Urteil des HessVGH vom 07.01.1993

VGH Kassel: öffentliches amt, berufliche tätigkeit, staatssekretär, ermessen, begründungspflicht, wissenschaft, kunst, vorstellungsgespräch, fhg, fachhochschule

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
1. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
1 TG 1777/92
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 33 Abs 2 GG, § 8 Abs 1
BG HE, § 30 Abs 5
FHSchulG HE 1978
(Begründungspflicht des Ministeriums bei von der
Berufungsliste abweichender Berufung eines
Fachhochschulprofessors)
Gründe
Die nach §§ 146, 147 VwGO zulässige Beschwerde ist begründet, denn das
Verwaltungsgericht hat den Antrag auf vorläufigen Rechtschutz nach § 123 VwGO
zu Unrecht abgelehnt. Der angefochtene Beschluß ist daher mit Ausnahme der
Streitwertfestsetzung aufzuheben und eine einstweilige Anordnung in dem aus
dem Tenor ersichtlichen Umfange zu erlassen.
Die Auswahlentscheidung zugunsten des Beigeladenen ist rechtsfehlerhaft.
Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß weder Art. 33 Abs. 2 GG noch die zu seiner
Konkretisierung ergangenen beamtenrechtlichen Vorschriften -- hier § 8 Abs. 1
HBG -- einen Anspruch auf Übernahme in ein öffentliches Amt gewähren, da die
Entscheidung darüber kraft der Personalhoheit im Ermessen des Dienstherrn
steht. Es ist dem pflichtgemäßen Ermessen des Dienstherrn überlassen, welchen
sachlichen Umständen er bei seiner Auswahlentscheidung das größere Gewicht
beimißt und in welcher Weise er den Grundsatz des gleichen Zugangs zu jedem
öffentlichen Amt nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung verwirklicht,
sofern nur das Prinzip selbst nicht in Frage gestellt wird. Art. 33 Abs. 2 GG gewährt
demgemäß nur ein Recht auf sachgerechte Beurteilung der Bewerbung unter dem
Gesichtspunkt des gleichen Zugangs bei fachlicher Eignung (vgl. BVerwG, Beschl.
v. 28.1.1987, Buchholz 232 § 8 BBG Nr. 35; Senatsbeschluß v. 29.4.1982 -- 1 OE
9/82 --). Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats zu
Auswahlentscheidungen im Hinblick auf einen Beförderungsdienstposten ist vor
einer Beförderungsentscheidung ein aktueller Leistungs- und Eignungsvergleich
der Bewerber vorzunehmen, im Rahmen dessen all das zu berücksichtigen ist, was
für die Beurteilung von Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung bedeutsam ist
(vgl. u. a. Senatsbeschluß vom 12.10.1987 -- 1 TG 2724/87 --). Dem vom Senat
als Bewerbungsverfahrensanspruch bezeichneten Anspruch eines Bewerbers um
eine Beförderungsstelle auf faire, chancengleiche Behandlung mit gerichtlicher
Überprüfungsmöglichkeit wird dadurch Rechnung getragen, daß die aktuellen
Eignungsbeurteilungen und die maßgeblichen Auswahlerwägungen nachvollziehbar
schriftlich festgehalten werden. Eine derartige Verfahrensweise entspricht dem
Gebot der Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes und dient der Überprüfbarkeit
der Beförderungsentscheidung (vgl. Senatsbeschluß vom 10.10.1989, 1 TG
2751/89, NVwZ 1990, 284 = ZBR 1990, 185). Die zuvor wiedergegebenen
Grundsätze beanspruchen nicht nur für den Bewerbungsverfahrensanspruch eines
Bewerbers um eine Beförderungsstelle Geltung, sondern auch für den hier zu
entscheidenden Fall einer Einstellung als Beamter, da -- wie oben dargelegt --
auch ein Bewerber um eine (erstmalige) Ernennung zum Beamten einen
gerichtlich überprüfbaren Anspruch auf rechtsfehlerfreie Entscheidung seiner
Bewerbung unter Beachtung des Leistungsprinzips besitzt. Die Entscheidung des
Antragsgegners, dem Beigeladenen die streitige Stelle zu übertragen, genügt den
vorgenannten Anforderungen an eine ermessensfehlerfreie Auswahlentscheidung
nicht, denn die maßgeblichen Auswahlerwägungen sind nicht im erforderlichen
Umfang schriftlich festgehalten worden.
