Urteil des HessVGH vom 27.09.1994

VGH Kassel: recht auf leben, körperliche unversehrtheit, empfehlung, plakat, markt, ermessen, abfallrecht, verbraucher, abfallverwertung, beeinflussung

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
14. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
14 TG 1743/93
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 66 Abs 2 GemO HE, Art
14 GG
(Plakataktion einer Kommune zur Abfallvermeidung -
Abwehrrecht eines Unternehmers gegenüber einer
behördlichen Empfehlung/Verhaltenslenkung)
Gründe
Nachdem die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend in der Hauptsache für
erledigt erklärt haben, ist das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 125
Abs. 1 und des § 92 Abs. 2 VwGO einzustellen. Der Beschluß des
Verwaltungsgerichts ist - abgesehen von der Streitwertfestsetzung für den ersten
Rechtszug - gemäß § 173 VwGO i.V.m. dem entsprechend anzuwendenden § 269
Abs. 3 Satz 1 ZPO wirkungslos.
Über die Kosten des Verfahrens ist nach § 161 Abs.2 VwGO nach billigem
Ermessen zu entscheiden. Danach sind die Kosten der Antragsgegnerin
aufzuerlegen, weil die von ihr eingelegte Beschwerde voraussichtlich erfolglos
geblieben wäre. Das Verwaltungsgericht dürfte die mit dem Rechtsmittel
angegriffene einstweilige Anordnung zu Recht erlassen haben.
Der Rechtsstreit betraf eine von der Antragsgegnerin zum Teil durchgeführte, zum
Teil ursprünglich noch geplante Plakatkampagne, mit der die Antragsgegnerin die
Abfallvermeidung fördern wollte. Die rechtlichen Voraussetzungen für Warnungen,
Hinweise oder Empfehlungen, die von den für den Umweltschutz zuständigen
Behörden ausgehen, sind jedenfalls für das Abfallrecht nicht gesetzlich geregelt
und im einzelnen ungeklärt. Dabei stehen die Auffassungen der Rechtsprechung
und des rechtswissenschaftlichen Schrifttums einander weithin ablehnend
gegenüber. Die wesentlichen bisher entwickelten Auffassungen führen jedoch
übereinstimmend zu dem Ergebnis, daß der Antragstellerin ein Abwehranspruch
gegen die Plakatkampagne zustand.
Die Antragstellerin kann sich als Herstellerin von Getränkekartons auf das Recht
am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, das den Schutz des Art. 14
des Grundgesetzes - GG - genießt, berufen. Das von der Antragsgegnerin
ausgehängte Plakat stellt sich als eine behördliche Empfehlung dar. Die von der
Behörde getroffene Aussage geht nämlich über einen bloßen Hinweis auf
umweltpolitisch erhebliche Zusammenhänge hinaus, indem sie den von dem
Plakat angesprochenen Personen ein bestimmtes Verhalten, eben die
Abfallvermeidung, nahelegt. Auf der anderen Seite beschränkt sich die Behörde
darauf, zum Ausdruck zu bringen, daß sie die Abfallvermeidung gegenüber der
Abfallverwertung bevorzugt. Sie spricht keine Warnung vor der Abfallverwertung
aus; denn sie zeigt keine mit der Verwertung verbundenen Risiken auf (zur
Begriffsbildung vgl. Leidinger, Hoheitliche Warnungen, Empfehlungen und Hinweise
im Spektrum staatlichen Informationshandelns, DÖV 1993, 925, 926).
Nach der in der rechtswissenschaftlichen Fachliteratur vorherrschenden
Auffassung sind Empfehlungen, die mittelbar durch Beeinflussung des
Verbraucherverhaltens in das Recht eines Unternehmers am eingerichteten und
ausgeübten Gewerbebetrieb eingreifen, nur zulässig, wenn sie von der zuständigen
Behörde aufgrund einer sie zu diesem Eingriff ermächtigenden Rechtsnorm
ausgesprochen werden (aaO, S. 931). Die Antragsgegnerin stellt zu Unrecht in
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ausgesprochen werden (aaO, S. 931). Die Antragsgegnerin stellt zu Unrecht in
Frage, daß die Plakatkampagne in das Recht der Antragstellerin eingegriffen hätte.
