatzung der
Beklagten vom 17.04.1978 in der Fassung vom 27.10.1986 bestimmt sich die Zahl
der nach § 67 HBO auf dem Grundstück zu schaffenden Stellplätze nach den in
dieser Stellplatzsatzung festgesetzten Richtzahlen. Diese sehen für
Mehrfamilienhäuser und sonstige Gebäude mit Wohnungen einen Stellplatz je
Wohnung, hiervon für Besucher 10 % vor. Diese Richtzahl wird hier bei weitem
überschritten. Entgegen der Auffassung des Klägers kann aus dem das
Wohngebäude betreffenden Bauschein vom 28.08.1973 nichts anderes hergeleitet
werden. Dieser enthält die Bedingung, daß 6 Garagen oder 150 qm Einstellfläche
für den Eigenbedarf und entweder 1 Garage oder 25 qm Einstellfläche für den
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für den Eigenbedarf und entweder 1 Garage oder 25 qm Einstellfläche für den
Besucherverkehr bis zur Schlußabnahme fertiggestellt sein müssen. Ausweislich
des Schlußabnahmescheins vom 28.11.1977 hat die Schlußabnahme zu keinen
Beanstandungen geführt. Die vorstehende Bedingung war aufgrund der bereits
vorhandenen größeren Anzahl von Garagen erfüllt. Daher besteht kein triftiger
Grund für eine ausnahmsweise Zulassung eines überdachten Stellplatzes in der
Abstandsfläche. Auf das Nachbareinverständnis und den zwischenzeitlichen Erwerb
des benachbarten Grundstücks durch den Kläger kommt es daher nicht an.
Ob dem Bauvorhaben zudem § 10 Abs. 1 Satz 1 HBO entgegensteht, wonach die
nicht überbauten Flächen der bebauten Grundstücke (Grundstücksfreiflächen)
gärtnerisch anzulegen und zu unterhalten sind, soweit sie nicht als
Stellplatzflächen erforderlich sind, kann dahinstehen. Keiner abschließenden
Klärung bedarf weiter die Frage, ob - worauf in den streitbefangenen Bescheiden
auch abgestellt worden ist - die Baugenehmigung nach bauplanungsrechtlichen
Vorschriften (§ 34 Abs. 1 und 3 BBauG, § 12 Abs. 2 BauNVO) zu versagen war.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.