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Allerdings kann kein Zweifel daran bestehen, daß die Ministerin für Wissenschaft
und Kunst bei der Erteilung des Rufs für einen Fachhochschulprofessor nicht an die
in der Berufungsliste angegebene Reihenfolge gebunden ist. Dies ergibt sich aus §
30 Abs. 5 FHG. Diese Vorschrift begegnet keinen verfassungsrechtlichen
Bedenken, selbst wenn -- was im Rahmen dieses Eilverfahrens dahingestellt
bleiben muß -- Art. 5 Abs. 3 GG nicht nur für wissenschaftliche Hochschulen,
sondern auch für Fachhochschulen gelten sollte (vgl. hierzu BVerfG, Beschl. v.
29.6.1983, BVerfGE 64, 323, 358; BVerfG, Beschl. v. 20.10.1982, BVerfGE 61, 210,
246, 247; BVerwG, Urteil v. 28.5.1986, WissR 1987, 171, 172, wo die Frage der
Anwendbarkeit des Art. 5 Abs. 3 GG auf Fachhochschulen letztlich offengelassen
wird). Aufgrund dieser Norm steht Hochschulen grundsätzlich eine
verfassungsrechtlich geschützte Beurteilungskompetenz über die Qualifikation
eines Bewerbers für eine Hochschullehrerstelle zu. Sie ist als Kernstück des
Mitwirkungsrechts der Hochschule der staatlichen Bestimmung grundsätzlich
verschlossen und darf nur ausnahmsweise durch staatliche Maßnahmen
übergangen werden. Bei einem Berufungsvorschlag mit mehreren Bewerbern ist
zwangsläufig eine Auswahl nach pflichtgemäßem Ermessen für den Bewerber zu
treffen, der nach Auffassung der staatlichen Hochschulverwaltung am besten
geeignet erscheint, den sich ihm stellenden Aufgaben nach Art und Umfang
gerecht zu werden. Nichts anderes gilt, wenn die Berufungsliste eine Reihenfolge
enthält, von der der Minister abweichen kann. Diese hat der zuständige Minister
rechtlich nur als einen unter mehreren möglichen Gesichtspunkten bei seiner
Ermessensentscheidung zu berücksichtigen. Sie hindert ihn nicht, einen Bewerber
abweichend von der Reihenfolge des Berufungsvorschlages für die zu besetzende
Professorenstelle auszuwählen und zu berufen. Da auch dieser Bewerber von der
Hochschule vorgeschlagen und deshalb auch ihrer Meinung nach für die zu
besetzende Hochschullehrerstelle qualifiziert ist, wird Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG nicht
berührt (BVerwG, Urteil v. 9.5.1985, DVBl 1985, 1233, 1236). Bei der
vorzunehmenden Abwägung, welchem Bewerber von der Berufungsliste der
Vorrang einzuräumen ist, kann der Minister sowohl personalpolitische
Gesichtspunkte (vgl. BVerwG, Urteil v. 22.4.1977, BVerwGE 52, 313, 318) als auch
wissenschaftspolitische Aspekte (vgl. BVerwG, Beschl. 30.6.1988, Buchholz 421.20
Nr. 38) berücksichtigen.
Die Ministerin für Wissenschaft und Kunst bzw. ihr Staatssekretär war nach alledem
grundsätzlich berechtigt, von der Reihung der ihr vorgelegten Berufungsliste
abzuweichen. Eine Begrenzung dieser Abweichungsbefugnis erfolgt entgegen der
Auffassung des Antragstellers auch nicht durch § 30 Abs. 6 FHG. Diese Regelung
betrifft nur den Fall, daß die Berufungsliste nicht innerhalb der Vorlagefrist beim
zuständigen Minister eingereicht wird. Nur dann ist der Fachhochschule vor der
Berufung einer geeigneten Persönlichkeit durch den Minister Gelegenheit zur
Stellungnahme zu geben. Vorliegend ist aber eine Berufungsliste vorgelegt
worden, so daß die diesbezüglichen Ausführungen des Antragstellers weitgehend
neben der Sache liegen. Gleichwohl ist die Auswahlentscheidung rechtsfehlerhaft,
da die für das Abweichen von der Reihenfolge auf der dem
Wissenschaftsministerium vorgelegten Berufungsliste maßgeblichen
Auswahlerwägungen mangels Begründung nicht nachvollziehbar sind. In dem dem
Senat vorliegenden Auswahlvorgang befinden sich lediglich zwei Vermerke des
Staatssekretärs folgenden Inhalts: "Wenn der Erstplatzierte seit 1981 bei O
'fachfremd' arbeitet, der Zweitplatzierte bei B aber noch 'einschlägig' -- wie denn?