Es trifft zwar zu, daß die Antragstellerin als Herstellerin einer vom Verbraucher
nach Auffassung der Behörde zu meidenden Verpackung auf dem Plakat nicht
genannt wird. Die vorstehend beschriebenen rechtlichen Anforderungen an die
Veröffentlichung einer behördlichen Empfehlung werden jedoch im einschlägigen
Schrifttum auch dann herangezogen, wenn eine von dem Hersteller auf den Markt
gebrachte Produktgruppe eindeutig bezeichnet wird und die Behörde die Absicht
hat, die gesamte Produktgruppe vom Markt zu verdrängen (aaO, S. 930 m.w.N.).
Im vorliegenden Fall ist ein zu einer von der Antragstellerin hergestellten
Produktgruppe gehöriger Getränkekarton eindeutig auf dem Plakat zu erkennen
und wird dort als "Biest" dargestellt. Die Absicht der Antragsgegnerin, diese
Produktgruppe vom Markt zu verdrängen, gelangt durch die Schlagworte
"Verwerten ist gut, Vermeiden ist besser" und "Gib dem Müll 'nen Korb" zum
Ausdruck und wird durch die zeichnerische Darstellung einer als "Die Schöne"
bezeichneten Mehrwegflasche unterstrichen.
Der Antragsgegnerin fehlt es für eine solche Empfehlung bereits an der sachlichen
Zuständigkeit. Sie kann sich nicht auf § 66 Abs. 2 der Hessischen
Gemeindeordnung - HGO - berufen. Danach hat der Gemeindevorstand die Bürger
in geeigneter Weise, insbesondere durch öffentliche Rechenschaftsberichte, über
wichtige Fragen der Gemeindeverwaltung zu unterrichten und das Interesse der
Bürger an der Selbstverwaltung zu pflegen. Diese Vorschrift zielt auf eine bloße
Unterrichtung der Bürger, nicht aber auf eine verhaltenslenkende Beeinflussung.
Auch das Hessische Abfallwirtschafts- und Altlastengesetz - HAbfAG - begründet
keine Zuständigkeit des Magistrats der Antragsgegnerin, die auf dem
streitbefangenen Plakat zum Ausdruck kommende Empfehlung auszusprechen.
An einer ausdrücklichen Zuständigkeitsregelung für die Abgabe von Empfehlungen
fehlt es im Gesetz. Sie läßt sich auch nicht als Annexkompetenz aus einer
sonstigen der Antragsgegnerin zugewiesenen Zuständigkeit herleiten. In Betracht
käme allein die Vorschrift des § 1 Abs. 1 Satz 1 HAbfAG, wonach die kreisfreien
Städte die in ihrem Gebiet angefallenen Abfälle einzusammeln haben. Aus der
Zuständigkeit zum Einsammeln von Abfällen läßt sich jedenfalls nicht ohne
weiteres schließen, daß die kreisfreien Städte auch für eine Lenkung des
Verhaltens der Verbraucher von Verpackungen zuständig wären. Da für das Gebiet
des Umlandverbandes Frankfurt gemäß § 1 Abs. 2 Satz 2 HAbfAG der
Umlandverband als Entsorgungspflichtiger an die Stelle der kreisfreien Städte tritt,
bedarf es hier keiner Klärung der Frage, ob die den kreisfreien Städten im
allgemeinen nach § 1 Abs. 2 Satz 1 HAbfAG zukommende Zuständigkeit zur
Verwertung und Entsorgung der eingesammelten oder angelieferten Abfälle eine
Annexkompetenz der von der Antragsgegnerin in Anspruch genommenen Art
begründen könnte.
