Urteil des HessVGH vom 24.01.1992

VGH Kassel: aufenthaltserlaubnis, vorläufiger rechtsschutz, ausländer, eltern, befreiung, cousin, wiederherstellung, erlöschen, härte, familienrecht

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
13. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
13 TH 2/92
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 69 AuslG 1990, § 96
AuslG 1990
(Aufenthaltserlaubnis - Erlöschen der Erlaubnisfiktion mit
Vollendung des 16. Lebensjahres)
Gründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
Das Verwaltungsgericht hat es zu Recht abgelehnt, dem Begehren des
Antragstellers auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen den Bescheid
vom 7. Mai 1991, mit dem der Antrag des Antragstellers auf Erteilung einer
Aufenthaltsgenehmigung in Form der Aufenthaltserlaubnis abgelehnt und ihm
zugleich unter Setzung einer Frist von zwei Monaten die Abschiebung angedroht
worden ist, zu entsprechen.
Nicht zu folgen vermag der Senat allerdings der Auffassung des
Verwaltungsgerichts, daß hinsichtlich der Versagung der Aufenthaltserlaubnis
vorliegend vorläufiger Rechtsschutz nur nach § 123 VwGO statthaft sei. Auch nach
Inkrafttreten des neuen Ausländergesetzes ist gegen die Versagung einer
Aufenthaltserlaubnis weiterhin der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO statthaft, wenn
die ablehnende Entscheidung der Ausländerbehörde eine fiktiv geltende Erlaubnis
oder Duldung zum Erlöschen gebracht hat, die Entscheidung der
Ausländerbehörde sich also nicht in der bloßen Versagung einer Begünstigung
erschöpft. Vorliegend ist der Antrag zulässigerweise auf die Wiederherstellung
einer derartigen Position, nämlich auf die Wiederherstellung der Erlaubnisfiktion
nach § 69 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 69 Abs. 1 Satz 1 AuslG und § 9 Abs. 5 Nr. 1
DVAuslG, gerichtet.
Der Antragsteller ist im Alter von fünfzehn Jahren im November 1990 in die
Bundesrepublik Deutschland eingereist. Zum Zeitpunkt seiner Einreise bedurfte er
nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 AuslG a.F. keiner Aufenthaltserlaubnis. Mit Inkrafttreten des
neuen Ausländergesetzes zum 1. Januar 1991 trat zugunsten des Antragstellers
die Übergangsvorschrift des § 96 AuslG über die Erhaltung der Rechtsstellung
jugendlicher Ausländer ein. Nach Absatz 1 dieser Vorschrift erhalten Ausländer, die
im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes das 16. Lebensjahr noch nicht
vollendet haben und sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten, nach Maßgabe
der Vorschriften dieses Gesetzes - also des neuen Ausländergesetzes - auf Antrag
eine Aufenthaltsgenehmigung. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift waren bei
Inkrafttreten des neuen Ausländergesetzes im Falle des Antragstellers erfüllt, da
er zu diesem Zeitpunkt das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte und sich
infolge seiner Einreise vor Vollendung des 16. Lebensjahres und mangels einer
Beschränkung seines Aufenthalts rechtmäßig im Bundesgebiet aufhielt. In
Übereinstimmung mit § 96 Abs. 2 AuslG hat der Antragsteller den Antrag auf
Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung auch innerhalb eines Jahres nach dem
Inkrafttreten des neuen Ausländergesetzes gestellt, nämlich bereits am 24. Januar
1991. Da mithin die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 96 AuslG in der
Person des Antragstellers erfüllt waren, galt zum einen nach § 96 Abs. 2 Satz 2
AuslG bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde die Befreiung vom Erfordernis
der Aufenthaltserlaubnis, die vor dem Inkrafttreten des neuen Ausländergesetzes
bestanden hatte, zugunsten des Antragstellers fort. Zum anderen galt - da § 96
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bestanden hatte, zugunsten des Antragstellers fort. Zum anderen galt - da § 96
Abs. 2 AuslG eine begünstigende Sonderregelung zu § 69 AuslG ist, die
Anwendung des § 69 AuslG also möglich bleibt, soweit § 96 Abs. 2 AuslG nicht
anwendbar ist - zugleich und darüber hinaus der Aufenthalt des Antragstellers bis
zur Entscheidung der Ausländerbehörde nach § 69 Abs. 3 Satz 2 AuslG i.V.m. § 69
Abs. 1 Satz 1 AuslG und § 9 Abs. 5 Nr. 1 DVAuslG vorläufig, d.h. bis zur
Entscheidung der Ausländerbehörde über den Antrag auf Erteilung einer
Aufenthaltsgenehmigung, als erlaubt. Dementsprechend ist das vorliegende
Begehren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes in statthafter Weise auf die
Wiederherstellung der dem Antragsteller durch die Entscheidung der
Ausländerbehörde genommenen Erlaubnisfiktion nach § 69 AuslG gerichtet. Nicht
hingegen kann die aus § 96 Abs. 2 AuslG folgende Fiktion der Befreiung vom
Erfordernis der Aufenthaltserlaubnis Gegenstand des vorliegenden Antrages sein.
