Urteil des HessVGH vom 22.03.1991
VGH Kassel: aufschiebende wirkung, gaststätte, lokal, handel, vollziehung, gastwirt, hauptsache, widerruf, konsum, bonus
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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
14. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
14 TH 369/91
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 4 Abs 1 Nr 1 GastG, § 15
Abs 2 GastG, § 80 Abs 5
VwGO
(Zum Widerruf einer Gaststättenerlaubnis wegen
Drogenmißbrauchs)
Tatbestand
Die Antragstellerin wendet sich gegen eine Verfügung, durch die ihr die Erlaubnis
zum Betrieb ihrer Gaststätte, in der es zu Drogenmißbrauch gekommen sein soll,
sofort vollziehbar widerrufen wurde.
Das Verwaltungsgericht hat die aufschiebende Wirkung des von der Antragstellerin
dagegen erhobenen Widerspruchs wiederhergestellt; hiergegen richtet sich die
Beschwerde der Antragsgegnerin.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist begründet; denn das Verwaltungsgericht hat zu Unrecht die
aufschiebende Wirkung des Widerspruchs wiederhergestellt.
Selbst wenn man mit dem Verwaltungsgericht den Ausgang des Verfahrens in der
Hauptsache für offen ansieht, führt die unabhängig von den Erfolgsaussichten des
Widerspruchs vorzunehmende Interessenabwägung zu einem Vorrang des
öffentlichen Interesses an der sofortigen Vollziehung der Widerrufsverfügung
gegenüber dem Interesse der Antragstellerin an einer Betriebsfortführung bis zur
Entscheidung in der Hauptsache.
Hierbei fällt zunächst ins Gewicht, daß nach dem derzeitigen sich aus der
Aktenlage ergebenden Erkenntnisstand die dringende Besorgnis besteht, daß sich
die Gaststätte der Antragstellerin neben anderen Lokalen in diesem Umfeld zu
einem Treffpunkt von Rauschgifthändlern und Rauschgiftsüchtigen entwickelt hat.
Ein irgendwie gearteter "Bonus" für die vermeintlich erst kurze Dauer dieses
Betäubungsmittelmißbrauchs in der Gaststätte kann nicht gewährt werden. Die
Feststellung des konkreten Umfangs der Aktivitäten von Rauschgiftkonsumenten
und Dealern in der Gaststätte der Antragstellerin erfordert eine umfangreiche
Beweisaufnahme, für die im Eilverfahren nach § 80 Abs. 5 der
Verwaltungsgerichtsordnung -- VwGO -- kein Platz ist; sie muß dem
Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Gleichwohl sprechen Umstände auch in
der Nachbarschaft dieses Lokals dafür, daß in ihnen nur ein Ausschnitt der auch im
Lokal der Antragstellerin herrschenden Mißstände ans Licht gekommen ist.
Zwar reicht die bloße -- zur Überzeugung des beschließenden Senats
feststehende -- Tatsache eines Drogenmißbrauchs, dazu zählen neben Konsum
und Handel auch die Anbahnung in dem Lokal als Kontaktadresse, für sich allein
noch nicht aus, um den Betreiber als unzuverlässig im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 1
des Gaststättengesetzes zu betrachten. Aber auch ohne Beteiligung an solchen
strafbaren Handlungen und Ordnungswidrigkeiten verletzt der
Gaststättenbetreiber die zur Annahme seiner gaststättenrechtlichen
Unzuverlässigkeit führende Aufsichtspflicht, wenn solche Mißstände eintreten, die
bei gehöriger Aufsicht nicht hätten vorkommen können. Von einer solchen
Aufsichtspflichtverletzung geht der Senat aus, ohne daß nach seiner Auffassung in
Fällen, in denen die Gaststättenräume zu sozialwidrigen Handlungen wie etwa bei
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Fällen, in denen die Gaststättenräume zu sozialwidrigen Handlungen wie etwa bei
der Rauschgiftkriminalität mißbraucht werden, bewiesen werden muß, daß der Wirt
Kenntnis von den betreffenden Vorgängen hatte (so überzeugend Kienzle, Zur
Risikoverteilung im Gaststättenrecht, GewA 1983, S. 281, 285; anders in einem
Fall, in welchem dem Gastwirt auch nach Beweisaufnahme nicht hat widerlegt
werden können, weder etwas von Rauschgiftgeschäften bemerkt zu haben, noch
seine Aufsichtspflicht nicht verletzt zu haben, OVG Münster, Urteil vom 8. April
1986 -- 4 A 1443/84 --, GewA 1986, S. 385, bestätigt durch BVerwG, Urteil vom 13.