Im übrigen fehlt es auch an einer Befugnisnorm, aus der sich entnehmen ließe,
unter welchen Voraussetzungen und in welchem Ausmaß die Behörde mit ihrer
Empfehlung in den Rechtskreis der Antragstellerin eingreifen dürfte. In dem von
Hochschullehrern veröffentlichten Entwurf eines Umweltgesetzbuchs - Allgemeiner
Teil - ist im § 107 eine Vorschrift über Warnungen, Hinweise und Empfehlungen
enthalten. Danach ist die zuständige Behörde befugt, Warnungen, Hinweise und
Empfehlungen für umweltgerechtes Verhalten auszusprechen, soweit
überwiegende Gründe des Gemeinwohls dies erfordern (Kloepfer u.a.,
Umweltgesetzbuch - Allgemeiner Teil -, 2. Aufl., Berlin 1990, S. 80). Eine
entsprechende Bestimmung ist im geltenden Recht - jedenfalls für das Abfallrecht
- nicht enthalten.
Die höchstrichterliche Rechtsprechung hält allerdings teilweise eine Befugnisnorm
nicht für erforderlich, sondern leitet die Befugnis zu mittelbaren
Grundrechtseingriffen durch Hinweise, Warnungen oder Empfehlungen in einzelnen
Fällen unmittelbar aus dem Grundgesetz her. Dabei stützt sie sich auf den
Rechtsgedanken einer staatlichen Schutzpflicht (BVerwG, Urteil vom 23. Mai 1989
- 7 C 2.87 -, BVerwGE 82, 77, 82 f.), die etwa eingreifen kann, wenn das
verfassungsrechtlich gewährleistete Recht auf Leben und körperliche
Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes - GG -) von privater Seite
gefährdet wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Oktober 1990 - 3 C 2.88 -, BVerwGE
87, 37, 49). Im übrigen rechtfertigt das Bundesverwaltungsgericht mittelbare
Grundrechtseingriffe unmittelbar aufgrund Verfassungsrechts anhand der Aufgabe
der Bundesregierung, gesellschaftliche Probleme zu erkennen und zu beheben
und die Politik im ganzen verantwortlich zu leiten (BVerwGE 82, 77, 80 f. und 87,
37, 46 f.). In diesem Zusammenhang wird deutlich, daß die höchstrichterliche
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37, 46 f.). In diesem Zusammenhang wird deutlich, daß die höchstrichterliche
Rechtsprechung die unmittelbar aus dem Grundgesetz hergeleiteten Befugnisse
nur einem Verfassungsorgan, nämlich der Bundesregierung, zubilligt. In einer
früheren Entscheidung, die die Tätigkeit einer oberen Bundesbehörde betraf, ging
das Bundesverwaltungsgericht dagegen davon aus, daß die Behörde für
Maßnahmen, die mittelbar auf einen nachteiligen Effekt für am Wirtschaftsleben
teilnehmende Personen abzielte, einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage
bedurfte (Urteil vom 18. April 1985 - 3 C 34.84 -, BVerwGE 71, 183, 198). Als
Behörde der Kommunalverwaltung kann der Magistrat der Antragsgegnerin nach
dieser Rechtsprechung keine Befugnisse unmittelbar aus der Verfassung für sich
herleiten.
Bei der hier zu treffenden Entscheidung über die Kostenverteilung nach billigem
Ermessen ist es nicht Aufgabe des beschließenden Gerichtshofs, über die
vorhandenen Ansätze hinaus zur rechtlichen Lösung der mit mittelbaren Eingriffen
durch öffentliche Verlautbarungen zusammenhängenden Fragen weiterführende
Erwägungen anzustellen.
Die Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 20 Abs. 3
i.V.m. § 13 Abs. 1 Satz 1 und dem entsprechend anzuwendenden § 14 GKG. Dabei
lehnt sich der vorliegende Beschluß an die Streitwertfestsetzung im ersten
Rechtszug an.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.