Urteil des HessVGH vom 22.09.1994

VGH Kassel: hebung, mehrarbeit, verfassungskonforme auslegung, genehmigung, begriff, steigerung, mitbestimmungsrecht, belastung, regierung, werk

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
Fachsenat für
Personalvertretungssachen
(Bund)
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
TK 1845/93
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
BPersVG, § 75 Abs 4
BPersVG, § 76 Abs 2 S 1
Nr 5 BPersVG, § 104 S 3
BPersVG
(Anordnung von Mehrarbeit ist keine
mitbestimmungspflichtige Maßnahme zur Hebung der
Arbeitsleistung)
Tatbestand
Der Antragsteller will festgestellt wissen, daß die Genehmigung von Mehrarbeit im
Sinne von längerer Arbeit nach § 76 Abs. 2 Nr. 5
Bundespersonalvertretungsgesetz - BPersVG - (Maßnahmen zur Hebung der
Arbeitsleistung) mitbestimmungspflichtig ist, wenn sie zur Erledigung zusätzlicher
Arbeiten bestimmt ist.
Da für die notwendigen Arbeiten im Referat 159 des Beteiligten nicht genügend
Arbeitskräfte zur Verfügung standen, weil die Abordnung einer dort tätigen
Beamtin zu der Dienststelle aufgehoben worden war, wurde, nachdem die
Aufgaben verringert worden waren, für zwei Sachbearbeiter mit deren
Zustimmung ab 1. November 1992 bis zum Jahresende Überzeitarbeit von je einer
Überstunde täglich angeordnet, damit sie in dieser Zeit die zusätzliche Arbeit
erledigen konnten. Der Antragsteller widersprach dieser Anordnung und hat am
13. Januar 1993 das personalvertretungsrechtliche Beschlußverfahren eingeleitet.
Er meint, aus der Tatsache, daß die beiden Sachbearbeiter regelmäßig
Überstunden leisten müßten, ergebe sich, daß bei ihnen eine
Leistungsverdichtung und -erhöhung vorliege, die ohne seine Zustimmung
unzulässig gewesen sei.
Der Antragsteller hat beantragt
festzustellen, daß die Genehmigung von Mehrarbeit als Folge der Aufhebung einer
oder mehrerer Abordnungen der Mitbestimmung nach § 76 Abs. 2 Nr. 5 BPersVG
unterliegt.
Der Beteiligte hat beantragt,
den Antrag abzuweisen.
Er hat die Ansicht vertreten, bei der Anordnung von Überzeitarbeit lasse sich nicht
von einer Hebung der Arbeitsleistung ausgehen, die nur vorliege, wenn die in einer
bestimmten Zeit zu erbringende Arbeitsleistung erhöht werde. Das sei unstreitig
nicht der Fall. Die zusätzliche Arbeitsmenge werde vielmehr während der
Überstunden abgearbeitet.
Das Verwaltungsgericht hat mit Beschluß vom 28. Mai 1993 festgestellt, daß die
Genehmigung von Mehrarbeit als Folge der Aufhebung einer oder mehrerer
Abordnungen der Mitbestimmung nach § 76 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 BPersVG
unterliegt. Es hat ausgeführt, auch Maßnahmen, mit denen während einer
längeren Arbeitszeit ein höherer mengenmäßiger Arbeitsertrag erzielt werden
solle, seien Maßnahmen zur Hebung der Arbeitsleistung im Sinne des § 76 Abs. 2
Satz 1 Nr. 5 BPersVG. Deswegen sei auch die Genehmigung von Mehrarbeit als
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Satz 1 Nr. 5 BPersVG. Deswegen sei auch die Genehmigung von Mehrarbeit als
Maßnahme zur Hebung der Arbeitsleistung anzusehen und nicht nur Maßnahmen
zur Leistungsverdichtung, also Vermehrung der Arbeitsleistung, innerhalb einer
bestimmten Zeit.
Gegen den am 29. Juli 1993 zugestellten Beschluß hat der Beteiligte am 4. August
1993 Beschwerde eingelegt, die er am 3. September 1993 begründet hat. Er
meint, die Beteiligungsrechte im Zusammenhang mit Überstunden seien in § 75
Abs. 3 Nr. 1 in Verbindung mit Abs. 4 BPersVG abschließend geregelt. Das ergebe
sich daraus, daß der Gesetzgeber ein stärkeres Beteiligungsrecht als das in § 75
Abs. 4 BPersVG für Überstundenregelungen vorgesehene nicht habe gewähren
wollen. Im übrigen sei schon aufgrund des Gesetzesvorbehalts und
Tarifvertragsvorbehalts des § 76 Abs. 2 Satz 1 BPersVG eine Mitbestimmung bei
der Anordnung von Überstunden im Hinblick auf § 72 Abs. 2 BBG und die §§ 6 TV
Arb, 14 TV Ang ausgeschlossen. Auch sei der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts. zu entnehmen, daß eine Hebung der Arbeitsleistung
nur dann vorliege, wenn sich die in einer bestimmten Zeit zu erbringende
Arbeitsleistung vermehre.