Dezember 1988 -- 1 C 44/86 --, NVwZ 1989, S. 453).
Die Antragstellerin mußte zumindest einen der Kenntnis sehr nahe kommenden
Verdacht haben, daß in ihrem Lokal Drogenmißbrauch in der zuvor beschriebenen
Art, wenigstens Handel oder dessen Anbahnung, betrieben wird.
Dabei verkennt der Senat nicht, daß es für einen Gastwirt im allgemeinen keine
leichte Aufgabe ist, allen Umtrieben von Rauschgifthändlern und Konsumenten
"auf die Schliche zu kommen"; so kann namentlich nicht gefordert werden, alle
Gäste ständig zu überwachen, leise geführte Gespräche mitzuhören oder im
Einzelfall den Konsum von Rauschgift auf der Toilette aufzuspüren.
Allerdings bestand im vorliegenden Fall zu einer besonders intensiven
Beaufsichtigung des Lokals der Antragstellerin um so mehr Anlaß, als in der
Nachbarschaft mindestens eine Gaststätte betrieben wurde, die sich zu einem
allgemeinen Treffpunkt von Dealern entwickelt hatte (dazu Beschluß des Senats
vom heutigen Tage -- 14 TH 491/91 --), und von der auch für die Antragstellerin
erkennbar eine Gefährdung ihrer eigenen Gaststätte zu besorgen war.
Streiten vor diesem Hintergrund jedenfalls keine offensichtlichen Erfolgsaussichten
des von der Antragstellerin erhobenen Widerspruchs für ihr
Betriebsfortführungsinteresse, so gewinnt das öffentliche Interesse am
Sofortvollzug des Erlaubniswiderrufs, der sich gegen den konkreten Gefahrenherd
und nicht etwa gegen die Person des Gastwirts richtet (dazu Konrad,
Betäubungsmittelmißbrauch in Gaststätten -- Zur Zusammenarbeit des Gastwirts
mit der Polizei, GewA 1984, S. 73, 77) an Überragender Bedeutung. Dahinter
haben sämtliche anderen Interessen der Antragstellerin, insbesondere
wirtschaftliche zurückzustehen.
Da auch die Anordnung der sofortigen Vollziehung keinen Anlaß zu rechtlichen
Bedenken gibt (vgl. dazu ebenfalls die im Beschluß vom heutigen Tage -- 14 TH
491/91 -- auf ausdrückliche Rüge erfolgten Ausführungen), war der Antrag
insgesamt mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 20 Abs. 3 i.V.m. § 13 Abs. 1 Satz 1 und dem
entsprechend anzuwendenden § 14 des Gerichtskostengesetzes -- GKG --; sie
entspricht der ständigen Praxis des beschließenden Senats in vergleichbaren
Fällen, in denen es -- wie hier -- an einer bezifferbaren Bedeutung der Sache für
den Antragsteller fehlt. Die ohne nähere Gewinnausweisung bloße Behauptung
eines bestimmten, im übrigen trotz entsprechenden gerichtlichen Hinweises nicht
glaubhaft gemachten Jahresumsatzes ist kein geeigneter Anhaltspunkt, von der
bisherigen an dem dreifachen Auffangstreitwert im Sinne des § 13 Abs. 1 Satz 2
GKG orientierten Senatspraxis abzuweichen.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.