Urteil des HessVGH vom 22.02.1994

VGH Kassel: öffentliche bekanntmachung, befreiung, aufschiebende wirkung, bebauungsplan, gebühr, amtshandlung, verwaltungsbehörde, gemeindeordnung, quelle, vollziehung

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
5. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
5 TH 1189/92
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 5 Abs 4 GemO HE, § 12 S
2 BBauG, § 1 VwKostG HE
(Bauaufsichtsgebühr: Erhebung einer Gebühr für die
Befreiung von Bebauungsplanfestsetzungen bei
Unwirksamkeit des Bebauungsplans rechtswidrig, da nicht
durch den Antragsteller veranlaßt; bei begründetem Anlaß
hat die Bauaufsichtsbehörde das anzuwendende Recht
(Bebauungsplan) zu überprüfen)
Gründe
Mit dem angefochtenen Beschluß hat das Verwaltungsgericht antragsgemäß die
aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen die Erhebung
einer - ursprünglich auf 91.862,50 DM bezifferten, später auf 90.880,-- DM
herabgesetzten - Befreiungsgebühr für die Befreiung von Festsetzungen des
Bebauungsplan NO 22 a Nr. 1 der Antragsgegnerin angeordnet. Die hiergegen
gerichtete Beschwerde der Antragsgegnerin ist zulässig, kann aber in der Sache
keinen Erfolg haben. An der Rechtmäßigkeit der angefochtenen
Gebührenfestsetzung bestehen auch nach Auffassung des Senats ernstliche
Zweifel, die es nach der im gerichtlichen Aussetzungsverfahren (§ 80 Abs. 5
VwGO) entsprechend anzuwendenden Vorschrift des § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO
rechtfertigen, die sofortige Vollziehung auszusetzen.
Das Verwaltungsgericht hat zu Recht angenommen, daß der Bebauungsplan NO
22 a Nr. 1 der Antragsgegnerin bei Zugrundelegung der Rechtsprechung des
Hessischen Verwaltungsgerichtshofs zu den Anforderungen, die an die Regelung
der Auslegung von Bebauungsplänen im Hauptsatzungsrecht zu stellen sind, nicht
wirksam zustande gekommen ist. Im Zeitpunkt der Bekanntmachung des
vorgenannten Bebauungsplans galt die hessische Gemeindeordnung noch in der
ursprünglichen Fassung vom 1. Juli 1960, GVBl. S. 103 (HGO 1960). Nach § 5 Abs.
4 dieser Fassung war die "Art der Bekanntmachung" in der Hauptsatzung
festzulegen. Eine solche "Festlegung" erforderte die generelle Bestimmung von Ort
und Dauer der Auslegung in der Hauptsatzung selbst (so schon der beschließende
Senat in einem Beschluß vom 28.11.1968 - R V 3/65 - ESVGH 19,214; ferner der 4.
Senat des Hess. VGH in ständiger Rechtsprechung, vgl. Urteil vom 13.07.1973 - IV
OG 40/73 - BRS 27 Nr. 20, Beschluß vom 19.11.1973 - IV N 2/73 - BRS 27 Nr. 16,
Beschlüsse vom 19.01.1988 und vom 07.06.1988 - 4 N 4/83 -, Beschluß vom
28.04.1989 - 4 TG 4609/88 - und Beschluß vom 06.06.1989 - 4 N 1025/87). Es
genügte also nicht die Festlegung lediglich der Art der Hinweisbekanntmachung
nach § 12 Satz 2 des Bundesbaugesetzes vom 23. Juni 1960, BGBl. I S. 341
(BBauG 1960). Hiervon ausgehend wiesen weder die - im Beschluß des
Verwaltungsgerichts auszugsweise zitierte - Hauptsatzung der Antragsgegnerin
vom 20. Juni 1966 noch die Fassung der Hauptsatzung vom 6. Mai 1968, die bei
der Auslegung des streitigen Bebauungsplans bereits galt, den erforderlichen
Regelungsgehalt auf. Die Hauptsatzung vom 20. Juni 1966 beschränkte sich in
ihrem § 7 Abs. 4 darauf, bei gesetzlich vorgeschriebener öffentlicher Auslegung die
Bekanntgabe von "Ort und Zeit der Offenlegung in dem Amtsblatt"
vorzuschreiben. Die Hauptsatzung vom 6. Mai 1968 sah zwar in dem neu
eingefügten § 7 Abs. 4 Satz 2 zusätzlich vor, daß "die Dauer der Auslegung 4
Wochen, vom Tage der Veröffentlichung der Bekanntmachung an gerechnet" zu
betragen habe, falls keine besonderen gesetzlichen Bestimmungen bestünden. Es
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betragen habe, falls keine besonderen gesetzlichen Bestimmungen bestünden. Es
fehlte jedoch nach wie vor die generelle Festlegung des Orts der Auslegung, so
daß auch diese Satzungsfassung die öffentliche Bekanntmachung von
Bebauungsplänen der Antragsgegnerin nicht auf eine gültige ordnungsrechtliche
Grundlage hat stellen können.
Soweit das Verwaltungsgericht aus der Unwirksamkeit des Bebauungsplans NO 22
a Nr. 1 die Folgerung gezogen hat, daß es einer Befreiung von den Festsetzungen
dieses Plans nicht bedurfte und infolgedessen eine Gebührenpflicht nach § 1 Abs.