Der Beteiligte beantragt,
unter Änderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom
28. Mai 1993 den Antrag abzuweisen.
Der Antragsteller beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Er trägt vor, er streite nicht wegen der Frage, ob er bei der Anordnung von
Mehrarbeit mitzubestimmen habe. Es gehe allein darum, ob die Anordnung von
Mehrarbeit dann eine Maßnahme zur Hebung der Arbeitsleistung darstelle, wenn
sie einer zusätzlichen Belastung der betroffenen Beschäftigten durch Zuteilung
zusätzlicher Aufgaben Rechnung tragen solle. Zu der Frage, ob von einer Hebung
der Arbeitsleistung auch dann auszugehen sei, wenn die pro Zeiteinheit geleistete
Arbeit sich nicht vermehre, aber für die zusätzliche Tätigkeiten Überzeitarbeit
angeordnet werde, habe sich das Bundesverwaltungsgericht bisher noch nicht
geäußert.
Dem Senat liegt ein Heftstreifen Verwaltungsvorgänge des Beteiligten vor.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Beschwerde ist begründet, denn die Anordnung bzw. Genehmigung
von Überzeitarbeit (Überstunden) stellt keine mitbestimmungspflichtige
Maßnahme zur Hebung der Arbeitsleistung im Sinne von § 76 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5
BPersVG dar.
Der Begriff "Leistung" ist allerdings mehrdeutig. Er kann sich einerseits auf
Leistungen während bestimmter Zeiteinheiten beziehen, was in der Physik die
Regel ist. So werden z.B. die Leistungen von Motoren und Beleuchtungskörpern in
Kilowatt bzw. Watt pro Stunde angegeben. Andererseits kann sich der Begriff
gerade bei menschlichen Leistungen auch auf Leistungsergebnisse, ein
bestimmtes Werk, ja sogar die Lebensleistung eines Menschen beziehen. Dabei
wird in der Regel nicht darauf abgestellt, ob die Leistung infolge hoher
Leistungsintensität oder lange währender Leistung zustande gekommen ist.
Wenn das Mitbestimmungsrecht in § 76 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 BPersVG für
"Maßnahmen zur Hebung der Arbeitsleistung" vorgesehen wird, dann deutet schon
der Begriff "Hebung" darauf hin, daß hier eine Erhöhung der Leistungsintensität
und nicht der Leistungsdauer gemeint ist. Das ergibt sich auch daraus, daß
Arbeitszeitregelungen, Mehrarbeitsregelungen und Überstundenregelungen
beteiligungsrechtlich speziell in § 75 Abs. 3 Nr. 1 und § 75 Abs. 4 BPersVG geregelt
sind. Deswegen ist entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts die Steigerung
des mengenmäßigen Arbeitsertrages durch Mehrarbeit nicht als Hebung der
Arbeitsleistung anzusehen.
Das Bundesverwaltungsgericht hat schon in seinem Beschluß vom 30. August
1985 - 6 P 20.83 - BVerwGE 72, 94 (102 f.)) zur Begriffsbestimmung von
Maßnahmen zur Hebung der Arbeitsleistung dargelegt, daß es zwar entscheidend
darauf ankomme, daß die beabsichtigte Maßnahme darauf angelegt sei, auf einen
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darauf ankomme, daß die beabsichtigte Maßnahme darauf angelegt sei, auf einen
oder mehreren Arbeitsplätzen einen höheren mengenmäßigen Arbeitsertrag zu
erzielen oder die Qualität des Arbeitsprodukts zu verbessern, jedoch gehe es nicht
um die Steigerung der Menge oder Qualität des Arbeitsertrages, sondern um die
erhöhte Inanspruchnahme des oder der betroffenen Beschäftigten, zu der solche
Maßnahmen typischerweise führten, weil sie in gesteigerten körperlichen
Anforderungen oder in einer vermehrten geistig-psychischen Belastung als Folge
eines schnelleren Arbeitstaktes oder eines geänderten Arbeitsablaufs beständen.