b. R. (Vermerk v. 3.3.1992) sowie "Nach R: bitte den 2. Listenbewerber berufen"
(Vermerk v. 17.3.1992). Sofern man diese Vermerke überhaupt formell als
Auswahlerwägungen ansehen wollte, reichen sie jedenfalls inhaltlich nicht aus, um
das Abweichen von der Reihenfolge auf der Berufungsliste und damit die
Auswahlentscheidung zu rechtfertigen. Die Ministerin bzw. ihr Staatssekretär hätte
im Rahmen des Auswahlermessens den rechtlichen Gehalt des
Berufungsvorschlags der Hochschule berücksichtigen und sich erkennbar damit
auseinandersetzen müssen, da der Berufungsvorschlag und auch die Reihung auf
einem von der Hochschule durchgeführten, aufwendigen Überprüfungsverfahren
beruhen (Bewertung der bisherigen Tätigkeit, Probevorlesung,
Vorstellungsgespräch). In der Reihung, die ausführlich begründet wurde, kommt
zum Ausdruck, daß die Bewerber unterschiedlich qualifiziert sind. Daher wäre es
geboten gewesen, daß sich der Staatssekretär mit den Argumenten der
Fachhochschule für ihren Vorschlag und die auf Qualifizierungsunterschieden der
Bewerber beruhende Reihung schriftlich befaßt und sein Abweichen von der
Reihung nachvollziehbar begründet. Dies gilt vorliegend um so mehr, als ein
Vertreter des Ministeriums weder an der Probevorlesung der Bewerber noch an
deren Vorstellungsgespräch teilgenommen hat. Der sich aus den Vermerken des
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deren Vorstellungsgespräch teilgenommen hat. Der sich aus den Vermerken des
Staatssekretärs ergebende Hinweis auf die derzeitige Berufstätigkeit des
Beigeladenen genügt nicht, die von der Reihung abweichende
Auswahlentscheidung nachvollziehbar zu machen. Insbesondere fehlt es an der für
die gerichtliche Überprüfung der Auswahlerwägungen erforderlichen
Auseinandersetzung mit der vom Fachbereich in den Vordergrund gestellten
besseren pädagogischen Eignung und größeren didaktischen Kompetenz des
Antragstellers.
Der Mangel ist auch nicht im Verlaufe des Verwaltungsstreitverfahrens geheilt
worden. Zwar kann nach der Rechtsprechung des Senats noch während eines
anhängigen vorläufigen Rechtsschutzverfahrens wegen der Besetzung eines
Dienstpostens eine den Anforderungen an eine ermessensfehlerfreie
Auswahlentscheidung entsprechende Begründung für die getroffene Entscheidung
nachgereicht werden (Senatsbeschluß v. 18.8.1992, 1 TG 1074/92); ein solches
Nachschieben von Auswahlerwägungen, die den vom Senat gestellten
Anforderungen entsprechen, ist hier jedoch nicht gegeben. In seinen Schriftsätzen
weist der Antragsgegner lediglich auf die berufliche Tätigkeit des Beigeladenen
beim B-Institut hin. Eine substantiierte Auseinandersetzung mit dem
Fachbereichsvorschlag ist auch während des vorläufigen Rechtschutzverfahrens
nicht erfolgt. Abgesehen davon hat der Senat (a. a. O.) das Nachschieben von
Auswahlerwägungen im Rahmen des Verwaltungsstreitverfahrens auch nur für den
Fall für zulässig gehalten, daß sie einer für die Auswahlentscheidung zuständigen
Person zuzuordnen sind. Die Schriftsätze im vorliegenden Verfahren wurden aber
nicht von der Ministerin oder ihrem Staatssekretär unterschrieben.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.