Da die fiktiv geltende Befreiung vom Erfordernis der Aufenthaltserlaubnis nach der
gesetzlichen Regelung zwingend mit Vollendung des 16. Lebensjahres endet, der
Antragsteller vorliegend das 16. Lebensjahr aber unterdessen (5. Juli 1991) schon
vollendet hat, liegt hinsichtlich der aus § 96 AuslG folgenden Befreiungsfiktion für
den Antragsteller eine zur Statthaftigkeit seines Antrages nach § 80 Abs. 5 VwGO
führende, wiederherstellbare Rechtsposition nicht mehr vor.
Der mithin insgesamt nach § 80 Abs. 5 VwGO statthafte und auch im übrigen
zulässige Antrag muß jedoch in der Sache ohne Erfolg bleiben, denn der Bescheid
der Antragsgegnerin erweist sich bereits bei summarischer Überprüfung im
vorliegenden Eilverfahren als offensichtlich rechtmäßig mit der Folge, daß das
Interesse des Antragstellers an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet hinter
dem öffentlichen Interesse an seiner umgehenden Ausreise zurückzutreten hat.
Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller die begehrte Aufenthaltserlaubnis zu
Recht versagt. Auch wenn zugunsten des Antragstellers, wie dargelegt, die
Regelung des § 96 AuslG eingreift, so ist ihm nach § 96 Abs. 1 AuslG eine
Aufenthaltsgenehmigung nur nach Maßgabe der Vorschriften des neuen
Ausländergesetzes zu erteilen. Der Antragsteller hat jedoch keinen Anspruch auf
Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung nach dem neuen Ausländergesetz.
Auf § 20 Abs. 2 AuslG kann sich der Antragsteller nicht mit Erfolg berufen, da diese
Vorschrift nur den Nachzug minderjähriger lediger Kinder zu ihren in der
Bundesrepublik Deutschland lebenden Eltern regelt, die Eltern des Antragstellers
jedoch noch in Marokko leben und der Antragsteller vielmehr zu seinem in der
Bundesrepublik Deutschland lebenden Cousin nachziehen möchte.
Auch die Voraussetzungen des § 22 AuslG sind nicht erfüllt. Es ist nicht ersichtlich,
daß die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zur Vermeidung einer
außergewöhnlichen Härte für den Antragsteller erforderlich ist. Soweit der
Antragsteller in diesem Zusammenhang vorgetragen hat, seine Eltern seien nicht
in der Lage für ihn zu sorgen, so kann hierin schon deshalb keine
außergewöhnliche Härte für den Antragsteller erblickt werden, weil offenbar sein in
der Bundesrepublik Deutschland lebender Cousin in der Lage und bereit ist, den
Antragsteller finanziell zu unterstützen, und diese Unterstützung auch dann
erfolgen kann, wenn sich der Antragsteller nicht in der Bundesrepublik
Deutschland, sondern in seinem Heimatland aufhält.
Eine andere Beurteilung kann sich auch nicht im Hinblick auf Art. 6 GG ergeben.
Das Verwaltungsgericht hat unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des
Senats zutreffend ausgeführt, daß die Beziehung des Antragstellers zu seinem
Cousin, auch wenn diesem nach marokkanischem Familienrecht das Sorgerecht
für den Antragsteller zustehen sollte, nicht dem Schutzbereich des Art. 6 GG
unterfällt. Zugunsten des Antragstellers greift schließlich auch nicht § 96 Abs. 1
Satz 2 AuslG ein, wonach die Aufenthaltsgenehmigung abweichend von §§ 7 Abs. 2
und 8 Abs. 1 AuslG auch dann erteilt werden darf, wenn eine
Erteilungsvoraussetzung nach diesem Gesetz nicht vorliegt. Nach der
Sondervorschrift des § 96 Abs. 1 Satz 2 AuslG darf ausschließlich von einzelnen
Erteilungsvoraussetzungen, wie beispielsweise dem Wohnraumerfordernis bzw.
dem Erfordernis des gesicherten Unterhalts oder dem Erfordernis, daß beide
Elternteile eine Aufenthaltserlaubnis oder Aufenthaltsberechtigung besitzen
müssen, abgesehen werden. Dagegen läßt es § 96 Abs. 1 Satz 2 AuslG nicht zu,
jedem vor dem 1. Januar 1991 eingereisten Ausländer unter 16 Jahren trotz
Nichterfüllung sämtlicher tatbestandlicher Voraussetzungen der einschlägigen
Vorschrift über die Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung im Ermessenswege
trotzdem eine Aufenthaltsgenehmigung zu erteilen.
10 Schließlich kann auch dem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des
Widerspruchs gegen die im angegriffenen Bescheid zugleich enthaltene
Abschiebungsandrohung kein Erfolg beschieden sein. Diese Entscheidung stellt
sich gemäß §§ 50 Abs. 1, 42 Abs. 2 AuslG als offensichtlich rechtmäßig dar, so daß
das private Interesse des Antragstellers, von Abschiebungsmaßnahmen vorläufig
verschont zu werden, hinter dem öffentlichen Vollzugsinteresse zurückzutreten
hat.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.