1 des hessischen Verwaltungskostengesetzes vom 11. Juli 1972, GVBl. I S. 235
(HVwKostG), in Verbindung mit der Bauaufsichtsgebührensatzung der
Antragsgegnerin nicht entstehen konnte, ist auch dies nicht zu beanstanden. Ist
wegen der Unwirksamkeit des zugrundeliegenden Bebauungsplans eine Befreiung
nicht erforderlich, so stellt eine gleichwohl erteilte Befreiung in der Regel keine "auf
Veranlassung" des Bauantragstellers oder in seinem überwiegenden "Interesse"
vorgenommene Amtshandlung im Sinne des § 1 HVwKostG dar. Etwas anderes
kann nur dann angenommen werden, wenn sich die Bauaufsichtsbehörde bei nicht
offenkundiger Unwirksamkeit des Bebauungsplans an diesen gebunden fühlen darf
und somit erst eine Befreiung von den planerischen Festsetzungen den
Bauantragsteller in die Lage versetzt, sein Bauvorhaben ohne Verzögerung zu
realisieren. Die Möglichkeit, sogleich mit der Bauausführung beginnen zu können,
ohne zuvor einen unter Umständen langwierigen Rechtsstreit zur Frage der
Wirksamkeit des Bebauungsplans führen zu müssen, kann - wie der Senat mit
Urteil vom 14. August 1975 (V OE 5/75 - Hess.VGRspr 1976, 17) entschieden hat -
ein besonderer Nutzen sein, der als solcher gemäß § 1 HVwKostG die Erhebung
der Gebühr für die Erteilung einer Befreiung zu rechtfertigen vermag. Eine
derartige Konstellation liegt hier jedoch nicht vor. Aufgrund der bekannten
Rechtsprechung des Hess. VGH zu den landesrechtlichen Anforderungen an die
öffentliche Bekanntmachung von Bebauungsplänen unter der Geltung der
hessischen Gemeindeordnung in der Fassung vom 1. Juli 1960 mußte auch die
Antragsgegnerin davon ausgehen, daß der Bebauungsplan NO 22 a Nr. 1 wegen
Fehlens einer gültigen ortsrechtlichen Regelung zur Art der Bekanntmachung nicht
wirksam in Kraft getreten und folglich nicht anzuwenden sei. Dem steht nicht
entgegen, daß die Bauverwaltung einen Bebauungsplan weder von sich aus
aufheben noch förmlich für nichtig erklären und damit aus der Welt schaffen kann.
Denn das ist noch kein Hinderungsgrund dafür, den Bebauungsplan - wie
überhaupt jegliches Recht, dessen Anwendung in Rede steht - auf seine Gültigkeit
zu überprüfen und, sofern sich eindeutig seine Ungültigkeit feststellen läßt, auch
ohne förmliche Aufhebung außer Anwendung zu lassen. Es ist verständlich, wenn
in Zweifelsfällen die Verwaltungsbehörde von der Gültigkeit einer förmlich in Kraft
gesetzten Norm ausgeht und die Klärung strittiger Rechtsfragen den Gerichten
überläßt. Es darf und muß aber erwartet werden, daß ein bei klarem Sachverhalt
und bei im Schrifttum oder in der Rechtsprechung schon geklärter rechtlicher
Problematik möglicher eindeutiger Schluß bereits von der zuständigen
Verwaltungsbehörde gezogen und nicht den Verwaltungsgerichten zugeschoben
wird (so zutreffend der 4. Senat des Hess. VGH, Urteil vom 20.12.1989 - 4 UE
2251/88 -NVWZ 1990, 885, 886).
Die Antragsgegnerin beruft sich zur Stützung ihrer Auffassung, daß der
Bebauungsplan NO 22 a Nr. 1 rechtswirksam zustande gekommen sei, jedenfalls
aber nicht als offensichtlich unwirksam behandelt werden könne, auf
höchstrichterliche Rechtsprechung zu den aus § 12 BBauG 1960 folgenden
Anforderungen an die Bekanntmachung von Bebauungsplänen. Diese
Rechtsprechung bezieht sich indessen nur auf bundesrechtliche Anforderungen
und läßt weitergehende Anforderungen des irrevisiblen Landesrechts, wie sie der 4.
und der 5. Senat des Hess. VGH aus § 5 Abs. 4 HGO 1960 abgeleitet haben,
unberührt (so ausdrücklich Bundesverwaltungsgericht, Beschluß vom 23.09.1974 -
IV B 113.74 - Buchholz 406.11, § 12 BBauG Nr. 4). Der von der Antragsgegnerin
gerügte Widerspruch der Rechtsprechung des Hess. VGH mit Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts, des Bundesgerichtshofs und des
Bundesverfassungsgerichts liegt also nicht vor. Im einzelnen kann hierzu auf die
überzeugenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts verwiesen werden.
Da eine Gebührenpflicht der Antragstellerin für die ihr erteilte Befreiung von
Festsetzungen des Bebauungsplans NO 22 a Nr. 1 der Antragsgegnerin schon
deshalb entfällt, weil die in § 1 Abs. 1 HVwKostG alternativ genannten Merkmale
einer gebührenpflichtigen Amtshandlung nicht erfüllt sind, erübrigt sich eine
Befassung mit den weiteren - auf die Gültigkeit der Bemessungsregelung in § 8 der
Bauaufsichtsgebührensatzung der Antragsgegnerin bezogenen - Einwänden, die
Bauaufsichtsgebührensatzung der Antragsgegnerin bezogenen - Einwänden, die
die Antragstellerin gegen ihre Heranziehung zu Befreiungsgebühren erhoben hat.
Die Beschwerde ist nach allem zurückzuweisen.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.