Der Begriff "Arbeitsleistung" bezeichne weder die Menge der während der
festgelegten Arbeitszeit geleisteten Arbeit noch deren sachlichen Ertrag, das
Arbeitsprodukt, sondern den körperlichen Einsatz und geistigen Aufwand, den der
Beschäftigte erbringen müsse, um das ihm abverlangte Arbeitsergebnis in
qualitativer und quantitativer Hinsicht zu erzielen. Dementsprechend ist das
Bundesverwaltungsgericht von einer Maßnahme zur Hebung der Arbeitsleistung
ausgegangen, wenn bestimmte Tätigkeiten in unverminderter Menge oder Güte in
verringerter, minutengenauer Zeit verrichtet werden müssen (vgl. Beschluß vom
10. März 1992 - 6 P 13.91 - Buchholz 250 § 76 BPersVG Nr. 24 = NVwZ-RR 1993,
151; Beschluß vom 31. Juli 1992 - 6 P 20.90 - Buchholz 250 § 76 BPersVG Nr. 25 =
PersV 1993, 220). In der letztgenannten Entscheidung ist noch einmal
herausgestellt worden, daß die Merkmale einer Hebung der Arbeitsleistung bei
quantitativ oder qualitativ höheren Anforderungen bei gleichbleibender Arbeitszeit
oder bei gleichbleibenden Anforderungen bei verkürzter Arbeitszeit vorliegen.
Unter Maßnahmen zur "Hebung der Arbeitsleistung" sind demnach solche zu
verstehen, durch die erhöhte arbeitszeitunabhängige Anforderungen an einem
bestimmten Arbeitsplatz gestellt werden. Mit der Anordnung bzw. Genehmigung
von Überzeitarbeit verändern sich die arbeitszeitunabhängigen Anforderungen an
den Arbeitsplätzen jedoch nicht. Daß das Arbeitsergebnis eines Beschäftigten, der
Überstunden leistet, mengenmäßig vergrößert wird, beruht darauf, daß die
Arbeitsleistung längere Zeit erbracht wird, und nicht auf ihrer "Hebung" in dem
dargelegten Sinne einer Leistungserhöhung.
Nur diese Auslegung wird der verfassungsrechtlichen Begrenzung der
personalvertretungsrechtlichen Beteiligungsrechte, die für Überstundenregelungen
in § 75 Abs. 4 BPersVG Ausdruck gefunden hat, gerecht. Nach der Rechtsprechung
des Bundesverfassungsgerichts verstieße es gegen die verfassungsmäßige
Ordnung im demokratischen Rechtsstaat (Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG), die
Funktionsfähigkeit und Verantwortlichkeit der Regierung dadurch einzuschränken,
daß Angelegenheiten von erheblichem politischen Gewicht generell der
Regierungsverantwortung entzogen und auf Stellen übertragen werden, die von
Regierung und Parlament unabhängig sind (BVerfG, Urteil vom 27. April 1959 - 2
BvF 2/58 - BVerfGE 9, 268 (282 ff.)). Welche Angelegenheiten von solchem
politischen Gewicht sind, läßt sich nur von Fall zu Fall beurteilen. Die Entscheidung,
welche Aufgaben im öffentlichen Interesse dadurch erledigt werden müssen, daß
Überstunden angeordnet werden, ist aber eine Entscheidung von solcher
Tragweite, denn die Verwaltung kann die Verantwortung für die Erledigung ihrer
Aufgaben nur tragen, wenn sie regeln kann, in welcher Reihenfolge und in welchem
Umfang die Aufgaben erledigt werden. Vor der Anordnung von Überstunden kann
auch nicht der Ausgang eines Beteiligungsverfahrens abgewartet werden, weil
schon dadurch die Möglichkeit, notwendige Aufgaben rechtzeitig zu erfüllen,
vereitelt werden könnte. Danach gebietet auch eine verfassungskonforme
Auslegung, die Mitbestimmungsregelung in § 76 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 BPersVG nicht
auf die Anordnung von Überstunden zu erstrecken.
Dementsprechend hat auch das Bundesverwaltungsgericht in seinem Beschluß
vom 8. Mai 1992 - 6 P 22.91 - PersV 1992, 442 = ZBR 1992, 377), in dem es um
die Auslegung einer Bestimmung des Hamburgischen Personalvertretungsrechts
im Hinblick auf § 104 Satz 3 BPersVG ging, ausgeführt, daß die Anordnung von
Mehrarbeit bei verfassungskonformer Auslegung nicht der Mitbestimmung
unterliegen könne. Entsprechendes gilt hinsichtlich der Regelung in § 76 Abs. 2
Satz 1 Nr. 5 BPersVG.
Im übrigen folgt auch aus § 75 Abs. 4 BPersVG, daß der Gesetzgeber zur Wahrung
der. Funktionsfähigkeit der Verwaltung den Personalvertretungen bei der
Anordnung von Überstunden kein uneingeschränktes Mitbestimmungsrecht
gewähren wollte, sondern nur die in § 75 Abs. 4 BPersVG vorgesehene
beschränkte Mitbestimmung (vgl. dazu BVerwG, Beschluß vom 17. Juli 1986 - 6 P
6.85 - BVerwGE 78, 47 = Buchholz 250 § 75 BPersVG Nr. 50 = PersV 1989, 312).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.